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XIII

Johanna konnte die Aussprache, die sie mit Blaugast verband, lange nicht überbrücken. Da war Heilsames hochgekommen, tagscheu Erkanntes hatte sich eingeordnet, das zwischen ausgemergelten Lügen keinen Durchlaß gewährte. Sie war in der Welt, die ihr Asylrechte gab, keine Zugereiste und Fremde. Als Kind einer Kellnerin, dessen erste Gehversuche in der Obhut proletarischer Tanten gediehen, war ihr der Elternname vorerst als unwirklich aufgeplusterter Plural erschienen. Besonders der Vaterbegriff war durch die Ziffer übellaunig gezahlter Alimente ohne Restbestand teilbar. Der Neid um unerreichten Besitz, von Anleitungen beschwingt, die ihr in den Lesebuchstücken der Fibel ohne Unterlaß aufstießen, wich bald dem Besserwissen einer eingeborenen Erleuchtung. Die Verschwendungssucht der Natur, die Duftstaub und fliegenden Samen in der Bergwüste vertrödelt, die mit Gaben zur Hand ist, für die der Beschenkte nur wenig Verwendung findet, hatte sie trotzdem mit Liebe gerüstet.

Als Schulpflichtige fand sie zur Mutter zurück, teilte mit ihr die Mansarde, die ein ungepflegter Geschmack mit den Kennzeichen behängte, die unschwer als Attribute einer eingeleisigen Führung ermittelt wurden. Da waren Brennschere und Schminke, Seidenfahnen und ausrangierte Strümpfe, die aus den Zahnlücken unverschließbarer Koffer hervorlugten, Ansichtskarten und Haarbürsten. Die laxe Atmosphäre einer ungeregelten Tageseinteilung, die bei Vormittagsschlaf und nächtlichen Promenaden kein bleibendes System bezweckte, wiegte sie ein, um sie im gleichen Maße zu erwecken.

Johanna bewunderte die schöne Dame sehr, die sie im Koseton slawischer Schmiegsamkeit ihre Maminka nannte. Wenn die welkgewordene Glätte ihres verblühten Gesichts nach Toilettenkünsten sich strahlend erneuerte, erblindetes Haar den Goldfluß wiedergewann, der Stirn und Schläfen mit Schmachtlocken überrieselte, war die Tochter von diesem Liebreiz gefangen.

»Nimm mich doch mit!« – bat sie ängstlich, eingeschüchtert durch die knisternde Pracht billig geputzter Abendmäntel, die Politur gestückelter Lackschuhe, die Silberschuppen des Handtäschchens.

»Geh schlafen, du Bengel! – Maminka muß Geld errackern –«

Das mußte eine feine, überaus vornehme Arbeit sein, zu der man festlich gekleidet wie zur Hochzeit im Märchen ging. Johanna lag mit gefalteten Händen im Bett, sah geflügelte Amoretten auf flaumigen Wolkenbänken sitzen und versuchte zu beten. Ganz oben, im siebenten Himmel, wohnte der liebe Gott. Milchweiße Brieftauben entstiegen der Vision, die sie bedrückte, trugen die Torheit der Menschen quer durch den Äther. Auch ihre kindhafte Botschaft war mit dabei. Neben dem Thronsessel stand der Katechet aus der Schule, hatte den speckigen Rock mit Halbmonden zugeknöpft und haschte mit einem Schmetterlingsnetz die wirbelnden Bittgesuche. Als der liebe Gott den bekritzelten Zettel Johannas in die Hände bekam, lachte er über das ganze Gesicht.

»Wenn ich groß bin, will ich werden wie Maminka. Ich will in bunten Kleidern auf die Straße gehn und Geld verdienen. Ich will das Haar waschen, bis es glänzt, und den Mund färben, bis er duftet. Jeder soll mich dann lieb haben. – Jeder.«

Dröhnend hallte die Baßstimme Gottes durch das Himmelsgebäude.

»Bewilligt!« – befahl er und schmunzelte.

Das Echo unendlicher Heiterkeit ging dienstfertig durch den Raum, zerschellte an Marmortafeln und diamantenen Mosaiken. Auch der Katechet mit der Schmetterlingsstange kicherte ehrerbietig, und die Blasengel in den Ecken hielten sich kollernd die rosig gewölbten Bäuche.

Das war der Schlaf der kleinen Johanna, während die Mutter in Nachtlokalen zechte und das Gesellschaftsgeld in den Strumpf steckte. Später begriff sie. Sie begriff schon als Vierzehnjährige, daß die verderblichen Wünsche immer am schnellsten genehmigt werden. Als die Maminka aus dem Spital wiederkam, siech und verhutzelt, ein schmerzlich verzagtes Weiblein, waren die Rollen vertauscht. Sie brachte der Todgeweihten und Matten fürsorglich das Lager in Ordnung, tropfte die Medizin altklug ins Wasserglas und entbrannte die Abendlampe. Vor dem dreiteiligen Spiegel, der jahrelang die Frisur und den Wangenschmelz ihrer Mutter begutachtet hatte, machte sie sich zum Ausgehen zurecht. Sie tat es gewissenhaft, ohne Gebote der herrschenden Modetracht zu versäumen. Sie zupfte die Brauenhaare, bauschte pikant eine strohgelbe Strähne unter dem Hut. Der Anschauungsunterricht ihrer Kindheit zeitigte seine Früchte.

»Gute Maminka!« – tröstete sie.

»Geh ohne Sorgen zu Bett. Ich hole das Geld für den Mietzins.« –

Es war Bestimmung, gegen die aufzubegehren eine fromme Geste gewesen wäre. Johanna, die der erkrankten Ernährerin ihre Bürde abnahm, waltete umsichtig des Amtes. Das Los, das sie gezogen, das die Vorsehung für sie aufsparte, wog federleicht vor dem Verlangen nach Reinheit. Einmal noch faßte sie Herzleid an, dampfte als Blutrauch vor ihren Augen, wischte den Kohlenstift von den Wimpern und den entzündeten Lidern. Als ihre Mutter im Wagen davonfuhr, als man sie draußen bestattete, eine schamvoll zerstückelte Leiche. Da hatte sie die Fingernägel in das Handfleisch gekrallt, uneins mit sich und der Schöpfung. Aber das Schwestergefühl mit der Welt, der kläglich zerrupften Welt ihrer Maminka, überdauerte ruhmlosen Tod, kam vor dem Grabhügel nicht zu Falle. Die Verwaiste fand Festigkeit. Etwas, das unaussprechlich war, ein wehes Gespinst, ein unbefriedigter Glaube, luden ihr Nachfolge auf, die sie getreulich auf sich nahm.

Die Unterredung mit Blaugast hatte sie mehr als erschüttert. Die Weglosigkeit dieses Gefährten, der mit Phantomen zerstritten war, rührte an ihre Fürsorge. Die Wildnis, die ihn umzingelte, war ihr vertraut, fügsam und untertan. Als sein Hilferuf aus der Ferne kam, vom Gebell der Dämonen erstickt, lag berghoch verbrauchtes Tun zwischen ihnen. Da Wanda sie abwies, blieb sie die Hüterin, die den Ausgeglühten und Stumpfen nicht aus den Augen verlor. So war es kein Ungefähr, das sie im Dunst einer verqualmten Kaffeeschänke mit dem Entmenschten zusammenführte. Die Regie seiner lästerlichen Künste, die hier einem Publikum befuselter Taschendiebe und homosexueller Friseure die Nachtstunden kürzte, schlug sich als Absud jener Bekenntnisse nieder, die Wanda mit ihren Lustweibern im Bunde genäschig gewittert hatte.

»Blaugast, was tust du?« –

Geisterhaft, wie die Rute des Kometen, streifte ihn ihre Anrede und entmannte ihn. Sein schweißiges Hemd war unter dem Halse zerrissen, gab den bleigrauen Schmutz seines Brustkastens preis. Er hob den Blick, der unstetig irrte.

»Willst du mir wieder von Würde sprechen?« –

Er wies sein geschwärztes Gebiß, bösartig wie der Affe im Käfig, den die Gaffer mit Späßen ärgern. Der Speichel, der ihm die Zunge beizte, sein lehmiges Zahnfleisch wässerte, entwich als gespritzter Strahl seinem Mund und beschleimte ihr Kleid. Er spie sie an, entfesselt und schonungslos, und die Frage, die er ihr stellte, war von Abwehr gepeinigt. »Was willst du von mir? – Was hab ich mit dir zu schaffen?« –

Die strafende Blässe ihres Gesichtes erregte ihm Ekel. Er riß sich hoch, bohrte die Fäuste in seine Augen, schrie auf und kämpfte mit dem Erbrechen. Der Rücken, der als gekrümmter Ballast unter den Rockfetzen hing, zog ihn zur Seite. Ein Garderobeständer fiel krachend um, sein Schienbein, vom Blut besudelt, brannte wie Feuer. Blaugast entfloh. Ein Schauspieler seiner Schande ruderte er die Wände entlang und erreichte die Tür. Furcht vor dem Augenblick, wo ihm Besinnung zurückkäme, beschleunigte seinen Rückzug. Er ließ den Lohn seines Niedergangs, die Geilheit absurder Genießer, den Applaus der um Kehricht Geprellten im Stich und entwich auf die Gasse.

So verlief die Begegnung zwischen ihm und Johanna in Widerlichkeiten. Diese war stumm, von Betrübnis ermüdet, mit schweren Gliedern zu Hause gelandet. Ihr ungeselliges Zimmer, der Plunder aus Maminkas Tagen, ihr Bett, das unzweideutig bereitstand, empfingen sie kärglich. Das grämliche Licht der Bogenlampe beim Fenster glitt kraftlos über die Wand, nach der sie sich kehrte. Etwas, das goldschön geworden wäre, kostbares Karawanengut, das der Sandsturm bestäubte, lag trotzdem als heimlicher Hort unter den Dünen. Der Held, den sie einmal in Treue erfaselt hatte, der Buhler und Eremit ihrer Träume, war unter die Räuber gefallen. Nackt und geknebelt saß er im Brennesselkraut, Raupen und Ohrwürmer krochen ihm über die Augen, verlaufene Hunde kamen und leckten den Aussatz aus seinen Wunden. Vor Jahren besaß sie einmal ein Buch, das sie verstohlen beim Einschlafen kostete. Es war ein Roman aus der Türkenzeit, wo Templer bei Femegerichten das Urteil verlasen, mit Rosenkranzbannern und Morgenlandritten bevölkert. Der mit dem silbernen Stern auf dem Panzer, dem Haß und Verruchtheit die Flanke zerfleischten, war er nicht Blaugast gewesen? Wie Perlen auf Blutsamt fühlte der Name sich an, als sie in Wandas geschändeter Stube seinem Klang widerstrebte.

Johanna entschlief. Das Pflänzlein der selbstgewählten Pflicht, das ein seliger Windstoß in ihre Verlassenheit blies, trank gierig die Tränen auf, die sie um ihr Erlebnis weinte.


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