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Ich bebte vor Wonne, wie er selbst. Die ganze gefährliche Macht solchen Schweigens wuchtete sich über uns und bedrohte mich mit seiner Gewalt. Wie ich nun so dasaß, eingewiegt in die berauschende Wonne seiner Nähe, so fühlte ich dies Gefühl zu einer so exzessiven Höhe erwachsen, daß meine junge Natur in ganz oppositionelle Empfindung übersprang und von einem Extrem in das andere vaguierte. Ich brach in das inertinguibelste Lachen aus, so daß Bonaventura mich erschrocken fragte, was mir begegnet sei?
»O mein Bonaventura!« rief ich lachend aus, »ist es denn nicht zum Lachen, daß zwei Sprossen altadeliger Geschlechter eine Verlobung feiern wie die unsere? Wo ist da eine Spur von Etikette, von Konvenienz? Wo sind da alle Präliminarien solcher Verbindungen? Aber das gerade entzückt mich. Das gerade ist absolut vornehm, denn es ist über alle Berechnung erhaben. So, ohne Frage um alle irdischen Interessen, kann sich nur die Creme der Aristokratie verbinden, die wie Lilien auf dem Felde leben, ohne zu denken, daß man arbeiten und sich kleiden müsse; dies ist nur der Elite der Menschheit möglich, bei der diese Rücksichten fortfallen, bei der Reichtum und Adelsgleichheit und Sorgenfreiheit ein cela va sans dire sind. O mein Bonaventura! Laß uns Gott danken, daß wir zur Creme der Aristokratie gehören und diese Wonnestunde unseres Lebens ohne arrière-pensée feiern und genießen können.«
Bonaventura stimmte mir aus voller Seele bei, als der Graf und die Dornefeld uns zu suchen kamen und nun selbst lachen mußten, da sie uns erblickten; denn ein wunderlicher ajustiertes Paar hat wohl nie in den Regionen, in denen wir uns bewegten, seine Verlobung gefeiert. Bonaventura, der nach beendigten Universitätsstudien mehrere Jahre auf Reisen gewesen war, kehrte jetzt von diesen zurück. Sein Vater war ihm bis Berlin entgegengefahren, ihn auf seine Güter zu holen. Bonaventura trug den bequemen sandfarbenen Paletot moderner Touristen, die ungebleichte Leinwandweste, den grauen breitkrempigen Filzhut und die leichten Gamaschen, welche die Engländer, diese Meister des Komforts, en vogue gebracht haben. Ich hatte ein dunkelbraunes Reitkleid, das an einer Seite in die Höhe geknöpft war. Da ich alle Kleinlichkeit und alle Gene in meiner Toilette haßte, so mochte ich von Chemisetts und Krawatten und Manschetten und all den tausend aimables riens, in denen andere Frauen ihre Freude suchen, nichts wissen. Ein breiter weißer Kragen, der Hals und Brust frei ließ, fiel über meine Schultern herab und war halb verdeckt von den Locken, die, durch das Wasser beim Schwimmen geglättet und durch den Ritt noch nicht ganz getrocknet, in einer prachtvollen Grazie wie verdichtete Sonnenstrahlen um mich her funkelten.
Der Haushofmeister erschien, uns zu melden, daß der Tee serviert sei. Ich hatte in der Wonne meines Herzens nicht gedacht, daß es noch eine Teestunde auf der Welt gäbe und daß jetzt, da ich so glücklich sei, noch jemand auf Erden essen werde. Wie erschrak ich also, als Bonaventura, mir seinen Arm bietend, um mich in das Haus zu führen, mit großer Zufriedenheit in die Worte ausbrach: »O vortrefflich, meine Diogena! Du sollst es sehen, wie ich deine Gastfreiheit benutzen will. Die lange Fahrt und all die heftigen Emotionen meiner Seele machen ihr Recht geltend, und ich bringe dir einen wahren Homerischen Appetit für unsere erste gemeinsame Mahlzeit mit.«
»Das freut mich für dich!« sagte ich, aber eine Wolke des Nichtverstehens legte sich um meine Seele.
Während wir an der Tafel saßen, während Bonaventura mit großem Eifer der Mahlzeit zusprach, und, alle leichten Konfitüren vermeidend, sich die festen, nahrhaften, kalten Fleischspeisen aussuchte und dazwischen heiter mit seinem Vater und mit mir von seinem Glücke sprach, weinte mein Herz im stillen Innern die ersten bittern Tränen herben Désappointements.
Oh, er liebte mich nicht! Wie konnte er hungern und dürsten gleich einem gemeinen Menschen, der Mann, der eben erst von meinen Lippen den Nektar des ersten Kusses getrunken, der begehrt hatte, ich solle schweigen, damit er nicht der Wonne, dem Glücke erliege! Und jetzt sprach er selbst ganz heiter von den gleichgültigsten Evenements, lobte den Tee und erzählte von seinen Reisen comme si de rien n'était, und ich, ich, Diogena, saß an seiner Seite! Und ich liebte ihn! Ich glaubte es wenigstens damals. Oh, was glaubt nicht ein candides Herz mit sechzehn Jahren; was glaubt nicht eine Diogena, deren Wappen die Laterne ist und die den Rechten zu suchen prädestiniert ist, von dem unerbittlichen Fatum.
Tränen traten mir in die Augen, ich vermochte nicht zu sprechen, ich konnte nichts entgegnen auf alles, was mir Graf Mario Gütiges und Bonaventura Zärtliches sagten. Was sie von meinem Vormunde, von seiner zu fordernden Einwilligung zu unserer Verbindung, von meinen Gütern, von meinem Besitz und der Verwaltung derselben sprachen, das verstand ich nicht. Das war ja auch alles ganz unaussprechlich indifferent gegen das große Eine, unsere Liebe. Aber je länger wir beisammen waren, je mehr Graf Mario mit der Dornefeld über den Zustand meiner Untertanen zu sprechen anfing, je eifriger hörte auch Bonaventura auf diese Unterhaltung. Er sagte, die Leute seien bis jetzt mit beispiellosem Mangel an Philanthropie, mit Hintansetzung all ihrer Interessen behandelt; er sehe, daß es ihnen an dem Nötigsten fehlen müsse; er sprach von Schulenanlegen, von Hospitälern und Gott weiß, wovon noch – und ich saß an seiner Seite, und all dies wüste Gespräch fiel in meinen ersten seligen Liebestraum hinein, um mich fruchtbar schmerzlich zu erwecken. Was kümmerten mich meine Untertanen und ihr Elend oder ihr Glück? Was hatte mein prächtiger aristokratischer Egoismus zu schaffen mit den Tränen jener uneleganten, rothändigen Horden? Wie durften sie es wagen, ihre bleichen Jammergestalten zu drängen bis in die Seele eines jungen Grafen, eines Bonaventura, der eine Diogena liebte, dem eine Diogena sich gelobt seit wenig Stunden.
Ich hätte aufschreien müssen bei dem ersten Versuche zu sprechen, und um dies zu evitieren, fing ich zu essen an mit einer krampfhaften Vehemenz. Bonaventura sollte nicht sehen, wie tödlich ich litt; ich wollte ihm meine furchtbare Alteration nicht zeigen; ich gönnte ihm nicht, die Regrets zu sehen, die es mir erregte, daß er mich nicht liebte. Aber ich stand noch nicht am Ziele meiner Deceptionen. Mit Entsetzen ward ich gewahr, daß das Essen mir deliziös schmeckte. Ich fühlte, daß ich also Bonaventura nicht liebte, daß ich ihn nicht lieben könnte, nie lieben würde; denn die Liebe, die ich ersehnte, die erhob den Menschen über solch niedriges Bedürfnis, die emanzipierte ihn von allem Irdischen, soweit es sich nicht auf das geliebte Objekt bezog – und wir soupierten beide, und wir sollten uns heiraten, und ich hatte geglaubt, diesen Menschen zu lieben.
Graf Mario und Bonaventura bemerkten das Changement, das sich in mir operiert hatte, und mit jenen zärtlichen Soins, deren Naturen wie Bonaventura kapabel sind, drang er in mich, ihm den Grund meiner Verstimmung zu enthüllen. Ich schwieg standhaft. Da ich nicht glücklich sein konnte durch ihn, wollte ich wenigstens so elend als möglich werden, denn meine immense Seele strebte instinktiv nach dem Immensen und begehrte alle Radien der Seelenzustände zu durchlaufen. So nahm ich meine Resolution, heroisch mit dem Schmerze statt mit dem Glücke den Anfang zu machen.
Bonaventura war untröstlich über mein Schweigen, was kümmerte mich das in meiner Abgeschlossenheit? Ich fühlte, er war nicht der Mann, den ich ersehnt, er war nicht der Rechte, nicht mein anderes Ich selbst. Er war ein Wesen, von dem Fatum in meinen Lebensweg lanciert, um mich leiden zu machen. Ich nahm dies fatalistisch auf, mit stolzer Resignation, unbekümmert darum, ob auch Bonaventura litt. Er war nur Nebenperson in diesen Schicksalswirren, deren Mittelpunkt immer eine Frau ist, von der Trempe der Frauen unsers Hauses. Sie sind die Arc, um die sich in stupender Willen- und Anspruchslosigkeit die ganze übrige Welt zu drehen hat.
Graf Mario, von seiner himmlischen Gräfin Faustine und von meiner Mutter, der wunderbaren Sibylle, an diese kapriziösen Allüren der Frauen aus unserer Familie gewöhnt, sagte zu Bonaventura. »Laß sie, mein Sohn, und störe sie nicht. Ihr Geist hat nun einmal seine mirakulösen Allüren, und wer eine Diogena zum Weibe begehrt, muß sich beizeiten daran gewöhnen. Man muß sie lieben, denn domptieren kann man sie nicht.«
»Oder man muß liebenswert sein und von ihnen geliebt zu werden verdienen«, rief ich mit prächtiger Impertinenz und eilte auf mein Schlafzimmer, wo ich in bittere Tränen ausbrach.
Verwundert hatten mir die Grafen nachgeblickt.
Am Morgen war ich müde und abgespannt von der durchweinten Nacht, das machte mich anscheinend milder. Ich ging mit Bonaventura spazieren, ich hörte all seinen Liebesworten, seinen philanthropischen Ideen, die sein ganzes Wesen warm durchglühten, mit der Ruhe zu, mit der ein hoffnungslos Kranker, der seinen Zustand kennt und resigniert hat, auf die Trostesworte seiner Freunde hört. Seine Liebesworte fand ich kalt, seine Menschlichkeitsprinzipien, seine Ideen von der Gleichheit menschlicher Berechtigung kamen mir wahnsinnig vor. Ich schwieg und lächelte; der arme Bonaventura glaubte, ich sei glücklich.
Man hatte einen Expressen geschickt, um meinem Vormunde das Evénement zu annoncieren und seine Zustimmung zu erhalten. Sie langte am Abende des nächsten Tages an. Unsere Verbindung war so wohl assortiert, daß sie das Entzücken aller Angehörigen machte. Die Hochzeit sollte in der Mitte des Sommers gefeiert werden, und dann sollten wir reisen, weil doch ein aristokratisches Ehepaar unmöglich ruhig an Ort und Stelle bleiben konnte. Mein Schwiegervater wollte während unserer Abwesenheit die Verwaltung meiner Güter übernehmen.
Ich übergehe die ersten Tage meines Brautstandes, den Abschied von meinem Bräutigam. Ein Gefühl apathischer Stumpfheit war über mich gekommen. Manchmal meinte ich, ich müsse Bonaventura schreiben, daß ich ihn nicht liebe. Dann nahm ich die Feder zur Hand; aber kaum war es geschehen, so blickte von dem Papiere mich sein goldglänzendes Auge an. Mir war, als dränge der Strahl bis tief in meine Seele, ich fühlte seinen flammenden Atem meine Stirn berühren, seine Arme mich an sich ziehen, und seine Stimme hörte ich die Worte sprechen: »Und du willst nicht mein Weib werden?« Dann schien es mir, als müsse ich zu ihm fliegen, ihn um Verzeihung flehen, daß ich ihn nicht anbete. Ich wollte ihn heiraten, die Seine werden, aber – ich liebte ihn nicht. Ich fühlte mein Herz klopfen in gesunden, kräftigen Schlägen, ich hatte also ein Herz, und doch liebte ich den schönsten Mann nicht, den vielleicht die Erde je getragen hatte. Und Bonaventura war geistreich, edel, großmütig! Ich war mir selbst ein Rätsel.
Je näher unser Hochzeitstag kam, je mehr stieg meine Beängstigung. Da fiel ich in meiner Angoisse darauf, mich an Rosalinde zu adressieren, die mir die ersten Details über die Liebe in den höhern Sphären gegeben hatte. Die gute Dornefeld konnte mir nicht helfen, das fühlte ich klar. Ihre blöde, bornierte Weiblichkeit lag ganz außer den Grenzen einer Diogena; aber Rosalinden klagte ich meine Not. Sie hörte mir schweigend zu und sagte: »Meine Comtesse! Wie Sie ein adorabler, schuldloser Engel sind! Aber wer denkt denn daran in der vornehmen Welt, seinen Mann zu lieben? Darauf konnte nur ein so candides Geschöpf kommen wie meine holde Comtesse! Man heiratet seinen Mann, man wird die Mutter seiner Kinder, aber man liebt ihn nicht; im Gegenteil, man findet ihn unerträglich ennuyant, und er ist es auch; denn er denkt an materielle Interessen, er will sich ein Sort machen, das Sort seiner Kinder sichern, den Namen seines Hauses erheben und dergleichen. Er will ein Staatsbürger, ein Landstand oder gar ein Kosmopolit sein – solch ein Wesen kann man nicht lieben. Solch ein Wesen hat einen Schlafrock.«
»Auch in der Aristokratie?« fragte ich mit Entsetzen.
»Auch in der Aristokratie!« bestätigte Rosalinde unerbittlich und fügte hinzu: »Einen Schlafrock und oft sogar Pantoffeln, und es raucht Zigarren am Morgen und gähnt bisweilen am Abend, und liest Journale und ist in unserer Zeit, da er gewöhnlich Landbesitzer und Landstand ist, der öffentlichen Meinung des bürgerlichen Pöbels unterworfen.«
»Aber das ist ein Horreur!« rief ich und schlug schaudernd die Händchen zusammen; »aber ein solches Wesen kann man ja nicht lieben, das hat ja kaum Zeit, an die Liebe zu denken.«
»Nein! Es denkt auch gar nicht daran.«
»Aber was soll ich denn anfangen!« rief ich in Verzweiflung. »Du siehst es, Rosalinde, ich liebe meinen Bräutigam schon jetzt nicht, weil der ganze künftige Ehemann schon aus seinem Wesen hervorblüht. Ich muß ihn ja hassen und verabscheuen, wenn er wirklich ein veritabler Ehemann geworden sein wird. Was soll ich dann beginnen? Sieh, meine Verzweiflung, Rosalinde, ist so übermächtig, daß sie meine Natur bouleversiert, daß sie mich zwingt, sogar vor dir, die du mir nicht ebenbürtig bist, mein Herz auszuschütten; fühle die Ehre, die ich dir tue, hilf mir, rate mir, wen soll ich lieben? Denn lieben muß ich!«
Ich schwamm in Tränen. Ich hatte mich auf die braune Sammetcouchette meines hellblauen Salons geworfen. In dunkelblaue Shawls gehüllt, die mir von Schultern und Armen herabgeglitten waren, sah ich mit meinen goldblonden Locken, wie ich so auf der braunen Couchette dalag, wie Correggios büßende Magdalene aus, die sich in bereuendem Schmerze auf den dunkelbraunen Steinen der Felshöhle niedergeworfen hat.
Rosalinde kniete neben mir nieder, halb zu meinen Füßen hingezogen von dem Dankgefühl über die Gnade meiner Konfidenz, halb überwältigt von dem Zauber meiner faszinierenden Schönheit. Sie küßte meine fabelhaft kleinen Füßchen und sagte: »Oh, Comtesse, menagieren Sie Ihren gerechten Schmerz. Das Leben hat Kompensationen. Es ist wahr, es ist ein Horreur, daß man einen Ehemann nicht lieben kann auf jenen aristokratischen Höhen, aber es gibt Liebhaber, bezaubernde, müßige, magnifique Liebhaber, die nichts tun, nichts, absolut nichts, als lieben, und diese Liebhaber liebt man.«
Man hat von Leuten erzählt, die plötzlich von einem furchtbaren Schmerze befreit, nach vielen langen, schlaflosen Nächten, mit einer fabelhaften Spontaneität in Schlaf versinken und mirakulös geheilt erwachen. So ging es mir. Jener Revelation Rosalindens folgte seit meinem ganzen Brautstande der erste ruhige Schlaf. Ich sah einen Hoffnungsstern leuchten durch die Nacht meines Ehelebens, und mit dem Blick auf diesen Stern kam Friede und Freudigkeit in mein Herz.
Ich hatte mit Zuversicht mein Jawort am Altare gesprochen, wir waren in die Reisekalesche gestiegen und, in Baden-Baden angelangt, bald der Mittelpunkt der beau monde geworden, um den sich die Elite dieser Saison bewegte.
Mein Mann fand viele seiner Reisebekanntschaften in Baden schon anwesend und sehr begierig, mich kennenzulernen. Schon am ersten Abend präsentierte er mir drei junge Männer, den Fürsten Callenberg, einen Vicomte Servillier und einen Lord Ermanby, mit denen die Ausflüge für die nächsten Tage verabredet wurden.
Diese drei Männer waren von sehr divergierenden Charakteren. Fürst Callenberg, der Sohn des Fürsten Gotthard von Callenberg und der edlen Cornelie, Witwe des Grafen Sambach, hatte ganz das wunderbar impassible Temperament seines Vaters geerbt. Jahrelang hatte Fürst Gotthard mit einer instinktiven, nie encouragierten Treue an Gräfin Cornelie gehangen, war ihr instinktiv gefolgt und hatte konstant geschwiegen oder im Halbschlummer vor ihr in den Fauteuils gelegen, solange Eustach Graf Sambach lebte. Da er in seinem Leben nichts wahrhaft empfunden, nichts entschieden gewollt hatte und doch von der magnetischen Attraktion der Gräfin jahrelang wie ihr Schatten an sie gebannt blieb, so präsumierte er, das werde wohl Liebe sein. Er heiratete die Gräfin nach dem Tode ihres Mannes und nach der Verstoßung ihres Liebhabers, des bürgerlichen Lenor Brand.
Ich kannte zufällig diese Geschichten und Verwicklungen und war durch die superbe Herzenskälte seiner beiden Eltern zu Gunsten des jungen Fürsten präveniert. Auch entsprach er vollkommen dem edeln Bilde, das ich mir von ihm gemacht hatte. Stundenlang konnte er mit seiner Gigantentaille mir gegenüberstehen und mich regungslos anstarren, ohne eine Silbe zu sagen, ohne durch ein Zeichen zu verraten, daß er mir nur zuhöre, wenn ich sprach. Aber sowie ich mich erhob, stand auch er auf. Er trug meine Echarpe und meine Ombrelle, er machte meinen Stallmeister, wenn ich reiten wollte, holte mir den Mantel aus dem Wagen, sobald es kühl wurde, und tat all die Dienste, die bei ordinären Frauen ein indifferenter Lakai verrichtet, mit einer Devotion, mit einem Eifer, daß man sah, er werde durch den Impuls eines tiefen, sich selbst nicht bewußten Gefühls getrieben.
Ich kann nicht sagen, daß diese Art der stummen Huldigung, so sehr sie bon genre war, mich wesentlich interessiert hätte. Ich gewöhnte mich bald daran, den Fürsten mir folgen zu sehen, wie ein Planet seiner Sonne folgt, aber es ließ mich kalt. Nur wenn ich mit andern Männern sprach, wenn ich andern, brillantern Männern einen Vorzug vor ihm gab und eine Wolke schweren Dépits sich über das impassible Gesicht des Fürsten lagerte, dann machte es mir eine Art von Freude, ihn anzublicken und zu denken, daß ich selbst diesem Marmorherzen ein wenn auch nur momentanes und factices Leben einzuhauchen verstände.
Und brillanter war der Vicomte Servillier allerdings. Feurig, phantasiereich, pétillant und vacillierend wie alle Kinder der Provence, glich er auch in seinem Äußern den sinnigen, glühenden Troubadours der cours d'amours. Er machte entzückende Verse und sang sie vortrefflich nach selbst erfundenen Melodien. Gleich als mein Mann mir ihn vorstellte, sagte er mit einem Blicke, in dem sich die ganze heiße Innerlichkeit seiner Natur enthüllte: »Um Gottes willen, Bonaventura, wie kannst du in dem Strahlenglanze dieser Göttererscheinung leben, ohne zu fürchten, daß sie dich emporwirbelt von der Erde hinweg in die flammende Sonnenregion, der sie entsprossen ist!«
Es lag allerdings etwas provençalische Jactance in dieser Interjektion, aber der Graf war diese von Servillier gewohnt, und mich söhnte die Wunderlichkeit der Begrüßung mit dem Auffallenden derselben aus. Lord Ermanby sagte gar nichts, setzte sich schweigend nieder, den rötlichblonden Lockenkopf gegen einen Baumstamm, die Füße auf einen Stuhl gelegt, den er hin und her balancierte, während er den Knopf seiner Badine im Munde hielt. Er war ein Typus von good breeding.