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Madame Brous Empfangsabend

Eine reinliche helle Küche, deren weitgeöffnete Fenster auf den schönen Garten des Nachbarhauses hinausgehen.

Madame Brou, 33 Jahre alt, eine hübsche, brünette, etwas korpulente Frau mit heitern, lebhaften Zügen. Sie trägt ein helles, nett und geschmackvoll gemachtes Sommerkleid mit feinen Stickereien an Hals und Armen.

Madame Brou sitzt am Fenster und hülst Erbsen aus. Die kleine 5jährige Germaine hockt daneben auf einem Schemel und zählt mit ernstem Gesicht die leeren Schoten. Germaine hat überhaupt kein Profil; unter den dichten, blonden Locken, die über ihr rundes, gutmütiges Kindergesicht herabfallen, sieht man nur ein paar große Augen, eine winzige Stumpfnase und ein rotes Mündchen, das fast wie eine frische, kleine Erdbeere aussieht.

Es ist ½ 6 Uhr abends, im Sommer. Plötzlich wird an die Küchenthür geklopft.

Madame Brou:

»Herein!«

(Jetzt erscheint Madame Derle, eine blutjunge, einfach gekleidete Frau mit schüchternem Wesen.)

Madame Derle:

»O, ich störe Sie gewiß.«

Madame Brou:

»Aber absolut nicht. Treten Sie doch näher.«

Madame Derle (zögernd):

»Sie müssen verzeihen, aber da Sie mir sagten, daß Sie zwischen 5 und 7 zu Hause sind.« –

Madame Brou:

»Das ist recht, daß Sie gekommen sind. Sie stören mich wirklich nicht im mindesten. (Sie steht auf und rückt einen Stuhl heran, zu Germaine.) Komm, mein Liebling, mach' Platz, damit Madame Derle sich setzen kann.«

Germaine (thut als ob sie etwas zur Seite rückte).

Madame Brou:

»Aber so mach doch Platz, wirst du wohl etwas höflicher gegen die Mama deiner kleinen Freundin sein?«

Germaine:

»Lily?«

Madame Derle:

»Ja, ich bin Lilys Mama.«

Germaine:

»Warum ist Lily heute nicht in die Anlagen gekommen?«

Madame Brou:

»Morgen kommt sie wieder. Mach' Platz da, Germaine.«

(Germaine macht etwas unwillig Platz. Madame Derle setzt sich. – Pause.)

Madame Derle (in den Garten hinausblickend):

»Was für schöne Bäume haben Sie hier!«

Madame Brou:

»Nicht wahr? Der reine Park und noch dazu mitten in der Stadt.«

Madame Derle:

»Die Leute, denen der Garten gehört, wissen es wahrscheinlich gar nicht zu schätzen.«

Madame Brou:

»Das ist wohl möglich, aber ich bin sehr froh darüber, so ins Grüne blicken zu können.«

Madame Derle:

»Geht die ganze Wohnung auf den Garten hinaus?«

Madame Brou:

»O nein, nur die Küche. Von den andern Zimmern aus sieht man nur in einen trübseligen, feuchten Hof hinab.«

Madame Derle:

»Daß Sie immer so vergnügt sind, Madame Brou, Sie lachen den ganzen Tag.«

Madame Brou:

»Das muß man auch, den Kindern zu lieb. Die Kleinen haben es nicht gern, wenn man ihnen ein mürrisches Gesicht zeigt.«

Madame Derle:

»Und Sie sind auch gewiß recht glücklich. Man sieht es Ihnen an.«

Madame Brou:

»Ach mein Gott, ich habe auch meine kleinen Leiden wie jedes andere. (Sie steht auf und nimmt eine Kasserolle von der Wand.) – Sie entschuldigen, wenn ich meine Erbsen aufs Feuer setze?«

Madame Derle:

»Aber ich bitte Sie, lassen Sie sich nur nicht stören.«

Madame Brou (zu Germaine):

»Geh jetzt ein bischen draußen spielen, mein Liebling, willst du?«

Germaine (ohne sich zu rühren):

»Draußen?«

Madame Brou:

»Ja. Madame Derle möchte mit mir sprechen.«

Madame Derle:

»O die Kleine stört mich nicht, sie ist ja so artig. Bleib nur da, mein Herzenskind.«

Germaine (die gar nicht daran gedacht hat, hinauszugehen, rückt sich auf ihrem Schemel zurecht. Ihr Gesicht nimmt einen aufmerksamen Ausdruck an).

Madame Brou:

»Übrigens ist sie auch nicht schwatzhaft.«

Madame Derle:

»Gerade wie Lily. Man braucht ihr nur zu sagen, Lily, darüber darfst du nicht sprechen, – dann kann man ganz ruhig sein, daß sie keinem Menschen ein Wort sagt.«

Madame Brou:

»Sie ist überhaupt ein kluges Kind.«

Madame Derle:

»O nicht mehr wie alle andern. Aber sie lebt ja immer mit mir zusammen. Wir sind ganz unzertrennlich voneinander.«

Germaine:

»Warum ist sie denn heute nicht mitgekommen?«

Madame Brou:

»Schweig doch, Kind.«

Madame Derle:

»Weil sie bei ihrer Großmama auf dem Land ist. Aber heute abend kommt sie wieder.«

Germaine:

»Wenn Paul und ich zu Großmama aufs Land gehen, kommt Mama immer mit, nicht wahr Mamachen?«

Madame Brou:

»Wirst du nun endlich mal den Schnabel halten? (Freundlich zu Madame Derle.) Lily ist wohl bei Ihrer Schwiegermutter? Haben Sie sich denn immer noch nicht mit ihr ausgesöhnt?«

Madame Derle:

»Aber was denken Sie? Meine Schwiegermutter giebt meinem Mann ja recht. Sie findet, daß die Schuld auf meiner Seite ist.«

Madame Brou:

»Die Schuld? Nein, gewiß nicht. Aber Sie sind vielleicht nicht geduldig und nachsichtig genug gegen ihn. – Sie nehmen es mir doch nicht übel, wenn ich so offen mit Ihnen rede?«

Madame Derle:

»Im Gegenteil, ich bitte Sie darum. Deshalb bin ich ja gerade zu ihnen gekommen. Sie sind mir gleich so sympathisch gewesen, – damals wie wir uns zum erstenmal in den Anlagen trafen. Ich habe mich gleich zu Ihnen hingezogen gefühlt.«

Madame Brou:

»Das ist sehr lieb von Ihnen.«

Madame Derle:

»Glauben Sie mir, es ist wirklich so. Und haben wir ja auch so viele Berührungspunkte miteinander. Wir sind beide Beamtentöchter. Unsere Männer haben denselben Beruf, unsere Babys stehen in demselben Alter.« –

Madame Brou (lächelnd):

»Ja, aber ich habe außerdem noch einen großen Jungen von 12 Jahren« –

Germaine:

»Paul, mein Bruder Paul.«

Madame Brou:

»Ich bin doch viel älter wie Sie und deshalb möchte ich Ihnen einen Rat geben – weil Sie mich darum gebeten haben – Sie sollten Ihrem Mann verzeihen.«

Madame Derle:

»Nein, das kann ich nicht. Es wäre zu feige von mir. Ich kann es nicht.«

Madame Brou:

»Zu feige? Sie fangen ja erst an zu leben, kleine Frau. Möchten Sie nie eine größere Feigheit begehen, wie daß Sie dem Vater Ihres Kindes seine kleinen Schwächen verzeihen.«

Madame Derle:

»Er hat mich zu tief gekränkt, ich habe zu viel darunter gelitten.«

Madame Brou:

»Ach, die Männer sind nun einmal so. Einer feinfühlenden Frau wird dieses Leid nie erspart bleiben. Aber dafür hat sie auch eine große Freude, die kein Mensch ihr rauben kann.«

Madame Derle:

»Was meinen Sie damit?«

Madame Brou:

»Die Freude, die darin liegt sich aufzuopfern.«

Madame Derle:

»Ach, das ist eine traurige Freude.«

Madame Brou:

»Und doch liegt so viel Glück darin. Sehen Sie, so des Abends, wenn mein Mann im Café ist, wenn ich die Teller abgespült und alles in Ordnung gebracht habe und nun bei meiner Lampe sitze – die Kinder schlafen im Nebenzimmer – ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich mich dann fühle, was für eine tiefe Freude da über mich kommt.«

Madame Derle:

»Nun ja, Sie haben eben einen guten Mann.«

Madame Brou (mit einem unruhigen Blick auf Germaine):

»Gewiß, mein Mann ist nicht böse.«

Germaine:

»O Mamachen, Papa macht dich so oft traurig. Weißt du noch neulich, wie er gesagt hat: ›Nun ja, es ist eine Cocotte, aber ich habe Cocotten nun einmal gern‹. – Und dann ist er so bös geworden und dann« –

Madame Brou:

»Schweig, Germaine.« (Pause. Sie thut die Erbsen in die Kasserolle und giebt etwas Speck, Butter und drei Stück Zucker dazu.) »Sehen Sie, wie ich die Erbsen koche. Das Rezept habe ich von einer sehr tüchtigen Köchin. Sie werden sehr zart so.«

Germaine (leise, als ob sie nur zu sich selbst spräche):

»Und dann hat Paul gesagt: warum schreit Papa so, wenn er ein Huhn essen möchte. Eine Cocotte ist doch ein Huhn, Mamachen – und dann« –

Madame Brou:

»Pfui, das ist unartig von dir, alles so auszuplaudern. Wenn du jetzt nicht gleich stillschweigst, schick ich dich zur Strafe hinaus.«

Germaine (noch leiser):

»Und dann hat Mamachen geweint und dann gelacht.« –

Madame Derle (steht auf):

»Sagen Sie mir, was ich thun soll, Madame Brou, ich werde alles thun, was Sie mir sagen.«

Madame Brou:

»O, Sie brauchen gar nichts besonderes zu thun. – Ihr Mann kommt doch abends nach Hause?«

Madame Derle:

»Bis jetzt, ja.«

Madame Brou:

»Nun, dann seien Sie ganz so wie früher gegen ihn – nur keine Scenen und vor allem keine Auseinandersetzungen. Sie dürfen ihn nicht durch Ihre Verzeihung demütigen, verstehen Sie mich – das würde ihn nur gegen Sie aufbringen.«

Madame Derle:

»Ja, ich verstehe.«

Madame Brou:

»Im Grunde ist es ja alles so einfach. Denken Sie, daß Ihr Mann ein großes Kind ist, das sich leicht zu allem möglichen hinreißen läßt und das man nicht dafür verantwortlich machen kann. Dann werden Sie schon den rechten Ton finden. Vor allem sagen Sie ihm nichts, was ihn reizen oder verletzen könnte, Sie würden ihn dadurch nur veranlassen Thorheiten zu begehen, die vielleicht nie wieder gut gemacht werden können. – Sie werden schon sehen, mit etwas Geduld und gutem Willen gewöhnt man sich an manches, was einem anfangs unerträglich vorkommt. Und vor allem denken Sie an Lily.« –

Madame Derle (bewegt):

»Meine kleine Lily.«

Germaine:

»Lily ist meine Freundin. Wir spielen immer zusammen in den Anlagen. Und Lily thut alles, was ich will.«

Madame Brou:

»Ich will Sie wirklich nicht hinauswerfen, Madame Derle, aber Sie müssen doch gewiß auch noch Ihr Mittagsessen herrichten.«

Madame Derle:

»O, ich war heute so traurig und mutlos, daß ich gar nicht daran gedacht habe. Ich werde etwas kalten Aufschnitt beim Charkutier holen.«

Madame Brou:

»Sehen Sie, kleine Frau, das ist wieder nicht recht von Ihnen. Sie sollten sich durch Ihre Stimmung nicht hindern lassen, Lily alle Tage ihre warme Suppe zu geben.«

Madame Derle:

»Ja, Sie haben recht. Ich werde ihr eine Brotsuppe machen.«

Madame Brou:

»So, das ist vernünftig. – Also auf Wiedersehen morgen in den Anlagen.«

Madame Derle:

»Darf ich Sie auch einmal wieder hier besuchen?«

Madame Brou:

»Nun, natürlich. Es wird mich nur freuen. Zwischen 5 und 7 finden Sie mich immer zu Hause. Um diese Zeit« –

Germaine:

»Da kocht Mamachen immer.«

(Dann nehmen sie mit herzlichem Händedruck Abschied voneinander.)


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