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Zum ersten: die Weise, wie wir beten sollen
Da die Jünger Christi baten, daß er sie lehren möchte zu beten, sagte er (Matthäus 6,7 folgende): «Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel Worte machen, wie die Heiden tun, die da meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen. Darum sollt ihr euch mit ihnen nicht vergleichen. Denn euer Vater, der im Himmel ist, weiß wohl, was ihr bedürfet, ehe ihr ihn bittet. Darum sollt ihr also beten: Vater Unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name».
Aus diesen Worten Christi lernen wir beide, Worte und Weise, das ist, wie und was wir beten sollen. Und diese zwei Dinge sind nötig es zu wissen.
Die Weise ist, daß man wenig Worte mache, aber viel und tiefe Meinungen oder Sinne. Je weniger Worte, je besser das Gebet, je mehr Worte, je ärgerlicher das Gebet. Wenig Worte und viel Meinung ist christlich, viel Worte und wenig Meinung ist heidnisch. Darum spricht Jesus in Matthäus 6,7: Ihr sollt nicht viel reden (plappern), wenn ihr betet, wie die Heiden. So auch Johannes 4,24 als er zu dem heidnischen Weibe sprach: «Wer Gott anbeten will, der muß ihn in dem Geist und in der Wahrheit anbeten»; denn solche Beter sucht der Vater.
Nun, «im Geist beten» oder «geistlich beten» heißt so im Gegensatz zum «leiblichen Gebet», und «in der Wahrheit beten» heißt so im Gegensatz zum «Gebet nur dem Scheine zuliebe».. Denn das hat einen großen Schein vor den Leuten, und geschieht mit dem leiblichen Munde, und nicht wahrhaftig; aber das geistliche und wahrhaftige Gebet ist die innerliche Begierde, Seufzen und Verlangen aus Herzens Grunde. Das erste macht Heuchler, und falsche, sichere Geister; das andere macht Heilige und furchtsame Kinder Gottes.
Doch ist hier ein Unterschied zu merken, denn das äußerliche Gebet geschieht in dreierlei Weise: zum ersten, aus lauter Gehorsam, wie die Priester und Geistlichen singen und lesen; auch die, die aufgesetzte Buße oder gelobte Gebete sprechen. Bei diesem Gebet ist der Gehorsam fast das Beste, und fast gleich einer anderen leiblichen Arbeit des Gehorsams (so solch ein Gebet aus einfältiger gehorsamer Meinung geschieht, nicht um Geldes oder Ehre und Lobes willen), ja so viel unaussprechliche Gnade ist in dem Wort Gottes, daß es, auch mit dem Munde ohne Andacht gesprochen (in der Meinung eines Gehorsams), ein fruchtbares Gebet ist und dem Teufel weh tut.
Zum anderen, ohne Gehorsam, oder mit Unwillen und Unlust, oder um Geld, die Ehre oder Lobes willen. Solches Gebet wäre besser unterlassen. Doch wird diesen Betern hier ihr Lohn dafür gegeben in der Form von zeitlichem Gut oder zeitlicher Ehre; denn so lohnt Gott die Knechte ab, aber nicht die Kinder.
Zum dritten, mit Andacht des Herzens; da wird der Schein in die Wahrheit gezogen, und das Äußerliche in das Innerliche; ja, die inwendige Wahrheit bricht heraus und leuchtet mit dem äußerlichen Schein. Aber es ist nicht möglich, daß der viel Worte macht, der geistlich und gründlich betet, denn die Seele, wenn sie gewahr wird, was sie spricht, und dann mit Bedacht auf die Worte und Sinne denkt, muß sie die Worte fahren lassen und den Sinne nachdenken, oder wiederum, den Sinn muß sie fallen lassen den Worten nachdenken. Darum sind solche mündliche Gebete nicht weiter anzunehmen, denn als einer Anreizung und Bewegung der Seele, daß sie dem Sinne und den Begierden nachdenken, wie die Worte anzeigen. So ist auch in vielen Psalmen die Überschrift und der Titel, das ist, daß diese Gebete, ob sie gleich wenig Worte haben, doch Anreizung und Bewegung sind dem Herzen, etwas Gutes zu denken oder zu begehren. Auch finden wir in den Psalmen das Wort «Sela»(das ist, «Ruhe «), und wird weder gelesen noch gesungen; uns zu ermahnen, das, wo ein besonderes Stück sich findet im Gebet, daß man dort stillhält und ruht, die Meinung (Sinn) wohl zu betrachten.
Die Worte, und was wir beten sollen
Die Worte sind: «Vater Unser, der du bist». Denn weil dieses Gebet von unserem Herrn einen Ursprung hat, wird es ohne Zweifel das höchste, edelste und beste Gebet sein, denn hätte er ein besseres gewußt, der fromme, treue Schulmeister, er würde es uns auch gelehrt haben. Das soll man so verstehen, nicht, daß alle anderen Gebete böse sind, die diese Worte nicht haben. Denn es haben vor Christi Geburt viele Heilige gebetet, die diese Worte nie gehört haben, sondern, daß alle anderen Gebete verdächtig sein sollen, die nicht dieses Gebetes Inhalt und Meinung haben oder besitzen. Denn die Psalmen sind auch gute Gebete, aber sie drücken nicht so klar die Eigenschaften dieses Gebetes aus, obwohl sie doch darin enthalten sind.
Darum ist es ein Irrtum, daß man etliche andere Gebete diesem vergleichen oder auch vorziehen will, besonders, die viel schöner geschrieben sind, aber auf die Meinung allein, daß uns Gott hier Gesundheit und ein langes Leben, Güter und Ehre geben möchte, oder auch aus der Not zu erlösen, und dergleichen, in welchen mehr unser Wille und Ehre, denn Gottes Ehre und Wille gesucht wird. In der Weise, wie die Katholiken den Rosenkranz beten, höher achten als das Vater Unser, hier geschieht nicht Gottes Wille sondern Menschen Wille. Nicht, daß ich Gebete verwerfe, sondern daß die Zuversicht auf diese mündlichen Gebete zuviel ist, und dadurch das rechte, geistliche, innerliche, wahrhaftige Vater Unser verachtet wird. Denn aller Ablaß, aller Nutzen, der ganze Segen, und alles, was der Mensch bedarf an Leib und Seele, das ist in diesem Gebet überflüssig enthalten. Und es wäre besser, du betest ein Vater Unser mit herzliche Begierde und Meinung der Worte, daraus eine Besserung deines Lebens komme, denn das du aller Gebete Segen hättest.
Nun wird dies Gebet geteilt in zwei Stücke. Zum ersten in eine Vorrede, Anfang und Bereitung, zum anderen sind da sieben Bitten.
Der Anfang
Vater Unser, der du bist in dem Himmel.
Der beste Anfang und die beste Vorrede ist, daß man weiß, wie man den, welchen man bitten will, nennen, ehren und begegnen und wie man ihm gegenüber sich erzeigen soll, daß man ihn gnädig und geneigt mache zu erhören. Es ist kein Name unter allen Namen, mit welchem wir Gott besser anreden können, denn «Vater». Das ist eine freundliche, süße, tiefe und herzliche Rede. Es ist nicht so lieb und tröstlich, wenn wir nur sprächen «Herr» oder «Gott» oder «Richter». Denn der Name «Vater» ist von Natur eingeboren und natürlich süß. Darum gefällt er Gott auch am allerbesten und bewegt ihn am allermeisten uns zu erhören. In diesem bekennen wir uns auch als Gottes Kinder, und dadurch wir Gott innerlich bewegen, denn es ist keine schönere Stimme, als die Stimme des Kindes zum Vater.
Dazu hilft, das wir sagen: «Der du bist in dem Himmel». Dieses sind Worte, damit wir unsere tägliche Not und Elend zeigen und uns von Gott erbitten sich zu erbarmen. Denn wer anfängt zu bitten, «Vater Unser, der du bist in dem Himmel», und tut das aus tiefem Herzensgrund, der bekennt, daß er einen Vater hat, und denselben im Himmel kennt, der Vater weiß (und auch der Beter) das wir hier im Elend und verlassen auf Erden sind. Daraus nun folgen muß ein herzliches Sehnen; gleichwie bei einem Kind, das aus dem Haus seines Vaters Land unter fremden Leuten im Elend und im Jammer lebt. Als wenn es spräche: Ach Vater, du bist im Himmel, ich dein elendes Kind bin auf Erden, im Elend, weit von dir, in aller Gefahr, in Jammer und in Not, unter den Teufeln und größten Feinden und dem mancher Gefahr.
Wer so betet, der steht mit einem richtigen, aufgehobenen Herzen zu Gott, und so ist es richtig Gott zu bitten und zur Gnade zu bewegen. Dies ist also ein so hohes Wort, daß es nicht möglich ist aus des Menschen Natur zu reden, es sei denn der Geist Christi ist im Herzen. Denn wenn man fest innerlich suchen will, so ist kein Mensch so vollkommen, der mit Wahrheit sagen kann, er habe keinen Vater hier, er habe nichts, er sei ganz fremd, und nur Gott für seinen Vater ansieht. Denn die Natur ist so böse, daß sie immer etwas auf Erden sucht, und mit Gott im Himmel nicht allein zufrieden sein will.
Doch sagt uns das Wort, daß wir eine Zuversicht zu Gott haben sollen die allein auf ihn hofft. Denn es kann uns niemand in den Himmel bringen, denn der einige Vater, wie es geschrieben steht in Johannes 3,13: «Niemand steigt auf in den Himmel, denn allein der, der herab gestiegen ist, der Sohn des Menschen». In dessen Haut und auf seinem Rücken müssen wir hinauf steigen.
Also möchten nun dies Gebet beten alle arbeitenden Leute, und die auch nicht wissen, was diese Worte bedeuten. Und das halte ich für das Beste Gebet, denn da redet das Herz mehr als der Mund.
Es sieht aber nun in unserer Kirche ganz anders aus, daß steht jemand und wendet die Blätter um, ließt daraus viel Gebete, macht damit einen großen Schein vor den Menschen, ist aber mit dem Herzen weit von dem, was der Mund bekennt. Das heißt aber nicht gebetet. Denn zu denen spricht Gott durch den Propheten Jesaja Kapitel 19,13.: «Dies Volk betet mich an mit dem Munde, aber ihr Herz ist weit von mir». So findet man viel Priester und geistliche, die in ihrem Amt ohne alle inwendige Begierde die Gebete einfach dahin plappern, sagen dazu noch ohne Scham: jetzt bin ich fröhlich, weil ich unserem Herrn nun bezahlt habe, meinen, sie haben damit Gott genügend getan.
Ich sage dir aber, und gebe es zu, daß du den Geboten der Kirche vielleicht genug getan hast; aber Gott wird zu dir sagen (Matthäus 15,8) «Das Volk ehrt mich mit dem Munde, aber ihr Herz ist ferne von mir». Und ich habe Sorge, daß sie sich auf dieses Gebete verlassen, und so nie ein Gebet zu Gott senden. Und so ist es, daß die am allerwenigsten beten, die scheinen vor den Leuten am allermeisten zu beten, und wiederum die am allermeisten beten, die scheinen vor den Leuten am wenigsten zu beten.
Heute ist es so, daß wir unseren Trost und unsere Zuversicht in viel Geplärre, Geschrei, Gesänge, daß doch Christus verboten hat, als er sagt (mehr Matthäus 6,7.): «niemand wird durch viel Worte machen erhört». Das machen die ungeschickten Predigten, damit man das Volk nicht, wie vor Zeiten die lieben Väter, mit Arbeit und Mühe zu dem rechten Grund und inwendigen Gebet führt, sondern in den äußerlichen Schein, und allein ins mündliche Gebet, und am allermeisten, da ihr eigener Nutzen gesucht wird.
Nun möchte wohl einer sagen: steht doch geschrieben in Lukas 18,1.: «ihr sollte ohne Unterlaß beten». Was aber beten ist, ist zuvor genug gesagt. Also sind Ketzer gewesen, die hießen «Euchiten», das ist, Beter, die wollten das Wort Christi halten, und beteten (das ist, sie plapperten mit dem Munde) Tag und Nacht, und taten sonst nichts, und sehen aber nicht ihre Torheit; denn sie, wenn sie aßen, tranken oder schliefen, daß Gebet doch unterlassen mußten. Darum ist das Wort Christi vom geistlichen Gebet gesagt, das mag ohne Unterlaß sein, auch in leiblicher Arbeit; wiewohl es niemand ganz vollkommen bringt, den wer kann immer sein Herz zu jeder Zeit zu Gott erheben? Darum ist durch dasselbe Wort ein Ziel gesetzt, danach wir uns richten sollen, und wenn wir sehen, daß wir es nicht tun, daß wir uns erkennen als Schwache, gebrechliche Menschen, und dadurch gedemütigt werden und um Gnade bitten über unsere Gebrechlichkeit.
Und so lehren alle Lehrer der Schrift, daß das Wesen und die Natur des Gebetes nichts anderes ist, denn eine Erhebung des Gemütes oder Herzens zu Gott. Ist nun die Natur und Art des Gebetes des Herzens eine Erhebung zu Gott, so folgt, daß alles andere, was nicht des Herzens Erhebung ist, nicht Gebet ist. Darum ist Gesang, reden, greifen, wenn das herzliche aufsteigen nicht da ist, gleich ein Gebet, wie Vogelscheuchen in dem Garten der Menschen sind. Das Wesen ist nicht da, sondern der Schein und der Name allein. Das beschreibt auch eine Geschichte von Hieronymus, der schreibt von einem heiligen Mann, daß er in der Wüste 30 Jahre einen Stein in seinem Munde trug, daß er wollte schweigen lernen. Womit hat er aber gebetet? Ganz ohne Zweifel innerlich mit dem Herzen, an welchem Gott auch am meisten liegt, und auch dasselbe allein ansieht und sucht. Des hilft aber wohl dazu, so man die Worte hört, und also die Ursache bekommt zu betrachten und recht zu beten. Denn, wie oben gesagt, sollen die mündlichen Worte nicht anders gelten, denn als eine Trompete, Trommel, oder Orgel, oder sonst ein Geschrei, damit das Herz bewegt und zu Gott erhoben wird.
Ja, es soll sich niemand auf sein Herz verlassen, daß er ohne Worte wollte beten, er sei denn wohl geübt im Geist und der auch Erfahrung habe, die fremden Gedanken auszuschlagen; sonst würde ihn der Teufel ganz und gar verführen, und sein Gebet im Herzen bald zerstören. Darum soll man sich an die Worte halten und diesen nachsteigen, solange wie die Federn wachsen, daß man fliegen mag ohne Worte. Denn das mündliche Gebet oder die Worte verwerfe ich nicht, soll auch niemand verwerfen, ja, mit großen Dank annehmen als eine besonders große Gabe Gottes. Aber das ist zu verwerfen, daß man der Worte nicht zu ihrem Amt und zu ihrer Frucht gebraucht, nämlich, das Herz zu bewegen, sondern in falscher Zuversicht verläßt man sich darauf, daß man sie mit dem Munde nur gemurmelt oder geplappert hatte ohne alle Frucht und Besserung, ja, mit Ärgerung des Herzens.
Auch soll sich ein jeder davon hüten, wenn er nun neben den Worten oder sonst einen Funken empfängt und Andacht fühlt, daß er nicht der alten Schlange Gift, das ist der mörderischen Hoffahrt, folgt, die da spricht: Ach ich bete nun mit dem Herzen und Munde und habe solche Andacht, daß ich glaube, des wird schwer sein daß ein anderer, der Gott so recht tut als ich. Denn solche Gedanken hat dir dann der Teufel eingegeben, und du wirst damit ärger, denn alle die, die überhaupt nicht beten, ja, des ist nicht weit von einer Gotteslästerung und Verdammung solcher Gedanken. Denn nicht dich, sondern Gott sollst du loben in allem Guten, daß du fühlst und hast.
Jetzt ist noch zu merken, wie ordentlich Christus dieses Gebet setzt. Denn er läßt nicht zu, daß ein jeglicher für sich alleine bitten, sondern für die ganze Versammlung aller Menschen. Denn er lehrt uns hier nicht sagen: Mein Vater; sondern «Vater Unser». Das Gebet ist ein geistlich, allgemeines Gut, darum soll man es niemanden rauben, auch nicht die Feinde. Denn so er unser aller Vater ist, will er, daß wir unter einander Brüder sein sollen, freundlich lieben und für einander bitten gleichwie für uns selbst.
Einteilung des Vater Unsers
in diesem Gebet sind sieben Bitten.
Die erste:
Geheiligt werde dein Name.
Die zweite:
dein Reich komme
Die dritte
dein Wille geschehe im Himmel und auf der Erde
Die vierte
Unser täglich Brot gibt uns heute
Die fünfte
und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.
Die sechste
und führe uns nicht in die Versuchung (oder Anfechtung)
Die siebte
sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.
Diese sieben Stücke mögen auch wohl die sieben guten Lehren und Ermahnungen genannt werden. Denn auch der heilige Bischof von Märtyrer Ziprianus gesagt davon, es sind sieben Zeichen unseres Elends und was wir bedürfen, durch welche der Mensch, zu seiner eigenen Erkenntnis geführt, sehen kann, in was für einem gefährlichen und jämmerlichen Leben er hier auf Erden lebt. Denn es ist nichts anderes, denn eine Lästerung von Gottes Namen, ein Ungehorsam gegen Gottes Willen, ein sich wehren gegen Gottes Reich, ein hungriges Land ohne Brot, ein sündiges Wesen, ein gefährliches wandeln, und alles Übels voll. So nennt es Christus selbst in diesem Gebet, wie wir nachher hören werden.
Die erste Bitte
Geheiligt werde dein Name.
O ein groß, überschwenglich, tiefes Gebet, so es mit dem Herzen gebetet wird, obwohl von kurzen Worten, und ist unter den sieben Bitten keine größere, denn daß wir bitten: «Dein Name werde geheiligt».
Merke aber, das Gottes Name in sich selbst heilig ist, und von uns nicht geheiligt wird, ja, der alle Dinge und auch uns heiligt; daß er in uns geheiligt werden soll. Denn darin wird Gott alles und der Mensch ganz zunichte gemacht. Dazu dienen und ziehen sich auch die anderen sechs Bitten, daß Gottes Name geheiligt werde. Wenn das geschehen ist, so sind alle Dinge wohl geschehen, wie wir hören werden.
Daß wir aber sehen, wie Gottes Name geheiligt werde in uns, wollen wir zuvor sehen, wie er verunheiligt und verunehrt wird in uns. Um klar und deutlich davon zu reden, wird er auf zweierlei Weise in uns verunehrt. Zum ersten, wenn wir seinen Namen mißbrauchen zu Sünden. Zum anderen, wenn wir ihn stehlen und rauben. Gleich als ein heiliges Gefäß der Kirche wird auf zweierlei Weise verunheiligt; zum ersten, wenn man das Gefäß nicht gebraucht zu Gottes Diensten, sondern zu seinem fleischlichen Willen; zum anderen, wenn man es stiehlt und raubt.
Also zum ersten
Wird der Name Gottes verunheiligt in uns durch den Mißbrauch, als wenn wie ihn anziehen oder brauchen, nicht zu nutzen, Besserung, fromm sein unserer Seelen, sondern zu vollbringen der Sünde und Schaden unserer Seelen, welches in vielen Stücken geschieht, mit Zauberei, Segen, Lügen, Schwören, Fluchen, Betrügen, wie denn uns das andere Gebot Gottes sagt: «Du sollst den Namen deines Gottes nicht unnützlich führen». Und ist kurz in der Summe zusammengefaßt, wenn wir nicht leben als Gottes Kinder.
Wie Gottes Kinder von Natur sind
Ein frommes Kind nennt man, das von frommen, ehelichen Eltern geboren, diesen in allen Maßen nach folgt und ihnen gleichförmig ist. Solch ein Kind besitzt und erbt die Güter und alle Namen seiner Eltern mit Recht. Also sind wir Christen durch die Taufe neu geboren und Gottes Kinder geworden, und so wir unserem Vater und seiner Art nachfolgen, so sind alle seine Güter und Namen auch unser Erbe ewiglich. Nun ist und heißt unser Vater barmherzig und gütig, wie Christus sagt in (Lukas 6,36): «Seid barmherzig, als euer himmlischer Vater barmherzig ist». Also (Matthäus 11,29): «Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig, und von Herzen demütig». Also ist Gott gerecht, rein, wahrhaftig, stark, einfältig, gerecht, weise. Und dies sind alles Gottes Namen, die aller eingeschlossen werden in dem Wort «dein Name». Denn aller Tugenden Namen sind Gottes Namen. Weil wir denn in diesem Namen getauft sind, durch sie geweiht und geheiligt, und die jetzt unsere Namen geworden sind, folgt, daß alle Gottes Kinder heißen und sollen sein gütig, barmherzig, keusch, gerecht, wahrhaftig, einfältig, freundlich, friedsam, eine süßen Herzens zu einem jeglichen Menschen, auch zu seinen Feinden. Denn der Name Gottes, darin sie getauft sind, wirkt solches alles in ihnen, oder sie sollen es bitten, daß also der Name Gottes in ihnen sei, bewirke und geheiligt werde.
Wer aber zornig, unfriedsam, neidisch, bitter, ungütig, unbarmherzig, unkeusch ist, und flucht, lügt, schwört, betrügt, afterredet, der tut Unehre, lästert, verunheiligt den göttlichen Namen, in welchem er gesegnet und getauft oder berufen ist, und unter die Christen gezählt, und unter Gottes Volk versammelt. Denn derselbe ehrt unter dem Titel des göttlichen Namens des Teufels Namen. Denn so einer dies ein Lügner, unrein, Afterreder, gehässig. Dem folgen (sagt der weise Mann (Weisheit 2, 20), die ihm verwandt und seine Genossen sind. Siehe nun, diese tun nichts anderes, denn als wenn ein Priester einer Sau aus dem heiligen Kelch zu trinken gibt, oder faulen Mist damit schöpfte. Also nehmen sie ihre Seele und Leib, in welchem der Name Gottes wohnt und sie geheiligt hat, und dienen damit dem Teufel. Das ist alles zur Schmach des Heiligen, göttlichen Namens, darin sie geweiht sind.
1. Siehe, nun verstehst du, was «heiligen» heißt, was «heilig» ist. Denn es ist nichts anderes, denn eine Absonderung von dem Mißbrauch zu dem göttlichen Brauch, wie eine Kirche geweiht wird und allein zum göttlichen Dienst verordnet wird. So sollen wir in allem Leben geheiligt werden, daß in uns kein Brauch ist, denn des göttlichen Namens, das ist, Gütigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit. Darum wird der Name Gottes nicht allein mit dem Munde, sondern auch mit allen Gliedern des Leibes und der Seele geheiligt oder verunheiligt.
Zum andern
Wird Gottes Name verunheiligt durch Rauben und Stehlen. Die Scharfsinnigen verstehen es unter dem ersten verstanden was geschrieben wurde, so ist es doch den einfachen Menschen zu schwer, dieses zu merken. Denn dies trifft nun die Hoffärtigen, die sich selbst fromm und heilig halten, und nicht meinen, daß sie Gottes Namen für lästern, wie die ersten, und geben sich selbst den Namen, sie sind gerecht und heilig und wahrhaftig, rauben und stehlen Gott seinen Namen darin, frei ohne alle Furcht. Und von denen finden wir jetzt am meisten, besonders wo es scheint, das es fromme, geistliche Leute sind. Denn diese denken von sich, daß ihre Worte, Werke, Weisheit, gutes Vermögen wegen gerühmt und geehrt sein wollen; aber wenn das nicht geschieht, werden sie wütend und tobend vor Zorn. Und diese heißen in der Schrift provundi corde, eines tiefen das Herzens, also, daß Gott allein sie richten und erkennen muß, und sehr viel mit ihnen zu schaffen hat. Denn alle Dinge die sie so überaus gut schmücken, daß sie selbst nichts anderes wissen, es sei alles nur grundgut mit ihnen. Und dasselbe ist ihr eigenes Wohlgefallen und inwendiges rühmen, Loben und Preisen ist ihr größter, gefährlichster Schaden; und daß man sie erkennen möge, und ein jeglicher vor solchem Unfall sich bewahren soll, wollen wir weiter davon reden.
Welches die schädlichsten und ärgsten Menschen in der Christenheit sind
Zum ersten führen sie das Wort allezeit in ihrem Munde, rühmen sich damit und sprechen: Ach! Ich habe so eine gute Meinung, ich meine es so herzlich gut, der und dieser will mir aber nicht folgen, ich wollte ihm das Herz im Leibe mitteilen. O hüte dich, hüte dich vor den Wölfen, die in solchen Schafskleidern wandern. Es sind Dornen von Rosen, aber keine Feigen wachsen da, sondern nur Stacheln. Darum, als Christus sagt (Matthäus 7,16): «An ihren Früchten kennet sie» welches sind aber die Früchte? Stacheln, Spitzen, Kratzen, Beißen und kein gutes Werk oder Wort. Wie geschieht das? Merke: Wenn diese nun bei sich selbst beschlossen haben, daß sie fromm sind, gute Meinung haben, und ihr Leben so führen, daß sie mehr beten, und andere gute Werke tun, und mehr Verstand und Gnade von Gott haben, denn andere Leute; so machen sie nicht so viel, daß sie sich gegen die messen, die höher und besser sind, sondern halten sich gegen die, die ärger und geringer scheinen, denn sie. Vergessen auch bald, daß es Gottes Güter sind, die sie haben. So muß dann auch folgen richten, urteilen, versprechen, afterreden, verachten, und sich selbst über jedermann erheben; und fahren also daher in der Hoffart, und verhärten in sich selbst ohne alle Gottesfurcht, die nicht mehr tun, denn daß sie sich im Herzen und dem Mund mit fremden Sünden tragen und bescheißen.
Siehe, das sind die Früchte der Disteln und Dornen, das sind die Rachen der Wölfe unter den Schafskleidern. Siehe, das heißt Gottes Namen und Ehre gestohlen, und ihm selbst zugeschrieben. Denn Gott gebührt allein zu richten; wie Christus sagt (Lukas 6,37. Matthäus 7,1.): ihr sollt nicht richten, daß ihr nicht gerichtet werdet». Auch ist es allein Gottes Name , daß er heilig, fromm, gut ist; wir alle sind Sünder vor Gott, einer wieder andere, ohne allen Unterschied. Und so jemand etwas vor dem anderen hat, so ist es doch nicht sein, sondern allein Gottes. Er soll auch von den Seinen allein den Namen haben, daß Wohlgefallen, daß rühmen, daß Richten,. Und darum, wer dieses gebraucht nicht zum Dienst, sondern zur Verachtung seines Nächsten, dieser ist ein Dieb der Ehre Gottes, und will das sein und heißen, das Gott und Gottes ist, und nicht sein ist.
Siehe, von solchen schädlichen, freien, frevelhaften, ungottesfürchtigen Geister ist jetzt die Welt voll, die durch ihr gutes Leben Gottes Namen lästern und verunheiligen, mehr denn alle anderen mit ihrem bösen Leben. Die heiße ich die hoffärtigen Heiligen und des Teufels Märtyrer, die nicht sind wie andere Leute, wie der Gleisner (die einen frommen Schein haben) im Evangelium (Lukas 18,11). Diese, gerade als wären sie nicht Sünder und Böse, wollen nicht leiden die Bösen und Ungerechten, oder mit ihnen zu schaffen haben, daß man ja nicht sage: oh geht der mit solchen um, ich hätte ihn für viel frömmer gehalten! Erkennen nicht, daß Gott ihnen vor anderen darum hat mehr Gnade gegeben, daß sie mit den Gnadengaben dienen sollen, und gleich wieder austeilen und wuchern mit derselben Gnade, das ist, sie sollten bitten für sie, helfen, raten und eben ihnen tun, wie ihnen Gott getan hat, der ihnen die Gnade umsonst gegeben, und sie nicht verachtet und gerichtet hat. So fahren sie zu, und halten die Gnade nicht allein zurück, daß sie kein Frucht bringt, sondern verfolgen auch damit die, denen sie damit helfen sollten. Das sind die, die die Schrift heißt, die Verkehrten (Psalm 18,27).
Zum anderen, wenn sie nun dies alles hören sagen, daß Gott allein der Name und die Ehre gebührt, so stellen sie sich aber fein, und betrügen noch mehr sich selbst mit ihren Schein, und sagen: in allem, daß sie tun, wollen sie Gottes Ehre allein suchen; und dürfen noch dabei schwören, sie suchen nicht ihre Ehre. So geistlich, gründlich, tief ist ihre Bosheit. Aber merke auf die Frucht und Werke, so wirst du finden, wenn ihr vornehmen nicht so geht wie sie denken, so fängt ein Klagen und merkwürdiges Benehmen an, daß niemand mit ihnen auskommen kann. Da erfährt man dann, daß die nicht wohl tun, die sie hindern, und können nicht vergessen das Leid das man ihnen tat, sie behaupten, daß man Gottes Ehre verhindert habe und widerstrebe dem Guten, daß sie gesucht und gemeint haben; und können ihr verflucht Richten und Afterreden nicht sein lassen. So sieht man denn, wie sie es gemeint haben, daß sie nicht darum zürnen, daß das Gute und Gottes Ehre verhindert ist, sondern das ihr Denken und ihre Meinung nicht fortgegangen ist. Ebenfalls könnte ihr Denken nicht Böse sein, und so gut ist, daß es auch Gott nicht verwerfen könnte. Denn wenn sie von sich nicht selbst so eine hohe Meinung hätten, so würden sie es wohl leiden können, daß man ihre Meinung verhindert hat. Aber diese tiefe Hoffart will nicht Böse noch närrisch gehalten sein, darum müssen hier alle anderen Narren Böse sein. Siehe, wie tief die Gotteslästerung in diesen Geistern verborgen ist, die immer das sein und haben wollen, daß Gottes allein ist, das ist, Weisheit, Gerechtigkeit, Namen und Ehre.
Zum dritten, wenn es sich begibt, daß man sagt oder predigt, daß Gott die Ehre darum gebühre und der Name, daß er alle Dinge schafft, und alle Dinge sein sind, so sind sie gelehrter denn alle Prediger, auch denn der heilige Geist selber, können auch jedermann belehren, und dürfen nicht mehr Schüler sein, sprechen: o, wer weiß das nicht! Und halten es so, sie verstehen alles sehr gut. Wenn es aber an ein ernst wird, daß man ihre Ehre antastet, hält sie gering oder verachtet sie, nimmt ihnen etwas, oder sonst ihnen eine Widerwärtigkeit begegnet, siehe, dann ist das Wissen bald vergessen, dann bringt der Dornbusch seine Frucht, die Stacheln und Spitzen. Da guckt der Esel mit seinen Ohren durch die Löwenhaut; dann fangen sie an: Ach Gott vom Himmel, sieh herab, wie geschieht mir so ein großes Unrecht! Fallen in so große Torheit, daß sie sagen dürfen, ihnen geschehe auch vor Gott Unrecht.
Wo ist nun euer großer Verstand, denn ihr sagt doch, alle Dinge sind Gottes und von Gott? O du armer Mensch! Ist es Gottes allein, warum sollte er es denn nicht von dir auch nehmen, geben, hin und herwerfen? Ist es sein, so solltest du still stehen, und ihn schaffen lassen in allem, wie er wollte. Denn wenn er das Seine nimmt, so geschieht dir nicht Unrecht; wie der heilige Hiob sprach, da er alle Güter und Kinder verloren hatte (Kapitel 1,21.): «Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen; wie es Gott gefallen hat, so ist es geschehen, Gottes Name sei gepriesen». Siehe, das war ein rechter Mann, dem niemand nichts nehmen konnte; denn er hatte nichts, daß sein war. Denn Gott spricht hier 41,2.: «Alles, was unter dem Himmel ist, das ist mein», ich habe es geschaffen. Was nun rühmst du dich denn des Deinen, und des, daß dir Unrecht geschehe?. Greift man an deine Ehre, und was du hast, so greift man doch nicht in dein, sondern in Christi Gut. Und daß er dich dasselbe lehre, so fügt er, daß dir genommen werde, was du meinst, es sei dein, sondern sein ist. Siehe, also findet man alle Zeit, das Gottes Ehre und Name nicht nur lauter gesucht wird, und besonders die hoffärtigen Heiligen ja auch etwas sein und haben wollen, das Gott allein gehört.
So sprichst du: Wenn das wahr ist, so folgt, daß niemand auf Erden Gottes Namen genügend heiligt; auch wären die alle Unrecht, die vor Gericht mit einander handeln um Gut oder Ehre, und andere Sachen.
Da Antwort ich zum ersten. Darum habe ich oben gesagt, daß diese erste Bitte überschwenglich ist und die allergrößte, die andern alle in sich fassend. Denn so jemand da wäre, der Gottes Namen genügend heiligte, der dürfte nicht mehr beten das Vater Unser, und wer so rein wäre, daß er sich keines Dinges, keiner Ehre eigen annehme, der wäre ganz rein, und der Name Gottes ganz vollkommen geheiligt in ihm. Das gehört aber nicht in dies Leben, sondern in den Himmel.
Darum müssen wir beten, und ernstlich begehren, weil wir leben, daß Gott seinen Namen in uns heilige. Denn ein jeglicher Mensch ist ein Lästerer des göttlichen Namens, einer mehr als der andere, wenn es die hoffärtigen Heiligen auch nicht glauben wollen.
Darum habe ich auch gesagt, daß dies Gebet nicht allein eine Bitte, sondern auch eine heilsame Lehre und Erkenntnis unseres elenden, verdammten Lebens auf Erden, und wirft den Menschen nieder in seine eigene Erkenntnis. Denn so wir bitten, daß sein Name in uns soll geheiligt werden, daraus folgt, daß er noch nicht heilig ist in uns, denn wäre er heilig, so dürften wir nicht darum bitten. Daraus folgt dann weiter, daß wir, weil wir leben, schänden, lästern verunheiligen, entweihen Gottes Namen, mit unserem eigenen Gebet und Mund, bezeugen wir, daß wir Gotteslästerer sind (und in diesem Leben nie vollkommen heiligen).
Nun weiß ich in der ganzen Schrift keine Lehre, die mächtiger und mehr unser Leben schmäht und vernichtet, als dies Gebet. Wer wollte doch nicht gerne bald sterben, und diesem Leben feind sein (so er anders Gottes Namen hold ist), so er herzlich bedenkt, daß sein Leben in solchem Wesen steht, darin Gottes Name und Ehre gelästert wird? Auch wer nicht mehr, denn das Vater Unser, gut verstehen würde, hätte Lehre genug gegen alle Laster, besonders gegen die Hoffart. Denn, wie mag der fröhlich oder hoffärtig sein, der im Vater Unser so große, schreckliche Gebrechen von sich selbst bekennt, daß er Gottes Namen nicht ehrt und täglich gegen das andere Gebot Gottes handelt, seinen Namen unnützlich gebraucht?
Zum anderen antworte ich ihnen: daß solch ein Gericht ist, ist nicht das Beste, es wäre besser, es wäre keines. Aber um größere Übel zu vermeiden, sind sie gegeben um der Unvollkommen wegen, die noch nicht alle Dinge fahren lassen können und Gott wieder geben können.
Nichtsdestoweniger ist uns ein Ziel gesetzt, wo wir hinarbeiten sollen, das ist, daß wir von Tag zu Tag lernen und uns üben, daß wir Gottes Namen heiligen, ihm seine Ehre, Güter und alle Dinge, von uns entfremdet, wiedergeben und wir so ganz geheiligt werden. Zu dieser Übung ist uns dieses Gebet gegeben, daß wir ohne Unterlaß im Herzen begehren sollen, daß Gottes Name geheiligt werde. Und wenn schon einem Christenmenschen alles genommen würde,, ihre, Freunde, Gesundheit, Weisheit, daß wäre nicht verwunderlich; ja, es muß doch dahin endlich kommen, daß alle seine Dinge zunichte werden, und er von allen Dingen abgesondert wird, ehe er geheiligt wird und den Namen Gottes heilige. Denn weil etwas da ist, darum ist auch ein Name da. Darum muß nichts da bleiben, daß allein Gott, Gottes allen Dinge und Namen bleiben. Dann wird das wahr, daß die Gerechten in der Schrift genannt werden Arme und Weise, die ihrer Eltern beraubt und keinen Trost haben.
Sprichst du aber: so wir alle nicht genügend Gottes Namen ehren, sind wir aber darum in Todsünden und verdammt? Antworte ich: es wäre eine Todsünde und verdammlich, wenn Gott mit der Schärfe handeln wollte; denn Gott mag keine Sünde leiden, wie gering sie sei. Aber es sind zweierlei Volk: etliche, die erkennen und klagen das selbst, daß sie nicht Gottes Namen genügend heiligen, und ernstlich darum bitten, und achten, daß sie so unselig sind. Dies denn gibt er, was sie bitten; und darum, daß sie sich selbst richten, absolviert und erläßt ihnen Gott, was sie nicht genug tun. Die anderen freien und leichtfertigen Geister, die ihre Gebrechen gering achten, in den Wind schlagen, oder auch gar nicht sehen, auch nicht bitten, werden am Ende finden, wie groß ihre Sünde ist, daß sie gar nicht darauf geachtet haben, und werden darum verdammt, darum sie aber meinten am allermeisten selig zu werden; wie Christus zu den Gleisnern sagt: Matthäus 23,14. Daß sie um ihre langen Gebete desto größere Verdammnis haben würden.
Siehe, so lehrt dich das Vater Unser zum ersten erkennen dein großes Elend und Verderben, daß du ein Gotteslästerer bist, also, daß du mußt vor deinem eigenen Gebet erschrecken sollst, wenn du bedenkst, was du betest. Denn es muß wahr sein, daß du Gottes Namen noch nicht geheiligt hast, so muß auch wahr sein, wer Gottes Namen nicht heiligt, daß der ihn verunheilige. Danach muß auch wahr sein, daß Gottes Namen verunehren schwere Sünde ist, und des ewigen Feuers schuldig, so Gottes Gerechtigkeit richten sollte. Wo willst du denn nun hin? Dein eigenes Gebet straft dich und ist gegen dich, beweist dir, beklagst dich; da liegst du, wer hilft dir?
Sieh nun, wenn du so ernstlich in dich geschlagen, und in dein eigen Elend Erkenntnis gedemütigt bist, dann, zum anderen, kommt die tröstliche Lehre, und richtet dich wieder auf; das ist, daß Gebet lehrt dich, daß du nicht verzweifeln sollst, sondern Gottes Gnade und Hilfe begehren. Damit du gewiß bist und fest glauben sollst, daß er dich darum so hat lehren beten, daß er dich erhören will. Und also macht das Gebet, daß dir Gott nicht zurechnet die Sünde, und nicht in der Schärfe mit dir handelt. Und die allein hält Gott für gut, die da ernstlich bekennen, daß sie Gottes Namen verunehren, und immer begehren, daß er möge geheiligt werden.
Die aber sich auf ihr Gewissen verlassen, nicht glauben wollen, daß sie Gottes Namen verunehren, für die ist es nicht möglich, daß sie erhalten werden sollen. Denn sie sind noch zu frei, sicher, hoffärtig und nicht gottesfürchtig; sie sind auch noch nicht unter dem Haufen, zu denen Christus spricht, Matthäus 11,28: kommet her zu mir, alle, die dir mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken! Denn sie verstehen das Vater Unser nicht, wissen nicht, was sie beten.
Beschluß
Das ist nun die Meinung und die Summe dieser Bitte: Ach! Lieber Vater, dein Name werde geheiligt in uns; das ist, ich bekenne, daß ich, leider! Deinen Namen oft verunehrt habe, und auch noch mit Hoffart durch meine eigene Ehre und Namen deinen Namen lästere. Darum, durch deine Gnade hilft mir, daß in mir mein Name abgehe, und ich zunichte werde, auf das du allein und dein Name und Ehre in mir sei.
Ich hoffe, das du auch genügend verstanden hast, daß das Wort «dein Name» so viel heißt als deine Ehre und Lob. Denn einen guten Namen heißt die Schrift Ehre und Lob; einen bösen Namen eine Schande und böses Gerücht. Also, daß dies Gebet nichts anderes will, denn das Gottes Ehre vor allen und über allen und in allen Dingen gesucht wird, und unser ganzes Leben ewiglich allein zu Gottes Ehre gelangen soll, nicht zu unserem Nutzen, auch nicht zu unserer Seligkeit oder etwas Gutes, es sei zeitlich oder ewig, es sei denn zu Gottes Ehre und Lob endlich verordnet.
Darum ist dies das erste Gebet. Denn Gottes Ehre das Erste, Letzte, Höchste ist, daß wir ihm geben können, und er auch nichts mehr sucht und fordert. Wir können ihm auch sonst nichts geben; denn alle anderen Güter gibt er uns, die Ehre aber behält er sich allein: daß wir erkennen, sagen, singen, Leben, wirken und alles tun und Leiden bezeugen, daß Gottes alle Dinge sind; damit der Spruch bestehe aus dem Psalm 111,3. «Lob und Ehre ist sein Werk, und seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich». Das ist so viel gesagt: in diesen Menschen wohnt Gott und lebt er, die Werke dieses Menschen tun nichts anderes, denn daß sie Gott Lob und ihm seine Ehre geben, und ihm alles zuschreiben. Darum so achtet solch ein Mensch nicht, daß man ihn verunehrt und verachtet, denn er weiß, daß solches recht ist. Und so ihn niemand verachten und verunehren will, so tut er es selber, und mag nicht leiden sein eigen Lob und Ehre. Und darum ist er gerecht, gibt Gott, was Gottes ist, und ihm selbst, was sein ist, Gott die Ehre und alle Dinge, sich selbst die Schande und nichts. Das ist die Gerechtigkeit, die ewig bleibt, denn sie gefällt nicht allein den zeitlichen Menschen, wie der törichten Frauen Lampen und der scheinenden heiligen Frömmigkeit (Matthäus 25,1 ff) sondern dem ewigen Gott, vor dem sie denn auch ewiglich bleibt.
Nun merkst du, daß dies Gebet gegen die leidige Hoffart fechtet, die denn das Haupt, Leben und ganzes Wesen aller Sünde ist. Denn weil keine Tugend lebt oder gut ist bei einer Hoffart, so schadet keine Sünde, wenn die Hoffart tot ist. Und wie eine Schlange ihr ganzes Leben im Kopf hat, wenn das tot ist, so tut sie niemandem etwas, wenn die Hoffart tot wäre, so wären alle Sünden unschädlich, ja, sogar förderlich. Darum, wie niemand ohne Hoffart ist und eigenem Namen, Ehre und Geiz, also ist niemand dem dies Gebet dem es nicht hoch und nützlich ist.
Die zweite Bitte
Dein Reich komme.
Dies andere Gebet, wie die anderen, tut zwei Dinge, es erniedrigt und erhebt uns. Erniedrigt uns damit, daß es uns zwingt zu bekennen mit eigenem Munde unser großes und klägliches Elend. Erhebt aber damit, daß es und zeigt, wie wir uns in solchen Erniedrigungen verhalten sollen. Also hat ein jegliches Wort Gottes hat die Art, daß es schreckt und tröstet, schlägt und heilt, zerbricht und baut, reißt aus und pflanzt wieder, demütigt und erhebt.
Zum ersten
Demütigt es uns, daß wir öffentlich bekennen, daß Gottes Reich noch nicht zu uns gekommen ist. Welches, wenn es mit Ernst bedacht wird und gründlich gebetet, schrecklich ist, und ein jegliches frommes Herz einfach betrüben und kümmerlich bewegen sollte. Denn daraus folgt, daß wir noch verstoßen, im Elend und unter grausamen Feinden sind, beraubt des allerliebsten Vaterlandes.
Welches denn zwei schlimme, zu beklagende Schäden sind. Der erste, daß Gott der Vater beraubt ist seines Reiches in uns, und der ein Herr in allen Dingen ist und sein soll, allein durch uns solcher seiner Gewalt und Titel verhindert ist; das geschieht ihm leider zur Unehre, wir tun als sei er ein Herr ohne Land, und sein allmächtiger Titel durch uns zu Spott wird. Das muß ohne Zweifel allen wehtun, die Gott lieben und Gutes gönnen. Das schlimme dabei ist, daß wir die sind, die Gottes Reich klein machen und hindern, welche er, so er streng richten würde, deshalb könnte als seines Reiches Feinde und Räuber verdammen.
Der andere Schaden ist unser, daß wir im Elend und fremden Land unter so großen Feinden gefangen liegen. Denn wenn es schrecklich und zum beklagen wäre, wenn eines Fürsten Kind oder ein ganzes Land unter den Türken gefangen viel Schmach und Leiden, zuletzt auch den schändlichen Tod bekommen müßte: wie viel mehr ist das schrecklich zu beklagen, daß wir unter den bösen Geistern in diesem Elend sind, und allerlei Gefahr des Leibes und der Seele, zuletzt auch den ewigen Tod aller Augenblicke erwarten müssen, daß einem möchte einfach vor seinem eigenen Leben mehr denn vor hundert Toten grauen möchte, so er es recht ansieht.
Zum zweiten
Wenn wir solches bedenken und uns erniedrigt, und wir unseren Jammer erkennen, so folgt danach die Tröstung, und lehrt uns der freundliche Meister, unser Herr Jesus Christus, daß wir bitten und begehren sollen, aus diesem Elend zu kommen, und nicht verzweifeln. Denn diesen, die solches bekennen, daß sie Gottes Reich hindern, und kläglich bitten, daß es doch kommen möchte, wird Gott, weil es ihnen Leid tut, für gut ansehen, wo er sonst Grund hätte zu strafen. Die freien Geister aber, denen nicht viel daran gelegen ist, wo Gottes Reich denn bleibt, und nicht herzlich darum bitten, wird er gewiß mit dem Tyrannen und Zerstörern seines Reiches nach der Schärfe richten.
Denn weil ein jeglicher dies Gebet beten muß, so folgt, daß niemand unschuldig ist am Reiche Gottes. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß es zwei Reiche gibt.
Das erste Reich
Ist ein Reich des Teufels, den nennt der Herr im Evangelium Johannes 16,11. einen Fürsten oder König dieser Welt, das Reich heißt, ein Reich der Sünde und des Ungehorsams. Das soll aber den Frommen ein großes Elend und Gefängnis sein. Wie denn Vorzeiten angedeutet worden ist durch die Kinder von Israels in Ägypten, diese mußten das Land mit großer Arbeit und Jammer bauen, und hatten doch nichts davon, sondern nur daß man sie durch viel Arbeit gedachte zu töten (2. Mose 1,10 ff). Also, wer dem Teufel untertan dient in Sünden, muß viel leiden, besonders im Gewissen, und hatten doch zuletzt nicht mehr davon als den ewigen Tod.
Nun sind wir alle in diesem Reich solange, bis das Reich Gottes kommt; doch mit einem Unterschied. Denn die Frommen sind so darin, daß sie täglich mit den Sünden streiten, und des Fleischeslust, der Welt Reiz, des Teufels Eingeben, stets und fest widerstreben. Denn, wie fromm wir sind, so will doch die böse Lust in uns mit herrschen und den Sieg haben. Also streitet Gottes Reich mit des Teufels Reich ohne Unterlaß. Und dieselben werden darum darin erhalten und selig, daß sie also streiten mit sich selbst wieder des Teufels Reich, um Gottes Reich zu vermehren. Und das sind die, die dies Gebet mit Worten, Herzen und Werken beten. Also sagt der heilige Apostel Paulus (Römer 6,12.), daß wir es nicht gestatten sollen, daß die Sünde regiere in unserem Leibe, zu folgen seinen Begierden. Als spräche er: Ihr werdet wohl fühlen und auch böse Lust haben, Liebe und Neigung zum Zorn, zum Geiz, zur Unkeuschheit und dergleichen, die euch ziehen wollen in des Teufels Reich, das ist, zu Sünden, wo sie herkommen und selbst auch Sünde sind; aber wir sollen ihnen nicht folgen, sondern streiten, und diese uns zugelassenen Verräter des alten Teufels Reiches zwingen und dämpfen, wie die Kinder von Israel den Jebusitern und Amoritern taten, und also Gottes Reich in euch (daß das rechte gelobte Land ist) mehren.
Die andern aber sind darin, daß sie Lust dazu haben und folgen allen Begierden des Fleisches, der Welt, des Teufels, wollen auch, so sie könnten, immer darin bleiben. Diese räumen dem Teufel ein, und verwüsten auch Gottes Reich. Darum sammeln Sie Güter, bauen groß, suchen alles was die Welt nur geben kann, tun als ob sie ewig hier bleiben könnten, bedenken nicht, daß wir hier keine bleibenden Stätte haben, wie Paulus sagt (Hebräer 13,14.). Diese beten dies Gebet mit dem Munde; aber mit dem Herzen widersprechen Sie diesem, und sind gleich wie bleierne Orgelpfeifen, die lernen und schreien in der Kirche, und haben doch weder Wort noch Verstand.
Das andere Reich
Ist Gottes Reich, das ist, ein Reich der Gerechtigkeit und Wahrheit, davon Christus spricht in (Matthäus 6,33.): «Suchet vor allen Dingen das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit» Was ist Gottes und seines Reiches Gerechtigkeit? Das ist es, wenn keine Sünde mehr in uns ist, sondern alle unsere Glieder, Kraft und Macht Gott untertan und in seinem Dienst sind, daß wir mit Paulus sagen können (Galater 2,20.): «Ich lebe jetzt, aber nicht ich, sondern Christus in mir»; und 1. Korinther 6,19. «Ihr seid nicht euer selbst eigen, ihr seid gekauft mit einem teuren Schatz, darum so sollt ihr Gott würdigen und tragen in eurem Leichnam». Als spräche er: Christus hat euch getauft durch sich selbst, darum sollt ihr sein sein und ihn lassen in euch leben und regieren. Das geschieht aber, wenn keine Sünde in uns regiert, sondern allein Christus mit seinen Gnaden. Also ist Gottes Reich nichts anderes denn Friede, Zucht, Demütigkeit, Keuschheit, Liebe und allerlei Tugenden; dort ist nicht Zorn, Haß Bitterkeit, Unkeuschheit und alles dergleichen.
Nun probiere es ein jeglicher selber, aber er hier oder dazu sich geneigt findet, so wird er gewahr, in welchem Reiche er ist. Nun ist niemand, der nicht etwas von dem Reich des Teufels in sich findet. Darum muß er bitten: dein Reich komme. Denn Gottes Reich wird hier wohl angefangen und nimmt zu; es wird aber in jenem Leben vollbracht.
Also ist es kurz gesagt «dein Reich komme «: Lieber Vater, laß uns hier nicht lange leben, auf das dein Reich in uns vollkommen wird, und wir erlöst werden ganz von des Teufels Reich; oder, so es dir besser gefällt, noch länger in diesem Elend uns zu lassen, so gib uns deine Gnade, daß wir dein Reich in uns mögen anfangen und ohne Unterlaß vermehren, dem Teufel sein Reich hindern und zerstören.
Nun merke:
Es sind zwei große Irrtümer in dieser Welt. Der erste: Die hin und her laufen, daß sie fromm werden, zu Gottesreich zukommen um selig zu werden, einer nach Rom, der andere zu den Heiligen, einer baut eine Kirche, der eine stiftet dies, der daß; aber zu dem rechten Punkt wollen sie nicht greifen, das ist, daß sie inwendig sich selbst Gott zu eigen geben und sein Reich würden; und viel solcher äußerlichen Werke, und scheinen dabei schön; bleiben aber inwendig voll böser Tücke, Zorn, Haß, Hoffart, ungeduldig, unkeusch. Wider diese spricht Christus, da er gefragt wurde, wann das Reich Gottes käme (Lukas 17,20.21.): «das Reich Gottes kommt nicht mit einem äußerlichen Gebärde oder Schein. Man wird auch nicht sagen: Siehe da, oder da ist es. Nehmet war, das Reich Gottes ist in euch inwendig», wie er auch bei Matthäus 24,23 folgende sagt: «Und so man euch wird sagen: Siehe hier oder da ist es; so sollt ihr es nicht glauben. Denn es sind viele falsche Propheten». Als spräche er: wollt ihr das Reich Gottes wissen, so dürft ihr es nicht weit suchen, noch über Land laufen. Es ist nahe bei dir, so du willst. Denn Zucht, Demut, Wahrheit, Keuschheit und alle Tugend (das ist, das wahre Reich Gottes) mag es niemand über Land oder über das Meer holen, sondern es muß im Herzen aufgehen.
Darum beten wir nicht so: Lieber Vater, laß uns kommen zu deinem Reich, als sollten wir danach laufen, sondern: «Dein Reich komme zu uns». Denn Gottes Gnaden und sein Reich, mit allen Tugenden, muß zu uns kommen, sollen wir es bekommen, wir mögen nie zu ihm kommen; gleichwie Christus zu uns vom Himmel auf die Erde gekommen ist, und nicht wir von der Erde zu ihm in den Himmel gestiegen sind.
Der andere Irrtum, daß viele sind, die dies Gebet sprechen, allein Sorge haben, daß sie nur selig werden, und verstehen durch das Reich Gottes nichts anderes, denn Freude und Lust im Himmel, wie sie denn aus fleischlicher Gesinnung denken mögen, und werden dadurch gedrungen, daß sie die Hölle fürchten, und also nur das ihre und ihren eigenen Nutz im Himmel suchen.
Diese wissen nicht, daß Gottes Reich nichts anderes ist, denn fromm, züchtig, rein, milde, sanft, gütig und aller Tugend und Gnaden voll sein, also, daß Gott das Seine in uns habe, und er allein in uns ist, lebe und regiere. Dieses sollte man am höchsten und ersten begehren. Denn das heißt selig sein, wenn Gott in uns regiert, und wir sein Reich sind. Die Freude aber und Lust und alles andere, daß man begehren mag, bedürfte man nicht suchen noch bitten noch begehren, sondern es wird sich alles von selbst finden und dem Reiche Gottes folgen. Denn, wie ein guter Wein wenn er getrunken wird, bringt von sich selbst mit, ungesucht, seine Lust und Freude, und kann nicht verhindert werden, also noch viel mehr, wenn die Gnaden und Tugenden, (das Reich Gottes) vollkommen werden, so muß, ohne unser Zutun, natürlich und unverhindert Freude folgen, Friede und Seligkeit, und alle Lust. Darum, das falsche und eigennützige Auge abzuwenden, heißt uns Christus nicht die Folge des Reiches, sondern das Reich Gottes selber bitten und suchen. Jene aber suchen das Hinterste und das Letzte zum ersten, und das Erste achten sie nicht, aber achten es allein um des Letzten willen. Darum werden sie keines bekommen; sie wollen den Vorgang nicht recht, so wird ihnen die Folge auch nicht.
Die dritte Bitte
Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.
Durch diese Bitte sollen auch zwei Dinge geübt werden, wie in der vorigen Bitte gesagt sind, nämlich, sie erniedrigt und erhebt, macht Sünder und fromm. Denn diese zwei Stücke, Gericht und Gerechtigkeit, wie im Psalm 106,3.: «Selig sind, die da üben das Gericht und Gerechtigkeit allezeit». Das Gericht ist nichts anderes, denn daß ein Mensch sich selbst erkennt, richte und verdamme. Und das ist wahre Demütigkeit (Selbsterniedrigung). Die Gerechtigkeit ist nichts anderes, wenn ein Mensch sich selbst so erkennt, und Gnade und Hilfe von Gott bittet und sucht, durch welches er denn vor Gott erhoben wird.
Diese zwei Stücke sollen wir bei dem Gebet beachten
Zum ersten
Richten wir uns selber, und verklagen uns mit unseren eigenen Worten, daß wir Gott ungehorsam sind, und seinen Willen nicht tun. Denn wäre es anders und besser mit uns, daß wir Gottes willen täten, so wäre dies Gebet umsonst. Darum ist es erschreckend zu hören, wenn wir sagen: «Dein Wille geschehe». Denn was kann schrecklicher sein, denn daß Gottes Wille nicht geschieht, und man sein Gebot verachtet, daß wir uns in diesem Gebet selbst erkennen? Denn es muß wahr sein, daß wir Gottes Willen nicht tun oder getan haben, weil wir hier darum bitten. Denn vor Gottes Augen hilft es nicht zu heucheln oder spiegelfechten, sondern, wie man bittet, so muß es auch gründlich wahr sein.
Weil wir denn bis an unser Ende dies Gebet beten müssen, so folgt, daß wir auch bis an unser Ende schuldig erfunden werden, als die Gottes Willen ungehorsam sind. Wer kann nun auch fertig sein oder bestehen vor seinem eigenen Gebet, darin er findet, daß Gott, so er wollte nach der Gerechtigkeit mit ihm handeln, wo wir doch mit unseren eigenen Mund bekennen und überzeugt werden, als Ungehorsame, jeden Augenblick verdammen und verwerfen möchte? Also wirft dies Gebet eine gründliche Demütigkeit und Furcht Gottes und seines Urteils, daß der Mensch froh wird, daß er Gottes Gericht entfliehen, und aus lauter Gnaden und Barmherzigkeit erhalten bleibt. Das heißt sich selbst gerichtet, und das Gericht geübt vor Gottes Augen, sich gründlich erkennen und beklagen, wie denn dieses Gebet beweist.
Zum anderen.
Die Gerechtigkeit ist, wenn wir uns so selbst gerichtet und erkannt haben, daß wir dann nicht vor dem Gerichte Gottes verzagen, dessen wir uns schuldig finden durch die Worte dieses Gebetes, sondern zu Gottes Gnade Zuflucht haben, und auf ihn fest Vertrauen und bitten, er möchte uns von dem Ungehorsam erlösen und dem, daß wir seinen Willen nicht tun.
Denn der ist gerecht vor Gott, der seinen Ungehorsam und Sünde, auch das verdiente Urteil, demütig bekennt und darüber von Herzen um Gnade bittet und nicht daran zweifelt, daß sie ihm gegeben werde. So lehrt der Apostel (Römer. Einst, 17. Galater 3,11.), daß ein gerechter Mensch durch nichts anderes bestehen kann als durch seinen Glauben und sein Vertrauen auf Gott, und nicht auf seine Werke, sondern auf die bloße Barmherzigkeit Gottes sein Trost und seine Zuversicht sind.
Bedenke, was dieses Gebet von diesem vergänglichen, elenden Leben hält, daß es nichts anderes ist, denn ein Ungehorsam gegen den göttlichen Willen, und somit ein gewisser Zustand der ewigen Verdammnis, nur damit erhalten wird, daß wir dies erkennen, beklagen und von Herzen darum bitten.
Was es heißt: Gotteswille geschehe, und geschehe nicht
Ohne Zweifel ist das Geschehen von Gotteswillen nichts anderes als das halten seiner Gebote. Denn durch seine Gebote hat er uns seinen Willen gezeigt.
Hier muß man nun wissen, was Gottes Gebote sind, und muß sie verstehen; das zu sagen ist eine weitläufige Sache. Auf das kürzeste gesagt, handelt es sich um nichts anderes, als das wir den alten Adam in uns töten, wie uns der heilige Apostel an vielen Stellen lehrt. Der alte Adam ist nichts anderes als das was wir in uns finden: böse Neigung zum Zorn, Haß, Unkeuschheit, Geiz, Ehrsucht, Hoffart und dergleichen. Denn solche bösen Stücke und Unarten sind uns von Adam her vererbt und von Mutterleibe angeboren. Aus ihnen folgen böse Werke aller Art: Töten, Ehebrechen, Rauben und dergleichen Übertretungen von Gottesgebot und so geschieht durch Ungehorsam Gottes Wille nicht.
Der alte Adam wird durch zweierlei Weise getötet, damit Gottes Wille geschieht
Zum ersten:
Durch uns selber: wenn wir unsere böse Neigung unterdrücken und hemmen, mit Fasten, Wachen, Beten, Arbeiten die Unkeuschheit niederzwingen, mit Almosen und freundlichen Diensten unseren Feinden gegenüber den Haß und Unwillen zähmen und kurz, in allen Stücken unseren eigenen Willen brechen. Denn wenn ein Mensch keinen Meister und Lehrer hat, so muß er sich das als Lehre einprägen und einüben, daß er sich selbst prüft, worauf sein Wille gerichtet ist, daß tut er, und wozu er keine Lust hat, daß tut er nicht; aber er soll seinem eigenen Willen entgegen handeln. Denn davon muß er ohne Einschränkung überzeugt sein, daß sein eigener Wille niemals gut ist, mag er so schön aussehen wie er meint, außer er wird dazu gezwungen. Besser ist aber es geschieht nicht durch Zwang. Denn wie gesagt, wenn ein guter Wille in uns wäre, so hätten wir diese Bitte nicht nötig.
Und so soll ein Mensch sich selbst üben, daß er ein Überwinder seines eigenen Willens wird, er soll dabei niemals unsicher sein, denn wenn er findet, daß nur ein Wille, und nicht zwei Willen gegen einander in ihm sind, und sich dann daran gewöhnen, dem Überwillen zu folgen gegen seinen Willen. Denn wer seinen Willen hat und tut, der ist gewißlich wider Gottes Willen. Nun gibt es nichts, was den Menschen so überaus lieb und schwer zu lassen ist als sein eigener Wille. Viele tun große gute Werke, aber ihren Willen und allen ihren Neigungen leisten sie ganz Folge; und dennoch meinen Sie, sie sind recht daran und tun nichts Übles! Sie sind nämlich überzeugt, ihr eigener Wille sei gut und richtig, und sie hätten diese Bitte überhaupt nicht nötig; sie sind auch ohne alle Furcht vor Gott.
Zum anderen:
Durch andere Menschen, die gegen uns sind, anfechten, Unruhe machen, und uns in allem unserem Willen widerstreben, auch in guten, geistlichen Werken, und nicht allein in zeitlichen Gütern, als die, die unser Beten, Fasten, unsere guten Werke verdächtigen, für Narrheit halten und kurz, uns in keiner Sache im Frieden lassen. O, das ist ein unschätzbares, köstliches Ding; solche Anfechter sollte man mit allem Gut kaufen. Denn die sind es, die diese Bitte bei uns in das Werk bringen, durch sie bricht Gott unseren Willen, damit sein Wille geschehe. Darum sagt Christus Matthäus 5,25:» Du sollst deinem Widersacher auf dem Wege einig werden», das heißt wir sollen unseren eigenen Willen fahren lassen und des Widersachers Willen rechthaben lassen. So wird unser Wille gebrochen; im brechen unseres Willens aber geschieht Gottes Wille. Denn ihm gefällt es wohl, wenn unser Wille verhindert und zunichte wird. Wenn dich also jemand verdächtigt und dich zum Narren machen will, sollst du nicht widerstreben, sondern Ja dazu sagen und sollst bei dir selbst das für recht ansehen, denn es ist auch recht vor Gott. Will er dir etwas nehmen und Schaden zufügen, so sollst du es fahren lassen, es geschehe dir recht daran; denn ohne Zweifel ist es recht vor Gott. Auch wenn der Betreffende Unrecht tut, so geschieht dir doch kein Unrecht. Denn es gehört alles Gott; der kann es durch einen Bösen oder durch einen Guten nehmen. Da soll dein Willen nicht widerstreben, sondern sagen «Dein Wille geschehe». Genau so gilt das bei allen anderen Dingen, leiblichen und geistlichen; «wer dir den Rock nimmt, dem gib den Mantel dazu» sagt Christus in Matthäus 5,40.
Sprichst du aber nun: Heißt das Gottes Wille geschehe, wer kann dann selig werden? Wer kann dieses hohe Gebot halten, daß er alle Dinge läßt, und in keinem seinen Willen hat? Antworte ich: Darum lerne, wie groß und nötig, und mit was für einen Ernst und mit einem Herzen dies Gebet gebetet sein will, und wie groß es ist, daß unser Wille getötet werde, allein Gottes Wille geschehe. So mußt du dich hier als ein Sünder bekennen, der den Willen Gottes nicht leisten kann, und um Hilfe und Gnade bitten, daß es dir Gott vergebe, was du zu wenig tust, und dir helfe, daß du es tun möchtest. Denn es muß notwendig sein, soll Gottes Wille geschehen, so muß unser untergehen; denn sie sind wider einander. Das merke an Christus unseren Herrn, da er im Garten seinen himmlischen Vater bat, daß er den Kelch von ihm nehmen möchte; dennoch sagte er (Lukas 22,42.): «nicht mein, sondern dein Wille geschehe». Mußte Christi Wille aufhören, der doch ohne Zweifel gut, ja, der Allerbeste immer gewesen ist, auf das göttlicher Wille geschehe, was wollen denn wir armen Würmer mit unserem Willen protzen, der doch nie frei von Bösem ist und es immer verdient, verhindert zu werden?
Um das so verstehen, merke, daß auf zweierlei Weise unser Wille böse ist. Erstens offenkundig, ohne frommen Schein. So, daß wir einen Willen haben und geneigt sind, etwas zu tun, was von jedermann als Böse angesehen wird, wie zürnen, lügen, trügen, dem Nächsten schaden, unkeusch sein und dergleichen. Welcher Wille und Neigung in einem jeglichen sich findet, besonders wenn er gereizt wird. Gegen diesen Willen muß man bitten, daß Gottes Wille geschehe; der will Frieden, Wahrheit, Reinheit, Gütigkeit haben. Zum anderen, heimlich und unter einem guten Schein, wie bei Johannes und Jakobus (Lukas 9,54 folgende). Sie sprachen gegen die Samariter die Christus nicht einlassen wollten: «Herr, willst du, so wollen wir gebieten, daß das Feuer vom Himmel falle und sie verbrenne». Und er antwortete: «wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschensohn ist nicht gekommen, die Seelen zu verderben, sondern zu erlösen».
Von dieser Art sind alle, die Ehre (Ansehen) und Gerechtigkeit oder Torheit, die ihnen selbst oder anderen widerfährt, mit dem Kopf durch die Wand wollen, was sie sich vornehmen, soll gerade so zugehen. Sie fangen an und klagen: «ach, ich meinte es doch so gut, ach, daß der ganzen Stadt geholfen werde, aber der Teufel will es nicht leiden». Sie meinen, sie sind verpflichtet und täten recht daran, wenn sie zürnen und voll schlechter Laune werden, sich und andere Leute dadurch in Unfrieden bringen und sofort Alarm schlagen, weil ihr guter Wille verhindert worden ist. Würden sie es bei Licht betrachten, so würden sie finden, daß es bloßer Schein gewesen ist, und daß sie in dem «guten Willen» nichts anderes als ihren eigenen Nutzen oder Ehre oder wenigstens ihren eigenen Willen und Gutdünken gesucht haben. Denn wenn ein «guter Wille» wirklich gut ist, kann er unmöglich zornig oder unverträglich werden, wenn man ihn verhindert.
Achte darauf: Es ist ein sicheres Zeichen für einen bösen Willen, wenn er es nicht ertragen kann, daß man ihn verhindert. Gerade die Unfähigkeit, sich etwas gefallen zulassen, ist die Frucht, an der du nur scheinbaren, falschen, tückischen «guten Willen» erkennen sollst. Denn wenn ein Wille, der von Grund aus gut ist, verhindert wird, so spricht er: «Ach Gott, ich meinte, so sollte es gut sein. Soll es aber nicht sein, so bin ich zufrieden; es geschehe dein Wille». Denn wo man keinen Frieden hält und sich nichts gefallen lassen kann, da ist nichts Gutes, es scheine so gut als es will oder mag.
Außer diesen zwei bösen Willen gibt es einen rechtschaffenen guten Willen, der auch nicht geschehen darf. Von dieser Art war der Wille Davids, als er Gott einen Tempel bauen wollte. Gott lobte ihn zwar dafür, wollte aber doch nicht, daß es geschehe (2. Samuel 7,2 folgende). Von gleicher Art war der Wille Christus im Garten, als er den Kelch von sich wies (Lukas 22,42), und doch mußte dieser gute Wille unterbleiben. Wenn du also die ganze Welt bekehren, Tote auferwecken, dich und jedermann in den Himmel führen und alle Wunder verrichten könntest, so dürftest du nichts von allem diesem wollen, ohne daß du nicht dem Willen Gottes den Vorzug gegeben hättest. Du müßtest zuvor diesen deinen Willen verwerfen und zunichte machen und sagen: «Mein lieber Gott, dies und das denke ich ist gut; gefällt es dir, so geschehe es; gefällt es dir nicht, so möge es unterbleiben».
Und diesen guten Willen bricht Gott sehr oft seinen Heiligen, damit nicht unter dem Schein des Guten der falsche, tückische und böse «gute Wille» einreißt; auch daß man dazu lernt, daß unser Wille, mag er auch noch so gut sein, viel geringer ist als Gottes Wille. Darum soll ein Geringer «guter Wille» nachgeben oder wenigstens sich unterwerfen gegenüber dem unermeßlichen guten Willen Gottes. Zum dritten soll der «gute Wille» auch darum in uns verhindert werden, damit er gebessert werde; denn gewiß hindert Gott einen guten Willen allein dazu, daß er besser werde. Er wird aber dann besser, wenn er dem göttlichen Willen, durch den er verhindert wird, untertänig nicht ungleichartig wird. Das nun solange geht, bis der Mensch ganz gelassen, frei und willenlos wird und von nichts mehr weiß als auf Gottes Willen zu warten.
Siehe, daß heißt wahrer Gehorsam, wie er leider zu unseren Zeiten ganz unbekannt geworden ist. Nun kommen die unnützen Schwätzer daher, die die ganze Christenheit mit ihrem Gerede erfüllt und mit ihren Lehren die armen Leute verführt haben, und schreien laut von der Kanzel herunter, wie man einen guten Willen, gute Absicht, guten Vorsatz haben und fassen soll; wenn dann dieser gefaßt ist, dann sei man sicher und alles, was man tue, sei dann recht. Mit dieser Lehre schaffen sie nichts weiter als eigenwillige, eigensinnige Menschen, freche und selbstsichere Geister, die immer gegen Gottes Willen kämpfen und ihren eigenen Willen nicht brechen und unterwerfen. Glauben Sie doch, jede Absicht ist gut und müsse sich durchsetzen, und was ihnen widerstrebt, das ist vom Teufel und nicht von Gott. Sieh, so entstehen die Wölfe unter den Schafskleidern (Matthäus 7,15) und daher kommen sie, die hoffärtigen Heiligen, die aller gefährlichsten Menschen auf Erden. Daher kommt es, daß ein Bischof gegen den anderen, daß eine Kirche gegen die andere, das Geistliche, Mönche, Nonnen gegeneinander kämpfen, streiten und das an allen Orten Unfriede ist; und dabei sagt doch jeder Partei, sie habe einen guten Willen, rechte Absicht, göttlichen Vorsatz. So treiben sie zum Lob und zur Ehre Gottes lauter teuflische Werke.
Man sollte sie aber recht lehren, daß sie einen gottesfürchtigen Willen haben, und auf ihren eigenen Willen und Absicht kein Vertrauen setzen; ja, sie sollen die verfluchte Vermessenheit weit von sich werfen, von der sie meinen, sie könnten einen guten Willen oder Absicht haben oder fassen. Denn man soll ohne Vorbehalt die Hoffnung fahren lassen, daß jemand einen guten Willen, eine gute Absicht, einen guten Vorsatz haben oder fassen könne. Denn wie oben gesagt: Es ist überhaupt erst dort ein guter Wille, wo kein Willen mehr ist; denn wo kein Wille mehr ist, da ist allein Gottes Wille, der der allerbeste ist. Darum wissen solche Schreier viel darüber zusagen, was ein böser oder ein guter Wille ist; sie kommen frech daher und bringen es dahin, daß wir mit dem Mund sprechen: «Dein Wille geschehe», mit dem Herzen aber: «Mein Wille geschehe», womit wir Gott und uns selbst verspotten.
So spricht man: Ei, hat uns doch Gott einen freien Willen gegeben. Antwort: Ja, freilich hat er dir einen freien Willen gegeben; warum willst du ihn denn zu deinem einem eigenen Willen machen, und läßt ihn nicht frei bleiben? Wenn du damit tust, was du willst, so ist er nicht frei, sondern dein eigen. Gott aber hat dir, noch niemand einen eigenen Willen gegeben; denn der eigene Wille kommt vom Teufel und Adam, die haben ihren freien Willen, von Gott empfangen, sich selbst zu eigen gemacht. Denn ein freier Wille ist, der nichts Eigenes will, sondern allein auf Gottes Willen schaut, dadurch er denn auch frei bleibt, an nichts hängt und klebt.
Nun merkst du, daß Gott in diesem Gebet uns sagt das wir gegen uns selbst bitten, dabei lehrt er uns, daß wir keinen größeren Feind haben, denn als uns selbst. Denn unser Wille ist das Größte in uns, und wieder diesen müssen wir bitten: O Vater, laß mich nicht dahin geraten, daß es nach meinem Willen geht. Also ist es ja auch im Himmel: da gibt es keinen eigenen Willen; das soll auch auf der Erde so sein. Solches Beten oder Geschehen tut der Natur sehr weh. Denn der eigene Wille ist das allertiefste und größte Übel in uns, und dabei ist uns doch nichts lieber als unser eigener Wille.
Darum wird in diesem Gebet nichts anderes gesucht, denn das Kreuz, Marter, Widerwärtigkeit und allerlei Leiden, daß dazu dient den eigenen Willen zu zerstören. Wenn es nun die eigenwilligen Menschen recht bedenken, wie sie damit gegen allen ihren eigenen Willen bitten, so würden sie dieser Bitte feind werden oder wenigstens davor erschrecken.
Nun laßt uns diese drei ersten Bitten zusammenfassen! Das Erste ist, daß Gottes Name geehrt werde und seine Lehre und sein Lob in uns sei. Dazu kann aber niemand kommen, wenn er nicht rechtschaffen und im Reich Gottes ist; denn die Toten und Sünder können Gott nicht loben, wie David sagt (Psalm 6,6). Nun kann niemand rechtschaffen sein, wenn er nicht von den Sünden los ist; von den Sünden wird man los, wenn unser Wille entwurzelt wird und allein Gottes Wille in uns ist. Denn wenn der Wille, das Haupt und das oberste aller Glieder ist, nicht mehr unser eigen und damit nicht mehr böse ist, so sind auch alle Glieder nicht unser eigen und böse. Darum greift dies Gebet die Bosheit bei dem Kopf, daß heißt nicht bei der Hand oder am Fuß, sondern bei unserem Willen, der das Haupt der Bosheit ist.
Die vierte Bitte
Unser täglich Brot gib uns heute
Bisher haben wir das Wort «dein, dein» gebraucht. Von jetzt an sagen wir «unser, unser», «uns» usw. Dafür wollen wir einen Grund finden. Wenn uns Gott in den ersten drei Bitten erhört und seinen Namen in uns heiligt, so versetzte er uns in sein Reich und gießt seine Gnade in uns, die fängt dann an uns fromm zu machen. Diese Gnade fängt dann bald an, Gottes Willen zu tun; dabei findet sie einen Adam, der widerspenstig ist; in diesem Sinne klagt auch Paulus Römer 7,19, er tue nicht gern, was er gern wollte. Denn der Eigenwille, der uns von Adam her angeboren ist, leistet mit allen Gliedern zusammen der guten Neigung Widerstand, da schreit dann die Gnade zu Gott gegen diesen Adam, und spricht: «Dein Wille geschehe». Denn der Mensch findet sich mit sich selbst schwer belastet.
Wenn dann Gott das Geschrei hört, so will er seiner lieben Gnade zu Hilfe kommen und sein angefangenes Reich mehren; und so tritt er dem Hauptbösewicht, dem alten Adam, mit Ernst und Gewalt entgegen, fügt ihm alles Unglück zu, zerbricht ihm all sein Vorhaben und blendet und schändet ihnen ringsum. Das geschieht, in dem er uns Leiden und Widerwärtigkeit aller Art zusendet, und dazu müssen böse Zungen und böse, untreue Menschen dienen, und wenn die Menschen nicht genügen, auch noch die Teufel. Das geschieht, damit ja unser Wille samt allen seinen bösen Neigungen erwürgt werde und der Wille Gottes so geschehe, daß die Gnade das Reich besitzt und nicht zurückbleibt als Gottes Lob und Ehre.
Wenn nun dieses in solcher Weise geschieht, so ist der Mensch in großen Ängsten. Er denkt an nichts so wenig wie daran, daß dieser Zustand einen «Geschehen von Gotteswillen» heißt; er meint vielmehr, er ist verlassen und den Teufeln und bösen Menschen übergeben, als wäre kein Gott mehr im Himmel, der ihn kennen und hören will. Da ist dann der rechte Hunger und Durst der Seele vorhanden, da sehnt sie sich nach Trost und Hilfe; und zwar ist dieser Hunger sehr viel schwerer als der leibliche. Und da beginnt nun das «Unser», daß wir nach dem Begehren, was uns Not tut und sprechen: «Unser täglich Brot gib uns heute».
Wie geschieht das aber?
Gott hat uns auf Erden viel Unglück zuteil werden lassen und dabei keinen anderen Trost als sein heiliges Wort gegeben. So hat es uns hier Christus in Aussicht gestellt (Johannes 16,33): «in der Welt werdet ihr Angst haben, in mir aber den Frieden». Wer sich deshalb dahin begeben will, daß Gottes Reich zu ihm kommt, und Gottes Wille geschehe, der soll nicht viel Vorbehalte machen und keine Ausflüchte suchen; denn es wird nichts anderes werden als daß Gottes Wille dann geschieht, wenn dein Wille nicht geschieht. Das heißt je mehr du Widerwärtigkeiten erfährst, desto mehr geschieht Gottes Wille, vor allem im Sterben. Es ist schon beschlossene Sache und niemand wird es ändern, daß in der Welt Unfriede, in Christus unser Friede ist.
In dieser Anfechtung scheiden sich nun die Bösen und die Guten.
Die Bösen, die weit abfallen von der Gnade und dem Reich Gottes was bei ihnen angefangen, verstehen Gottes willen nicht, sie wissen auch nicht, wozu solche Anfechtungen sind, und wissen auch nicht, wie sie sich darin verhalten sollen. Darum kehren sie wieder zu ihrem eigenem Willen zurück und werfen die Gnade wieder weg, genau wie ein schlechter Magen, welcher die Speise nicht vertragen kann. Die einen verfallen in Ungeduld, Schimpfen, Fluchen, Lästern und werden ganz wütend, die anderen laufen hin und her und suchen bei den Menschen Trost und Rat, um nur ihr Unglück los zu werden und ihre Widersacher zu überwinden und zu unterdrücken; Kurz, sie wollen ihrer eigenen Helfer und Erlöser sein nicht warten, bis Gott sie vom Kreuz erlöst. Diese alle fügen sich selbst unsagbaren Schaden zu: Gott hatte sie angepackt, ihren Willen zu töten und das Reich seiner Gnade in ihnen zu bauen, um seines Namens Ruhm und Ehre in ihnen zur Geltung zu bringen und seinen Willen dazu haben, sie aber wollen seine göttliche heilende Hand nicht ertragen, fallen zurück, und halten ihren eigenen Willen, den alten Bösewicht, fest, ja, den Juden gleich, lassen sie den Übeltäter Barrabas und töten die Gnade Gottes, den unschuldigen Sohn Gottes, der in ihnen zu wachsen anfing. In diesem Sinne sagt Psalm 106,13 von ihnen: «Sie wollten nicht leiden, was Gott mit ihnen zu tun gedachte».
Die Frommen dagegen sind weise; sie verstehen wohl, wozu der göttliche Wille daß heißt das Unglück aller Art gut ist, und wissen auch wohl, wie sie ihm begegnen und sich darin verhalten sollen. Wissen Sie doch: noch nie ist ein Feind von einem Flüchtigen verjagt worden; darum kann auch kein Leiden oder Anfechtung oder Tod dadurch überwunden werden, daß man es nicht ertragen will, davor flieht und Trost sucht, sondern allein dadurch, daß man fest stillsteht und ausharrt, ja dem Unglück und Tod frisch entgegen geht. Denn das Sprichwort ist wahr: «Wer sich vor der Hölle fürchtet, der fährt hinein»; genau so gilt: Wer sich vor dem Tode fürchtet, den verschlingt der Tod ewiglich. Wer sich vor dem Leiden fürchtet, der wird davon überwunden. Furcht schafft nichts Gutes; darum muß man in diesen Sachen immer kühn und keck sein und fest stehen.
Wer kann das aber?
Das lehrt dies Gebet, wo du Trost suchen sollst, um bei solchem Unfrieden Frieden zu schaffen. Du sollst sprechen: «O Vater, gib uns unser täglich Brot!» Daß heißt: «O Vater, tröste und stärke mich leidenden armen Menschen mit deinem göttlichen Wort. Ich vermag deine Hand nicht zu ertragen, und doch wird es mir zur Verdammnis, wenn ich sie nicht ertrage. Darum stärke mich, mein Vater, daß ich nicht verzage». So will es Gott: wir sollen unter seinem Willen d. h. in unserem Leiden nirgends anders hinlaufen oder hinsehen als zu ihm. Dabei sollen wir nicht begehren, daß wir davon loswerden (denn das wäre ein Schaden und ein Hindernis für den Willen Gottes und unseren eigenen Nutzen), sondern daß wir dazu gestärkt werden, diesen Willen bis zum Ende zu ertragen. Denn es ist wahr: niemand bringt es fertig ohne Furcht zu Leiden oder (je nachdem Gott es haben will) zu sterben, wenn er nicht dazu gestärkt wird; dazu zu stärken vermag aber nichts Geschaffenes, vielmehr macht alles Geschaffene und vor allem der Mensch eher matt, haltlos und weich, wenn man dort Trost und Stärkung sucht. Darum muß allein das Wort Gottes, «unser täglich Brot», uns stärken. In diesem Sinne heißt es bei Jesaja (50,4): «Gott hat mir eine weise Zunge gegeben, daß ich alle stärken kann, die müde sind», und bei Matthäus (11,28): «Kommet alle zu mehr her, die ihr geängstet und beschwert seid; ich will euch erquicken»; und bei David Psalm 119,28: «Herr, stärke mich mit deinem Wort» und Psalm 130,5:» Meine Seele hat sich an seine Worte gehalten». Und von dieser Lehre ist die ganze Schrift voll, voll, voll.
Wann und durch wen kommt das Wort zu uns?
Es kommt auf zweierlei Weise. Erstens durch einen Menschen, wenn Gott durch einen Prediger in der Kirche oder sonst durch ein tröstliches Wort sich hören läßt, daß ihn stärkt, so daß er im Herzen fühlt (2. Timotheus 2,1.) «Ermanne dich und sei keck». Denn wenn das Wort Gottes recht kommt, so erschallt es im Herzen gewiß in solch einer Weise. Deshalb sollte man die Weiber das weibliche Geschwätz von den Kranken und sterbenden Menschen weit weg treiben, wenn sie sagen: «Lieber Mann es hat noch keine Not; ihr werdet wohl wieder gesund, glücklich und reich». Mit solchen Worten macht man die Herzen furchtsam, weich und haltlos, dagegen steht vom Wort Gottes geschrieben (Psalm 104,15): «das Brot stärke des Menschen Herz». Darum würde ich erwidern: «Liebe Frau, freßt euren faulen Brei selbst. Ich warte auf das tägliche Brot, daß es mich stärke». In diesem Sinne sollte man die Kranken nur frisch zum Tode stärken die leidenden nur zu mehr - Leiden ermuntern; und würden sie sagen, sie könnten es nicht, so halte man ihnen dieses Gebet vor, damit sie Gott darum bitten, denn er will darum gebeten sein.
Zweitens kommt daß Wort durch sich selbst; z. B. wenn Gott einem leidenden Menschen sein Wort eingießt, damit er stark wird, alles zu tragen; denn Gottes Wort ist allmächtig (Römer 1,16.).
Was ist nun aber das Wort, wenn es doch viele Worte Gottes gibt?
Antwort: Das vermag niemand bestimmt festzulegen; denn wie die Gebrechen und Leiden so vielfältig sind, so sind auch die Worte Gottes vielfältig. Denn den Furchtsamen muß man ein anderes Wort sagen als den Hartnäckigen; diese muß man schrecken, jene muß man stärken. Weil wir aber jetzt von denen reden in welchen Gottes Willen geschieht, d. h. von denen, die in Leiden und Nöten sind, so muß man die Worte nehmen, die stärken, wie Paulus es im Hebräer 12 tut. Aber weil es nicht in der Macht des Menschen steht, das Wort Gottes fruchtbringend zu reden oder zu treffen, sondern weil das allein in Gottes Hand steht, darum ist es nötig, daß wir darum bitten, er möchte uns das heilige Wort selbst geben durch sich oder durch einen Menschen.
Nun ist es wahr: wer noch nie im Leiden versucht worden ist und die Kraft des Wortes (wie mächtig es zu stärken vermag) nicht erfahren hat, der versteht auch gar nichts von dem, was diese Bitte begehrt. Es kann ihm auch nicht schmecken; denn er hat nur den Trost und die Hilfe kennen gelernt und geschmeckt, die von Geschöpfen oder von ihm selbst kommen, und hat noch nie etwas durchlitten noch ist je trostlos geworden.
Nun wollen wir ein Wort nach dem anderen vornehmen um den gründlichen Verstand dieser Bitte zu suchen; denn es ist eine tiefe Bitte.
Das erste Wort heißt «Unser».
Das drückt aus, daß wir nicht in erster Linie um das gewöhnliche Brot bitten, daß auch die Heiligen essen und das Gott allen Menschen ungebeten gibt, sondern um «unser» Brot. Denn wir sind Kinder des himmlischen Vaters und bitten darum nicht wie von einem irdischen, sondern wie von einem himmlischen, geistlichen Vater, nicht um ein irdisches, sondern um ein himmlisches, geistliches Brot, daß «unser» ist und uns als Himmels Kinder zugehört und nötig ist. Anders wäre es nicht nötig gewesen, «unser täglich Brot» sagen; denn das leibliche Brot wäre genug bezeichnet mit dem Wort: «Das tägliche Brot gib uns heute». Aber Gott will seine Kinder lehren, mehr für die Speise der Seele zu sorgen; ja verbietet ihnen (Matthäus 6,25), um das zu sorgen, was sie leiblich essen oder trinken.
Das andere heißt: «Täglich».
Das Wort «täglich» heißt in griechischer Sprache epuison. Das hat man auf viele Art und Weise ausgelegt. Einige sagen es bedeutet ein «übernatürliches» Brot, einige ein «auserwähltes» und «besonderes» Brot, einige (der hebräischen Sprache nach) ein «Morgenbrot (nicht in dem Sinn, wie wir Deutschen von einem Morgen- und Abendbrot reden, sondern ein «Morgenbrot», daß für den anderen Tag bereitet ist. Diese Vielfalt soll niemand Irre machen, denn es hat alles ein und dieselbe Bedeutung, wenn man nur die Art und Natur dieses Brotes damit recht ausdrückt.
Erstens bedeutet es ein «Übernatürliches» Brot. Denn das Wort Gottes speist den Menschen nicht in Beziehung auf seinen Leib und seiner Natur in seinem sterblichen Dasein, sondern es speist ihm zu einem Unsterblichen, Übernatürlichen, und weit über dieses Dasein hinaus in ein ewiges Dasein hinein, wie Christus sagt (Johannes 6,51.58): «Wer dieses Brot ist, der wird ewig Leben». Darum heißt es so viel als: «Vater, gib uns das übernatürliche, unsterbliche, ewige Brot».
Zweitens bedeutet es ein «auserwähltes», feines, leckeres Brot, da es voller Wonne und lieblichen Geschmacks ist, wie denn vom Himmelsbrot geschrieben steht (Weisheit 16,20), daß es jedem so schmeckt, wie er wollte. Somit ist unser himmlisches Brot sehr viel edler und feiner, leckerer, kraftvoller und gnadenvoller gegenüber dem natürlichen Brot. Man könnte unter «auserwähltem» Brot auch das verstehen, daß es besonders, allein den Gotteskindern angemessen und gegeben ist; das ist nämlich auch die Bedeutung aus den anderen Sprachen. In diesem Sinne sagt der Apostel Hebräer 13,10, daß wir einen besonderen Alter haben, von dem niemand essen kann als wir allein, und das wir somit ein besonderes, eigenes Brot haben.
Drittens (auf Hebräisch) das «Morgenbrot». Nun hat die hebräischer Sprache die Eigenart, daß man eben das, was wir Deutschen «täglich» heißen, «morgig» heißt. Im Deutschen bedeutet ja «täglich» das, was man täglich zur Hand und in Bereitschaft hat, wenn man es auch nicht ständig gebraucht; so sagt man: «Das oder das muß ich heute oder morgen und täglich haben, ich weiß nicht, in welcher Stunde ich es brauche; dann muß es vorhanden sein». Eben diesen Sinn drückt die hebräischer Sprache durch das Wort aus; so sagt Jakob zu Laban (1.Mose 30,33): «heute oder morgen oder wann es dazukommt, wird meine Gerechtigkeit für mich Antwort und Genugtuung geben».
So ist nun das gemeint, daß wir bitten. Gott wolle uns das übernatürliche, unser besonderes, eigenes, tägliches Brot geben; «täglich» in dem Sinn, daß wir es zur Hand und im Vorrat haben und uns damit stärken können, wenn die Nöte und Leiden hereinbrechen (worauf wir täglich gefaßt sein müssen). Sonst werden wir überrascht und, weil es uns fehlt, verzagen wir, verderben und sterben ewig.
Hierbei merke, wir Christen sollen reich sein und einen großen Vorrat von diesem Brot haben; wir sollten so geübt und gelehrt sein, daß wir das Wort Gottes täglich in allen Anfechtungen zur Hand und bereit haben, um uns selbst und andere Leute damit zu stärken, wie wir es in den Episteln und den lieben heiligen Vätern sehen, was sie getan haben. Aber es ist unsere Schuld, wir bitten Gott nicht darum, und deshalb haben wir auch nichts. Darum müssen wir auch unkundige Bischöfe, Priester und Mönche haben, die uns nichts geben können; wir leben weiter und machen das Übel noch ärger und hassen, verdächtigen und verachten sie. Sieh, dahin führt uns Gottes Zorn. Darum sollte man diese Bitte recht bedenken; denn darin lehrt uns Gott, für alle geistlichen Vorgesetzten bitten, besonders für die, die das Wort Gottes uns geben sollen. Wird es ihnen doch nicht gegeben, wenn wir dessen nicht würdig sind und Gott darum bitten. Wenn du darum unkundige und untaugliche Bischöfe, Priester und Mönche siehst, so sollst du nicht fluchen, richten oder verdächtigen, sondern selbst in ihnen nichts anderes sehen als eine grauenhafte Plage Gottes, womit er dich und uns alle straft, weil wir das Vater Unser nicht gebetet und bei Gott nicht um unser tägliches Brot gesucht haben. Denn wenn wir das Vater Unser und die Bitte um unser täglich Brot recht beteten, so würde uns Gott wohl erhören und uns fein taugliche, kundige geistliche Vorgesetzte geben. Die Schuld ist vielmehr auf unserer, als auf ihrer Seite. Aber nun findet man Menschen, die Gott so sehr plagt und verstockt, daß sie in der unkundigen Priesterschaft nicht bloß allein eine Plage Gottes erkennen, sondern auch noch ein Vergnügen daran haben, sie zu verachten, sie treiben mit dieser gewaltigen Gottesplage ihren Spott, während sie doch blutige Tränen darüber weinen sollten (wenn sie es könnten), daß Gott uns eine solche ernste schwere Plage zufügt.
Denn das sollst du wissen, daß Gott die Welt noch nie schwerer gestraft hat als mit blinden, unkundigen Leitern; durch sie muß das Wort Gottes, und damit unser Brot, ausbleiben und müssen wir verderben. Laß Türken Türken sein; diese Plage ist größer! Weh uns, daß wir Sie nicht erkennen und um Änderung bitten! Umgekehrt ist Gott der Welt nie gnädiger gewesen, als wenn er kundige und einsichtige geistliche Vorgesetzte gegeben hat, durch die sein Wort in großem Vorrat und in täglichem Gebrauch gebracht worden ist. Denn die Christenheit und jede einzelne Christenseele ist eben und durch das Wort Gottes geboren! Darum muß sie auch eben durch dieses ernährt, erhalten und beschützt werden. Sonst muß sie viel kläglicher verderben, als der Leib verderbt, wenn er seinen Brot nicht bekommt.
Das dritte Wort heißt Brot.
Das heilige Wort Gottes hat viele Namen in der Schrift wegen seiner unzähligen Eigenschaften und Wirkungen. Denn es ist fürwahr allumfassend und allmächtig. Es heißt ein geistliches Schwert (Hebräer 4,12), weil man mit ihm wider den Teufel und alle geistlichen Feinde kämpft. Es heißt ein Licht (Psalm 119, 105), ein Frühregen und Spätregen (Jakobus 5,7), ein himmlischer Tau (Hosea 14,6), Gold und Silber (Psalm 119,72), Arznei (Sirach 38,2), Kleider (Jesaja 61,10), Schmuck (Hesekiel 16,14) und vieler anderer solcher Worte. Ebenso heißt es auch ein Brot, weil die Seele davon gespeist, gestärkt, groß und wohl genährt wird. Und zwar soll man hierunter nicht allein das bloße Brot verstehen; denn in gleicher Weise, wie die Schrift mit dem leiblichen «Brot» alle möglichen Speisen des Leibes bezeichnet, wie köstlich sie auch sind, so bezeichnet sie auch mit dem geistlichen «Brot» alle die Speisen der Seele, die unzählig sind zu zählen. Denn es gibt mancherlei Seelen auf Erden, und jede hat nicht immer ein und das gleiche Bedürfnis und ein und dieselbe Fähigkeit; und doch macht das Wort Gottes alle und jede einzelne nach ihrem Bedürfnis überschwenglich satt. Denn wären die Speisen aller Könige, die je gewesen sind und sein mögen, auf einem Haufen beisammen, so könnten sie doch dem geringsten Worte Gottes nicht von ferne gleichgestellt werden. Darum nennt es der Herr Christus im Evangelium (Matthäus 22,2 folgende) eine königliche Bewirtung, und durch Jesaja (Kapitel 25,6.) ein köstlich, erlesen und prächtig Mahl.
Was ist nun das Brot oder Wort Gottes?
Das Brot, das Wort, und die Speise ist niemand, denn Jesus Christus, unser Herr, selbst, wie er sagt (Johannes 6,51): «Ich bin das lebendige Brot, daß vom Himmel herabgestiegen ist, daß es die Welt lebendig mache». Darum lasse sich niemand durch Worte oder durch einen Schein irre machen: alle Predigten und Lehren, die uns nicht Jesus Christus bringen und vorbilden, die sind nicht das «tägliche Brot» und die Nahrung für unsere Seele; sie können auch bei keinem einzigen Bedürfnis oder Anfechtung helfen.
Das vierte Wort heißt: Gib
Das Brot, Jesus Christus, kann niemand haben als von ihm selbst, weder durch Studieren noch durch Hören noch durch Fragen noch durch Suchen. Denn gilt es, Christus zu erkennen, so sind alle Bücher zu wenig, alle Lehrer zu gering, alle Vernunft zu stumpf; allein der Vater selbst muß es ihnen offenbaren und uns geben. So sagt er Johannes 6,44: «Niemand kommt zu mir, wenn ihn nicht der Vater zieht, der mich gesandt hat». Ferner Johannes 6,65: «Es kann mich niemand aufnehmen oder verstehen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben wird. Ferner Johannes 6,45: «Jeder, der vom Vater über mich hört, der kommt zu mir». Darum lehrt er uns, daß wir um dieses heilvolle Brot bitten sollen: Gib uns heute».
Nun wird Christus, unser Brot, uns in zweierlei Weise gegeben.
Äußerlich, durch Menschen, z. B. durch die Priester und Lehrer. Und das geschieht auch wieder auf zweierlei Weise, einmal durch die Worte, zum andern durch die Sakramente. Davon wäre viel zusagen; sagen wir es kurz: Es ist eine große Gnade, wo Gott es gibt, daß man Christus predigt und lehrt. So sollte es natürlich an allen Orten sein: nichts anderes als Predigt von Christus und Austeilung nur dieses «täglichen Brotes».
Im Sakrament empfängst man Christus; aber das wäre ganz umsonst, wenn man ihm nicht dazu mit dem Worte «austeilte» und «anrichtete». Denn das Wort bringt Christus ins Volk und macht ihn in ihrem Herzen bekannt; aus dem Sakrament würden sie das niemals verstehen. Darum ist es ein schweres Unwesen zu unseren Zeiten, daß man viele Messen hält und es nur mit dem Stiften dieser Messen so eilig hat, während leider das Wichtigste unterbleibt, nämlich die Predigt; trotzdem sind zu diesem die Messen eingesetzt, wie Christus sagt und gebietet (1 Korinther 11,25): «So auf ihr das tut, sollt ihr es tun, um meiner zu gedenken». Und wenn man schon Predigt, so handelt zwar die Messen von Christus, die Predigt aber von irgend einem erdichteten Heiligen. So plagt uns Gott, weil wir nicht um das tägliche Brot bitten, und so kommt es zuletzt mit dem hochwürdigen Sakrament dahin daß es nicht nur vergeblich und fruchtlos gebraucht wird, sondern auch in Verachtung gerät. Denn was hilft es, daß Christus da ist und uns ein Brot bereitet ist, wenn es uns doch nicht gegeben wird und wir es nicht genießen können? Das geht gerade so, wie wenn ein köstliches Mahl zu bereitet wäre niemand wäre da, der das Brot austeilte, die Speise oder das Getränk einschenkte; dann können sie vom Geruch oder vom Ansehen satt werden! Darum sollte man allein von Christus predigen, alle Dinge auf ihn beziehen und in allen Schriften auf ihn hinweisen: wozu er gekommen ist, was er uns gebracht hat, wie wir an ihn glauben und uns gegen ihn verhalten sollen; auf das das Volk Christus so durch das Wort fassen und erkennen möchte, und nicht so leer vom Gottesdienst oder Abendmahl kommen, daß sie weder Christus noch sich selbst erkennen.
Zweitens wird uns Christus als unser innerlich Brot durch Gottes eigenes Lehren gegeben. Und zwar muß daß beim Äußerlichen dabei sein, sonst ist auch das Äußerliche umsonst. Wenn aber das Äußerliche recht vor sich geht, so bleibt auch das Innerliche nicht aus. Denn Gott läßt sein Wort niemals ausgehen, ohne daß es Frucht schafft; er ist dabei und lehrt selber innerlich, was er äußerlich durch den Priester gibt. So spricht er durch Jesaja (55,10 folgende): «Mein Wort, daß von meinem Munde ausgeht, wird nicht leer zurückkommen, sondern wie der Regen die Erde durchfeuchtet und fruchtbar macht, so wird mein Wort seinen Gang gehen und alles ausrichten, wozu ich es aussende». Daraus entstehen rechte Christen, die Christus erkennen und mit den Sinnen schmecken.
Sprichst du:
Was ist denn Christus erkennen, oder was bringt es? Antwort: Christus erfassen und erkennen besteht darin, daß du verstehst, was der Apostel 1. Korinther 1,30 sagt: «Christus ist uns von Gott gegeben, daß er für uns Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung sein soll». Das verstehst du dann, wenn du erkennst, daß alle deine ganze Weisheit eine verdammte Torheit, deine Gerechtigkeit eine verdammte Ungerechtigkeit, deiner Heiligkeit eine verdammte Unreinheit, deiner Erlösung eine elende Verdammung ist. So findest du, daß du vor Gott und allen Geschöpfen mit Recht als ein Narr, ein Sünder, ein unreiner, ein verdammter Mensch bist. Und das mußt du nicht bloß mit Worten sondern von ganzem Herzen, auch mit Werken, zeigen, daß dir kein Trost und kein Heil bleibt als daß Christus dir von Gott gegeben ist. An ihn sollst du glauben und ihn so genießen; allein seine Gerechtigkeit soll dich erretten, weil du sie anrufst und dich darauf verläßt. Dieser Glaube ist nichts anderes als das Essen dieses Brotes; in diesem Sinne sagt er Johannes 6,32. «Mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel».
So sagst du:
Wer weiß das nicht, daß wir Sünder und nichts sind, allein durch Christus errettet werden? Antwort: Es ist eine große Gnade, wenn man das weiß und es mit äußerlichen Worten sagen und hören kann. Aber es sind nur wenige, die es verstehen und mit dem Herzen sagen. Das beweist die Erfahrung. Denn wenn man sie als Narren oder Sünder verachtet, so können sie es nicht ertragen und finden schnell eine Weisheit und Rechtschaffenheit außerhalb von Christus, die ihnen eigen ist. Besonders aber, das Gewissen straft, oder im Sterben, so wissen sie nicht mehr daß Christus ihre Gerechtigkeit ist, und suchen hier und da, wie sie ihr Gewissen trösten oder stärken mit ihren guten Werken. Wenn aber das nicht hilft (und es kann nicht helfen!), so verzweifeln sie.
Siehe, davon wäre viel zu sagen, und alle Predigten sollten von diesen Dingen handeln. Denn wenn man Christus so predigt und das liebe Brot so austeilt, dann fassen es die Seelen auf und erproben sich damit in ihren Leiden, wenn Gottes Wille ihnen solche auflegt. Darum werden sie dadurch stark und voll Glaubens, so daß sie von da an nichts mehr fürchten: weder ihre Sünde und ihr Gewissen, noch Teufel und Tod. Nun siehst du, wie es sich mit diesem «täglichen Brot» verhält: daß Christus wahrhaftig dieses Brot ist. Aber es ist dir nicht nütze, du kannst ihn auch nicht genießen, wenn Gott ihn nicht zu Worten macht, daß du ihn hören und so erkennen kannst. Denn daß er im Himmel sitzt oder unter der Gestalt des Brotes da ist, was hilft dir das? Er muß durch das Innerliche und Äußerliche Wort «ausgeteilt», «angerichtet» und zu Worten werden; sieh das ist dann wahrhaftig Gottes Wort. Christus ist das Brot, Gottes Wort ist das Brot, und es ist doch ein und dasselbe Ding, ein und dasselbe Brot. Denn er ist in dem Wort und das Wort ist in ihm; und an dieses Wort glauben, d. h. das Brot essen. Wem Gott das gibt, der lebt ewiglich.
Das fünfte Wort heißt: Uns.
Hier wird jeder Mensch ermahnt, daß denken seines Herzens auf die ganze Christenheit auszubreiten und für sich und die Gesamtheit aller Menschen zu beten, besonders für die Pastoren, die das Wort Gottes in Schwung halten sollen. Denn wie wir in den ersten drei Bitten den Dingen nachgehen, die Gott gehören, daß er das Seine in uns bekomme, so bitten wir nun hier für die Christenheit. Unter allen Dingen aber ist für die Christenheit nichts nötiger und nützlicher als daß «tägliche Brot», d. h. das Gott kluge Pastoren schafft und so sein Wort in aller Welt predigen und hören lassen will. Denn wie es beim priesterlichen Stand und beim Wort Gottes so steht, wie es sein soll, so grünt und blüht die Christenheit. Darum zu bitten, hat er uns auch befohlen, als er sprach (Matthäus 9,38): «Bittet den Hausvater, daß er Arbeiter in seine Ernte sende usw.».
Darum, nach der rechten Ordnung der Liebe, sollen wir am meisten für die Christenheit bitten, daran wir mehr tun, denn für uns selbst bitten. Denn, wie der Bischof von Konstantinopel «Chrysostomus» sagt, wer für die ganze Christenheit betet, für den betet auch wieder die Christenheit, ja in eben diesem Gebet bittet er mit der Christenheit zusammen für sich selbst. Und es ist kein gutes Beten, wenn einer für sich allein bittet; und (gebe Gott, daß ich mich nicht irre!) ich kein rechtes Gefallen finden an den vielen Bruderschaften, besonders an denjenigen, die so völlig sich selber zuwenden, als wollten sie allein in den Himmel fahren und uns zurück lassen,. Du aber bedenke und beachte: Christus hat nicht umsonst gelehrt, man solle nicht beten «Mein Vater», sondern «unser», nicht «Mein täglich Brot gib mir heute», sondern «Unser täglich Brot gibt uns heute», und ebenso weiter «Unsere Schuld», «uns», «uns» usw. Er will den Haufen hören, nicht mich oder dich oder einen der abseits geht, wie die Pharisäer die sich abgesondert haben. Darum singe mit den anderen Leuten zusammen dann singst du recht. Und wenn du schon schlecht singst so geht es doch im großen Haufen hin, singst du allein, so wirst du nicht ungerichtet bleiben.
Das sechste Wort: Heute.
Dieses Wort lehrt, wie zuvor gesagt, daß Gottes Wort nicht in unserer Gewalt ist. Darum muß alles falsche Vertrauen auf Verstand, Vernunft, Können und Weisheit zunichte werden. Denn in der Zeit der Anfechtung muß Gott selbst zu uns sprechen mit seinem Wort und uns trösten und aufrechterhalten. Es ist zwar ein großer Vorrat davon in der Heiligen Schrift vorhanden, so daß einer sogar die ganze Welt damit lehren könnte,- solange er im Frieden ist; wenn aber nicht Gott selbst kommt, wenn die Stürme anfangen, und uns das Wort von sich aus innerlich allein oder durch einen Menschen sagt, so ist schnell alles vergessen. Dann geht das Schiff doch unter, wie im Psalm 107,27 geschrieben steht: «Sie sind erschrocken und wanken wie die Trunkenen», sie wissen nicht, wohin; alle ihre Weisheit ist verschwunden, sie wissen ganz und gar nichts mehr.
Also leben wir hier in einer ständigen Gefahr, müssen auf Leiden aller Art gefaßt sein, auch auf des Todes Not und der Hölle Pein. Darum müssen wir in solch einer Furcht verharren und bitten, Gott möchte sein Wort nicht lange von uns lassen, sondern heute, jetzt und täglich dabei und da sein, um unserer «Brot» zu geben und (wie Paulus Epheser 3,16 folgende sagt) machen, daß Christus in uns erscheine und in unserem inwendigen Menschen wohne. Darum heißt es nicht «morgen» oder «übermorgen», gerade als wollten wir heute sicher sein und ohne Furcht bestehen, sondern «heute». Auch so lernt es sich besser, daß man «heute» und nicht «morgen» sagt, wenn das anfängt, daß Gottes Wille in uns geschehen will und unser Wille mit Ängsten untergeht; ja dann wollte er wohl, daß das Brot nicht bloß «heute», sondern «in dieser Stunde» gegeben würde. Das Wort heute bedeutet in der ganzen Heiligen Schrift auch dieses ganze Leben auf Erden; davon ich aber jetzt nicht mehr sagen will.
Zusammenfassung dieser Bitte
Der Sinn dieser Bitte ist: «oh himmlischer Vater, weil deinen Willen niemand leiden und ertragen will, und wir zu schwach sind, daß wir unseren Willen und den unseres Adams (alten Menschen) ungern töten, so bitten wir, du möchtest uns mit deinem heiligen Wort speisen, stärken und trösten, und deine Gnade geben, daß wir Jesus Christus als das himmlische Brot durch die ganze Welt in der Predigt hören und ihn von Herzen erkennen, damit doch die gefährlichen, ketzerischen, irreführenden und überhaupt alle menschlichen Lehren aufhören und nur dein Wort, daß wahrhaft unser lebendiges Brot ist, ausgeteilt werde.
Bitten wir denn nicht auch um das leibliche Brot? Antwort: Ja, es kann sehr wohl auch das leibliche Brot darunter verstanden werden; in erster Linie ist aber Christus, das geistliche Brot der Seele gemeint. Damit wir nicht um Speise und Kleider für den Leib und Sorgen machen sollen, lehrt er uns darum allein auf das heute Nötige bedacht zu sein; so sagt Christus in Matthäus 6,34. «Laßt die Sorge eines Tages genug sein und sorget nicht heute schon für das Morgen: denn das Morgen wird seine eigene Sorge mitbringen». Und es wäre wohl eine gute Übung im Glauben, wenn wir lernen, Gott nur um Brot für heute zu bitten; dann könnte man Gott auch in einer größeren Sache Vertrauen. Nicht daß man um zeitliches Gut oder Nahrung nicht arbeiten soll; sondern daß man sich der Sorgen entschlage, als könnten wir nicht gespeist werden, ohne daß wir uns sorgen und Angst haben. Die Arbeit soll also mehr dazu geschehen, Gott darin zu dienen und Müßiggang zu meiden und dem Gebot folgen daß er zu Adam sagt (1. Mose 3,19): «Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen», - denn daß wir sorgen und Angst haben, wie wir ernährt werden. Denn Gott wird das bestimmt schaffen, wo wir im kindlichen Glauben arbeiten nach seinem Gebot.
Die fünfte Bitte
Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern
Wer glaubt, daß diese Bitte und Gebet soviel Leute trifft und angeklagt? Zum ersten, was wollen die großen Heiligen bitten in unseren Zeiten, die sich ganz für fromm halten, besonders, wenn sie gebeichtet, absolviert und meinen genug getan haben, und nun so leben, daß sie nicht für ihre Sünde bitten, wie es die alten und rechten Heiligen, von denen David sagt (Psalm 32,6): «Ein jeglicher Heiliger wird Gnade bitten für seine Sünde», sondern nur ihre großen Verdienste sammeln, und sich einen köstlichen Palast im Himmel bauen, bauen mit viel guten Werken? Doch helfe uns Gott, wir wollen es versuchen, ob wir es nicht fertig bringen, sie zu Sündern zumachen und sie unter unserer arme, sündige Sippe zu zählen! Sie sollen mit uns lernen, diese Bitte nicht allein vor der Beichte und Buße, sondern auch nach der großen Absolution von Strafe und Schuld zu beten und nach der Vergebung aller Schuld mit uns sagen: «Herr, vergib uns unsere Schuld».
Denn weil man vor Gott nicht lügen und nicht scherzen kann, so muß wahrlich, wahrlich noch eine ernste, ja sogar viel ernste Schulden da sein, die keine Absolution beseitigt hat oder beseitigen kann. Deshalb wird Absolution und dieses Gebet sich wohl nicht vereinen: Ist alle Schuld durch die Absolution dahin, so tilgt das Gebet aus und bitte du vor Gottes Augen nicht für eine Schuld, die keine ist, damit du seiner nicht spottest und dir so alles Unglück zuziehst. Ist aber das Gebet wahr, so helfe Gott der armen Absolution, wenn sie noch solch große Schuld uns läßt, daß Gott den Menschen mit Recht darum verdammt, wenn er nicht um Gnade gebeten wird. Doch will ich nicht zuviel sagen; denn ich kenne die spitzfindigen Auslegungen gut, mit deren Hilfe man der Heiligen Schrift eine Nase aus Wachs zu drehen pflegt.
Diese Bitte kann auf zweierlei Weise verstanden werden:
Erstens, daß uns Gott die Schuld im geheimen vergibt und wir es nicht empfinden, gerade so, wie er vielen Menschen Schuld zurechnet und behält, die sie gar nicht empfinden oder beachten. Zweitens offenkundig und so, daß wir es empfinden, gerade so wie er einigen Schuld so zurechnet, daß sie es empfinden, z. B. durch Vorwurf und Schrecken des Gewissens. Die erste Vergebung ist beständig nötig; die andere ist manchmal nötig, damit der Mensch nicht verzage.
Was ist das?
Ich meine das so: Gott ist vielen Menschen freundlich gesinnt und vergibt ihnen von Herzen alle Schuld, und doch sagt er ihnen nichts davon, sondern handelt äußerlich und innerlich mit ihnen so, daß es ihnen vorkommt, sie hätten einen ganz ungnädigen Gott, der sie zeitlich und ewig verdammen will; äußerlich plagt er sie, innerlich schreckt er sie. Einer von diesen war David, als er im Psalm 6,2 sprach: «Herr, schilt mich nicht in deinem Zorn». Genau so umgekehrt: einigen behält Gott im Geheimen ihre Schuld und ist ihnen feindlich gesinnt; er sagt ihnen aber nichts davon, sondern behandelt sie so, daß sie meinen, sie seien die lieben Kinder; äußerlich geht es ihnen wohl, innerlich sind sie fröhlich und des Himmels gewiß. Diese sind im Psalm 10,6 geschrieben: «Ich weiß, daß mich niemand umstürzen wird in Ewigkeit, ich werde ohne alles Unglück sein». Ebenso läßt Gott häufig dem Gewissen einen Trost widerfahren und läßt es eine fröhliche Zuversicht zu seiner Gnade fühlen, damit der Mensch dadurch gestärkt werde, auch in der Zeit seiner Gewissensangst auf Gott zu hoffen. Umgekehrt läßt er häufig ein Gewissen erschrecken und betrüben, damit der Mensch auch in der fröhlichen Zeit die Furcht Gottes nicht vergesse.
Die erste Art von Vergebung ist uns bitter und schwer. Aber sie ist die edelste und allerliebste. Die andere ist leichter, aber um so geringer. Alle beide zeigt der Herr Christus an Maria Magdalena (Lukas 7,47 folgende). Die erste, als er ihr den Rücken kehrt und doch zu Simon sprach: «ihr sind viele Sünden vergeben», da hatte sie noch keinen Frieden. Die andere, als er sich zu ihr wandte und sprach: «Dir sind deine Sünden erlassen, gehe hin im Frieden» Da ward ihr der Friede zuteil. Die erste Art macht also rein, die andere schafft Frieden. Die erste wirkt und bringt hervor, die andere ruht und empfängt. Und zwar ist ein ganz großer Unterschied zwischen den beiden: Die erste ist bloß im Glauben da und erwirbt sich einen großen Anspruch, die andere ist im fühlen da und nimmt den Lohn ein. Die erste wird bei den hohen Menschen (die schon im Glauben geübt) gebraucht, die andere mit den Schwachen und Anfängern.
Nun wollen wir den allerkräftigsten Ablaßbrief betrachten, der je auf die Erde gekommen ist und nicht um Geld verkauft wird, sondern jedermann umsonst gegeben wird. Andere Lehrer geben der Genugtuung (d. h. mit guten Werken oder Geld bezahlen) ihren Platz im Beutel und Kasten; Christus dagegen setzt sie ins Herz, daß sie uns nicht näher gebracht werden kann. Du brauchst also weder nach Rom noch nach Jerusalem, noch nach irgend einem Heiligen, weder hierhin noch dahin um Ablaß zu kaufen; auch kann ihn sich der Arme genau so gut nehmen wie der Reiche, der Kranke wie der Gesunde, der Laie wie der Priester, der Knecht wie der Herr. Und zwar lautet dieser Ablaßbrief auf deutsch So (Matthäus 6,14 folgende): «Wenn ihr euren Schuldnern vergebt, so wird euch mein Vater auch vergeben. Werdet ihr aber nicht vergeben, so wird euch mein Vater auch nicht vergeben».
Dieser Brief, der mit Christi eigenen Wunden versiegelt und durch seinen Tod bestätigt wurde, ist heute durch viel neue Sekten und durch den römischen Ablaßbrief fast vermodert.
Nun kann sich niemand entschuldigen, wenn ihm seine Sünden nicht vergeben werden oder wenn er ein böses Gewissen behält. Denn Christus spricht nicht: «Du sollst für deine Sünden so und so viel fasten, so und so viel beten, dies oder das tun», sondern: «willst du für deine Schuld genug bezahlen, deine Sünde auslöschen, so höre meinen Rat, ja mein Gebot: tu nichts weiter als laß das alles nach und ändere dein Herz (woran dich niemand hindern kann) und sei dem freundlich gesinnt, der dich beleidigt hat. Vergib nur du, so ist alles in Ordnung».
Warum predigt man nicht auch diesen Ablaß? Gilt Christi Wort, Rat und Verheißung nicht so viel als daß eines Traumpredigers (Traumprediger sind, die ihre erdachte eigene Meinung ihres Herzens verkündigen)? Ja, ein solcher Ablaß würde nicht die Kirche in Rom (die der Teufel gut leiden kann!), sondern Christi Kirche (die der Teufel nicht leiden kann!) aufbauen. (Holz und Stein ficht ihn ja nicht sehr an; aber rechtschaffene einträchtige Herzen, die machen ihm das Herz schwer.) Wem man also nichts von diesen Ablaß, den man umsonst bekommt, so wird man jedoch von jenem nicht satt, auch wenn man es sich alles kosten läßt. Nicht daß ich den römischen Ablaß verwerfen wollte. Sondern ich wollte daß jedes Ding seinem Wert nach eingeschätzt würde, und daß man nicht, wo mein gutes Geld umsonst haben kann, das Kupfer für kostbarer hält als das Gold wert ist. Hüte dich nur vor der Farbe und vor dem äußeren Glänzen!
Es gibt zwei Arten von Menschen, die dieses Gebet nicht beten und nicht mögen, und diesen großen Ablaß nicht erwerben können. Die ersten treiben es ganz grob: Ihre eigene Schuld vergessen Sie und machen dafür ihres Nächsten Schuld so groß, daß sie in ihrer Unverschämtheit sogar zu sagen wagen: «Ich will und kann ihm das niemals vergeben; ich kann ihm niemals mehr freundlich gesinnt werden». Diese tragen einen Balken, ja viele Balken in ihren Augen und sehen sie nicht, aber den kleinen Stecken oder Zweig in ihres Nächsten Auge können sie nicht vergessen (Matthäus 7,3. Das heißt ihre eigene Sünde, die sie wider Gott getan haben, der Achten sie nicht; aber die Schuld ihres Nächsten sehen sie so hoch an. Und doch wollen sie, daß ihnen Gott die große Schuld vergebe, wo sie selber nicht einmal die geringen ungerächt lassen wollen. Und wenn sie auch sonst keine Sünde oder Schuld hätten, so wäre doch der Balken in ihren Augen groß genug; denn sie werden gegen Gottes Gebot eben darin ungehorsam, daß sie nicht vergeben wollen und sich selbst rächen (was doch allein Gott zusteht). Es ist wahr, Gott ist wunderbar in seinem Recht und Gericht, daß der größere Schuld hat, der nicht vergibt, als der, der den Schaden und das Leid angerichtet hat.
Darum wird für solche Leute dieses Gebet zu einer Sünde, wie Psalm 109,7 sagt: «Sein Gebet wird vor Gott eine Sünde sein»; denn dadurch verflucht sich der Mensch selber und verkehrt das Gebet in sein Gegenteil: womit er Gnade erlangen sollte, erwirbt er sich Ungnade. «Ich will nicht vergeben», und doch stehst du vor Gott mit deinem kostbaren Vater Unser und plapperst mit deinem Munde: «vergib uns unsere Schuld, wie wir unseren Schuldigern vergeben». Das heißt doch nichts anderes als so viel: «oh Gott, ich bin dein Schuldner; genau so habe ich auch einen Schuldner. Nun will ich ihm nicht vergeben, so vergib du mir auch nicht. Ich will dir nicht gehorsam sein, wenn du mir auch sagst ich soll vergeben; ich will lieber dich, deinen Himmel und alles fahren lassen und ewig zum Teufel fahren»?
Sieh zu, du armer Mensch, ob du einen solchen Feind hast oder dulden könntest, der dich vor den Menschen so verflucht, wie du dich selbst vor Gott und allen Heiligen verfluchst mit deinem eigenen Gebet? Und was hat dein Schuldner dir getan? Einen zeitlichen Schaden? Ei, warum willst du dich denn um des kleinen zeitlichen Schadens willen selbst in einen ewigen Schaden bringen? Sieh dich vor, oh Mensch: nicht der, der dich betrübt, sondern du selbst, der du nicht vergibst, tust dir den eigentlichen Schaden an, wie die ganze Welt dir keinen antun könnte.
Die anderen sind frecher. Sie fühlen sich geistlich beleidigt von ihren Nächsten. Das heißt man tut ihnen nichts, als daß man ihr herzliches Mißfallen erregt bei der großen Liebe zur Gerechtigkeit und Weisheit, die sie träumen zu haben; denn Sünde und Torheit können die zartfühlenden und feinen Heiligen nicht leiden. Und das sind die, die in der Heiligen Schrift (Matthäus 23,33) Schlangen und vergiftete Würmer genannt werden. Sie sind ganz tief verblendet: sie merken niemals (und man kann sie auch nicht davon überzeugen, wie es bei den Ersterwählten, den Groben, möglich ist), daß sie es sind, die ihren Nächsten nicht vergeben, ja daß als Verdienst und gutes Werk ansehen, daß sie ihrem Nächsten feind sind. Man kennt sie daran, daß sie alles, was ein anderer tut, bereden, richten und verurteilen; sie schweigen nicht still, solange sie etwas von ihren Nächsten wissen. Sie heißt man auf deutsch «Afterreder», auf griechisch Teufel, auf lateinisch Schmäher», auf hebräisch Satanas, kurz, es ist die verfluchte Rotte, die jedermann verleumdet, verachtet, verflucht, und das alles doch unter dem Schein des Guten. Diese teuflische, höllische, verdammte Plage regiert gegenwärtig leider schrecklicher in der Christenheit als jemals eine solche es tat; sie vergiftet beinahe alle Zungen, und, Gott sei es geklagt, man ist von diesem Jammer weder auf der Hut noch hat man acht darauf. Bei ihnen ist es so: Wenn jemand etwas Übles tut, so findet er bei ihnen nicht nur keine Gnade: sie beten nicht für ihn (wie es sich für Christen gehört), sie belehren ihn nicht gütlich und weisen ihn nicht brüderlich zurecht; sondern während ein Übeltäter nach göttlichem und menschlichen Recht nur einen Richter, ein Gericht, eine Anklage sich gefallen zu lassen hat, muß man von diesen giftigen, höllischen Zungen so viele Richter, Gericht und Anklage sich gefallen lassen, als ihnen Ohren begegnen, und wenn ihnen an einem Tage tausend begegneten. Sie, das sind die erbärmlichen Heiligen, die ihres Nächsten Schuld nicht vergeben und nicht vergessen können, und es ist ihre Art, daß sie niemals einem Menschen von Herzen freundlich gesinnt sind. So wollen sie erfahren, daß Gott ihnen gleichfalls nicht allein die Schuld nicht vergibt, sondern auch die Ungnade erzeigt, sie nie zur Erkenntnis ihrer Schuld gelangen läßt.
Danach schmücken sie sich mit Reden und sprechen: «Ja, ich rede das nicht, um ihm zu schaden, und nicht in böser Absicht; ich gerne ihm alles Gute». Sieh da, wie weiche Haare das Kätzlein hat! Wer könnte denken, daß so scharfe Klauen und Zungen in der glatten Haut stecken? O du Scheinheiliger und falscher Mensch, wenn du wirklich sein Freund wärest, würdest du schweigen und nicht mit solcher Lust und Wohlgefallen deines Nächsten Unglück bekannt machen. Vielmehr würdest du dein verdammtes Mißfallen in Mitleid und Barmherzigkeit verwandeln, um ihm zu entschuldigen, in Schutz zunehmen und andere zum Schweigen bringen; du würdest Gott für ihn bitten, ihn brüderlich warnen und ihm helfen daß er wieder zurecht kommt. Schließlich würdest du es auch als eine Erinnerung und Mahnung annehmen, deine eigene Gebrechlichkeit mit Furcht bedenken, wie es Paulus sagt (1. Korinther 10,12): «Wer da steht, der sehe zu, daß er nicht falle», und mit dem Heiligen Vätern sagen: «Dieser war es gestern; heute ist es an mir».
Bedenke auch: wie würde es dir gefallen, wenn dir Gott entsprechend diesem Gebet seinerseits täte, was du deinem Nächsten tust, und machte von deiner Sünde viel Aufhebens und breitete sie vor aller Welt aus? Oder wie wolltest du es ertragen, wenn ein anderer auch so ausriefe, was du Böses getan hast? Du wolltest ohne Zweifel, daß jedermann darüber schweigen würde, dich entschuldigte, dich in Schutz nehme und für dich betete. Nun handelst du der Natur und ihrem Gesetz entgegen, daß sagt (Matthäus 7,12): «Was du willst, daß man dir tue, daß tu du auch dem andern».
Und denke nur nicht, daß einem Nachreder, Verleumder und Frevelrichter seine Sünde - die kleinste so wenig wie die größte - vergeben wird, ja daß er ein einziges gutes Werk tun kann, wenn er nicht seine böse Zungen ruhen läßt und umwandelt. So sagt nämlich Jakobus (1,26): «Wer sich läßt dünken, er sei ein rechtschaffener Christenmensch, und hält seine Zunge nicht im Zaum, dessen Rechtschaffenheit ist nichts». Willst du aber bei der Sünde deines Nächsten doch etwas tun, so halte die edle, köstliche, goldene Regel Christi, wo er sagt (Matthäus 18,15): «Wenn dein Bruder eine Sünde begeht, die sich gegen dich richtet, so gehe hin und weise ihn zurecht in der Zwiesprache zwischen dir und ihm allein». Oh merke, (er sagt) nicht: «sag es anderen Menschen»; sondern: «du und er allein», als wollte er sagen: «Willst du es ihm nicht allein sagen, so halte deinen Mund und laß es im Herzen begraben sein», es wird dir dann bestimmt der Bauch davon nicht brechen.
Oh, wer sich diesen edlen Werkes befleißigt, wie leicht könnte der seine Sünde büßen, wenn er sonst auch schon nicht viel tut! Denn wenn er wieder sündigt, so wird Gott sagen: «Ei, dieser hat seinem Nächsten seine Schuld zugedeckt und vergeben; tretet herzu, alle Geschöpfe, und deckt ihn eurerseits zu, und seine Sünde soll ihm auch nicht mehr behalten werden «! Aber jetzt dagegen sucht man auf allen möglichen Wegen und Weisen Genugtuung und Buße für die Sünde; sie sehen und hören nicht auf das, was wir täglich beten, wonach Buße für die Sünde, Genugtuung und Erwerb der Absolution am allerbesten dadurch geschieht, daß wir unseren Schuldigern vergeben. So solchem Vergessen und Nichtbeachten verführt uns das große Schauspiel mit dem Ablaß und die Angst welche den Menschen in der Beichte auferlegt wird.
Nun kommen sie dann abermals und malen sich den Teufel über die Tür, brennen sich weiß und sagen: «Ei, es ist doch wahr! Warum sollte ich es nicht sagen, wenn es doch so ist, ich habe es gesehen und weiß es wahrhaftig».
Antwort: Es ist doch aber auch wahr, daß du selbst gesündigt hast. Warum redest du dann nicht auch von deinem eigenen Bösen, wenn dir befohlen ist, alle Wahrheit immer zu sagen? Willst du aber von deinem Bösen schweigen, so tu auch einem anderen gegenüber dasselbe Gesetz nach der Natur (Matthäus 7,12).
Ferner: wenn es schon wahr ist, so tust du doch nichts Besseres als die Verräter und Blutverkäufer; die sagen der auch für manchen armen Menschen nur allzuoft, was wahr ist.
Ferner: Du handelst dazu noch der Regel Christi zuwider (Matthäus 18,15 folgende), die dir verbietet, es jemand anderen zu sagen als allein dem Betreffenden. Nur wenn er dich nicht hören will, so sollst du zwei zu dir nehmen und es ihm noch einmal sagen. Und wenn er dich dann immer noch nicht hört, so sollst du mit diesen Zeugen zusammen ihn vor der ganzen Gemeinde anklagen. Aber die Regel ist nun ganz verlassen. Darum geht es auch, wie es denen gehen soll, die Gottes Wort verachten.
Also, daß weit verbreitete Laster der Afterrede und Achtung fremder Sünde ist fast die schlimmste Sünde auf Erden. Denn aller anderen Sünden beflecken und verderben allein den, der sie tut, außer dem elenden verdammten Kläffer, der muß sich mit fremden Sünden beschmutzt und verderben lasse, daraus merke, je größer und stärker die Lust und das Gefallen an der Sünde ist, desto größer ist die Sünde. Da gibt oft selbst der, der schuldig geworden ist wegen dieser Sünde, die er getan hat, sich selbst unrecht, er schämt sich und macht sich Vorwürfe und will, daß niemand es wüßte (und hat dadurch die Sünde viel kleiner gemacht!). Aber nun kommt der Kläffer und tappt in diesen Kot wie eine Sau, frißt ihm noch dazu, wälzt sich darin und wollte nicht, daß die Sünde nicht geschehen wäre; denn er hat seine Lust, darüber zu reden, zu richten und darüber zu lachen. Darum habe ich gesagt: wer gerne kläfft und verleumdet, ist keinem Menschen freundlich gesinnt, ja er ist ein allgemeiner Feind der menschlichen Natur so gut wie der Teufel. Hat er doch nichts lieber, als wenn er von den Sünden und Schanden der Menschen hören, sagen und verhandeln kann, er freut sich über ihr Unglück und Übel. Wer aber das gerne hat und liebt, der kann wirklich den Menschen nichts Gutes gönnen, sondern nur alles Unglück; das wird ihm dann auch zuletzt als Lohn wiederum zuteil werden.
Uns zur Warnung sollen wir lernen, daß jeder Mensch vor Gott ein Sünder ist, und er wiederum einen Sünder oder Schuldner gegenüber hat.
Zum ersten sind wir Sünder in groben, bösen Stücken. Denn wenig sind da, die nicht gefallen sind in große, schwere Sünden. Doch wenn nun ein Mensch auch so rechtschaffen wäre, daß er noch nie in große Sünden gefallen wäre, so tut er doch dem göttlichen Gebot gegenüber immer zu wenig. Denn er hat viel Gnade vor anderen Menschen empfangen, und doch hat er nie zuviel getan, daß er auch nur für die geringste Gabe sich voll bedankt oder Zahlung geleistet hätte; ja er kann Gott nicht einmal für den täglichen Rock oder Mantel genug loben, geschweige denn für das Leben, für Gesundheit, Ehre, Gut, Freunde, Vernunft und unzählige andere Wohltaten Gottes. Wenn nun Gott mit ihm abrechnen wollte, würde es ihm so gehen, wie Hiob (9,3) sagt: daß er auf tausend nicht eins antworten könnte, und daß er froh wäre, wenn er durch bitten einen gnädigen Richter bekommen könnte. So sagt auch David (Psalm 143,2): «Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinen Diener; denn vor dir wird kein lebender Mensch gerecht erfunden»- auch deshalb, weil kein Mensch so rechtschaffen ist, daß er nicht noch des alten Adams Geruch und Hefe in sich hätte, um derentwillen Gott ihn mit Recht verwerfen könnte. Darum erhält allein die Demut auch die, die in Gnade leben, und ihre Schuld wird ihnen deshalb nicht angerechnet, weil sie selber sie sich anrechnen, um Gnade bitten und ihren Schuldigern vergeben.
Zum anderen haben wir auch Schuldige. Denn Gott ordnet es immer so, daß uns jemand an Gut, Ehre oder was es sonst ist, ein Leid an tut; will er uns doch damit einen Anlaß geben, unsere Sünde zu büßen und unseren Schuldnern zu vergeben. Und wenn nun schon jemand keine großen Stücken von einem anderen leiden muß (was doch kein gutes Zeichen ist), so findet er doch in sich einen Widerwillen einigen Leuten gegenüber, auf die er argwöhnisch ist und einen Verdruß hat. So ist es, kurz gesagt, (wie Augustinus sagt): Jeder Mensch ist Gott gegenüber schuldig und hat wiederum einen Schuldner. Hat er aber keinen, so ist er gewiß blind und beobachtet sich nicht richtig.
Nun siehe, was dieses elende Leben für ein Zustand ist, wo es keine Speise, Tröstung und Stärkung für die Seele gibt (wie die vorhergehende Bitte es zeigt). Dazu ist es ein sündhafter Stand, in welchem wir verdientermaßen verdammt würden, wenn uns nicht dieses Gebet erhielte durch die lautere Gnade und Barmherzigkeit Gottes. So macht uns das Vater Unser dieses Leben ganz zur Sünde und zur Schande, damit wir seiner müde und überdrüssig werden. Nun sieh, du Kläffer, richte dich selber, rede von dir, sieh an, wer du bist, greife in deinen eigenen Busen; dann wirst du das Übel deines Nächsten wohl vergessen; denn du hast von deinen eigenen beide Hände voll, ja über und über voll.
Die sechste Bitte
Und führe uns nicht in die Versuchung
Wenn das Wort «Versuchung» oder «Prüfung» nicht so allgemein üblich wäre, so stünde es viel besser und wäre klarer, wenn man es so ausdrückte: «Und führe uns nicht in Anfechtungen». In diesem Gebet lernen wir aber, wie elend das Leben auf Erden ist. Denn es ist lauter Anfechtung, und wer hiernach Frieden und Sicherheit für sich sucht, handelt nicht weise; er kann es auch niemals dazu bringen. Und wenn wir alle es begehrten, so ist es doch unmöglich. Es ist ein Leben der Anfechtung und bleibt es.
Darum sagen wir nicht: «Nimm die Anfechtung weg von uns», sondern: «Führe uns nicht hinein», als wollte man sagen: «Wir sind hinten und vorne von Anfechtungen umgeben und können uns nicht davon freimachen. Aber, o unser Vater, hilf uns, daß wir nicht hineingeraten, d. h. daß wir nicht dazu einwilligen und so überwunden und unterdrückt werden «Denn wer in die Sünde einwilligt, der sündigt und wird ein Gefangener der Sünde», wie Paulus (Römer 7,23) sagt.
Also ist dies Leben, wie es Hiob sagt (Kapitel 7,1), nichts anderes als ein Kampf und steter Streit gegen die Sünde, und der Drache, der Teufel, ficht uns ständig an und gibt sich Mühe, uns in seinen Rachen zu verschlingen. So sagt Petrus (1. Petrus 5,8): «o ihr lieben Brüder, seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe, und sucht, ob er jemand verschlingen könne». Sehet, unser lieber Vater und getreuer Bischof Petrus spricht: Unser Feind sucht uns; und zwar nicht bloß an einem Ort, sondern an allen Enden ringsum. Das heißt alle unsere Glieder und Sinnen reizt, bewegt und hindert er von innen her mit bösen Einflüsterungen, von außen her mit bösen Bildern, Worten und Werken durch Menschen und alle Geschöpfe zu Unkeuschheit, Zorn, Hoffart, Geiz und dergleichen; er gebraucht alle List und Bosheit, um den Menschen dazu zu führen, daß er einwilligt. Wenn man das fühlt, soll man schnell die Augen zu Gott aufheben: «O Gott Vater, sieh, wie werde ich zu dem und dem Laster getrieben und gereizt und an dem und dem guten Werk verhindert. Wehre dem, lieber Vater, und hilf mir, laß mich nicht unterliegen und hineingeraten». O, wer diese Bitte recht gebraucht und übt, wie glücklich wäre der! Es gibt sehr viele, die nicht wissen, ob sie angefochten werden oder was sie in der Anfechtung tun sollen.
Was ist Anfechtung?
Zweierlei Anfechtung gibt es. Die einer auf der linken Seite, d. h. diejenige, welche zu Zorn, Haß, Bitterkeit, Unlust, Ungeduld reizt, wie Krankheit, Armut, Unehre und alles, was einem wehe tut, besonders wenn einem sein Wille, Vorhaben, Gutdünken, Ratschlag, Wort und Werk verworfen und verachtet wird. Diese Dinge sind ja etwas Geläufiges in diesem Leben, und Gott verhängt solches durch böse Menschen oder Teufel.
Wenn man dann fühlt, daß es sich regen will, so soll man Weise sein und sich nicht wundern lassen (denn das ist so die Art dieses Lebens!) - vielmehr soll man dieses Gebet hervor holen und das richtige Korn daraus abzählen und sprechen: «O Vater, das ist gewiß eine Anfechtung, die über mich verhängt ist; hilf, daß sie mich nicht verführe und versuche».
In dieser Anfechtung wird man auf doppelte Weise zum Narren. Einmal, wenn man spricht: «Ja, ich wollte wohl rechtschaffen sein und nicht zürnen, wenn ich Frieden hätte». Manche lassen so unseren Herrgott und seinen Heiligen keine Ruhe, bis er die Anfechtung von ihnen nimmt: diesen muß er das Bein gesund machen, den reich machen, dem soll er sein Recht werden lassen; und dabei tun sie auch selber so viel als sie können, um sich in eigener Kraft und mit Hilfe anderer herauszuwinden. so bleiben sie faule, ja fahnenflüchtige arme Ritter, die nicht angefochten sein noch streiten wollen. Darum werden sie auch nicht gekrönt (2. Timotheus 2,5), ja sie fallen in die andere Anfechtung zur rechten Seite, wie wir noch hören werden. Wenn es jedoch recht geht, so soll es sein, daß man nicht daran vorbei komme: die Anfechtung darf nicht aufgehoben werden, sondern man muß sie ritterlich überwinden. Von solchen Leuten spricht Hiob (7,1): «Des Menschen Leben ist ein Streit (oder Anfechtung)».
Die andern, die nicht die Anfechtung überwinden, von denen sie aber auch nicht genommen wird, - die geratenen hinein in Zorn, Haß und Ungeduld, übergeben sich geradezu dem Teufel, verüben Worte und Werke, werden Mörder, Räuber, Verleumder und richten alles Unglück an; denn die Anfechtung hat sie überwunden und sie folgen allen bösen Willen. Der Teufel hat sie völlig in seiner Gewalt und sie sind seine Gefangenen; Sie rufen weder Gott noch seiner Heiligen an. Wenn aber unser Leben von Gott selber eine Anfechtung genannt wird und es so sein muß, daß wir an Leib, Gut und Ehre angegriffen werden und uns Gerechtigkeit widerfahren muß, sollen wir ohne sträuben darauf gefaßt sein und es mit Weisheit annehmen, in dem wir sprechen: «Ei, daß gehört nun einmal zum Leben; was soll ich daraus machen? Es ist eine Anfechtung und bleibt eine Anfechtung. Es will nicht anders sein, Gott helfe, daß es mich nicht aufrege und umwerfe».
Siehe, also kann sich niemand über die Anfechtung erheben. Man kann sich aber wohl wehren und dem allem mit Gebet und Anrufung der Hilfe Gottes abhelfen. So liest man in den Büchern der alten Väter, daß ein junger Bruder den Wunsch aussprach, seine Gedanken los zu sein; da sprach der Altvater: «Lieber Bruder, daß die Vögel in der Luft dir über dem Haupte fliegen, kannst du nicht verhindern; du kannst es aber hindern, daß sie dir in den Haaren ein Nest machen». Genau so können wir uns wie Augustinus sagt, zwar der Anstöße und Anfechtung nicht erwehren; daß sie uns aber nicht überwinden, dem kann man mit Beten und Anrufen göttlicher Hilfe wohl wehren.
Die andere Anfechtung ist die auf der rechten Seite. Sie reizt zu Unkeuschheit, Wollust, Hoffart, Geiz und eitler Ehre, und zu allem, was wohl tut, besonders, wenn man einen seinen Willen läßt, Wort, Rat und Tat von ihm lobt, ihn ehrt und viel von ihm hält.
Dies ist die allergefährlichster Anfechtung, die der Zeit des Antichrists zugeschrieben wird. In diesem Sinne sagt David (Psalm 91,7): «Wann tausend fallen auf deiner linken Seite, so fallen ihrer wohl Zehntausend auf deiner rechten Seite» und jetzt hat sie überhand genommen; denn die Welt strebt nur nach Gut, Ehre und Wollust. Insbesondere lernt es die Jugend zur Zeit überhaupt nicht mehr, gegen die fleischliche Lust und Anfechtung zu streiten; sie fallen ihr zu, so daß es fernerhin keine Schande mehr ist, sondern das alle Welt voll ist mit Geschichten und Liedern von Buhlerei und Hurerei, als sei das wohlgetan. Das ist alles der grauenhafte Zorn Gottes, der die Welt so in Versuchung fallen läßt, weil ihn niemand anruft.
Es ist bestimmt eine schwere Anfechtung für einen jungen Menschen, wenn ihm der Teufel in sein Fleisch bläst, Mark und Bein und alle Glieder entzündet, und ihm dazu von außen her reizt mit Gesichtern, Gebärden, Tanzen, Kleidern, Worten und hübschen Weibs- oder Mannsbildern. So sagt es Hiob (41,12): «Sein Atem macht die Kohlen glühend». So ist zur Zeit die Welt ganz toll, um mit Kleidern und Schmuck Reize zu bieten. Trotzdem aber ist es nicht unmöglich, daß zu überwinden, wenn man sich daran gewöhnt, Gott anzurufen und dies Gebet zu sprechen: «Vater, führe uns nicht in die Anfechtung». Genau so hat man es nun auch zu machen in Anfechtungen durch die Hoffart, wenn jemand gelobt oder geehrt wird und wenn ihm großes Gut oder andere weltliche Lust zuteil wird usw.
Warum läßt Gott denn daß zu, daß der Mensch so zum Sündigen angefochten wird? Antwort: Damit der Mensch sich und Gott erkennen lernt. Er soll sich selbst erkennen, daß er nichts kann als Sündigen und Übles zu tun; und er soll Gott erkennen, daß Gottes Gnade stärker ist als alle Geschöpfe. So soll er lernen, sich selber zu verachten und Gottes Gnade zu loben und zu preisen. Hat es doch Leute gegeben, die der Unkeuschheit mit ihren eigenen Kräften, mit Fasten und Arbeiten widerstehen wollten; sie haben ihren Leib darüber zerbrochen und dennoch nichts ausgerichtet. Denn die böse Lust löscht niemand als der himmlische Tau und Segen der göttlichen Gnade; Fasten aber, Arbeiten und Wachen muß zwar dabei sein, sind aber nicht genug.
Beschluß
Wenn Gott uns nun die Schuld vergeben hat, so ist auf nichts mehr zu achten als darauf, daß man nicht wieder falle. Gibt es doch, wie David sagt (Psalm 104,25), in dem großen Meer dieser Welt viel Gewürm (Gewimmel) das heißt viel Anfechtung und Anstoß, die uns aufs neue schuldig machen wollen; Darum haben wir es nötig, daß wir ohne aufhören mit dem Herzen sprechen: «Vater, führe uns nicht in die Anfechtung, nicht begehre ich, von aller Anfechtung los zu sein (denn das wäre schrecklich und viel schlimmer als zehn Anfechtungen von der Art, wie die Anfechtung zur rechten Hand ist); sondern ich möchte nicht fallen und wider meinen Nächsten oder dich sündigen». In diesem Sinne sagt Jakobus (1,2): «O Brüder, wenn euch viele Anfechtungen zustoßen, so sollt ihr das für große Freude achten». Warum? Weil es für den Menschen eine Übung ist, sie macht ihn in der Demut und Geduld vollkommen und Gott wohlgefällig wie die allerliebsten Kinder. Selig, wem solches zu Herzen geht! Leider sucht ja gegenwärtig jedermann Ruhe, Frieden, Lust und Behagen in seinem Leben. Darum naht sich die Herrschaft des Antichrists, sofern sie nicht bereits da ist.
Die siebte und letzte Bitte
Sondern erlöse uns von dem Übel. Amen
Merke genau, daß man erst an aller letzter Stelle um Abwendung des Übels bittet und bitten soll, das heißt um Abwendung von Unfrieden, Teuerung, Kriegen, Seuche, Plagen und auch von Hölle und allen Übel an Leib und Seele.
Man soll ja um diese Dinge bitten, doch in der rechten Reihenfolge, und zwar zu allerletzt. Warum? Man findet manche, und zwar nicht wenige, die Gott und seine Heiligen ehren und bitten, aber nur, um das Übel loszuwerden. Sie suchen nichts anderes; sie denken nicht einmal an die ersten Bitten, daß sie Gottes Ehre, Namen und Willen zuerst stellen würden. Sie suchen nur ihren eigenen Willen und kehren so dieses Gebet ganz um: sie fangen beim Letzten an und kommen nicht zu den ersten Bitten; sie wollen ihr Übel los sein, ob es zur Ehre Gottes geschieht oder nicht, ob es sein Wille ist oder nicht.
Aber ein rechtschaffener Mensch der spricht so: «Lieber Vater, das Übel und die Strafe drückt mich; ich leide viel Unglück und habe Beschwerden, fürchte mich vor der Hölle. Erlöse mich davon, doch nur, wenn es dir zur Ehre und zum Lobe geschieht und dein göttlicher Wille ist; sonst geschehe nicht mein, sondern dein Wille. Denn deine göttliche Ehre und Wille ist mir lieber als meine eigene Ruhe und Bequemlichkeit in Zeit und in Ewigkeit. «Sieh, das ist ein wohlgefälliges, gutes Gebet und wird gewiß im Himmel erhört»; und wenn es anders gebetet und gemeint wird, so ist es nicht angenehm und wird auch nicht erhört. Weil denn dieses Leben nichts anderes ist als ein unseliges Übel, aus dem zweifellos auch Anfechtungen erwachsen, so sollen wir das Übel deshalb begehren loszuwerden, damit die Anfechtungen und Sünden aufhören und so Gottes Wille geschehe und sein Reich komme zu Lob und Ehre seines heiligen Namens
Von dem Wort Amen
Das Wort «Amen» stammt aus der hebräischen (oder jüdischen) Sprache und heißt auf deutsch «für wahr» oder «wahrlich». Daß es dem Glauben Ausdruck gibt; denn ihn soll man bei allen Bitten haben. Hat doch Christus gesagt (Matthäus 21,22): «Wenn ihr betet, so glaubet fest, daß ihr es erlangen werdet; so geschieht es gewiß». Ferner, an einer anderen Stelle (Markus 11,24): «Alles, was ihr bittet, glaubet, so werdet ihr es empfangen». So empfing ja das heidnische Weiblein, was es bat, da es nicht abließ und fest glaubte, so daß der Herr ihr sogar sagte (Matthäus 15,28): «O Weib, wie groß ist dein Glaube! Dir geschehe, wie du willst und du gebeten hast». So spricht auch Jakobus (1,6 folgende): «Wer von Gott etwas bittet, der soll ja nicht zweifeln im Glauben, daß es ihm zuteil werden. Denn wer im Glauben zweifelt, der bilde sich nicht ein, daß er etwas von Gott empfange». Darum ist, wie der weise Mann sagt (Prediger 7,8), das Ende des Gebetes besser als der Anfang. Denn wenn du am Ende in herzlichem Vertrauen und Glauben «Amen» sagst, so ist gewiß das Gebet bekräftigt und erhört; und wo dieses Ende fehlt, da ist weder Anfang noch Mitte des Gebetes etwas nütze.
Also sollte ein Mensch, der da beten will, sich prüfen und erforschen, ob er es auch glaubt, oder zweifelt, daß erhört werde. Findet er bei sich, daß er daran zweifelt oder es nur auf einen ungewissen Wahn setzt und auf gut Glück wagt, so ist das Gebet nichts. Denn er hält sein Herz nicht still, sondern schwankt und schlottert hin und her. Darum kann Gott ihm nichts Gewisses geben, gerade so wenig als du einem Menschen etwas geben kannst, wenn er die Hand nicht still hält. Bedenke doch: wie würde es dir gefallen, wenn dir jemand fleißig Bitten vorgetragen hätte und er spräche am Ende zu dir: «Ich glaube aber nicht, daß du es mir gibt's», und du hättest es ihm doch gewiß versprochen! Du würdest die Bitte als einen Spott auffassen und alles widerrufen, was du versprochen hättest, und ihn vielleicht noch dazu strafen. Wie soll so etwas dann Gott gefallen? Er sagt uns fest zu, daß wir es empfangen sollen, wenn wir etwas bitten, und wir strafen ihn durch unsere Zweifel Lügen und handeln im Gebet gerade zu dem Gebet zuwider; wir beleidigen seine Wahrhaftigkeit, die wir mit dem Gebet anrufen.
Darum heißt das Wörtlein «Amen»: «wahrlich», «für wahr», «gewiß», und es ist ein Wort des festen, herzlichen Glaubens, als sagst du: «O Gott Vater, diese Dinge, um die ich dich gebeten habe, sind - ich zweifle nicht daran - gewiß aufrichtig gemeint und werden geschehen; nicht deshalb, weil ich um sie gebeten habe, sondern weil du befohlen hast, um sie zu bitten, und sie gewiß zugesagt hast. Ebenso bin ich gewiß, daß du, Gott, wahrhaftig bist; du kannst nicht lügen. Also nicht die Würdigkeit meines Gebetes, sondern die Gewißheit, daß du wahr bist, bringt mich dazu, es fest zu glauben, und es ist mir kein Zweifel, es werde ein Amen daraus werden und ein Amen sein.
Hier irren manche über die Maßen, die ihr Gebet an diesem Punkte zunichte machen, und zwar viel mit dem Munde, aber nie mit dem Herzen beten. Sie wollen nämlich nicht eher glauben, sie seien erhört, als bis sie wissen oder meinen, sie hätten würdig und recht gebetet. So bauen sie auf sich selbst, auf den Sand. Diese werden alle verdammt; denn ein solches Gebet ist nicht möglich, daß in sich selbst schon genügte und vor Gott der Erhörung würdig wäre, ein Gebet muß sich vielmehr auf die Wahrhaftigkeit und die Verheißung Gottes verlassen. Denn hätte Gott nicht zu beten befohlen und Erhöhung versprochen, so könnten alle Geschöpfe mit ihren sämtlichen Gebeten nicht ein Körnlein sich ausbitten. Darum sieh darauf: nicht dasjenige Gebet ist gut und recht, welches viel Worte, andächtig, süß und lang ist, und um zeitliches oder um ewiges Gut geht, sondern ein solches, daß fest darauf baut und traut, daß es erhört werde (so gering und unwürdig es an und für sich sein mag, (und das um die wahrhaftigen Gelübde und Versprechungen Gottes geht. Gottes Wort und Verheißung macht dein Gebet gut, nicht deine Andacht. Denn eben dieser Glaube, der sich auf seine Worte gründet, ist zugleich auch die rechte Andacht, ohne die aller anderer Andacht lauter Trug und Irrtum ist.
Zusammenfassung über Inhalt und Ordnung aller aufgeführten Bitten
Das Vater unser alles Zwiegespräch mit Gott.
Die Seele spricht: «O unser Vater, der du bist im Himmel, wir deine Kinder sind auf Erden, von dir getrennt, in der Fremde: Wie groß ist der Abstand zwischen dir und uns! Wie sollen wir jemals zu dir kommen in unser Vaterland?»
Gott antwortet: «Ein Kind lehrt seinen Vater und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich denn euer Vater, wo lehrt man mich? Bin ich euer Herr, wo erweist man mir Furcht und Ehrerbietung (Maleachi 1,6)? Mein heiliger Name wird ja bei und durch euch gelästert und verunehrt (Jesaja 52,5)»! Die erste Bitte
Die Seele: «O Vater, das ist leider wahr. Wir erkennen unsere Schuld. Sei du ein gnädiger Vater und rechne nicht mit uns ab, sondern gib deine Gnade, damit wir so leben, daß dein heiliger Name in uns geheiligt werde. Laß uns nie etwas denken, reden, tun, haben oder Vornehmen, wenn dein Lob und deine Ehre nicht darin ist, damit so in uns vor allen Dingen dein Ruhm und Name, nicht unser eigener eitler Ruhm und Name gesucht werde. Gib uns, daß wir dich wie die Kinder als einen Vater lieben, fürchten und ehren.»
Gott: «wie kann meine Ehre und Name bei euch geheiligt werden (Jesaja 52,5), wenn all euer Herz und Denken zum Bösen geneigt ist und in Sünden gefangen liegt (1. Mose 8,21), dadurch niemand mein Lob den Fremden landen singen kann (Psalm 137,4)»?
Die zweite Bitte
Die Seele: «O Vater, das ist wahr, wir empfinden, daß unsere Glieder zu Sünden geneigt sind; Welt, Fleisch und Teufel wollen in uns regieren und so deine Ehre und Namen austreiben. Darum bitten wir: hilf uns aus der Fremde, laß dein Reich kommen, damit die Sünde vertrieben und wir rechtschaffen, dir wohlgefällig gemacht werden, daß du allein in uns regierst und wir dein Reich werden mögen, in dem alle unsere Kräfte innerlich und äußerlich dir gehorchen».
Gott: «wem ich helfen soll, den verderbe ich, und wen ich lebendig, selig, reich und rechtschaffen machen will, den töte ich; ich verwerfe ihn, mache ihn arm und zunichte (5. Mose 32,39). Aber Rat und Tat solcher Art wollt ihr von mir nicht ertragen (Psalm 78, 10 folgende). Wie soll ich euch dann helfen und was soll ich mehr tun (Jesaja 5,4)»?
Die dritte Bitte
Die Seele: «Das ist uns Leid, daß wir deine heilende schaffende Hand nicht verstehen und nicht ertragen. O Vater, gib Gnade und Hilfe, daß wir deinen göttlichen Willen in uns geschehen lassen. Ja, auch wenn es uns wehe tut, so fahre du fort, strafe, stich, haue und brenne, mach alles, was du willst; nur das dein Wille und ja nicht der unsere geschehe. Wehre uns, lieber Vater, und laß uns nichts nach unserem eigenen Gutdünken, Willen und Meinung vornehmen und vollbringen. Denn unser Wille und dein Wille sind gegeneinander; deiner allein ist gut, obwohl er nicht so scheint; unser ist böse, obwohl er gut aussieht».
Gott: «Es ist wohl schon mehr geschehen, daß man mich mit dem Munde geliebt hat; aber das Herz ist dabei weit weg von mir gewesen (Jesaja 29,13). Und wenn ich Ihnen zugesetzt habe, um sie zu bessern, sind sie zurückgewichen und mitten, während ich am Werk war, mir entglitten, wie du im Psalm 78,9 liest: «Sie haben zwar einen guten Anfang gemacht und mich dazu bewogen, an ihnen zu handeln; aber sie haben sich von mir abgekehrt und sind wieder gefallen: sie sündigen und ehren mich nicht mehr».
Die vierte Bitte
Die Seele: «Ach Vater, es ist wahr; niemand kann mit seinen eigenen Kräften stark sein (1. Samuel 2,9), und wer kann vor deiner Hand bestehen, wenn du nicht selbst uns stärkst und tröstet? Darum, lieber Vater, setze und zu, vollbringe deinen Willen, damit wir dein Reich werden, dir zum Lob und zur Ehre. Aber, lieber Vater, stärker uns, wenn du so an uns handelst, mit deinem heiligen Wort: Gib uns unser täglich Brot. präge unserem Herzen das Bild deines lieben Sohnes Jesus Christus ein, der das wahre Himmelsbrot ist, damit wir, durch ihn gestärkt, es fröhlich ertragen und leiden können, wenn unser Wille zerbrochen und getötet und dein Wille vollbracht wird. Ja, gib auch der ganzen Christenheit Gnade: sende uns kundige Priester und Prediger, die uns nicht Treber und Spreu unnütze Fabeln, sondern dein heiliges Evangelium und Jesus Christus lehren».
Gott: «Es ist nicht gut, daß man den Hunden das Heiligtum (Matthäus 7,6) und das Brot der Kinder (Matthäus 15,26) vorwirft. Ihr sündigt täglich und wenn ich bei euch noch so viel bei Tag und Nacht predigen lassen, so folgt und hört ihr doch nicht (Jesaja 42,20), und mein Wort wird verachtet (Jeremia 5,11)».
Die fünfte Bitte
Die Seele: «Ach Vater, laß dich dessen erbarmen und versage uns darum nicht das liebe Brot. Vielmehr ist es uns leid, daß wir deinen heiligen Worten nicht genügend tun, und wir bitten, du möchtest Geduld mit uns armen Kindern haben und uns diese unsere Schuld erlassen und ja nicht mit uns ins Gericht gehen; denn vor dir ist niemand gerechtfertigt (Psalm 143,2). Sieh deine Verheißungen an: wenn wir unseren Schuldigern von Herzen vergeben, dann hast du uns Vergebung versprochen (Matthäus 6,14). Nicht das wir durch solches vergeben deiner Vergebung würdig würden; sondern daß du wahrhaftig bist und gnädig allen Vergebung versprochen hast, die ihren Nächsten vergeben. Auf dein Versprechen verlassen wir uns»
Gott: «Sehr oft vergebe ich und erlöse ich euch, und ihr bleibt und besteht doch nicht (Psalm 78). Einen geringen Glauben habt ihr (Matthäus 8,26). Nicht ein wenig könnt ihr mit mir wachen und aushalten; ihr fallt schnell wieder in die Anfechtung (Matthäus 26,40 folgende)».
Die sechste Bitte
Die Seele: «Schwach und krank sind wir, o Vater, und die Anfechtung ist groß und vielfältig im Fleisch und in der Welt. Oh lieber Vater, halte uns und laß uns nicht in Anfechtung fallen und wieder sündigen, sondern gib uns Gnade, daß wir beständig bleiben und ritterlich fechten bis an unser Ende; denn ohne deine Gnade und Hilfe vermögen wir nichts».
Gott: «Ich bin gerecht und mein Gericht ist richtig (Psalm 11,7). Darum darf die Sünde nicht ungestraft bleiben. Also müßt ihr das Übel tragen. Daß ihr davon Anfechtung habt, ist die Schuld eurer Sünde, die mich dazu zwingt, sie zu strafen und ihr zu wehren».
Die siebte Bitte
Die Seele: «Weil denn das Übel uns Anfechtung bereitet und uns mit Sünden anficht, so erlöse uns daraus, lieber Vater, damit wir, von allen Sünden und Übel nach deinem göttlichen Willen erlöst, dir ein Reich sein können, dich in Ewigkeit zu loben, zu Preisen und zu heiligen. Amen. Und weil du uns so zu beten gelehrt und geboten hast und Erhörung verheißen, hoffen wir und sind gewiß, oh allerliebster Vater, du wirst deiner Wahrhaftigkeit zu Ehren uns dies alles gnädig und barmherzig geben».
Schlußwort:
Zuletzt möchte nun jemand sagen: «Was nun, wenn ich nicht glauben kann, daß ich erhört bin?» Antwort: so mache es wie der Vater des besessenen Menschen (Markus 9,24). Als Christus zu ihm sagte: «Kannst du glauben? Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt», da schrie dieser Vater mit weinenden Augen: «Oh Herr, ich glaube, hilf meinem Glauben, wenn er zu schwach ist».
Gott allein gebührt die Ehre und der Ruhm.