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Man mag sagen, was man will, so ist ein Mensch, der nur alle vier Jahre einen Geburtstag hat, immer kein Mensch wie andere. Ja, einer der in seinem Leben der Geburtstage zu wenige hat, kommt mir in mancher Rücksicht nicht viel glücklicher vor, als die weitläufige Klasse von armen Teufeln, die der Väter zu viele haben; denn was ist dem unsterblichen Wesen, das in uns wohnt, angenehmer als zu sehen, ja unter der Hand auch wohl gar zu schmecken und zu riechen, daß sich außer ihm noch Wesen derselben Art seiner Existenz und seines Lebens freuen? Wäre auch die Freude dieser Wesen nicht immer die aufrichtigste, wovon man wohl Beispiele hat, gut, so ist es nicht minder angenehm zu sehen, daß diese Wesen es doch nötig finden müssen, so zu tun, als freuten sie sich. Jene aufrichtige Freude verrät zwar Liebe, das ist wahr; die nicht aufrichtige dafür aber Furcht und Respekt, die in sehr vielen Fällen unendlich mehr wert sind. Von diesen Freudenbezeichnungen nun verliert das unglückliche Geschöpf, das am 29sten Februar geboren ist, nach einer leichten Berechnung, in seinem Leben wenigstens bare 75 Prozent in Vergleich mit andern Menschen. Das ist etwas hart. Es sei nun das, was eingebüßt wird, ein Wunsch in Prosa, ein Carmen oder ein wirkliches Gedicht; es seien Bänder, Blumen, Kuchen, Feuerwerke, Illuminationen und Kanonaden, so sind immer die 75 Prozent davon weg wie weggeblasen. Ja, die Sache kann sehr wichtig werden. Gesetzt, der Unglückliche sei der Regent eines Reichs oder einer Stadtschule, der das Recht hat, freiwillige Geschenke an seinem Geburtstage zu erpressen, wie kann ein solcher ein Geschenk verlangen, das an einem Tage zahlbar ist, der in drei Jahren gegen eins gar nicht existiert? Sind die 29sten Februare in Jahren, wo dieser Monat nur 28 hat, also nicht die wahren Calendae graecae? Ja, wenn die griechischen Calendae bloß ein poetisches Nichts sind, wofür sich sublime, antiquarische Pedanterei diesen artigen Ausdruck schuf, so sind die 29sten Februare dreimal in vier Jahren ein wahres, solides, prosaisches Nichts des gemeinen Lebens und der alltäglichen Haushaltung; das ist ganz was anderes. Von jenem spricht man, und dieses fühlt man. - Das Bisherige galt bloß das Physische bei dieser Verkürzung; von der moralischen Seite ist der Verlust noch sehr viel größer. Denn, da jeder Mensch bekanntlich an seinem Geburtstage sich irgend etwas künftig zu tun oder zu lassen ernstlich vornimmt, z. B., wie D. Johnson, künftig früher aufzustehen oder die Bibel im nächsten Jahre ganz gewiß durchzulesen oder, wie jene Dame, keinen Branntwein mehr zu trinken; so kommt ein solcher Mensch natürlich auch um alle diese heilsamen Entschließungen, und man weiß wohl, wie es mit der Ausführung steht, wenn man gar nicht einmal zur Entschließung kommen kann. - Aber der Neujahrstag, sagt man, bleibt ihnen doch noch. - Das ist keine Antwort, den Neujahrstag haben die gewöhnlichen Menschen auch, also den 75 Prozenten geht auch hier nichts ab. Ja, was endlich das Traurigste ist, so wird dieses Unheil, wie manches andere, das uns dieses Jahrhundert zugeführt hat, ebenfalls gegen das Ende desselben ärger. Wenn nämlich das Jahr 1796 vorbei ist (das letzte Schaltjahr in diesem Jahrhundert), so haben wir in acht Jahren keines wieder. Also ein Kind, das den 29. Februar 1796 geboren würde und etwa den 28. Februar 1804 stürbe, wäre acht Jahre alt geworden, ohne einen einzigen wahren Geburtstag erlebt zu haben, den kümmerlichen etwa ausgenommen, an dem es geboren worden ist, der gar nicht in Rechnung kommen darf und kann und in dem wahren Gratulantensinn des Worts kein eigentlicher Geburtstag ist. - Doch nun nicht eine Silbe weiter in diesem Ton, der, wie wir selbst fühlen, schon zu lange gehalten worden ist. Wir würden dieses lächerliche Thema gar nicht berührt haben, wenn nicht die Frage: wann soll ein am 29. Februar Geborner seinen Geburtstag feiern, in einem berühmten Journal ziemlich ernstlich aufgeworfen und - unbeantwortet geblieben wäre. Hier ist die Antwort und der Trost:
Der Mensch wird zwar an einem gewissen Tage, an einem gewissen Datum geboren, allein sein Eintritt in die Welt, sein erster Atemzug ist das Werk eines Augenblicks. In diesem Punkt von Zeit steht die Sonne in einem gewissen Punkt der Eklipik. Er wird also genau ein Jahr alt sein, wenn die Sonne das nächste Mal wieder in demselben Punkt der Eklipik steht, und der bürgerliche Tag, in welchen jener Zeitpunkt fällt, ist der Geburtstag des Menschen im eigentlichen Verstande, er heiße nun übrigens im Kalender, wie er wolle. Dieses ist, dünkt mich, sehr klar. Das Problem: wann soll ich meinen Geburtstag feiern, wenn ich am 29. Februar geboren bin, wird also auf folgende Weise vollkommen aufgelöst werden und, im Rezept- und Problemlösungsstil abgefaßt, etwa so lauten:
Wer am 29sten Februar morgens um 12 Uhr geboren ist, feiert seinen Geburtstag oder eigentlich Geburtsstunde, das nächste Jahr den 28. Februar morgens um 6,
das 2te Jahr den 28. Februar mittags um 12,
das 3te Jahr den 28. Febr. abends um 6,
das 4te Jahr den 29. Februar um 12 des Morgens.
Am 29. Februar um 6 des Morgens geboren:
das 1ste Jahr den 28. Februar um 12 des Mittags,
das 2te Jahr den 28. Februar um 6 des Abends,
das 3te Jahr den 28. Februar um 12 des Nachts oder den ersten März,
das 4te Jahr den 29. Februar um 6 des Morgens.
Am 29. Februar um 12 mittags geboren:
das 1ste Jahr den 28. Febr. um 6 des Abends,
das 2te Jahr den 28. Febr. um 12 des Nachts oder am ersten März,
das 3te Jahr den ersten März um 6 Uhr des Morgens,
das 4te Jahr den 29sten Februar um 12 des Mittags.
Am 29. Februar abends um 6 geboren:
das 1ste Jahr den 28. Februar nachts um 12 oder am ersten März,
das 2te Jahr den 1. März um 6 des Morgens,
das 3te Jahr den 1. März um 12 mittags,
das 4te Jahr den 29. Februar um 6 des Abends.
Man sieht hieraus, daß man seine Geburtsstunde, wodurch der Geburtstag bestimmt wird, jedes Jahr um 6 Stunden später feiern muß, so lange bis das Schaltjahr die Sache wieder ins Gleichgewicht bringt. Nun noch ein paar Worte für das Jahr 1800, das kein Schaltjahr sein wird. Ein Kind, das z. B. den 29. Februar 1796 nachts um 11 Uhr geboren würde, muß nach dieser Regel im Jahr 1803 seine Geburtsstunde sogar den 2ten März abends um 5 Uhr feiern. Warum das Jahr 1800, auch das 1900, kein Schaltjahr sein wird, sondern erst das 2.000 wieder (vorausgesetzt, daß sonst alles beim alten bleibt), wollen wir im Kalender für das Jahr 1800 erklären. Man wird aber sehr viel besser tun, es bis dahin selbst zu lernen. Nun das Resultat ist kurz. Will man seinen Geburtstag oder vielmehr die Stunde nur jedesmal alsdann feiern, wenn Datum und Tageszeit zugleich eintreffen, so kann sie jeder Mensch überhaupt nur alle vier Jahre einmal richtig feiern. Der am 29sten Februar Geborne verfährt also sehr richtig, wenn er seinen Geburtstag bald den 28. Februar bald den ersten März feiert. Der Unwissende glaubt, er irre, da er doch nicht irrt. Der an einem andern Tage Geborne, der ihn nach dem Datum feiert, irrt oft wirklich, allein es merkt es niemand. So kommt es also auch hier wie bei tausend andern Vorfällen des Lebens auf Lage und Umstände an. Nachdem diese günstig sind oder ungünstig, kann man bald mit allen seinen Irrtümern für weise und bald mit aller seiner Weisheit für ein gar irriges Schaf gehalten werden.