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»Einen Strauß!« sagte Ute. »Einen Strauß Blumen von unserer Wiese sollten wir mitnehmen.«
Claude dankte ihr dafür, daß sie diese Wiese liebte, auf der ihr Sommer geträumt hatte. Aber wo waren die Blumen, jetzt, da der Sommer fort war, die Blumen, deren farbige Bäche über die Hügel geronnen waren. Claude und Ute bückten sich nach dem Duft der wilden Orchideen. Sie hatten ihn noch im Sinn, obwohl er verweht war. Sie sahen die blauen Hellebarden der wilden Iris noch in der Sonne glänzen, während der Sturm sie schon zersplittert hatte. Die vielen Augen, mit denen ehemals das Vergißmeinnicht durch das Gitter der Gläser lugte, sie waren alle geschlossen. Schierling, fein und trocken, zerstäubte ihnen zwischen den Fingern. Die fetten Stiele der Herbstzeitlosen warf Ute weg. Und am Ende blutete und zerfiel ein wenig wilder Mohn in ihren Händen.
Der See stürmte, als sie unter dem Verdeck ihres Einspänners an ihm entlang fuhren. ›Welche Wut‹, dachte Claude, ›weil er uns nicht gekriegt hat. Es war so dicht davor.‹
Er sah Ute an; sie dachte offenbar an anderes.
Sie mußte gleich ins Engagement zurück.
»Diesmal darfst du mich spielen sehen. Komme, wenn die Saison richtig im Gange ist.«
Er kam im November, am Abend, während es nebelte, und der Massenschritt von Arbeitern, die man nicht sah, das Pflaster stampfte. Im Hotel schüttelte Claude den Kopf. ›Sonderbar, wozu ist diese Stadt in der Welt. Wenn nicht zufällig Ute, und zwar gerade jetzt, in dieser Minute auf einer Bühne stände ...
In dieser Minute! ...
Ja, ich bin überzeugt, wenn man durch den Nebel hindurchsehen könnte – es liegt gar nichts dahinter. Die Welt hat sich hier in den Hintergrund eines Theatersaales zurückgezogen, auf die Bretter, die Ute tragen ... Aber ist nicht überall Düren – überall gleichgültige, leere Strecke, außer wo Ute steht?‹
Er eilte ins Theater, es war schon halb zehn, und wartete in seiner Loge auf ihr Auftreten, höchst erstaunt, weil sie nicht immerfort auf der Szene war.
Aber das Stück mußte ja gleich zu Ende sein, und sie kam nicht. Was spielten denn die eigentlich? ... Sie stand nicht auf dem Theaterzettel! Claude, fassungslos, stürzte hinaus.
»Ist Fräulein Ende krank?«
»Nein, tritt heute nicht auf.«
Das gab es auch? Stücke, worin sie nicht spielte?
Er fuhr bis vor ihr Haus; es war geschlossen. Als er früh um zehn wiederkam, schlief sie.
»Ach«, jammerte die Frau, »das Fräulein geht ja nie vor fünf ins Bett. Was die schreit, da ist das Ende von weg. Ich hab schon aus meinem Schlafzimmer raus müssen, weil ich da meine Ruhe nicht hatte.«
»Wenn Sie dem Fräulein kündigen wollen –«, meinte Claude gekränkt.
»Das auch wieder nicht. Denn sie ist wenigstens solide. Nee, da kann man nichts über sagen. Und was sonst die Damen vom Theater – na, wer an Schauspielerinnen vermietet, der weiß Bescheid ... Nee, solide ist die ... Sie, mein Herr, sind gewiß – sind gewiß –«
Ja, was war Claude, mit Beziehung auf Ute. Er suchte vergebens.
Aber da war sie bei der Probe. Er ging hin, ward aber nicht auf die Bühne gelassen. Er bat, sie zu rufen, man weigerte sich. In dreiviertel Stunden sei's aus. Er schritt ein paar Straßen ab, bog wieder um die Ecke. Nun war sie fort.
»Hätten Sie dem Fräulein nicht sagen können, ich holte sie ab!«
Diese überflüssige Stadt hatte nur dadurch Sinn bekommen, daß sie Ute umschloß. Und nun durchlief Claude sie seit gestern abend, sprach mit allen möglichen Leuten, dachte nur an Ute, und sie blieb unsichtbar. So war es immer. Das war ein Bild seines Lebens. Es war drei Uhr, und schon fiel wieder der Nebel. Das Restaurant, wo sie sein sollte, war nicht zu finden. Kein Wagen zeigte sich.
Wie er endlich anlangte:
»Fräulein Ute Ende?«
»Die Dame ist soeben weggegangen. Dort sitzen noch die andern Herrschaften.«
Einige Herren mit blauen Lippen und ein paar unordentliche Mädchen wandten sich nach Claude um. Der Kellner geleitete ihn unter Bücklingen zur Tür.
»Wenn der Herr nur wiederkommen will. Fräulein Ende speist alle Tage hier.«
»Ein Wagen?« verlangte Claude, in das Geschick ergeben.
Er erreichte abermals ihre Wohnung. Sie stand vom Sofa auf.
»Claude! Ich dachte bestimmt, ich würde dich nach dem Essen hier finden. Ich hab's nur hineingeschlungen und bin fort.«
Sie winkte der Wirtin ab, die von der Schwelle her zuhörte.
»Lassen Sie nur, das ist ja mein – Milchbruder.«
»So was Anständiges«, erklärte sie, als sie allein waren, »nennt man, glaub ich, immer Milchbruder.«
»Ich war schon im Theater, während du probtest.«
»Ach ja, für Rosmersholm, morgen.«
Sie saß wieder, sah vor sich hin. Er öffnete den Mund, um zu sagen, er habe schon gestern abend in einer Loge gesessen und vergeblich ihr Auftreten erwartet. Aber er verschwieg es. Wie Ute matt ausschaute.
»Ein bissel magerer, scheint mir, bist du – im Gesicht.«
»Oh, die Figur auch, siehst du's nicht?«
Er sah es wohl.
»Der neblige Herbst, meine ewigen Halsgeschichten, die greifen ja furchtbar an.«
»Du arbeitest zuviel. Ute, ich bitte dich, schone dich mehr.« Sie hob die Schultern. Dann rasch:
»Übrigens werde ich momentan nicht überanstrengt. Heut ist schon der zweite Abend, wo ich nichts zu tun habe. Es trifft sich, daß du gerade kommst.«
Sie sah ihn fest an. Nein, er schien sich gar nicht zu wundern.
»'s ist recht. Du hast wohl wieder ein Attest? Da muß der Direktor natürlich –«
»N–ein. Es ist was anderes ... Na –« und sie sprang auf, »du wirst's ja selbst sehn. Gehn wir?«
»Gehn, wohin?«
»Ins Freie, du mußt doch die Stadt anschauen. Zwar gibt's nichts zu sehn.«
»Also bleiben wir da.«
Aber es stellte sich heraus, daß es ungemütlich war auf dem Kameltaschensofa.
»Ich will nur Toilette machen.«
Dann taten sie einen Gang. Wenn sie unter den Lampen vorbeikamen, kehrten die Leute sich um nach ihnen. Sie speisten in Claudes Gasthaus.
»Die uns so anstarren, sind Herren aus der Stadt«, erklärte Ute.
»Ach so, weil du sonst für ›solide‹ giltst? Deine Wirtin hat mir deinen Ruhm gemeldet.«
»Das heißt, sie meinen ja, ich gehöre dem Panier. Aber da der noch in München ist –«
»Er heiratet in diesen Tagen.«
»Weißt du, daß die Söhne hier wütend sind? Man sagt, er muß aus dem Geschäft treten. Sie zahlen ihm nur noch 'ne Rente oder so.«
»Oh! An mir wird er sich dann schadlos halten.«
Jeder Eintretende drückte sich an ihrem Tisch vorbei, grüßte Ute und überflog neugierig Claude.
»Aber weißt du, ich finde die Leute hier gräßlich indiskret.«
»Dann mußt du nicht mit einer Schauspielerin ausgehn. Übrigens kann ich's brauchen, daß man mal wieder über mich klatscht. Du solltest es machen wie Panier.«
»Wieso?«
»Und abends mit Gepränge bis in meine Straße ziehn. Dann, zwei Schritt von meinem Hause, schlängelst du dich um die Ecke.«
»Danke. Wozu denn?«
»Wie gesagt, ich hab's nötig. Voriges Jahr –«
Sie sah ihn wieder an, ihr Blick hielt wieder sein Erstaunen nieder.
»– da hab ich viel mehr Erfolg gehabt, mußt du wissen. Allerdings ist jetzt eine da, die hält mit ihren Liebesgeschichten die ganze Stadt in Atem ... Die Polizei sogar.«
»So? Wer ist das?«
»Die muntere Liebhaberin, die erste neben mir. Das heißt, ich bin die Sentimentale. Nun, du kriegst sie schon zu sehn. Schau dir mal den Dicken an, am vierten Tisch.«
»Ja?«
»Der hält sie aus. Das heißt, er tut das meiste dazu. Seine Frau hat einen Leutnant.«
»Eine feine Familie.«
Sie gerieten beide ins Lachen.
»Was willst du. Reiche Leute, die sich langweilen. So was gibt's hier viel.«
»An München muß man nicht denken.«
Sie unterhielten sich, das Essen war nicht schlecht, mit dem Haut Sauterne hatte Claude es gut getroffen. Utes Blässe wirkte wundervoll vampirhaft zwischen ihren schwarzen Spitzen und dem Gefunkel ihres Haares. Unter der Lampe vertieften sich ihre Augen ganz schwarz ... Trotzdem war es nicht wie früher daheim, wenn sie bei Tisch, gut angezogen, einander gegenübersaßen, niemand ansahen und es genossen, sich schick zu fühlen. Ute schien unruhig, fortwährend besorgt um ihren Eindruck auf all diese Bürger, die sie reizten und von denen sie Wegwerfendes erzählte. Sie lächelte im Profil und von vorn, wand den Arm um die Stuhllehne, verteilte alle Rosen, die das Blumenmädchen zu verkaufen hatte, über den Tisch ... Claude fühlte sich unbehaglich, als sei unvermutet der Vorhang aufgegangen, und er habe auf der Bühne die Zeit verpaßt.
»Und wohin geht man jetzt?«
»Wohin –. Aber ins Theater natürlich.«
»Da du nicht zu spielen hast –«
»Das ist einerlei. Ich gehöre ins Theater ... Und dann kannst du dich gleich davon überzeugen, was an der anderen dran ist – abgesehen von ihren Abenteuern.«
»Was wird denn dran sein«, meinte Claude mit Abneigung.
Sie betraten die Proszeniumsloge und fühlten sofort zwanzig Gläser auf sich gerichtet. Der Saal war hell. Auf der Bühne, in einem Kreis von Männern, sprach eine kleine, blasse Person ganz allein, unaufhörlich, rasch, mit einer harten, hohen Stimme, deren Erregung immerfort zunahm. Schließlich rief sie dem jungen Manne ihr gegenüber zu:
»Wenn ich bedenke, daß es zwischen mir und diesen Geschöpfen etwas Gemeinsames gibt und daß dies Gemeinsame du bist –!«
Dann ließ sie sich eine Zigarette geben.
»Ist das nicht Francillon?« fragte Claude.
»Ja, so ein Schmarrn«, erwiderte Ute. »Hast du ihre Tirade eben gehört? Das sind die Stücke, in denen alles auf rohe Pointe zugeschnitten ist. Eine ganz geringe Sache ist zu so viel aufgeregten und dabei – das ist das Dumme – geistreichen Phrasen angeschwollen, daß sie den Stumpfesten am Ende überwältigt und er Bravo schreien muß. ... Was anderes wäre ja für so eine unkünstlerische Darstellerin auch gar nicht möglich ...«
Francine war abgegangen. Das Publikum vereinigte seine Aufmerksamkeit ganz auf Ute und ihren Begleiter. Ute sprach, von ihrer Loge aus, unhörbar, und doch für den ganzen Saal. Aber Francine trat wieder auf, und alles sah hin, von Ute weg. Ute flüsterte noch:
»Die Rebekka, die ich morgen spiele, an die hat sie sich auch schon gewagt. Na, die hat der Alte ihr rasch wieder abgenommen.«
Francine sprach von dem Nähren ihrer, noch dazu künftigen Kinder mit einer Verführung in ihrer häßlichen Stimme –: Claude wünschte, sie zu verachten. Gleich darauf streckte sie den Arm aus und entschleuderte:
»Und das Blut, das ihr so stolz seid, für das Vaterland zu vergießen, ist nichts anderes als die Milch, die wir euch geben!«
Ute stieß Claude an. Jawohl, er wußte, wie sehr da wieder die Wirkung im Sturm genommen war; aber ein Schauer davon rieselte noch immer in ihm ... In der Blässe dieses kleinen Geschöpfes, das sich dort unten abarbeitete, schmal und zuckend, öffneten sich weit zwei schwarze Augen. Darüber weg strichen dünne Brauen. Das ganz dunkelblonde Haar glitt blank und gewellt um das mattglänzende Oval des Gesichtes. Ihre Nasenflügel blieben immer in Bewegung, das Kirschrot ihrer Lippen, eng, dick und vorgeschoben, schrie schon, bevor noch Worte kamen. Die blassen Kinderhände waren unter grünen und roten Blitzen zart und wild.
»Hast du gesehn«, fragte Ute, nun der Akt aus war, »als sie den Unsinn steigen gelassen hat mit der Milch, wie sie da den Kopf zurückwarf und was sie für schwarze Nasenlöcher kriegte?«
»Sie ist unsympathisch«, bemerkte Claude. »Wie heißt sie denn?«
»Ach, das weißt du noch nicht. Gilda Franchini nennt sie sich. Zu dumm, nicht? Erstens sind italienische Namen nicht mehr modern, einen nordischen muß man haben. Und dann ist sie aus Frankfurt an der Oder.«
»Wie die Sarah Bernhardt?«
»Ja. Herz soll sie heißen ... Nun bitt ich dich, wenn man so eine platte Tirade zu sagen hat, die überdies unappetitlich ist, das bringt man doch kaum über die Lippen, man läßt es unter den Tisch fallen, nicht wahr?«
»Zweifellos. Geschmackvoll hat sie's nicht gemacht.«
Ute warf sich in den Schultern herum.
»Es ist nicht auszuhalten – mit ansehen zu müssen, daß die Leute klatschen, und man kann nichts dabei tun. Dieselben Leute, auf deren Beifall auch unsereiner angewiesen ist! Verstehst du? Das ist das Beleidigende. Die Person, dumm wie sie ist, bildet sich natürlich ein, ich sei neidisch. Lieber Gott, worauf denn? Ihre Skandalerfolge, die könnte ich ja auch haben, ich müßt es halt so einrichten, daß zu dem, was ich am Leibe trag, aus jeder bessern Familie der Vater oder der Sohn was beigetragen hat. Wie dann die Frauen und die Schwestern sich für mich interessieren würden!«
»Allerdings«, meinte Claude.
»Ach – als Künstlerin neben einer solchen Rivalin zu stehen. Wenigstens sehen alle sie neben mir, mag ich selbst mir auch vorhalten, daß sie künstlerisch gar nicht vorhanden ist ... Ich sag's dir, wie's ist, davon bin ich abgemagert.«
»Ute, du, die so hoch steht, so hoch ...«
Er nahm unter der Logenbrüstung ihre Hand, er war erschüttert, von raschem Haß auf jene andere und von Angst – er wußte nicht, wovor. ›Warum hat sie auch mir vorhin einen Schauer eingejagt – wodurch? Mir, der ich neben Ute sitze!‹
»Eben grüßt der Sohn herauf«, sagte Ute. »Der Sohn von den Hammekens. Wir sitzen nämlich in der Loge der Frau. Sie ist nicht da, weil sie einem Herrendiner präsidieren muß, das ihr Mann gibt.«
»Die Frau, die den Leutnant hat?«
»Ja.«
»Und deren Mann die Franchini hat!«
»Und die Franchini hat wieder den Leutnant: so schließt sich der Reigen.«
»Ganz derselbe Leutnant?«
»Na ja, zu der Hammeken geht er aus Pflichtgefühl und wegen der Diners.«
»Das muß aber zwischen all den Leuten ein hübscher Familienfriede sein?«
»Hammekens, Mann und Frau, lassen sich in Ruh, sagt man; die sind nicht eifersüchtig. Aber die Franchini und die Hammeken – oh!«
»Wegen dem Leutnant?«
»Neulich, in einem blöden Lustspiel, wo die Franchini mit Sofakissen herumzuwerfen hatte, hat sie ein Kissen hier herauf und der Hammeken ins Gesicht geworfen. Na und – du solltest die Hammeken kennen.«
»Bist du bekannt?«
»Sehr gut. Du kannst dir denken, ich, wegen meiner Anständigkeit, werde von allen Ehefrauen, die durch die Franchini gekränkt sind, zu Tees gebeten. Die Franchini aber auch.«
»Es scheint, Langeweile macht die Sitten freier.«
»Oh – der Franchini geht sogar der Oberst auf der Straße mit ausgestreckten Händen entgegen. Und dabei weiß er, seine Offiziere brauchen ihr nur einen Korb Sekt oder einen seidenen Unterrock zu stiften und – haben sie alle.«.
»So, sie nimmt die Werbungen in Form von Naturalien entgegen.«
Der zweite Akt war im Gange. Francine, ganz durchschüttelt, beichtete ihre widerwärtigen Erlebnisse auf dem Opernball, auf der Fährte ihres treulosen Gatten, unter halbnackten Weibern und Bezechten. Sie hatte sich gerächt, hatte sich einen Mann genommen, gleich ihm, der seine Dirne hatte.
»Er war mir dasselbe, was unter andern Verhältnissen eine Flasche Gift oder ein Kohlenbecken hätte sein können. Übrigens ist niemand dabei ums Leben gekommen. Es gibt nur einen Untreuen mehr und eine anständige Frau weniger.«
Wie der verzweifelte Abscheu ihre Stimme brach, ihre Gesten mit Grauen füllte!
»Und bedenke«, flüsterte Ute, »daß sie lügt. Sie will ihren Mann nur strafen, sie hat sich dem Unbekannten gar nicht hingegeben. Was kann sie also fühlen bei der ganzen Sache? Es ist wirklich nur frivole Komödie.«
Claude mußte auf Francine hören, er versuchte umsonst, von ihr wegzudenken.
»Wenn die Leere, in der ich mich jetzt und für alle Zeiten fühle, mir Schauder einflößen und mich dazu treiben sollte, mir das Leben zu nehmen, ich wüßte wahrhaftig nicht, welche Stelle an meinem Körper ich mir aussuchen könnte, um noch etwas Lebendiges in mir zu ermorden.«
»Ein berechneter Wortschwall«, erklärte Ute. »Natürlich. Denn sie lügt ja, sie lügt. Ihr Körper ist ja gar nicht berührt worden. Glaubst du ihr etwa ein Wort?«
Claude glaubte. Das zerbrechliche Geschöpf dort unten ward ja gesprengt von Leidenschaft. Sie mochte in der vergangenen Nacht getan haben, was sie wollte. Man glaubte ihr, daß sie sich hingegeben habe, und man hätte ihr einen Mord geglaubt. Sie log nie.
Beim Abgehen stolperte sie.
»Nicht einmal gehen hat sie gelernt«, murmelte Ute. Und da Claude schwieg:
»Hältst nun auch du mich für neidisch?«
»Nein. Ich verstehe, was dich entrüstet. Die Franchini arbeitet nicht.«
Ute nickte heftig.
»Ich bin pedantisch, wenn du willst, aber nach meiner Überzeugung kommt in der Kunst zuerst die Arbeit. Ich leugne gar nicht, daß die Franchini von Hause aus etwas hat – ich weiß nicht, was es ist, aber es wirkt, besonders auf Männer ... nur auf Männer, glaub ich ...«
Claude schwieg, unruhig.
»Und dabei – heute haben wir's ja gut getroffen mit ihr; aber immer kann man sich auf solche rein sinnliche Begabung nicht verlassen. Wer von der Kunst was versteht, merkt ohnehin gleich, daß hier nicht gearbeitet worden ist. Na, und zum Arbeiten hat sie doch überhaupt keine Zeit, da sie jede Stunde mit Liebesgeschichten besetzt hat.«
»In dem Akt kommt sie wohl nicht mehr?«
»Nein. Und im dritten ist nur die alberne Aufklärung, dabei ist ihre Rolle ziemlich unbedeutend, und sie fällt ab.«
Sie lachte.
»Siehst du, wenn ich neidisch wäre, würde ich nun gerade dableiben.«
»Also gehen wir«, meinte Claude.
Und draußen fühlte er sich entronnen.
Am Abend darauf saß er allein in »Rosmersholm«, und Ute ging vor ängstlichen Zuschauern durch das stille und unheimliche Stück, worin alles schon fertig war, als der Vorhang zum ersten Mal aufging. Bis in die letzten Szenen ward vom Vergangenen geredet, und von Anfang an blieb eigentlich nichts übrig, als in den Mühlbach zu gehn. Früher – oh, früher, da war Rebekka, da war Ute stark gewesen, unabhängig inmitten dieser Welt von Schulmeistern. Da hatte sie jeden behext, den sie behexen wollte, ihn in eine verzweifelte Verliebtheit gestürzt. Da hatte sie »begehrt« und »gehandelt«. Da hatte sie einen mutigen, freigeborenen Willen gehabt. Nun hatte Rosmersholm sie gebrochen. Sie hatte den Mut verloren, die Frucht ihres Verbrechens zu genießen. Ihre lange Arbeit war umsonst und diese Frau ein Bild der Erfolglosigkeit.
In Claude wand sich eine tiefe Angst. Er bildete sich in Eile die nächste Verwandtschaft ein zwischen sich selbst und dem elenden Pastor mit der Leiche auf dem Rücken. Das Zusammenleben mit ihm, in Zurückgezogenheit, in Einsamkeit, das rückhaltlose Geben der Gedanken, die Stimmungen, zart und weich – das alles hatte Rebekka unterwühlt, hatte Ute unterwühlt ... Ach, welch Unsinn. Rebekka war schwach geworden, seit sie liebte. Und Ute – oh, dafür war keine Gefahr. Ute blieb stark, Ute war nicht erfolglos.
Aber mit dem Publikum war Claude äußerst unzufrieden. Es klatschte bei jedem Aktschluß, gewiß, und es atmete dabei auf von der Anstrengung, mit der es all den rückwärts gewandten, feinzügigen Auseinandersetzungen gefolgt war. Es klatschte gewissermaßen zur Belohnung der eigenen Anstrengung und auch, weil es fühlte, daß hier etwas sehr Schwieriges geleistet worden war. Aber an einer besonders scharfsinnigen Stelle, wo Ute es vor geistiger Genugtuung hätte seufzen machen müssen, da ruhte dieses Publikum sichtlich gerade seinen Kopf aus.
Zum Schluß gerieten sie in Bewegung, die Leute, als es sich allen Ernstes darum handelte, in den Mühlbach zu gehn. Und das war doch das wenigste ... Ja, aber es war das einzige, was geschah! Gestern, in dem Stück von Dumas, hatte man sich stürmisch gestritten, einander belogen, betrogen, zu Leidenschaft hingerissen. Und zuletzt hatte die Frau ihren Mann zurückerobert. Die war nicht erfolglos.
Claude ging beklommen hinaus, nach einem letzten Blick über alle Logen hin. Die Franchini war überhaupt nicht erschienen. Er war in der Pause auf der Bühne gewesen und hatte Ute Blumen gebracht. Die Franchini kam nur, wenn sie mußte. Das beruhigte Claude, denn es schnitt ihm angesichts der Möglichkeit, sie plötzlich zu entdecken, noch immer durch die Eingeweide vor Wut und vor Schrecken.
Er erwartete Ute auf der Straße. Als das Publikum sich verlaufen hatte, blieben ein paar junge Leute mit Schülermützen übrig und vier Backfische, einer in den Arm des andern gehängt. Ute erschien, das Taschentuch vor dem Munde. Sie spähten ihr stumm und eifrig unter den Hut. Einer der Gymnasiasten faßte sich das Herz, den Wagen zu öffnen, mit einer Verbeugung vor Claude. Vor ihr wagte er sich nicht zu neigen. Ute nickte den jungen Mädchen zu.
Unterwegs sagte sie:
»Das, siehst du, hat die Franchini nicht! Die ganz jungen Mädchen, ich hab es von ihnen selbst, verachten sie, sogar wenn sie nicht wissen, warum. Na, und die jungen Leute, ihr Taschengeld reicht nicht aus, sonst könnten sie sie ja haben ... Aber die da wollen gar nicht.«
»Wer begeistert ist – für dich, Ute.«
»Wer empfindet denn mit uns, mit unserer besten Kunst. Die kaum Zwanzigjährigen, fast nur sie. Nur ihnen kann das, was eine andere Seele, ein Künstler, fortgibt, zum Erlebnis werden. Denn nur ihre Seele ist noch neu, hat noch einen fragenden Blick, ist noch kein gleichgültiges, verbrauchtes, allen zugängliches Frauenzimmer. Wenn sie älter werden –«
»Entweder ist der Mann dann selbst einer und hat nichts übrig für andere, oder die Routine des Lebens hat ihn stumpf gemacht. Ich verstehe das, was die Männer betrifft. Aber die Frauen ...«
»Oh, die sind nicht besser«, behauptete Ute. »Es ist immer nur ein Teilchen von ihnen, das mit uns empfindet, und das empfindet wieder nur ein Teilchen von uns – und alles nur vorübergehend. Ich bitte dich, was kann uns an der Hingerissenheit einer Frau liegen, die sofort zu sich kommen würde, wenn ihr jemand ins Ohr flüsterte, ihr Mann habe hunderttausend Mark an der Börse verloren. Entweder ich, der Künstler, bin der erste in einer Seele, oder es ist zwecklos, darin zu sein ... Oh! Nur die kaum Zwanzigjährigen hat unsereiner.«
»Und mich«, murmelte Claude geängstigt, weil sie sich beschränkte, sie, die immer nach dem Rausch vom Beifall ganzer Volksmassen verlangt hatte. »Mich hast du nicht?«
Sie drückte seine Hand.
»Oh, dich ... Es ist ja wahr, du bist schon um anderthalb Jahre hinaus über zwanzig.«
»In Wirklichkeit um noch mehr, glaub ich.«
»Und du warst zufrieden heut abend?«
Er antwortete nicht gleich. Plötzlich fühlte sie im Dunkeln einen heißen Tropfen ihre Hand treffen. Claude stammelte:
»Ich hab dich nie – nie so geliebt, nie so ...«
Und er empfand – mit Angst, austrocknender Begierde, Schwäche und Jubel empfand er, daß das wahr sei. Sie in seine Arme reißen! Ihr zujauchzen und zuweinen, daß sie ihm gehöre! ... Er sagte erstickt:
»Sie haben alle geklatscht, du hast viel Erfolg gehabt. Aber ich weiß es doch, keiner verstand dich wie ich, keiner war so nahe bei deinen Worten.«
Sie kamen an. Claude brauchte sehr lange, um die Haustür zu öffnen. Er bückte sich, im Ernst zweifelnd, ob er sich nicht im nächsten Augenblick umwenden, Ute ergreifen, rauben und bis hinauf in ihr Schlafzimmer tragen werde. Er begehrte sie zu dieser Stunde, als sei sie ihm ganz neu und er plötzlich vom Blitzschlag der Liebe getroffen – in der hastenden Furcht, sie auf immer zu versäumen. Und zu der Sucht, von ihr begnadet zu werden, floß sengend in sein Blut ein neuer Drang: sie zu trösten. Ja, auf einem engen Lager und einem gemeinsamen Kopfkissen, mit seinem Atem, den Drücken seiner Lippen und den Ergüssen seiner Kraft sie zu trösten – er wußte nicht, worüber; vielleicht, weil sie so hoch, so schön, so fern war, und weil niemand sie verstanden hatte. Wie eine ganz allein gelassene Königin saß sie steil auf einem steinernen Thron und hatte vor ihrem Schoß ein Schloß. Er wollte es sprengen!
Die Tür war offen. Ute sah ihn noch dastehn. Sie genoß auf seiner tiefen Blässe den vollen Triumph ihrer Kunst. Langsam schritt sie an ihm vorüber.
Er ging mit Kopfschmerzen zu Bett. Mittags beim Essen, im Restaurant der Schauspieler:
»Und die Franchini läßt sich hier niemals blicken?«
»Was meinst du, die bewohnt ja eine Villa vorm Tor ... Du kannst sie besuchen.«
»Damit nachher alle glauben, ich habe dich betrogen.«
»Wie mir das egal wäre.«
Ute war auf einmal übellaunig.
»Wie der dort wieder gafft! Ja, da sitzt die Ende, da sitzt sie. Staubig und müde ist man von der Probe und muß hier Parade sitzen. Ich will dir sagen, das paßt mir nicht länger, ich werde auf meinem Zimmer essen.«
Seitdem sah Claude sie tagsüber noch seltener, abends fand er sie wieder, in irgendeiner Operette als wunderschönes Bauernmädchen. Der Franchini stand die Tracht nicht, sie verschwand neben Ute. Dann kam Lohengrin, und der Herzog Gottfried war Ute. Natürlich: mit den Beinen der Franchini war sicher nicht Staat zu machen.
Ute spielte Iphigenie und Maria Stuart. Als sie die Königin des Don Carlos war, verschmolz Claude, dahinten in seiner Loge, mit dem Prinzen und seiner Sehnsucht. Und die Begehrlichkeit der Eboli verursachte ihm ein Brennen, als sei die Franchini ganz aus Gift.
Im »Johannisfeuer« war die Franchini die stimmungsvolle Lettin mit den Sklaveninstinkten, um derentwillen der junge Mann die germanische Braut verläßt. Die Braut gab Ute; aber Claude blieb an dem Abend aus dem Theater weg.
In der Pause betrat er zuweilen die Loge der Frau Hammeken. Ute hatte ihn bekannt gemacht.
»Fragen sie dich über unsere Beziehungen aus, mußt du lügen. Sie verstehn es sonst nicht.«
Er sagte also:
»Mein Gott, gnädige Frau, wie das so geht im Leben. Ich habe Fräulein Ende vor kurzem in der Bahn kennengelernt, erfuhr von ihr, sie sei Schauspielerin und faßte natürlich sofort die – Vorsätze, die man in solchem Fall gewöhnlich faßt. Ich gestehe meinen Fehler. Jetzt, seit ich die Dame hier in ihrem Wirkungskreis beobachten konnte, weiß ich genau, was ich zu tun habe. Wir gedenken uns einfach zu heiraten.«
»Und daran tun Sie außerordentlich recht, denn Fräulein Ende ist wirklich eine Ausnahme. Oh, man sollte wohl bei Schauspielerinnen nicht immer an solche – Wesen denken wie die Franchini.«
»Das ist 'n gutes Mädchen«, bemerkte einer der Offiziere hinter ihnen. »Sie kann nicht nein sagen.« Die jungen Mädchen, mit denen sie sprachen, erklärten die Franchini für schick.
»Das Fichu soll Papa mir auch schenken, so gut wie er's ihr geschenkt hat.«
»Aber gnädiges Fräulein befinden sich im Irrtum. Das ist ja das von Ihrem Herrn Bruder.«
»Ach, darum hat er sich gestern von mir hundert Mark gepumpt ... Und Leutnant von Zitzeltitz kauft ihr gar nichts? Der ist aber sehr glücklich.«
»Der ist die längste Zeit glücklich gewesen. Er ist Knall und Fall versetzt.«
»Wegen der Franchini – oh!«
Und während des Aktes, der nun kam, verschwendete Ute all ihre Kunst. Denn der Saal sah nur die bebende kleine Liebhaberin dort auf der Bühne, haschte nach ihren Blicken für den jungen Offizier drunten im Parkett, schnüffelte schon den lauen Duft von heut nacht in ihrem Schlafzimmer. Claude war erbittert, und dabei fühlte er sich mitschuldig, er mochte dagegen einwenden, soviel er wollte.
»Es herrscht hier ein sehr geringes Kunstinteresse«, sagte er nachher zu Frau Hammeken. Sie waren allein. Die Frau sagte mühsam und mit feuchter Stimme:
»So? Wir sind doch begeisterte Theaterfreunde.«
»Ja, wenn gerade ein Leutnant versetzt wird.«
Die Frau stöhnte. Ach so. Sie war ja die Rivalin der Franchini.
»Wie dieses kleine Wesen unsympathisch ist«, äußerte Claude sofort. »Wie man unter der leiden muß – ich meine, wenn die Umstände sie einem auf den Weg werfen.«
Und er litt selbst, für Ute.
»Ja, Sie reden wahrer, als Sie meinen«, entgegnete Frau Hammeken mit heftigem Zittern. »Die versteht es, solche Schlange. Und halten Sie es wohl für möglich, daß ein anständiger Mensch, ein Mensch von Stand und Erziehung, ernste Gefühle faßt für so eine, die der ganzen Stadt zur Verfügung steht.«
»Gegen Entrichtung von einem Korb Sekt oder einem seidenen Unterrock.«
»Sie sind unterrichtet. Ja. Und doch – doch – geschieht so etwas. Das Leben, haben Sie das nicht auch gefunden, ist manchmal, um die Wände hinaufzukriechen.«
Und jetzt weinte sie offenkundig. Sie mußte dem Saal den Rücken wenden, damit man es nicht bemerkte. Ihr rotes Gesicht quoll auf, sie faßte Claudes Hand, führte sie bis vor ihre große Brust.
»Sie lieben eine, die ist Ihrer würdig«, sagte sie, und unter ihren Tränen erstickte Zärtlichkeit. Claude war sicher, sich nicht zu täuschen. ›Ich habe Übung genug in so was, mit der Methodistenpastorin, mit Frau Blum und all den andern ... Die hier will sofort getröstet werden.‹
»Siehst du wohl«, setzte er hinzu; denn am Schluß der Vorstellung weigerte Frau Hammeken sich, auf ihren verspäteten Wagen zu warten, und verlangte Claudes Begleitung.
»Das ist die Villa der Franchini«, schluchzte sie einmal auf unter einem roten Fenster. Und vor ihrer eigenen Wohnung, mit einem Druck auf seinen Arm:
»Morgen nach dem Lunch bin ich zu Hause und wahrscheinlich allein.«
Claude stürmte ins Hotel zurück. Ute saß noch im Speisesaal, fast der einzige Gast.
»Weißt du, was mir eben passiert ist? Man hat mich verführen wollen. Jawohl. Die alte Hammeken.«
Er lachte, er empfand gar kein Mitleid mehr mit der Verlassenen.
»Übrigens«, sagte Ute, »soll sie die Versetzung des Leutnants ja selbst bewirkt haben, aus Haß auf die Franchini.«
»Die wird auch eine Wut haben.«
»Heute nacht –«, warf Ute hin, und der Gedanke an das rote Fenster durchströmte auf einmal wild Claudes Blut. Jetzt hatten die ihre letzte Nacht.
»Es ist doch lächerlich«, rief er, »mich verführen zu wollen, nachdem ich eben erzählt habe, wir seien verlobt.«
»Was hätte es mir gemacht.«
»So? Ah, du bist nicht lieb.«
Sie sah ihn fest an.
»Ich bitte dich, das ist für uns doch ganz gleich.«
Ja natürlich war es gleich. Er murmelte:
»Ich meine nur – daß wegen einer, die die Geliebte der ganzen Stadt ist, hier Dramen geschehn, und ich soll womöglich mitspielen. Während ich bei dir bin, Ute, bei dir – und so froh bin, weil in all dem Unsinn wir zwei zusammengehören.«
Aber er ärgerte sich plötzlich über die schlechte Beleuchtung des leeren Saales und bat Ute, hinauf in seinen Salon zu kommen. Der Kellner brachte das Essen mit einer Miene, die breiter geworden war.
»Endlich fängt man an, unsere Unschuld zu bezweifeln«, so stellte Claude fest. Ute sagte:
»Ich hätte vielleicht nicht so lange auf dich gewartet, weißt du. Aber es gibt was Wichtiges. Die Franchini will mir nämlich die Traute wegnehmen in ›Rosenmontag‹.«
»Das ist aber –«
»Ja, es ist unerhört. Denn die Sentimentale bin doch ich und die schwere Salondame auch. Sie ist eigentlich bloß die muntere Liebhaberin, und wenn sie sich auch Heroinenrollen anmaßt, das ist doch kein Grund, daß sie die Traute kriegt. Sie behauptet, sagt der Direktor, die Traute sei Heroine, weil zum Schluß geschossen wird.«
»Blödsinn«, entschied Claude.
»Der größte Blödsinn sind die veralteten Fächer, in die wir eingeteilt sind. Man sollte das modernisieren und einer eine Rolle geben, nicht weil sie von Amts wegen Heroine ist, sondern weil sie sie spielen kann. Eine Heroine kann vornehm, bürgerlich, hysterisch oder einfach eine Schreidame sein. Es ist möglich, daß mir das sehr Aufgeregte nicht liegt. Aber der Franchini liegt bloß das Aufgeregte.«
»Sie ist äußerst einseitig.«
»Eine, die nicht arbeitet ...«
»Und der Direktor?«
»Den kennst du ja. Solch kleiner Ochsenfrosch, geschwollen und boshaft. Ich kann den Menschen nicht mehr sehn. Dabei geh ich immerfort in die Kanzlei, tu schön und preis meine Talente an.«
»Aber die Franchini tut es vielleicht noch – nachhaltiger.«
»Ich weiß nicht, wir weichen uns aus. Aber übermorgen ist die erste Probe, dann gibt es Krach.«
»Wir müssen vorbeugen, den Direktor bearbeiten.«
»Ich habe alles getan.«
Claude knallte mit zwei Fingern.
»Aber das Sektsouper fehlt noch!«
Ute nahm den Kopf aus den Händen, legte die Zigarette weg.
»Ich will nur ehrlich sein: ich hab auch daran gedacht. Wer mir das voriges Jahr gesagt hätte!«
»Aber das ist doch ein kindliches Mittel. Die Franchini muß wenig Erfahrung haben –«
»Oh!«
»Oder geizig sein. Sonst wäre sie uns zuvorgekommen. Sekt muß bei so einem alten Menschen ja mehr wirken als – Liebe.«
»Es ist schon fast dasselbe«, murmelte Ute und schloß die Augen. »Beides zum Übelwerden ... Aber machen wir's; die Kunst will es ... Da hast du einen netten Salon.«
»Und er steht dir: dies Gelb ist warm, wenn auch fleckig.«
»Was wir vorhaben, ist auch nicht sauber ... Nun, dann verführ ich den Alten hoffentlich, wenn mir die Tapete steht ... Aber die Franchini darf die Farbe nicht wissen.«
»Die Franchini?«
»Die soll nämlich auch kommen ... Du glaubst, ich werd hinter ihrem Rücken –? O nein, so weit geht's nicht.«
»Aber das ist doch Unsinn, was soll sie dabei. Übrigens hast du immer für den Erfolg deiner Kunst intrigieren, kämpfen, den andern schaden gewollt.«
»Nicht dieser. Je niedriger ihre Wege zum Erfolg sind, desto höher müssen meine gehn. Gegen sie erschleich ich nichts. Wenn sie dabei ist, das ändert die Sache. Dann kann sie sich wehren.«
»Aber –«, und Claude lachte erregt – »wir kommen vielleicht nicht auf unsere Kosten.«
»Wieso.«
»Wenn sie beim Souper unsern Zweck vereitelt –«
»Du willst sagen, wenn sie dem Alten besser gefällt?«
»Mein Gott, wie könnte sie denn!«
»Nun also.«
»Aber das ist doch Unsinn«, wiederholte er bestürzt. »Die darf ja nicht dabeisein.«
»Warum nicht, was hast du denn.«
Ute hob die Schultern.
»Also morgen abend«, schloß Claude gesenkten Kopfes.
Er ging nicht ins Theater, sondern überwachte das Herrichten der Tafel, probierte die Weine, ließ sich genaue Rechenschaft geben über die Speisen, begab sich sogar in die Küche. Kurz nach zehn erschienen seine Gäste, alle drei auf einmal. Der Direktor, mit herausquellenden Augen, fett, gekrümmt und über den Augen einen weißen Schopf, machte einen schmutzigen Mund und flüsterte an Claudes Ohr:
»Da haben Sie das kleine Schwein.«
Claude lächelte höflich.
Als man sich zu Tisch setzte, sagte der Alte:
»Ihre Freundin ist aber göttlich.«
Und er verbeugte sich, Speichel im Mundwinkel, vor Ute und vor der duftenden Platte, die ihm der Kellner hinhielt. Der Franchini machte er kein Kompliment, und sie verhielt sich ganz still. Sie tat Claude auf einmal leid, er sagte ihr etwas Freundliches. Wie sie kindlich aussah! Dieses Gesicht hatte er von der, die sich auf der Bühne abgearbeitet hatte, nie erwartet. Sie war in blaßlila Seide, mit einem Amethyst auf dem gewellten, dunkelblonden Scheitel, und weiße Spitzen über den Schultern. Hatte sie die Farbe des Zimmers vorhergewußt? Wenn Claude sie ansah, lila vor der sattgelben Wand und der weißen Tafel, dachte er an einen Fliederbusch auf einer Wiese aus Kamillen und Margeriten. Sie war ja – diese Geliebte einer ganzen Stadt –, sie war ein wahrer Frühlingstag, so jung, blaß und gelinde.
Aber Ute, in silberweißem Satin, schlank wogend und Spitzeneinsätze umglänzend, oh, Ute war das reiche, starke Leben in all seiner, Claudes Herz schwellenden Fülle. Ihre geschliffenen Nägel blitzten an den Kristallen, tiefer als der Wein blutete ihr Haar.
Der Direktor sprach von Berlin. Jedesmal, wenn er mittels sklavenhändlerischer Kontrakte und wilder Geldbußen an einem Provinztheater ein hinlängliches Kapital zusammengerafft hatte, pachtete er in Berlin ein großes Vergnügungslokal mit entkleideten Mädchen auf der Bühne, in den Soupierzellen und überall ... Die riesige Stadt, die er erobern wollte, hatte ihn noch immer zurückgeschlagen. Um einen Bankerott älter, wandte er sich der Provinz und klassischen Schülervorstellungen wieder zu. Nun war er weiß; aber er ließ nicht ab.
Er war schon stark angetrunken. Er ließ die Hand schlaff von der Rückenlehne hängen, schob sich nur manchmal ein Stück Dessert in den Mund, zupfte das graue, feuchte Hemd, das ihn bedrängte, noch weiter aus der Weste heraus. Seine Augen, kugelförmig, wollten aufs Tischtuch fallen ... Da begann Ute von »Rosenmontag«.
Claude, plötzlich sehr laut, schleppte einen Sektkübel zu dem Tischchen beim Fenster, forderte die Franchini auf:
»Fräulein, da sitzen Sie aber weit besser. Und wenn Sie wüßten, wie das große gelbe Satinpolster Ihnen steht.«
Sie folgte, trank gehorsam ihre Schale leer, und als er wieder eingeschenkt hatte, noch einmal. Ute rief flüchtig nach ihr; aber der Kampf um die Rolle entschied sich ohne sie. Ihre dunkeln Blicke klafften umrändert, stumm, abwesend. Claude ward gleich wieder still, leerte sein Glas, betrachtete sie. Plötzlich fragte er, auflachend:
»Warum heißen Sie Gilda? Haben Sie das aus dem ›Rigoletto‹?«
Sie schrak auf.
»Wie? ... Nein, ich heiße wirklich so.«
»Aber – aber Franchini doch wohl nicht?«
»N–ein, nicht ganz.«
»Wieso, nicht ganz.«
»Nur mein Vater hieß so.«
Es entstand eine Pause. Dann, plötzlich:
»Fräulein, halten Sie mich nicht für Ihren Feind.«
Sie lächelte leise:
»Warum denn?«
»Weil meine Freundin die Rolle haben will. Sie wissen wohl, es ist nur gerecht.«
»Die Traute? Ja, der Direktor will sie mir geben. Bis zur ersten Probe gibt er eine Rolle abwechselnd der einen und der andern, aus reiner Bosheit. Behauptet er, ich möchte sie? Nein, die ist mir zu langweilig, zu weinerlich. Ich brauche jetzt was, worin ich mich austoben kann.«
»Aber eine schöne Rolle ist es doch, bitte.«
»Schöne Rollen sind mir ganz gleich.«
»Sie intrigieren nicht, um Rollen zu bekommen?«
»Nur soviel wie ich muß, zur Selbsterhaltung.«
»Am Ruhm läge Ihnen nichts? Und am Geld?«
»Ruhm, wozu? Geld muß da sein. Wenn's da ist, denk ich nicht dran.«
»Und die Kunst? Sie arbeiten nicht gern?«
»Was heißt das? Wenn ich mich austobe, ist das eine Arbeit?«
»Macht es nicht müde?«
»Nein, nur immer wütender macht es!«
Und ganz unvermutet beugte sie den Kopf über die Knie, drückte ihre Händchen vors Gesicht und schluchzte auf.
Claude sah betreten auf ihr schlängelndes Haar und den Amethyst herab. War das wegen des Leutnants? Aber, ein Leutnant mehr oder weniger –? Zwar hatte ihre letzte Nacht erst heute geendet ... Er spürte eine Blutwelle, trank nochmals. Die Franchini richtete sich auf.
»Verzeihen Sie ... Sie machen Ihrer Freundin wohl nie Kummer?«
»W–arum?«
»Weil sie nie tobt und immer studiert ... Oh, Sie sind gut. Man sagt, daß Sie fast wie – wie Bruder und Schwester leben. Sie werden sie heiraten, sie nie verlassen, nicht wahr? Wegen einer Rolle geben Sie ein Souper. Sind Sie etwa reich?«
»Nein, nein.«
Claude log, ehe er's bedacht hatte. Er fühlte, er wußte nicht, woher, das Bedürfnis, vor diesem seltsamen Geschöpf als der vollkommene Liebhaber dazustehen, als einer, der sich immerfort selbst darbringen muß, weil er kein Geld hat, seiner Liebe irgendein Opfer abzukaufen.
Aber er besann sich auf etwas in seiner Tasche. Er entschuldigte sich, ging auf den Direktor los.
»Herr Direktor, eine von diesen Zigaretten? Da schaun Sie, das silberne Etui ist doch hübsch. Zufällig steht Ihr Monogramm darauf, A. K. Sie heißen doch Adolf?«
»Adolf Kulehwer, und ich danke verbindlichst.«
Er steckte die Tasche ein. Ute blinzelte Claude zu. Sie war erregt, rosig gefärbt vom Sekt und von ihrem Erfolge. Die Traute gehörte ihr, sie stürzte zu andern Eroberungen, Rollen der Franchini, die sie verlockten.
Claude wandte sich um, machte zwei Schritte von Ute fort, und jeder führte tiefer in eine neue Luft. Ganz darin, in Wellen von Jasminduft und in Stößen eines lauen Sturmes, saß die Franchini. Sie empfing ihn mit Augen, die heiß sannen.
»Sie können lieben«, sagte sie. »Und fürchten Sie gar nicht – Ihre Freundin treibt ziemlichen Luxus mit Toiletten –, fürchten Sie nicht, arm zu werden?«
»Was macht es. Inzwischen wird sie berühmt und reich sein.«
»So viel Vertrauen haben Sie! ... Und auch die Reue, später, die Reue alles hingegeben zu haben, Ihre Jugend und Ihr Geld – fürchten Sie nicht?«
»Reue, weil ich glücklich war? ... Denn alles – Leiden, Aufopferung, Verzicht –, alles, was sie auferlegt, ist ja Glück!«
Sein Herz ging stark, er machte eine Geste. Er vermochte vor den Augen dieser Frau höher und heißer Ute zu preisen als vor Ute selbst.
»Ach ja, wie sollten Sie Reue fürchten. Eine Liebe, deren Ende man für möglich hielte, wäre das noch eine Liebe?«
»Nein.«
»Eine Liebe, die von Ehrgeiz, Furcht oder Disziplin überwogen wird, zählt die? ... Wenn man liebt, nimmt man nicht lieber den Abschied, als daß man sich versetzen läßt? ... Ich, ich würde zehnmal kontraktbrüchig werden. Einer, der das nicht fertigbringt – oh –«
Und sie vertrieb mit beiden Händen alle Gedanken.
»– es ist unnötig, um den noch zu bangen!«
Wie auf ihrer schmalen Blässe die Lippen eng und fleischig sich spalteten, eine Wunde, die Leidenschaft aufriß!
Nach einer Weile des Schweigens fragte Claude leise:
»Ihr Vater ist also Italiener?«
»Ja.«
»Ihre Mutter Deutsche?«
»Aus Deutschland, ja.«
»Sie waren nie in Italien?«
»Doch. Bis zu meinem siebenten Jahre. Und vor – zwei Jahren wieder.«
»Aber dann sind Sie ja fast Italienerin. Sie müssen auch die Sprache reden?«
»Es ging noch, das letztemal.«
»Wissen Sie, wohin man hier Ihre Heimat verlegt? Nach Frankfurt an der Oder. Warum tun Sie nichts dagegen?«
Sie hob die Schultern.
»Es hat mich niemand gefragt.«
»Wirklich, ich bin der erste?«
Er fühlte sich auf einmal ganz allein mit ihr.
»Nicht wahr, darum kennen Sie heftigere Empfindungen als – wir. Weil Sie eine heißere Heimat haben. Ich war nie dort. Ich habe Vorstellungen von Leuten mit Kalabreserhüten, Leuten, die, während alles blau flimmert, auf eine Postkutsche schießen. Sind Sie einmal überfallen?«
»Ja. Aber nur von einem Dorf, das eifersüchtig war.«
»Ein ganzes Dorf? Und Sie liebten den Räuber?«
»Welchen Räuber. Manlio war ein junger Gutsbesitzer, er war noch nicht achtzehn, ich – erst fünfzehn. Oh, das ist so lange her.«
»Zwei Jahre, sagten Sie! Sie sind siebzehn?«
»Ja.«
»Siebzehn, erst siebzehn! Und das war Ihre erste Liebe?«
»Ja. Mama wollte noch einmal von Papa etwas erreichen. Wir waren acht Jahre lang fortgewesen, er war nun verheiratet. Er schickte uns zu einfachen Verwandten aufs Land, dort sollten wir umsonst wohnen. Auf einem Ball kam Manlio zu mir, ohne eine andere anzusehen. Ich stand auf, mit einem Schauer, schwankte, und mußte mich an seinen Arm klammern.
Wir liebten uns schüchtern und bis zum Schwinden der Sinne. Einmal, als wir abends unter den Sternen, zwischen den Feldern umhergeirrt waren – wir wollten über einen engen Steig ins Dorf zurück, da strich ein Mensch im Mantel von hinten an uns vorbei und noch einer und noch einer, wohl zwanzig: das ganze Dorf, und jeder murmelte etwas, man habe uns nun umarmt gesehn. Ich schrie, das sei erlogen. Manlio stampfte auf vor Wut, zog seinen Revolver, drohte ihnen. Er stand, während sie verschwanden, das Bein vorgestellt wie aus Eisen. Aus dem Mantel, der um seine Schulter eine große Falte schlug, reckte er den Arm, und an seinem Ende blitzte es metallisch ... Oh, da habe ich geliebt!«
Claude bebte, fühlte sich entrückt. Die Lichter im Zimmer verschwammen, ein Windstoß hüllte sie beide in den Duft der Büsche, die sich an Feldrainen neigten, unter einer Nacht, irr durchsprenkelt von Blüten und Sternen. Von ihrer eigenen Leidenschaft sprachen sie, von seiner und ihrer. Die Gestalten der Geliebten, die die wenigen Jahre dieser Liebenden bevölkerten, sie standen nur wie die Gesten von Claudes Leidenschaft ihren kurzen Weg entlang. Seine und ihre Sinne stürzten einander entgegen. Er wußte, das war sie: jenes kleine heiße Mädchen, das einmal, nur in einem Traum, aus Ute hervorgesprungen war, als träte es aus der Hütte am Sommerwalde; das Claude in Hingerissenheit geliebt, von dem er zu hohem Leben und zu schlimmem Ende geküßt worden war ... Er liebte Ute, während sein Blick und der der Franchini sich umarmten – nur Ute.
»Ja, gelitten. Die Spionage der Neidischen machte mich krank. Welche angstvollen Umarmungen. Man konnte uns täglich trennen, also töten. Ich sah uns tot, während ich ihm die Arme öffnete. Mein Kopf war ein lärmerfüllter Abgrund ...«
Claude nickte atemlos. Wie er das kannte, aus seinen Ängsten um Ute!
»Die Familien, die ihn für ihre Töchter wollten, ließen endlich nach mit ihren Anfeindungen. Man fing an, uns zu bewundern. Ach, es war zu spät, die Seinigen hatten ihn verstoßen, wir dachten ans Sterben ... Als wir daran dachten, war es ein brauner, heißer Regentag. Ich erstickte an unserm Gedanken, meine Augen waren voll Fieber, ein fahler Kreis lag unter ihnen. Auch die Gleichgültigsten betrachteten mich mit Schrecken. Aber ich wollte, daß er mich erschoß. Wir durften uns nur lieben, wenn wir starben ... Ach, sein Schuß ging fehl. Er floh, die Hände erhoben vor Verzweiflung. Und weil uns der Knall verraten hatte, war alles aus.«
Claude war es selbst, als habe er die Hände erhoben und die ganze Welt breche zusammen.
Die Franchini stand auf. Er besann sich, half ihr in den Mantel. Ute, wo war sie? Hatte sie ihn nicht mehrmals gerufen?
Der Direktor hatte sie fortbegleitet, Claude ging mit der Franchini. Er dachte unterwegs:
›Auch das Sterben für sie, die eine: alles werd ich erfahren.‹
Sie wanderten vor das Tor, an gelöschten Lampen vorbei, nur im matten Schein von Schnee, und dicht beisammen. Ihre Arme, die sie vor der Gartentür auseinanderlösten, sie fühlten sie beide wund und müde, solche Wucht von Begierden hatte sich darauf gestützt. Claude bückte sich über das Schloß in der Pforte und wußte dabei, hinter ihm stand die neu gefundene Ute und wartete. Sie wartete darauf, daß er sich umwende, sie ergreife, raube, in ihr Schlafzimmer trage.
Als Claude mittags nach der Probe ins Theater kam, war Ute schon fort. Er traf sie weder im Restaurant noch zu Hause. Später kam er wieder, da hieß es, sie schlafe. Er irrte umher, ungeduldig sie wiederzusehen, festzustellen, daß ein dunkler Schatten unter ihren Augen, eine süße Mattigkeit auf ihren Lippen sei. Sie mußte die Stürme dieser Nacht verspürt haben in ihrem Fleisch: Claude glaubte daran. Sein Blut war noch ganz schwül und schwer von den Küssen, womit sie es überladen hatte. Er kam zurück von hundert Reisen an rotblühende Gestade, mit ihr; und darüber hinaus, auf Meere, die glühten – mit ihr.
Abends nach der Vorstellung wartete er, bis alle Schauspieler fort waren. Endlich erfuhr er, Ute sei längst nach Hause, sobald sie in dem Stück nichts mehr zu tun gehabt hatte. Er ging gesenkten Kopfes in sein Gasthaus. Er wagte nicht mehr, der Franchini zu folgen, die ihn bestellt hatte.
Tags darauf erging es ihm geradeso. Er schickte Ute ein Billett und bekam keine Antwort. Die Franchini trat auf der Straße auf ihn zu, er wich aus. Nach ihrem Auftreten paßte er Ute ab.
»Wie kommt das? Seit zwei Tagen schon verfehl ich dich.«
»Ich weiß nicht.«
»Und ich hatte dich nötiger, Ute, als je.«
»Ich dich nicht, glücklicherweise.«
Er erschrak, lange sprachen sie nichts. Endlich, vor ihrem Hause:
»Die Franchini, mein Lieber, hat Nachbarn. Die haben dich weggehn gesehen, gestern früh wußte es die ganze Stadt ... Und du bist mein Freund?«
»Ute, du irrst dich, du irrst dich.«
Er stammelte.
»Leugne nicht erst«, sagte sie.
»Ich habe nichts zu leugnen ... Aber trotzdem warst du es, dich liebte ich!«
Sie stieg die Treppe hinauf, er blieb hinter ihr, angstvoll immer wiederholend:
»Hörst du? Dich!«
Sie betraten das Zimmer. Ute ließ den Mantel fallen. Plötzlich, die Hände vors Gesicht geworfen:
»Ich bin ganz allein.«
Er stürzte ihr vor die Füße, berührte bittend ihr Kleid.
»Ute!«
Sie stampfte.
»Steh auf! Du hast kein Recht, mit mir zu weinen. Dies mal nicht.«
Und als er vor ihr stand, Aug in Auge:
»Oh, ich ertrage das Alleinsein! Keine Sorge! Das ganze dumme Volk hat mich verlassen, zugunsten der Franchini, warum nicht auch du. Auf meine Kunst verzichten sie, wenn sie das sinnliche Gewälz der andern haben. Warum nicht auch du. Was schiert's mich.«
»Ute, ich beschwöre dich! Sie ist nichts, nichts für mich. Dich, nur dich lieb ich. Was hast du dir aus den andern gemacht, die ich sonst gehabt habe, zuletzt aus der Bella? Du wußtest immer, ich hab Sehnsucht nach dir, und alle andern lieb ich nur mit geschlossenen Augen.«
»Diese nicht! Sie ist meine Rivalin, man hält sie dafür. Du hast gewußt, daß mir hier nichts mehr gehört als du allein und daß du mich verrietest!«
Die Stimme stockte ihr unter den Tränen. Er umschlang sie, zart und eng.
»Nun bist du eifersüchtig. Ute, wer das gedacht hätte.«
Sie ließ sich in einen Sessel gleiten. Sie leugnete:
»Nein, nein.«
»Du hast mir früher versichert, es sei dir gleich, wenn ich zur Franchini ginge. Daß es dir Kummer machen würde, du hast's nicht voraus gewußt.«
»Aber du hättest es voraus wissen sollen. Du liebtest mich.«
»Wer glaubt es. Und es nützt nichts mehr.«
Er bewegte die Hand, trostlos. Ach, nur ihr Ehrgeiz tränkte ihr Eifersucht ein ... Aber sei's auch nicht um ihn, sie litt dennoch. Er kniete hin, umschlang ihre Knie, sprach langsame und schwere Worte, beladen mit seinem Herzen:
»Ja, Ute, ich war in der vorletzten Nacht weit fort, in einem heißeren, heftigeren Lande. Aber mit dir, nur mit dir. Ich war so ungeduldig, dich wiederzusehn, weil ich wußte, auch du warst noch matt und schwül. Nicht wahr, du hast es verspürt, was wir erlebten.«
»Ich versteh dich nicht. Aber du hast mich verraten.«
»Wenn ich dir doch nie treuer war!«
»Wem willst du's klarmachen von allen, die um die Sache wissen. Übrigens, was du jetzt auch meinen magst, damals warst du nicht bei mir ... Auch dich hat die andere bestochen: wodurch? Himmel, wenn ich das wüßte! Kann man ihr das nicht nachmachen? Erzähl, wie sie ist. Du kennst sie ja nun! Hat sie das?«
Ute sprang auf. Claude, zurückweichend, sah den Linienfluß aus Haar und Hals, Schultern und Armen, aus Büste, Hüften und Schenkeln das knappe Kleid durchbrechen: diesen übermächtigen Fluß von Linien, der all sein Leben auf immer umrankte und in Fesseln hielt ... Er faltete die Hände.
»Du bist ja die immer Begehrte, nie Besessene – und vielleicht könnte ich dich nie besitzen, selbst wenn du mir die Arme öffnetest, weil meine Sehnsucht viel mehr will, als ein Leben gewähren könnte ... Ute!«
»Oder«, sagte sie, ohne zu hören, »ist es ihr Temperament? Ja? Hat dich das mit fortgerissen? Und ich bin kalt? Ich habe keins, nicht wahr, darum bin ich erfolglos ... Aber wer sagt dir, daß ich's nicht hätte, wenn ich mich entschlösse.«
Er hatte nie ihre Augen so in Flammen, ihr Gesicht so schön gesehn.
Sie wendete ihm, ohne die Arme zu heben, die geöffneten Hände zu, und senkte sich nach hinten.
»Da, nimm mich!«
Er griff in die Luft, wild, schreckensvoll. Dann brachen ihm die Arme herab, Blei lag auf seinen Schultern, er fiel auf einen Stuhl am Tisch; darauf legte er das Gesicht und schluchzte trocken.
Wie er aufsah, lehnte sie am Sofa und betrachtete ihn.
»Ich wußte, du würdest es nicht tun«, sagte sie.
Er nickte; sie hatte Komödie gespielt. Er hatte sie aufgerüttelt; sie brauchte das, um gut zu spielen.
»Hab ich Temperament?« fragte sie, stolz auf ihre Wirkung.
»Gute Nacht, Ute.«
»Adieu. Willst du mir einen Gefallen tun? Dann reise gleich ab. Man muß sehen, daß du bereust ... Glaubst du nicht, ich werde gut spielen morgen?«
»Oh! ...«
Unter der Tür:
»Und wenn alles, was ich leide, dazu dienen könnte, daß du eine starke Applaussalve hörst – Ute –«
Er war draußen.
Wie er sein Zimmer betrat, merkte er sofort, die Franchini sei dagewesen. Es lag kein Parfüm in der Luft, nur mit der Süßigkeit der Küsse war sie durchtränkt, die die Franchini ihm herbeigetragen hatte. Wie gestammelte Fetzen eines Liebesbriefes hing es an den Gegenständen, die sie angesehen hatte. Etwas von ihren wollüstigen Gebärden, alle ihm versprochen, wogten noch dahinten im erhitzten Schatten. ›Sie war da. Sie ist es, die alles bringt, worauf ich mein Leben lang warte. Das ist sie.‹