Gotthold Ephraim Lessing
Philotas
Gotthold Ephraim Lessing

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Erster Auftritt.

Philotas.

So bin ich wirklich gefangen? – Gefangen! – Ein würdiger Anfang meiner kriegerischen Lehrjahre! – O ihr Götter! O mein Vater! – Wie gern überredte ich mich, daß alles ein Traum sei! Meine frühste Kindheit hat nie etwas anders, als Waffen, und Läger, und Schlachten und Stürme geträumet. Könnte der Jüngling nicht von Verlust und Entwaffnung träumen? – Schmeichle dir nur, Philotas! Wenn ich sie nicht sähe, nicht fühlte, die Wunde, durch die der erstarrten Hand das Schwert entsank! – Man hat sie mir wider Willen verbunden. O der grausamen Barmherzigkeit eines listigen Feindes! Sie ist nicht tödlich, sagte der Arzt, und glaubte mich zu trösten. – Nichtswürdiger, sie sollte tödlich sein! – Und nur eine Wunde, nur eine! – Wüßte ich, daß ich sie tödlich machte, wenn ich sie wieder aufriss', und wieder verbinden ließ', und wieder aufriss' – Ich rase, ich Unglücklicher! – Und was für ein höhnisches Gesicht – itzt fällt mir es ein – mir der alte Krieger machte, der mich vom Pferde riß! Er nannte mich: Kind! – Auch sein König muß mich für ein Kind, für ein verzärteltes Kind halten. In was für ein Zelt hat er mich bringen lassen! Aufgeputzt, mit allen Bequemlichkeiten versehen! Es muß einer von seinen Beischläferinnen gehören. Ein ekler Aufenthalt für einen Soldaten! Und anstatt bewacht zu werden, werde ich bedienet. Hohnsprechende Höflichkeit! –

Zweiter Auftritt.

Strato. Philotas.

Strato. Prinz –

Philotas. Schon wieder ein Besuch? Alter, ich bin gern allein.

Strato. Prinz, ich komme auf Befehl des Königs –

Philotas. Ich verstehe dich! Es ist wahr, ich bin deines Königs Gefangener, und es stehet bei ihm, wie er mir will begegnen lassen – Aber höre, wenn du der bist, dessen Miene du trägst – bist du ein alter ehrlicher Kriegsmann, so nimm dich meiner an, und bitte den König, daß er mir als einem Soldaten, und nicht als einem Weibe begegnen lasse.

Strato. Er wird gleich bei dir sein; ich komme, ihn zu melden.

Philotas. Der König bei mir? und du kömmst, ihn zu melden? – Ich will nicht, daß er mir eine von den Erniedrigungen erspare, die sich ein Gefangener muß gefallen lassen. – Komm, führe mich zu ihm! Nach dem Schimpfe, entwaffnet zu sein, ist mir nichts mehr schimpflich.

Strato. Prinz, deine Bildung, voll jugendlicher Anmut, verspricht ein sanftres Gemüt.

Philotas. Laß meine Bildung unverspottet! Dein Gesicht voll Narben ist freilich ein schöners Gesicht – –

Strato. Bei den Göttern! eine große Antwort! Ich muß dich bewundern und lieben.

Philotas. Möchtest du doch, wenn du mich nur erst gefürchtet hättest.

Strato. Immer heldenmütiger! Wir haben den schrecklichsten Feind vor uns, wenn unter seiner Jugend der Philotas viel sind.

Philotas. Schmeichle mir nicht! – Euch schrecklich zu werden, müssen sie mit meinen Gesinnungen größre Taten verbinden. Darf ich deinen Namen wissen?

Strato. Strato.

Philotas. Strato? Der tapfre Strato, der meinen Vater am Lykus schlug? –

Strato. Gedenke mir dieses zweideutigen Sieges nicht! Und wie blutig rächte sich dein Vater in der Ebene Methymna! So ein Vater muß so einen Sohn haben.

Philotas. O dir darf ich es klagen, du würdigster der Feinde meines Vaters, dir darf ich mein Schicksal klagen. – Nur du kannst mich ganz verstehen; denn auch dich, auch dich hat das herrschende Feuer der Ehre, der Ehre fürs Vaterland zu bluten, in deiner Jugend verzehrt. Wärest du sonst, was du bist? – Wie habe ich ihn nicht, meinen Vater, seit sieben Tagen – denn erst sieben Tage kleidet mich die männliche Toga – wie habe ich ihn nicht gebeten, gefleht, beschworen, siebenmal alle sieben Tage auf den Knieen beschworen, zu verstatten, daß ich nicht umsonst der Kindheit entwachsen sei, und mich mit seinen Streitern ausziehen zu lassen, die mir schon längst so manche Träne der Nacheiferung gekostet. Gestern bewegte ich ihn, den besten Vater, denn Aristodem half mir bitten. – Du kennst ihn, den Aristodem; er ist meines Vaters Strato. – »Gib mir, König, den Jüngling morgen mit,« sprach Aristodem; »ich will das Gebirge durchstreifen, um den Weg nach Cäsarea offen zu halten.« – »Wenn ich euch nur begleiten könnte«, seufzte mein Vater. – Er liegt noch an seinen Wunden krank. – »Doch es sei!« und hiermit umarmte mich mein Vater. O was fühlte der glückliche Sohn in dieser Umarmung! – Und die Nacht, die darauf folgte! Ich schloß kein Auge; doch verweilten mich Träume der Ehre und des Sieges bis zur zweiten Nachtwache auf dem Lager. – Da sprang ich auf, warf mich in den neuen Panzer, strich die ungelockten Haare unter den Helm, wählte unter den Schwertern meines Vaters, dem ich gewachsen zu sein glaubte, stieg zu Pferde; und hatte ein Roß schon müde gespornt, noch ehe die silberne Drommete die befohlne Mannschaft weckte. Sie kamen, und ich sprach mit jedem meiner Begleiter, und da drückte mich mancher wackere Krieger an seine narbigte Brust! Nur mit meinem Vater sprach ich nicht; denn ich zitterte, wenn er mich noch einmal sähe, er möchte sein Wort widerrufen. – Nun zogen wir aus! An der Seite der unsterblichen Götter kann man nicht glücklicher sein, als ich an der Seite Aristodems mich fühlte! Auf jeden seiner anfeuernden Blicke hätte ich, ich allein, ein Heer angegriffen und mich in der feindlichen Eisen gewissesten Tod gestürzet. In stiller Entschlossenheit freute ich mich auf jeden Hügel, von dem ich in der Ebene Feinde zu entdecken hoffte; auf jede Krümmung des Tals, hinter der ich auf sie zu stoßen mir schmeichelte. Und da ich sie endlich von der waldigten Höhe auf uns stürzen sahe; ihnen bergan entgegen flog – rufe dir, ruhmvoller Greis, die seligste deiner jugendlichen Entzückungen zurück – du konntest nie entzückter sein! – Aber nun, nun sieh mich, Strato, sieh mich von dem Gipfel meiner hohen Erwartungen schimpflich herabstürzen! O wie schaudert mich, diesen Fall in Gedanken noch einmal zu stürzen! – Ich war zu weit vorausgeeilt; ich ward verwundet und – gefangen! Armseliger Jüngling, nur auf Wunden hieltest du dich, nur auf den Tod gefaßt, – und wirst gefangen. So schicken die strengen Götter, unsere Fassung zu vereiteln, nur immer unvorhergesehenes Übel? – Ich weine; ich muß weinen, ob ich mich schon, von dir darum verachtet zu werden, scheue. Aber verachte mich nicht! – Du wendest dich weg?

Strato. Ich bin unwillig; du hättest mich nicht so bewegen sollen. – Ich werde mit dir zum Kinde –

Philotas. Nein; höre, warum ich weine! Es ist kein kindisches Weinen, das du mit deiner männlichen Träne zu begleiten würdigest – Was ich für mein größtes Glück hielt, die zärtliche Liebe, mit der mich mein Vater liebt, wird mein größtes Unglück. Ich fürchte, ich fürchte; er liebt mich mehr, als er sein Reich liebt! Wozu wird er sich nicht verstehen, was wird ihm dein König nicht abdringen, mich aus der Gefangenschaft zu retten! Durch mich Elenden wird er an einem Tage mehr verlieren, als er in drei langen mühsamen Jahren, durch das Blut seiner Edeln, durch sein eignes Blut gewonnen hat. Mit was für einem Angesichte soll ich wieder vor ihm erscheinen; ich, sein schlimmster Feind? Und meines Vaters Untertanen – künftig einmal die meinigen, wenn ich sie zu regieren mich würdig gemacht hätte – wie werden sie den ausgelösten Prinzen ohne die spöttischste Verachtung unter sich dulden können? Wann ich denn vor Scham sterbe und unbedauert hinab zu den Schatten schleiche, wie finster und stolz werden die Seelen der Helden bei mir vorbeiziehen, die dem Könige die Vorteile mit ihrem Leben erkaufen mußten, deren er sich als Vater für einen unwürdigen Sohn begibt. – O das ist mehr, als eine fühlende Seele ertragen kann!

Strato. Fasse dich, lieber Prinz! Es ist der Fehler des Jünglings, sich immer für glücklicher, oder unglücklicher zu halten, als er ist. Dein Schicksal ist so grausam noch nicht; der König nähert sich, und du wirst aus seinem Munde mehr Trost hören.

Dritter Auftritt.

König Aridäus. Philotas. Strato.

Aridäus. Kriege, die Könige unter sich zu führen gezwungen werden, sind keine persönliche Feindschaften. – Laß dich umarmen, mein Prinz! O welcher glücklichen Tage erinnert mich deine blühende Jugend! So blühte die Jugend deines Vaters! Dies war sein offenes, sprechendes Auge; dies seine ernste, redliche Miene; dies sein edler Anstand! – Noch einmal laß dich umarmen; ich umarme deinen jüngern Vater in dir. – Hast du es nie von ihm gehört, Prinz, wie vertraute Freunde wir in deinem Alter waren? Das war das selige Alter, da wir uns noch ganz unserm Herzen überlassen durften. Bald aber wurden wir beide zum Throne gerufen, und der sorgende König, der eifersüchtige Nachbar unterdrückte, leider! den gefälligen Freund. –

Philotas. Verzeih, o König, wenn du mich in Erwiderung so süßer Worte zu kalt findest. Man hat meine Jugend denken, aber nicht reden gelehrt. – Was kann es mir itzt helfen, daß du und mein Vater einst Freunde waren? Waren: so sagst du selbst. Der Haß, den man auf verloschne Freundschaft pfropfet, muß, unter allen, die tödlichsten Früchte bringen; – oder ich kenne das menschliche Herz zu wenig. – Verzögere daher, König, verzögere meine Verzweiflung nur nicht. Du hast als der höfliche Staatsmann gesprochen; sprich nun als der Monarch, der den Nebenbuhler seiner Größe ganz in seiner Gewalt hat.

Strato. O laß ihn, König, die Ungewißheit seines Schicksals nicht länger peinigen. –

Philotas. Ich danke, Strato! – Ja, laß mich es nur gleich hören, wie verabscheuungswürdig du einen unglücklichen Sohn seinem Vater machen willst. Mit welchem schimpflichen Frieden, mit welchen Ländern soll er ihn erkaufen? Wie klein und verächtlich soll er werden, um nicht verwaist zu bleiben? – O mein Vater! –

Aridäus. Auch diese frühe, männliche Sprache, Prinz, war deines Vaters! So höre ich dich gern! Und möchte, meiner nicht minder würdig, auch mein Sohn itzt vor deinem Vater so sprechen! –

Philotas. Wie meinst du das? –

Aridäus. Die Götter – ich bin es überzeugt – wachen für unsere Tugend, wie sie für unser Leben wachen. Die so lang als mögliche Erhaltung beider ist ihr geheimes, ewiges Geschäft. Wo weiß ein Sterblicher, wie böse er im Grunde ist, wie schlecht er handeln würde, ließen sie jeden verführerischen Anlaß, sich durch kleine Taten zu beschimpfen, ganz auf ihn wirken? – Ja, Prinz, vielleicht wäre ich der, den du mich glaubst; vielleicht hätte ich nicht edel genug gedacht, das wunderliche Kriegesglück, das dich mir in die Hände liefert, bescheiden zu nützen; vielleicht würde ich durch dich ertrotzt haben, was ich zu erfechten nicht länger wagen mögen; vielleicht – Doch fürchte nichts; allen diesen »Vielleicht« hat eine höhere Macht vorgebauet; ich kann deinen Vater seinen Sohn nicht teurer erkaufen lassen als – durch den meinigen.

Philotas. Ich erstaune! Du gibst mir zu verstehen –

Aridäus. Daß mein Sohn deines Vaters Gefangener ist, wie du meiner. –

Philotas. Dein Sohn meines Vaters? Dein Polytimet? – Seit wenn? Wie? Wo?

Aridäus. So wollt' es das Schicksal! Aus gleichen Wagschalen nahm es auf einmal gleiche Gewichte, und die Schalen blieben noch gleich.

Strato. Du willst nähere Umstände wissen. – Eben dasselbe Geschwader, dem du zu hitzig entgegen eiltest, führte Polytimet; und als dich die Deinigen verloren erblickten, erhob sie Wut und Verzweiflung über alle menschliche Stärke. Sie brachen ein, und alle stürmten sie auf den einen, in welchem sie ihres Verlustes Ersetzung sahen. Das Ende weißt du. – Nun nimm noch von einem alten Soldaten die Lehre an: Der Angriff ist kein Wettrennen; nicht der, welcher zuerst, sondern welcher zum sichersten auf den Feind trifft, hat sich dem Siege genähert. Das merke dir, zu feuriger Prinz; sonst möchte der werdende Held im ersten Keime ersticken.

Aridäus. Strato, du machst den Prinzen durch deine, zwar freundschaftliche, Warnung verdrießlich. Wie finster er da steht! –

Philotas. Nicht das! Aber laß mich; in tiefe Anbetung der Vorsicht verloren –

Aridäus. Die beste Anbetung, Prinz, ist dankbare Freude. Ermuntere dich! Wir Väter wollen uns unsere Söhne nicht lange vorenthalten. Mein Herold hält sich bereits fertig; er soll gehen und die Auswechselung beschleunigen. Aber du weißt wohl, freudige Nachrichten, die wir allein vom Feinde erfahren, scheinen Fallstricke. Man könnte argwohnen, du seist vielleicht an deiner Wunde gestorben. Es wird daher nötig sein, daß du selbst mit dem Herolde einen unverdächtigen Boten an deinen Vater sendest. Komm mit mir! Suche dir einen unter den Gefangenen, den du deines Vertrauens würdigen kannst. –

Philotas. So willst du, daß ich mich vervielfältiget verabscheuen soll? In jedem der Gefangenen werde ich mich selbst erblicken. – Schenke mir diese Verwirrung.

Aridäus. Aber –

Philotas. Unter den Gefangenen muß sich Parmenio befinden. Den schicke mir her; ich will ihn abfertigen.

Aridäus. Wohl; auch so! Komm, Strato! Prinz wir sehen uns bald wieder.

Vierter Auftritt.

Philotas.

Götter! Näher konnte der Blitz, ohne mich ganz zu zerschmettern, nicht vor mir niederschlagen. Wunderbare Götter! Die Flamme kehrt zurück; der Dampf verfliegt, und ich war nur betäubt. – So war das mein ganzes Elend, zu sehen, wie elend ich hätte werden können? Wie elend mein Vater durch mich! – Nun darf ich wieder vor dir erscheinen, mein Vater! Zwar noch mit niedergeschlagenen Augen; doch nur die Scham wird sie niederschlagen, nicht das brennende Bewußtsein, dich mit mir ins Verderben gerissen zu haben. Nun darf ich nichts von dir fürchten, als einen Verweis mit Lächeln; kein stummes Trauren; keine, durch die stärkere Gewalt der väterlichen Liebe erstickte Verwünschungen. –

Aber – ja, bei dem Himmel! ich bin zu gütig gegen mich. Darf ich mir alle Fehler vergeben, die mir die Vorsicht zu vergeben scheinet? Soll ich mich nicht strenger richten, als sie und mein Vater mich richten? Die allzugütigen! – Sonst jede der traurigen Folgen meiner Gefangenschaft konnten die Götter vernichten; nur eine konnten sie nicht: die Schande! Zwar jene leicht verfliegende wohl, die von der Zunge des Pöbels strömt; aber nicht die wahre dauernde Schande, die hier der innere Richter, mein unparteiisches Selbst, über mich ausspricht! –

Und wie leicht ich mich verblende! Verlieret mein Vater durch mich nichts? Der Ausschlag, den der gefangene Polytimet, – wenn ich nicht gefangen wäre, – auf seine Seite brächte, der ist nichts! – Nur durch mich wird er nichts! – Das Glück hätte sich erkläret, für wen es sich erklären sollte; das Recht meines Vaters triumphierte, wäre Polytimet, nicht Philotas und Polytimet gefangen! –

Und nun – welcher Gedanke war es, den ich itzt dachte? Nein; den ein Gott in mir dachte – Ich muß ihm nachhängen! Laß dich fesseln, flüchtiger Gedanke! – Itzt denke ich ihn wieder! Wie weit er sich verbreitet, und immer weiter; und nun durchstrahlt er meine ganze Seele! –

Was sagte der König? Warum wollte er, daß ich zugleich selbst einen unverdächtigen Boten an meinen Vater schicken sollte? Damit mein Vater nicht argwohne – wo waren ja seine eigne Worte –, ich sei bereits an meiner Wunde gestorben. – Also meint er doch, wenn ich bereits an meiner Wunde gestorben wäre, so würde die Sache ein ganz anders Ansehn gewinnen? Würde sie das? Tausend Dank für diese Nachricht! Tausend Dank! – Und freilich! Denn mein Vater hätte alsdenn einen gefangenen Prinzen, für den er sich alles bedingen könnte; und der König, sein Feind, hätte – den Leichnam eines gefangenen Prinzen, für den er nichts fordern könnte; den er – müßte begraben oder verbrennen lassen, wenn er ihm nicht zum Abscheu werden sollte.

Gut! das begreif' ich! Folglich, wenn ich, ich elender Gefangener, meinem Vater den Sieg noch in die Hände spielen will, worauf kömmt es an? Aufs Sterben. Auf weiter nichts? – O fürwahr; der Mensch ist mächtiger, als er glaubt, der Mensch, der zu sterben weiß!

Aber ich? ich, der Keim, die Knospe eines Menschen, weiß ich zu sterben? Nicht der Mensch, der vollendete Mensch allein, muß es wissen; auch der Jüngling, auch der Knabe; oder er weiß gar nichts. Wer zehn Jahre gelebt hat, hat zehn Jahre Zeit gehabt, sterben zu lernen; und was man in zehn Jahren nicht lernt, das lernt man auch in zwanzig, in dreißig und mehrern nicht.

Alles, was ich werden können, muß ich durch das zeigen, was ich schon bin. Und was könnte ich, was wollte ich werden? Ein Held. – Wer ist ein Held? – O mein abwesender vortrefflicher Vater, itzt sei ganz in meiner Seele gegenwärtig! – Hast du mich nicht gelehrt, ein Held sei ein Mann, der höhere Güter kennt als das Leben? Ein Mann, der sein Leben dem Wohle des Staats geweihet; sich, den einzeln, dem Wohle vieler? Ein Held sei ein Mann – Ein Mann? Also kein Jüngling, mein Vater? – Seltsame Frage! Gut, daß sie mein Vater nicht gehöret hat! Er müßte glauben, ich sähe es gern, wenn er Nein darauf antwortete. – Wie alt muß die Fichte sein, die zum Maste dienen soll? Wie alt? Sie muß hoch genug, und muß stark genug sein.

Jedes Ding, sagte der Weltweise, der mich erzog, ist vollkommen, wenn es seinen Zweck erfüllen kann. Ich kann meinen Zweck erfüllen, ich kann zum Besten des Staats sterben: ich bin vollkommen also, ich bin ein Mann. Ein Mann, ob ich gleich noch vor wenig Tagen ein Knabe war.

Welch Feuer tobt in meinen Adern? Welche Begeisterung befällt mich? Die Brust wird dem Herzen zu eng! – Geduld, mein Herz! Bald will ich dir Luft machen! Bald will ich dich deines einförmigen langweiligen Dienstes erlassen! Bald sollst du ruhen, und lange ruhen –

Wer kömmt? Es ist Parmenio. – Geschwind entschlossen! – Was muß ich zu ihm sagen? Was muß ich durch ihn meinem Vater sagen lassen? – Recht! das muß ich sagen, das muß ich sagen lassen.

Fünfter Auftritt.

Parmenio. Philotas.

Philotas. Tritt näher, Parmenio. – Nun? warum so schüchtern? So voller Scham? Wessen schämst du dich? Deiner, oder meiner?

Parmenio: Unser beider, Prinz.

Philotas. Immer sprich, wie du denkst. Freilich, Parmenio, müssen wir beide nicht viel taugen, weil wir uns hier befinden. Hast du meine Geschichte bereits gehört?

Parmenio. Leider!

Philotas. Und als du sie hörtest? –

Parmenio. Ich bedauerte dich, ich bewunderte dich, ich verwünschte dich, ich weiß selbst nicht, was ich alles tat.

Philotas. Ja, ja! Nun aber, da du doch wohl auch erfahren, daß das Unglück so groß nicht ist, weil gleich darauf Polytimet von den Unserigen – –

Parmenio. Ja nun; nun möchte ich fast lachen. Ich finde, daß das Glück zu einem kleinen Schlage, den es uns versetzen will, oft erschrecklich weit ausholt. Man sollte glauben, es wolle uns zerschmettern, und hat uns am Ende nichts, als eine Mücke auf der Stirne totgeschlagen.

Philotas. Zur Sache! – Ich soll dich mit dem Herolde des Königs zu meinem Vater schicken.

Parmenio. Gut! So wird deine Gefangenschaft der meinigen das Wort sprechen. Ohne die gute Nachricht, die ich ihm von dir bringen werde, und die eine freundliche Miene wohl wert ist, hätte ich mir eine ziemlich frostige von ihm versprechen müssen.

Philotas. Nein, ehrlicher Parmenio; nun im Ernst! Mein Vater weiß es, daß dich der Feind verblutet und schon halb erstarrt von der Walstatt aufgehoben. Laß prahlen, wer prahlen will; der ist leicht gefangen zu nehmen, den der nahende Tod schon entwaffnet hat. – Wie viele Wunden hast du nun, alter Knecht? –

Parmenio. O, davon konnte ich sonst eine lange Liste hersagen. Itzt aber habe ich sie um ein gut Teil verkürzt.

Philotas. Wie das?

Parmenio. Ha! Ich rechne nun nicht mehr die Glieder, an welchen ich verwundet bin; Zeit und Atem zu ersparen, zähle ich die, an welchen ich es nicht bin. – Kleinigkeiten bei dem allem! Wozu hat man die Knochen anders, als daß sich die feindlichen Eisen darauf schartig hauen sollen?

Philotas. Das ist wacker! – Aber nun – was willst du meinem Vater sagen?

Parmenio. Was ich sehe; daß du dich wohl befindest. Denn deine Wunde, wenn man mir anders die Wahrheit gesagt hat, –

Philotas. Ist so gut als keine.

Parmenio. Ein kleines liebes Andenken. Dergleichen uns ein inbrünstiges Mädchen in die Lippe beißt. Nicht wahr, Prinz?

Philotas. Was weiß ich davon?

Parmenio. Nu, nu; kömmt Zeit, kömmt Erfahrung. – Ferner will ich deinem Vater sagen, was ich glaube, daß du wünschest – –

Philotas. Und was ist das?

Parmenio. Je eher, je lieber wieder bei ihm zu sein. Deine kindliche Sehnsucht, deine bange Ungeduld –

Philotas. Mein Heimweh lieber gar. Schalk! warte, ich will dich anders denken lehren!

Parmenio. Bei dem Himmel, das mußt du nicht! Mein lieber frühzeitiger Held, laß dir das sagen: Du bist noch Kind! Gib nicht zu, daß der rauhe Soldat das zärtliche Kind so bald in dir ersticke. Man möchte sonst von deinem Herzen nicht zum besten denken; man möchte deine Tapferkeit für angeborne Wildheit halten. Ich bin auch Vater, Vater eines einzigen Sohnes, der nur wenig älter als du, mit gleicher Hitze – du kennst ihn ja.

Philotas. Ich kenne ihn. Er verspricht alles, was sein Vater geleistet hat.

Parmenio. Aber wüßte ich, daß sich der junge Wildfang nicht in allen Augenblicken, die ihm der Dienst frei läßt, nach seinem Vater sehnte, und sich nicht so nach ihm sehnte, wie sich ein Lamm nach seiner Mutter sehnet: so möchte ich ihn gleich – siehst du! – nicht erzeugt haben. Itzt muß er mich noch mehr lieben, als ehren. Mit dem Ehren werde ich mich so Zeit genug müssen begnügen lassen; wenn nämlich die Natur den Strom seiner Zärtlichkeit einen andern Weg leitet; wenn er selbst Vater wird. – Werde nicht ungehalten, Prinz.

Philotas. Wer kann auf dich ungehalten werden? – Du hast recht! Sage meinem Vater alles, was du glaubest, daß ihm ein zärtlicher Sohn bei dieser Gelegenheit muß sagen lassen. Entschuldige meine jugendliche Unbedachtsamkeit, die ihn und sein Reich fast ins Verderben gestürzt hätte. Bitte ihn, mir meinen Fehler zu vergeben. Versichere ihn, daß ich ihn nie durch einen ähnlichen Fehler wieder daran erinnern will; daß ich alles tun will, damit er ihn auch vergessen kann. Beschwöre ihn –

Parmenio. Laß mich nur machen! So etwas können wir Soldaten recht gut sagen. – Und besser als ein gelehrter Schwätzer; denn wir sagen es treuherziger. – Laß mich nur machen! Ich weiß schon alles. – Lebe wohl, Prinz; ich eile –

Philotas. Verzieh!

Parmenio. Nun? – Und welch feierliches Ansehen gibst du dir auf einmal?

Philotas. Der Sohn hat dich abgefertiget, aber noch nicht der Prinz. – Jener mußte fühlen; dieser muß überlegen. Wie gern wollte der Sohn gleich itzt, wie gern wollte er noch eher, als möglich, wieder um seinen Vater, um seinen geliebten Vater sein; aber der Prinz – der Prinz kann nicht. – Höre!

Parmenio. Der Prinz kann nicht?

Philotas. Und will nicht.

Parmenio. Will nicht?

Philotas. Höre!

Parmenio. Ich erstaune – –

Philotas. Ich sage, du sollst hören und nicht erstaunen. Höre!

Parmenio. Ich erstaune, weil ich höre. Es hat geblitzt, und ich erwarte den Schlag. – Rede! – Aber, junger Prinz, keine zweite Übereilung! –

Philotas. Aber, Soldat, kein Vernünfteln! – Höre! Ich habe meine Ursachen, nicht eher ausgelöset zu sein, als morgen. Nicht eher als morgen! Hörst du? – Sage also unserm Könige, daß er sich an die Eilfertigkeit des feindlichen Herolds nicht kehre. Eine gewisse Bedenklichkeit, ein gewisser Anschlag nötige den Philotas zu dieser Verzögerung. – Hast du mich verstanden?

Parmenio. Nein!

Philotas. Nicht? Verräter! –

Parmenio. Sachte, Prinz! Ein Papagei versteht nicht, aber er behält, was man ihm vorsagt. Sei unbesorgt. Ich will deinem Vater alles wieder herplappern, was ich von dir höre.

Philotas. Ha! ich untersagte dir, zu vernünfteln, und das verdreußt dich. Aber wie bist denn du so verwöhnt? Haben dir alle deine Befehlshaber Gründe gesagt? –

Parmenio. Alle, Prinz; ausgenommen die jungen.

Philotas. Vortrefflich! Parmenio, wenn ich so empfindlich wäre, als du – –

Parmenio. Und doch kann nur derjenige meinen blinden Gehorsam heischen, dem die Erfahrung doppelte Augen gegeben.

Philotas. Bald werde ich dich also um Verzeihung bitten müssen. – Nun wohl, ich bitte dich um Verzeihung, Parmenio. Murre nicht, Alter! Sei wieder gut, alter Vater! – Du bist freilich klüger, als ich. Aber nicht die Klügsten allein haben die besten Einfälle. Gute Einfälle sind Geschenke des Glückes; und das Glück, weißt du wohl, beschenkt den Jüngling oft lieber, als den Greis. Denn das Glück ist blind. Blind, Parmenio; stockblind gegen alles Verdienst. Wenn es das nicht wäre, müßtest du nicht schon lange Feldherr sein?

Parmenio. Sieh, wie du zu schmeicheln weißt, Prinz – Aber im Vertrauen, lieber Prinz! Willst du mich nicht etwa bestechen? mit Schmeicheleien bestechen?

Philotas. Ich, schmeicheln! Und dich bestechen! Du bist der Mann, der sich bestechen läßt!

Parmenio. Wenn du so fortfährest, so kann ich es werden. Schon traue ich mir selbst nicht mehr recht!

Philotas. Was wollte ich also sagen? – So einen guten Einfall nun, wollte ich sagen, als das Glück oft in das albernste Gehirn wirft, so einen habe ich itzo ertappt. Bloß ertappt; von dem Meinigen ist nicht das geringste dazugekommen. Denn hätte mein Verstand, meine Erfindungskraft einigen Anteil daran; würde ich ihn nicht gern mit dir überlegen wollen? Aber so kann ich ihn nicht mit dir überlegen; er verschwindet, wenn ich ihn mitteile; so zärtlich, so fein ist er, ich getraue mir ihn nicht in Worte zu kleiden; ich denke ihn nur, wie mich der Philosoph Gott zu denken gelehrt hat, und aufs höchste könnte ich dir nur sagen, was er nicht ist – Möglich zwar genug, daß es im Grunde ein kindischer Einfall ist; ein Einfall, den ich für einen glücklichen Einfall halte, weil ich noch keinen glücklichern gehabt habe. Aber mag er doch; kann er nichts nützen, so kann er doch auch nichts schaden. Das weiß ich gewiß; es ist der unschädlichste Einfall von der Welt; so unschädlich als – als ein Gebet. Wirst du deswegen zu beten unterlassen, weil du nicht ganz gewiß weißt, ob dir das Gebet helfen wird? – Verdirb mir immer also meine Freude nicht, Parmenio, ehrlicher Parmenio! Ich bitte dich, ich umarme dich – Wenn du mich nur ein klein wenig lieb hast – Willst du? Kann ich mich darauf verlassen? Willst du machen, daß ich erst morgen ausgewechselt werde? Willst du?

Parmenio. Ob ich will? Muß ich nicht? muß ich nicht? – Höre, Prinz, wenn du einmal König wirst, gib dich nicht mit dem Befehlen ab. Befehlen ist ein unsicheres Mittel, befolgt zu werden. Wem du etwas recht Schweres aufzulegen hast, mit dem mache es, wie du es itzt mit mir gemacht hast, und wenn er dir alsdenn seinen Gehorsam verweigert – Unmöglich! Er kann dir ihn nicht verweigern! Ich muß auch wissen, was ein Mann verweigern kann.

Philotas. Was Gehorsam? Was hat die Freundschaft, die du mir erweisest, mit dem Gehorsam zu tun? Willst du, mein Freund? –

Parmenio. Hör' auf! hör' auf! Du hast mich schon ganz. Ja doch, ich will alles. Ich will es, ich will es deinem Vater sagen, daß er dich erst morgen auslösen soll. Warum zwar erst morgen, – das weiß ich nicht! Das brauch' ich nicht zu wissen! Das braucht auch er nicht zu wissen. Genug, ich weiß, daß du es willst. Und ich will alles, was du willst. Willst du sonst nichts? Soll ich sonst nichts tun? Soll ich für dich durchs Feuer rennen? Mich für dich vom Felsen herabstürzen? Befiehl nur, mein lieber kleiner Freund, befiehl! Itzt tu' ich dir alles! Sogar – sage ein Wort, und ich will für dich ein Verbrechen, ein Bubenstück begehen! Die Haut schaudert mir zwar; aber doch Prinz, wenn du willst, ich will, ich will –

Philotas. O mein bester, feuriger Freund! O du – wie soll ich dich nennen? – du Schöpfer meines künftigen Ruhmes! Dir schwöre ich bei allem, was mir heilig ist, bei der Ehre meines Vaters, bei dem Glücke seiner Waffen, bei der Wohlfahrt seines Landes schwöre ich dir, nie in meinem Leben diese deine Bereitwilligkeit, deinen Eifer zu vergessen! Möchte ich ihn auch würdig genug belohnen können! – Höret, ihr Götter, meinen Schwur! – Und nun Parmenio, schwöre auch du! Schwöre mir, dein Wort treulich zu halten. –

Parmenio. Ich schwören? Ich bin zu alt zum Schwören.

Philotas. Und ich bin zu jung, dir ohne Schwur zu trauen. Schwöre mir! Ich habe dir bei meinem Vater geschworen, schwöre du mir bei deinem Sohne. Du liebst ihn doch, deinen Sohn? Du liebst ihn doch recht herzlich?

Parmenio. So herzlich, wie dich! – Du willst es, und ich schwöre. Ich schwöre dir, bei meinem einzigen Sohne, bei meinem Blute, das in seinen Adern wallet, bei dem Blute, das ich gern für deinen Vater geblutet, das auch er gern für dich einst bluten wird, bei diesem Blute schwöre ich dir, mein Wort zu halten! Und wenn ich es nicht halte, so falle mein Sohn in seiner ersten Schlacht, und erlebe sie nicht, die glorreichen Tage deiner Regierung! – Höret, ihr Götter, meinen Schwur –

Philotas. Höret ihn noch nicht, ihr Götter! – Du hast mich zum besten, Alter. In der ersten Schlacht fallen; meine Regierung nicht erleben: ist das ein Unglück? Ist früh sterben ein Unglück?

Parmenio. Das sag' ich nicht. Doch nur deswegen, um dich auf dem Throne zu sehen, um dir zu dienen, möchte ich – was ich sonst durchaus nicht möchte – noch einmal junge werden – Dein Vater ist gut; aber du wirst besser, als er.

Philotas. Kein Lob zum Nachteile meines Vaters! – Ändere deinen Schwur! Komm, ändere ihn so: Wenn du dein Wort nicht hältst, so möge dein Sohn ein Feiger, ein Nichtswürdiger werden; er möge, wenn er zwischen Tod und Schande zu wählen hat, die Schande wählen; er möge neunzig Jahre ein Spott der Weiber leben, und noch im neunzigsten Jahre ungern sterben.

Parmenio. Ich entsetze mich – doch schwöre ich: das mög' er! – Höret den gräßlichsten der Schwüre, ihr Götter!

Philotas. Höret ihn! – Nun gut, nun kannst du gehen, Parmenio. Wir haben einander lange genug aufgehalten, und fast zu viel Umstände über eine Kleinigkeit gemacht. Denn ist es nicht eine wahre Kleinigkeit, meinem Vater zu sagen, ihn zu überreden, daß er mich nicht eher als morgen auswechsle? Und wenn er ja die Ursache wissen will; wohl, so erdenke dir unter Weges eine Ursache.

Parmenio. Das will ich auch! Ich habe zwar, so alt ich geworden bin, noch nie eine Unwahrheit gesonnen. Aber doch, dir zuliebe, Prinz – Laß mich nur; das Böse lernt sich auch noch im Alter. – Lebe wohl!

Philotas. Umarme mich! – Geh!

Sechster Auftritt.

Philotas.

Es soll so viele Betrüger in der Welt geben, und das Betrügen ist doch so schwer, wenn es auch in der besten Absicht geschieht. – Habe ich mich nicht wenden und winden müssen! – Mache nur, guter Parmenio, daß mich mein Vater erst morgen auslöset, und er soll mich gar nicht auszulösen brauchen. – Nun habe ich Zeit genug gewonnen! Zeit genug, mich in meinem Vorsatze zu bestärken – Zeit genug, die sichersten Mittel zu wählen. – Mich in meinem Vorsatze zu bestärken? – Wehe mir, wenn ich dessen bedarf! – Standhaftigkeit des Alters, wenn du mein Teil nicht bist, o so stehe du mir bei, Hartnäckigkeit des Jünglings!

Ja, es bleibt dabei! es bleibt fest dabei! – Ich fühl' es, ich werde ruhig, – ich bin ruhig! – Der du itzt da stehest, Philotas – (indem er sich selbst betrachtet) – Ha! es muß ein trefflicher, ein großer Anblick sein: ein Jüngling gestreckt auf den Boden, das Schwert in der Brust! –

Das Schwert? Götter! o ich Elender! ich Ärmster! – Und itzt erst werde ich es gewahr? Ich habe kein Schwert; ich habe nichts! Es ward die Beute des Kriegers, der mich gefangen nahm. – Vielleicht hätte er es mir gelassen, aber Gold war der Heft. – Unseliges Gold, bist du denn immer das Verderben der Tugend!

Kein Schwert? Ich kein Schwert? – Götter, barmherzige Götter, dies einzige schenket mir! Mächtige Götter, die ihr Erde und Himmel erschaffen, ihr könntet mir kein Schwert schaffen, – wenn ihr wolltet? –Was ist nun mein großer, schimmernder Entschluß? Ich werde mir selbst ein bitteres Gelächter –

Und da kömmt er auch schon wieder, der König. – Still! Wenn ich das Kind spielte? – Dieser Gedanke verspricht etwas. – Ja! Vielleicht bin ich glücklich –

Siebenter Auftritt.

Aridäus. Philotas.

Aridäus. Nun sind die Boten fort, mein Prinz. Sie sind auf den schnellesten Pferden abgegangen, und das Hauptlager deines Vaters ist so nahe, daß wir in wenig Stunden Antwort erhalten können.

Philotas. Du bist also, König, wohl sehr ungeduldig, deinen Sohn wieder zu umarmen?

Aridäus. Wird es dein Vater weniger sein, dich wieder an seine Brust zu drücken? – Laß mich aber, liebster Prinz, deine Gesellschaft genießen. In ihr wird mir die Zeit schneller verschwinden; und vielleicht, daß es auch sonst glückliche Folgen hat, wenn wir uns näher kennen. Liebenswürdige Kinder sind schon oft die Mittelspersonen zwischen veruneinigten Vätern gewesen. Folge mir also in mein Zelt, wo die besten meiner Befehlshaber deiner warten. Sie brennen vor Begierde, dich zu sehen und zu bewundern.

Philotas. Männer, König, müssen kein Kind bewundern. Laß mich also nur immer hier. Scham und Ärgernis würden mich eine sehr einfältige Person spielen lassen. Und was deine Unterredung mit mir anbelangt – da seh' ich vollends nicht, was daraus kommen könnte. Ich weiß weiter nichts, als daß du und mein Vater in Krieg verwickelt sind; und das Recht – das Recht, glaub' ich, ist auf seiten meines Vaters. Das glaub' ich, König, und will es nun einmal glauben – wenn du mir auch das Gegenteil unwidersprechlich zeigen könntest. Ich bin Sohn und Soldat, und habe weiter keine Einsicht, als die Einsicht meines Vaters und meines Feldherrn.

Aridäus. Prinz, es zeiget einen großen Verstand, seinen Verstand so zu verleugnen. Doch tut es mir leid, daß ich mich also auch vor dir nicht soll rechtfertigen können. – Unseliger Krieg! –

Philotas. Jawohl, unseliger Krieg! – Und wehe seinem Urheber!

Aridäus. Prinz! Prinz! erinnere dich, daß dein Vater das Schwert zuerst gezogen. Ich mag in deine Verwünschung nicht einstimmen. Er hatte sich übereilt, er war zu argwöhnisch –

Philotas. Nun ja; mein Vater hat das Schwert zuerst gezogen. Aber entsteht die Feuersbrunst erst dann, wenn die lichte Flamme durch das Dach schlägt? Wo ist das geduldige, gallose, unempfindliche Geschöpf, das durch unaufhörliches Necken nicht zu erbittern wäre? – Bedenke, – denn du zwingst mich mit aller Gewalt von Dingen zu reden, die mir nicht zukommen – bedenke, welch eine stolze, verächtliche Antwort du ihm erteiltest, als er – Doch du sollst mich nicht zwingen; ich will nicht davon sprechen! Unsere Schuld und Unschuld sind unendlicher Mißdeutungen, unendlicher Beschönigungen fähig. Nur dem untrüglichen Auge der Götter erscheinen wir, wie wir sind; nur das kann uns richten. Die Götter aber, du weißt es, König, sprechen ihr Urteil durch das Schwert des Tapfersten. Laß uns den blutigen Spruch aushören! Warum wollen wir uns kleinmütig von diesem höchsten Gerichte wieder zu den niedrigern wenden? Sind unsere Fäuste schon so müde, daß die geschmeidige Zunge sie ablösen müsse?

Aridäus. Prinz, ich höre dich mit Erstaunen –

Philotas. Ach! – Auch ein Weib kann man mit Erstaunen hören!

Aridäus. Mit Erstaunen, Prinz, und nicht ohne Jammer! – Dich hat das Schicksal zur Krone bestimmt, dich! – Dir will es die Glückseligkeit eines ganzen, mächtigen, edeln Volkes anvertrauen; dir! – Welch eine schreckliche Zukunft enthüllt sich mir! Du wirst dein Volk mit Lorbeern und Elend überhäufen. Du wirst mehr Siege, als glückliche Untertanen zählen. – Wohl mir, daß meine Tage in die deinigen nicht reichen werden! Aber wehe meinem Sohne, meinem redlichen Sohne! Du wirst es ihm schwerlich vergönnen, den Harnisch abzulegen –

Philotas. Beruhige den Vater, o König! Ich werde deinem Sohne weit mehr vergönnen! weit mehr!

Aridäus. Weit mehr? Erkläre dich –

Philotas. Habe ich ein Rätsel gesprochen? – O verlange nicht, König, daß ein Jüngling, wie ich, alles mit Bedacht und Absicht sprechen soll. – Ich wollte nur sagen: Die Frucht ist oft ganz anders, als die Blüte sie verspricht. Ein weibischer Prinz, hat mich die Geschichte gelehrt, ward oft ein kriegerischer König. Könnte mit mir sich nicht das Gegenteil zutragen? – Oder vielleicht war auch diese meine Meinung, daß ich noch einen weiten und gefährlichen Weg zum Throne habe. Wer weiß, ob die Götter mich ihn vollenden lassen? – Und laß mich ihn nicht vollenden, Vater der Götter und Menschen, wenn du in der Zukunft mich als einen Verschwender des Kostbarsten, was du mir anvertrauet, des Blutes meiner Untertanen, siehest! –

Aridäus. Ja, Prinz; was ist ein König, wenn er kein Vater ist! Was ist ein Held ohne Menschenliebe! Nun erkenne ich auch diese in dir, und bin wieder ganz dein Freund! – Aber komm, komm; wir müssen hier nicht allein bleiben. Wir sind einer dem andern zu ernsthaft. Folge mir!

Philotas. Verzeih, König –

Aridäus. Weigere dich nicht!

Philotas. So wie ich bin, mich vor vielen sehen zu lassen? – –

Aridäus. Warum nicht?

Philotas. Ich kann nicht, König; ich kann nicht.

Aridäus. Und die Ursache?

Philotas. O die Ursache! – Sie würde dich zum Lachen bewegen.

Aridäus. Um so viel lieber laß sie mich hören. Ich bin ein Mensch, und weine und lache gern.

Philotas. Nun so lache denn! – Sieh, König, ich habe kein Schwert, und ich möchte nicht gern, ohne dieses Kennzeichen des Soldaten, unter Soldaten erscheinen.

Aridäus. Mein Lachen wird zur Freude. Ich habe in voraus hierauf gedacht, und du wirst sogleich befriediget werden. Strato hat Befehl, dir dein Schwert wieder zu schaffen.

Philotas. Also laß uns ihn hier erwarten.

Aridäus. Und alsdenn begleitest du mich doch? –

Philotas. Alsdenn werde ich dir auf dem Fuße nachfolgen.

Aridäus. Gewünscht! da kömmt er! Nun, Strato –

Achter Auftritt.

Strato (mit einem Schwerte in der Hand). Aridäus. Philotas.

Strato. König, ich kam zu dem Soldaten, der den Prinzen gefangen genommen, und forderte des Prinzen Schwert in deinem Namen von ihm zurück. Aber höre, wie edel sich der Soldat weigerte. »Der König«, sprach er, »muß mir das Schwert nicht nehmen. Es ist ein gutes Schwert, und ich werde es für ihn brauchen. Auch muß ich ein Andenken von dieser meiner Tat behalten. Bei den Göttern, sie war keine von meinen geringsten! Der Prinz ist ein kleiner Dämon. Vielleicht aber ist es euch nur um den kostbaren Heft zu tun –« Und hiermit, ehe ich es verhindern konnte, hatte seine starke Hand den Heft abgewunden, und warf mir ihn verächtlich zu Füßen – »Da ist er!« fuhr er fort. »Was kümmert mich euer Gold?«

Aridäus. O Strato, mache mir den Mann wieder gut! –

Strato. Ich tat es. Und hier ist eines von deinen Schwertern!

Aridäus. Gibt her! – Willst du es, Prinz, für das deinige annehmen?

Philotas. Laß sehen! – Ha! – (Beiseite.) Habet Dank, ihr Götter! (Indem er es lange und ernsthaft betrachtet.) – Ein Schwert!

Strato. Habe ich nicht gut gewählet, Prinz?

Aridäus. Was findest du deiner tiefsinnigen Aufmerksamkeit so wert daran?

Philotas. Daß es ein Schwert ist! – (Indem er wieder zu sich kömmt.) Und ein schönes Schwert! Ich werde bei diesem Tausche nichts verlieren. – Ein Schwert!

Aridäus. Du zitterst, Prinz.

Philotas. Vor Freuden! – Ein wenig zu kurz scheinet es mir bei alledem. Aber was zu kurz? Ein Schritt näher auf den Feind ersetzt, was ihm am Eisen abgehet. – Liebes Schwert! Welche eine schöne Sache ist ein Schwert, zum Spiele und zum Gebrauche! Ich habe nie mit etwas andern gespielt. –

Aridäus (zum Strato). O der wunderbaren Vermischung von Kind und Held!

Philotas (beiseite). Liebes Schwert! Wer doch bald mit dir allein wäre! – Aber, gewagt!

Aridäus. Nun lege das Schwert an, Prinz; und folge mir.

Philotas. Sogleich! – Doch seinen Freund und sein Schwert muß man nicht bloß von außen kennen. (Er zieht es, und Strato tritt zwischen ihn und den König.)

Strato. Ich verstehe mich mehr auf den Stahl, als auf die Arbeit. Glaube mir Prinz; der Stahl ist gut. Der König hat, in seinen männlichen Jahren, mehr als einen Helm damit gespalten.

Philotas. So stark werde ich nicht werden! Immerhin! – Tritt mir nicht so nahe, Strato.

Strato. Warum nicht?

Philotas. So! (Indem er zurückspringt, und mit dem Schwerte einen Streich durch die Luft tut.) Es hat den Zug, wie es ihn haben muß.

Aridäus. Prinz, schone deines verwundeten Armes! Du wirst dich erhitzen! –

Philotas. Woran erinnerst du mich, König? – An mein Unglück; nein, an meine Schande! Ich ward verwundet und gefangen! Ja! Aber ich will es nie wieder werden! Bei diesem meinem Schwerte, ich will es nie wieder werden! Nein, mein Vater, nein! Heut sparet dir ein Wunder das schimpfliche Lösegeld für deinen Sohn; künftig spar' es dir sein Tor! Sein gewisser Tod, wenn er sich wieder umringt siehet! – Wieder umringt? – Entsetzen! – Ich bin es! Ich bin umringt! Was nun? Gefährte! Freunde! Brüder! Wo seid ihr? Alle tot? Überall Feinde? – Überall! Hier durch, Philotas! Ha! Nimm das, Verwegner! – Und du das! – Und du das! (Um sich hauend.)

Strato. Prinz! was geschieht dir? Fasse dich! (Geht auf ihn zu.)

Philotas (sich von ihm entfernend). Auch du, Strato? auch du? – O Feind, sei großmütig! Töte mich! Nimm mich nicht gefangen! – Nein, ich gebe mich nicht gefangen! Und wenn ihr alle Stratos wäret, die ihr mich umringet! Doch will ich mich gegen euch alle, gegen eine Welt will ich mich wehren! – Tut euer Bestes, Feinde! – Aber ihr wollt nicht? Ihr wollt mich nicht töten, Grausame? Ihr wollt mich mit Gewalt lebendig? – Ich lache nur! Mich lebendig gefangen? Mich? – Eher will ich dieses mein Schwert, will ich – in diese meine Brust – eher – (Er durchsticht sich.)

Aridäus. Götter! Strato!

Strato. König!

Philotas. Das wollt' ich! (Zurücksinkend.)

Aridäus. Halt ihn, Strato! – Hilfe! dem Prinzen zur Hilfe! – Prinz, welche wütende Schwermut –

Philotas. Vergib mir, König! ich habe dir einen tödlichern Streich versetzt, als mir! – Ich sterbe; und bald werden beruhigte Länder die Frucht meines Todes genießen. – Dein Sohn, König, ist gefangen; und der Sohn meines Vaters ist frei –

Aridäus. Was hör' ich?

Strato. So war es Vorsatz, Prinz? – Aber als unser Gefangener hattest du kein Recht über dich selbst.

Philotas. Sage das nicht, Strato! – Sollte die Freiheit zu sterben, die uns die Götter in allen Umständen des Lebens gelassen haben, sollte diese ein Mensch dem andern verkümmern können? –

Strato. O König! – Das Schrecken hat ihn versteinert! – König!

Aridäus. Wer ruft?

Strato. König!

Aridäus. Schweig!

Strato. Der Krieg ist aus, König!

Aridäus. Aus? Das leugst du, Strato! – Der Krieg ist nicht aus, Prinz! – Stirb nur! stirb! Aber nimm das mit, nimm den quälenden Gedanken mit: Als ein wahrer unerfahrner Knabe hast du geglaubt, daß die Väter alle von einer Art, alle von der weichlichen, weiblichen Art deines Vaters sind. – Sie sind es nicht alle! Ich bin es nicht! Was liegt mir an meinem Sohne? Und denkst du, daß er nicht ebensowohl zum Besten seines Vaters sterben kann, als du zum Besten des deinigen? – Er sterbe! Auch sein Tod erspare mir das schimpfliche Lösegeld! – Strato, ich bin nun verwaiset, ich armer Mann! – Du hast einen Sohn; er sei der meinige! – Denn einen Sohn muß man doch haben. – Glücklicher Strato!

Philotas. Noch lebt auch dein Sohn, König! Und wird leben! Ich hör' es!

Aridäus. Lebt er noch? – So muß ich ihn wieder haben. Stirb du nur! Ich will ihn doch wieder haben! Und für dich! – Oder ich will deinem toten Körper so viel Unehre, so viel Schmach erzeigen lassen! – Ich will ihn –

Philotas. Den toten Körper! – Wenn du dich rächen willst, König, so erwecke ihn wieder! –

Aridäus. Ach! – Wo gerat' ich hin!

Philotas. Du daurest mich! – Lebe wohl, Strato! Dort, wo alle Tugendhafte Freunde, und alle Tapfere Glieder eines seligen Staates sind, im Elysium sehen wir uns wieder! – Auch wir, König, sehen uns wieder –

Aridäus. Und versöhnt! – Prinz! –

Philotas. O so empfanget meine triumphierende Seele, ihr Götter; und dein Opfer, Göttin des Friedens!

Aridäus. Höre mich, Prinz! –

Strato. Er stirbt! – Bin ich ein Verräter, König, wenn ich deinen Feind beweine? Ich kann mich nicht halten. Ein wunderbarer Jüngling!

Aridäus. Beweine ihn nur! – Auch ich! – Komm! Ich muß meinen Sohn wieder haben! Aber rede mir nicht ein, wenn ich ihn zu teuer erkaufe! – Umsonst haben wir Ströme Bluts vergossen; umsonst Länder erobert. Da zieht er mit unserer Beute davon, der größere Sieger! – Komm! Schaffe mir meinen Sohn! Und wenn ich ihn habe, will ich nicht mehr König sein. Glaubt ihr Menschen, daß man es nicht satt wird? – (Gehen ab.)

Ende des Philotas.


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