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Achtzehntes Kapitel.
Lafayette und sein Freiwilliger.

In der Zeit, als in Paris die jakobinische Presse den Feuerbrand schürte, der den Thron zu verschlingen drohte, erschien am 18. Juni in der Nationalversammlung ein Brief Lafayettes, in welchem er den Abgeordneten rund heraus seine Meinung sagte. »Während das Vaterland von außen bedroht, von innen aufgeregt ist,« so hieß es darin, »erweitern innere Feinde den Riß, der zwischen König und Volk verderblich ist. Die Urheber alles Unglücks, aller Störungen sind die Jakobiner, sie müssen unterdrückt werden.«

Durch dieses Schreiben hatte Lafayette die Jakobiner zu einem Kampf auf Leben und Tod herausgefordert, und diese nahmen den Fehdehandschuh auf.

Lafayette hatte in den Oktobertagen 1789 und später in der Nationalversammlung keine sehr ruhmwürdige Rolle gespielt. Seine Freiheits-Ideen waren bis zu dem Verfassungseid von 1791 gegangen, diesen wollte er aufrecht erhalten wissen und scheute deshalb nicht die Drohungen der Jakobiner.

Die Kunde von dem Treiben des 20. Juni drang bis in das Lager von Bavay. Der General hatte die Nachricht in später Abendstunde empfangen und durchmaß nun mit unruhigen Schritten den schmalen Zeltraum. Die ganze furchtlose Ritterlichkeit seines Wesens war erwacht und trieb jede Bedenklichkeit zurück.

»Dieser 20. Juni ist eine Schmach für ganz Frankreich,« klagte er. »Der König muß fort aus dem verräterischen Paris, oder die Nationalversammlung muß sichere Garantien stellen, damit ähnliche Auftritte nicht mehr stattfinden können. Petion soll exemplarisch bestraft werden. Ich werde ihnen das alles selbst sagen ...

»Mein General,« unterbrach ihn der Adjutant ehrfurchtsvoll, »die Stimmung in Paris ist gegen Sie. Der Hof hat nicht völliges Vertrauen, und die Jakobiner ergehen sich in furchtbaren Drohungen, seitdem der verhängnisvolle Brief in der Versammlung vorgelesen ist. Solch ein Schritt ist mehr als gefährlich.«

»Wer fragt danach,« herrschte Lafayette, »wenn es sich darum handelt, ein schmähliches Bubenstück bei dem rechten Namen zu nennen, und Männern, die entweder so ehrlos oder so feige waren, es zuzulassen, die Wahrheit zu sagen!

Man nennt mich den Soldaten der Freiheit, und ich bin stolz darauf. Frei will ich die Menschen wissen, frei von beengenden Fesseln, von knechtischem Dienen. Selbst denken, selbst fühlen und handeln soll das Volk, nicht nur von einem Willen, einem Kopfe geleitet sein. Aber dieses Denken, Fühlen und Handeln muß unter der Zucht der Verfassung stehen. Der Mensch muß sich seiner Rechte würdig erzeigen und nicht, wie es in Paris geschehen ist, zu zügelloser Wildheit herabsinken.

Die gesegneten Freiheiten, welche der König dem Volke gegeben hat, treten diese Männer mit Füßen. Während sie selbst schrankenlos frei sein wollen, binden sie ihrem Könige die Hände fester und fester, erlauben ihm kein Veto und wollen ihn zu Dingen drängen, die gegen seine Überzeugung sind. Hier gilt kein überlegendes Zaudern, kein ängstliches Denken an die eigene Person, wir reisen morgen nach Paris, und Ihr werdet mich begleiten, sonst niemand, nur ein paar zuverlässige Leute.

Ich habe an den Freiwilligen St. Pierre gedacht, den Ihr auch kennt. Er kann mir in Paris nützlich sein, denn er kennt Marat und alle Schleichwege seiner Partei. Wenn ich zur Armee zurückkehre, denke ich ihn dort zu lassen, denn ich hoffe durch ihn die besten Nachrichten von den Bewegungen in der Hauptstadt zu erhalten und danach den geeigneten Moment zu erkennen, wenn ich mit meinen Truppen die Abreise des Königs aus Paris decken kann.

Das Regiment, in welches der Freiwillige eingetreten ist, liegt an der Waldlisiere. Ihr werdet den Träumer noch wach finden, sobald ich noch einige notwendige Geschäfte abgewickelt habe, folge ich Euch.«

Der General winkte dem Adjutanten einen freundlichen Gruß zu, und dieser verließ alsbald das Zelt und schritt durch das Lager, wo in langer Reihe die Zelte der Offiziere standen. Aus einzelnen tönten noch lärmende Stimmen, andere lagen in schweigender Ruhe.

Es war eine umwölkte, sternenlose Nacht: wie leuchtende Fackeln glänzten an den verschiedenen Punkten die großen Lagerfeuer. In ihre Mäntel gewickelt, ruhten die dunklen Gestalten der Soldaten dicht neben einander, und hier und da murmelte einer ein schlaftrunkenes Wort, das ihm ein wirres Traumbild entriß, wenn er im Schlummer berauschende Siegesfanfaren hörte, oder heimkehrend das ferne Liebchen grüßte.

Der Offizier schritt weiter der Waldgrenze zu, wo er Giuseppe zu finden hoffte; dieser saß schreibend auf einem vom Feuer beleuchteten Platz. Da hörte er sich bei Namen rufen und wandte sich um. In gerader Haltung mit ernstem Blick erwartete er die Anrede des Adjutanten.

»Mein General schickt mich zu Euch,« sprach dieser, »er wünscht Euch morgen früh in seinem Zelt zu sprechen. Nicht wahr, ich habe recht gehört, Ihr seid es, den die Liebe zu unserem großen Soldaten der Freiheit unter seine Fahnen zog?«

»Mich trieb die Sehnsucht, für mein Vaterland zu kämpfen hierher,« gab Guiseppe ernst zurück.

»Seit jenem großen Verbrüderungsfeste, als ich unseren edlen General sah, wie er mit entblößtem Schwerte auf den Altar des Vaterlandes den Eid leistete, umrauscht von dem Jauchzen Tausender, seitdem ist der Name des Freiheitshelden für mich der Inbegriff alles Edlen und Ritterlichen, und in meinen Augen umleuchtet ihn noch heute der Glorienschein jener Stunde. Meine Ideale sanken in Trümmer, jetzt steht meine Hoffnung allein auf Lafayette, und ich halte mich an seine Fahnen, weil ich denke, daß sie mich zu einem ehrenvollen Ziele führen werden.«

Der Adjutant hatte ihm voll Interesse zugehört. »Wenn Euch nun dieser General in Gefahr und Tod schickt, werdet Ihr nicht zaudern?«

Über Guiseppes Antlitz zuckte es verächtlich. »Eine gefahrvolle Aufgabe glücklich zu lösen und dann den Tod zu finden, etwas Schöneres kann ich mir nicht erträumen!«

»Wollt Ihr Euch ohne Frage und Widerrede, blindlings, auf jede Gefahr hin dem General anvertrauen, er verlange von Euch, was er wolle?«

»Sagt meinem General,« rief Guiseppe leidenschaftlich, »jede Fiber meines Herzens sehnt sich danach. Ich will ihm dienen, wo und wie ich kann, im Namen der geheiligten Freiheit.«

»Es ist gut,« nickte der Adjutant und zog den Degen aus der Scheide, »doch schwört mir noch einmal die Treue auf den Verfassungseid.«

Um Guiseppes Lippen legte sich ein Lächeln. »Den Verfassungseid,« wiederholte er träumerisch, »gut, es sei. Doch wisset, daß seit jenem Tage, wo ganz Frankreich ihn schwor, ich jeden Abend, wenn ich mein Nachtgebet gesprochen habe, knieend mit erhobener Hand den Eid wiederhole. Glaubt Ihr, daß eine Silbe davon aus meinem Gedächtnis oder Herzen schwinden könnte?«

Mit tiefem Ernst legte er die eine Hand auf den Degen des Offiziers, während er die andere zum Schwure erhob.

»So halte fest daran,« mahnte eine tiefe Stimme hinter den beiden, und Lafayette trat aus dem Schatten.

»Mein General,« rief St. Pierre, »ich bin stolz, daß Ihr mich erwählt, um Euch zu dienen, und ich bin bereit für Eure Sache in den Tod zu gehen.«

»Morgen früh sollt Ihr erfahren, um was es sich handelt,« nickte Lafayette gütig; er fühlte sich warm berührt durch den Strahl leidenschaftlicher Hingebung, der aus den Augen des jungen Mannes sprach, und freundlich legte er die Hand auf seine Schulter. »Habt Ihr einen Wunsch, den Euer General Euch erfüllen kann, so nennt ihn mir,« gebot er leutselig.

Guiseppe zögerte einen Augenblick, dann sah er auf. »Ich habe einen alten Vater – wenn ich in Eurem Dienste sterbe und Ihr mich treu erfunden habt – wollt Ihr selbst ihm dann die Botschaft schreiben und dem alten Manne sagen, sein Sohn habe seinen Schwur gehalten, er sei treu geblieben der Nation, dem Gesetz und dem Könige und habe seinen Eid mit dem Tode besiegelt? Nicht wahr, mein General, Blut, opferwillig vergossenes Blut ist eine Sühne für vergangene Schuld?«

Lafayette war bewegt. »Die Thorheiten der Jugend werden vergessen und vergeben, wenn der Mann sich davon losringt,« tröstete er. »Seid überzeugt, ich werde Eurer Bitte gedenken, wenn Euch ein Unfall treffen sollte.«

»Ich danke, mein General, jetzt drückt mich nichts mehr; die letzte Nachricht, die der Vater von seinem Erstgeborenen erhalten wird, soll sein, daß dieser wankelmütige Sohn dennoch zuletzt es lernte, die Treue zu halten.«

Der General war mit seinem Adjutanten im Waldesdunkel verschwunden, Guiseppe stand noch immer wie gebannt. Endlich raffte er sich auf, mit zitternder Hand und pochendem Herzen schrieb er an dem flackernden Lagerfeuer noch einen Brief an den Vater für den Fall seines Todes. Es war das rückhaltlose Bekenntnis eines Herzens, das viel geirrt, aber auch heiß geliebt und schwer gelitten hatte.

Der nächste Morgen fand sämtliche Offiziere und Unteroffiziere um Lafayettes Zelt versammelt. Der Befehl dazu war schon in der Nacht ausgegeben.

Der General selbst hatte sich nur wenig Ruhe gegönnt, er hatte eine Adresse an die Nationalversammlung aufgesetzt, in welcher er die Bestrafung der Empörer und die Zerstörung der Terroristensekte, welche das Volk aufwiegelte, forderte.

Nachdem er den Versammelten mit beredten Worten die Vorgänge des 20. geschildert hatte, las er das Schriftstück vor, welches er persönlich der Nationalversammlung übergeben wollte, und fragte, ob sie willens seien, die Adresse zu unterzeichnen.

Offiziere und Unteroffiziere drängten sich um den Feldtisch, auf welchem das Schriftstück auslag, keiner blieb zurück, alle Unterzeichneten.

So reiste der General nach Paris, nur in Begleitung seines Adjutanten, St. Pierres und einiger zuverlässiger Leute, um mit keckem Mute den Drohungen seiner erbitterten Feinde zu trotzen. Das war persönlich kühn und ritterlich, aber Zur Rettung des Königtums, zur Vernichtung der Jakobiner, welchen er den Tod geschworen hatte, mußte er eine Armee mitbringen.


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