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Neulich meinte Wöfflin in einem kleinen Aufsatz über das Zeichnen, daß jeder, der einen Kopf gut zeichnen könnte, auch gut zu schreiben verstände. Ob das nicht zu viel behauptet ist, will ich als Maler nicht untersuchen, aber das glaube ich mit Recht behaupten zu dürfen, daß einer, der keinen Strich zeichnen kann, unfähig ist über Malerei zu schreiben. Was würden die Musiker sagen, wenn ein Maler, der nicht einmal die »Wacht am Rhein« oder »Heil dir im Siegerkranz« auf dem Klavier nachklimpern kann, sich herausnehmen würde über Musik zu ästhetisieren!
Das ästhetische Urteil über Malerei ist von Schriftstellern gemacht. Nie würde ein Maler, auch wenn er Lessings Geist hätte, das geistreiche und gerade deshalb so gefährliche Paradoxon vom Raffael ohne Hände erfunden haben. Oder gar aus dem Laokoon, der immer noch, und mit gutem Recht, die ästhetische Bibel der Gebildeten ist, das Diktum: »der Maler, der nach der Beschreibung eines Thomson eine schöne Landschaft darstellt, hat mehr getan, als der sie gerade von der Natur kopiert«. Der Schriftsteller versteht in der Gedankenmalerei die literarische Phantasie, und daher stellt er sie über die sinnliche Malerei, die er nicht versteht, und aus Unkenntnis ihrer Wesenheit nicht verstehen kann.
Malerei ist Nachahmung der Natur, der sie ihre Stoffe entlehnt, aber sie bleibt ohne die schöpferische Phantasie geistlose Kopie, und es ist daher ganz gleichgültig, ob der Maler einen Sonnenuntergang aus der Tiefe seines Gemüts oder nach einem Gedicht des Thomson oder nach der Natur malt. Mit andern Worten: nicht der Idealist steht – wie Lessing meint – höher als der Realist, sondern die Stärke der Phantasie macht den größeren Künstler.
Für den Maler liegt die Phantasie allein innerhalb der sinnlichen Anschauung der Natur: jedenfalls haben alle großen Maler von den Ägyptern, Griechen und Römern bis zu Rembrandt und Velasquez, Manet und Menzel sich innerhalb dieser Grenzen gehalten. Zwischen dem Kleckser, der einen Sonnenuntergang malt und einem Claude Lorrain oder Claude Monet ist nur ein Qualitätsunterschied. Die Größe des Talents eines Künstlers beruht auf der Größe seiner Naturanschauung und zwar auf der Größe der spezifisch malerischen Anschauung. Sonst hätte Goethe ein ebenso großer Maler wie Dichter sein müssen. Wie die zahllosen Blätter, die das Goethehaus aufbewahrt, beweisen, hat es ihm weder an Fleiß noch an handwerksmäßiger Geschicklichkeit gefehlt, und wenn er trotz heißem Bemühen zeitlebens in der bildenden Kunst ein mittelmäßiger Dilettant geblieben ist, so liegt der Grund einfach darin, daß seine Phantasie – als die eines geborenen Dichters – nur mit dem Worte zu gestalten imstande war.
Die Phantasie des Künstlers gestaltet nicht nur in dem Material, sondern für das Material seiner speziellen Kunst, sonst kommt gemalte Poesie oder poetische Malerei, d. h. Unsinn heraus. Daher ist auch nur aus dem Material heraus eine richtige Wertung der Kunst möglich: der Genuß an der Kunst steht jedem Empfänglichen offen, aber für die Kritik ist die Kenntnis des Materials und der Technik unerläßlich.
Einst fragte mich Virchow, während er mir zu seinem Porträt saß, ob ich nach einer vorgefaßten Meinung male, und auf meine Antwort, daß ich intuitiv die Farben nebeneinander setzte, entschuldigte sich der damals schon greise Gelehrte ob seiner Frage. Alles, fügte er hinzu, in der Kunst wie in der Wissenschaft, nämlich da, wo sie anfinge Wissenschaft zu werden, wo sie Neues entdeckte, sei Intuition. »Als ich meinen Satz Cellula e Cellula gefunden hatte, war es erst Späteren vorbehalten, ihn zu beweisen.« Letzten Endes ist die Kunst unergründlich und wird es immer bleiben. Auch ist es gut so, denn wenn wir ihr Geheimnis ergründeten, wäre es mit ihr vorbei. Den künstlerischen Zeugungsprozeß kann man ebensowenig ergründen wollen wie den physischen. Es wird ewig ein Rätsel bleiben, wie dem Künstler die Idee zu seinem Werke kommt, denn die Natur ist nur der äußere Anlaß für das Werk. Aber man kann die Gehirntätigkeit des Künstlers während seiner Arbeit beobachten, und den Weg, den seine Phantasie zurücklegt, von der Auffassung des Gegenstandes bis zu dessen Wiedergabe auf der Leinewand verfolgen. Der Künstler sieht die Gegenstände durch seine Phantasie. Er sieht, was er zu sehen sich einbildet, oder wie Goethe es ebenso treffend, wie schön ausdrückt: wer die Natur schildert, schildert nur sich, und die Feinheit und Stärke seines Gefühls.
Der alte Schwind antwortete auf die Frage, wie er seine Zeichnungen mache: »ich nehme einen Bleistift in die Hand, und da fällt mir halt was ein«. Unter dem Pinsel wird die Form geboren, und die Maler mit den großartigen Ideen sind immer schlechte Maler.
Die Erfindung des Malers beruht in der Ausführung und dieser Ausspruch, der eigens für den Impressionismus geprägt zu sein scheint, und der von dem englischen Maler Blake aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts herrührt, ist nicht nur für Manets Spargelbund gültig, sondern ebenso für Michelangelos Erschaffung Adams in der Sixtina. In der Erfindung des Sujets kann die Erfindung Michelangelos nicht liegen, denn die steht in der Bibel: »und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele«. Daß er uns die biblische Erzählung überzeugend ad oculus demonstriert, darin liegt Michelangelos Genie; wir glauben den Odem Gottes in Adam übergehen zu sehen.
Ein witziger Maler, den man vor seinem Bilde fragte, was er habe malen wollen, antwortete: »wenn ich es sagen könnte, hätte ich es nicht zu malen gebraucht«. Erfindung ist Empfindung: aus ihr ergibt sich Technik und Stil. Daher ist es Blödsinn – was man jeden Tag hören oder lesen muß – zu sagen: »das Bild des Professors X. ist ausgezeichnet gemalt, nur leider ohne Phantasie«. Dann ist es eben schlecht gemalt. Aber ebenso blödsinnig: »das Bild ist sehr phantasievoll, aber schlecht gemalt«. Dann ist es vielleicht von poetischer oder musikalischer, aber nicht von malerischer Phantasie. Ein Bild ist gut, d. h. malerisch erdacht, wenn es mit den malerischen Ausdrucksmitteln darzustellen ist, und das malerisch nicht gut erdachte Bild kann überhaupt nicht gut gemalt werden. Also sind technische Schwierigkeiten immer nur Fehler in der Konzeption. Die schönsten Stücke Malerei wie die »Bohèmienne« oder der »Papst Innocenz« sind die technisch einfachsten.
Wer technische Schwierigkeiten eines Werkes sieht, ist überhaupt kein Künstler. Der echte Künstler gleicht dem Reiter über den Bodensee: erst nach Vollendung des Werkes entdeckt er voller Grauen die Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, und er würde sein Werk nicht unternommen haben, wenn er sie vorher erkannt hätte.
In der bildenden Kunst ist geistige Vollendung zugleich technische Vollendung, denn in ihr sind Inhalt und Form nicht nur eins, sondern identisch. Es ist daher ein müßiges Spiel mit Worten das Kunstwerk in zwei Bestandteile zerlegen zu wollen: in ihm ist die Phantasie materialisiert und umgekehrt die Technik vergeistigt worden.
Wenn Rembrandt sagt, daß das Werk vollendet sei, sobald der Künstler ausgedrückt hat, was er hat ausdrücken wollen, so heißt das nichts anderes, als daß die Arbeit des Künstlers reine Phantasietätigkeit ist. Gut malen heißt also mit Phantasie malen und die schönste, breiteste, flächigste Malerei bleibt äußerliche Virtuosität, wenn sie nicht der Ausdruck der künstlerischen Anschauung ist. Die Phantasie hört also nicht da auf, wo die Arbeit beginnt – wie noch ein Lessing annahm, – sondern sie muß dem Maler bis zum letzten Pinselstrich die Hand führen. Weshalb ist denn oft die flüchtigste Skizze vollendeter als das fertige Bild? Weil die in ein paar Stunden entstandene Skizze von der Phantasie erzeugt ist, während die wochen-, ja monatelange Arbeit am Bilde die Phantasie ertötet hat. Nicht etwa die Technik, sondern die Phantasie ist die Ursache, dass nur die al Primamalerei was taugt, denn die Phantasie ist ebensowenig eine Heringsware wie die Begeisterung: nur das unter dem frischen Eindruck der momentanen Phantasie flüssig ineinander gemalte Stück hat inneres Leben.
Daher gibt es keine Technik per se, sondern so viele Techniken als es Künstler gibt. Und ohne eigene Technik kann es keine eigene Kunst geben. Franz Hals' Technik entspringt ebenso seiner Naturauffassung wie die des Velasquez der seinigen: Beide malten einfach, was sie sahen. Unbewußt kam in ihre Malweise ihre Persönlichkeit.
Man sehe sich die»Bohèmienne«oder den»Innocenz« auf die angewandten Mittel an: das Handwerksmäßige daran kann jeder Malklassenschüler. Auch weiß man, daß der Papst dem Velasquez zu dem Kopfe in Petersburg, der noch schöner sein soll als der in Rom, nur eine Stunde gesessen hat; und Franz Hals hat sicher nicht viel länger an der »Bohèmienne« gearbeitet. Gebt einem Stümper eine Stunde lang die Phantasie eines Franz Hals oder Velasquez, und aus seiner Stümperei wird ein Meisterwerk. Aber Hals und Velasquez hatten keine Kunsttheorien; sie malten, was sie selber sahen, und nicht, was andere vor ihnen gesehen hatten: sie waren naiv. Sie malten nur mit ihrem malerischen unbewußten Gefühl und nicht mit dem Verstände. Sie warteten nicht die Stimmung ab, sondern die Stimmung kam, wenn sie den Pinsel in die Hand nahmen.
Manet oder Leibl dachten malerisch. Sie suchten nicht das sogenannte Malerische in der Natur, sondern sie faßten die Natur malerisch auf: die Natur war für sie der Canevas für ihr Bild. Feuerbach, Marées oder Böcklin übersetzten ihre Stimmungen oder Gedanken in die Sprache der Malerei: zum Ausdruck ihrer Sentiments bedienten sie sich der Natur. Derselbe Gegensatz wie zwischen dem naiven und sentimentalen Dichter besteht auch in der Malerei: der naive Maler geht von der Erscheinung aus, der sentimentale vom Gedanken.
Aber gerade das Primäre ist das Entscheidende; wie der wahre Dichter nur vom Erlebnis ausgeht, so geht das wahre malerische Ingenium nur von der sinnlichen Erscheinung aus. Letzten Endes ist jeder Maler Porträtmaler, der Wirklichkeitsmaler Franz Hals oder Velasquez ebenso wie der Maler der »inneren Gesichte« Albrecht Dürer oder gar wie Rembrandt, unter dessen Pinsel die Bildnisse der Korporalschaft des Banning Cocq zur »Nachtwache« dem phantasievollsten Bilde der Welt, wurden. Daß dieses Gruppenbildnis einer Schützengilde bis heutigen Tages die »Nachtwache« heißt, das beweist am schlagendsten, daß in der Malerei die Erfindung nur in der Ausführung beruht.
Kunst ist Kern und Schale in einem Male: die Phantasie muß nicht nur die Vorstellung von dem Bilde erzeugen, sondern zugleich die Ausdrucksmittel, durch die der Maler seine Vorstellung auf die Leinwand zu projizieren imstande ist.
Irgend ein Corneliusschüler erzählte, daß er München in aller Herrgottsfrühe umkreiste, um sich in weihevolle Stimmung zu versetzen, bevor er an die Arbeit ging, und ins Atelier gekommen, »floß der Contour«. Aber Heinrich v. Kleist läßt in einer Betrachtung über Berliner Kunstzustände im Jahr 1811 einen Vater seinem Sohne sagen: »du schreibst mir, daß du eine Madonna malst, und daß du jedesmal, bevor du zum Pinsel greifst, das Abendmahl nehmen möchtest. Laß dir von deinem alten Vater sagen, daß dies eine falsche Begeisterung ist, und daß es mit einer gemeinen, aber übrigens rechtschaffenen Lust an dem Spiele, deine Einbildungen auf die Leinewand zu bringen, völlig abgemacht ist.«