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Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen.
Der Prinz. Marinelli.
Marinelli. Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der größten Verachtung aus.
Der Prinz. Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird Emilia noch heute die Seinige?
Marinelli. Allem Ansehen nach.
Der Prinz. Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel! – Wer weiß, wie albern Sie sich dabei genommen. – Wenn der Rat eines Toren einmal gut ist, so muß ihn ein gescheiter Mann ausführen. Das hätt' ich bedenken sollen.
Marinelli. Da find ich mich schön belohnt!
Der Prinz. Und wofür belohnt?
Marinelli. Daß ich noch mein Leben darüber in die Schanze schlagen wollte. – Als ich sahe, daß weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen, versucht' ich es, ihn in Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, über die er sich vergaß. Er stieß Beleidigungen gegen mich aus, und ich forderte Genugtuung – und forderte sie gleich auf der Stelle. – Ich dachte so: entweder er mich oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun, wenn auch; so muß er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit.
Der Prinz. Das hätten Sie getan, Marinelli?
Marinelli. Ha! man sollt' es voraus wissen, wenn man so töricht bereit ist, sich für die Großen aufzuopfern – man sollt' es voraus wissen, wie erkenntlich sie sein würden –
Der Prinz. Und der Graf? – Er stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht zweimal sagen zu lassen.
Marinelli. Nachdem es fällt, ohne Zweifel. – Wer kann es ihm verdenken? – Er versetzte, daß er auf heute doch noch etwas Wichtigers zu tun habe, als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er mich auf die ersten acht Tage nach der Hochzeit.
Der Prinz. Mit Emilia Galotti! Der Gedanke macht mich rasend! – Darauf ließen Sie es gut sein und gingen – und kommen und prahlen, daß Sie Ihr Leben für mich in die Schanze geschlagen, sich mir aufgeopfert –
Marinelli. Was wollen Sie aber, gnädiger Herr, das ich weiter hätte tun sollen?
Der Prinz. Weiter tun? – Als ob er etwas getan hätte!
Marinelli. Und lassen Sie doch hören, gnädiger Herr, was Sie für sich selbst getan haben. – Sie waren so glücklich, sie noch in der Kirche zu sprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet?
Der Prinz (höhnisch). Neugierde zur Genüge! – Die ich nur befriedigen muß. – Oh, es ging alles nach Wunsch. – Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen, mein allzu dienstfertiger Freund! – Sie kam meinem Verlangen mehr als halbes Weges entgegen. Ich hätte sie nur gleich mitnehmen dürfen. (Kalt und befehlend.) Nun wissen Sie, was Sie wissen wollen – und können gehn!
Marinelli. Und können gehn! – Ja, ja, das ist das Ende vom Liede! und würd' es sein, gesetzt auch, ich wollte noch das Unmögliche versuchen. – Das Unmögliche sag ich? – So unmöglich wär' es nun wohl nicht; aber kühn! – Wenn wir die Braut in unserer Gewalt hätten, so stünd' ich dafür, daß aus der Hochzeit nichts werden sollte.
Der Prinz. Ei! wofür der Mann nicht alles stehen will! Nun dürft' ich ihm nur noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte sich an der Landstraße damit in Hinterhalt und fiele selbst funfziger einen Wagen an, und riss' ein Mädchen heraus, das er im Triumphe mir zubrächte.
Marinelli. Es ist eher ein Mädchen mit Gewalt entführt worden, ohne daß es einer gewaltsamen Entführung ähnlich gesehen.
Der Prinz. Wenn Sie das zu machen wüßten, so würden Sie nicht erst lange davon schwatzen.
Marinelli. Aber für den Ausgang müßte man nicht stehen sollen. – Es könnten sich Unglücksfälle dabei ereignen –
Der Prinz. Und es ist meine Art, daß ich Leute Dinge verantworten lasse, wofür sie nicht können!
Marinelli. Also, gnädiger Herr – (Man hört von weitem einen Schuß.) Ha! was war das? – Hört' ich recht? – Hörten Sie nicht auch, gnädiger Herr, einen Schuß fallen? – Und da noch einen!
Der Prinz. Was ist das? was gibt's?
Marinelli. Was meinen Sie wohl? – Wie, wann ich tätiger wäre, als Sie glauben?
Der Prinz. Tätiger? – So sagen Sie doch –
Marinelli. Kurz: wovon ich gesprochen, geschieht.
Der Prinz. Ist es möglich?
Marinelli. Nur vergessen Sie nicht, Prinz, wessen Sie mich eben versichert. – Ich habe nochmals Ihr Wort – –
Der Prinz. Aber die Anstalten sind doch so –
Marinelli. Als sie nur immer sein können! – Die Ausführung ist Leuten anvertrauet, auf die ich mich verlassen kann. Der Weg geht hart an der Planke des Tiergartens vorbei. Da wird ein Teil den Wagen angefallen haben; gleichsam, um ihn zu plündern. Und ein anderer Teil, wobei einer von meinen Bedienten ist, wird aus dem Tiergarten gestürzt sein; den Angefallenen gleichsam zur Hülfe. Während des Handgemenges, in das beide Teile zum Schein geraten, soll mein Bedienter Emilien ergreifen, als ob er sie retten wolle, und durch den Tiergarten in das Schloß bringen. – So ist die Abrede. – Was sagen Sie nun, Prinz?
Der Prinz. Sie überraschen mich auf eine sonderbare Art. – Und eine Bangigkeit überfällt mich – (Marinelli geht an das Fenster.) Wornach sehen Sie?
Marinelli. Dahinaus muß es sein! – Recht! – und eine Maske kömmt bereits um die Planke gesprengt – ohne Zweifel, mir den Erfolg zu berichten. – Entfernen Sie sich, gnädiger Herr.
Der Prinz. Ah, Marinelli –
Marinelli. Nun? Nicht wahr, nun hab ich zu viel getan, und vorhin zu wenig?
Der Prinz. Das nicht. Aber ich sehe bei alledem nicht ab – –
Marinelli. Absehn? – Lieber alles mit eins! – Geschwind, entfernen Sie sich. – Die Maske muß Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.)
Marinelli und bald darauf Angelo.
Marinelli (der wieder nach dem Fenster geht). Dort fährt der Wagen langsam nach der Stadt zurück. – So langsam? Und in jedem Schlage ein Bedienter? – Das sind Anzeichen, die mir nicht gefallen – daß der Streich wohl nur halb gelungen ist: – daß man einen Verwundeten gemächlich zurückführet – und keinen Toten. – Die Maske steigt ab. – Es ist Angelo selbst. Der Tolldreiste! – Endlich, hier weiß er die Schliche. – Er winkt mir zu. Er muß seiner Sache gewiß sein. – Ha, Herr Graf, der Sie nicht nach Massa wollten, und nun noch einen weitern Weg müssen! – Wer hatte Sie die Affen so kennen gelehrt? (Indem er nach der Türe zugeht.) Jawohl sind sie hämisch. – Nun, Angelo?
Angelo (der die Maske abgenommen). Passen Sie auf, Herr Kammerherr! Man muß sie gleich bringen.
Marinelli. Und wie lief es sonst ab?
Angelo. Ich denke ja, recht gut.
Marinelli. Wie steht es mit dem Grafen?
Angelo. Zu dienen! So, so! – Aber er muß Wind gehabt haben. Denn er war nicht so ganz unbereitet.
Marinelli. Geschwind sage mir, was du mir zu sagen hast! – Ist er tot?
Angelo. Es tut mir leid um den guten Herrn.
Marinelli. Nun da, für dein mitleidiges Herz! (Gibt ihm einen Beutel mit Gold.)
Angelo. Vollends mein braver Nicolo! der das Bad mit bezahlen müssen.
Marinelli. So? Verlust auf beiden Seiten?
Angelo. Ich könnte weinen um den ehrlichen Jungen! Ob mir sein Tod schon das (indem er den Beutel in der Hand wieget) um ein Vierteil verbessert. Denn ich bin sein Erbe, weil ich ihn gerächet habe. Das ist so unser Gesetz; ein so gutes, mein ich, als für Treu' und Freundschaft je gemacht worden. Dieser Nicolo, Herr Kammerherr –
Marinelli. Mit deinem Nicolo! – Aber der Graf, der Graf –
Angelo. Blitz! der Graf hatte ihn gut gefaßt. Dafür faßt' ich auch wieder den Grafen! – Er stürzte; und wenn er noch lebendig zurück in die Kutsche kam, so steh ich dafür, daß er nicht lebendig wieder herauskommt.
Marinelli. Wenn das nur gewiß ist, Angelo.
Angelo. Ich will Ihre Kundschaft verlieren, wenn es nicht gewiß ist! – Haben Sie noch was zu befehlen? Denn mein Weg ist der weiteste: wir wollen heute noch über die Grenze.
Marinelli. So geh.
Angelo. Wenn wieder was vorfällt, Herr Kammerherr – Sie wissen, wo ich zu erfragen bin. Was sich ein andrer zu tun getrauet, wird für mich auch keine Hexerei sein. Und billiger bin ich als jeder andere. (Geht ab.)
Marinelli. Gut das! – Aber doch nicht so recht gut. – Pfui, Angelo! so ein Knicker zu sein! Einen zweiten Schuß wäre er ja wohl noch wert gewesen. – Und wie er sich vielleicht nun martern muß, der arme Graf! – Pfui, Angelo! Das heißt sein Handwerk sehr grausam treiben – und verpfuschen. – Aber davon muß der Prinz noch nichts wissen. Er muß erst selbst finden, wie zuträglich ihm dieser Tod ist. – Dieser Tod! – Was gäb' ich um die Gewißheit! –
Der Prinz. Marinelli.
Der Prinz. Dort kömmt sie die Allee herauf. Sie eilet vor dem Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, beflügelt ihre Füße. Sie muß noch nichts argwöhnen. Sie glaubt sich nur vor Räubern zu retten. – Aber wie lange kann das dauren?
Marinelli. So haben wir sie doch fürs erste.
Der Prinz. Und wird die Mutter sie nicht aufsuchen? Wird der Graf ihr nicht nachkommen? Was sind wir alsdenn weiter? Wie kann ich sie ihnen vorenthalten?
Marinelli. Auf das alles weiß ich freilich noch nichts zu antworten. Aber wir müssen sehen. Gedulden Sie sich, gnädiger Herr. Der erste Schritt mußte doch getan sein. –
Der Prinz. Wozu? wenn wir ihn zurücktun müssen.
Marinelli. Vielleicht müssen wir nicht. – Da sind tausend Dinge, auf die sich weiter fußen läßt. – Und vergessen Sie denn das Vornehmste?
Der Prinz. Wie kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht gedacht habe? – Das Vornehmste? was ist das?
Marinelli. Die Kunst zu gefallen, zu überreden – die einem Prinzen, welcher liebt, nie fehlet.
Der Prinz. Nie fehlet? Außer, wo er sie gerade am nötigsten brauchte. – Ich habe von dieser Kunst schon heut einen zu schlechten Versuch gemacht. Mit allen Schmeicheleien und Beteuerungen konnt' ich ihr auch nicht ein Wort auspressen. Stumm und niedergeschlagen und zitternd stand sie da; wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil höret. Ihre Angst steckte mich an, ich zitterte mit und schloß mit einer Bitte um Vergebung. Kaum getrau ich mir, sie wieder anzureden. – Bei ihrem Eintritte wenigstens wag ich es nicht zu sein. Sie, Marinelli, müssen sie empfangen. Ich will hier in der Nähe hören, wie es abläuft; und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe.
Marinelli, und bald darauf dessen Bedienter Battista mit Emilien.
Marinelli. Wenn sie ihn nicht selbst stürzen gesehen – Und das muß sie wohl nicht; da sie so fortgeeilet – Sie kömmt. Auch ich will nicht das erste sein, was ihr hier in die Augen fällt. (Er zieht sich in einen Winkel des Saales zurück.)
Battista. Nur hier herein, gnädiges Fräulein!
Emilia (außer Atem). Ah! – Ah! – Ich danke Ihm, mein Freund – ich dank Ihm. – Aber Gott, Gott! wo bin ich? – Und so ganz allein? Wo bleibt meine Mutter? Wo blieb der Graf? – Sie kommen doch nach? mir auf dem Fuße nach?
Battista. Ich vermute.
Emilia. Er vermutet? Er weiß es nicht? Er sah sie nicht? – Ward nicht gar hinter uns geschossen? –
Battista. Geschossen? – Das wäre! –
Emilia. Ganz gewiß! Und das hat den Grafen oder meine Mutter getroffen. –
Battista. Ich will gleich nach ihnen ausgehen.
Emilia. Nicht ohne mich. – Ich will mit; ich muß mit: komm' Er, mein Freund!
Marinelli (der plötzlich herzutritt, als ob er eben hereinkäme). Ah, gnädiges Fräulein! Was für ein Unglück, oder vielmehr, was für ein Glück – was für ein glückliches Unglück verschafft uns die Ehre –
Emilia (stutzend). Wie? Sie hier, mein Herr? – Ich bin also wohl bei Ihnen? – Verzeihen Sie, Herr Kammerherr. Wir sind von Räubern ohnfern überfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Hilfe – und dieser ehrliche Mann hob mich aus dem Wagen und brachte mich hierher. – Aber ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehen. Meine Mutter ist noch in der Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht tot – und ich lebe? – Verzeihen Sie. Ich muß fort; ich muß wieder hin – wo ich gleich hätte bleiben sollen.
Marinelli. Beruhigen Sie sich, gnädiges Fräulein. Es stehet alles gut; sie werden bald bei Ihnen sein, die geliebten Personen, für die Sie so viel zärtliche Angst empfinden. – Indes, Battista, geh, lauf: sie dürften vielleicht nicht wissen, wo das Fräulein ist. Sie dürften sie vielleicht in einem von den Wirtschaftshäusern des Gartens suchen. Bringe sie unverzüglich hierher. (Battista geht ab.)
Emilia. Gewiß? Sind sie alle geborgen? Ist ihnen nichts widerfahren? – Ah, was ist dieser Tag für ein Tag des Schreckens für mich! – Aber ich sollte nicht hier bleiben – ich sollte ihnen entgegeneilen –
Marinelli. Wozu das, gnädiges Fräulein? Sie sind ohnedem schon ohne Atem und Kräfte. Erholen Sie sich vielmehr und geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit ist. – Ich will wetten, daß der Prinz schon selbst um Ihre teure, ehrwürdige Mutter ist und sie Ihnen zuführet.
Emilia. Wer, sagen Sie?
Marinelli. Unser gnädigster Prinz selbst.
Emilia (äußerst bestürzt). Der Prinz?
Marinelli. Er floh auf die erste Nachricht Ihnen zu Hülfe. – Er ist höchst ergrimmt, daß ein solches Verbrechen ihm so nahe, unter seinen Augen gleichsam, hat dürfen gewagt werden. Er läßt den Tätern nachsetzen, und ihre Strafe, wenn sie ergriffen werden, wird unerhört sein.
Emilia. Der Prinz! – Wo bin ich denn also?
Marinelli. Auf Dosalo, dem Lustschlosse des Prinzen.
Emilia. Welch ein Zufall! – Und Sie glauben, daß er gleich selbst erscheinen könne? – Aber doch in Gesellschaft meiner Mutter?
Marinelli. Hier ist er schon.
Der Prinz. Emilia. Marinelli.
Der Prinz. Wo ist sie? wo? – Wir suchen Sie überall, schönstes Fräulein. – Sie sind doch wohl? – Nun so ist alles wohl! Der Graf, Ihre Mutter –
Emilia. Ah, gnädigster Herr! Wo sind sie? Wo ist meine Mutter?
Der Prinz. Nicht weit; hier ganz in der Nähe.
Emilia. Gott, in welchem Zustande werde ich die eine oder den andern vielleicht treffen! Ganz gewiß treffen! – denn Sie verhehlen mir, gnädiger Herr – ich seh es, Sie verhehlen mir –
Der Prinz. Nicht doch, bestes Fräulein. – Geben Sie mir Ihren Arm und folgen Sie mir getrost.
Emilia (unentschlossen). Aber – wenn ihnen nichts widerfahren – wenn meine Ahnungen mich trügen: – warum sind sie nicht schon hier? Warum kamen sie nicht mit Ihnen, gnädiger Herr?
Der Prinz. So eilen Sie doch, mein Fräulein, alle diese Schreckenbilder mit eins verschwinden zu sehen.
Emilia. Was soll ich tun? (Die Hände ringend.)
Der Prinz. Wie, mein Fräulein? Sollten Sie einen Verdacht gegen mich hegen? –
Emilia (die vor ihm niederfällt). Zu Ihren Füßen, gnädiger Herr –
Der Prinz (sie aufhebend). Ich bin äußerst beschämt. – Ja, Emilia, ich verdiene diesen stummen Vorwurf. – Mein Betragen diesen Morgen ist nicht zu rechtfertigen: – zu entschuldigen höchstens. Verzeihen Sie meiner Schwachheit. – Ich hätte Sie mit keinem Geständnisse beunruhigen sollen, von dem ich keinen Vorteil zu erwarten habe. Auch ward ich durch die sprachlose Bestürzung, mit der Sie es anhörten, oder vielmehr nicht anhörten, genugsam bestraft. – Und könnt' ich schon diesen Zufall, der mir nochmals, ehe alle meine Hoffnung auf ewig verschwindet – mir nochmals das Glück, Sie zu sehen und zu sprechen, verschafft; könnt' ich schon diesen Zufall für den Wink eines günstigen Glückes erklären – für den wunderbarsten Aufschub meiner endlichen Verurteilung erklären, um nochmals um Gnade flehen zu dürfen: so will ich doch – beben Sie nicht, mein Fräulein – einzig und allein von Ihrem Blicke abhangen. Kein Wort, kein Seufzer soll Sie beleidigen. – Nur kränke mich nicht Ihr Mißtrauen. Nur zweifeln Sie keinen Augenblick an der unumschränktesten Gewalt, die Sie über mich haben. Nur falle Ihnen nie bei, daß Sie eines andern Schutzes gegen mich bedürfen. – Und nun kommen Sie, mein Fräulein – kommen Sie, wo Entzückungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen. (Er führt sie, nicht ohne Sträuben, ab.) Folgen Sie uns, Marinelli. –
Marinelli. Folgen Sie uns – das mag heißen: folgen Sie uns nicht! – Was hätte ich ihnen auch zu folgen? Er mag sehen, wie weit er es unter vier Augen mit ihr bringt. – Alles, was ich zu tun habe, ist – zu verhindern, daß sie nicht gestöret werden. Von dem Grafen zwar hoffe ich nun wohl nicht. Aber von der Mutter; von der Mutter! Es sollte mich sehr wundern, wenn die so ruhig abgezogen wäre und ihre Tochter im Stiche gelassen hätte. – Nun, Battista? was gibt's?
Battista. Marinelli.
Battista (eiligst). Die Mutter, Herr Kammerherr –
Marinelli. Dacht' ich's doch! – Wo ist sie?
Battista. Wann Sie ihr nicht zuvorkommen, so wird sie den Augenblick hier sein. – Ich war gar nicht willens, wie Sie mir zum Schein geboten, mich nach ihr umzusehen: als ich ihr Geschrei von weitem hörte. Sie ist der Tochter auf der Spur, und wo nur nicht – unserm ganzen Anschlage! Alles, was in dieser einsamen Gegend von Menschen ist, hat sich um sie versammelt; und jeder will der sein, der ihr den Weg weiset. Ob man ihr schon gesagt, daß der Prinz hier ist, daß Sie hier sind, weiß ich nicht. – Was wollen Sie tun?
Marinelli. Laß sehen! – (Er überlegt.) Sie nicht einlassen, wenn sie weiß, daß die Tochter hier ist? – Das geht nicht. – Freilich, sie wird Augen machen, wenn sie den Wolf bei dem Schäfchen sieht. – Augen? Das möchte noch sein. Aber der Himmel sei unsern Ohren gnädig! – Nun was? die beste Lunge erschöpft sich, auch sogar eine weibliche. Sie hören alle auf zu schreien, wenn sie nicht mehr können. – Dazu, es ist doch einmal die Mutter, die wir auf unserer Seite haben müssen. – Wenn ich die Mütter recht kenne – so etwas von einer Schwiegermutter eines Prinzen zu sein, schmeichelt die meisten. – Laß sie kommen, Battista, laß sie kommen!
Battista. Hören Sie! hören Sie!
Claudia Galotti (innerhalb). Emilia! Emilia! Mein Kind, wo bist du?
Marinelli. Geh, Battista, und suche nur ihre neugierigen Begleiter zu entfernen.
Claudia Galotti. Battista. Marinelli.
Claudia (die in die Tür tritt, indem Battista herausgehen will). Ha! der hob sie aus dem Wagen! Der führte sie fort! Ich erkenne dich. Wo ist sie? Sprich, Unglücklicher!
Battista. Das ist mein Dank?
Claudia. Oh, wenn du Dank verdienest (in einem gelinden Tone) – so verzeihe mir, ehrlicher Mann! – Wo ist sie? – Laßt mich sie nicht länger entbehren. Wo ist sie?
Battista. Oh, Ihre Gnaden, sie könnte in dem Schoße der Seligkeit nicht aufgehobner sein. – Hier mein Herr wird Ihre Gnaden zu ihr führen. (Gegen einige Leute, die nachdringen wollen.) Zurück da! ihr!
Claudia Galotti. Marinelli.
Claudia. Dein Herr? – (Erblickt den Marinelli und fährt zurück.) Ha! – Das dein Herr? – Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und Sie, Sie sollen mich zu ihr führen?
Marinelli. Mit vielem Vergnügen, gnädige Frau.
Claudia. Halten Sie! – Eben fällt mir es bei – Sie waren es ja – nicht? – der den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte? mit dem ich ihn allein ließ? mit dem er Streit bekam?
Marinelli. Streit? – Was ich nicht wüßte: ein unbedeutender Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten –
Claudia. Und Marinelli heißen Sie?
Marinelli. Marchese Marinelli.
Claudia. So ist es richtig. – Hören Sie doch, Herr Marchese. – Marinelli war – der Name Marinelli war – begleitet mit einer Verwünschung – Nein, daß ich den edeln Mann nicht verleumde! – begleitet mit keiner Verwünschung – Die Verwünschung denk ich hinzu – Der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen.
Marinelli. Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani? – Sie hören, gnädige Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffällt. – Des sterbenden Grafen? – Was Sie sonst sagen wollen, versteh ich nicht.
Claudia (bitter und langsam). Der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen! – Verstehen Sie nun? – Ich verstand es erst auch nicht, obschon mit einem Tone gesprochen – mit einem Tone! – Ich höre ihn noch! Wo waren meine Sinne, daß sie diesen Ton nicht sogleich verstanden?
Marinelli. Nun, gnädige Frau? – Ich war von jeher des Grafen Freund; sein vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben nannte –
Claudia. Mit dem Tone? – Ich kann ihn nicht nachmachen; ich kann ihn nicht beschreiben: aber er enthielt alles! alles! – Was? Räuber wären es gewesen, die uns anfielen? – Mörder waren es; erkaufte Mörder! – Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen! Mit einem Tone!
Marinelli. Mit einem Tone? – Ist es erhört, auf einen Ton, in einem Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen Mannes zu gründen?
Claudia. Ha, könnt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton! – Doch, weh mir! Ich vergesse darüber meine Tochter. – Wo ist sie? – Wie? auch tot? – Was konnte meine Tochter dafür, daß Appiani dein Feind war?
Marinelli. Ich verzeihe der bangen Mutter. – Kommen Sie, gnädige Frau – Ihre Tochter ist hier; in einem von den nächsten Zimmern, und hat sich hoffentlich von ihrem Schrecken schon völlig erholt. Mit der zärtlichsten Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschäftiget –
Claudia. Wer? – Wer selbst?
Marinelli. Der Prinz.
Claudia. Der Prinz? – Sagen Sie wirklich der Prinz? – Unser Prinz?
Marinelli. Welcher sonst?
Claudia. Nun dann! – Ich unglückselige Mutter! – Und ihr Vater! ihr Vater! – Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich verfluchen.
Marinelli. Um des Himmels willen, gnädige Frau! Was fällt Ihnen nun ein?
Claudia. Es ist klar! – Ist es nicht? – Heute im Tempel! vor den Augen der Allerreinesten! in der nähern Gegenwart des Ewigen! – begann das Bubenstück, da brach es aus! (Gegen den Marinelli.) Ha, Mörder! feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden, aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich! – Denn warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Gesicht speien? – Dich! Dich Kuppler!
Marinelli. Sie schwärmen, gute Frau. – Aber mäßigen Sie wenigstens Ihr wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind.
Claudia. Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin? – Was kümmert es die Löwin, der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie brüllet?
Emilia (innerhalb). Ha, meine Mutter! Ich höre meine Mutter!
Claudia. Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehört, sie hat mich gehört. Und ich sollte nicht schreien? – Wo bist du, mein Kind? Ich komme, ich komme! (Sie stürzt in das Zimmer und Marinelli ihr nach.)