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Mellefonts Zimmer.
Mellefont. Sara.
Mellefont. Ja, liebste Miß, ja; das will ich tun; das muß ich tun.
Sara. Wie vergnügt machen Sie mich!
Mellefont. Ich bin es allein, der das ganze Verbrechen auf sich nehmen muß. Ich allein bin schuldig; ich allein muß um Vergebung bitten.
Sara. Nein, Mellefont, nehmen Sie mir den größern Anteil, den ich an unserm Vergehen habe, nicht. Er ist mir teuer, so strafbar er auch ist: denn er muß Sie überzeugt haben, daß ich meinen Mellefont über alles in der Welt liebe. Aber ist es denn gewiß wahr, daß ich nunmehr diese Liebe mit der Liebe gegen meinen Vater verbinden darf? Oder befinde ich mich in einem angenehmen Traume? Wie fürchte ich mich, ihn zu verlieren und in meinem alten Jammer zu erwachen! Doch nein, ich bin nicht bloß in einem Traume, ich bin wirklich glücklicher, als ich jemals zu werden hoffen durfte; glücklicher, als es vielleicht dieses kurze Leben zuläßt. Vielleicht erscheint mir dieser Strahl von Glückseligkeit nur darum von ferne und scheinet mir nur darum so schmeichelhaft näher zu kommen, damit er auf einmal wieder in die dickste Finsternis zerfließe und mich auf einmal in einer Nacht lasse, deren Schrecklichkeit mir durch diese kurze Erleuchtung erst recht fühlbar geworden. Was für Ahnungen quälen mich! Sind es wirklich Ahnungen, Mellefont, oder sind es gewöhnliche Empfindungen, die von der Erwartung eines unverdienten Glücks und von der Furcht, es zu verlieren, unzertrennlich sind? Wie schlägt mir das Herz, und wie unordentlich schlägt es! Wie stark itzt, wie geschwind! Und nun, wie matt, wie bange, wie zitternd! Itzt eilt es wieder, als ob es die letzten Schläge wären, die es gern recht schnell hintereinander tun wolle. Armes Herz!
Mellefont. Die Wallungen des Geblüts, welche plötzliche Überraschungen nicht anders als verursachen können, werden sich legen, Miß, und das Herz wird seine Verrichtungen ruhiger fortsetzen. Keiner seiner Schläge zielet auf das Zukünftige; und wir sind zu tadeln verzeihen Sie, liebste Sara, wenn wir des Bluts mechanische Drückungen zu fürchterlichen Propheten machen. Deswegen aber will ich nichts unterlassen, was Sie selbst zur Besänftigung dieses kleinen innerlichen Sturms für dienlich halten. Ich will sogleich schreiben, und Sir William, hoffe ich, soll mit den Beteurungen meiner Reue, mit den Ausdrücken meines gerührten Herzens und mit den Angelobungen des zärtlichsten Gehorsams zufrieden sein.
Sara. Sir William? Ach Mellefont, fangen Sie doch nun an, sich an einen weit zärtlichern Namen zu gewöhnen. Mein Vater, Ihr Vater, Mellefont
Mellefont. Nun ja, Miß, unser gütiger, unser bester Vater! Ich mußte sehr jung aufhören, diesen süßen Namen zu nennen; sehr jung mußte ich den ebenso süßen Namen »Mutter« verlernen
Sara. Sie haben ihn verlernt, und mir mir ward es so gut nicht, ihn nur einmal sprechen zu können. Mein Leben war ihr Tod. Gott! ich ward eine Muttermörderin wider mein Verschulden. Und wie viel fehlte wie wenig, wie nichts fehlte, so wäre ich auch eine Vatermörderin geworden! Aber nicht ohne mein Verschulden; eine vorsätzliche Vatermörderin! Und wer weiß, ob ich es nicht schon bin? Die Jahre, die Tage, die Augenblicke, die er geschwinder zu seinem Ziele kömmt, als er ohne die Betrübnis, die ich ihm verursacht, gekommen wäre diese hab ich ihm ich habe sie ihm geraubt. Wenn ihn sein Schicksal auch noch so alt und lebenssatt sterben läßt, so wird mein Gewissen doch nichts gegen den Vorwurf sichern können, daß er ohne mich vielleicht noch später gestorben wäre. Trauriger Vorwurf, den ich mir ohne Zweifel nicht machen dürfte, wenn eine zärtliche Mutter die Führerin meiner Jugend gewesen wäre! Ihre Lehren, ihr Exempel würden mein Herz So zärtlich blicken Sie mich an, Mellefont? Sie haben recht; eine Mutter würde mich vielleicht mit lauter Liebe tyrannisiert haben, und ich würde Mellefonts nicht sein. Warum wünsche ich mir denn also das, was mir das weisere Schicksal nur aus Güte versagte? Seine Fügungen sind immer die besten. Lassen Sie uns nur das recht brauchen, was es uns schenkt: einen Vater, der mich noch nie nach einer Mutter seufzen lassen; einen Vater, der auch Sie ungenossene Eltern will vergessen lehren. Welche schmeichelhafte Vorstellung! Ich verliebe mich selbst darein und vergesse es fast, daß in dem Innersten sich noch etwas regt, das ihm keinen Glauben beimessen will. Was ist es, dieses rebellische Etwas?
Mellefont. Dieses Etwas, liebste Sara, wie Sie schon selbst gesagt haben, ist die natürliche furchtsam Schwierigkeit, sich in ein großes Glück zu finden. Ach, Ihr Herz machte weniger Bedenken, sich unglücklich zu glauben, als es jetzt zu seiner eignen Pein macht, sich für glücklich zu halten! Aber wie dem, der in einer schnellen Kreisbewegung drehend geworden, auch da noch, wenn er schon wieder still sitzt, die äußern Gegenstände mit ihm herumzugehen scheinen, so wird auch das Herz, das zu heftig erschüttert worden, nicht auf einmal wieder ruhig. Es bleibt eine zitternde Bebung oft noch lange zurück, die wir ihrer eignen Abschwächung überlassen müssen.
Sara. Ich glaube es, Mellefont, ich glaube es: weil Sie es sagen; weil ich es wünsche. Aber lassen Sie uns einer den andern nicht länger aufhalten. Ich will gehen und meinen Brief vollenden. Ich darf doch auch den Ihrigen lesen, wenn ich Ihnen den meinigen werde gezeigt haben?
Mellefont. Jedes Wort soll Ihrer Beurteilung unterworfen sein; nur das nicht, was ich zu Ihrer Rettung sagen muß: denn ich weiß es, Sie halten sich nicht für so unschuldig, als Sie sind. (Indem er die Sara bis an die Szene begleitet.)
Mellefont (nachdem er einigemal tiefsinnig auf und nieder gegangen). Was für ein Rätsel bin ich mir selbst! Wofür soll ich mich halten? Für einen Toren? oder für einen Bösewicht? oder für beides? Herz, was für ein Schalk bist du! Ich liebe den Engel, so ein Teufel ich auch sein mag. Ich lieb ihn? Ja, gewiß, gewiß, ich lieb ihn. Ich weiß, ich wollte tausend Leben für sie aufopfern, für sie, die mir ihre Tugend aufgeopfert hat! Ich wollt' es; jetzt gleich ohne Anstand wollt' ich es Und doch, doch Ich erschrecke, mir es selbst zu sagen Und doch Wie soll ich es begreifen? Und doch fürchte ich mich vor dem Augenblicke, der sie auf ewig vor dem Angesichte der Welt zu der Meinigen machen wird. Er ist nun nicht zu vermeiden; denn der Vater ist versöhnt. Auch weit hinaus werde ich ihn nicht schieben können. Die Verzögerung desselben hat mir schon schmerzhafte Vorwürfe genug zugezogen. So schmerzhaft sie aber waren, so waren sie mir doch erträglicher als der melancholische Gedanke, auf zeitlebens gefesselt zu sein. Aber bin ich es denn nicht schon? Ich bin es freilich, und bin es mit Vergnügen. Freilich bin ich schon ihr Gefangener. Was will ich also? Das! Itzt bin ich ein Gefangener, den man auf sein Wort frei herumgehen läßt: das schmeichelt! Warum kann es dabei nicht sein Bewenden haben? Warum muß ich eingeschmiedet werden und auch sogar den elenden Schatten der Freiheit entbehren? Eingeschmiedet? Nichts anders! Sara Sampson, meine Geliebte! Wieviel Seligkeiten liegen in diesen Worten! Sara Sampson, meine Ehegattin! Die Hälfte dieser Seligkeiten ist verschwunden! und die andre Hälfte wird verschwinden. Ich Ungeheuer! Und bei diesen Gesinnungen soll ich an ihren Vater schreiben? Doch es sind keine Gesinnungen; es sind Einbildungen! Vermaledeite Einbildungen, die mir durch ein zügelloses Leben so natürlich geworden! Ich will ihrer los werden, oder nicht leben.
Norton. Mellefont.
Mellefont. Du störest mich, Norton!
Norton. Verzeihen Sie also, mein Herr (Indem er wieder zurückgehen will.)
Mellefont. Nein, nein, bleib da. Es ist ebensogut, daß du mich störest. Was willst du?
Norton. Ich habe von Betty eine sehr freudige Neuigkeit gehört, und ich komme, Ihnen dazu Glück zu wünschen.
Mellefont. Zur Versöhnung des Vaters doch wohl? Ich danke dir.
Norton. Der Himmel will Sie also noch glücklich machen.
Mellefont. Wenn er es will du siehst, Norton, ich lasse mir Gerechtigkeit widerfahren, so will er es meinetwegen gewiß nicht.
Norton. Nein, wenn Sie dieses erkennen, so will er es auch Ihretwegen.
Mellefont. Meiner Sara wegen, einzig und allein meiner Sara wegen. Wollte seine schon gerüstete Rache eine ganze sündige Stadt, weniger Gerechten wegen, verschonen, so kann er ja wohl auch einen Verbrecher dulden, wenn eine ihm gefällige Seele an dem Schicksale desselben Anteil nimmt.
Norton. Sie sprechen sehr ernsthaft und rührend. Aber drückt sich die Freude nicht etwas anders aus?
Mellefont. Die Freude, Norton? Sie ist nun für mich dahin.
Norton. Darf ich frei reden? (Indem er ihn scharf ansieht.)
Mellefont. Du darfst.
Norton. Der Vorwurf, den ich an dem heutigen Morgen von Ihnen hören mußte, daß ich mich Ihrer Verbrechen teilhaftig gemacht, weil ich dazu geschwiegen, mag mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich von nun an seltner schweige.
Mellefont. Nur vergiß nicht, wer du bist.
Norton. Ich will es nicht vergessen, daß ich ein Bedienter bin: ein Bedienter, der auch etwas Bessers sein könnte, wenn er, leider! darnach gelebt hätte. Ich bin Ihr Bedienter, ja; aber nicht auf dem Fuße, daß ich mich gern mit Ihnen möchte verdammen lassen.
Mellefont. Mit mir? Und warum sagst du das itzt?
Norton. Weil ich nicht wenig erstaune, Sie anders zu finden, als ich mir vorstellte.
Mellefont. Willst du mich nicht wissen lassen, was du dir vorstelltest?
Norton. Sie in lauter Entzückung zu finden.
Mellefont. Nur der Pöbel wird gleich außer sich gebracht, wenn ihn das Glück einmal anlächelt.
Norton. Vielleicht, weil der Pöbel noch sein Gefühl hat, das bei Vornehmern durch tausend unnatürliche Vorstellungen verderbt und geschwächt wird. Allein in Ihrem Gesichte ist noch etwas anders als Mäßigung zu lesen. Kaltsinn, Unentschlossenheit, Widerwille
Mellefont. Und wenn auch? Hast du es vergessen, wer noch außer der Sara hier ist? Die Gegenwart der Marwood
Norton. Könnte Sie wohl besorgt, aber nicht niedergeschlagen machen. Sie beunruhiget etwas anders. Und ich will mich gern geirret haben, wenn Sie es nicht lieber gesehen hätten, der Vater wäre noch nicht versöhnt. Die Aussicht in einen Stand, der sich so wenig zu Ihrer Denkungsart schickt
Mellefont. Norton! Norton! du mußt ein erschrecklicher Bösewicht entweder gewesen sein oder noch sein, daß du mich so erraten kannst. Weil du es getroffen hast, so will ich es nicht leugnen. Es ist wahr; so gewiß es ist, daß ich meine Sara ewig lieben werde, so wenig will es mir ein, daß ich sie ewig lieben soll soll! Aber besorge nichts; ich will über diese närrische Grille siegen. Oder meinst du nicht, daß es eine Grille ist? Wer heißt mich die Ehe als einen Zwang ansehen? Ich wünsche es mir ja nicht, freier zu sein, als sie mich lassen wird.
Norton. Diese Betrachtungen sind sehr gut. Aber Marwood, Marwood wird Ihren alten Vorurteilen zu Hilfe kommen, und ich fürchte, ich fürchte
Mellefont. Was nie geschehen wird. Du sollst sie noch heute nach London zurückreisen sehen. Da ich dir meine geheimste Narrheit will ich es nur unterdessen nennen gestanden habe, so darf ich dir auch nicht verbergen, daß ich die Marwood in solche Furcht gejagt habe, daß sie sich durchaus nach meinem geringsten Winke bequemen muß.
Norton. Sie sagen mir etwas Unglaubliches.
Mellefont. Sieh, dieses Mördereisen riß ich ihr aus der Hand (er zeigt ihm den Dolch, den er der Marwood genommen), als sie mir in der schrecklichsten Wut das Herz damit durchstoßen wollte. Glaubst du es nun bald, daß ich ihr festen Obstand gehalten habe? Anfangs zwar fehlte es nicht viel, sie hätte mir ihre Schlinge wieder um den Hals geworfen. Die Verräterin hat Arabellen bei sich.
Norton. Arabellen?
Mellefont. Ich habe es noch nicht untersuchen können, durch welche List sie das Kind wieder in ihre Hände bekommen. Genug, der Erfolg fiel für sie nicht so aus, als sie es ohne Zweifel gehofft hatte.
Norton. Erlauben Sie, daß ich mich über Ihre Standhaftigkeit freuen und Ihre Besserung schon für halb geborgen halten darf. Allein da Sie mich doch alles wollen wissen lassen was hat sie unter dem Namen der Lady Solmes hier gesollt?
Mellefont. Sie wollte ihre Nebenbuhlerin mit aller Gewalt sehen. Ich willigte in ihr Verlangen, teils aus Nachsicht, teils aus Übereilung, teils aus Begierde, sie durch den Anblick der Besten ihres Geschlechts zu demütigen. Du schüttelst den Kopf, Norton?
Norton. Das hätte ich nicht gewagt.
Mellefont. Gewagt? Eigentlich wagte ich nichts mehr dabei, als ich im Falle der Weigerung gewagt hätte. Sie würde als Marwood vorzukommen gesucht haben; und das Schlimmste, was bei ihrem unbekannten Besuche zu besorgen steht, ist nichts Schlimmers.
Norton. Danken Sie dem Himmel, daß es so ruhig abgelaufen.
Mellefont. Es ist noch nicht ganz vorbei, Norton. Es stieß ihr eine kleine Unpäßlichkeit zu, daß sie sich, ohne Abschied zu nehmen, wegbegeben mußte. Sie will wiederkommen. Mag sie doch! Die Wespe, die den Stachel verloren hat (indem er auf den Dolch weiset, den er wieder in den Busen steckt), kann doch weiter nichts als summen. Aber auch das Summen soll ihr teuer werden, wenn sie zu überlästig damit wird. Hör ich nicht jemand kommen? Verlaß mich, wenn sie es ist. Sie ist es. Geh!
(Norton geht ab.)
Mellefont. Marwood.
Marwood. Sie sehen mich ohne Zweifel sehr ungern wiederkommen.
Mellefont. Ich sehe es sehr gern, Marwood, daß Ihre Unpäßlichkeit ohne Folgen gewesen ist. Sie befinden sich doch besser?
Marwood. So, so!
Mellefont. Sie haben also nicht wohl getan, sich wieder hieher zu bemühen.
Marwood. Ich danke Ihnen, Mellefont, wenn Sie dieses aus Vorsorge für mich sagen. Und ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie etwas anders damit meinen.
Mellefont. Es ist mir angenehm, Sie so ruhig zu sehen.
Marwood. Der Sturm ist vorüber. Vergessen Sie ihn, bitte ich nochmals.
Mellefont. Vergessen Sie nur Ihr Versprechen nicht, Marwood, und ich will gern alles vergessen. Aber, wenn ich wüßte, daß Sie es für keine Beleidigung annehmen wollten, so möchte ich wohl fragen
Marwood. Fragen Sie nur, Mellefont. Sie können mich nicht mehr beleidigen. Was wollten Sie fragen?
Mellefont. Wie ihnen meine Miß gefallen habe.
Marwood. Die Frage ist natürlich. Meine Antwort wird so natürlich nicht scheinen, aber sie ist gleichwohl nichts weniger wahr. Sie hat mir sehr wohl gefallen.
Mellefont. Diese Unparteilichkeit entzückt mich. Aber wär' es auch möglich, daß der, welcher die Reize einer Marwood zu schätzen wußte, eine schlechte Wahl treffen könnte?
Marwood. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders eine ist, hätten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze, Sie zu vergessen, nicht vertragen.
Mellefont. Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen diesen Vorsatz durch Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der gemeinen Art sein. Lassen Sie uns miteinander brechen wie Leute von Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt.
Marwood. Ehmaligen Vertraulichkeit? Ich will nicht daran erinnert sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muß, muß geschehen und es kömmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht. Aber ein Wort noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen?
Mellefont. Nein, Marwood.
Marwood. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben können, daß Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen.
Mellefont. Ich kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben.
Marwood. So beweisen Sie es gleich itzt.
Mellefont. Wie?
Marwood. Erlauben Sie, daß Arabella die Reichtümer, welche ich von Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wünschen, daß ich ihr ein beßres lassen könnte als die Schande, von mir geboren zu sein.
Mellefont. Reden Sie nicht so. Ich will für Arabellen sorgen, ohne ihre Mutter wegen eines anständigen Auskommens in Verlegenheit zu setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muß sie damit anfangen, daß sie etwas von mir zu besitzen vergißt. Ich habe Verbindlichkeiten gegen sie und werde es nie aus der Acht lassen, daß sie mein wahres Glück, obschon wider ihren Willen, befördert hat. Ja, Marwood, ich danke Ihnen in allem Ernste, daß Sie unsern Aufenthalt einem Vater verrieten, den bloß die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht eher wieder anzunehmen.
Marwood. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter alter Narr: er muß anders denken, als ich an seiner Stelle würde gedacht haben. Ich hätte der Tochter vergeben, und ihrem Verführer hätt' ich
Mellefont. Marwood!
Marwood. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige. Werde ich der Miß mein Abschiedskompliment bald machen dürfen?
Mellefont. Miß Sara würde es Ihnen nicht übelnehmen können, wenn Sie auch wegreiseten, ohne sie wiederzusprechen.
Marwood. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich will, auch unter keinem fremden Namen, für ein Frauenzimmer ohne Lebensart gehalten werden.
Mellefont. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich selbst hüten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen bei Ihnen rege machen muß
Marwood (spöttisch lächelnd). Sie haben eine bessere Meinung von sich selbst als von mir. Wenn Sie es aber auch glaubten, daß ich Ihrentwegen untröstlich sein müßte, so sollten Sie es doch wenigstens ganz in der Stille glauben. Miß Sara soll gewisse Vorstellungen bei mir rege machen? Gewisse? O ja aber keine gewisser als diese, daß das beste Mädchen oft den nichtswürdigsten Mann lieben kann.
Mellefont. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in der Verfassung, in der ich Sie längst gern gewünscht hätte: ob es mir gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen wäre, wenn wir einige gemeinschaftliche Hochachtung für einander hätten behalten können. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gärende Herz erst ausgebrauset hat. Erlauben Sie, daß ich Sie einige Augenblicke allein lasse. Ich will Miß Sampson zu Ihnen holen.
Marwood (indem sie um sich herumsieht). Bin ich allein? Kann ich unbemerkt einmal Atem schöpfen und die Muskeln des Gesichts in ihre natürliche Lage fahren lassen? Ich muß geschwind einmal in allen Mienen die wahre Marwood sein, um den Zwang der Verstellung wieder aushalten zu können. Wie hasse ich dich, niedrige Verstellung! Nicht, weil ich die Aufrichtigkeit liebe, sondern weil du die armseligste Zuflucht der ohnmächtigen Rachsucht bist. Gewiß würde ich mich zu dir nicht herablassen, wenn mir ein Tyrann seine Gewalt oder der Himmel seinen Blitz anvertrauen wollte. Doch wann du mich nur zu meinem Zwecke bringst! Der Anfang verspricht es; und Mellefont scheinet noch sichrer werden zu wollen. Wenn mir meine List gelingt, daß ich mit seiner Sara allein sprechen kann: so ja, so ist es doch noch sehr ungewiß, ob es mir etwas helfen wird. Die Wahrheiten von dem Mellefont werden ihr vielleicht nichts Neues sein; die Verleumdungen wird sie vielleicht nicht glauben und die Drohungen vielleicht verachten. Aber doch soll sie Wahrheit, Verleumdung und Drohungen von mir hören. Es wäre schlecht, wenn sie in ihrem Gemüte ganz und gar keinen Stachel zurückließen. Still! sie kommen. Ich bin nun nicht mehr Marwood; ich bin eine nichtswürdige Verstoßene, die durch kleine Kunstgriffe die Schande von sich abzuwehren sucht; ein getretner Wurm, der sich krümmet und dem, der ihn getreten hat, wenigstens die Ferse gern verwunden möchte.
Sara. Mellefont. Marwood.
Sara. Ich freue mich, Lady, daß meine Unruhe vergebens gewesen ist.
Marwood. Ich danke Ihnen, Miß. Der Zufall war zu klein, als daß er Sie hätte beunruhigen sollen.
Mellefont. Lady will sich Ihnen empfehlen, liebste Sara.
Sara. So eilig, Lady?
Marwood. Ich kann es für die, denen an meiner Gegenwart in London gelegen ist, nicht genug sein.
Sara. Sie werden doch heute nicht wieder aufbrechen?
Marwood. Morgen mit dem Frühsten.
Mellefont. Morgen mit dem Frühsten, Lady? Ich glaubte, noch heute.
Sara. Unsere Bekanntschaft, Lady, fängt sich sehr im Vorbeigehn an. Ich schmeichle mir, in Zukunft eines nähern Umgangs mit Ihnen gewürdiget zu werden.
Marwood. Ich bitte um Ihre Freundschaft, Miß.
Mellefont. Ich stehe Ihnen dafür, liebste Sara, daß diese Bitte der Lady aufrichtig ist, ob ich Ihnen gleich voraussagen muß, daß Sie einander ohne Zweifel lange nicht wiedersehen werden. Lady wird sich mit uns sehr selten an einem Orte aufhalten können
Marwood (beiseite). Wie fein!
Sara. Mellefont, das heißt mir eine sehr angenehme Hoffnung rauben.
Marwood. Ich werde am meisten dabei verlieren, glückliche Miß.
Mellefont. Aber in der Tat, Lady, wollen Sie erst morgen früh wieder fort?
Marwood. Vielleicht auch eher. (Beiseite.) Es will noch niemand kommen!
Mellefont. Auch wir wollen uns nicht lange mehr hier aufhalten. Nicht wahr, liebste Miß, es wird gut sein, wenn wir unserer Antwort ungesäumt nachfolgen? Sir William kann unsere Eilfertigkeit nicht übelnehmen.
Betty. Mellefont. Sara. Marwood.
Mellefont. Was willst du, Betty?
Betty. Man verlangt Sie unverzüglich zu sprechen.
Marwood (beiseite). Ha! nun kömmt es drauf an
Mellefont. Mich? unverzüglich? Ich werde gleich kommen. Lady, ist es Ihnen gefällig, Ihren Besuch abzukürzen?
Sara. Warum das, Mellefont? Lady wird so gütig sein und bis zu Ihrer Zurückkunft warten.
Marwood. Verzeihen Sie, Miß; ich kenne meinen Vetter Mellefont und will mich lieber mit ihm wegbegeben.
Betty. Der Fremde, mein Herr Er will Sie nur auf ein Wort sprechen. Er sagt, er habe keinen Augenblick zu versäumen
Mellefont. Geh nur; ich will gleich bei ihm sein Ich vermute, Miß, daß es eine endliche Nachricht von dem Vergleiche sein wird, dessen ich gegen Sie gedacht habe.
(Betty gehet ab.)
Marwood (beiseite). Gute Vermutung!
Mellefont. Aber doch, Lady
Marwood. Wenn Sie es denn befehlen Miß, so muß ich mich Ihnen
Sara. Nein doch, Mellefont: Sie werden mir ja das Vergnügen nicht mißgönnen, Lady Solmes so lange unterhalten zu dürfen?
Mellefont. Sie wollen es, Miß?
Sara. Halten Sie sich nicht auf, liebster Mellefont, und kommen Sie nur bald wieder. Aber mit einem freudigern Gesichte, will ich wünschen! Sie vermuten ohne Zweifel eine unangenehme Nachricht. Lassen Sie sich nichts anfechten; ich bin begieriger, zu sehen, ob Sie allenfalls auf eine gute Art mich einer Erbschaft vorziehen können, als ich begierig bin, Sie in dem Besitze derselben zu wissen.
Mellefont. Ich gehorche. (Warnend.) Lady, ich bin ganz gewiß den Augenblick wieder hier. (Geht ab.)
Marwood (beiseite). Glücklich!
Sara. Marwood.
Sara. Mein guter Mellefont sagt seine Höflichkeiten manchmal mit einem ganz falschen Tone. Finden Sie es nicht auch, Lady?
Marwood. Ohne Zweifel bin ich seiner Art schon allzu gewohnt, als daß ich so etwas bemerken könnte.
Sara. Wollen sich Lady nicht setzen?
Marwood. Wenn Sie befehlen, Miß (Beiseite, indem sie sich setzen.) Ich muß diesen Augenblick nicht ungebraucht vorbeistreichen lassen.
Sara. Sagen Sie mir, Lady, werde ich nicht das glücklichste Frauenzimmer mit meinem Mellefont werden?
Marwood. Wenn sich Mellefont in sein Glück zu finden weiß, so wird ihn Miß Sara zu der beneidenswürdigsten Mannsperson machen. Aber
Sara. Ein Aber und eine so nachdenkliche Pause, Lady
Marwood. Ich bin offenherzig, Miß
Sara. Und dadurch unendlich schätzbarer
Marwood. Offenherzig nicht selten bis zur Unbedachtsamkeit. Mein Aber ist der Beweis davon. Ein sehr unbedächtiges Aber!
Sara. Ich glaube nicht, daß mich Lady durch diese Ausweichung noch unruhiger machen wollen. Es mag wohl eine grausame Barmherzigkeit sein, ein Übel, das man zeigen könnte, nur argwöhnen zu lassen.
Marwood. Nicht doch, Miß; Sie denken bei meinem Aber viel zu viel. Mellefont ist mein Anverwandter
Sara. Desto wichtiger wird die geringste Einwendung, die Sie wider ihn zu machen haben.
Marwood. Aber wenn Mellefont auch mein Bruder wäre, so muß ich Ihnen doch sagen, daß ich mich ohne Bedenken einer Person meines Geschlechts gegen ihn annehmen würde, wenn ich bemerkte, daß er nicht rechtschaffen genug an ihr handle. Wir Frauenzimmer sollten billig jede Beleidigung, die einer einzigen von uns erwiesen wird, zu Beleidigungen des ganzen Geschlechts und zu einer allgemeinen Sache machen, an der auch die Schwester und Mutter des Schuldigen Anteil zu nehmen sich nicht bedenken müßten.
Sara. Diese Anmerkung
Marwood. Ist schon dann und wann in zweifelhaften Fällen meine Richtschnur gewesen.
Sara. Und verspricht mir Ich zittere
Marwood. Nein, Miß; wenn Sie zittern wollen Lassen Sie uns von etwas anderm sprechen
Sara. Grausame Lady!
Marwood. Es tut mir leid, daß ich verkannt werde. Ich wenigstens, wenn ich mich in Gedanken an Miß Sampsons Stelle setze, würde jede nähere Nachricht, die man mir von demjenigen geben wollte, mit dessen Schicksale ich das meinige auf ewig zu verbinden bereit wäre, als eine Wohltat ansehen.
Sara. Was wollen Sie, Lady? Kenne ich meinen Mellefont nicht schon? Glauben Sie mir, ich kenne ihn wie meine eigne Seele. Ich weiß, daß er mich liebt
Marwood. Und andre
Sara. Geliebt hat. Auch das weiß ich. Hat er mich lieben sollen, ehe er von mir etwas wußte? Kann ich die einzige zu sein verlangen, die für ihn Reize genug gehabt hat? Muß ich mir es nicht selbst gestehen, daß ich mich, ihm zu gefallen, bestrebt habe? Ist er nicht liebenswürdig genug, daß er bei mehrern dieses Bestreben hat erwecken müssen? Und ist es nicht natürlich, wenn mancher dieses Bestreben gelungen ist?
Marwood. Sie verteidigen ihn mit ebender Hitze und fast mit ebenden Gründen, mit welchen ich ihn schon oft verteidiget habe. Es ist kein Verbrechen, geliebt haben; noch viel weniger ist es eines, geliebet worden sein. Aber die Flatterhaftigkeit ist ein Verbrechen.
Sara. Nicht immer; denn oft, glaube ich, wird sie durch die Gegenstände der Liebe entschuldiget, die es immer zu bleiben selten verdienen.
Marwood. Miß Sampsons Sittenlehre scheinet nicht die strengste zu sein.
Sara. Es ist wahr; die, nach der ich diejenigen zu richten pflege, welche es selbst gestehen, daß sie auf Irrwegen gegangen sind, ist die strengste nicht. Sie muß es auch nicht sein. Denn hier kömmt es nicht darauf an, die Schranken zu bestimmen, die uns die Tugend bei der Liebe setzt, sondern bloß darauf, die menschliche Schwachheit zu entschuldigen, wenn sie in diesen Schranken nicht geblieben ist, und die daraus entstehenden Folgen nach den Regeln der Klugheit zu beurteilen. Wenn zum Exempel ein Mellefont eine Marwood liebt und sie endlich verläßt; so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es wäre ein Unglück, wenn er eine Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben müßte.
Marwood. Aber, Miß, kennen Sie denn diese Marwood, welche Sie so getrost eine Lasterhafte nennen?
Sara. Ich kenne sie aus der Beschreibung des Mellefont.
Marwood. Des Mellefont? Ist es Ihnen denn nie beigefallen, daß Mellefont in seiner eigenen Sache nichts anders als ein sehr ungültiger Zeuge sein könne?
Sara. Nun merke ich es erst, Lady, daß Sie mich auf die Probe stellen wollen. Mellefont wird lächeln, wenn Sie es ihm wiedersagen werden, wie ernsthaft ich mich seiner angenommen.
Marwood. Verzeihen Sie, Miß; von dieser Unterredung muß Mellefont nichts wiedererfahren. Sie denken zu edel, als daß Sie, zum Danke für eine wohlgemeinte Warnung, eine Anverwandte mit ihm entzweien wollten, die sich nur deswegen wider ihn erklärt, weil sie sein unwürdiges Verfahren gegen mehr als eine der liebenswürdigsten Personen unsers Geschlechts so ansieht, als ob sie selbst darunter gelitten hätte.
Sara. Ich will niemand entzweien, Lady; und ich wünschte, daß es andre ebensowenig wollten.
Marwood. Soll ich Ihnen die Geschichte der Marwood in wenig Worten erzählen?
Sara. Ich weiß nicht Aber doch ja, Lady; nur mit dem Beding, daß Sie davon aufhören sobald Mellefont zurückkömmt. Er möchte denken, ich hätte mich aus eignem Triebe darnach erkundiget; und ich wollte nicht gern, daß er mir eine ihm so nachteilige Neubegierde zutrauen könnte.
Marwood. Ich würde Miß Sampson um gleiche Vorsicht gebeten haben, wenn sie mir nicht zuvorgekommen wäre. Er muß es auch nicht argwöhnen können, daß Marwood unser Gespräch gewesen ist; und Sie werden so behutsam sein, Ihre Maßregeln ganz in der Stille darnach zu nehmen. Hören Sie nunmehr! Marwood ist aus einem guten Geschlechte. Sie war eine junge Witwe, als sie Mellefont bei einer ihrer Freundinnen kennenlernte. Man sagt, es habe ihr weder an Schönheit noch an derjenigen Anmut gemangelt, ohne welche die Schönheit tot sein würde. Ihr guter Name war ohne Flecken. Ein einziges fehlte ihr: Vermögen. Alles, was sie besessen hatte und es sollen ansehnliche Reichtümer gewesen sein, hatte sie für die Befreiung eines Mannes aufgeopfert, dem sie nichts in der Welt vorenthalten zu dürfen glaubte, nachdem sie ihm einmal ihr Herz und ihre Hand schenken wollen.
Sara. Wahrlich ein edler Zug, Lady, von dem ich wollte, daß er in einem bessern Gemälde prangte!
Marwood. Des Mangels an Vermögen ungeachtet ward sie von Personen gesucht, die nichts eifriger wünschten, als sie glücklich zu machen. Unter diesen reichen und vornehmen Anbetern trat Mellefont auf. Sein Antrag war ernstlich, und der Überfluß, in welchen er die Marwood zu setzen versprach, war das geringste, worauf er sich stützte. Er hatte es bei der ersten Unterredung weg, daß er mit keiner Eigennützigen zu tun habe, sondern mit einem Frauenzimmer, voll des zärtlichsten Gefühls, welches eine Hütte einem Palaste würde vorgezogen haben, wenn sie in jener mit einer geliebten und in diesem mit einer gleichgültigen Person hätte leben sollen.
Sara. Wieder ein Zug, den ich der Marwood nicht gönne. Schmeicheln Sie ihr ja nicht mehr, Lady; oder ich möchte sie am Ende bedauern müssen.
Marwood. Mellefont war eben im Begriffe, sich auf die feierlichste Art mit ihr zu verbinden, als er Nachricht von dem Tode eines Vetters bekam, welcher ihm sein ganzes Vermögen mit der Bedingung hinterließ, eine weitläuftige Anverwandte zu heiraten. Hatte Marwood seinetwegen reichere Verbindungen ausgeschlagen, so wollte er ihr nunmehr an Großmut nichts nachgeben. Er war willens, ihr von dieser Erbschaft eher nichts zu sagen, als bis er sich derselben durch sie würde verlustig gemacht haben. Nicht wahr, Miß, das war groß gedacht?
Sara. O Lady, wer weiß es besser als ich, daß Mellefont das edelste Herz besitzt?
Marwood. Was aber tat Marwood? Sie erfuhr es unter der Hand, noch spät an einem Abende, wozu sich Mellefont ihrentwegen entschlossen hätte. Mellefont kam des Morgens, sie zu besuchen, und Marwood war fort.
Sara. Wohin? Warum?
Marwood. Er fand nichts als einen Brief von ihr, worin sie ihm entdeckte, daß er sich keine Rechnung machen dürfe, sie jemals wiederzusehen. Sie leugne es zwar nicht, daß sie ihn liebe; aber eben deswegen könne sie sich nicht überwinden, die Ursache einer Tat zu sein, die er notwendig einmal bereuen müsse. Sie erlasse ihn seines Versprechens und ersuche ihn, ohne weiteres Bedenken, durch die Vollziehung der in dem Testamente vorgeschriebnen Verbindung, in den Besitz eines Vermögens zu treten, welches ein Mann von Ehre zu etwas Wichtigerm brauchen könne, als einem Frauenzimmer eine unüberlegte Schmeichelei damit zu machen.
Sara. Aber, Lady, warum leihen Sie der Marwood so vortreffliche Gesinnungen? Lady Solmes kann derselben wohl fähig sein, aber nicht Marwood. Gewiß Marwood nicht.
Marwood. Es ist nicht zu verwundern, Miß, daß Sie wider sie eingenommen sind. Mellefont wollte über den Entschluß der Marwood von Sinnen kommen. Er schickte überall Leute aus, sie wieder aufzusuchen; und endlich fand er sie.
Sara. Weil sie sich finden lassen wollte, ohne Zweifel.
Marwood. Keine bittere Glossen, Miß! Sie geziemen einem Frauenzimmer von einer sonst so sanften Denkungsart nicht. Er fand sie, sag ich; und fand sie unbeweglich. Sie wollte seine Hand durchaus nicht annehmen; und alles, was er von ihr erhalten konnte, war dieses, daß sie nach London zurückzukommen versprach. Sie wurden eins, ihre Vermählung so lange auszusetzen, bis die Anverwandte, des langen Verzögerns überdrüssig, einen Vergleich vorzuschlagen gezwungen sei. Unterdessen konnte sich Marwood nicht wohl der täglichen Besuche des Mellefont entbrechen, die eine lange Zeit nichts als ehrfurchtsvolle Besuche eines Liebhabers waren, den man in die Grenzen der Freundschaft zurückgewiesen hat. Aber wie unmöglich ist es, daß ein hitziges Temperament diese engen Grenzen nicht überschreiten sollte! Mellefont besitzt alles, was uns eine Mannsperson gefährlich machen kann. Niemand kann hiervon überzeugter sein als Miß Sampson selbst.
Sara. Ach!
Marwood. Sie seufzen? Auch Marwood hat über ihre Schwachheit mehr als einmal geseufzet und seufzet noch.
Sara. Genug, Lady, genug; diese Wendung, sollte ich meinen, war mehr als eine bittere Glosse, die Sie mir zu untersagen beliebten.
Marwood. Ihre Absicht war nicht, zu beleidigen, sondern bloß die unglückliche Marwood Ihnen in einem Lichte zu zeigen, in welchem Sie am richtigsten von ihr urteilen könnten. Kurz, die Liebe gab dem Mellefont die Rechte eines Gemahls; und Mellefont hielt es länger nicht für nötig, sie durch die Gesetze gültig machen zu lassen. Wie glücklich wäre Marwood, wenn sie, Mellefont und der Himmel nur allein von ihrer Schande wüßten! Wie glücklich, wenn nicht eine jammernde Tochter dasjenige der ganzen Welt entdeckte, was sie vor sich selbst verbergen zu können wünschte!
Sara. Was sagen Sie, Lady? Eine Tochter
Marwood. Ja, Miß, eine unglückliche Tochter verlieret durch die Darzwischenkunft der Sara Sampson alle Hoffnung, ihre Eltern jemals ohne Abscheu nennen zu können.
Sara. Schreckliche Nachricht! Und dieses hat mir Mellefont verschwiegen? Darf ich es auch glauben, Lady?
Marwood. Sie dürfen sicher glauben, Miß, daß Ihnen Mellefont vielleicht noch mehr verschwiegen hat.
Sara. Noch mehr? Was könnte er mir noch mehr verschwiegen haben?
Marwood. Dieses, daß er die Marwood noch liebt.
Sara. Sie töten mich, Lady!
Marwood. Es ist unglaublich, daß sich eine Liebe, welche länger als zehn Jahr gedauert hat, so geschwind verlieren könne. Sie kann zwar eine kurze Verfinsterung leiden, weiter aber auch nichts als eine kurze Verfinsterung, aus welcher sie hernach mit neuem Glanze wieder hervorbricht. Ich könnte Ihnen eine Miß Oklaff, eine Miß Dorkas, eine Miß Moor und mehrere nennen, welche, eine nach der andern, der Marwood einen Mann abspenstig zu machen drohten, von welchem sie sich am Ende auf das grausamste hintergangen sahen. Er hat einen gewissen Punkt, über welchen er sich nicht bringen läßt, und sobald er diesen scharf in das Gesicht bekömmt, springt er ab. Gesetzt aber, Miß, Sie wären die einzige Glückliche, bei welcher sich alle Umstände wider ihn erklärten; gesetzt, Sie brächten ihn dahin, daß er seinen nunmehr zur Natur gewordenen Abscheu gegen ein förmliches Joch überwinden müßte: glaubten Sie wohl dadurch seines Herzens versichert zu sein?
Sara. Ich Unglückliche! Was muß ich hören!
Marwood. Nichts weniger. Alsdann würde er eben am allerersten in die Arme derjenigen zurückeilen, die auf seine Freiheit so eifersüchtig nicht gewesen. Sie würden seine Gemahlin heißen, und jene würde es sein.
Sara. Martern Sie mich nicht länger mit so schrecklichen Vorstellungen! Raten Sie mir vielmehr, Lady, ich bitte Sie, raten Sie mir, was ich tun soll. Sie müssen ihn kennen. Sie müssen es wissen, durch was es etwa noch möglich ist, ihm ein Band angenehm zu machen, ohne welches auch die aufrichtigste Liebe eine unheilige Leidenschaft bleibet.
Marwood. Daß man einen Vogel fangen kann, Miß, das weiß ich wohl. Aber daß man ihm seinen Käfig angenehmer als das freie Feld machen könne, das weiß ich nicht. Mein Rat wäre also, ihn lieber nicht zu fangen und sich den Verdruß über die vergebne Mühe zu ersparen. Begnügen Sie sich, Miß, an dem Vergnügen, ihn sehr nahe an Ihrer Schlinge gesehen zu haben; und weil Sie voraussehen können, daß er die Schlinge ganz gewiß zerreißen werde, wenn Sie ihn vollends hineinlockten, so schonen Sie Ihre Schlinge und locken ihn nicht herein.
Sara. Ich weiß nicht, ob ich dieses tändelnde Gleichnis recht verstehe, Lady
Marwood. Wenn Sie verdrießlich darüber geworden sind, so haben Sie es verstanden. Mit einem Worte, Ihr eigner Vorteil sowohl als der Vorteil einer andern, die Klugheit sowohl als die Billigkeit können und sollen Miß Sampson bewegen, ihre Ansprüche auf einen Mann aufzugeben, auf den Marwood die ersten und stärksten hat. Noch stehen Sie, Miß, mit ihm so, daß Sie, ich will nicht sagen mit vieler Ehre, aber doch ohne öffentliche Schande von ihm ablassen können. Eine kurze Verschwindung mit einem Liebhaber ist zwar ein Fleck, aber doch ein Fleck, den die Zeit ausbleichet. In einigen Jahren ist alles vergessen, und es finden sich für eine reiche Erbin noch immer Mannspersonen, die es so genau nicht nehmen. Wenn Marwood in diesen Umständen wäre und sie brauchte weder für ihre im Abzuge begriffene Reize einen Gemahl noch für ihre hilflose Tochter einen Vater, so weiß ich gewiß, Marwood würde gegen Miß Sampson großmütiger handeln, als Miß Sampson gegen die Marwood zu handeln schimpfliche Schwierigkeiten macht.
Sara (indem sie unwillig aufsteht). Das geht zu weit! Ist dieses die Sprache einer Anverwandten des Mellefont? Wie unwürdig verrät man Sie, Mellefont! Nun merke ich es, Lady, warum er Sie so ungern bei mir allein lassen wollte. Er mag es schon wissen, wieviel man von Ihrer Zunge zu fürchten habe. Eine giftige Zunge! Ich rede dreist! Denn Lady haben lange genug unanständig geredet. Wodurch hat Marwood sich eine solche Vorsprecherin erwerben können, die alle ihre Erfindungskraft aufbietet, mir einen blendenden Roman von ihr aufzudrängen, und alle Ränke anwendet, mich gegen die Redlichkeit eines Mannes argwöhnisch zu machen, der ein Mensch, aber kein Ungeheuer ist? Ward es mir nur deswegen gesagt, daß sich Marwood einer Tochter von ihm rühme; ward mir nur deswegen diese und jene betrogene Miß genannt, damit man mir am Ende auf die empfindlichste Art zu verstehen geben könne, ich würde wohl tun, wenn ich mich selbst einer verhärteten Buhlerin nachsetzte?
Marwood. Nur nicht so hitzig, mein junges Frauenzimmer. Eine verhärtete Buhlerin? Sie brauchen wahrscheinlicherweise Worte, deren Kraft Sie nicht überleget haben.
Sara. Erscheint sie nicht als eine solche, selbst in der Schilderung der Lady Solmes? Gut, Lady; Sie sind ihre Freundin, ihre vertrauteste Freundin vielleicht. Ich sage dieses nicht als einen Vorwurf; denn es kann leicht in der Welt nicht wohl möglich sein, nur lauter tugendhafte Freunde zu haben. Allein wie komme ich dazu, dieser Ihrer Freundschaft wegen so tief herabgestoßen zu werden? Wenn ich der Marwood Erfahrung gehabt hätte, so würde ich den Fehltritt gewiß nicht getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt. Hätte ich ihn aber doch getan, so würde ich wenigstens nicht zehn Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus Unwissenheit auf das Laster treffen, und ganz etwas anders, es kennen und demungeachtet mit ihm vertraulich werden. Ach, Lady, wenn Sie es wüßten, was für Reue, was für Gewissensbisse, was für Angst mich mein Irrtum gekostet! Mein Irrtum, sag ich; denn warum soll ich länger so grausam gegen mich sein und ihn als ein Verbrechen betrachten? Der Himmel selbst hört auf, ihn als ein solches anzusehen; er nimmt die Strafe von mir und schenkt mir einen Vater wieder Ich erschrecke, Lady; wie verändern sich auf einmal die Züge Ihres Gesichts? Sie glühen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende Bewegung Ach! wo ich Sie erzürnt habe, Lady, so bitte ich um Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Närrin; was Sie gesagt haben, war ohne Zweifel so böse nicht gemeint. Vergessen Sie meine Übereilung. Wodurch kann ich Sie besänftigen? Wodurch kann auch ich mir eine Freundin an Ihnen erwerben, so wie sie Marwood an Ihnen gefunden hat? Lassen Sie mich, Lady, lassen Sie mich fußfällig darum bitten (indem sie niederfällt), um Ihre Freundschaft, Lady Und wo ich diese nicht erhalten kann, um die Gerechtigkeit wenigstens, mich und Marwood nicht in einen Rang zu setzen.
Marwood (die einige Schritte stolz zurücktritt und die Sara liegen läßt). Diese Stellung der Sara Sampson ist für Marwood viel zu reizend, als daß sie nur unerkannt darüber frohlocken sollte Erkennen Sie, Miß, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden die Marwood selbst fußfällig bitten.
Sara (die voller Erschrecken aufspringt und sich zitternd zurückzieht). Sie Marwood? Ha! Nun erkenn ich sie nun erkenn ich sie, die mördrische Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preisgab. Sie ist es! Flieh, unglückliche Sara! Retten Sie mich, Mellefont; retten Sie Ihre Geliebte! Und du, süße Stimme meines geliebten Vaters, erschalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen? hier? da? Hilfe, Mellefont! Hilfe, Betty! Itzt dringt sie mit tötender Faust auf mich ein! Hilfe! (Eilt ab.)
Marwood. Was will die Schwärmerin? O daß sie wahr red'te und ich mit tötender Faust auf sie eindränge! Bis hieher hätte ich den Stahl sparen sollen, ich Törichte! Welche Wollust, eine Nebenbuhlerin in der freiwilligen Erniedrigung zu unsern Füßen durchbohren zu können! Was nun? Ich bin entdeckt. Mellefont kann den Augenblick hier sein. Soll ich ihn fliehen? Soll ich ihn erwarten? Ich will ihn erwarten, aber nicht müßig. Vielleicht, daß ihn die glückliche List meines Bedienten noch lange genug aufhält! Ich sehe, ich werde gefürchtet. Warum folge ich ihr also nicht? Warum versuche ich nicht noch das letzte, das ich wider sie brauchen kann? Drohungen sind armselige Waffen: doch die Verzweiflung verschmäht keine, so armselig sie sind. Ein schreckhaftes Mädchen, das betäubt und mit zerrütteten Sinnen schon vor meinem Namen flieht, kann leicht fürchterliche Worte für fürchterliche Taten halten. Aber Mellefont? Mellefont wird ihr wieder Mut machen und sie über meine Drohungen spotten lehren. Er wird? Vielleicht wird er auch nicht. Es wäre wenig in der Welt unternommen worden, wenn man nur immer auf den Ausgang gesehen hätte. Und bin ich auf den unglücklichsten nicht schon vorbereitet? Der Dolch war für andre, das Gift ist für mich! Das Gift für mich! Schon längst mit mir herumgetragen, wartet es hier, dem Herzen bereits nahe, auf den traurigen Dienst; hier, wo ich in bessern Zeiten die geschriebenen Schmeicheleien der Anbeter verbarg; für uns ein ebenso gewisses, aber nur langsamres Gift. Wenn es doch nur bestimmt wäre, in meinen Adern nicht allein zu toben! Wenn es doch einem Ungetreuen Was halte ich mich mit Wünschen auf? Fort! Ich muß weder mich noch sie zu sich selbst kommen lassen. Der will sich nichts wagen, der sich mit kaltem Blute wagen will. (Gehet ab.)
(Ende des vierten Aufzuges.)