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Kiepenklaus

Es war einer von den Tagen, da die Libellen sich ihres Lebens freuten und die Menschen sich müde hinschleppten.

Der Honigbaum stand in voller Blüte und erfüllte mit seinem Dufte das ganze Land. Die Luft bebte von dem Geläute der Immen und zitterte über den Heidbergen, und die kleinen himmelblauen Falter tanzten zu Tausenden um die rosenroten Büsche.

Ich saß nach dem Mittag im Kruge, rauchte und sah mit kleinen Augen zwischen den beiden Töpfen mit Myrte und Allwundheil, die vor dem Fenster standen, den Hühnern zu, die jenseits der Straße sich im weißen Sande huderten, und den Bachstelzen, die nach Fliegen sprangen.

Da kam ein Mädchen in das Gastzimmer, bot mit freundlicher Stimme die Tageszeit und wartete bescheiden an der Türe auf die Wirtin. Das Kind mochte zwölf Jahre alt sein. Es war groß und sehr hübsch. Das Gesicht, die nackten Arme und die bloßen Füße waren braun gebrannt. Das Leibchen und der kattunene Rock waren sehr sauber und die Hemdsärmel nicht minder.

Als die Krügerin hereinkam, sagte das Kind, indem es einige Groschen auf den Tisch legte: »Grüß Gott! Ich bitte um eine Flasche Weißbier.« Ich horchte auf; der süddeutsche Gruß fiel mir auf, und noch mehr die gewählte Form, in der das Mädchen sich ausdrückte. Deshalb fragte ich die Wirtin, als ich mit ihr allein war, wem die Kleine gehöre. »Och,« antwortete die Frau achselzuckend, »das sind so Kiepenflickers; sie liegen mit ihrem Wagen da hinter dem Brinke. Sie kommen öfter. Es sind soweit ganz ordentliche Leute.«

Ich legte mich schlafen, denn ich war müde von dem Pirschgange bei der wahnen Hitze. Als ich zum Kaffee herunterkam, saß ein Mann an dem Tische vor der Faulbank und schrieb. Er war barfuß und in Hemdsärmeln. Sein Zeug war aus Beiderwand, aber sauber, und das Hemd war frisch gewaschen.

Die Wirtin stellte den Kaffee auf den Tisch, an dem der Mann schrieb, und gab ihm einen Wink, daß er sich anderswo hinsetzen sollte, doch wehrte ich ab und sagte ihm, er solle sich nicht stören lassen. Von meinem Platze in der Sofaecke konnte ich ihn im Spiegel gut beobachten. Es war mir beim Eintritt aufgefallen, wie schnell und sicher der Mann, in dem ich den Kiepenflicker vermutete, schrieb, auch kam mir sein Gesicht, das gut geschnitten und von einem krausen, blonden Barte eingefaßt war, bekannt vor.

Der Spiegel wies mir, daß die Hände des Fremden, obwohl verarbeitet und von der Sonne gebräunt, rosenrote und saubere Nägel hatten. Auch zeigte er mir auf der linken Backe des Mannes einen gut verheilten Durchzieher und auf der Stirn zwei Quarten. Ich sann vergeblich darüber nach, wo ich den Kiepenflicker, der mir immer bekannter vorkam, schon gesehen haben könnte, als mir plötzlich einfiel, daß ich ihn vor Jahren bei Oberdorfmark in der Heide nach dem Wege gefragt hatte, als er mit seinem Planwagen die Straße entlang fuhr. Aber schon damals war mir so, als müßte ich ihn früher gesehen haben.

Als er seinen Brief beendet, geschlossen und freigemacht hatte, sah er auf und in seine Augen kam, wie es mir schien, ebenfalls der Schatten einer Erinnerung. Aber sofort erhob er sich, nahm seinen Brief, bezahlte am Tresen sein Bier und ging schnell hinaus. Ich fragte den Wirt, ob er den Namen des Mannes wisse, aber der schüttelte den Kopf. Nach einer Weile meinte er: »Kiepenklaus, glaube ich, nennt er sich. Wie er wirklich heißt, das kann ich nicht sagen.«

Ich trank meinen Kaffee aus, steckte mir die Pfeife an, nahm Gewehr und Rucksack und ging. Als ich über den Brink stieg, sah ich den Wagen des Kiepenflickers im Sande stehen. Es war nicht mehr der alte Planwagen, den er hatte, als ich ihn bei Oberdorfmark traf, es war ein dauerhafter grüner Wohnwagen mit sauberen Vorhängen und blühenden Blumenstöcken hinter den Fenstern. Das kleine Mädchen schälte Kartoffeln, eine reinlich gekleidete blonde Frau nahm Wäsche von der Leine, und der Kiepenflicker schirrte das Pferd an und pfiff dabei das Lied: »Ein Heller und ein Batzen.« Als er mich sah, hörte er auf zu flöten, und drehte mir den Rücken zu.

Ich hatte mir vorgenommen ihn anzureden, aber ich hatte meinen stummen Tag und es schien mir auch so, als wünsche er keinen Verkehr mit mir. So ging ich weiter und hörte noch hinter mir den Kanarienvogel, der vor der Tür des Wohnwagens hing, hell schlagen. Ich kam nicht so recht zur Freude an dem rosenroten Land, durch dessen Blütenpracht ich ging, und als ich mich an dem großen Windbruche angesetzt hatte, dachte ich mehr an den Kiepenflicker als an den alten Bock, dem zu Liebe und Leide ich hier paßte. Er hielt aber nicht Wort, so daß ich mit leerem Rucksacke heimging. Als ich nach dem Sandberge bei dem Kruge kam, war der grüne Wagen verschwunden.

Während ich mit dem Wirt und zwei Bauern noch eine halbe Stunde beim Biere saß, mußte ich immer an den Kiepenflicker denken, und als ich im Bette lag und meine Gedanken anfingen ineinanderzufließen, wie Bäume im Nebel, war mir so, als sähe ich dasselbe Gesicht, aber jünger und ohne Bart, unter einer blauen Mütze mit großem Schirm, und auf einmal war ich zwei Jahrzehnte jünger, hatte eine bunte Kappe auf und hörte es rufen: »Halt! Herr Unparteiischer, bitte Pause!«

Und nun wußte ich Bescheid. Herbe Seeluft umwehte mich, ich atmete den Geruch der Fischräuchereien ein und sah die drei alten Kirchtürme von Gryps vor mir, den langen Nikolaus, die dicke Marie und den kleinen Jakob. Kiepenklaus hieß der Mann; Klaus Klemm hieß er, als ich ihn als Student kannte. Er galt immer als sonderbarer Heiliger. Er verschwand plötzlich in seinem vierten Semester und ward nicht mehr gesehen. Seine Kulör war ratlos, denn er hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, und sein Oheim, der Vormundschaft über ihn hatte, schrieb ihn in vielen Zeitungen aus, bekam aber keine Kunde von ihm.

Nach Jahren traf ich einen Verbindungsbruder von ihm, der mir einst eine Forderung überbracht hatte, und erkundigte mich nach dem Streicherklemm, wie er als Student genannt wurde, weil er mit Vorliebe den Hieb mit der Rückseite des Schlägers anbrachte. »Der,« sagte der dicke Arzt und lächelte, »der ist, nachdem er von uns wegen seiner Weglauferei i. p. dimittiert war, in London und nachher in Berlin Offizier der Heilsarmee gewesen und dann völlig verschollen. Verrückte Kruke! Mitten im Kommers bekam er glasige Augen und hörte und sah nicht, und ein jedes Mal, wenn er Kneipwart war, ließ er als ersten Kantus ein Quodlibet steigen. Ich glaube, es war das Bummellied: ›Ein Heller und ein Batzen.‹«

Als ich am anderen Morgen von der Frühpirsch zurückkam, ging ich nach dem Platze, wo der Wohnwagen gestanden hatte. Ich fand nichts, als die verlassene Feuerstelle und Kartoffelschalen. Ich habe den Kiepenflicker nicht wieder gesehen. Wer weiß, wo er jetzt barfuß mit dem grünen Wagen über die Heide zieht und singt: »Meine Stiefel sind zerrissen, meine Schuh, die sind entzwei, und draußen auf der Heide, da singt ein Vogel frei.«


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