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Eine Tochter des Nordlichts

Sie – was Sie genannt werden – Faulpelz, Sie Faulpelz, wollen mich zur Frau. Das nicht richtig. Nie, nein nie, wird Faulpelz mein Mann werden.«

So sagte Joy Molineau Jack Harrington ihre Meinung, genau so, wie sie sich am Abend zuvor mit wenigeren Worten in ihrer eignen Sprache Louis Savoy gegenüber ausgesprochen hatte.

»Aber hören Sie doch mal, Joy ...«

»Nein, nein, wie soll ich hören auf Faulpelz? Das wär' verkehrt. Sie treiben sich rum, machen Besuch in meiner Hütte und tun nichts, Sie. Wie Sie schaffen Nahrung in Zukunft? Warum Sie nicht haben Gold? Andre Männer haben viel Goldstaub!«

»Aber ich arbeite doch schwer, Joy. Es vergeht nicht ein Tag, ohne daß ich auf der Schlittenfahrt oder oben am Flusse bin. In diesem Augenblick bin ich heimgekehrt. Meine Hunde sind noch müde. Andre Männer haben Glück und finden massenhaft Gold, aber ich – ich habe kein Glück.«

»Oh! Aber als dieser Mann mit der Frau, die Indianerfrau ist, dieser Mann, McCormack, als er entdecken Klondike, da Sie nicht gehen. Andre Männer gehen. Andre Männer jetzt reiche Männer.« »Sie wissen doch selbst, daß ich damals ein paar Minen an der Quelle des Tanana untersuchte,« wandte Harrington ein, »und von Eldorado oder Bonanza erfuhr ich erst, als es zu spät war.«

»Das ist etwas anderes. Aber Sie sind nun mal – was ihr nennt – nicht mit dabei.«

»Was?«

»Nicht mit dabei – ja, nicht mit bei allem. Es ist nie zu spät. Eine sehr reiche Mine ist da, wo es heißt Eldorado. Der Mann schlagen einen Pfahl ein und gehen seiner Wege. Kein andrer Mann weiß, was aus ihm geworden. Dieser Mann, der den Pfahl eingeschlagen hat, er ist nicht mehr. Zwei Monate registriert kein Mann den Claim. Andre Männer – viele andre Männer – nehmen den Claim, fahren davon – wie der Wind – lassen den Claim einregistrieren. Ihn sehr reich. Ihn können Familie ernähren.«

Harrington ließ sich keineswegs merken, wie gespannt er war.

»Wann ist die Frist abgelaufen?« fragte er. »Was für ein Claim ist das?«

»So ich sagen zu Louis Savoy gestern abend«, fuhr sie fort, ohne seine Worte zu beachten. »Er ich glaube gewinnen.«

»Der Teufel soll Louis Savoy holen!«

»So Louis Savoy sprechen in meiner Hütte gestern abend. Ihn sagen: ›Joy, ich bin ein starker Mann. Ich haben gute Hunde, ich haben gute Lungen. Ich will gewinnen. Willst du mich dann zum Mann?‹ Und ich sagen zu ihm, ich sagen –«

»Was sagten Sie?«

»Ich sagen, ›wenn Louis Savoy gewinnt, dann wird er mich haben zur Frau‹.«

»Und wenn er nicht gewinnt?«

»Dann wird Savoy nicht werden – wie ihr sagen – Vater von meine Kinder.«

»Und wenn ich gewinne?«

»Sie gewinnen? Ha! Ha! Nie.«

Eine so verzweifelnde Wirkung das Lachen Joy Molineaus auch ausüben konnte, war es doch immer eine Freude fürs Ohr. Es störte Harrington nicht. Er war zu lange daran gewöhnt. Außerdem war er keine Ausnahme. Sie hatte alle Männer, die in sie verliebt waren, dieselbe Qual erdulden lassen. Und sehr verlockend war sie in diesem Augenblick, wie sie dastand, die Lippen zu einem Lächeln gekräuselt, die Wangen durch den Kuß der Kälte tiefer gefärbt und mit Augen, in denen die ganze zitternde Verlockung lag, die die größte aller Verlockungen ist, und die man nirgends sehen kann als in den Augen einer Frau.

Ihre zottigen Schlittenhunde drängten sich um sie zusammen, und der Leithund, Wolfszahn, legte behutsam seine Schnauze in ihren Schoß.

»Wenn ich gewinne?« drang Harrington in sie.

Sie sah von dem Hund auf den Mann und wieder zurück.

»Was sagen du, Wolfszahn? Wenn ihn starker Mann und einregistrierten Papier, sollen wir dann seine Frau werden? Was sagen du?«

Wolfszahn spitzte die Ohren und knurrte Harrington an.

»Es ist sehr kalt«, fügte sie plötzlich mit echt weiblichem Mangel an Logik hinzu, sprang auf und ordnete ihr Gespann.

Ihr Bewerber sah sie mit ungestörter Ruhe an. Seit sie sich das erstemal getroffen, hatte sie ihn alles erraten lassen, und er hatte sich Geduld angewöhnt.

»He! Wolfszahn!« rief sie, indem sie auf den Schlitten sprang, als er sich in Bewegung setzte.

»Ai! Ya! Mush!«

Harrington warf ihr einen verstohlenen Blick nach, wie sie schnell auf der Schlittenbahn nach Forty Mile fuhr. An der Stelle, wo der Weg nach Fort Cudahy auf der andern Seite des Flusses abbog, hielt sie die Hunde an und wandte sich um.

»Oh! Herr Faulpelz!« rief sie zurück. »Wolfszahn, ihn sagen ja – wenn Sie Sieger werden!«

 

Aber wie es stets in solchen Fällen geht, sickerte es durch, und ganz Forty Mile, das bisher davon in Anspruch genommen gewesen, welchen von ihren beiden letzten Bewerbern Joy Molineau nehmen würde, begann jetzt zu wetten und zu raten, wer von ihnen in dem bevorstehenden Wettlauf den Sieg davontragen würde. Das Lager teilte sich in zwei Parteien, deren jede die größten Anstrengungen machte, um ihrem Helden den Sieg zu sichern. Man riß sich um die besten Hunde, die es im Lande gab, denn Hunde, und zwar gute Hunde bedingten mehr als alles andere den Sieg. Und der Sieg bedeutete ungeheuer viel für den Sieger. Außer daß er ihm eine Frau verschaffte, derengleichen es auf Erden nicht gab, war er gleichbedeutend mit einer Goldmine im Werte von mindestens einer Million.

In dem Herbst, als die Nachricht von McCormacks Entdeckung von Bonanza kam, waren alle Bewohner der unteren Landesteile, darunter auch von Circle City und Forty Mile, nach dem Yukon aufgebrochen, jedenfalls alle mit Ausnahme derer, die wie Jack Harrington und Louis Savoy auf der Goldsuche nach Westen zogen. Markierungspfähle wurden haufenweise eingerammt, sowohl auf Elchweiden wie an Bächen und zufällig auch an dem Bach, der von allen die geringste Möglichkeit zu bieten schien, dem Eldorado. Olaf Nelson belegte fünfhundert Fuß an ihm, machte, wie es sich gehört, einen Anschlag und verschwand hierauf pflichtschuldigst. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das nächste Einregistrierungsbureau in der Polizeikaserne von Fort Cudahy, gerade gegenüber Forty Mile am Flusse. Als aber das Gerücht durchsickerte, daß der Eldorado-Creek eine Schatzkammer sei, machte man schnell die Entdeckung, daß Olaf Nelson es unterlassen hatte, den Yukon hinabzureisen, um seinen Besitz einregistrieren zu lassen. Die Leute sahen mit gierigen Augen auf den herrenlosen Claim, wo, wie sie wußten, Tausende von Dollars auf Schaufeln und Pfannen warteten. Und doch wagten sie nichts zu unternehmen, denn das Gesetz sagte, daß sechzig Tage zwischen dem Einrammen der Pfähle und dem Einregistrieren vergehen dürften, und unterdessen war ein Claim völlig unantastbar. Das ganze Land wußte von Olaf Nelsons Verschwinden, und Dutzende von Männern trafen ihre Vorbereitungen, um sich in den Besitz des Claims zu setzen und an dem darauffolgenden Wettlauf nach Fort Cudahy teilzunehmen.

In Forty Mile aber gab es nicht viel Konkurrenz. Da die ganze Stadt alle Kräfte dafür einsetzte, entweder Jack Harrington oder Louis Savoy auszurüsten, war keiner töricht genug, sich allein und auf eigne Faust an dem Wettlauf zu beteiligen. Es war eine Strecke von hundert Meilen bis zum Einregistrierungsbureau, und die Bestimmung lautete, daß die beiden Favoriten je vier Gespanne unterwegs vorfinden sollten. Das letzte Stück war natürlich das entscheidende, und so strengten sich denn die Leute an, ihren Schützlingen für diese letzten fünfundzwanzig Meilen die stärksten Tiere zu verschaffen. So heftig entbrannte der Streit zwischen den Parteien, und so hoch boten sie, daß Hunde mit höheren Preisen bezahlt wurden als je zuvor in der Geschichte des Landes. Und dieser Kampf um die Hunde sollte mehr als alles andere die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Joy Molineau lenken. Denn nicht allein, daß sie schuld an allem war, sie besaß auch das beste Schlittengespann von Chilkoot bis zur Beringsee. Es gab keinen Leithund, der mit Wolfszahn verglichen werden konnte. Der Mann, der ihn auf dem letzten Stück Weges in seinem Gespann hatte, mußte notgedrungen den Sieg davontragen. Darüber konnte kein Zweifel herrschen. Aber die kleine Gesellschaft hatte ein angeborenes Gefühl für Schicklichkeit, und es wurde kein einziger Versuch gemacht, Joy zu veranlassen, ihn zur Verfügung zu stellen. Im übrigen trösteten sich die beiden Parteien damit, daß auf diese Weise eben keiner einen Vorteil davon hätte.

Da Männer, einzeln, wie in der Gesamtheit, nun aber einmal so eingerichtet sind, daß sie in glücklicher Unwissenheit über das feinere Ränkespiel des Weibes durchs Leben gehen, so hatten die Männer in Forty Mile auch keine Ahnung von den Teufelskünsten, die Joy Molineau vorhatte. Hinterher räumten sie ein, daß sie die dunkeläugige Tochter des Nordlichts nicht gut genug gekannt hatten, deren Vater mit Pelzwerk im Lande gehandelt hatte, ehe sie sich je hatten träumen lassen, hier einzudringen, und die selbst unter dem funkelnden Nordlicht zur Welt gekommen war. Nein, der Zufall, der für ihre Geburtsstätte bestimmend gewesen war, hatte ihrer Weiblichkeit und auch ihrem weiblichen Instinkt in der Behandlung von Männern keinen Abbruch getan. Sie wußten, daß sie mit ihnen spielte, aber sie wußten nicht, wie klug ihr Spiel war, und mit welcher Schlauheit und Gewandtheit sie es spielte. Sie konnten nur die Karten sehen, die auf dem Tisch lagen, so daß alle in Forty Mile sich bis zuletzt in einem Zustand angenehmer Geistesverdunklung befanden, und erst, als sie mit ihrem letzten Trumpf herausrückte, gewannen sie Klarheit.

An einem der ersten Tage der Woche wurde alles für den Aufbruch Jack Harringtons und Louis Savoys bereit gemacht. Die Zeit war sehr klug gewählt, denn sie hatten die Absicht, ein paar Tage, ehe die Frist abgelaufen war, bei Olaf Nelsons Claim zu sein, so daß sie sich und ihre Hunde ausruhen konnten, um auf dem ersten Teil des Weges frisch zu sein. Auf der Hinreise machten sie die Entdeckung, daß die Leute in Dawson schon am Wege Hundegespanne bereit hielten, und es war klar, daß keine Ausgabe gespart wurde in Erwartung der Millionen, die der Einsatz in diesem Spiel waren.

Ein paar Tage nach der Abreise der beiden Favoriten begann Forty Mile Gespanne zum Wechseln zu schicken, zuerst nach der Station, die fünfundsiebzig Meilen von der Stadt entfernt lag, dann nach der, die fünfzig Meilen, und zuletzt nach der, die fünfundzwanzig Meilen entfernt lag. Die Gespanne für das letzte Stück waren prachtvoll, und sie waren einander so ebenbürtig, daß sich die Leute bei fünfzig Grad Fahrenheit unter Null eine ganze Stunde stritten, welches von ihnen das beste sei, ehe sie fortziehen durften. Im letzten Augenblick kam Joy Molineau auf ihrem Schlitten angesaust. Sie zog Lon McFane, der Harringtons Hundegespann versorgte, beiseite, und kaum hatte sie ihre Erklärung begonnen, als man auch schon beobachtete, daß ihm das Kinn auf die Brust sank, mit einer Hast und einem Nachdruck, die zeigten, daß es sich um eine Sache von großer Wichtigkeit handelte. Er spannte Wolfszahn von ihrem Schlitten, schirrte ihn an die Spitze von Harringtons Gespann und trieb dann die Hunde in einer langen Reihe auf den Schlitten weg am Yukon.

»Armer Louis Savoy!« sagten die Leute, aber Joy Molineau sandte ihnen einen herausfordernden Blick aus ihren schwarzen Augen und fuhr nach der Hütte ihres Vaters zurück.

 

Es war auf dem Claim von Olaf Nelson. Mitternacht näherte sich. Ein paar hundert in Pelze gekleideter Männer hatten sechzig Grad Fahrenheit unter Null der Versuchung vorgezogen, die die warmen Hütten und Betten boten. Dutzende von ihnen hielten ihre Anschläge zum Einrammen und ihre Hunde zum Davonjagen bereit. Eine Abteilung von Kapitän Constantines reitender Polizei war abkommandiert worden, um aufzupassen, daß alles ehrlich zuging. Es war ein Tagesbefehl erlassen worden, daß keiner einen Pfahl einrammen durfte, ehe die letzte Sekunde des Tages zur Vergangenheit geworden war. In den Nordländern sind derartige Befehle ebenso gebieterisch wie die Gesetze Jehovas, und die Dum-Dum-Kugel ist ebenso schnell und wirkungsvoll wie der Donnerkeil. Es war klares, kaltes Wetter. Das Nordlicht färbte den Himmel mit zitternder, üppiger Farbenpracht. Rosige Wogen kalten Strahlenglanzes schossen zum Zenit empor; die Sterne wurden ausgelöscht von großen, glänzenden grauweißen Strahlenbündeln, und mächtige Bogen erhoben sich, wie von Titanenhänden erbaut, über dem Pol. Und diese ganze verschwenderische Farbenpracht heulten die Wolfshunde an, wie ihre Vorfahren es in längst entschwundenen Tagen getan.

Ein Polizist im Bärenfell trat, die Uhr in der Hand, in die erste Reihe. Männer stürzten zwischen die Hunde und scheuchten sie auf, ordneten das Geschirr und machten die Schlitten fahrtbereit. Wer den Wettlauf mitmachen wollte, trat auf den Claim und griff nach Pfahl und Anschlag. Sie hatten so oft die Grenzen des Claims untersucht, daß sie ihnen jetzt blind folgen konnten. Der Polizist hob die Hand. Sie warfen die überflüssigen Pelze und Decken fort, schnallten sich zum letztenmal die Gurte fester und standen bereit.

»Fertig!«

Von sechzig Paar Händen flogen die Fäustlinge, und ebenso viele Mokassins traten hart in den Schnee.

»Los!«

Sie schossen nach allen vier Seiten über das breite Grundstück und rammten die Pfähle an allen Ecken und Enden ein. Dann stürzten sie zu den Schlitten in dem gefrorenen Bachbett. Es herrschte eine vollkommene Anarchie von Lärm und Bewegung. Schlitten stießen zusammen, und die Gespannhunde gingen mit gesträubten Mähnen und aus voller Kehle bellend aufeinander los. Das schmale Bachbett war ganz von der kämpfenden Masse verstopft. Schnüre und Schäfte von Hundepeitschen fielen auf Menschen und Tiere nieder. Und um das Durcheinander noch größer zu machen, hatte jeder Teilnehmer am Wettlauf eine Schar Kameraden, die sich aus aller Macht bemühten, ihn aus dem furchtbaren Chaos herauszuholen. Aber einer nach dem andern, mit Aufbietung großer physischer Kraft, schlüpften die Schlitten heraus und verschwanden schnell in der Dunkelheit des vorspringenden Landes.

Jack Harrington, der dieses furchtbare Gedränge vorausgesehen hatte, wartete an seinem Schlitten, bis etwas Ordnung herrschte. Louis Savoy, der wußte, daß sein Nebenbuhler vom Hundefahren mehr verstand als er, folgte getreulich seinem Beispiel und wartete ebenfalls. Der lärmende Aufzug befand sich schon außer Hörweite, als sie auf der Schlittenfährte abfuhren, und erst als sie an zehn Meilen nach Bonanza zu gefahren waren, holten sie ihn ein – eine lange Reihe, einer dicht hinter dem andern. Der Lärm war nicht groß und die Möglichkeit, zu diesem Zeitpunkt vorbeizukommen, sehr gering. Die Schlitten maßen sechzehn Zoll von Kufe zu Kufe, und die Schlittenfährte achtzehn Zoll. Sie war aber durch den starken Verkehr einen guten Fuß tief eingepreßt und wie ein Rinnstein. Zu beiden Seiten lagen wie ein Teppich die weichen Schneekristalle. Geriet man bei dem Versuch, die andern zu überholen, hier hinein, so mußten die Hunde bis zum Bauche einsinken und konnten nur wie die Schnecken weiterkommen. Folglich lagen die Männer flach auf den hüpfenden Schlitten und warteten auf eine Gelegenheit. Während der fünfzehn Meilen am Bonanza und Klondike entlang bis Dawson, wo sie auf den Yukon hinaus mußten, und die ersten Wechselgespanne warteten, erfolgte keine Veränderung. Und hier hatten Harrington und Savoy, die entschlossen waren, ihr erstes Gespann, wenn nötig, zu Tode zu jagen, ihr frisches Gespann ein paar Meilen weiterhin warten lassen als die andern. In der Verwirrung, die entstand, als die Schlitten gewechselt werden sollten, überholten sie gut die Hälfte der andern. Es waren vielleicht noch dreißig Mann, die auf die breite Kruste des Yukons kamen. Und jetzt ging es ums Leben.

Als der Fluß im Herbst zugefroren war, war etwa eine Meile offenes Wasser zwischen zwei mächtigen Schraubungen stehengeblieben. Die Strömung war stark, so daß sich erst vor kurzem eine Eiskruste darauf gebildet hatte, die jetzt so eben, hart und glatt wie ein Tanzboden war. Im selben Augenblick, als sie auf das blanke Eis kamen, erhob Harrington sich auf die Knie, klammerte sich mit der einen Hand an seinen unruhigen Sitz, peitschte wie ein Rasender auf die Hunde los und ließ die kräftigsten Flüche auf sie herabregnen. Die beiden Gespanne schossen über die blanke Fläche dahin und strengten sich beide aufs äußerste an. Aber es gab nur wenige Männer im Nordlande, die soviel aus ihren Hunden herausholen konnten wie Jack Harrington. Er bekam gleich einen kleinen Vorsprung, und Louis Savoy machte verzweifelte Anstrengungen, um nicht zurückzubleiben. So blieb sein Leithund immer dicht am Hinterende vom Schlitten seines Nebenbuhlers.

Mitten auf dem glatten Stück kamen ihre Wechselgespanne in voller Fahrt vom Ufer heran. Aber Harrington verminderte seine Schnelligkeit nicht. Er paßte genau auf, und als der neue Schlitten sich neben ihn schwang, sprang er mit einem lauten Ruf hinüber und trieb seine frischen Hunde an. Der andere Fahrer ließ sich vom Schlitten fallen, wie es traf. Savoy tat mit seinem Wechselgespann dasselbe, und die verlassenen Gespanne, die nach rechts und links abschwenkten, stießen mit den andern zusammen und richteten eine wilde Verwirrung unter ihnen an. Harrington bestimmte das Tempo, und Savoy hielt sich dicht hinter ihm. Auf dem letzten Stück blanken Eises holten sie den führenden Schlitten ein. Als sie auf die schmale Schlittenbahn zwischen den weichen Schneehängen sausten, führten sie das Rennen, und Dawson, das sie im Schein des Nordlichts beobachtete, schwur, daß sie es verflucht gut gemacht hätten.

Bei sechzig Grad Kälte kann der Mensch nicht lange ohne Feuer oder kräftige Bewegung leben, weshalb Harrington und Savoy denn auch den alten Brauch befolgten und »fuhren und liefen«. Die Leine in der Hand, sprangen sie vom Schlitten und liefen hinterher, bis das Blut wieder seinen normalen Kreislauf durch die Adern begann und die Kälte vertrieb, worauf sie wieder auf die Schlitten sprangen, bis die Wärme wieder entwich. Und so legten sie laufend und fahrend die Strecke zwischen dem zweiten und dritten Wechselgespann zurück. Ein paarmal spornte Savoy seine Hunde auf dem glatten Eis zu einem kräftigen Spurt an, ohne daß es ihm jedoch gelang, vorbeizukommen. – Hinter ihnen kamen, über eine Strecke von fünf Meilen verteilt, die übrigen Wettläufer, die sie vergebens einzuholen versuchten, denn Louis Savoy war der einzige, der die Ehre genoß, das mörderische Tempo Jack Harringtons aushalten zu können.

Als sie die Station, die fünfundsiebzig Meilen vom Claim entfernt lag, erreichten, fuhr Lon McFane neben sie. Harrington erblickte Wolfszahn, der das Gespann anführte, und nun wußte er, daß er den Sieg errungen hatte. Kein Gespann im Norden konnte ihn auf den letzten fünfundzwanzig Meilen überholen. Als Savoy Wolfszahn an der Spitze des Gespannes seines Nebenbuhlers sah, wußte er, daß das Spiel verloren war, und er fluchte leise so, wie Männer meistens Frauen verfluchen. Aber er folgte immer noch der rauchenden Spur des andern und hoffte, daß der Zufall ihm irgendwie zu Hilfe kommen würde. Und so jagten sie dahin, während der Tag im Südosten anbrach, und wunderten sich in Freude und Kummer über das, was Joy Molineau getan hatte.

Forty Mile war zeitig aus den Schlafdecken gekrochen und hatte sich an der Schlittenbahn gesammelt. Von hier aus konnte es den oberen Lauf des Yukon bis zu der Stelle übersehen, wo er seine erste Biegung machte. Von hier aus konnte es auch quer über den Fluß bis zum Ziele, dem Fort Cudahy, sehen, wo der Goldregistrator in großer Aufregung wartete. Joy Molineau stand ein Stückchen von der Schlittenfährte entfernt, und mit Hinblick auf die besonderen Verhältnisse wollte das übrige Forty Mile nicht aufdringlich sein. Deshalb befand sich niemand zwischen ihr und der schmalen Schlittenbahn. Man hatte Feuer angezündet, um die die Leute saßen und um Gold und Hunde wetteten, aber Wolfszahn war Favorit.

»Da kommen sie!« heulte ein Indianerjunge aus dem Wipfel einer Kiefer.

Oben auf dem Yukon zeichnete sich ein schwarzer Punkt vom Schnee ab, und gleich darauf kam ein zweiter Punkt zum Vorschein. Während sie größer wurden, zeigten sich immer mehr Punkte, aber weit hinter den andern. Allmählich lösten sie sich zu Hunden und Schlitten und flach daraufliegenden Männern auf.

»Wolfszahn führt«, flüsterte ein Leutnant der Polizei Joy zu. Sie lächelte interessiert.

»Zehn gegen eins auf Harrington!« rief ein Birch-Creek-König und zog seinen Beutel.

»Die Königin ihnen nicht bezahlen viel?« fragte Joy.

Der Leutnant schüttelte den Kopf.

»Sie haben etwas Goldstaub, ah, wieviel?« fuhr sie fort.

Er zeigte einen Goldbeutel, den sie hastig abschätzte.

»Vielleicht – sagen wir – zweihundert, nicht wahr? Schön. Jetzt ich gebe Ihnen – was Sie nennen – Tip. Nehmen Sie die Wette an.« Joy lächelte ein unergründliches Lächeln. Der Leutnant dachte nach. Er sah auf die Schlittenspur hinaus. Die beiden Männer hatten sich auf die Knie erhoben und peitschten wie rasend auf ihre Hunde los. Harrington führte.

»Zehn gegen eins auf Harrington!« brüllte der Birch-Creek-König und schwang seinen Beutel vor den Augen des Leutnants.

»Nehmen Sie doch die Wette an«, sagte Joy wieder.

Er gehorchte achselzuckend, um zu zeigen, daß er sich nicht der Vernunft, sondern ihrer gewinnenden Persönlichkeit beuge. Joy nickte beruhigend. Da verstummte aller Lärm, und die Leute gingen keine Wetten mehr ein.

Heftig schleudernd und mit Sprüngen wie Segeljollen vor dem Winde kamen die Schlitten mit rasender Schnelligkeit auf sie zu. Obwohl sein Leithund sich ganz dicht hinter Harringtons Schlitten hielt, hatte Louis Savoys Gesicht einen hoffnungslosen Ausdruck angenommen. Harringtons Lippen waren zusammengebissen, und er sah weder nach rechts noch nach links. Seine Hunde sprangen dahin, mit vollkommen rhythmischen Bewegungen, sicher auf den Füßen und tief auf der Schlittenspur; Wolfszahn, der mit gebeugtem Kopf, ohne etwas zu sehen und mit einem leisen Winseln lief, war ein strahlender Anführer des übrigen Gespannes.

Forty Mile stand atemlos da. Nicht ein Laut war zu hören, außer dem Knirschen der Kufen und dem Knallen der Peitschen. Da tönte Joy Molineaus klare Stimme durch die Stille.

»Ai! Ya! Wolfszahn! Wolfszahn!«

Wolfszahn hörte, bog plötzlich von der Schlittenspur ab und eilte auf seine Herrin zu. Das Gespann folgte ihm auf den Fersen, und der Schlitten balancierte einen Augenblick auf einer Kufe. Harrington fiel kopfüber in den Schnee. Savoy schoß wie der Blitz vorbei. Harrington kam wieder auf die Füße und sah ihm nach, wie er nach dem Bureau des Goldregistrators über den Fluß setzte. Er mußte hören, was gesagt wurde.

»Ach, ihn machen es wirklich gut«, erklärte Joy Molineau dem Leutnant. »Ihn – was wir nennen – ihn spurten. Ja, ihn spurten – sehr gut!«


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