Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Just. Schurke von einem Wirte! Du, uns? – Frisch, Bruder! – Schlag zu, Bruder! (Er holt aus und erwacht durch die Bewegung.) Heda! schon wieder? Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Hätte er nur erst die Hälfte von allen den Schlägen! – Doch sieh, es ist Tag! Ich muß nur bald meinen armen Herrn aufsuchen. Mit meinem Willen soll er keinen Fuß mehr in das vermaledeite Haus setzen. Wo wird er die Nacht zugebracht haben?
Wirt. Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei, schon so früh auf? Oder soll ich sagen: noch so spät auf?
Just. Sage Er, was Er will.
Wirt. Ich sage nichts als »Guten Morgen«; und das verdient doch wohl, daß Herr Just »Großen Dank« darauf sagt?
Just. Großen Dank!
Wirt. Man ist verdrießlich, wenn man seine gehörige Ruhe nicht haben kann. Was gilt's, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat hier auf ihn gelauert?
Just. Was der Mann nicht alles erraten kann!
Wirt. Ich vermute, ich vermute.
Just (kehrt sich um und will gehen). Sein Diener!
Wirt (hält ihn). Nicht doch, Herr Just!
Just. Nun gut; nicht Sein Diener!
Wirt. Ei, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, Daß Er noch von gestern her böse ist? Wer wird seinen Zorn über Nacht behalten?
Just. Ich; und über alle folgende Nächte.
Wirt. Ist das christlich?
Just. Ebenso christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus dem Hause stoßen, auf die Straße werfen.
Wirt. Pfui, wer könnte so gottlos sein?
Just. Ein christlicher Gastwirt. – Meinen Herrn! so einen Mann! so einen Offizier!
Wirt. Den hätte ich aus dem Hause gestoßen? auf die Straße geworfen? Dazu habe ich viel zu viel Achtung für einen Offizier und viel zu viel Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm aus Not ein ander Zimmer einräumen müssen. – Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. (Er ruft in die Szene.) Holla! – Ich will's auf andere Weise wiedergutmachen. (Ein Junge kömmt.) Bring ein Gläschen; Herr Just will ein Gläschen haben; und was Gutes!
Just. Mache Er sich keine Mühe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift werden, den – Doch ich will nicht schwören; ich bin noch nüchtern!
Wirt (zu dem Jungen, der eine Flasche Likör und ein Glas bringt). Gib her; geh! – Nun, Herr Just, was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, gesund. (Er füllt und reicht ihm zu.) Das kann einen überwachten Magen wieder in Ordnung bringen!
Just. Bald dürfte ich nicht! – Doch warum soll ich meiner Gesundheit seine Grobheit entgelten lassen? – (Er nimmt und trinkt.)
Wirt. Wohl bekomm's, Herr Just!
Just (indem er das Gläschen wieder zurückgibt). Nicht übel! – Aber, Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wirt. Nicht doch, nicht doch! – Geschwind noch eins; auf einem Beine ist nicht gut stehen.
Just (nachdem er getrunken). Das muß ich sagen: gut, sehr gut! – Selbst gemacht, Herr Wirt? –
Wirt. Behüte! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!
Just. Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln könnte, so würde ich für so was heucheln; aber ich kann nicht; es muß raus: – Er ist doch ein Grobian, Herr Wirt!
Wirt. In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt. – Noch eins, Herr Just; aller guten Dinge sind drei!
Just. Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding! – Aber auch die Wahrheit ist gut Ding. – Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wirt. Wenn ich es wäre, würde ich das wohl so mit anhören?
Just. O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.
Wirt. Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur hält desto besser.
Just. Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's Ihn, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben und so schlechte Mores! – Einem Manne wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bei Ihm gewohnt, von dem Er schon so manchen schönen Taler gezogen, der in seinem Leben keinen Heller schuldig geblieben ist; weil er ein paar Monate her nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen läßt – in der Abwesenheit das Zimmer auszuräumen!
Wirt. Da ich aber das Zimmer notwendig brauchte? da ich voraussähe, daß der Herr Major es selbst gutwillig würde geräumt haben, wenn wir nur lange auf seine Zurückkunft hätten warten können? Sollte ich denn so eine fremde Herrschaft wieder von meiner Türe wegfahren lassen? Sollte ich einem andern Wirte so einen Verdienst mutwillig in den Rachen jagen? Und ich glaube nicht einmal, daß sie sonstwo unterkommen wäre. Die Wirtshäuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge, schöne, liebenswürdige Dame auf der Straße bleiben? Dazu ist Sein Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm nicht ein anderes Zimmer dafür eingeräumt?
Just. Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars Feuermauern –
Wirt. Die Aussicht war wohl sehr schön, ehe sie der verzweifelte Nachbar verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant und tapeziert –
Just. Gewesen!
Wirt. Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stübchen darneben, Herr Just; was fehlt dem Stübchen? Es hat einen Kamin, der zwar im Winter ein wenig raucht –
Just. Aber doch im Sommer recht hübsch läßt. – Herr, ich glaube gar, Er vexiert uns noch obendrein? –
Wirt. Nu, nu, Herr Just, Herr Just –
Just. Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder –
Wirt. Ich macht' ihn warm? der Danziger tut's! –
Just. Einen Offizier wie meinen Herrn! Oder meint Er, daß ein abgedankter Offizier nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den Hals brechen kann? Warum waret ihr im Kriege so geschmeidig, ihr Herren Wirte? Warum war denn da jeder Offizier ein würdiger Mann und jeder Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das bißchen Friede schon so übermütig?
Wirt. Was ereifert Er sich nun, Herr Just? –
Just. Ich will mich ereifern. –
Tellheim (im Hereintreten). Just!
Just (in der Meinung, daß ihn der Wirt nenne). Just? – So bekannt sind wir? –
Tellheim. Just!
Just. Ich dächte, ich wäre wohl Herr Just für Ihn!
Wirt (der den Major gewahr wird). St! st! Herr, Herr, Herr Just – seh Er sich doch um; Sein Herr –
Tellheim. Just, ich glaube, du zankst? Was habe ich dir befohlen?
Wirt. Oh, Ihro Gnaden! zanken? da sei Gott vor! Ihr untertänigster Knecht sollte sich unterstehen, mit einem, der die Gnade hat, Ihnen anzugehören, zu zanken?
Just. Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben dürfte! –
Wirt. Es ist wahr, Herr Just spricht für seinen Herrn, und ein wenig hitzig. Aber daran tut er recht; ich schätze ihn um so viel höher; ich liebe ihn darum. –
Just. Daß ich ihm nicht die Zähne austreten soll!
Wirt. Nur schade, daß er sich umsonst erhitzt. Denn ich bin gewiß versichert, daß Ihro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen haben, weil – die Not – mich notwendig –
Tellheim. Schon zuviel, mein Herr! Ich bin Ihnen schuldig; Sie räumen mir in meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie müssen bezahlt werden; ich muß wo anders unterzukommen suchen. Sehr natürlich! –
Wirt. Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnädiger Herr? Ich unglücklicher Mann! ich geschlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muß die Dame das Quartier wieder räumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer nicht lassen; das Zimmer ist sein; sie muß fort; ich kann ihr nicht helfen. – Ich gehe, gnädiger Herr –
Tellheim. Freund, nicht zwei dumme Streiche für einen! Die Dame muß in dem Besitze des Zimmers bleiben. –
Wirt. Und Ihro Gnaden sollten glauben, daß ich aus Mißtrauen, aus Sorge für meine Bezahlung? – Als wenn ich nicht wüßte, daß mich Ihro Gnaden bezahlen können, sobald Sie nur wollen. – Das versiegelte Beutelchen – fünfhundert Taler Louisdor stehet drauf – welches Ihro Gnaden in dem Schreibepulte stehen gehabt – ist in guter Verwahrung. –
Tellheim. Das will ich hoffen; so wie meine übrige Sachen. – Just soll sie in Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat. –
Wirt. Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchen fand. – Ich habe immer Ihro Gnaden für einen ordentlichen und vorsichtigen Mann gehalten, der sich niemals ganz ausgibt. – Aber dennoch – wenn ich bar Geld in dem Schreibepulte vermutet hätte –
Tellheim. Würden Sie höflicher mit mir verfahren sein. Ich verstehe Sie. – Gehen Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich; ich habe mit meinem Bedienten zu sprechen. –
Wirt. Aber, gnädiger Herr –
Tellheim. Komm, Just, der Herr will nicht erlauben, daß ich dir in seinem Hause sage, was du tun sollst. –
Wirt. Ich gehe ja schon, gnädiger Herr! – Mein ganzes Haus ist zu Ihren Diensten.
Just (der mit dem Fuße stampft und dem Wirte nachspuckt). Pfui!
Tellheim. Was gibt's?
Just. Ich ersticke vor Bosheit.
Tellheim. Das wäre soviel als an Vollblütigkeit.
Just. Und Sie – Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Ich sterbe vor Ihren Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieses hämischen, unbarmherzigen Rackers sind! Trotz Galgen und Schwert und Rad hätte ich ihn – hätte ich ihn mit diesen Händen erdrosseln, mit diesen Zähnen zerreißen wollen. –
Tellheim. Bestie!
Just. Lieber Bestie als so ein Mensch!
Tellheim. Was willst du aber?
Just. Ich will, daß Sie es empfinden sollen, wie sehr man Sie beleidiget.
Tellheim. Und dann?
Just. Daß Sie sich rächten. – Nein, der Kerl ist Ihnen zu gering. –
Tellheim. Sondern, daß ich es dir auftrüge, mich zu rächen? Das war von Anfang mein Gedanke. Er hätte mich nicht wieder mit Augen sehen und seine Bezahlung aus deinen Händen empfangen sollen. Ich weiß, daß du eine Handvoll Geld mit einer ziemlich verächtlichen Miene einem hinwerfen kannst. –
Just. So? eine vortreffliche Rache! –
Tellheim. Aber die wir noch verschieben müssen. Ich habe keinen Heller bares Geld mehr; ich weiß auch keines aufzutreiben.
Just. Kein bares Geld? Und was ist denn das für ein Beutel mit fünfhundert Taler Louisdor, den der Wirt in Ihrem Schreibpulte gefunden?
Tellheim. Das ist Geld, welches mir aufzuheben gegeben worden.
Just. Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister vor vier oder fünf Wochen brachte?
Tellheim. Die nämlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?
Just. Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen können Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verantwortung –
Tellheim. Wahrhaftig?
Just. Werner hörte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Forderungen an die Generalkriegskasse aufzieht. Er hörte –
Tellheim. Daß ich sicherlich zum Bettler werden würde, wenn ich es nicht schon wäre. – Ich bin dir sehr verbunden, Just. – Und diese Nachricht vermochte Wernern, sein bißchen Armut mit mir zu teilen. – Es ist mir doch lieb, daß ich es erraten habe. – Höre, Just, mache mir zugleich auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute. –
Just. Wie? was?
Tellheim. Kein Wort mehr; es kömmt jemand. –
Dame. Ich bitte um Verzeihung, mein Herr! –
Tellheim. Wen suchen Sie, Madame? –
Dame. Eben den würdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu sprechen. Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Witwe Ihres ehemaligen Stabsrittmeisters –
Tellheim. Um des Himmels willen, gnädige Frau! welche Veränderung! –
Dame. Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz über den Verlust meines Mannes warf. Ich muß Ihnen früh beschwerlich fallen, Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben auch nicht glückliche Freundin eine Zuflucht vors erste angeboten. –
Tellheim (zu Just). Geh, laß uns allein. –
Tellheim. Reden Sie frei, gnädige Frau! Vor mir dürfen Sie sich Ihres Unglücks nicht schämen. Kann ich Ihnen worin dienen?
Dame. Mein Herr Major –
Tellheim. Ich beklage Sie, gnädige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen? Sie wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war immer karg mit diesem Titel.
Dame. Wer weiß es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft waren, wie wert er der Ihrigen war? Sie würden sein letzter Gedanke, Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, hätte nicht die stärkere Natur dieses traurige Vorrecht für seinen unglücklichen Sohn, für seine unglückliche Gattin gefordert –
Tellheim. Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich habe heute keine Tränen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde, wo ich leicht zu verleiten wäre, wider die Vorsicht zu murren. – O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnädige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen imstande bin, wenn ich es bin –
Dame. Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen. Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, daß er als Ihr Schuldner sterbe, und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift einzulösen. –
Tellheim. Wie, gnädige Frau? darum kommen Sie?
Dame. Darum. Erlauben Sie, daß ich das Geld aufzähle.
Tellheim. Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich sein. Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.) Ich finde nichts.
Dame. Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift tut nichts zur Sache. – Erlauben Sie –
Tellheim. Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie nicht habe, so ist es ein Beweis, daß ich nie eine gehabt habe, oder daß sie getilgt und von mir schon zurückgegeben worden.
Dame. Herr Major! –
Tellheim. Ganz gewiß, gnädige Frau. Nein, Marloff ist mir nichts schuldig gebleiben. Ich wüßte mich auch nicht zu erinnern, daß er mir jemals etwas schuldig gewesen wäre. Nicht anders, Madame; er hat mich vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas tun können, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahre Glück und Unglück, Ehre und Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht vergessen, daß ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein, sobald ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in der ich mich jetzt selbst befinde –
Dame. Edelmütiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein! Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget. –
Tellheim. Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter als meine Versicherung, daß mir dieses Geld nicht gehöret? Oder wollen Sie, daß ich die unerzogene Waise meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame; das würde es in dem eigentlichsten Verstande sein. Ihm gehört es, für ihn legen Sie es an! –
Dame. Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiß, wie man Wohltaten annehmen muß. Woher wissen es denn aber auch Sie, daß eine Mutter mehr für ihren Sohn tut, als sie für ihr eigen Leben tun würde? Ich gehe –
Tellheim. Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen Sie glücklich! Ich bitte Sie nicht, mir Nachricht von Ihnen zu geben. Sie möchte mir zu einer Zeit kommen, wo ich sie nicht nutzen könnte. Aber noch eines, gnädige Frau; bald hätte ich das Wichtigste vergessen. Marloff hat noch an der Kasse unsers ehemaligen Regiments zu fordern. Seine Forderungen sind so richtig wie die meinigen. Werden meine bezahlt, so müssen auch die seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafür. –
Dame. Oh! Mein Herr – Aber ich schweige lieber. – Künftige Wohltaten so vorbereiten, heißt sie in den Augen des Himmels schon erwiesen haben. Empfangen Sie seine Belohnung und meine Tränen! (Geht ab.)
Tellheim. Armes, braves Weib! Ich muß nicht vergessen, den Bettel zu vernichten. (Er nimmt aus seinem Taschenbuche Briefschaften, die er zerreißt.) Wer steht mir dafür, daß eigner Mangel mich nicht einmal verleiten könnte, Gebrauch davon zu machen?
Tellheim. Bist du da?
Just (indem er sich die Augen wischt). Ja!
Tellheim. Du hast geweint?
Just. Ich habe in der Küche meine Rechnung geschrieben, und die Küche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr!
Tellheim. Gib her.
Just. Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich Weiß wohl, daß die Menschen mit Ihnen keine haben, aber –
Tellheim. Was willst du?
Just. Ich hätte mir ehr den Tod als meinen Abschied vermutet.
Tellheim. Ich kann dich nicht länger brauchen; ich muß mich ohne Bedienten behelfen lernen. (Schlägt die Rechnung auf und lieset.) »Was der Herr Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat 6 Taler, macht 21 Taler. Seit dem Ersten dieses an Kleinigkeiten ausgelegt 1 Taler 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum 22 Taler 7 Gr. 9 Pf.« – Gut, und es ist billig, daß ich diesen laufenden Monat ganz bezahle.
Just. Die andere Seite, Herr Major –
Tellheim. Noch mehr? (Lieset.) »Was dem Herrn Major ich schuldig: An den Feldscher für mich bezahlt 25 Taler. Für Wartung und Pflege während meiner Kur für mich bezahlt 39 Taler. Meinem abgebrannten und geplünderten Vater auf meine Bitte vorgeschossen, ohne die zwei Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Taler. Summa Summarum 114 Taler. Davon abgezogen vorstehende 22 Taler 7 Gr. 9 Pf., bleibe dem Herrn Major schuldig 91 Taler 16 Gr. 3 Pf.« – Kerl, du bist toll! –
Just. Ich glaube es gern, daß ich Ihnen weit mehr koste. Aber es wäre verlorne Tinte, es dazuzuschreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Liverei nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe – so wollte ich lieber, Sie hätten mich in dem Lazarette krepieren lassen.
Tellheim. Wofür siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es besser haben sollst als bei mir.
Just. Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstoßen?
Tellheim. Weil ich dir nichts schuldig werden will.
Just. Darum? nur darum? – So gewiß ich Ihnen schuldig bin, so gewiß Sie mir nichts schuldig werden können, so gewiß sollen Sie mich nun nicht verstoßen. – Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bei Ihnen; ich muß bei Ihnen bleiben. –
Tellheim. Und deine Hartnäckigkeit, dein Trotz, dein wildes, ungestümes Wesen gegen alle, von denen du meinest, daß sie dir nichts zu sagen haben, deine tückische Schadenfreude, deine Rachsucht –
Just. Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht schlechter von mir denken als von meinem Hunde. Vorigen Winter ging ich in der Dämmerung an dem Kanale und hörte etwas winseln. Ich stieg herab und griff nach der Stimme und glaubte, ein Kind zu retten, und zog einen Pudel aus dem Wasser. Auch gut, dachte ich. Der Pudel kam mir nach, aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln. Ich jagte ihn fort, umsonst; ich prügelte ihn von mir, umsonst. Ich ließ ihn des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Türe auf der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, stieß ich ihn mit dem Fuße; er schrie, sahe mich an und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Bissen Brot aus meiner Hand bekommen, und doch bin ich der einzige, dem er hört, und der ihn anrühren darf. Er springt vor mir her und macht mir seine Künste unbefohlen vor. Es ist ein häßlicher Pudel, aber ein gar zu guter Hund. Wenn er es länger treibt, so höre ich endlich auf, den Pudeln gram zu sein.
Tellheim (beiseite). So wie ich ihm! Nein, es gibt keine völligen Unmenschen! – Just, wir bleiben beisammen.
Just. Ganz gewiß! – Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen? Sie vergessen Ihrer Blessuren und daß Sie nur eines Armes mächtig sind. Sie können sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen unentbehrlich; und bin – ohne mich selbst zu rühmen, Herr Major – und bin ein Bedienter, der – wenn das Schlimmste zum Schlimmen kömmt – für seinen Herrn betteln und stehlen kann.
Tellheim. Just, wir bleiben nicht beisammen.
Just. Schon gut!
Bediente. Bst! Kamerad!
Just. Was gibt's?
Bediente. Kann Er mir nicht den Offizier nachweisen, der gestern noch in diesem Zimmer (auf eines an der Seite zeigend, von welcher er herkömmt) gewohnt hat?
Just. Das dürfte ich leicht können. Was bringt Er ihm?
Bediente. Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen: ein Kompliment. Meine Herrschaft hört, daß er durch sie verdrängt worden. Meine Herrschaft weiß zu leben, und ich soll ihn deshalb um Verzeihung bitten.
Just. Nun, so bitte Er ihn um Verzeihung; da steht er.
Bediente. Was ist er? Wie nennt man ihn?
Tellheim. Mein Freund, ich habe Euern Auftrag schon gehört. Es ist eine überflüssige Höflichkeit von Eurer Herrschaft, die ich erkenne, wie ich soll. Macht ihr meinen Empfehl. – Wie heißt Eure Herrschaft? –
Bediente. Wie sie heißt? Sie läßt sich gnädiges Fräulein heißen.
Tellheim. Und ihr Familienname?
Bediente. Den habe ich noch nicht gehört, und darnach zu fragen, ist meine Sache nicht. Ich richte mich so ein, daß ich meistenteils alle sechs Wochen eine neue Herrschaft habe. Der Henker behalte alle ihre Namen! –
Just. Bravo, Kamerad!
Bediente. Zu dieser bin ich erst vor wenig Tagen in Dresden gekommen. Sie sucht, glaube ich, hier ihren Bräutigam. –
Tellheim. Genug, mein Freund. Den Namen Eurer Herrschaft wollte ich wissen, aber nicht ihre Geheimnisse. Geht nur!
Bediente. Kamerad, das wäre kein Herr für mich!
Tellheim. Mache, Just, mache, daß wir aus diesem Hause kommen! Die Höflichkeit der fremden Dame ist mir empfindlicher als die Grobheit des Wirts. Hier, nimm diesen Ring, die einzige Kostbarkeit, die mir übrig ist, von der ich nie geglaubt hätte, einen solchen Gebrauch zu machen! – Versetze ihn! Laß dir achtzig Friedrichsdor darauf geben; die Rechnung des Wirts kann keine dreißig betragen. Bezahle ihn und räume meine Sachen – Ja, wohin? – Wohin du willst. Der wohlfeilste Gasthof der beste. Du sollst mich hier nebenan auf dem Kaffeehause treffen. Ich gehe, mache deine Sache gut. –
Just. Sorgen Sie nicht, Herr Major! –
Tellheim (kömmt wieder zurück). Vor allen Dingen, daß meine Pistolen, die hinter dem Bette gehangen, nicht vergessen werden.
Just. Ich will nichts vergessen.
Tellheim (kömmt nochmals zurück). Noch eins: nimm mir auch deinen Pudel mit; hörst du, Just! –
Just. Der Pudel wird nicht zurückbleiben. Dafür laß ich den Pudel sorgen. – Hm! Auch den kostbaren Ring hat der Herr noch gehabt? Und trug ihn in der Tasche, anstatt am Finger? – Guter Wirt, wir sind so kahl noch nicht, als wir scheinen. Bei ihm, bei ihm selbst will ich dich versetzen, schönes Ringelchen! Ich weiß, er ärgert sich, daß du in seinem Hause nicht ganz sollst verzehrt werden! – Ah –
Just. Sieh da, Werner! guten Tag, Werner! willkommen in der Stadt!
Werner. Das verwünschte Dorf! Ich kann's unmöglich wieder gewohne werden. Lustig, Kinder, lustig; ich bringe frisches Geld! Wo ist der Major?
Just. Er muß dir begegnet sein; er ging eben die Treppe herab.
Werner. Ich komme die Hintertreppe herauf. Nun, wie geht's ihm? Ich wäre schon vorige Woche bei euch gewesen, aber –
Just. Nun? was hat dich abgehalten? –
Werner. – Just – hast du von dem Prinzen Heraklius gehört?
Just. Heraklius? Ich wüßte nicht.
Werner. Kennst du den großen Helden im Morgenlande nicht?
Just. Die Weisen aus dem Morgenlande kenn ich wohl, die ums Neujahr mit dem Sterne herumlaufen. –
Werner. Mensch, ich glaube, du liesest ebensowenig die Zeitungen als die Bibel? – Du kennst den Prinzen Heraklius nicht? den braven Mann nicht, der Persien weggenommen und nächster Tage die Ottomanische Pforte einsprengen wird? Gott sei Dank, daß doch noch irgendwo in der Welt Krieg ist! Ich habe lange genug gehofft, es sollte hier wieder losgehen. Aber da sitzen sie und heilen sich die Haut. Nein, Soldat war ich, Soldat muß ich wieder sein! Kurz – (indem er sich schüchtern umsieht, ob ihn jemand behorcht) im Vertrauen, Just, ich wandere nach Persien, um unter Sr. Königlichen Hoheit, dem Prinzen Heraklius, ein paar Feldzüge wider den Türken zu machen.
Just. Du?
Werner. Ich, wie du mich hier siehst! Unsere Vorfahren zogen fleißig wider den Türken, und das sollten wir noch tun, wenn wir ehrliche Kerls und gute Christen wären. Freilich begreife ich wohl, daß ein Feldzug wider den Türken nicht halb so lustig sein kann, als einer wider den Franzosen; aber dafür muß er auch desto verdienstlicher sein, in diesem und in jenem Leben. Die Türken haben dir alle Säbels, mit Diamanten besetzt –
Just. Um mir von so einem Säbel den Kopf spalten zu lassen, reise ich nicht eine Meile. Du wirst doch nicht toll sein und dein schönes Schulzengerichte verlasen? –
Werner. Oh, das nehme ich mit! – Merkst du was? – Das Gütchen ist verkauft –
Just. Verkauft?
Werner. St! – hier sind hundert Dukaten, die ich gestern auf den Kauf bekommen; die bring ich dem Major –
Just. Und was soll der damit?
Werner. Was er damit soll? Verzehren soll er sie, verspielen, vertrinken, ver-, wie er will. Der Mann muß Geld haben, und es ist schlecht genug, daß man ihm das Seinige so sauer macht! Aber ich wüßte schon, was ich täte, wenn ich an seiner Stelle wäre! Ich dächte: hol euch hier alle der Henker, und ginge mit Paul Wernern, nach Persien! – Blitz! – Der Prinz Heraklius muß ja wohl von dem Major Tellheim gehört haben, wenn er auch schon seinen gewesenen Wachtmeister, Paul Wernern, nicht kennt. Unsere Affäre bei den Katzenhäusern –
Just. Soll ich dir die erzählen? –
Werner. Du mir? – Ich merke wohl, daß eine schöne Disposition über deinen Verstand geht. Ich will meine Perlen nicht vor die Säue werfen. – Da nimm die hundert Dukaten; gib sie dem Major. Sage ihm, er soll mir auch die aufheben. Ich muß jetzt auf den Markt; ich habe zwei Winspel Roggen hereingeschickt; was ich daraus löse, kann er gleichfalls haben. –
Just. Werner, du meinest es herzlich gut; aber wir mögen dein Geld nicht. Behalte deine Dukaten, und deine hundert Pistolen kannst du auch unversehrt wiederbekommen, sobald als du willst. –
Werner. So? Hat denn der Major noch Geld?
Just. Nein.
Werner. Hat er sich wo welches geborgt?
Just. Nein.
Werner. Und wovon lebt ihr denn?
Just. Wir lassen anschreiben, und wenn man nicht mehr anschreiben will und uns zum Hause hinauswirft, so versetzen wir, was wir noch haben, und ziehen weiter. – Höre nur, Paul; dem Wirte hier müssen wir einen Possen spielen.
Werner. Hat er dem Major was in den Weg gelegt? – Ich bin dabei! –
Just. Wie wär's, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie kömmt, aufpaßten und ihn brav durchprügelten? –
Werner. Des Abends? – aufpaßten? – ihre zwei, einem? – Das ist nichts. –
Just. Oder wenn wir ihm das Haus über dem Kopf ansteckten? –
Werner. Sengen und brennen? – Kerl, man hört's, daß du Packknecht gewesen bist und nicht Soldat – pfui!
Just. Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar verdammt häßlich –
Werner. Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du auch hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt's denn?
Just. Komm nur, du sollst dein Wunder hören!
Werner. So ist der Teufel wohl hier gar los?
Just. Jawohl; komm nur!
Werner. Desto besser! Nach Persien also, nach Persien!