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Das Frauenzimmer

Es gibt Geschichten, die wahr sein müssen – Geschichten von der Art, wie sie der tüchtige Literat nicht fabrizieren kann. Und ebenso gibt es Menschen, die Geschichten zu erzählen haben, an denen man nicht zweifeln kann. Ein solcher Mann war Julian Jones, obwohl ich zweifle, daß der Durchschnittsleser die Geschichte glauben wird, die Julian Jones mir erzählte. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß sie wahr ist. Und so gründlich bin ich davon überzeugt, daß ich bereit, ja versessen darauf bin, Kapital in das Unternehmen zu stecken und persönlich auf Abenteuer in ein fernes Land zu ziehen.

Es war im Australischen Hause der Panama-Pazifik-Ausstellung, wo ich ihn traf. Ich stand gerade vor einer Ausstellung genauer Abbildungen der merkwürdigsten, auf den Goldfeldern bei den Antipoden entdeckten Klumpen. Höckerig, mißgebildet und massiv, wie sie waren, konnte man ebenso schwer zweifeln, daß sie aus wirklichem Gold bestanden, wie glauben, daß die begleitenden Statistiken über ihr Gewicht und ihren Wert stimmten.

»Und so was nennen diese Känguruh-Jäger einen Goldklumpen!« dröhnte es hinter meiner Schulter gerade vor dem größten Exemplar.

Ich wandte mich um und sah auf in die mattblauen Augen von Julian Jones. Ich sah auf, denn er maß an sechs Fuß und vier Zoll. Sein aus sandfarbigen gelben Zotteln bestehendes Haar schien ebenso matt und verblichen wie seine Augen. Die Sonne mußte die Farbe aus ihnen heraus gewaschen haben; wenigstens zeugte sein Gesicht von einem erstaunlichen, alten Sonnenbrand, der längst vergilbt war. Als seine Augen sich von dem Ausstellungsgegenstand abwandten und auf die meinen richteten, bemerkte ich einen sonderbaren Blick in ihnen, wie bei einem Menschen, der sich vergebens irgendeine Tatsache von Wichtigkeit ins Gedächtnis zurückzurufen sucht.

»Was haben Sie gegen den Goldklumpen einzuwenden?« fragte ich.

Der geistesabwesende Ausdruck in seinen Augen verschwand, und er dröhnte: »Oh, seine Größe!«

»Er ist wirklich groß,« räumte ich ein, »aber man kann sich zweifellos darauf verlassen, die australische Regierung würde sich kaum erdreisten –«

»Groß«, unterbrach er mich mit einem Schnaufen und einem geringschätzigen Lächeln.

»Der größte, der je gefunden ist«, fuhr ich fort.

»Je gefunden!« Seine Augen brannten warm, und er sagte: »Glauben Sie, daß jeder Klumpen Gold, der je gefunden wurde, in die Zeitungen und Enzyklopädien gekommen ist?«

»Nun,« antwortete ich, »wenn es einen gibt, der sich nicht hier befindet, so ist mir nicht klar, wie wir etwas von ihm wissen sollen. Wenn ein wirklich großer Goldklumpen oder sein Finder es vorziehen sollte, ungesehen zu erröten –«

»Aber das tut er nicht«, fiel er mir schnell ins Wort.

»Ich sah ihn mit meinen eigenen Augen, und außerdem bin ich wohl zu gegerbt, um erröten zu können. Ich bin Eisenbahner, und ich bin ziemlich viel in den Tropen herumgekommen. Oh, ich hatte eine Farbe wie Mahagoni – wirklich altes Mahagoni – und bin mehr als einmal für einen blauäugigen Spanier gehalten worden.«

Jetzt war ich an der Reihe, ihn zu unterbrechen, und das tat ich auch.

»War der Goldklumpen größer als die hier, Herr –«

»Jones, Julian Jones heiße ich.«

Er nahm aus seiner Brusttasche einen Briefumschlag, der an eine solche Person, postlagernd, San Franzisko, gerichtet war, und ich überreichte ihm dafür meine Karte.

»Freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte er, die Hand ausstreckend, während seine Stimme dröhnte, als wäre sie an Lärm und große Räume gewöhnt. »Natürlich habe ich von Ihnen gehört, Ihr Bild in den Zeitungen gesehen und so weiter. Und obwohl ich es nicht tun sollte, muß ich Ihnen doch sagen, daß ich mir nicht das geringste aus den Artikeln mache, die Sie über Mexiko schreiben. Sie haben unrecht, absolut unrecht. Sie begehen denselben Fehler wie alle Gringos, wenn sie glauben, daß ein Mexikaner ein Weißer sei. Das ist er nicht. Keiner von ihnen – weder Greasers, Spiggoties, Latein-Amerikaner oder was es sonst von dem Viehzeug gibt. Nein, Herr, die denken und handeln nicht wie wir. Selbst ihre Multiplikationstabelle ist anders als unsere. Wir glauben, daß sieben mal sieben neunundvierzig ist; aber das tun die nicht. Die rechnen das anders. Und weiß ist für sie auch nicht weiß. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel erzählen. Wenn man Kaffee für den Haushalt kauft, en detail, ein bis zehn Pfund –«

»Wie groß war der Goldklumpen, von dem Sie sprachen?« fragte ich bestimmt. »So groß wie der größte von diesen?«

»Größer«, sagte er ruhig. »Größer als die ganze lächerliche Ausstellung hier zusammen und noch etwas dazu.« Er hielt inne und betrachtete mich mit einem festen Blick. »Ich sehe keinen Grund, Ihnen die Sache nicht zu erzählen. Sie haben ein Urteil, auf das ein Mann sich verlassen kann, und ich habe selbst von manchem Unfug gelesen, den Sie an entlegenen Orten getrieben haben. Ich habe schon Ausschau gehalten nach einem, der sich mit mir auf die Sache einlassen würde.«

»Sie können sich auf mich verlassen«, sagte ich. Und hier posaune ich nun die ganze Geschichte bis aufs Tüttelchen aus, genau wie er sie mir erzählte, während wir auf einer Bank an der Lagune vor dem Kunstpalast saßen und die Schreie der Möwen uns in den Ohren klangen. Ja, er hätte seine Abmachung mit mir halten sollen, aber ich greife den Ereignissen vor.

Als wir aufbrachen, um eine Stelle zu suchen, wo wir ein bißchen sitzen konnten, kam eine kleine Frau von etwa dreißig Jahren, mit dem verwaschenen Teint einer Bauernfrau, wie ein Vögelchen, ganz wie die pfeilschnellen, kreisenden Möwen über uns, auf ihn losgeschossen, und hakte sich mit der Genauigkeit, Schnelligkeit und Unvermeidlichkeit einer Maschine an seinem Arm fest.

»Also da bist du!« schrillte sie. »Latschst los, ohne an mich zu denken!«

Ich wurde ihr feierlich vorgestellt. Sie hatte offenbar nie von mir gehört und besichtigte mich mit kritischen schwarzen Augen, die dicht beieinander standen und ebenso kugelrund und unbeweglich wie die eines Vogels waren.

»Du willst ihm doch nicht von dem Frauenzimmer erzählen!« jammerte sie.

»Herrgott, Sara, es ist Geschäft, siehst du«, verteidigte er sich klagend. »Ich habe mich lange nach einem passenden Mann umgesehen, jetzt habe ich. ihn gefunden, und da glaube ich ein Recht zu haben, ihm über das, was geschehen ist, Rede zu stehen.«

Die kleine Frau erwiderte nichts, kniff aber die Lippen fest zusammen. Sie starrte mit einem so strengen Ausdruck auf den Juwelenturm vor sich, daß kein Schimmer des zurückgeworfenen Sonnenlichts ihn erweichen konnte. Langsam schritten wir zur Lagune und hatten das Glück, eine leere Bank zu finden. Hier setzten wir uns nieder und seufzten erleichtert, weil wir unsere gefolterten, ausstellungsmüden Füße von ihrer Last befreien konnten.

»Man wird ja todmüde«, behauptete die kleine Frau fast herausfordernd.

Zwei Schwäne kamen aus dem spiegelblanken Wasser gewatschelt und untersuchten uns. Als ihr Verdacht bezüglich unseres Geizes oder unseres Mangels an Erdnüssen sich bestätigt hatte, kehrte Jones seiner Begleiterin halb den Rücken und erzählte mir seine Geschichte.

»Sind Sie je in Ekuador gewesen? Dann nehmen Sie einen guten Rat an – gehen Sie nicht hin! Obwohl ich es gleich wieder zurücknehme, denn Sie und ich könnten vielleicht zusammen hinkommen, wenn Sie den Glauben an mich und an Ihr eigenes Rückgrat aufrütteln können. Ja, jedenfalls ist es nicht viele Jahre her, daß ich auf einem rostigen Kohlenkahn mit dreckigem Boden aus Australien dort angefahren kam: dreiundvierzig Tage von Land zu Land. Wenn alles gut ging, machte das Schiff sieben Knoten, und wir hatten einen vierzehntägigen Sturm vor Neu-Seeland und mußten zwei Tage mit Maschinenbruch vor der Insel Pitcairn liegen.

Ich war nicht Matrose. Ich bin Lokomotivführer. Aber ich hatte mich mit dem Schiffer in Newcastle befreundet und kam als sein Gast bis nach Guayaquil mit. Sehen Sie, ich hatte gehört, daß die Löhne bei der amerikanischen Eisenbahn, die von dort über die Anden nach Quito geht, in die Höhe gegangen waren. Nun ist Guayaquil –«

»Ein Fieberloch«, warf ich ein.

Julian Jones nickte.

»Thomas Nast starb keinen Monat nach seiner Landung dort am Fieber. – Er war unser großer amerikanischer Karikaturist«, fügte ich hinzu.

»Kenne ihn nicht«, sagte Julian Jones kurz. »Aber ich weiß, daß er nicht der erste war, der sich auf die Socken machte. Wissen Sie, wie ich hinter die Sache kam? Die Lotsenstation liegt sechzig Meilen flußaufwärts. ›Wie steht es mit dem Fieber?‹ fragte ich den Lotsen, der frühmorgens an Bord kam. ›Können Sie die Hamburger Bark sehen?‹ sagte er, auf ein großes verankertes Schiff zeigend. ›Der Kapitän und vierzehn Mann sind schon gestorben, und der Koch und zwei Mann sind gerade dabei, und das sind die letzten, die noch übrig sind.‹

Und bei Gott, was er sagte, war richtig. Gerade damals starben vierzig Menschen täglich am Gelben Fieber in Guayaquil. Aber das war noch gar nichts, wie ich später merkte. Beulenpest und Pocken wüteten, Dysenterie und Lungenentzündung dezimierten die Bevölkerung, und die Eisenbahn wütete am allerschlimmsten. Es ist mein Ernst. Wer durchaus mit ihr fahren wollte, für den war sie gefährlicher als alle anderen Krankheiten zusammen.

Als wir vor Guayaquil Anker warfen, kamen ein halbes Dutzend Kapitäne von anderen Dampfern an Bord, um unseren Kapitän zu warnen, seine Offiziere an Land gehen zu lassen, außer wenn er sie loswerden wollte. Aus Duran, das auf der anderen Seite des Flusses liegt und die Endstation der Eisenbahn ist, kam eine Barkasse, um mich zu holen. Und sie brachte einen Mann mit, der das Fallreep heraufflog, immer drei Stufen auf einmal nahm, so versessen war er darauf, an Bord zu kommen. Als er das Deck erreichte, hatte er keine Zeit, mit einem von uns zu reden. Er lehnte sich nur über die Reling, schüttelte die Faust gegen Duran und rief: ›Ich will dich lehren! Ich will dich lehren!‹

›Wen wollen Sie lehren, Freundchen?‹ fragte ich.

›Die Eisenbahn‹, sagte er, schnallte die Riemen auf und zog einen großen automatischen Vierundvierzig-Colt-Revolver heraus, den er bequem auf der linken Seite unter dem Rock trug. ›Ich blieb so lange, wie ich mich verpflichtet hatte, drei Monate – und sie kriegten mich nicht. Ich war Schaffner.‹

Und das war die Eisenbahn, für die ich arbeiten sollte. Was alles nichts war im Vergleich mit dem, was er mir in den nächsten paar Minuten erzählte. Die Eisenbahn lief vom flachen Lande bei Duran bis auf eine Hohe von zwölftausend Fuß auf den Chimborasso und wieder zehntausend Fuß hinunter nach Quito auf der anderen Seite der Berge. Und sie war so gefährlich, daß die Züge nachts nicht gingen. Die Passagiere mußten aussteigen und in den Ortschaften übernachten, während der Zug auf das Tageslicht wartete. Und jeder Zug führte eine Wache von ekuadorianischen Soldaten mit, was das allergefährlichste war. Sie sollten das Zugpersonal beschützen, sobald aber Unruhe entstand, hielten sie ihre Büchsen bereit, um sich mit dem Pöbel zu vereinigen. Sehen Sie, bei jedem Eisenbahnunglück war der erste Schrei der Banditen: ›Schlagt die Fremden tot!‹ Das taten sie immer und machten sich dann daran, das Zugpersonal und irgendwelche fremden Passagiere zu töten, die bei dem Eisenbahnunglück nicht ums Leben gekommen waren. Das ist die Arithmetik, die sie gebrauchen. Ich erzählte Ihnen ja, daß sie anders als unsere ist.

Na ja, ehe der Tag vorbei war, sollte ich selbst entdecken, daß der Exschaffner nicht log. Es war drüben in Duran. Ich sollte mit der ersten Abteilung nach Quito fahren und am nächsten Morgen aufbrechen – da es nämlich nur alle vierundzwanzig Stunden einen durchgehenden Zug dorthin gab. Es war am Nachmittag meines ersten Tages, ungefähr um vier Uhr, als die Kessel auf der Governor Hancock explodierten und das Schiff in zwanzig Meter Tiefe neben dem Dock sank. Es war die große Fähre, die die Passagiere von der Eisenbahn über den Fluß nach Guayaquil brachte. Es war ein großes Unglück, aber die Ursache zu einem noch größeren, das folgte. Gegen halb fünf begannen große Güterwagen zu kommen. Es war ein Festtag; sie waren zu einem Ausflug ins Land von Guayaquil aus benutzt worden, und jetzt kam die Menge wieder zurück.

Und die Menge, viertausend Menschen, wünschte mit der Fähre überzusetzen – und die Fähre lag auf dem Grunde des Flusses, was nicht unsere Schuld war. Aber nach der Banditenarithmetik war sie es. ›Schlagt die Fremden tot!‹ rief einer von ihnen. Und sofort ging es los. Die meisten von uns entkamen gerade noch. Ich lief dicht hinter dem Maschinisten, eines seiner kleinen Kinder auf dem Arm, zu den Lokomotiven, die gerade ausrücken wollten. Sehen Sie, dort unten, fern von allem andern, sind sie bei Unruhen gezwungen, ihre Lokomotiven zu retten, weil eine Eisenbahn ohne sie nicht in Gang gehalten werden kann. Ein halbes Dutzend amerikanische Frauen und ebenso viele Kinder kauerten sich mit dem Rest von uns auf dem Fußboden der Wagen zusammen, als wir losfuhren; und die ekuadorianischen Soldaten, die unser Leben und unser Eigentum hätten schützen sollen, knallten mit ihren Büchsen drauflos, und sie müssen uns mindestens ein paar Dutzend Schüsse nachgeschickt haben, ehe wir außer Schußweite kamen.

Wir kampierten im Hinterland und kamen erst am nächsten Tage zurück, um Ordnung zu schaffen. Es war verschiedenes in Ordnung zu bringen. Jeden Güterwagen, Personenwagen, jede schmalbrüstige Rangiermaschine und selbst die Draisine hatte der Pöbel vom Dock in zwanzig Meter Tiefe auf die Governor Hancock geworfen. Sie hatten den Lokomotivschuppen abgebrannt, die Kohlenbunker angezündet und die Reparaturwerkstätte vollkommen vernichtet. Ja, und drei von unseren Kameraden hatten sie zu fassen bekommen, und wir mußten sie in größter Eile begraben. Es ist immer sehr warm dort.«

Julian Jones machte eine Pause und studierte über die Schulter hinweg seine Frau, die gerade vor sich hin sah, und deren Gesicht einen sehr unangenehmen Ausdruck angenommen hatte.

»Den Goldklumpen habe ich nicht vergessen«, versicherte er mir.

»Und das Frauenzimmer auch nicht«, sagte die kleine Frau scharf, scheinbar zu den Bläßhühnern, die auf der Lagune ruderten.

»Ich war gerade auf der Reise nach dem Goldklumpen –«

»Du hattest nie einen Grund, in dem gefährlichen Land zu bleiben«, fuhr seine Frau ihn an.

»Na, Sara«, wandte er sich an sie. »Du warst es doch, für die ich die ganze Zeit arbeitete.« Und mir erklärte er: »Das Risiko war groß, aber der Lohn auch. In manchen Monaten verdiente ich fünfhundert in Gold. Und Sara wartete auf mich in Nebraska –«

»Wir waren zwei Jahre verlobt«, beklagte sie sich bei dem Juwelenturm.

»Aber Sie sollen hören, wie der Streik kam, und wie ich auf das Schwarze Brett kam und Typhus in Australien kriegte und alles übrige«, fuhr er fort. »Ich hatte Glück bei der Eisenbahn. Oh, ich sah Burschen verschwinden, die eben aus den Staaten gekommen waren; einige waren noch keine Woche auf ihrer ersten Reise: Wenn Krankheiten und die Eisenbahn sie nicht erledigten, taten die Banditen es. Aber mein Schicksal sollte es nicht werden, selbst als ich meine Maschine in eine vierzig Fuß tiefe Ausschachtung fuhr. Ich verlor meinen Heizer, und dem Zugführer und dem Direktor des rollenden Materials (der zufällig mit nach Duran reiste, um seine Braut zu treffen) wurden die Köpfe von den Banditen abgeschlagen und auf Pfählen ausgestellt. Aber ich lag behaglich wie eine Wanze unter einigen Fuß Kohlen vom Tender – lag dort einen Tag und eine Nacht, bis die Erregung sich abkühlte. Ja, ich hatte Glück. Das Schlimmste, was mir geschah, war einmal eine Erkältung und ein andermal eine Brandblase. Aber die andern! Die starben wie die Fliegen an Gelbem Fieber, Lungenentzündung, Banditen und Eisenbahn. Das Unglück war, daß ich nicht viel Gelegenheit hatte, mich mit ihnen zu befreunden. Sobald ich mit einem von ihnen ein wenig vertraut wurde, starb er – alle außer einem Heizer namens Andrews, und der wurde tatsächlich verrückt.

Ich verrichtete meine Arbeit von Anfang an zuverlässig und wohnte in Quito in einem Haus aus ungebrannten Ziegeln, mit mächtig großen spanischen Ziegelsteinen auf dem Dach, das ich gemietet hatte. Und ich hatte nie Scherereien mit den Banditen, weil ich sie gratis im Tender oder auf dem Kuhfänger mitnahm. Mich runterwerfen? Nie. Als Jack Harris eine Bande von ihnen wegjagte, achtete ich darauf, daß ich seiner Beerdigung muy pronto beiwohnte –«

»Sprich Englisch!« fauchte die kleine Frau neben ihm.

»Sara kann nicht leiden, daß ich Spanisch spreche«, bemerkte er zu seiner Entschuldigung. »Es greift ihre Nerven so an, daß ich ihr versprochen habe, es zu lassen. Na, wie gesagt, das Leben war nicht schlecht, und alles ging gut, ich legte meinen Lohn auf die hohe Kante, um nach Nebraska heimzukehren und Sara zu heiraten, als ich auf Vahna stieß –«

»Das Frauenzimmer!« fauchte Sara.

»Na ja, Sara«, bat ihr turmhoher Riese von Ehemann. »Ich muß schon von ihr reden, sonst kann ich die Sache vom Goldklumpen nicht erzählen. Es war in einer Nacht, als ich eine Lokomotive – keinen Zug – nach Amato, ungefähr dreißig Meilen von Quito, fuhr. Seth Manners war mein Heizer. Ich bildete ihn gerade zum selbständigen Maschinisten aus und ließ ihn die Lokomotive führen, während ich auf seinem Platz saß und an Sara dachte. Ich hatte gerade einen Brief von ihr erhalten, in dem sie mich wie gewöhnlich heimzukommen bat und auf die Gefahren hinwies, die einem unverheirateten Mann wie mir drohten, wenn er in einem Land voller Mädchen und Fandangos frei herumliefe. Herrgott im Himmel! Wenn sie sie gesehen hätte! Die reinen Schreckbilder. Mit ihren weiß wie Leichen gemalten Gesichtern und ihren Lippen so rot wie – wie – wie einige von den Zugresten, die ich aufzufrischen geholfen habe.

Es war eine herrliche Aprilnacht, kein Windhauch, und ein schrecklich großer Mond schien gerade über dem Gipfel des Chimborasso – das ist ein Berg. Die Eisenbahn führte zwölftausend Fuß über dem Meeresspiegel an ihm entlang, und der Gipfel war noch zehntausend Fuß höher.

Vielleicht war ich ein bißchen eingenickt, während Seth die Maschine fuhr; aber plötzlich zog er die Bremse so hart an, daß ich beinahe zum Fenster hinausgestürzt wäre.

›Donnerwetter,‹ begann ich zu heulen, und ›lieber Gott‹, sagte Seth, während wir beide hinschauten, was dort auf dem Gleis war. Und ich stimmte Seth vollkommen zu. Es war ein indianisches Mädchen – und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß Indianer durchaus keine Banditen sind. Es war Seth geglückt, die Lokomotive weniger als sechs Meter von ihr entfernt anzuhalten, obwohl es sogar bergab ging. Aber das Mädchen. Sie –«

Ich sah Frau Julian Jones' Gestalt erstarren, obwohl sie den Blick boshaft auf zwei Bläßhühner geheftet hielt, die sich an einer seichten Stelle der Lagune vor uns tummelten. »Das Frauenzimmer!« fauchte sie noch einmal unversöhnlich. Jones stockte, fuhr aber gleich darauf fort:

»Sie war ein großes Mädel, schlank und schmächtig, Sie kennen die Art, mit merkwürdig langem schwarzen Haar, das lose herabhing, wie sie, nicht im mindesten erschrocken, dastand und die Arme ausbreitete, um die Maschine aufzuhalten. Sie hatte eine Art von dünnem Kleidungsstück um sich gewickelt, nicht aus Stoff, sondern aus Pantherfell, seidenweich und gefleckt. Das war alles, was sie anhatte.«

»Das Frauenzimmer!« flüsterte Frau Jones.

Aber Herr Jones fuhr fort, indem er tat, als bemerke er die Unterbrechung nicht.

»›Das ist doch eine verfluchte Art und Weise, eine Lokomotive anzuhalten‹, beklagte ich mich bei Seth, indem ich auf der richtigen Seite hinunterkletterte. Ich ging an der Maschine vorbei zu dem Mädchen, und was meinen Sie? Ihre Augen waren dicht geschlossen. Sie zitterte so heftig, daß man es beim Mondlicht sehen konnte. Barfüßig war sie auch.

›Was soll der Blödsinn?‹ sagte ich, nicht allzu freundlich. Sie fuhr zusammen, schien zu sich zu kommen und öffnete die Augen. Ah, die waren groß und schwarz und schön. Glauben Sie mir, sie konnte sehen.«

»Das Frauenzimmer!« Bei ihrem Fauchen flüchteten die beiden Bläßhühner einige Schritt. Aber Jones hatte seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen und zuckte nicht mit der Wimper.

»›Warum hältst du die Lokomotive auf?‹ fragte ich auf Spanisch. Keine Antwort. Sie starrte zuerst mich, dann die stöhnende Maschine an und brach dann in Tränen aus – wie Sie zugeben werden, ein ungewöhnliches Benehmen für eine Indianerin. ›Wenn du versuchst, dir auf diese Weise eine Freifahrt zu verschaffen,‹ rief ich ihr auf Spiggoty-Spanisch zu (eine Sprache, die sich etwas vom ordentlichen Spanisch unterscheidet), ›wirst du vom Kuhfänger und der Laterne zerquetscht, und mein Heizer muß dich herunterschaben.‹

Mein Spiggoty-Spanisch war nicht viel wert, aber ich sah, daß sie es verstand, obwohl sie den Kopf schüttelte und nicht sprechen wollte. Aber, großer Moses, die Augen!«

Ich warf einen ängstlichen Blick auf Frau Jones, die mich im Auge behalten haben mußte, denn sie murmelte: »Wenn das nicht gewesen wäre, glauben Sie, er hätte sie dann mit in seinem Hause wohnen lassen?«

»Nun hör' aber auf, Sara!« protestierte er. »Das ist nicht hübsch. Außerdem erzähle ich jetzt. – Nun brüllte Seth mir zu: ›Sollen wir die ganze Nacht hierbleiben?‹

›Komm mit‹, sagte ich zu dem Mädchen, und kletterte an Bord. ›Aber wenn du wieder mal fahren willst, mußt du der Lokomotive Zeichen zwischen den Stationen geben.‹ Sie folgte mir, als ich aber das Trittbrett erreichte und mich umdrehte, um ihr die Hand zu reichen, war sie nicht da. Ich ging nach vorn. Keine Spur von ihr. Über und unter uns waren steile Felshänge, und das Gleis erstreckte sich mehrere hundert Meter rein und leer voraus. Und da entdeckte, ich sie zusammengekauert neben dem Kuhfänger, so dicht daneben, daß ich fast auf sie getreten wäre. Wären wir losgefahren, so würde sie in einer Sekunde unter den Rädern gewesen sein. Das alles war so sinnlos, daß ich nicht daraus klug werden konnte. Vielleicht wollte sie einen Selbstmordversuch machen. Ich ergriff sie am Handgelenk und zerrte sie, nicht allzu behutsam, auf die Füße. Und sie folgte mir ganz hübsch. Eine Frau weiß ganz genau, wann ein Mann es ernst meint.«

Ich sah von diesem Goliath auf sein kleines, vogeläugiges Ehegespons und dachte, ob er bei ihr wohl je versucht hätte, es ernst zu meinen.

»Seth leistete zuerst Widerstand, aber ich hob sie hinauf und ließ sie sich neben mich setzen.«

»Und ich denke, daß Seth genug zu tun hatte, auf die Maschine zu achten«, bemerkte Frau Jones.

»Ich lernte ihn an, nicht wahr?« protestierte Herr Jones. »So machten wir die Fahrt nach Amato. Sie öffnete nicht ein einziges Mal den Mund, und sobald die Maschine hielt, sprang sie hinunter und war verschwunden. Jawohl. Kein Wort zum Dank. Nichts. Als wir aber am Morgen mit einem Dutzend mit Schienen beladener Flachwagen nach Quito fuhren, erwartete sie uns auf der Lokomotive; und bei Tage konnte ich sehen, wieviel besser sie aussah als am Abend zuvor.

›Puh, sie hat dich adoptiert!‹ grinste Seth. Und es sah so aus. Sie stand da und sah mich an – sah uns an – wie ein treuer Hund, dessen Liebe man durch ein paar Würste gewonnen hat, und der genau weiß, daß man nicht die Hand gegen ihn hebt.

›Mach', daß du wegkommst!‹ sagte ich ihr pronto.« (Bei dem spanischen Wort machte Frau Jones ihre Anwesenheit durch einen Schmerzenszug bemerkbar.) »Du siehst, Sara, daß ich sie bis zur Abreise nicht brauchte.«

Frau Jones erstarrte. Ihre Lippen bewegten sich lautlos, aber ich wußte, was sie sagen wollte.

»Und das Schlimmste war, daß Seth mich verspottete. ›Du kannst sie nicht so abschütteln.‹ sagte er, ›du hast ihr das Leben gerettet.‹ ›Nein.‹ sagte ich scharf, ›das hast du getan.‹ ›Aber sie glaubt, daß du es warst, und das kommt auf dasselbe hinaus.‹ bemerkte er, ›und jetzt gehört sie dir. Das ist nun mal hier so üblich, wie du wissen solltest.‹«

»Heidnisch«, sagte Frau Jones, und obwohl ihr Blick starr auf den Juwelenturm gerichtet war, wußte ich doch, daß sie sich nicht mit dessen Architektur beschäftigte.

»›Sie ist gekommen, um leichte Hausarbeit für dich zu verrichten‹, grinste Seth. Ich ließ ihn schwatzen, hielt ihn aber dann mächtig zum Kohlenschaufeln an, so daß er sein Mundwerk nicht viel gebrauchen konnte. Und nun hören Sie nur: Als ich zu der Stelle kam, wo ich sie aufgelesen hatte, und den Zug anhielt, damit sie aussteigen konnte, warf sie sich auf die Knie und umschlang meine Knie mit den Armen und ließ ihre Tränen auf meine Schuhe fließen. Was sollte ich machen?«

Ohne eine mir erkennbare Bewegung offenbarte Frau Jones ihr entschiedenes Wissen von dem, was sie getan haben würde.

»Und in dem Augenblick, als wir in Quito einliefen, tat sie dasselbe wie früher: sie verschwand. Sara würde mir nie glauben, wenn ich sage, welche Erleichterung ich fühlte, als ich sie los wurde. Aber es sollte anders kommen. Ich ging nach Hause und fand ein fabelhaftes Essen vor, das meine Köchin mir gemacht hatte. Sie war eigentlich Spiggoty und Halbindianerin und hieß Paloma. – Na, Sara, hab' ich dir nicht erzählt, daß sie älter als meine Großmutter war? Mehr wie ein Sperber als wie eine Taube aussah? Ich konnte nicht essen, wenn sie in der Nähe war und ich sie sehen konnte. Aber sie hielt alles gut in Ordnung und war ziemlich sparsam bei den Einkäufen.

Und wen finde ich am Nachmittag nach einem guten, langen Schlaf in der Küche, ganz als ob sie zum Hause gehörte? Niemand anders als das verfluchte Indianermädel. Und Paloma hockte vor ihr und rieb ihr Knie und Beine, als hätte sie Rheumatismus, was das Mädel, nach ihrem Gang zu urteilen, nicht hatte, und im Takt zu dem Reiben sang sie ein komisches malebarisches Lied. Und ich nahm kein Blatt vor den Mund. Wie Sara weiß, habe ich nie Weiber im Haus vertragen können – junge, unverheiratete Frauen, meine ich. Diesmal aber hatte ich kein Glück! Die alte Paloma nahm Partei für das Mädchen und sagte, wenn das Mädchen ginge, ginge sie auch, und sie nannte mich einen Dummkopf mit mehr Ausdrücken, als die englische Sprache kennt. Dir würde die spanische Sprache gefallen haben, Sara, wenn du dich so hättest ausdrücken wollen, und dir würde auch die alte Paloma gefallen haben. Eine brave Frau, wenn sie auch keine Zähne hatte und ihr Gesicht den Appetit eines ausgewachsenen Mannes im Entstehen töten konnte.

Ich gab nach. Mir blieb nichts anderes übrig. Bis auf die Entschuldigung, daß sie Vahnas Hilfe im Hause brauchte (was gar nicht stimmte), sagte die alte Paloma nie, warum sie für das Mädchen eintrat. Auf alle Fälle war Vahna ein ruhiges Geschöpf und nie im Wege. Und sie lief nicht herum. Sie saß im Hause, schwatzte mit Paloma und half ihr bei der Hausarbeit. Aber bald wurde ich mir darüber klar, daß sie sich vor irgend etwas fürchtete. Sie pflegte so ängstlich aufzusehen, daß es einen quälte, wenn junge Leute auf einen Schwatz oder ein Spiel Pedro kamen. Ich versuchte aus Paloma herauszukriegen, was das Mädel quälte, aber die alte Paloma tat nichts, als feierlich auszusehen und den Kopf zu schütteln, als wären alle Teufel der Hölle verpflichtet, uns so schnell wie möglich einen Besuch abzustatten.

Und eines Tages bekam Vahna Besuch. Ich war gerade von einer Fahrt heimgekommen und verbrachte den Tag mit ihr – ich mußte höflich sein, wenn sie sich auch bei mir eingedrängt hatte, um für immer in meinem Hause zu wohnen –, als ich sah, daß ein merkwürdiger Ausdruck in ihre Augen trat. In der Tür stand ein Indianerknabe. Er sah ihr ähnlich, war aber jünger und schlanker. Sie nahm ihn mit in die Küche, und dort müssen sie eine lange Beratung abgehalten haben, denn er ging erst, als es dunkel wurde. Im Laufe der Woche kam er wieder, aber ich war nicht zu Hause. Als ich heimkam, legte Paloma mir einen schweren Goldklumpen, nach dem Vahna ihn geschickt hatte, in die Hand. Das verfluchte Ding wog ganze zwei Pfund und war über fünfhundert Dollar wert. Sie erklärte, daß Vahna ihn mir als Bezahlung für ihren Aufenthalt zu geben wünschte, und ich mußte ihn nehmen, um Frieden im Hause zu haben.

Nach längerer Zeit kam ein anderer Gast. Wir saßen gerade vor dem Feuer –«

»Er und das Frauenzimmer«, sagte Frau Jones.

»Und Paloma«, fügte er schnell hinzu.

»Er und seine Köchin und sein Hausmädchen saßen am Feuer«, berichtigte sie.

»Na ja, ich räume ein, daß Vahna mich mächtig gern hatte«, behauptete er rücksichtslos; dann aber schwächte er es in einem Anfall von Vorsicht ab. »Ein bißchen mehr, als gut für sie war, in Anbetracht dessen, daß mit mir in dieser Beziehung nichts zu machen war.

Na also, was ich sagen wollte, sie bekam einen neuen Gast. Das war ein hochgewachsener, magerer, weißhaariger alter Indianer mit einem Schnabel wie ein Adler. Er kam direkt herein, ohne anzuklopfen. Vahna stieß einen kleinen Schrei aus, der halb wie Kläffen und halb wie Japsen klang, und plumpste vor mir auf die Knie, indem sie mich mit Augen wie ein Reh um Schutz anrief und ihn mit Augen ansah wie ein Tier, das getötet werden soll. Dann glotzten sie und der alte Bursche sich eine Minute an, die so lang wie ein ganzes Leben währte. Paloma war die erste, die sprach, und zwar in seiner Sprache, denn er antwortete ihr. Aber großer Moses, ob er nicht eine hohe und mächtige Persönlichkeit war! Paloma zitterten die alten Knie, und sie kroch vor ihm wie ein Hund. Und alles das in meinem eigenen Hause! Ich würde ihn kopfüber hinausgeworfen haben, wenn er nicht so alt gewesen wäre.

Ob das, was er zu Vahna sagte, ebenso schrecklich war, wie er guckte? Hören Sie nur! Er spie die Worte geradezu auf sie! Aber Paloma jammerte und redete, bis etwas von dem, was sie sagte, Eindruck auf ihn machte, denn sein Gesicht nahm einen weniger strengen Ausdruck an. Er ließ sich dazu herab, eine Frage an Vahna zu richten. Sie ließ den Kopf hängen, machte ein dummes Gesicht, errötete und antwortete dann mit einem einzigen Wort und einem Kopfschütteln. Und dann machte er ganz einfach kehrt und schob ab. Ich vermute, sie hatte nein gesagt.

Einige Zeit später wurde Vahna verwirrt, sobald sie mich sah. Sie nahm dann für eine Weile ihre Zuflucht zur Küche. Schließlich aber begann sie sich wieder in dem großen Zimmer aufzuhalten. Sie war noch mächtig scheu, pflegte mir aber andauernd mit ihren großen Augen zu folgen –«

»Das Frauenzimmer!« hörte ich deutlich. Aber Julian Jones und ich waren das jetzt schon gewöhnt.

»Ich muß offen sagen, daß sie mich selbst etwas zu interessieren begann – ach, nicht auf die Art, wie Sara ewig glaubt. Es war der zweipfündige Goldklumpen, der mich in Atem hielt. Wenn Vahna mir erzählen wollte, wo er herkam, so konnte ich der Eisenbahn Lebewohl sagen und nach Nebraska und zu Sara als Matador heimkehren.

Und dann kam Fahrt in die Geschichte ... durch einen Zufall. Ein Brief aus Wisconsin. Meine Tante Eliza war gestorben und hatte mir ihre große Farm hinterlassen. Ich stieß ein Freudengeheul aus, als ich das las. Aber ich hätte es gern lassen können, mich darüber zu freuen, denn ich bin von Gerichten und Rechtsanwälten davon vertrieben worden – es blieb nicht ein Cent für mich, und ich mußte heute noch Abzahlungen leisten.

Aber das wußte ich damals nicht, und ich traf meine Vorbereitungen, um nach dem Lande Gottes zurückzukehren. Paloma wurde traurig, und Vahna brach in Tränen aus. Geh nicht, geh nicht! Das war das Lied, das sie sang. Aber ich kündigte meine Arbeit und schrieb einen Brief an Sara – nicht wahr, Sara?

An diesem Abend, als wir wie bei einem Begräbnis am Feuer saßen, nahm Vahna wirklich zum erstenmal das Blatt vom Munde.

›Geh nicht‹, sagte sie, während die alte Paloma ihr mit einem Kopfnicken zu erkennen gab, daß sie einig mit ihr war. ›Wenn du nicht gehst, will ich dir zeigen, wo mein Bruder den Goldklumpen herbekam.‹ ›Zu spät‹, sagte ich. Und ich erzählte ihr, warum.«

»Und erzähltest ihr von mir, die in Nebraska auf dich wartete«, bemerkte Frau Jones kalt und leidenschaftslos.

»Sag' mal, Sara, warum sollte ich die Gefühle einer armen Indianerin verletzen? Natürlich tat ich das nicht – sie und Paloma sprachen noch etwas in der Indianersprache miteinander, und dann sagte Vahna: ›Wenn du willst, will ich dir den größten Goldklumpen, den Vater aller andern Goldklumpen, zeigen.‹ ›Wie groß ist er?‹ fragte ich. ›So groß wie ich.‹ Sie fing zu lachen an. ›Größer als du.‹ sagte sie, »viel, viel größer.‹ ›So wachsen die nicht‹, sagte ich, aber sie sagte, sie hätte ihn gesehen, und Paloma pflichtete ihr bei. Wenn man sie hörte, hätte man glauben sollen, daß Millionen in dem einen Goldklumpen wären. Paloma hatte ihn selber nie gesehen, aber von ihm gehört. Es war ein Stammesgeheimnis, an dem sie keinen Teil haben konnte, da sie selbst Mischling war.«

Julian Jones schwieg und seufzte.

»Und sie redeten weiter auf mich ein, und schließlich ließ ich mich verleiten von dem –«

»Frauenzimmer«, sagte Frau Jones augenblicklich, schnippisch wie ein Vogel.

»Nein, von dem Goldklumpen. Tante Elizas Farm hatte in ich reich genug gemacht, daß ich die Eisenbahn verlassen konnte, aber nicht reich genug, um einer Masse Gold den Rucken zu kehren – und ich mußte diesen beiden Frauen glauben. Holla! Ich konnte ein zweiter Vanderbilt oder J. P. Morgan werden. So dachte ich und machte mich daran, Vahna auszuforschen. Aber sie wollte nicht mit der Sprache heraus. »Begleite mich.‹ sagte sie, ›in einer Woche können wir wieder dasein mit so viel Gold, wie wir beide tragen können.‹ ›Wir wollen einen Esel oder eine Koppel Packesel mitnehmen‹, lautete mein Vorschlag. Aber es war nichts zu machen. Und Paloma war auch mit ihr einig. Es sei zu gefährlich, die Indianer würden uns fangen.

Als die Nächte mondhell waren, brachen wir auf. Wir reisten nur des Nachts und rasteten am Tage. Vahna wollte mich kein Feuer machen lassen, und mir fehlte mein Kaffee ganz mächtig. Wir kamen in die richtigen hohen Berge der Hauptkette der Anden, wo der Schnee uns auf einem Paß einige Mühe machte; aber das Mädchen kannte den Weg, und obwohl wir keine Zeit vergeudeten, brauchten wir eine volle Woche, um hinzugelangen. Ich kannte die Hauptrichtung unserer Reise, weil ich einen Taschenkompaß hatte, und die Hauptrichtung ist alles, was ich brauche, um wieder hinzufinden. Die Bergspitze ist nicht zu verfehlen. Keine Spitze in der ganzen Welt gleicht ihr. Nun, ich erzähle Ihnen nicht, wie ihre Form war, aber wenn Sie und ich von Quito aufbrechen, werde ich Sie geradeswegs hinführen.

Sie ist nicht leicht zu besteigen; der Mensch, der sie nachts besteigen kann, ist noch nicht geboren. Wir mußten das Tageslicht benutzen und erreichten den Gipfel erst nach Sonnenuntergang. Nun, ich könnte Ihnen Stunden und Stunden von dem Aufstieg erzählen, was ich jedoch nicht will. Der Gipfel war flach wie ein Billard, ungefähr einen viertel Morgen groß und fast rein von Schnee. Vahna erzählte mir, daß die starken Winde, die gewöhnlich hier wehten, den Schnee forthielten.

Wir wurden tüchtig durchgeweht, und ich bekam die Bergkrankheit so schlimm, daß ich mich eine Weile hinlegen mußte. Als der Mond dann aufging, machte ich einen Rundgang. Es dauerte nicht lange, so sah oder roch ich etwas, das Gold glich. Und als ich Vahna fragte, lachte sie nur und klatschte in die Hände. Indessen wurde meine Bergkrankheit ziemlich heftig, und ich setzte mich auf einen großen Stein, um zu warten, daß sie sich verzöge.

›Komm nun‹, sagte ich, als ich mich ein wenig besser fühlte. ›Hör' mit dem Unsinn auf und sag' mir, wo der Goldklumpen ist.‹

›Der ist dir gerade jetzt näher, als ich dir je gekommen bin‹, antwortete sie, und ihre großen Augen wurden plötzlich sinnend. ›Ihr Fremden seid alle gleich. Das Gold ist es, das eure Herzen lieben, Frauen gelten euch nicht viel.‹

Ich sagte nichts. Es war nicht der rechte Zeitpunkt, ihr von Sara zu erzählen. Aber Vahna schien ihre Niedergedrücktheit abzuschütteln und begann wieder zu lachen und mich zu necken.

›Wie gefällt er dir?‹ fragte sie.

›Gefällt? Was?‹

›Der Goldklumpen, auf dem du sitzt.‹

Ich sprang auf, als wäre es ein rotglühender Ofen, und es war nichts als ein Stein. Ich fühlte, wie das Herz mir im Leibe sank. Entweder war sie vollkommen verrückt, oder dies war ihre Art zu scherzen. In jeder Beziehung toll. Sie gab mir die Axt und sagte, ich sollte in den großen Stein hauen, was ich immer wieder tat, denn bei jedem Schlage sprangen gelbe Stücke ab. Beim großen Moses! Es war Gold! Der ganze verfluchte, große Stein!«

 

Jones erhob sich plötzlich zu seiner vollen Höhe und schleuderte seine langen Arme von sich, das Gesicht nach den südlichen Himmelsgegenden gerichtet. Die Bewegung versetzte einen Schwan, der sich mit liebenswürdig räuberischen Plänen genähert hatte, in plötzlichen Schrecken. Sein hierauf erfolgender unvermittelter Rückzug bewirkte einen Zusammenstoß mit einer kräftigen alten Dame, die schrie und ihre Tüte mit Erdnüssen fallen ließ. Jones setzte sich und ergriff wieder das Wort. »Gold, sage ich Ihnen, solides Gold und so rein und weich, daß ich Kerben hineinhieb. Es war mit einer Art Schutzfarbe oder einem Lack überzogen, der aus Asphalt oder etwas Ähnlichem gemacht war. Kein Wunder, daß ich den Klumpen für einen Stein gehalten hatte. Er war zehn Fuß lang, volle fünf Fuß breit und an beiden Enden zugespitzt wie ein Ei. Sehen Sie mal.«

Er zog ein Lederfutteral aus der Tasche, öffnete es und entnahm ihm einen in geöltes Seidenpapier gewickelten Gegenstand. Er packte ihn aus und ließ einen Splitter aus reinem weichen Gold von der Größe eines Zehn-Dollar-Stücks in meine Hand fallen. Ich konnte auf der einen Seite den grauen Stoff erkennen, mit dem er angestrichen gewesen war.

»Das habe ich von dem einen Ende abgehauen«, fuhr Jones fort, indem er den Splitter wieder in das Papier und das Lederfutteral steckte. »Und es war gut, daß ich ihn in die Tasche steckte. Denn direkt hinter mir ertönte ein lautes Wort, das mir eher wie ein Krähenschrei als ein Wort vorkam. Und da stand der alte Bursche mit dem Adlerschnabel, der eines Tages bei uns zur Tür hereingekommen war. Und bei ihm waren ungefähr dreißig Indianer – alles schlanke, junge Burschen. Vahna warf sich zu Boden und begann zu wimmern.

Aber ich sagte zu ihr: ›Steh' auf und befreunde mich mit ihnen.‹

›Nein, nein‹, rief sie. ›Das ist der Tod. Leb' wohl, amigo –‹«

Hier krümmte sich Frau Jones, und ihr Mann hielt plötzlich in seinem Wortstrom inne.

»›Dann steh auf und laß uns mit ihnen kämpfen‹, sagte ich zu ihr. Und das tat sie. Eine Furie war nichts gegen sie. Sie kratzte und biß mit Zähnen und Nägeln – eine wahre Tigerin. Und ich war auch nicht müßig, wenn ich auch nur die Axt und meine langen Arme hatte. Aber sie waren zu viele für mich, und es gab keine Mauer oder sonst etwas, um mir den Rücken zu decken. Als ich wieder zu mir kam, mehrere Minuten, nachdem sie mir eines auf den Kopf gegeben hatten – hier – fühlen Sie mal –«

Julian Jones nahm den Hut ab, führte meine Fingerspitzen durch das Dach von sandfarbigem Haar, bis sie in eine Vertiefung sanken. Die war volle drei Zoll lang und ging in den Knochen der Hirnschale hinein.

»Als ich wieder zu mir kam, lag Vahna mit gespreizten Beinen und Armen auf dem Goldklumpen, und der alte Bursche mit dem Schnabel redete ein feierliches Zeugs daher, als beschäftige er sich mit irgendwelchen religiösen Übungen. In der Hand hielt er ein Steinmesser – Sie wissen, einen dünnen, scharfen Scherben aus einem obsidianähnlichen Stoff, demselben, aus dem sie Pfeilspitzen machen. Ich konnte nicht eine Hand heben, da ich festgehalten wurde und auch zu schwach war. Und – na ja, jedenfalls machte das Steinmesser ihr ein Ende, und mir taten sie nicht mal die Ehre an, mich auf ihrem heiligen Felsen abzumurksen. Sie warfen mich hinunter, als wäre ich ein Aas.

Und die Sperber kriegten mich auch nicht, und ich kann heute noch das Mondlicht auf all diesen schneebedeckten Zinnen während meines Absturzes vor mir sehen. Ja, Herr, es war ein Absturz von fünfhundert Fuß; nur daß ich ihn nicht mitmachte. In einer Felsschlucht geriet ich in eine große Schneewehe. Und als ich (viele Stunden später, das weiß ich, denn es war voller Tag, als ich das nächste Mal die Sonne sah) wieder zu mir kam, befand ich mich in einer richtigen Schneehöhle oder einem Tunnel, der aus dem am Felsabsatz entlang laufenden Schmelzwasser gebildet war. In Wirklichkeit hing der Felsen gerade über der Stelle, wo ich zuerst gelandet war. Einige wenige Fuß weiter nach der einen oder der anderen Seite, und ich wäre heute noch in Bewegung. Es war das reine Wunder, das war es!

Aber ich mußte dafür bezahlen. Es dauerte zwei Jahre oder noch länger, ehe ich wußte, was geschehen war. Ich wußte nichts, als daß ich Julian Jones hieß, daß ich bei dem großen Streik auf das Schwarze Brett gekommen und mit Sara verheiratet war. Es ist mein Ernst. Von dem, was dazwischen lag, wußte ich nichts, und wenn Sara davon zu sprechen versuchte, machte es mir Kopfschmerzen. Mein Kopf war ganz in Unordnung geraten, und ich wußte das.

Und als ich dann an einem mondhellen Abend in der Vorhalle vom Hause ihres Vaters auf seiner Farm in Nebraska saß, trat Sara heraus und legte mir diesen Goldsplitter in die Hand. Es scheint, daß sie ihn gerade in dem zerrissenen Futter des Koffers gefunden hatte, den ich aus Ekuador mit heimbrachte – und ich hatte zwei Jahre nicht einmal gewußt, daß ich in Ekuador, in Australien oder sonst irgendwo gewesen war. Na, wie ich so dasaß, im Mondschein den Splitter betrachtete, ihn hin und her drehte und nachdachte, was das wohl wäre und wo er herstammen mochte, da auf einmal gab es in meinem Kopf einen Knall, als spränge etwas entzwei. Und da konnte ich Vahna auf dem großen Goldklumpen liegen und den alten Burschen mit dem Adlerschnabel das Steinmesser schwingen sehen und ... alles andere. Das heißt alles, was geschehen war von der Zeit, als ich Nebraska verließ, bis zu dem Augenblick, da ich aus dem Schnee ans Tageslicht kroch, nachdem sie mich vom Berge heruntergeworfen hatten. Alles aber, was mir nach der Zeit geschehen ist, habe ich vollkommen vergessen. Als Sara mir sagte, daß ich ihr Mann sei, wollte ich ihr nicht glauben. Die ganze Familie und der Pfaffe, der uns traute, mußten erst herhalten, um mich zu überzeugen.

Später schrieb ich an Seth Manners. Die Eisenbahn hatte ihn noch nicht umgebracht, und er schüttete mir sein Herz aus. Ich werde Ihnen seine Briefe zeigen. Ich habe sie im Hotel. Eines Tages, sagte er, war ich, als er seine regelmäßige Fahrt machte, auf das Gleis gekrochen. Ich stand nicht aufrecht, ich kroch eben. Seth hielt mich anfangs für ein Kalb oder einen großen Hund. Ich hatte nichts Menschliches an mir, wie er sagte, und erkannte weder ihn noch sonst irgend etwas. Soweit ich es berechnen kann, waren zehn Tage vergangen, seit ich auf dem Gipfel gewesen war, bis zu dem Augenblick, da Seth mich auflas. Was ich gegessen hatte, weiß ich nicht. Vielleicht gar nichts. Dann gab es in Quito Ärzte, und Paloma pflegte mich (sie muß mir den Goldsplitter in den Koffer gesteckt haben), bis sie herausfanden, daß ich den Verstand verloren hatte, und die Eisenbahn mich nach Nebraska zurückschickte. Das war es jedenfalls, was Seth mir schrieb. Ich selbst wußte nichts. Aber Sara wußte Bescheid. Sie hatte mit der Eisenbahn korrespondiert, bis sie mich fortschickten, und dergleichen mehr.«

Frau Jones bestätigte nickend die Richtigkeit seiner Worte, seufzte und ließ mich unverkennbar merken, daß sie gern gehen wollte.

»Ich bin seither nicht imstande gewesen, zu arbeiten«, fuhr ihr Mann fort. »Und ich bin nicht imstande gewesen, nachzudenken, wie ich wieder zu dem großen Goldklumpen kommen soll. Sara hat selber Geld, aber sie will nicht mit einem Groschen herausrücken.«

»In das Land kommt er mir nicht mehr!« rief sie.

»Aber, Sara, Vahna ist tot – das weißt du doch«, wandte Julian Jones ein.

»Ich weiß gar nichts,« antwortete sie entschieden, »außer, daß das Land nichts für einen verheirateten Mann ist.«

Ihre Lippen schnappten zusammen, und ohne etwas zu sehen, starrte sie nach der Stelle, wo die Nachmittagssonne im Untergehen zu glühen begann. Ich sah ihr einen Augenblick in das blasse, volle, kleine, unversöhnliche Gesicht und wußte, daß mit ihr nicht zu reden war.

»Wie können Sie erklären, daß es dort eine solche Masse Gold gibt?« fragte ich Julian Jones. »Ein Meteor aus massivem Gold, der vom Himmel gefallen ist?«

»Das habe ich keinen Augenblick geglaubt.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist von den Indianern hinauf geschafft worden.«

»Auf einen Berg wie den – und solches Gewicht und solche Masse!« wandte ich ein.

»Kleinigkeit«, lächelte er. »Ich stand selbst zuerst dieser Frage hilflos gegenüber, als ich mein Gedächtnis wiedergefunden hatte. ›Wie in aller Welt –‹, pflegte ich zu beginnen und dann stundenlang darüber nachzudenken. Und als ich dann die Antwort fand, kam ich mir wie ein Idiot vor, so leicht war es.« – Er hielt inne und verkündete dann: »Sie taten es nicht.«

»Aber Sie haben doch eben gesagt, daß Sie es taten.« »Sie taten es und taten es nicht«, lautete seine rätselhafte Antwort. »Natürlich haben sie dieses Ungeheuer von Goldklumpen nie hinaufgeschleppt. Sie trugen nur seinen Inhalt hinauf.« Er wartete, bis er sah, daß das Verständnis in mir dämmerte.

»Und dann schmolzen sie natürlich alles Gold oder schweißten es zu einem Stück zusammen. Sie wissen, daß die ersten Spanier, die unter einem Führer namens Pizarro dort hinkamen, eine Bande Räuber und Banditen waren. Sie suchten das Land heim wie die Maul- und Klauenseuche und rotteten die Indianer wie Vieh aus. Sehen Sie, die Indianer hatten massenhaft Gold. Nun, was die Spanier nicht erwischten, versteckten die überlebenden Indianer in dem großen Klumpen auf dem Gipfel des Berges, und dort hat es gelegen und auf mich gewartet – und auf Sie, wenn Sie auf die Sache eingehen.«

Und hier vor dem Kunstpalast an der Lagune endete meine Bekanntschaft mit Julian Jones. Als ich darauf einging, das Unternehmen zu finanzieren, versprach er, mich am nächsten Morgen mit Briefen von Seth Manners und der Eisenbahn aufzusuchen und das Nähere zu vereinbaren. Aber er kam nicht. Abends telephonierte ich an sein Hotel und erhielt vom Geschäftsführer die Nachricht, daß Herr Jones und Frau früh am Nachmittag mit Gepäck abgereist wären.

Ob Frau Jones ihn nach Nebraska zurückgejagt und dort versteckt hat? Ich erinnere mich, daß in ihrem Lächeln beim Abschied etwas war, das an die schlaue Selbstzufriedenheit Mona Lisas, der Weisen, erinnerte.


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