Longus
Daphnis und Chloe
Longus

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Viertes Buch

Viertes Buch

Ein Mitsklave Lamons war jetzt aus Mitylene gekommen und brachte die Nachricht, der Herr werde kurz vor der Weinlese eintreffen, um sich selbst zu unterrichten, ob seine Besitzungen durch den Überfall der Methymnäer gelitten hatten. Da nun der Sommer Abschied nahm und der Herbst nahte, bereitete ihm Lamon einen Aufenthalt voll jeder Art Augenlust. Er reinigte die Bäche, damit das Wasser darin recht hell wäre, und führte den Dünger vom Hofe weg, damit sein Geruch niemanden belästige, und pflegte den Lustgarten, damit er schön in die Augen fiele.

Bild auf Seite 167

Dieser Lustgarten war eine gar schöne, den königlichen Gärten ähnliche Anlage. Er dehnte sich in der Länge bis zu einem Stadium aus; lag in einer hohen Gegend und hielt in der Breite vier Plethra.Das Plethrum ist der sechste Teil des Stadium (30,83 Meter) an hätte ihn für eine weite Aue halten können. Alle Arten von Bäumen wuchsen darin, Äpfel, Myrten, Birnen, auch Granaten und Feigen und Olivenbäume; auf der andern Seite hohe Weinstöcke, die sich mit reifenden Trauben an die Äpfel- und Birnbäume anschmiegten, gleich als wollten sie in der Frucht mit ihnen wetteifern. Dies waren die Bäume zahmer Arten. Aber auch Zypressen waren da und Lorbeern und Platanen und Pinien. Um diese alle schlang sich statt des Weines Efeu, und seine Dolden, die groß und schwarz waren, ahmten die Trauben nach. Im innern Bezirk standen die fruchttragenden Bäume, gleichsam umschirmt: von außen standen die unfruchtbaren, wie eine Umfriedigung von Menschenhand; und um dieses lief wieder ein schmales Mauerwerk als Einfassung. Alles war durchschnitten und gesondert, und ein Stamm stand in gehöriger Entfernung von dem andern. In der Höhe aber stießen die Zweige zusammen und vermischten gegenseitig ihr Laub; aber auch ihre Natur schien Kunst. Es waren auch Beete von Blumen da, deren einige die Erde erzeugte, andere die Kunst bildete; Rosenhecken und Hyazinthen und Lilien waren durch Kunst gezogen; Veilchen, Narzissen und Anagallis trug die Erde von selbst. Schatten war hier im Sommer, Blumen im Frühling, Früchte im Herbst und in jeder Jahreszeit üppige Fülle.

Von hier hatte man freie Aussicht auf die Ebene, und man konnte die Weidenden sehen; man hatte die Aussicht auf das Meer und sah die Vorübersegelnden, so daß auch dies ein Teil der Quelle dieses Paradieses war. Da, wo nach Länge und Breite seine Mitte war, stand ein Tempel und Altar des Dionysos; den Altar umschlang Efeu, den Tempel Reben. Es enthielt aber auch das Innere des Tempels bacchische Gemälde; die gebärende Semele, die schlummernde Ariadne, den gebundenen Lykurgus,Lykurgus, der Sohn des Dryas, der Feind des Dionysos. S. Ilias VI, 130 ff. Seine Bestrafung erwähnt SOPHOKLES Antigone v. 967 ff. Über diesen Mythus s. vornehmlich ZOEGAS Erklärung eines Sarkophags, auf welchem der von den Mänaden bezwungene König der Edoner vorgestellt ist, in dessen von WELCKER herausgegebenen Abhandlungen S. l ff. Vgl. Apollodor III, 5, 1. den zerrissenen Pentheus. Auch die besiegten Inder waren hier und die verwandelten Tyrrhener; überall kelternde Satyrn, überall tanzende Bacchantinnen. Auch Pan war nicht vergessen. Auf der Syrinx spielend saß dieser auf einem Felsen, gleich als stimmte er ein gemeinsames Lied den Kelternden und den Tanzenden an.

Diesen schönen Lustgarten pflegte Lamon, indem er die dürren Äste ausschnitt und die Reben aufband. Den Dionysos kränzte er; den Blumen führte er Wasser zu. Denn eine Quelle war hier, die Daphnis für die Blumen aufgefunden hatte. Nur für die Blumen floß die Quelle; doch wurde sie Quelle des Daphnis genannt. Aber auch den Daphnis ermahnte Lamon, die Ziegen so gut als möglich zu nähren; denn auch diese würde der Herr in Augenschein nehmen, wenn er nach so langer Zeit hierher käme. Daphnis war dabei ganz getrost und erwartete Lob dafür; denn seitdem er sie unter Aufsicht hatte, hatte er ihre Zahl verdoppelt, und der Wolf hatte auch nicht eine geraubt, und sie waren fetter als die Schafe; um ihn aber seiner Heirat recht geneigt zu machen, widmete er ihnen alle Sorgfall mit großem Eifer, indem er sie sehr früh austrieb und spät am Abend nach Hause führte. Zweimal führte er sie zur Tränke und suchte die ergiebigsten Weideplätze auf. Er sorgte für neue Krippen und viele Eimer und größere Darren. Ja, soweit ging seine Sorgfalt, daß er ihnen die Hörner salbte und die Haare kämmte. Man hätte gemeint, eine heilige Herde des Pan zu sehn. An allen diesen Bemühungen nahm auch Chloe teil; ja, sie vernachlässigte fast ihre eigene Herde und machte sich mehr mit den Ziegen zu tun; daher denn Daphnis meinte, sie zeigten sich durch sie so schön.

Während dieser Beschäftigungen kam ein zweiter Bote aus der Stadt und brachte den Befehl, die Weinlese auf das schleunigste zu halten; er selbst wolle bleiben, sagte er, bis sie den Most aus den Trauben gekeltert hätten und dann nach der Stadt zurückkehren, um seinen Herrn abzuholen, wann die Lese vollendet sei. Diesen Boten nun, den Eudromos – denn so hieß er, weil sein Geschäft im Laufen bestand –, nahmen sie mit größter Freundlichkeit auf und leerten die Weinstöcke ab, trugen die Trauben in die Kelter und den Most in die Fässer; die vollsten Trauben aber nahmen sie samt den Reben ab, damit auch die Städter bei ihrer Ankunft ein Bild der Weinlese und Freude davon hätten.

Als nun Eudromos schon im Begriff war, nach der Stadt zurückzukehren, gab ihm Daphnis, außer andern nicht wenigen Gaben, alles, was nur ein Ziegenhirt schenken kann, gut gepreßte Käse, ein spätgeworfenes Zicklein und ein weißes, zottiges Ziegenfell, um es im Winter beim Laufen umzunehmen. Jener freute sich und küßte den Daphnis und versprach ihm, seinem Herrn viel Gutes von ihm zu sagen, und trennte sich so von ihnen mit freundlicher Gesinnung. Daphnis aber blieb voll Bangigkeit zurück mit Chloe. Auch sie war voll Bangigkeit. Denn er, ein Knabe, bisher nur gewohnt, Ziegen zu sehn und Schafe und Landleute und Chloe, sollte jetzt zum erstenmal einem Herrn unter die Augen treten, den er bisher nur hatte nennen hören. Sie war also seinetwegen voll Sorgen, wie er sich gegen den Herrn benehmen würde; auch ihrer Heirat wegen war sie voll Unruhe, sie möchte vielleicht nur ein eitler Traum gewesen sein. Ununterbrochen waren daher ihre Küsse und ihre Umarmungen, als ob sie miteinander verwachsen wären; aber mit ihren Küssen war Furcht gemischt, und voll Besorgnis waren ihre Umarmungen, als ob sie schon das Auge des Herrn fürchteten oder ihre Liebe verbergen müßten. Nun kam aber auch noch folgender Schrecken hinzu.

Es wohnte dort ein gewisser Lampis, ein frecher Rinderhirt. Dieser hatte auch bei Dryas um Chloe gefreit und ihm viele Geschenke gegeben, um ihn für seinen Wunsch zu gewinnen. Da er nun merkte, daß, wenn der Herr einwilligte, Daphnis sie heimführen würde, sann er auf eine List, den Herrn gegen beide aufzubringen; und weil er wußte, wie viele Freude er an dem Lustgarten hatte, beschloß er, diesen, so weit er könnte, zu verheeren und zu verunstalten. Wenn er nun die Bäume niederhieb, so war er in Gefahr, bei dem Geräusche darüber ertappt zu werden; er hielt sich also an die Blumen, die er leicht verwüsten konnte; erwartete die Nacht, und nachdem er über die Mauer gestiegen war, riß er einige aus, brach andere ab, noch andere zertrat er, wie ein Schwein getan hätte. Dann entfernte er sich unbemerkt; Lamon aber kam am folgenden Morgen in den Garten und wollte die Blumen aus der Quelle wässern. Wie er nun den ganzen Platz verheert und eine Verwüstung sah, wie sie nur ein Feind, aber kein Räuber anzurichten pflegt, zerriß er augenblicklich seinen Rock und rief mit lauter Stimme die Götter an, so daß Myrtale, was sie unter den Händen hatte, stehen ließ und hinaus lief, und Daphnis, der eben die Ziegen ausgetrieben hatte, zurückkehrte. Auch diese erhoben bei dem Anblick ein Jammern und vergossen beim Jammern Tränen.

Die Trauer über die Blumen war zwar nutzlos, aber sie weinten aus Furcht vor dem Herrn; es hätte aber auch wohl ein Fremder geweint, wäre er dazu gekommen. Der Platz war aller Schönheit beraubt. Der ganze Erdboden war jetzt nichts als Kot; und was etwa dem Frevel entgangen war, blühte und strahlte und war auch liegend noch schön. Auch setzten sich die Bienen noch unablässig darauf und summten unaufhörlich, gleich als ob sie wehklagten. Lamon rief jetzt in seinem Schrecken: »Weh, weh über die Rosenhecken, wie sind sie gebrochen! Weh über das Veilchenbeet, wie ist es niedergetreten! Weh über die Hyazinthen und Narzissen, die ein böser Mensch ausgerissen hat! Der Frühling wird kommen; sie aber werden nicht sprießen: es wird Sommer werden; aber sie werden nicht blühen: Herbst; aber sie werden niemanden kränzen. Hast denn auch du dich, o Dionysos, dieser armen Blumen nicht erbarmt, bei denen du wohntest, die du unter den Augen hattest, mit denen ich dich oftmals bekränzt habe? Wie, wie soll ich nun den Garten dem Herrn zeigen? Was wird er bei diesem Anblick tun? Er wird mich alten Mann an eine Fichte hängen, wie den Marsyas; vielleicht auch den Daphnis, als ob es die Ziegen getan hätten.«

Heißer strömten bei diesen Worten die Tränen, und sie beweinten jetzt nicht mehr die Blumen, sondern ihren eigenen Leib. Auch Chloe beweinte den Daphnis, daß er aufgehenkt werden sollte und wünschte, daß ihr Herr nun nicht kommen möchte und brachte den Tag traurig hin, als ob sie den Daphnis schon gegeißelt sähe. Beim Anbruch der Nacht meldete ihnen Eudromos, der ältere Herr würde in drei Tagen kommen; sein Sohn aber früher, am nächsten Tag. Nun wurde über den Vorfall Rat gepflogen, und auch dem Eudromos teilten sie ihre Gedanken mit, und dieser, der dem Daphnis wohl wollte, riet ihnen, den ganzen Verlauf dem Jüngern Herrn zu bekennen und versprach, sie selbst zu unterstützen, da er als sein Milchbruder etwas gälte; und da es Tag wurde, taten sie also.

Astylos kam jetzt zu Pferde an, und sein Parasit mit ihm, auch zu Pferde; jenem keimte der erste Flaum um das Kinn; der andere, Gnathon, denn dies war sein Name, hatte schon längst den Bart geschoren. Als er nun ankam, warf sich ihm Lamon und mit ihm Myrtale und Daphnis zu Füßen und beschworen ihn, Mitleiden zu haben mit einem unglücklichen Greise und einen unschuldigen Mann dem Zorne seines Vaters zu entreißen; und zugleich erzählte er alles. Astylos hatte Mitleiden mit ihm und begab sich selbst in den Garten, und da er die Verheerung unter den Blumen sah, versprach er, selbst bei seinem Vater ein gutes Wort einzulegen, und die Schuld den Pferden zu geben, als ob sie dort angebunden gewesen und scheu geworden wären, worauf sie sich losgemacht und einiges zerbrochen, anderes niedergetreten und ausgewühlt hätten. Für diese Zusage wünschten ihm Lamon und Myrtale Glück und Segen; Daphnis aber brachte Geschenke herbei, Zicklein, Käse, Hühner und ihre Küchlein, Trauben an den Reben und Äpfel an den Zweigen. Unter den Geschenken war auch würzhafter lesbischer Wein, ein ganz köstlicher Wein zum Trank.

Astylos lobte dieses und begab sich auf die Hasenjagd; denn als ein reicher Jüngling, der gewohnt war in Üppigkeit zu schwelgen, war er auf das Land gekommen, um den Genuß eines seltenen Vergnügens zu haben. Gnathon aber, ein Mensch, der nichts weiter gelernt hatte als zu essen und bis zum Rausche zu trinken und nach dem Rausche sich den Freuden der Venus zu ergeben und überhaupt nichts war als Gaumen, Bauch und was unter dem Bauche ist, hatte den Daphnis nicht unbeachtet gelassen, als er die Geschenke brachte; und da er von Haus aus ein Liebhaber schöner Knaben war und hier eine Schönheit fand, wie noch nie in der Stadt, nahm er sich vor, dem Daphnis nachzustellen und hoffte ihn leicht zu bereden als einen Ziegenhirten. Voll dieses Gedankens nahm er an Astylos' Jagd keinen Teil, sondern begab sich hinab, wo Daphnis weidete, um, wie er vorgab, die Ziegen, in Wahrheit aber, um den Hirten zu sehen. Um ihn sich gefällig zu machen, lobte er die Ziegen und bat ihn um eine Hirtenmelodie auf der Syrinx und sagte, er wolle ihm gar bald die Freiheit verschaffen, denn er vermöchte alles.

Als er ihn nun ganz zahm sah, lauerte er ihm auf, wie er in der Nacht die Ziegen von der Weide trieb, lief auf ihn zu, küßte ihn und bat ihn, ihm den Rücken zu leihen, wie die Ziegen den Böcken tun. Da ihn nun Daphnis endlich verstand und sagte, daß Böcke die Ziegen besprängen, zieme sich wohl, nie aber habe man einen Bock gesehen, der einen Bock, oder einen Widder, der statt Schafe einen anderen Widder, oder Hähne, die statt der Hennen andere Hähne bestiegen, war Gnathon im Begriff, Gewalt zu brauchen, und legte Hand an ihn. Er aber stieß den berauschten Menschen, der sich kaum mehr auf den Füßen hielt, von sich und warf ihn zur Erde; dann lief er wie ein junges Reh davon und ließ jenen liegen, der nun einen Mann, nicht einen Knaben zum Führer brauchte. Seitdem ließ er ihn sich nicht mehr nahe kommen, sondern weidete die Ziegen bald hier, bald dort, um jenem zu entgehen und Chloe zu bewachen. Auch machte Gnathon keinen Versuch weiter, da er erfahren hatte, daß Daphnis nicht bloß schön, sondern auch stark war; suchte aber einen günstigen Augenblick, um mit Astylos von ihm zu sprechen und hoffte ihn von dem reichen und freigebigen Jüngling als Geschenk zu erhalten.

Damals war das nun nicht ausführbar; denn Dionysophanes und Klearista waren angekommen, und es war ein großes Drängen von Zugvieh und Dienern, Männern und Weibern; in der Zwischenzeit aber faßte er eine lange erotische Rede ab. Dionysophanes nun war zwar schon halb grau, aber ein großer und schöner Mann, der es im Kampfe auch wohl mit Jünglingen aufgenommen hätte; auch war er reich wie wenige und rechtlich wie kein anderer. Am ersten Tage nach seiner Ankunft opferte er den Göttern des Feldbaues, der Demeter und dem Dionysos, dem Pan und den Nymphen, und stellte für alle Anwesenden einen gemeinsamen Mischkrug auf; an den folgenden Tagen aber nahm er Lamotis Wirtschaft in Augenschein; und da er das Feld gut gepflügt, die Weingärten reichlich bepflanzt, den Lustgarten schön gehalten sah – denn wegen der Blumen hatte Astylos die Schuld auf sich genommen –, freute er sich außerordentlich und lobte den Lamon und versprach, ihm die Freiheit zu schenken. Dann begab er sich auch mit ihm auf die Weide hinab, um auch die Ziegen in Augenschein zu nehmen und ihren Hüter.

Chloe hatte sich aus Furcht und Scheu vor dem Gewühl in den Wald geflüchtet; Daphnis aber stand da, mit einem zottigen Ziegenfell angetan und einer neugenähten Hirtentasche über den Schultern und hielt in beiden Händen – in der einen frische Käse, in der andern säugende Zicklein. Wenn jemals Apollo im Dienste Laomedons die Rinderherden weidete,S. Ilias XXI, 448 ff.so war er so gestaltet, wie damals Daphnis erschien. Er selbst sagte nichts, sondern sein Gesicht mit Röte bedeckt, sah er zur Erde und reichte die Geschenke hin. Lamon aber sagte: »Das, Herr, ist der Hirt der Ziegen. Du hast mir fünfzig zu weiden gegeben und zwei Böcke; er hat ihre Zahl auf hundert gebracht und zehn Böcke. Du siehst, wie wohlgenährt sie glänzen, wie lang und dicht ihre Haare, wie unverletzt ihre Hörner sind. Auch musikalisch hat er sie gemacht; denn sie tun alles nach dem Tone der Syrinx.«

Klearista, die hierbei zugegen war, wünschte eine Probe davon zu sehn und befahl dem Daphnis den Ziegen, wie er gewohnt sei, zu flöten, und versprach, ihm dafür ein Unterkleid, einen Leibrock und Schuhe zu schenken. Er ließ sie also niedersetzen, wie Zuschauer im Theater, stellte sich dann selbst unter die Buche und nahm die Syrinx aus der Hirtentasche. Anfänglich blies er nur schwach, und die Ziegen standen mit aufgereckten Köpfen; dann stimmte er den Weidegesang an, und die Ziegen senkten die Köpfe zur Erde und weideten; wiederum gab er helle Töne an, und sie legten sich sämtlich nieder. Auch in scharfem Tone blies er, und sie flohen nach dem Walde, als ob der Wolf sich nähere; kurz darauf blies er zum Rückzug, und sie traten aus dem Walde hervor und versammelten sich zu seinen Füßen. Keine Diener konnte man dem Befehle ihres Herrn gehorsamer sehn. Alle die andern bewunderten das, vor allem aber Klearista, die dem schönen, kunstreichen Hirten noch einmal die Gaben zu reichen gelobte; und nachdem sie in ihre Wohnung zurückgekommen waren, setzten sie sich zum Frühstück und schickten dem Daphnis von dem, was sie genossen.

Er aß mit Chloe und freute sich, städtische Küche zu kosten und war voll guter Hoffnung, die Einwilligung der Herrschaft zu der Heirat zu erhalten. Gnathon aber, der durch das, was sich bei der Herde begeben hatte, noch mehr entflammt worden war, meinte nicht leben zu können, wenn ihm Daphnis nicht zuteil würde; und nachdem er dem Astylos beim Spaziergange in dem Lustgarten aufgepaßt hatte, führte er ihn in den Tempel des Dionysos und küßte ihm Hände und Füße. Als ihn dieser nun fragte, warum er das täte und ihm zu reden befahl und seinen Wünschen gefällig zu sein schwur, sagte er: »Es ist aus mit deinem Gnathon, Herr. Ich, der ich bis jetzt nur deine Tafel liebte; ich, der ich vormals schwur, nichts Schöneres zu kennen als alten Wein; der ich deine Mundköche der ganzen Jugend von Mitylene vorzog – ich finde jetzt nichts schön, als den Daphnis. Die köstlichsten Gerichte berühre ich nicht, soviel man auch Tag für Tag aufträgt, Fleisch, Fische, Kuchenwerk. Gern würde ich zur Ziege werden und Gras und Laub fressen, wenn ich nur Daphnis' Syrinx hörte und von ihm geweidet würde. Rette deinen Gnathon, und besiege den unbesiegbaren Eros; wo nicht, so schwöre ich dir bei meinem Abgotte, daß ich ein Messer nehme, mich mit Speisen vollstopfe und dann vor Daphnis' Tür mich ums Leben bringe. Dann wirst du mich nicht mehr dein kleines Gnathonchen rufen, wie du immer im Scherz gewohnt warst.«

Wie er nun so jammerte und wiederum Astylos' Füße küßte, widerstand ihm der großmütige, mit den Schmerzen der Liebe nicht unbekannte Jüngling nicht, sondern versprach ihm, sich den Knaben von seinem Vater auszubitten und ihn in die Stadt zu nehmen, für sich zum Sklaven, für Gnathon als Geliebten. Um ihn aber zu erheitern, fragt er ihn lächelnd, ob er sich nicht schäme, Lamons Sohn zu küssen, und gar bei einem Knaben schlafen wolle, der Ziegen weide und zugleich stellte er sich, als ob ihm vor dem Bockgeruch ekle. Gnathon aber, der bei den Mahlen der Schlemmer die ganze erotische Mythologie gelernt hatte, verteidigte nicht unpassend sowohl sich als den Daphnis. »Kein Liebender«, sagte er, »nimmt Anstoß an solchen Dingen; er gibt sich der Schönheit gefangen, an welchem Leibe er sie auch finden mag. Darum hat mancher einen Baum geliebt und einen Fluß und ein Tier. Und wer sollte nicht einen Verliebten bemitleiden, der sich vor dem Geliebten fürchten muß? Ich aber liebe eine freie Schönheit, wenn schon in einem unfreien Leibe. Siehst du nicht, wie sein Haar den Hyazinthen gleicht, wie unter seinen Brauen die Augen leuchten, wie in goldener Fassung ein Edelstein? Sein Gesicht ist mit Röte bedeckt; sein Mund aber voll von Zähnen, so weiß wie Elfenbein. Wer möchte nicht wünschen, von diesen Lippen süße Küsse zu schlürfen? Wenn ich aber einen Hirten liebe, ahm' ich Göttern nach. Anchises weidete Rinder, und ihn liebte die Aphrodite; Branchos weidete Ziegen,Branchus, ein Milesier, hatte von Apoll die Gabe der Weissagung empfangen, die er bei Didyma in einem berühmten Orakel übte. S. STRABO IX, p.421. XIV. p. 634. Conon Narrat. c. 33. Vgl. Barth zu Stat. Theb. III, 478. und Apollo küßte ihn; Ganymedes hütete die Schafe, und Zeus raubte ihn. Laß uns also einen Knaben nicht gering achten, dem, wie wir sahen, auch die Ziegen gehorchen als liebten sie ihn; sondern vielmehr den Adlern des Zeus danken, daß sie eine solche Schönheit auf Erden weilen lassen.«

Anmutig lächelnd, vorzüglich über diesen Teil der Rede, bemerkte Astylos, daß Amor aus den Menschen große Sophisten mache, und erwartete nun den Augenblick, wo er mit seinem Vater über den Knaben sprechen könnte. Eudromos aber hatte alles im Verborgenen gehört und weil er den Daphnis als einen wackeren Knaben liebte, teils auch, weil es ihn verdroß, daß eine solche Schönheit in Gnathons unreine Hände fallen sollte, erzählte er sogleich die ganze Sache ihm und dem Lamon. Voll Bestürzung beschloß Daphnis, lieber mit Chloe zu entfliehen, oder zu sterben, ebenfalls mit ihr. Lamon aber rief die Myrtale heraus und sagte: »Wir sind verloren! Die Zeit ist da, wo wir das Geheimnis entdecken müssen. Unsere Ziegen zwar werden verlassen sein und alles übrige; aber beim Pan und den Nymphen, sollt' ich auch, wie es heißt, als Stier im StallEine sprichwörtliche Redensart, die von denen gebraucht wird, die zu nichts mehr tauglich sind. zurückbleiben, ich kann Daphnis' Geschick nicht verschweigen, sondern will sagen, wo ich ihn ausgesetzt gefunden; ich will anzeigen, wie er genährt worden und was ich bei ihm gefunden habe, vorzeigen. Dieser schändliche Gnathon soll erfahren, wer er ist und wen er sich untersteht zu lieben. Halte mir nur die Erkennungszeichen bereit!«

Nach dieser Verabredung gingen sie wieder hinein; Astylos aber trat zu seinem Vater, als er ihn ohne Geschäfte sah, und bat ihn, den Daphnis in die Stadt zu nehmen, weil er schön und für das Land zu gut sei und von Gnathon gar schnell die städtische Weise lernen könne. Mit Freude gewährte ihm der Vater seine Bitte und nachdem er den Lamon und die Myrtale hatte kommen lassen, verkündigte er ihnen, daß Daphnis künftig statt der Ziegen und der Böcke zu warten dem Astylos dienen würde und versprach ihnen an seiner Statt zwei andere Hirten zu geben. Und schon liefen alle zusammen und freuten sich, einen so schönen Mitsklaven zu bekommen, als Lamon um die Erlaubnis bat zu sprechen und also begann: »Vernimm, o Herr, von einem bejahrten Manne ein wahrhaftes Wort; ich schwöre beim Pan und bei den Nymphen, daß ich nichts Falsches sagen werde. Ich bin nicht Daphnis' Vater, und Myrtale hat nie das Glück gehabt, Mutter zu werden. Andre Eltern haben ihn als Kind ausgesetzt, vielleicht weil sie schon genug größere Kinder hatten; ich aber habe ihn ausgesetzt und von meiner Ziege genährt gefunden, die ich denn auch nach ihrem Tode in der Umgebung des Gartens begraben habe, aus Liebe, weil sie wie eine Mutter getan hat. Ich habe auch Erkennungszeichen mit ihm niedergelegt gefunden; ich bekenne dies, Herr, und bewahre sie auf; sie verraten einen bessern Stand als der unsrige ist. Daß er nun Astylos Diener sei, der schöne Diener eines schönen und edlen Herrn, weise ich nicht zurück; das aber kann ich nicht zugeben, daß er den Lüsten eines Gnathon diene, der ihn nach Mitylene zu führen und zum Weibe zu machen bestrebt ist.«

Nach diesen Worten schwieg Lamon und vergoß viele Tränen. Da aber Gnathon keck genug war, mit Schlägen zu drohen, gebot Dionysophanes, der über das Gehörte sehr erstaunt war, dem Gnathon mit drohender Miene zu schweigen; den Lamon aber befragte er von neuem und befahl ihm, die Wahrheit zu sagen und nicht etwas zu erdichten, das wie ein Märchen aussähe, um nur den Sohn bei sich zu behalten. Da dieser aber fest blieb und bei allen Göttern schwur, und sich zur Folter erbot, wenn er löge, erwog er in Klearistens Gegenwart alles, was er gesagt hatte. »Warum sollte Lamon lügen, wenn er zwei Hirten für einen bekommen kann? Wie könnte auch ein Bauer das ersinnen? War es denn nicht gleich unglaublich, daß ein solcher alter Mann und ein ganz alltägliches Weib einen so schönen Sohn haben sollten?«

Statt indes weiter den Mutmaßungen nachzuhängen, verlangte er die Erkennungszeichen zu sehen, ob sie wirklich ein glänzenderes und ausgezeichneteres Los verrieten, und Myrtale entfernte sich, um alles zu holen, wie sie es in einer alten Hirtentasche aufbewahrte. Nachdem es gebracht worden, betrachtete es Dionysophanes zuerst, und als er eine purpurne Chlamys sah, eine goldene Schnalle und ein kleines Schwert mit elfenbeinernem Griff, schrie er laut auf: »O Zeus! o Gott!« und ruft seine Gemahlin, um es zu betrachten. Auch diese rief ebenfalls beim ersten Blicke aus: »O ihr heiligen Parzen! Haben wir das nicht unserem eigenen Sohne mitgegeben? Haben wir nicht Sophrosynen damit hier auf das Land geschickt? Nichts anderes war es, sondern ebendasselbe, lieber Mann. Es ist unser Kind; Daphnis ist dein Sohn; er weidete seines Vaters Ziegen!«

Während sie noch sprach und Dionysophanes die Sachen küßte und vor übergroßer Freude weinte, warf Astylos, als er hörte, daß Daphnis sein Bruder sei, seinen Mantel von sich und lief nach dem Garten, um ihn zuerst zu küssen. Als ihn Daphnis aber nebst so vielen andern herzulaufen sah und ihn »Daphnis! Daphnis!« rufen hörte und nicht anders meinte, als er wolle ihn gefangennehmen, warf er Hirtentasche und Syrinx von sich und eilte dem Meere zu, um sich von dem hohen Felsen herabzustürzen. Und so wäre Daphnis vielleicht sonderbarerweise eben, da er gefunden war, verloren worden, hätte nicht Astylos seine Absicht gemerkt und von neuem gerufen: »Steh still, Daphnis, fürchte nichts; ich bin dein Bruder und deine bisherigen Herren sind deine Eltern. Eben hat uns Lamon von der Ziege erzählt und die Merkzeichen vorgewiesen. Sieh dich nur um, wie heiter und lachend sie dort kommen. Mich aber küsse zuerst! Ich schwöre dir bei den Nymphen, daß ich nicht lüge.«

Erst nach diesem Schwur hielt er stand und erwartete den Astylos, und als er herbeikam, küßte er ihn. In der Zeit, wo er diesen küßte, strömte auch die übrige Schar herbei, die Menge der Diener und Dienerinnen, und der Vater selbst und die Mutter mit ihm. Diese alle umarmten und küßten ihn freudig und weinend. Er aber begrüßte vor den andern Vater und Mutter, und als ob er es längst schon gewußt hätte, drückte er sie an seine Brust und wollte sich nicht aus ihren Armen losmachen, so schnellen Glauben bewirkt die Natur! Fast hätt' er auch Chloe vergessen. Nachdem er nun in das Haus zurückgekehrt war, legte er ein kostbares Kleid an und neben seinem wirklichen Vater sitzend, vernahm er aus seinem Munde folgendes:

»Ich habe sehr jung geheiratet, meine Kinder; und nach kurzer Zeit war ich ein glücklicher Vater, wie ich glaubte, denn zuerst wurde mir ein Sohn geboren, dann eine Tochter, und nach dieser Astylos. Ich glaubte hinlänglich mit Kindern versorgt zu sein, und als mir nach allen dieser Sohn geboren wurde, setzte ich ihn aus und gab ihm diese Sachen mit, nicht als Erkennungszeichen, sondern als Totenschmuck. Das Schicksal hatte es anders beschlossen. Mein ältester Sohn und meine älteste Tochter starben an einer ähnlichen Krankheit an einem Tage; du aber wurdest mir durch die Vorsehung der Götter erhalten, damit ich mehrere Stützen hätte. Hege also keinen Groll wegen deiner Aussetzung gegen mich, denn es war kein freiwilliger Entschluß; und auch du, Astylos, laß es dich nicht verdrießen, daß du statt meiner ganzen Habe nur einen Teil bekommen sollst; denn für wohlgesinnte Menschen gibt es kein schöneres Gut als einen Bruder; sondern liebt euch gegenseitig, und was den Reichtum angeht, so könnt ihr mit Königen wetteifern. Ich werde euch große Ländereien hinterlassen und viele brauchbare Sklaven, auch Gold und Silber, und viele andere Habe reicher Leute. Dem Daphnis geb' ich nur diese Flur zum voraus, und den Lamon und die Myrtale und die Ziegen, die er selbst geweidet hat.«

Während er noch sprach, sprang Daphnis auf mit den Worten: »Da hast du mich zur rechten Zeit an etwas erinnert. Ich muß die Ziegen zur Tränke führen, die gewiß schon recht durstig auf meine Syrinx warten, während ich hier sitze.« Alle lachten fröhlich, daß er, der ein Herr geworden war, noch immer ein Ziegenhirt sein wollte; und ein anderer wurde abgeschickt, für die Ziegen zu sorgen; sie aber opferten dem rettenden Zeus und hielten ein Mahl. Bei diesem Mahle erschien bloß Gnathon nicht, sondern blieb aus Furcht den ganzen Tag und die ganze Nacht wie ein Schutzsuchender in des Dionysos Tempel. Als sich nun schnell unter allen die Nachricht verbreitete, daß Dionysophanes einen Sohn gefunden, und daß sich Daphnis der Ziegenhirt als Herr der Flur ausgewiesen habe, strömten die Leute von allen Seiten herzu und beglückwünschten den Knaben und brachten seinem Vater Geschenke. Unter ihnen war Dryas, Chloes Pflegevater, der erste.

Dionysophanes behielt alle bei sich, damit sie als Teilnehmer der Freude auch an dem Feste teilnähmen. Vieler Wein wurde herbeigeschafft und vieles Mehl, auch Wasservögel, Spanferkel und mancherlei Backwerk; und viele Opfer wurden den heimischen Göttern dargebracht. Jetzt nahm Daphnis all sein Hirtengerät zusammen und verteilte es unter die Götter als Weihgeschenke. Dem Dionysos weihte er die Hirtentasche und das Fell; dem Pan die Syrinx und die Querpfeife; den Hirtenstab den Nymphen und die Milchgefäße, die er selbst verfertigt hatte. Wie aber immer das Gewohnte einem erfreulicher ist als ein fremdes und ungewohntes Glück, so weinte er bei jedem Stücke, von dem er sich trennte und hing die Milchgefäße nicht eher auf, als bis er gemolken, das Fell nicht eher, als bis er es umgehängt, die Syrinx, bis er darauf geflötet hatte; ja, er küßte das alles und redete die Ziegen an und rief die Böcke mit Namen. Aus der Quelle trank er auch, weil er oft mit Chloe daraus getrunken hatte. Noch aber bekannte er seine Liebe nicht, sondern erwartete die gelegene Zeit. Während der Zeit, wo Daphnis mit den Opfern beschäftigt war, trug sich mit Chloe folgendes zu. Sie saß bei ihrer Herde und weinte und sagte, wie natürlich war: »Daphnis hat mich vergessen. Er träumt von einer reichen Heirat. Warum ließ ich ihn auch statt bei den Nymphen bei den Ziegen schwören? Er hat sie verlassen, wie Chloe. Nicht einmal jetzt, wo er dem Pan und den Nymphen opfert, hat er Chloe zu sehen gewünscht. Er hat vielleicht bei seiner Mutter Mägde gefunden, die besser sind als ich. Nun wohl ihm! Ich aber will nicht länger leben.«

Indem sie so bei sich sprach und so bei sich dachte, überfiel sie Lampis, der Rinderhirt, mit einer Begleitung von Landleuten und raubte sie weg, weil Daphnis sie nun doch nicht heiraten und Dryas jetzt nur allzugut mit ihm zufrieden sein würde. Sie wurde also unter kläglichem Geschrei fortgerissen; aber einer, der es gesehen hatte, zeigte es der Nape an, Nape dem Dryas, Dryas dem Daphnis. Dieser geriet darüber fast von Sinnen; da er aber nicht wagte, mit seinem Vater zu sprechen und sich doch nicht fassen konnte, ging er in den Garten und jammerte: »O welch unseliges Finden!« sagte er. »Wieviel besser war' es für mich, die Herde zu weiden! Wieviel glücklicher war ich, da ich ein Knecht war! Da sah ich doch Chloe. Da küßt' ich sie. Nun hat Lampis sie geraubt, und wenn die Nacht kommt, wird er bei ihr liegen. Ich aber trinke und schwelge und habe umsonst beim Pan und den Ziegen und den Nymphen geschworen.«

Diese Worte des Daphnis vernahm Gnathon, der in dem Garten versteckt war, und da er jetzt den günstigen Zeitpunkt zur Aussöhnung gefunden zu haben glaubte, nahm er einige von Astylos' Dienern mit sich und eilte dem Dryas nach. Nachdem er sich von diesem die Wohnung des Lampis hatte zeigen lassen, beschleunigte er seine Schritte und traf ihn, als er eben Chloe in sein Haus führte, nahm sie ihm ab und züchtigte die Bauern, die ihm geholfen hatten, mit Faustschlägen. Auch wollte er den Lampis binden und wie einen Kriegsgefangenen fortführen; dieser aber war vorher davongelaufen. Nach so rühmlicher Tat kehrte er bei Anbruch der Nacht zurück. Den Dionysophanes fand er schlafend; Daphnis aber wachte noch und weinte im Garten. Er führte also Chloe zu ihm, und nachdem er sie ihm übergeben hatte, erzählte er ihm den ganzen Verlauf; bat ihn hierauf, das Geschehene zu vergessen, ihn als einen treuen Diener zu behalten und nicht von seinem Tische zu verstoßen, ohne den er verhungern würde. Als aber Daphnis Chloe wiedersah und sie in seinen Armen hatte, verzieh er ihm als seinem Wohltäter und rechtfertigte sich bei Chloe über seine Vernachlässigung.

Jetzt gingen sie miteinander zu Rate und beschlossen ihren Bund geheimzuhalten, und daß Daphnis Chloe im verborgenen behalten und nur seiner Mutter diese Liebe bekennen sollte. Dryas aber gestattete das nicht, sondern verlangte, mit dem Vater zu sprechen und versprach, ihn zu bereden. Am folgenden Morgen begab er sich mit den Erkennungszeichen in der Hirtentasche zu Dionysophanes und der Klearista, die in dem Lustgarten saßen; auch Astylos war zugegen und Daphnis; und als alle schwiegen, hub er also an: »Eine gleiche Notwendigkeit, wie dem Lamon, gebietet auch mir, das bisher bewahrte Geheimnis kundzutun. Diese Chloe hier hab' ich nicht gezeugt, ihr auch nicht die erste Nahrung gereicht; andere haben sie erzeugt, und als sie in der Grotte der Nymphen lag, hat-ein Schaf sie ernährt. Dies sah ich mit eigenen Augen und staunte, als ich es sah; dann zog ich sie auf. Für meine Worte zeugt ihre Schönheit; denn uns gleicht sie nicht; es zeugen auch die mit ihr gefundenen Merkmale, die zu kostbar für Hirten sind. Seht sie hier, und sucht die Angehörigen des Mädchens auf, ob sie sich vielleicht des Daphnis würdig zeigt.«

Diese Worte warf Dryas nicht ohne Bedacht hin, und auch Dionysophanes hörte sie nicht achtlos an; sondern mit einem Blicke auf Daphnis, den er erblassen und heimlich weinen sah, erkannte er sogleich seine Liebe; und mehr aus Sorge für seinen eigenen Sohn als für ein fremdes Mädchen prüfte er die Erzählung des Dryas mit größter Genauigkeit. Als ihm aber auch die Erkennungszeichen vorgelegt wurden, die übergoldeten Schuhe, die Spangen, die Mitra, rief er Chloe zu sich und sprach ihr Mut ein; sie habe schon den Mann, bald würde sie auch Vater und Mutter finden. Jetzt nahm sich Klearista ihrer an und schmückte sie als die Gattin ihres Sohnes; den Daphnis aber nahm Dionysophanes beiseite und fragte ihn, ob sie noch Jungfrau sei; und da er mit einem Eide beteuerte, daß nichts weiter als Küsse und Schwüre unter ihnen vorgefallen, freute er sich der Versicherung und ließ sie zusammensitzen.

Jetzt konnte man sehen, was die Schönheit ist, wenn sie im Schmucke erscheint; denn jetzt, da Chloe angekleidet war, ihr Haar aufgeflochten und ihr Angesicht gewaschen hatte, fanden alle ihre Schönheit um ein bedeutendes erhöht, so daß selbst Daphnis sie kaum wiedererkannte; und auch ohne die Erkennungszeichen hätte man geschworen, daß Dryas nicht der Vater eines solchen Mädchens sei. Dennoch war er auch gegenwärtig und schmauste mit, und Nape ebenfalls, und auf einem besonderen Lager hatten sie den Lamon und die Myrtale zur Gesellschaft. Nun wurden wiederum an den folgenden Tagen Opfertiere geschlachtet und Mischkrüge aufgestellt; und auch Chloe weihte jetzt, was sie besaß, die Syrinx, die Hirtentasche, das Fell, die Milchgefäße. Auch mischte sie die Quelle in der Nymphengrotte mit Wein, weil sie bei ihr gesäugt worden war und sich oft darin gebadet hatte. Sie bekränzte auch den Grabhügel des Schafes, den Dryas ihr zeigte. Auch flötete sie noch selbst der Herde etwas vor, und nach dem Flöten betete sie zu den Göttinnen und flehte zu ihnen, daß sie Eltern finden möchte, die sie der Ehe mit ihrem Daphnis würdig machten.

Als aber nun auf dem Lande der Feste genug gefeiert waren, beschloß man, sich nach der Stadt zu begeben und nach Chloes Eltern zu forschen und die Hochzeit nicht länger aufzuschieben. Sie schickten sich also mit Tagesanbruch zur Reise an, schenkten dem Dryas noch andere dreitausend Drachmen, dem Lamon aber die Hälfte des Ertrages von dem Grundstücke an Früchten und Wein, die Ziegen samt den Hirten, vier Joche Ochsen und Winterkleider; und ihm und auch seinem Weibe wurde die Freiheit geschenkt. Hierauf reisten sie nach Mitylene ab mit Wagen und Pferden und großer Pracht. Damals bemerkten die Bürger sie nicht, da sie in der Nacht ankamen; am folgenden Morgen aber sammelte sich die Menge um ihre Tür, Männer und Weiber. Jene freuten sich mit Dionysophanes, daß er einen Sohn gefunden und mehr noch, als sie die Schönheit des Daphnis sahen; die Weiber aber wünschten Klearisten Glück, daß sie zugleich einen Sohn und seine Braut in das Haus gebracht habe. Diese nämlich setzte Chloe durch ihre Schönheit, die durch nichts verdunkelt werden konnte, in Erstaunen. Die ganze Stadt geriet in Bewegung über den Jüngling und die Jungfrau; sie priesen schon das Glück dieser Ehe und wünschten, daß die Abkunft des Mädchens ihrer Schönheit angemessen möchte gefunden werden. Ja, viele der reichsten Frauen baten die Götter, sie für die Mutter einer so schönen Tochter gelten zu lassen.

Nun hatte Dioriysophanes einst, als er nach vielem Sinnen in einen tiefen Schlaf gesunken war, folgenden Traum. Es kam ihm vor, als bäten die Nymphen den Eros, endlich doch den Liebenden die Ehe zuzugestehen; und als ob dieser den Bogen abspanne und zu dem Köcher von sich lege und dem Dionysophanes befehle, die Edelsten der Mitylenäer zu einem Mahle einzuladen, und, wenn er den letzten Mischkrug gefüllt habe, die Erkennungszeichen jedem vorzulegen und hierauf den Hochzeitsgesang anzustimmen. Wie er nun dies gesehen und gehört hatte, stand er mit Tagesanbruch auf und befahl ein glänzendes Mahl zu bereiten von den Gaben des Landes und des Meeres, und was Seen und Flüsse böten und lud hierauf alle die Vornehmsten der Mitylenäer zu Gästen ein. Als es nun schon Nacht geworden und der Mischkrug gefüllt war, aus dem sie dem HermesS. Odyss. VIII, 137 seq. Athen. Lp. 16 B. spenden, brachte ein Diener auf einem silbernen Becken die Erkennungszeichen herein, trug sie rechts'Εν δεξια: nach der Rechten hin, den Anfang an der linken Hand machend, so daß er zuletzt an den kommt, der zu oberst sitzt. herum und zeigte sie allen vor.

Von den andern erkannte sie keiner; ein gewisser Megakles aber, der um seines Alters willen den obersten Platz hatte, sah sie nicht so bald, als er sie erkannte und mit lauter und kräftiger Stimme ausrief:

»Was seh ich hier? Was ist aus dir geworden, mein Töchterchen? Lebst du wohl auch noch? oder hat ein Hirt nur dies gefunden und aufgehoben? Ich bitte dich, Dionysophanes, sage mir, woher du die Erkennungszeichen meines Kindes hast. Gönne nach deines Daphnis Entdeckung auch mir, etwas zu finden.« Da nun Dionysophanes von ihm verlangte, daß er zuerst die Geschichte der Aussetzung erzähle, begann Megakles, ohne den Ton der Stimme zu senken: »Meine Habe war in früherer Zeit gering; denn was ich hatte, war für Choregien und TrierarchienDie Leistungen der Bürger in den Freistaaten bei Ausrüstung von Chören, bei hohen Festen und bei Galeeren im Kriege. daraufgegangen. In diesen Umständen wurde mir eine Tochter geboren. Weil ich sie nun nicht in Dürftigkeit erziehen wollte, setzte ich sie geschmückt mit diesen Merkzeichen aus, weil ich wußte, daß viele auch so Väter zu werden wünschen. Sie war nun also in einer Grotte der Nymphen ausgesetzt und den Göttinnen anvertraut; mir aber strömte täglich Reichtum zu, und ich hatte keinen Erben; denn nicht einmal eine Tochter gönnte mir das Glück; sondern als ob die Götter meiner spotteten, sandten sie mir Träume bei Nacht, daß ich durch ein Schaf Vater werden würde.«

Jetzt stieß Dionysophanes noch lautere Ausrufungen aus als Megakles vorher, sprang von seinem Sitze auf und führte Chloe, köstlich geschmückt, mit diesen Worten herein: »Dieses Kind hast du ausgesetzt: diese Jungfrau hat dir ein Schaf durch der Götter Vorsehung ernährt, wie mir eine Ziege den Daphnis. Nimm diese Merkzeichen und die Tochter, nimm sie und gib sie dem Daphnis als Braut zurück. Wir haben beide ausgesetzt und beide wiedergefunden; für beide hat Pan, haben die Nymphen und Eros gesorgt.« Megakles stimmte in diese Reden ein, schickte nach seiner Gemahlin Rhode und hielt Chloe an seiner Brust. Auch blieben sie zum Schlafen dort; denn Daphnis schwur, er werde Chloe niemandem überlassen, selbst ihrem Vater nicht.

Als es Tag geworden, kamen sie überein, wieder auf das Land zu gehen; denn Daphnis und Chloe hatten sich dieses erbeten, weil ihnen das Weilen in der Stadt unerträglich war. Auch jene wünschten, eine ländliche Hochzeit für sie zu veranstalten. Sie begaben sich also zu Lamon, führten den Dryas zu Megakles, stellten Nape der Rhode vor, und machten Anstalten zu einem glänzenden Feste. Nun empfing Daphnis Chloe in Gegenwart der Nymphen, und nebst vielen anderen Dingen weihten sie auch die Erkennungszeichen und vermehrten den Reichtum des Dryas bis zu zehntausend Drachmen.

Da der Himmel günstig und heiter war, ließ Dionysophanes dort vor der Grotte Lager aus grünem Laubwerk ausbreiten und bewirtete hier die ganze Nachbarschaft auf das reichlichste. Da waren Lamon und Myrtale, Dryas und Nape zugegen; auch Dorkons Angehörige, Philetas, des Philetas Söhne, Chromis und Lykänion; auch Larapis hatte Verzeihung erhalten und fehlte nicht. Hier war nun alles, wie natürlich in solcher Gesellschaft, dörflich und landgemäß: einer sang, wie die Schnitter singen; ein anderer ahmte die spottende Kurzweil der Kelternden nach; Philetas spielte die Syrinx; Lampis flötete; Dryas und Lamon tanzten; Chloe und Daphnis küßten sich. Es weideten auch die Ziegen in der Nähe, als ob sie ebenfalls an dem Feste Anteil nähmen. Für die Städter hatte dies keinen großen Reiz; Daphnis aber rief einige mit Namen herbei, gab ihnen grünes Laub, faßte sie bei den Hörnern und küßte sie.

Und nicht bloß damals, sondern solange sie lebten, führten sie die meiste Zeit ein Hirtenleben, verehrten die Götter, die Nymphen, den Pan, den Eros, schafften große Herden von Schafen und Ziegen an und kannten keine süßere Kost als Obst und Milch. Auch legten sie ein Knäbchen einer Ziege an, und ihr zweites Kind, ein Töchterchen, ließen sie an einem Schafe trinken; und nannten jenes Philopömen, dieses Agele. So lebten sie mit ihnen auch dort zusammen bis in ihr spätes Alter und schmückten die Grotte und stellten Bilder auf und weihten einen Altar dem hirtlichen Eros; dem Pan aber gaben sie statt der Pinie einen Tempel zum Obdach und nannten ihn Pan den Krieger.

Bild auf Seite 213

... Damals aber wurden sie, als es Nacht geworden, von allen in das Brautgemach geleitet, wobei die einen die Syrinx, andere die Flöte bliesen, noch andere große Fackeln trugen ...

Illustration von Charles Eisen

Doch dies taten sie erst in der Folge. Damals aber wurden sie, als es Nacht geworden, von allen in das Brautgemach geleitet, wobei die einen die Syrinx, andere die Flöte bliesen, noch andere große Fackeln trugen. An der Türe sangen sie mit harter und rauher Stimme, als ob sie die Erde mit Dreizacken aufrissen, nicht aber ein Brautlied sängen. Daphnis und Chloe aber lagen entkleidet zusammen, umarmten einander und küßten sich und schliefen in dieser Nacht nicht mehr als die Nachteulen tun. Daphnis übte jetzt aus, was er von Lykänion gelernt, und Chloe erfuhr nun zuerst, daß ihre Kurzweil am Walde nur Hirtenspiel gewesen war.

Bild auf Seite 216

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