Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Fünftes Kapitel.

Was für ein Zufall Gil Blas'n von der Marquese von Chaves wegtreibt, und was aus ihm wird.

Ich war bereits ein halbes Jahr bey der Marquese de Chaves, und mit meinem Posten sehr wohl zufrieden; allein das Schicksal, dem ich gehorchen mußte, erlaubte mir nicht länger, bey dieser Dame, ja selbst nicht in Madrid, zu bleiben. Das Abenteuer, das mich von dannen trieb, war folgendes:

Unter dem weiblichen Hofstaate der Marquese befand sich ein Mädchen, Nahmens Porzie. Ausser ihrer Jugend und Schönheit war sie so gutartig, daß ich mich ganz an sie hing, ohne zu wissen, daß ich ihr Herz durch den Weg der Waffen erhalten mußte. Der Secretär der Marquese, ein stolzer und eifersüchtiger Mann, war in meine Schöne verliebt. Kaum gewahrte er meine Liebe zu ihr, so beschloß er, mich herauszufordern, ohne 63 vorher zu untersuchen, mit was für Augen mich Porzie ansähe.

Zu dem Ende beschied er mich eines Morgens in einen abgelegenen Ort. Da er ein kleines Männchen war, das mir kaum bis an die Schultern reichte, und mir herzlich schwach schien, so hielt ich ihn für keinen sehr gefährlichen Gegner. Ich ging voller Zuversicht nach dem mir angewiesenen Orte, in der festen Hoffnung, einen sehr leichten Sieg davon zu tragen, und mich bey Porzie'n mit selbigem zu brüsten.

Allein der Ausgang entsprach meiner Erwartung nicht; der kleine Secretär, der zwey bis drey Jahre auf den Fechtboden gegangen war, entwaffnete mich, wie ein Kind, setzte die Spitze des Degens mir auf die Brust, und sagte: Mach' Dich entweder gefaßt, von meiner Hand zu sterben, oder gib mir Dein Ehrenwort, heute noch das Haus der Marquese zu verlassen, und nicht mehr an Porzie'n zu denken. Ich versprach ihm dieß gern, und ohne alles Herzenssträuben.

Mir wär' es peinlich gewesen, mich, nachdem ich den Kürzern gezogen hatte, vor meinen Mitbedienten sehen zu lassen, zumahl vor der schönen Helena, um deretwillen der Tanz angegangen war. Ich eilte also bloß nach Hause, um mir all' meine Sachen und mein Geld zu hohlen, und wanderte noch an eben dem Tage nach Toledo zu; die Börse ziemlich gut 64 gespickt, und auf dem Nacken einen Bündel mit all' meinen Siebensachen. Ob ich mich gleich nicht anheischig gemacht hatte, Madrid zu verlassen, so hielt ich es doch für rathsamer, es auf einige Jahre zu thun. Ich faßte den Entschluß, Spanien zu durchstreifen, und mich in einer oder der andern Stadt eine kleine Weile aufzuhalten.

Das Geld, das ich habe, sagt' ich, wird dazu hinreichen. Vertollen will ich es nicht; und bin ich ganz abgebrannt, so nehm' ich wieder Dienste. Einem Burschen, wie mir, kann's gar nicht an Herrschaften fehlen, wenn er zu dienen Lust hat; der hat das Aussuchen.

Toledo zu sehen, war mein vorzüglichstes Verlangen; binnen drey Tagen hatt' ich diese Stadt erreicht. Ich logirte mich in eine angesehene Posada, wo man mich für einen vornehmen Cavalier hielt, weil ich nicht unterließ, mein Glücksjägerkleid anzulegen, und alle Manieren eines Stutzers zu affectiren. Es hing also völlig von mir ab, mit einigen niedlichen Weiberchen in der Nachbarschaft Bekanntschaft zu machen; da ich aber erfuhr, daß ohne großen Aufwand nicht an sie zu kommen sey, so legt' ich meinen Begierden Zügel und Gebiß an; und da ich noch immer Reiselust fühlte, verließ ich Toledo, dessen Sehenswürdigkeiten ich alle gesehen, eines Tages mit anbrechender Morgenröthe, und schlug den Weg nach 65 Cuenca ein, des Vorsatzes, nach Arragonien zu gehen.

Als ich den zweyten Tag mich in einem unterweges liegenden Wirthshause erquickte, kam ein Trupp Ausreiter von der heiligen Hermandad. Diese Herren forderten Wein, begannen zu zechen, und beym Zechen beschrieben sie einen jungen Menschen, den sie in Haft zu nehmen Befehl hatten. Dieser Cavalier, sagte einer von ihnen, ist nicht älter als dreyundzwanzig Jahr, hat lange schwarze Haare, eine feine Statur, eine Adlernase, und reitet ein braunes Pferd.

Ich hörte dieß an, ohne daß ich auf ihre Reden Achtung zu geben schien, und die Wahrheit zu sagen, bekümmert' ich mich wenig darum. Ich ließ sie im Wirthshause, und wanderte meines Weges. Kaum hatt' ich eine halbe Meile zurückgeleget, als ich auf einen jungen, wohlgebildeten Cavalier stieß, der einen kastanienbraunen Gaul ritt.

Auf meine Ehre! sagt' ich bey mir selbst, das ist, wo ich mich nicht irre, der Mann, den die Ausreiter suchen. Er hat langes schwarzes Haar und eine römische Nase. Ganz gewiß ist er es, den sie wegschnappen wollen. Ich muß ihm einen guten Dienst leisten.

Erlauben Sie mir eine Frage, Sennor, wandt' ich mich an ihn, haben Sie etwa eine Ehrensache auf dem Halse? Der junge Mann sah mich an, ohne mir zu antworten, und schien 66 über meine Frage stutzig. Ich versicherte ihm, daß mich nicht Neugier zu dieser Frage trieb, und als ich ihm alles erzählet, was ich im Wirthshause gehöret hatte, war er davon völlig überzeuget. Edler Unbekannter, sagte er zu mir, ich will Ihnen nicht verhehlen, daß ich Ursache habe zu glauben, daß mich die Ausreiter suchen. Sonach will ich einen andern Weg nehmen, um sie zu vermeiden.

Ich dächte, erwiederte ich, wir suchten einen Ort, wo Sie in Sicherheit wären, und wo wir uns vor dem Gewitter verbergen können, das sich dort aufzieht, und das bald heraufkommen wird. So eben entdeckten wir einen Gang von sehr dickbelaubten Bäumen. Wir schlugen selbigen ein, und kamen an den Fuß eines Berges, wo wir eine Einsiedeley fanden.

Es war eine große und tiefe Höhle, von der Hand der Zeit in diesen Berg geformet; voran befand sich ein Gebäude von Steinen und Muscheln und mit Rasen bedeckt durch Menschenhand angeflickt. Ringsumher standen tausenderley Blumen, die Wohlgerüche durch die Luft verbreiteten, und neben der Grotte sahe man einen kleinen Spalt im Berge, woraus ein Wasserquell rauschte, der sich auf eine Wiese ergoß.

Am Eingange dieser einsamen Wohnung befand sich ein heiliger Einsiedler, den die Last des Alters ganz niederzudrücken schien. Mit der einen Hand stützte er sich auf einen Stab, und 67 in der andern hielt er einen großen Rosenkranz, an dem wenigstens zwanzig Paternoster waren. Den Kopf hatte er in eine braune wollene Mütze gehüllt, die ihm über die Ohren ging, und sein Bart, der weisser war als Schnee, hing ihm über den Gürtel herab. Wir näherten uns ihm.

Wollt Ihr uns wohl, mein Vater, eine Freystätte gegen das Ungewitter erlauben, das uns drohet? sagt' ich zu ihm. Kommt herein, meine Kinder, versetzte der Anachoret, nachdem er mich aufmerksam betrachtet hatte, kommt herein! Diese Einsiedeley stehet Euch offen, und Ihr könnt Euch hier so lange aufhalten, als es Euch gefällt. Was Euer Pferd anlangt, fügte er hinzu, so wird es hier (auf das Vorgebäude zeigend) recht gut stehen. Der Cavalier, der mich begleitete, zog seinen Gaul in dieß Gebäude, und wir folgten dem Alten in die Grotte.

Kaum befanden wir uns hier, als ein heftiger Platzregen fiel, mit starken Blitzen und entsetzlichen Donnerschlägen vermischt. Der Eremit warf sich nieder vor ein St. Pacomo-Bild, das an der Mauer befestiget war, und wir folgten seinem Beyspiel. Indeß hatte der Donner aufgehöret. Wir standen auf, weil es aber noch immer fortregnete, und die Nacht nicht mehr fern war, so sagte der Greis: Kinder, ich rathe Euch nicht, bey dem Wetter Euch auf den Weg zu machen, wofern Ihr nicht dringende 68 Geschäfte habt. Die hätten wir nicht, gaben wir zur Antwort, und wenn wir ihm nicht lästig zu werden besorgten, so würden wir ihn bitten, uns diese Nacht zu beherbergen.

Lästig werdet ihr mir nicht, lieben Kinder, antwortete er. Ihr allein seyd zu beklagen. Euer Nachtlager wird nicht das beste seyn, und vorsetzen kann ich Euch weiter nichts, als ein Anachoretenmahl.

Nachdem der heilige Mann dieß gesagt hatte, mußten wir uns an einem Tischchen niederlassen. Er legte uns einige kleine Zwiebeln, auch ein Stück Brot vor, schob uns einen Krug mit Wasser hin, und sagte: Das sind meine gewöhnlichen Gerichte, doch heute will ich Euretwegen ein Uebriges thun. Mit diesen Worten hohlte er ein Stückchen Käse, und zwey Hände voll Haselnüsse herbey, die er auf den Tisch schüttete. Der junge Mann, der nicht viel Eßlust hatte, ließ sich diese Gerichte eben nicht sehr zu Gaume gehen.

Ich merke, sagte der Eremit, daß Ihr besserer Tafeln gewohnet seyd, als der meinigen, oder vielmehr, daß die Sinnlichkeit Euren natürlichen Geschmack verderbet hat. Ich war in der Welt, wie Ihr. Die delicatesten Gerichte, die ausgesuchtesten Leckerbißchen waren nicht zu gut für mich; allein seit ich in der Einsamkeit lebe, hat mein Geschmack seine 69 Urreinheit wieder erhalten. Ich liebe jetzt weiter nichts als Wurzeln, Früchte, Milch: mit Einem Worte, alles das, wovon sich unsere ersten Aeltern nährten.

Während er so sprach, sank der junge Mann in ein tiefes Nachdenken. Der Eremit ward es gewahr. Mein Sohn, sagte er, es liegt Euch etwas auf dem Herzen. Kann ich nicht erfahren, was es ist? Schüttet Euch ganz gegen mich aus. Nicht Neugier treibt mich zu dieser Forderung an, sondern bloßes Mitleiden. Ich befinde mich in einem Alter, wo ich Rath geben kann, und Ihr in einer Lage, worin Ihr vielleicht welchen bedürfet.

O! unstreitig bedarf ich dessen, mein Vater, unstreitig, antwortete der junge Cavalier, und ich will ihn annehmen, da Ihr ihn mir anzubiethen die Güte habt. Ich sehe, daß ich nichts wage, indem ich mich Euch entdecke. Nein, mein Sohn, sagte der Alte, Ihr braucht Euch nicht zu fürchten. Mir kann man alles anvertrauen. Hierauf begann der Cavalier also: 70

 


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