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Dritter Abschnitt.
Randbemerkungen.

Mk. 3,50.
Eine Nach-Weihnachtsgeschichte zur Beherzigung vor Weihnachten

Es war der 28. Dezember des Jahres 1889. Der Rentner A. F. H. Meyer, früher Besitzer des von ihm selbst begründeten Hauses A. F. H. Meyer – in der Geschäftswelt als ff bekannt – saß in seinem sogenannten Arbeitszimmer. Es war natürlich in »Renaissance« eingerichtet, Alles sehr reich geschnitzt; die Sitzgelegenheiten mit Leder überzogen, die Wände ebenfalls; die Decke in Holztäfelung. Ein großer Bücherschrank vermochte die Hauptwerke aller großen Geister zu fassen, enthielt aber nur Zigarrenkisten; ein grünseidener Vorhang entzog diese den Blicken alltäglicher Menschen. An dem einzigen, sehr breiten Fenster ein riesiger Schreibtisch; alle Gerätschaften waren aus Malachit, weshalb sie A. F. H. Meyer niemals benutzte – in einer dunklen Ecke stand bescheiden ein Tintenfläschchen und lag ein Federhalter gewöhnlichster Art. Vor dem Schreibtisch ein großes, silbern schimmerndes Bärenfell, auf dem Fell ein Lutherstuhl, auf dem Stuhl die wohlhabend abgerundete Gestalt des Herrn A. F. H. Meyer; auf den dicken Säulen der Beine ein Rundbau von gebietendem Umfange, entzückend im Schwunge der Linien, die sich sanft nach jener Stelle hin verloren, wo ein Hals hätte sein können – so aber saß Kugel auf Kugel; die kleinere den Kopf darstellend. Auch hier Alles in gemütvoller Abrundung: Kinn Nr. 1 und Nr. 2, die Wangen, die Augen und die Nase. Alles im Schimmer einer leisen verklärenden Röte und durchgeistigt durch vollkommenes Selbstbehagen, durch jene Zufriedenheit, die uns alle Weltweisen von uralten Zeiten her als das höchste der Erdengüter hinstellen. Und A. F. H. Meyer war weise – er durfte es sich bei seinem Einkommen von 40,000 Mk. auch erlauben.

Ich bitte um Verzeihung, daß ich mich bei Beschreibung seines Äußern so lange aufgehalten habe. Aber ein derartiges, in Form und Inhalt so schön abgerundetes Dasein hat etwas ungemein Wohlthuendes. Besonders für einen Dichter.

Herr Meyer entnahm einer Lade ein großes Buch, einer andern ein Päckchen sorgsam geordneter Rechnungen, unter denen allen »dankend erhalten« stand. Unbezahlte Rechnungen gab es für den Glücklichen überhaupt nicht. Dann holte er nicht ohne Mühe das Fläschchen und den Halter aus der dunklen Ecke, stellte das erste neben das Malachit-Tintenfaß und steckte die Feder hinter das umfangreiche Ohr, nachdem er sie vorher bedächtig eingetaucht hatte.

Sodann entnahm er einem versteckten Fach eine große Geldschwinge und zählte das in ihr vorhandene Geld nach. Er hatte als für Weihnachtsgeschenke bestimmt, einen Betrag hineingelegt. Die Ausgaben zu dem Rest gerechnet mußte sich der volle Betrag ergeben. Er war stets gewöhnt, daß es auf den Pfennig klappte.

Und nun begann er seine Eintragungen, Rechnung nach Rechnung.

Für meine Frau.
Pelzmantel 360 Mk.
Morgenrock von Gerson 120 Mk.

»Es ist unglaublich,« murmelte er, »was diese Weiber verbrauchen! Und gar für einen solchen Plunder, wie einen Morgenrock!«

Ein Delikatessenkorb 75 Mk.

Ein befriedigtes Lächeln arbeitete sich bei dieser Eintragung durch das Fett der Wangen. Er hatte lauter solche Sachen gewählt, die eigentlich nur er selber besonders gern aß.

Eine Marzipantorte 40 Mk.
12 Paar Handschuhe 60 Mk.
Kleinigkeiten 48,50 Mk.
Für meine Tochter.
Eiskostüm mit Kappe und Muff 260 Mk.
Ballkleid 140 Mk.
Fächer 45 Mk.
Sortie de bal 75 Mk.

» Sortie,« murmelte er und zog nachdenkend die Augenbraunen zusammen, so gut es eben ging. »Was ist denn das für ein Zeug? Wird wohl auch so ein Kleidermumpitz sein. 75 Mark! Wahres Sündengeld!«

Zwei Möpse aus echter Bronze 36 Mk..
12 Paar Handschuhe 60 Mk.
Kasten mit Briefbogen u. s. w 24 Mk.
Baar 100 Mk.
Sonstige Posten.
Kleiderstoffe für die beiden Nichten 90 Mk.
Pfefferkuchen 62 Mk.
Dem Portier 40 Mk.
Der Köchin 75 Mk.
Dem Kutscher 75 Mk.
Stubenmädchen 60 Mk.
Christbaum-Ausputz 42 Mk.
Für drei Wohlthätigkeits-Vereine je 30 Mk 90 Mk.

Bei dem Niederschreiben der letzten Ziffer nickte er anerkennend. Nun begann er die Reihe zusammenzuzählen und rechnete die noch in der Schwinge vorhandenen 19 Mk. dazu. Mißmutig schüttelte er das Haupt: es fehlten an den 2000 Mk., die er für die Weihnachtsausgaben bestimmt hatte, 3 Mk. 50 Pf.

Er rechnete nochmals und zum dritten Mal, suchte im Schreibtischfache, ob sich vielleicht eine Rechnung verschoben habe – Alles vergeblich. Wofür mochte er diese 3 Mk. 50 Pf. ausgegeben haben? Er sann und sann, aber er konnte sich nicht entsinnen. Wohl mußte es eine unbedeutende Kleinigkeit sein, denn für diesen Betrag bekommt man ja nichts Vernünftiges, aber was – was? Ein Anderer hätte vielleicht leichtsinnig hingeschrieben: »Noch etwas – 3 Mk. 50 Pf.« und die Rechnung abgeschlossen. Dazu war aber A. F. H. Meyer ein viel zu gediegener Mensch, er mußte klar sehen.

Nicht ohne Mühe erhob er sich und schritt nach dem Elfenbeinknopf der elektrischen Schelle.

Das Stubenmädchen steckte den Kopf herein: »Herr Meyer befehlen?«

»Meine Frau soll so gut sein und herkommen.«

Einige Minuten darauf erschien im Weihnachtsmorgenrock, ebenso rund gegliedert wie ihr Gatte, mit sehr gutmütigem Gesicht die Gewünschte, und er weihte sie in seine quälenden Zweifel ein. Beide durchforschten nun die Rechnungen und dann ihr Gedächtnis, aber weder Heini noch Malchen vermochten das Rätsel zu lösen.

Endlich meinte sie: »Weißt Du, Heini, vielleicht weiß es Lilichen. Ich werde sie Dir herschicken.«

Und bald erschien auch Lilichen, etwas mißgestimmt, denn sie war eben im Begriff gewesen eine Freundin abzuholen, um mit ihr nach der Rousseau-Insel zum Eislauf zu gehen. Die kleine Pelzmütze etwas schief auf dem Krauskopf, in der prallsitzenden, pelzverbrämten Jacke und dem lächerlich winzigen Muff stand sie da, jeder Zoll eine Erbtochter.

»Was willst Du denn, Papa? Ich habe wirklich nicht viel Zeit.«

Er musterte sie wohlgefällig. Der Anzug war nicht billig, aber er stand dem Töchterlein wunderbar zu Gesicht; zu den dunklen, glänzenden Augen und Brauen schuf das helle Pelzwerk einen Gegensatz, der den Reiz des etwas kecken Gesichts hob.

»Nun?« wiederholte sie mit sichtlicher Ungeduld. Der Vater setzte ihr die wichtige Angelegenheit auseinander und fragte schließlich, ob sie sich nicht noch eines Gegenstandes entsinne.

Sie lachte hell auf.

»Aber Papachen, wegen drei Mark fünfzig Pfennigen so viel Lärm! Das ist wahrhaftig nicht chic!«

»Chic, was chic! Ein Geschäftsmann muß vor jeder Mark eine Verbeugung machen, sonst bringt er es nie zum Thaler. Jetzt höre zu!«

Er las ihr – ohne die Preise zu nennen – die Geschenke vor.

»Ist das Alles?«

»Ich weiß nichts sonst,« erwiderte sie ungeduldig. »Leb wohl, Papa!«

An der Thür kehrte sie sich plötzlich um.

»Ach ja, ja! Ich weiß. Noch das Buch.«

»Richtig das Buch,« wiederholte er mit leuchtenden Augen: »Die Wallensteiner von Bär.«

Lilichen lachte laut auf.

»Nein, ›die Pappenheimer von Wolfs‹.«

»Na, das ist ziemlich gleich.«

Lili war verschwunden, Herr A. F. H. Meyer aber nun beruhigt in seiner Seele, trug noch die Worte ein:

»Ein Buch vom Antiquar Gsellius Mk. 3,50.«


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