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Jetzt, da ich die Methode gelernt hatte, ging es ganz leicht. Da ich wußte, daß es mit jedem Mal leichter gehen würde, wenn man erst einmal den Weg gefunden hat, wo der Widerstand am geringsten ist, wird man ihn immer wieder einschlagen, immer weniger Widerstand finden. Allmählich vollzog sich, wie Sie sehen werden, meine Reise vom Gefängnisleben in San Quentin ins andere Leben fast automatisch.

Nachdem Direktor Atherton und sein Stab mich verlassen hatten, brauchte ich nur wenige Minuten, um den belebten Teil meines Körpers in den kleinen Tod zurückzubringen. Tod im Leben war es, aber Tod nur sozusagen in kleinerem Format, wie der zeitweilige Tod, der durch Betäubungsmittel hervorgerufen wird.

Und so war ich mit einem Sprung fern in Zeit und Raum – fort von allem Schmutzigen und Niedrigen, von der Zwangsjackenhölle, von meinen Fliegen und von der Knöchelrede der lebendigen Toten.

Dann folgten die Dunkelheit und das langsam wachsende Bewußtsein von andern Dingen und von einem andern Selbst. Zuerst kam in dieses Bewußtsein Staub, eine Menge Staub. Es war Staub auf meinen Lippen, in meiner Nase, trocken und bitter. Er lag auf meinem Gesicht, meinen Händen und namentlich auf meinen Fingerspitzen.

Das nächste, dessen ich mir bewußt war, war unaufhörliche Bewegung. Alles um mich her wankte und taumelte. Es stieß und erschütterte, und ich hörte etwas, das, wie ich als etwas Selbstverständliches wußte, Räder waren, die an Wagenachsen und Eisenbändern knirschten und kreischten, während sie Steine und Sand zermalmten. Und hin und wieder ertönten die müden Stimmen von Männern, die über die Tiere fluchten, welche zu langsam und unwillig weiterkamen.

Ich öffnete die vom Staub entzündeten Augen, und sofort wehte neuer Staub hinein. Die derben Decken, auf denen ich lag, bedeckte der Staub in einer halbzölligen Schicht. Über mir sah ich durch den rieselnden Staub ein gewölbtes Dach von wogendem, schwankendem Segelleinen, und Myriaden von Staubkörnchen sanken schwer in den Sonnenstreifen herab, die durch die Löcher im Segelleinen brachen.

Ich war ein Kind, ein acht- oder neunjähriger Knabe, und müde war ich – wie die staubbedeckte, eingefallene Frau, die neben mir saß und ein kleines weinendes Kind zu beschwichtigen versuchte. Sie war meine Mutter; das wußte ich als etwas Selbstverständliches, ebenso wie ich wußte, daß die Schultern, die ich vorn auf dem Kutschbock erblickte, wenn ich den Blick an der Decke des Segelleinentunnels im Wagen entlangschweifen ließ, meinem Vater gehörten.

Als ich mich anschickte, über die Packen und Kisten zu klettern, mit denen der Wagen angefüllt war, sagte meine Mutter müde und gereizt: »Du kannst nicht eine Minute ruhig bleiben, Jesse.«

So hieß ich, Jesse. Wie mein Nachname war, wußte ich nicht, obwohl ich meine Mutter meinen Vater John nennen hörte. Ich habe eine undeutliche Erinnerung daran, hin und wieder gehört zu haben, wie die andern Männer meinen Vater mit Kapitän anredeten. Ich wußte, daß er der Führer dieser Leute war, und daß alle seinen Befehlen gehorchten.

Ich kroch durch die Öffnung im Segelleinen heraus und setzte mich neben meinen Vater auf den Sitz. Die Luft war von diesem Staub erfüllt, der sich von den Wagenrädern und den vielen Hufen der Tiere erhob; Der Staub war so dick, daß er wie ein Nebel oder eine Wolke über der Landschaft lag. Die tiefstehende Sonne schien nur schwach und blutigrot hindurch.

Nicht nur dieser seltsame Sonnenuntergang erschien mir unheimlich, alles um mich her war so unheilverkündend – schien mir: die Landschaft, das Gesicht meines Vaters, das Wimmern meiner kleinen Schwester in den Armen meiner Mutter, die sechs Pferde, die mein Vater fuhr und die er beständig peitschen mußte, damit sie zogen, farblos wie sie waren in der dicken Staubschicht, die über ihnen lag.

Die Landschaft war eine furchtbar trostlose Einöde. Niedrige Höhen erstreckten sich zu allen Seiten in die unendliche Ferne. Hie und da wuchsen auf den Hängen kleine welke dürre Sträucher. Sonst waren die Höhen fast kahl – nur Sand, Sand und wieder Sand und Stein. Unser Weg ging weiter durch die Sandschlucht zwischen den Höhen. Die Sandschluchten waren kahl, mit Ausnahme einzelner Sträucher und Büschel trockenen, welken Grases. Wasser gab es nicht und auch kein Anzeichen von Wasser, nur ausgewaschene Vertiefungen, die von strömenden Regengüssen in längst entschwundenen Tagen erzählten.

Mein Vater war der einzige, der Pferde vor seinem Wagen hatte. Die Wagen fuhren in einer langen Reihe hintereinander, und wenn der Zug umbog, so sah ich, daß die andern Wagen von Ochsen gezogen wurden. Drei oder vier Ochsengespanne zogen langsam jeden Wagen, und neben ihnen gingen Männer mit Stachelstöcken in dem tiefen Sand und stachen die unwilligen Tiere. Bei einer Biegung sah ich zurück und zählte die Wagen; ich wußte, daß es mit dem unsern vierzig waren, denn ich hatte sie schon so oft gezählt. Und als ich sie jetzt, wie ein Kind tut, um sich von der Langenweile zu befreien, wieder zählte, waren alle vierzig da, alle mit Segeltuchdächern, groß, schwer und plump gebaut, bald sanken sie ein, bald taumelten sie seitwärts und kreischten und knirschten über Sand, Salbeigebüsch und Steine.

Rechts und links von uns, über den ganzen Zug verstreut, ritt ein Dutzend oder vielleicht fünfzehn ältere und jüngere Männer. Über dem Sattelknauf lagen ihre langen Büchsen. Wenn einer von ihnen sich unserm Wagen näherte, konnte ich sehen, daß sein Gesicht müde und ängstlich wie das meines Vaters war. Und mein Vater hatte auch wie sie eine lange Büchse.

Auf der einen Seite des Wagenzuges wanderten zwei Dutzend buglahme, fußwunde, skelettdürre Ochsen, die stehenblieben, so oft sie einen der kleinen, verkommenen, welken Rasenflecken sahen, und mit Peitschenschlägen weitergetrieben werden mußten. Zuweilen sah ich einen von den Ochsen stehenbleiben und brüllen, und dieses Gebrüll kam mir ebenso unheilverkündend vor wie alles andere.

Zutiefst in meinem Hirn habe ich eine Erinnerung, daß ich früher einmal an den bewaldeten Ufern eines Flußes gewohnt habe. Und während der Wagen weiterrumpelte, waren meine Gedanken immer wieder an dem herrlichen Wasser, das zwischen den Bäumen schimmerte. Ich habe das Gefühl, daß ich jetzt seit einer Unendlichkeit in einem Wagen wohne und in dieser Gesellschaft reise.

Am stärksten aber war bei mir und allen andern das Gefühl, daß wir unserm Schicksal entgegengingen. Unser Weg war wie ein Trauermarsch. Nie hörte ich lachen; nie hörte ich eine frohe Stimme. Weder Bequemlichkeit noch Ruhe begleiteten unsern Zug. Die Gesichter der Männer waren schlaff, hoffnungslos. Und vergebens starrte ich oft in das Gesicht meines Vaters, um darin eine kleine Ermunterung zu finden. Ach – ich will nicht sagen, daß das staubige, abgemagerte Gesicht meines Vaters einen hoffnungslosen Ausdruck trug. Es war hartnäckig, ernst und ängstlich – ja, hauptsächlich ängstlich.

Es kam Unruhe in den Wagenzug. Mein Vater hob seinen Kopf – und ich auch. Unsere müden Pferde hoben die Köpfe, sogen die Luft in langem Schnauben ein und begannen kräftiger zu ziehen. Die Pferde der Reiter erhöhten die Schnelligkeit. Die Ochsen neben dem Zuge fielen in Galopp. Wie die armen Tiere aussahen! Sie glichen galoppierenden Skeletten unter schmutzigen Fellen, und sie liefen den Knaben, die sie trieben, fort. Aber es dauerte nicht lange, dann konnten sie nicht mehr und fielen wieder in Schritt.

»Was gibt es?« fragte meine Mutter im Wagen.

»Wasser«, antwortete mein Vater. »Es muß Nephi sein.«

»Gott sei Dank!« sagte meine Mutter. »Vielleicht werden sie uns dort etwas zu essen verkaufen.«

Und in Nephi hinein rollten unsere schweren Wagen, durch blutroten Staub. Das Dorf bestand aus einem guten Dutzend verstreut liegender Häuser, die Landschaft war ungefähr ebenso wie die, welche wir passiert hatten. Es gab keinen Baum, nur die trockenen Sträucher und Sand. Aber Anzeichen deuteten doch darauf hin, daß der Boden bebaut wurde. Und es gab Wasser. Ein wirklicher Wasserlauf war es nicht. Das alte Flußbett war jedoch feucht – und hie und da war eine Pfütze, in der Ochsen und Sattelpferde stampften, ihre Mäuler bis zu den Augen hineingetaucht. Einzelne Schilfhalme wuchsen hie und da am Rande des Wassers.

»Das muß Bill Blacks Mühle sein, von der wir erzählen hörten«, sagte mein Vater und zeigte meiner Mutter, die aus Angst herausgekrochen war und über unsere Schultern hinwegguckte, ein Gebäude.

Ein alter Mann mit einem Wollhemd und langem, von der Sonne gebleichten Haar ritt an unsern Wagen heran und redete mit Vater. Es wurde ein Zeichen gegeben, und die vordersten Wagen des Zuges begannen im Kreise aufzufahren. Das Gelände eignete sich gut hierzu, und dank unserer Übung dauerte es nicht lange, bis die vierzig Wagen einen Kreis gebildet hatten. Überall ging es geschäftig zu. Eine Menge Frauen, alle mit Gesichtern, die ebenso müde und staubig waren wie das meiner Mutter, kamen mit einer ganzen Horde von Kindern aus den Wagen heraus. Mindestens fünfzig müssen es gewesen sein, ich schien sie alle schon seit langem zu kennen – und es waren mindestens vierzig Frauen. Und sie begannen, das Abendbrot zu bereiten.

Während einige von den Männern Salbeizweige abschnitten, die wir Kinder zu den aufflammenden Feuern trugen, nahmen andere Männer den Ochsen das Joch ab und zogen sie ans Wasser. Dann ordneten die Männer die Wagen im Kreis, daß die Deichsel eines jeden unter dem andern steckte. Die Räder wurden durch eiserne Ketten miteinander verbunden. Aber alles das war uns Kindern ja nichts Neues. Es war nur das Unruhsignal für ein Lager in Feindesland. Nur ein Wagen fehlte, daß der Kreis geschlossen war, denn das Lager mußte ein Tor haben. Spät am Abend, ehe das Lager sich zur Ruhe begab, wurden, das wußten wir, alle Tiere in die Wagenburg getrieben und das Tor geschlossen. Bis dahin weidete das Vieh draußen auf dem bißchen Gras, das zu finden war.

Während man das Lager aufschlug, gingen mein Vater und mehrere andere Männer, darunter der Alte mit dem gebleichten Haar, zu Fuß nach der Mühle. Ich erinnere mich, daß wir alle mit unserer Arbeit aufhörten, um ihnen nachzusehen. Sie schienen etwas sehr Wichtiges vorzuhaben.

Während ihrer Abwesenheit kamen andere Männer, Fremde, die Bewohner von der Wüste Nephis, ins Lager und gingen umher. Es waren weiße Männer wie wir, aber ihre Züge waren hart, kalt, finster – es sah aus, als wären sie zornig auf uns. Es lag Feindschaft in der Luft, die Fremden sagten Dinge, die darauf berechnet waren, unsere Leute zu reizen. Aber unsere Frauen achteten darauf, daß unsere Männer nicht antworteten.

Einer der Fremden trat an das Feuer, wo meine Mutter allein mit Kochen beschäftigt war. Ich war gerade mit einem Arm voll Zweigen gekommen und blieb stehen, um ihn, den Fremden, anzusehen, den ich haßte, weil Haß in der Luft lag und ich wußte, daß nicht ein einziger in unserm Lager war, der diese Fremden nicht haßte, die weiß waren wie wir, um deretwillen wir aber doch gezwungen waren, zu unserer Sicherheit eine Wagenburg zu bauen.

Der Fremde, der an unserm Feuer stand, hatte blaue Augen – hart, kalt und scharf. Sein Gesicht war bis zum Kinn glattrasiert, aber darunter – über dem Hals und bis zu den beiden Ohren – wuchs der rötliche, graumelierte Bart. Weder grüßte meine Mutter ihn, noch grüßte er meine Mutter. Er starrte sie nur eine Weile an. Dann räusperte er sich und sagte:

»Ja, ihr wäret wohl gern wieder daheim in Missouri, denke ich mir.«

Ich sah, wie meine Mutter sich bemühte, ihre Selbstbeherrschung zu bewahren, als sie antwortete:

»Wir kommen aus Arkansas.«

»Nun ja – ihr habt schon Ursache, eure Herkunft zu verleugnen«, sagte er dann, »ihr, die ihr die Auserwählten des Herrn aus Missouri vertreibt.«

Meine Mutter antwortete nicht.

»... Namentlich, da ihr jetzt kommt und wimmert und Brot von uns erbettelt, von uns, die ihr verfolgt und gejagt habt.«

Im selben Augenblick fühlte ich – obwohl nur ein Kind – den Zorn, den alten, roten, rücksichtslosen Zorn, der nie bezwungen werden konnte.

»Du lügst!« schrie ich. »Wir sind nicht aus Missouri! Und wir wimmern nicht! Und wir betteln nicht! Wir haben Geld, um zu bezahlen!«

»Schweig, Jesse!« rief meine Mutter und legte mir hart die Hand auf den Mund. Und dann sagte sie zu dem Fremden: »Geht Eures Wegs und laßt den Knaben in Ruhe.«

»Ich will dich mit Blei vollpumpen, verfluchter Mormone«, schrie ich, halb weinend, ehe meine Mutter mich zum Schweigen bringen konnte.

Den Mann hatte mein Benehmen offenbar gar nicht gestört. Ich war auf irgendeine Rache von seiner Seite vorbereitet und behielt ihn im Auge, während er ernst dastand und mich ansah.

»Ja – die Jungen sind nicht besser als die Alten«, sagte er. »Die ganze Gesellschaft ist rettungslos verdammt. Ihre Schuld kann nicht gesühnt werden. Nicht einmal das Blut Christi kann ihr Unrecht verlöschen.«

»Verfluchter Mormone!« schrie ich immerfort. »Verfluchter Mormone! Verfluchter Mormone!«

Und ich hüpfte umher, um der strafenden Hand meiner Mutter zu entgehen, bis er sich entfernte. Als mein Vater mit den andern zurückkam, hörte alle Arbeit im Lager auf, und alle scharten sich angst- und erwartungsvoll um ihn. Er schüttelte nur den Kopf.

»Wollen sie nichts verkaufen?« fragte eine der Frauen.

Wieder schüttelte er den Kopf.

Einer der Männer, ein blauäugiger, blonder Hüne, sprach:

»Man sagt, daß sie Mehl und Vorräte für drei Jahre haben, Kapitän! Früher haben sie immer an die Auswanderer verkauft, und jetzt wollen sie nicht. Und dabei sind wir es doch nicht, mit denen sie sich gestritten haben. Es ist Sache der Regierung, und uns lassen sie es entgelten. Das ist unrecht, Kapitän. Das sage ich. Es ist unrecht gegen uns, die wir mit Frauen und Kindern hier stehen und noch die monatelange Reise bis Kalifornien vor uns haben. Und der Winter steht vor der Tür, und vor uns liegt diese verfluchte Wüste und sonst nichts. Wir haben nicht Vorräte genug, um der Wüste ins Auge zu blicken.«

Er schwieg und wandte sich dann an die ganze Versammlung.

»Ja – ihr wißt ja noch gar nicht, was eine Wüste bedeutet. Was wir bisher gesehen haben, ist ja keine Wüste. Ich sage euch, es ist ein Paradies und ein Land, in dem Milch und Honig fließt, im Vergleich mit der Wüste, durch die wir hindurch müssen.«

»Ich sage nur, Kapitän, wir müssen erst das Mehl haben. Verkaufen sie es nicht – ja, dann müssen wir es uns mit Gewalt holen.«

Einige zollten seinem Vorschlag Beifall, aber mein Vater brachte sie zum Schweigen.

»Ich bin ganz mit dir einig, Hamilton – bis auf eines, daß du nicht in Betracht gezogen hast, womit wir alle rechnen müssen. Brigham Young hat den Kriegszustand im Lande erklärt, und Brigham Young hat ein Heer. Im Handumdrehen könnten wir Nephi plündern. Aber sehr weit würden wir nicht kommen. Die Heiligen Brighams würden sehr bald über uns sein, und dann könnten wir einpacken. Das wissen wir alle.«

Was mein Vater sagte, war nichts Neues für uns – sie hatten es nur in der Erregung und Not des Augenblicks vergessen.

»Niemand will lieber für das kämpfen, was recht ist, als ich«, fuhr mein Vater fort. »Aber wir können es jetzt nicht. Wenn es zu Feindlichkeiten kommt, sind wir verloren. Wir müssen an unsere Frauen und Kinder denken. Wir sind gezwungen, um jeden Preis Frieden zu halten und uns alles gefallen zu lassen, was sie uns bieten.«

»Aber die Wüste – wie sollen wir hindurchkommen?« fragte eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm.

»Es gibt mehr Niederlassungen als diese, ehe wir die Wüste erreichen«, antwortete Vater. »Da ist Fillmore, sechzig Meilen nach Süden, und dann kommt Corn Creek – und Beaver – und Parowan. Und dann sind es zwanzig Meilen bis Cedar City. Je weiter wir uns von Salt Lake City entfernen, desto wahrscheinlicher ist es, daß sie uns Vorräte verkaufen.«

»Und wenn sie nicht wollen?« fragte einer.

»Ja, dann haben wir nichts mehr mit ihnen zu schaffen«, sagte mein Vater. »Cedar City ist die letzte Niederlassung. Dann gehen wir weiter. Das ist alles – und danken unserm Schicksal, daß wir sie los sind. Zwei Tagereisen hinter der Wüste sind gute Weiden und Wasser. Die Bergweiden heißt der Ort. Dort wohnt niemand, und dort können wir unser Vieh ausruhen lassen, ehe wir weiterwandern. Vielleicht gibt es dort auch Wild zu schießen. Und sollte wirklich das Schlimmste geschehen, so müssen wir eben weitergehen, solange wir können, die Wagen im Stich lassen, soviel wir können, auf die Tiere laden und das letzte Stück des Weges zu Fuß gehen. Wir können unterwegs das Vieh schlachten. Es ist doch immer noch besser, ohne Gepäck auf dem Rücken nach Kalifornien zu kommen, als unsere Knochen hier bleichen zu lassen, wie es sicher kommt, wenn wir in Streit mit ihnen geraten.«

Mit erneuten Warnungen vor übereilten Taten oder Worten gingen sie auseinander.

Ich konnte diese Nacht schwer einschlafen. Meine Wut gegen die Mormonen hatte mein Gehirn so ins Kochen gebracht, daß ich noch wach lag, als mein Vater nach seiner letzten Nachtrunde in den Wagen kletterte. Meine Eltern glaubten, daß ich schliefe, aber ich hörte, wie meine Mutter ihn fragte, ob er glaubte, daß die Mormonen uns in Frieden aus ihrem Lande ziehen lassen würden. Sein Gesicht war von ihr abgewandt, als er ihr zuversichtlich antwortete, daß er sicher sei, die Mormonen würden uns reisen lassen, wenn wir es nur nicht zu Unruhen kommen ließen.

Aber im selben Augenblick sah ich sein Gesicht im Schein des kleinen Talglichtes – und da fand ich nicht die Zuversicht, die in seiner Stimme war. Dann schlief ich ein, beklommen über das traurige Schicksal, das wie eine drohende Wolke über uns hing. Und in meiner kindlichen Phantasie sah ich Brigham Young, zu einem furchtbaren, grausamen Wesen aufgeschwollen, ein wahrer Teufel mit Hörnern und Schwanz und allem übrigen Zubehör.

 

Und dann erwachte ich zu dem alten Schmerz in der Zwangsjacke. Um mich her standen die gewöhnlichen Vier. Ich zwang mich, zu lächeln und bemühte mich, nicht den heftigen Schmerz zu verraten, der mit der Rückkehr des Blutumlaufs folgt. Ich trank das Wasser, das sie mir boten, schüttelte den Kopf, als sie mir Brot geben wollten, und weigerte mich, zu sprechen. Ich schloß die Augen und kämpfte, um meine Wagenburg bei Nephi wiederzufinden. Aber so lange meine Besucher dastanden und sprachen, konnte ich ihnen nicht entgehen. Etwas von der Unterhaltung konnte ich nicht vermeiden zu hören.

»Genau wie vorgestern«, sagte Dr. Jackson. »Nicht einen Funken verändert.«

»Er verträgt es also noch weiter?« fragte der Direktor.

»Wie eine Katze. Er ist prachtvoll. Wüßte ich nicht, daß es unmöglich wäre, so würde ich glauben, er hätte ein Schlafmittel bekommen.«

»Ach, ich kenne sein Schlafmittel«, sagte der Direktor. »Es ist sein verfluchter Wille.«

»Er macht sich über uns lustig«, lautete das sichere Urteil Dr. Jacksons.

»Aber er will nichts essen«, protestierte der Inspektor.

»Pah, er könnte 40 Tage fasten, ohne daß es ihm etwas schadete«, antwortete der Arzt.

»Ja, und das habe ich getan, und vierzig Nächte dazu«, sagte ich. »Hören Sie, ziehen Sie das Korsett ein bißchen fester, und dann lassen Sie mich in Frieden.«

Hutchins versuchte seine Zeigefinger in die Verschnürung zu zwängen.

»Und wenn wir ihn auf der Stelle erwürgten, so könnte ich ihn nicht um einen viertel Zoll fester schnüren«, sagte er.

»Hast du über etwas zu klagen, Standing?« fragte der Direktor.

»Ja, über zweierlei«, antwortete ich.

»Und zwar?«

»Erstens ist die Jacke zu lose. – Hutchins ist ein Esel. Er könnte sie noch einen ganzen Fuß fester schnüren, wenn er wollte.«

»Und zweitens?«

»– bist du eine Teufelsbrut, Direktor!«

Der Inspektor und der Arzt kicherten, und der Direktor verließ mit einem höhnischen Schnaufen die Zelle.

 


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