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Als der Schiffer Klaus Gerhard Brünjes sich mit Gesine Adelheid Lüttjohann aus Flensburg auf dem Standesamte einfand, willens, der beiderseitigen Ehelosigkeit ein Ziel zu setzen, ergab sich, daß die vorhandenen Dokumente zwar das Vorhandensein, aber nicht den Ursprung der Braut hinlänglich beglaubigten.
Das Brautpaar hielt sich wacker. Es schrieb nach Flensburg, erhielt Antwort und fand sich nach etwas mehr als einer Woche wieder ein.
»Herr Brünjes«, sagte der Standesbeamte, »das ist ja nun ganz gut und schön, aber für Ihre Braut brauche ich noch den Trauschein der Eltern.«
»Zo«, sagte Klaus Brünjes. »Dauert das denn nu wieder so lange?«
Der Standesbeamte antwortete mit einem Achselzucken, das jede Möglichkeit offenließ.
»Zo«, sagte Klaus Brünjes. »Aha. No, Gesche, denn komm her. Denn wollen wir man eers mal anfangen.« 88
»Was unsereins so in seinem Kopf zu sitzen hat, das isser auch nich von selbens isser das auch nich reingekommen. Das isser durch Strebsamkeit isser das reingekommen«, erzählte Käpt'n Bruns. »In meine allerersten Wasserdschahre, als ich noch Dschunge auf'n Weserdampfer war, bloß damit meine Mutter mir nich zu Hause rumzusitzen hatte, da bin ich nachts immer heimlich bin ich von Bord und auf'r Seefahrtsschule gegangen.«
»Aber Käpt'n«, wandte ein Meckerer ein, »nachts is die Schule doch garnich in Betrieb.«
»Weiß ich dscha!« versetzte Käpt'n Bruns. »Ich bin'r dscha auch nich hingegangen. Ich wollte dscha man bloß sagen, wie strebsam daß ich war.« 89
»Sagen Sie nix gegen die Temperenzlers«, warnte Käpt'n Bruns und rührte nachdenklich in seinem Grogglas. »Sagen Sie da dscha und dscha nix gegen; ich laß'r nix auf kommen. Den Leuten hab ich viel zu verdanken. In meine sündige Dschugend, als die Bark ›Anna Elisabeth‹ weggekluckert war und ich in Neuyork keine Heuer finden konnte, da hätt ich auf'm Pflaster hätt ich da gesessen, wenn die Temperenzlers nich gewesen wären. ›Teetotalers‹ sagen sie da in Amerika zu. Die haben mich in ihren Dienst genommen.«
»Sie –?« fragte einer der Zuhörer ungläubig.
»Mich«, bestätigte Käpt'n Bruns. »Mich und meinen Freund Dschonny Horstkotte. Ich bin dscheden Abend bin ich in die Versammlungen gegangen und hab bannig gegen den Alkohol geredet, was für'n Elend und was für'ne Schanne das damit wär. Davon hab ich gut und reichlich gelebt.«
»Na – und was hatte Jonny Horstkotte dabei zu tun?«
»Dschonny?« sagte Käpt'n Bruns. »Der hatte'n sehr wichtigen Posten hatte der bei mir. Den hab ich in alle Versammlungen mitgenommen und als abschreckendes Beispiel gezeigt.« 90
Käpt'n Bruns hatte Urlaub und wollte ihn natürlich am Wasser verbringen. Er stand an der Reeling des Bäderdampfers und starrte mißbilligend ins Meer – oder wenigstens in das, was die Landratten im Wattenmeer so zu nennen pflegen. Ein Professor aus Magdeburg redete ihn wissensdurstig an:
»Sagen Sie, lieber Mann – was sind das eigentlich für rote Dinger, die da im Wasser schwimmen?«
Käpt'n Bruns spuckte hart in den Wind. Wer einen Seekapitän mit »lieber Mann« anredet, muß sich vorher fragen, ob er die Folgen zu tragen imstande ist.
»Das sünd Bodjen«, sagte er.
»Bodjen –?«
»Nä, Bodjen.« (Käpt'n Bruns war überzeugt, »Bojen« gesagt zu haben.)
»Aha!« Der Fremde starrte die »Dinger« ratlos an. »Sagen Sie, lieber Mann, wozu dienen diese Bodjen?«
»Die hat der Tierschutzverein da hingelegt«, sagte Käpt'n Bruns.
»Der Tierschutzverein –?«
»Dscha. Zum Ausruhen for die Seehunnen.« 91
Krischan Sehlbrede, der in grauer Vorzeit als Eigentümer und Kapitän des alten Radkastens »Poseidon« Sommergäste und was es sonst so gab durch das Wattenmeer zu einer der Nordsee-Inseln schipperte, war ein Genie. Er brachte es fertig, von jeder seiner Reisen tief und innig erheitert mit prall gefüllter Geldtasche und einer stärkenden Magenfüllung von Genever und Grog zurückzukehren. Selten hat an der windigen Salzküste die Sonne so gestrahlt wie das Antlitz Krischan Sehlbredes, wenn er von Fahrt kam.
Nach vielen Jahren erst, als der »Poseidon« längst in seine klapprigen Bestandteile zerlegt war, lüftete Krischan Sehlbrede das Geheimnis seiner wissenschaftlichen Betriebsführung.
»Das war so«, sagte er: »Ümmer, wenn ich mit meinem ›Poseidon‹ klaren Kurs hatte, sammelte ich die an Bord befindlichen Mannsleute um mir un sagte: ›Meine Herrens‹, sagte ich denn, ›ich hab heute Geburtstag. und da geb ich einen auf aus, und nu genehmigen Sie mal einen mit mich auf meinem Wohle.‹ Denn kriegten sie 'ne Runde Köhm, das war für mir dscha nich teuer; denn die Wirtschaft an Bord, sie hatte ich dscha auch. Und nachher waren denn die annern dran, und wenn sie so richtig in Fahrt kamen, denn 92 wollte sich keiner lumpen lassen, und das wurde ümmer nördlicher, und die Damens kriegten denn irgend sowas Klebriges zu nibbeln und dschuchten da ümmer gegen an; und wenn'n das vierzig Dschahre lang dschede Säsong siebenmal in'r Woche macht, denn so hat'n was für seine alten Tage, was nich bloß 'ne schöne Erinnerung is.« 93
Als Käpt'n Bruns eines Abends in Großmanns Weinstuben in eine Stammtischrunde sturmerprobter Jäger geriet, wurden Jagdgeschichten erzählt, die offenbar darauf berechnet waren, sein wetterhartes Nervensystem ins Wanken zu bringen.
Käpt'n Bruns trank gelassen seinen St. Estephe und verzog keine Miene. Schließlich wischte er die Wirkung der gesamten Historien mit einer verächtlichen Handbewegung weg.
»Dascha allens garnix, meine Herren«, sagte er. »In Canada, da hab ich 'ne ganz annere Geschichte erlebt. In Canada, da is es im Winter so kalt – wenn man da im Freien en Glas heißen Grog nimmt un will den trinken, denn wird er unnerwegens so kalt, daß man sich da den Magen mit erkältet; und wenn man en büschen stark ausatmet, denn schneit einen das 94 ümmer vore Füße. Na, da haben wir denn dscha mal in einer Nacht haben wir mit zwei Mann hunnertzweiunzwanzig Hasen erlegt.«
»!!!« sagten die Herren einstimmig.
»Hunnertzweiunzwanzig!« bestätigte Käpt'n Bruns. »Und das haben wir so gemacht: wir haben mitten aufs Feld 'ne ganz besonners helle Laterne mit Reflektanten gestellt – –«
»– Reflektoren!« warf einer der Zuhörer ein.
»Sie sünd'r dscha garnich mit bei gewesen!« wehrte Käpt'n Bruns energisch ab. »– also 'ne helle Laterne mitten aufs Feld gestellt, und denn kamen die Hasen denn dscha vermöge ihrer weltbekannten Neuschierde kamen sie denn dscha in hellen Haufen angehoppelt und setzten sich da um zu kuckten ümmerzu die Laterne an.«
»Und denn haben Sie da auf geschossen? Dascha Aasdschägerei!« sagte einer der Hörer.
»Das hatten wir auch garnich nötig«, versetzte Käpt'n Bruns. »Das ging ganz unblutig ging das ab. Nämlich so: Von das lange sture Kucken fingen den Hasen denn dscha die Augen an zu tränen, und da wurden so allmählich Eiszapfen von, und da froren sie mit anner Erde fest, ohne daß sie es merkten; und wie es so weit war, gingen wir denn dscha bei und brachen sie ab und nahmen sie alle mit.« 95
»Lebensgefahr –?« sagte Käpt'n Bruns. »Nich daß ich wüßte. Ich bün bei dschedem Wind auf dschedem Wasser gefahren und hab mich mit Salznegern und Patzkaffern un was weiß ich nich noch alles rumgetagelt. Abers in Lebensgefahr bün ich einklich nie gekommen.
Doch – einmal bün ich'r in gewesen. Das war, als mein Freund Tscharlie Nottebohm mich auf seine Parzelle eingeladen hatte un mit mir in seinem alten verrotteten Ruderkahn von'n Sielwall nach'n Werder übere Weser fuhr. Da kam der dusslige Hund zu dicht an den Radkasten von dem alten Pott ›Porta Westfalica‹ ran, un da kenterten wir denn dscha, un da wär ich doch warraftigen Gott beinah wär ich da in das alte labbrige Süßwasser abgesoffen.«
»Können Sie denn nich schwimmen?!« fragte einer der Zuhörer verblüfft.
»Natürlich kann ich schwimmen«, antwortete Käpt'n Bruns. »Abers das hatt ich doch vor Schreck reineweg vergessen.« 96
Als Carsten Osmers, einstmals Kapitän der »Adelheid Lüders«, seinen Lotteriegewinn abgeholt hatte und sich bei einem Glase Grog mit seiner neuen Lebenslage innerlich auseinandersetzte, erschien alsbald sein Freund Henrich Brümmer und begann vorsichtig zu peilen.
»Du sollst dscha wohl was gewonnen haben –?« fragte er.
»Dscha.«
»Viel?«
»Ganzen Barg Geld. Plentimonneh.«
Pause.
»Auf was für'ne Nummer denn?« fing Henrich wieder an.
»Auf Nummer dreienfuffzig.«
»Wie kommst du denn auf Nummer dreienfuffzig?«
Carsten Osmers dämpfte geheimnisvoll die Stimme: »Durch Kabbalismus.«
»Ka–?«
»Kabbalismus. Das is ne mistriöse Wissenschaft, die hab ich von meinem Seilmåker gelernt. Paß scharf auf, damit daß das in deinen dussligen Kopf reingeht: Ich hab doch dschetzt en großen Garten. Da hab ich sechs Reihen Obstbäume in, dschede Reihe zu neun Stück. Kuck, und das hab ich malgenommen: sechs mal neun. So bün ich auf dreienfuffzig gekommen, un da hab ich denn dscha auch auf gewonnen.« 97
Reiche mir, Muse, das geräumige Henkelglas, gefüllt mit jenem männermordenden Grog, wie alte Lotsenkapitäne ihn bei Windstärke 12 zu schlürfen pflegen, wenn die Wolken des Himmels und die Wogen des Meeres sich zu einem Wasserschwall vereinigen, daß die gesalzene von der ungesalzenen Nässe nicht mehr zu trennen ist. Nur ein tiefer Zug aus dem qualmenden Gefäß kann mir den Mut geben, ahnungslosen Mitmenschen die Sage vom alten Schiffer zu erzählen.
Gerd Balster (worin man mit einiger Mühe die christlichen Vornamen Gerhard Balthasar erkennen möge) Hobby aus Westrhauderfehn war vierzig Jahre lang in der Hochseefischerei gefahren. Eines Tages nun mußte er feststellen, daß der Heringslogger »Enno Thadden«, obschon vor Anker liegend, auf eine ganz sonderbare Art um ihn zu kreiseln begann. Dem Begriff »Schwindel«, körperlich wie geistig gefaßt, hatte Gerd Balster Hobby nie eine Rolle in seinem Leben eingeräumt; das Kreiseln des »Enno Thadden« aber war nicht anders zu benennen, und da sonstige Ursachen nicht zu erkennen waren, mußte es sich um eine Alterserscheinung handeln. Irdische Habe besaß Gerd Balster nicht, von seinem Kalkbrösel und seinen goldenen Ohrringen abgesehen. 98 Also mußte er sich nun wohl ein Bahntje an Land suchen.
Er begab sich zu seinem Vetter, dem Deichbauern Tjark Onnen.
»Tjark«, sagte er, nachdem die beiden zwei Stunden lang behaglich miteinander geschwiegen hatten, »mit das Wasser is es nix mehr; ich muß aufs Trockene. Wenn du nu und du würdest mir als Schäfer anheuern?«
Tjark Onnen nahm die Pfeife aus dem Mund, was bei ihm ein Zeichen wohlwollenden Nachdenkens war, und traf, ausspuckend, eine auf dem Morgenspaziergang begriffene Pogge mitten auf den Kopf. Sie gewahrte es verwundert, aber ohne Gemütserschütterung, da es für ihre körperliche Beschaffenheit nicht viel Unterschied machte; Gerd Balster gewahrte es mit achtungsvollem Neid.
»Gerd«, sagte Tjark Onnen, »in das Wasser, da red ich dich nich rein, aber vons Land verstehst du nix von ab. Schafe sünd keine Heringe, die du ins Netz fangen und an Bord hiewen kannst. Aber du sollst haben, was die Stadtleute eine Tschangtse nennen. Wenn du und du treibst heute abend meine dreihunnert Schafe auf einen Hümpel, un da fehlt keins an, denn kannst du kommen.«
»Das soll gelten«, sagte Gerd Balster mit Fassung.
Von dem harten Heldenkampf, den er an diesem Tage kämpfte, weiß die Sage nichts zu berichten, wohl weil sie befürchtet, daß man sie der Aufschneiderei verdächtigen könnte. Das Ergebnis aber kann sie nicht 99 verschweigen. Als Tjark Onnen am Abend des Weges kam, standen die dreihundert Schafe auf einem Hümpel, und sein geübter Rundblick stellte mit einer nur ihm bekannten Zählweise fest, daß ihm auch nicht eines fehlte. Verwunderlich war nur, daß sie in einem großen Kreise standen und mit sichtlichem Staunen auf einen kleinen freien Platz inmitten dieses Kreises starrten. Auf diesem Platz aber hoppelte (so berichtet die Sage) ein verängstigter und ratloser Hase herum.
Tjark Onnen nahm die Pfeife aus dem Mund, weil sie ihm wegzufallen drohte, und deutete stumm fragend mit dem Pfeifenstiel auf den Hasen.
»Tschä, nich –!« lachte Gerd Balster Hobby erhitzt, aber mit behaglichem Stolz. »Das lüttsche braune da, das is'n ganzen Deuker is das. Was meinst du, was ich da für Arbeit mit gehabt habe, bis ich das da zwischen hatte!«