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Fünfzehntes Kapitel.

Rückkehr nach Liverpool. – Gespräch mit Miß Trevannion. – Plutus kömmt Cupido ins Gehäge, und ich segle wieder nach der afrikanischen Küste.


Wir brachen auf und langten, ohne daß uns etwas zustieß, am sechsten Abend spät in Liverpool an, wo wir uns nach unserer gewöhnlichen Wohnung begaben. Am andern Tage besuchte ich Mr. Trevannion, um ihm meine Ankunft zu melden. Humphrey theilte mir mit, er fühle sich wieder sehr gekräftigt und erwarte mich mit Sehnsucht, obschon er nicht gedacht habe, daß ich so bald zurückkehren werde. Der Pförtner ging hinauf, um mich anzumelden und Mr. Trevannion ließ mich augenblicklich vor, obgleich er noch im Bette lag.

»Ich fürchte, Eure Sendung ist Euch nicht geglückt,« sagte er, als er mich bei der Hand nahm.

»Im Gegentheil, Sir – es ist Alles aufs Trefflichste abgelaufen.«

Und ich erstattete ihm sofort Bericht über das Vorgefallene.

»Gut,« versetzte er; »ich freue mich darüber und – wohlgemerkt – stehe auch für die Kosten ein, da ohne die Aufwendung derselben der Schooner wahrscheinlich nicht gemiethet worden wäre. Aber jetzt muß ich über etwas Anderes mit Euch zu Rath gehen. Hier ist ein Brief von Irving, dem Kapitän der Amy – das Chester-Mädchen hat ihn mitgebracht.«

Dies waren zwei Schiffe an der Goldküste, welche Mr. Trevannion gehörten.

»Lest ihn,« fuhr Mr. Trevannion fort, »und laßt mich Eure Ansicht hören.«

Ich entsprach seiner Aufforderung. Kapitän Irving machte die Mittheilung, er sei mit den zwei Schiffen in einen kleinen, früher unbekannten Strom der Küste eingefahren, um mit einem schwarzen König zusammenzutreffen, der noch nie mit den Engländern verkehrt, sondern nur mit den Spaniern in Sklaven Geschäfte gemacht habe. Die englischen Waaren seyen den Eingeborenen ganz neu, weshalb er einen höchst vortheilhaften Handel mit ihnen gemacht und ein Schiff mit Elfenbein, Wachs und Goldstaub bis zu dem Betrage von 1000 Pfunden geladen haben. Diesen Cargo sende er mit dem Chester-Mädchen und bleibe selbst an Ort und Stelle, um den Tausch fortzusetzen, ehe dieser Punkt den andern Küstenschiffen bekannt werde, was auf alle Fälle in Bälde stattfinden müsse. Er fügte noch bei, daß er mit den Gegenständen, welche von den Eingebornen am meisten geschätzt würden, nicht zureichend versehen sey, weshalb er Mr. Trevannion bitte, unverweilt ein anderes Fahrzeug mit verschiedenen namhaft gemachten Gütern abzusenden; er glaube, sein eigenes Schiff eben so gut wie das nach Hause geschickte füllen zu können. Der Fluß liege in dieser und dieser Breite und die Mündung sey schwer zu entdecken, weshalb er einen kleinen Plan mitschicke, welcher die Auffindung des Punktes erleichtern werde; es sei übrigens keine Zeit zu verlieren, da die schlechte Jahreszeit herannahe und es dann an seinem Standorte sehr ungesund werde.

Während ich den Brief wieder zusammenlegte, sagte Mr. Trevannion:

»Hier ist eine Liste der ganzen Ladung, welche von dem Chester-Mädchen eingebracht wurde. Meiner Rechnung nach ist sie über siebentausend Pfund werth.«

Ich überblickte das Verzeichniß und stimmte Mr. Trevannion bei, daß das Cargo mindestens diesen Werth haben müsse.

»Ihr werdet zugeben, daß dieß von großer Wichtigkeit ist, Musgrave,« sagte Mr. Trevannion. »Aber ehe ich weiter fortfahre, hoffe ich, daß jetzt die einzige Schwierigkeit beseitigt ist und Ihr Euch nicht mehr weigern werdet, als Theilhaber in mein Geschäft zu treten. Ich gedenke dabei nur den Unterschied zu machen, daß ich Euch jetzt statt des Achtels ein Viertel anbiete. Schweigen gilt für Zustimmung,« fuhr Mr. Trevannion fort, da ich nicht augenblicklich antwortete.

»Ich war so erstaunt, über Euer großmüthiges Anerbieten, Sir, daß ich nicht sprechen konnte.«

»Also nicht weiter davon, es bleibt dabei,« sagte Mr. Trevannion, mich bei der Hand nehmend und sie mit Wärme drückend, »Jetzt zu Geschäftssachen. Ich habe gedacht, ich wolle den Sperber aussenden, da er so schnell segelt. Als Kaper hat er natürlich ausgearbeitet, und da die Regierung mehr Mannschaft auf den Pfeil wünscht, so denke ich, wir können derselben einige Sperbermatrosen abtreten und noch etwa fünf und zwanzig Mann an Bord lassen; wir schicken dann dieses Fahrzeug in möglichster Bälde mit den Gegenständen, die Kapitän Irving verlangt, nach der afrikanischen Küste ab.«

»Vollkommen mit Euch einverstanden, Sir; dies wird der beste Plan seyn.«

»Aber da erhebt sich eine Schwierigkeit – wen soll ich senden?« fuhr Mr. Trevannion fort. »Paul, der Kapitän des Chester-Mädchens, ist sehr krank und muß wahrscheinlich geraume Zeit das Bett hüten; aber selbst wenn er wieder wohl wäre, habe ich doch in einer so wichtigen Angelegenheit kein Vertrauen zu ihm. Kann Kapitän Irving, wie er sagt, die Amy füllen, so wird ihre Ladung dreimal so viel Werth seyn, als die des Chester-Mädchens. Natürlich müßte der Bestimmungsort des Sperbers ein Geheimniß bleiben, und ich weiß nicht, wem ich ihn vertrauen kann. Wir bedürfen nothwendig eines völlig zuverlässigen Mannes.«

»Ich bin ganz Eurer Ansicht, Sir,« versetzte ich, »und wenn Ihr nichts dagegen einzuwenden habt, so wird's am Ende das Beste seyn, wenn ich selbst gehe. Spätestens in zehn Wochen bin ich wieder zurück«

»Nun, da Ihr jetzt selbst wesentlich bei der Sache betheiligt seyd, so muß ich Euch Recht geben. Ich wüßte in der That Niemand anders, dem wir einen solchen Auftrag vertrauen könnten.«

»So bleibts also dabei, Sir, und ich gehe selbst. Auch glaube ich, je eher es geschieht, desto besser ist's – nur weiß ich nicht, wo die gewünschten Güter schnell zu haben sind.«

»Sie sind in fünf oder sechs Tagen zusammenzubringen,« entgegnete Mr. Trevannion. »Ich habe Humphrey ausgeschickt, um Erkundigungen einzuziehen.«

»Jedenfalls muß ich selbst danach sehen. Auch gibt es sonst noch vielerlei zu besorgen, weshalb ich Euch jetzt guten Morgen wünschen will, Mr. Trevannion, Auf den Abend komme ich wieder, um Euch mitzutheilen, was geschehen ist.«

»Thut dies,« versetzte er; und ich verabschiedete mich.

Ich war eben so erstaunt als erfreut über Mr. Trevannions Freigebigkeit hinsichtlich meiner künftigen Geschäfts-Theilhaberschaft, da ich jetzt spätestens nach einigen Jahren einer unabhängigen, gesicherten Stellung entgegen sehen konnte; wenn daher auch Mr. Trevannion in seinem Benehmen gegen mich übereilt gehandelt hatte, so war dieser Fehler seinerseits aufs Edelste wieder gut gemacht worden. Zuerst begab ich mich nach meiner Wohnung, um Kapitän Levee und Philipp das Vorgefallene mitzutheilen. Sie machten mir den Vorschlag, wir sollten unverweilt mit einander an Bord des Sperbers gehen, damit ich daselbst meine Vorbereitungen treffen, sie aber einige der Matrosen bereden könnten, auf dem Pfeil einzutreten. Nachdem ich mir diejenigen ausgelesen, deren Begleitung ich für mich wünschte, besprachen sie sich mit den übrigen, welche sodann noch am nämlichen Abend ans Land, gingen, um ihre Löhnung zu holen, und sich am nächsten Morgen dem Pfeil anschlossen, da dem Kapitän Levee angelegentlich darum zu thun war, bald nach dem Nore zu kommen. Tags darauf segelte der Pfeil ab, und ich bedauerte dies durchaus nicht, da mir jetzt mehr Muße blieb, meine eigenen Angelegenheiten zu beschleunigen. Philipp versprach mir, fleißig zu schreiben, und ich verabschiedete mich von beiden. Versprochenermaßen machte ich Abends Mr. Trevannion einen Besuch, bei welcher Gelegenheit er mir die Compagnonsschafts-Urkunde überreichte; sie war unter dem Datum, unter welchem er mir sein erstes Erbieten machte und wir uns entzweit hatten, unterzeichnet. Miß Trevannion sah ich nicht, und mit Bedauern vernahm ich von ihrem Vater, daß sie unwohl sey. Die Vorbereitungen zur Abfahrt und die Ausstattung des Sperbers nahmen mich so vollständig in Anspruch, daß ich nun schon drei Tage in Liverpool gewesen war, ohne ihrer ansichtig geworden zu seyn, und dies verdroß mich um so mehr, da ich jeden Tag ins Haus kam. Meine Gefühle gegen sie waren glühender als je. Sie blieb der stete Gegenstand meiner Gedanken und ich weiß kaum, wie es kam, daß meine Geschäfts-Angelegenheiten dennoch so gut von Statten gingen. Ich hatte mir vorgenommen, sie diesen Abend wo möglich zu sprechen und dabei ausfindig zu machen, warum sie mich vermied; denn es kam mir vor, als sey dies der Fall. Bei meinem nächsten Besuche fragte ich daher nicht nach dem Vater, sondern forderte Humphrey auf, Miß Trevannion aufzusuchen und ihr zu sagen, daß ich sie zu sprechen wünsche. Der Pförtner kehrte mit der Nachricht zurück, daß sie auf ihrem Zimmer sey, und ich begab mich unverweilt danach hin.

»Ich fürchte, daß ich Euch unabsichtlich Anlaß zum Mißvergnügen gegeben habe, Miß Trevannion,« sagte ich beim Eintreten; »denn es kommt mir vor, als ob Ihr mich seit meiner Rückkehr absichtlich vermeidet.«

»Da seyd Ihr in der That im Irrthum gewesen, Mr. Musgrave,« versetzte sie. »Es war mir angelegentlich darum zu thun, Euch zu sehen, und ich habe es für sehr unhöflich – ja ich kann wohl beifügen, für sehr unfreundlich von Euch gehalten, daß Ihr nicht zu mir gekommen seyd.«

»Ich bin jeden Tag – ja oft zweimal täglich bei Eurem Vater im Haus gewesen, Miß Trevannion, ohne Euch je gesehen zu haben. Einmal erkundigte ich mich nach Euch, und Euer Vater sagte mir, Ihr seyet unwohl, während mir doch Humphrey fünf Minuten vorher mitgetheilt hatte, Ihr wäret gesund und heiter.«

»Humphrey hat Euch die Wahrheit gesagt und mein Vater ebenfalls. Ich war wohl und heiter, aber fünf Minuten nachher fühlte ich mich krank und unglücklich.«

»Hoffentlich trage ich keine Schuld daran, Miß Trevannion?«

»Doch, obschon die Hauptursache mein Vater war. Er sagte mir, nach Eurer Rückkehr habe er Euch zu seinem Associé angenommen und Euch die verdiente Gerechtigkeit widerfahren lassen; dann aber theilte er mir auch mit, daß Ihr in dem Sperber nach der afrikanischen Küste reisen würdet.«

»Dies hat seine Richtigkeit, Miß Trevannion; aber was liegt hierin Verletzendes für Euch?«

»Es betrübt mich, daß mein Vater Euch nicht früher Gerechtigkeit widerfahren ließ, als jetzt, da er noch mehr Elfenbein und Goldstaub zu haben wünscht, obschon er bereits Alles im Ueberfluß hat. Aber ich sagte ihm, diese Spekulation sey ebenso schlimm als das Kapern, denn in beiden Fällen schicke er Leute aus, welche ihr Leben opfern müßten, um ihm mehr Geld zu gewinnen. Dieses thörichte Jagen nach Reichthümern ist mir zuwider.«

»Nachdem mir Euer Vater so viel Liebe erwiesen, Miß Trevannion, konnte ich nicht anders, als auf das Ansinnen eingehen.«

»Ihr würdet weiser und gerechter gegen Euch selbst gehandelt haben, wenn Ihr nicht darauf eingegangen wäret, Mr. Musgrave. Ich habe die Briefe an meinen Vater gleich anfangs gelesen, und Ihr wißt, was Capitän Irving über die Ungesundheit des Klimas schreibt. Ihr seid der beste Freund meines Vaters gewesen und er hätte Euch nicht so behandeln sollen.«

»Ich habe das Leben nie sehr geschätzt, Miß Trevannion; aber in der That, die wohlwollende Theilnahme, die Ihr bei dieser Gelegenheit ausgedrückt habt, läßt mich fühlen, daß mein armes Dasein doch einigen Werth besitze. Für einen Menschen, der, wie ich, so ganz der Spielball des Glücks gewesen ist und kaum je die Stimme einer wohlwollenden Theilnahme hörte, wird ein solches Interesse wahrhaft beglückend, und es überwältigt mich ganz und gar, wenn es von einem Wesen kömmt, das ich mehr als irgend eine andere Person in der Welt achte und schätze. In der That, Miß Trevannion, ich bin Euch von Herzen dankbar.«

Es war keine Unwahrheit, wenn ich von Ueberwältigung sprach, denn ich fühlte mich so beklommen, daß ich nach einem Stuhl hintaumelte und mein Gesicht mit den Händen bedeckte. Was würde ich darum gegeben haben, wenn ich es hätte wagen dürfen, ihr meine Empfindungen mitzutheilen!

»Ihr seid unwohl, Mr. Musgrave,« sagte Miß Trevannion, indem sie auf mich zutrat. »Kann ich Euch etwas anbieten?«

Ich gab keine Antwort, denn ich war außer Stande, zu sprechen. »Mr. Musgrave,« fuhr Miß Trevannion fort, indem sie mich bei der Hand nahm. »Ihr erschreckt mich. Was ist Euch? Soll ich Humphrey rufen?«

Ich fühlte ihre Hand in der meinigen zittern, und da ich nicht wußte, was ich davon denken sollte, kam ich zu dem Entschluß, ihr ein Geständniß abzulegen.

»Miß Trevannion«, sagte ich nach einer Pause, indem ich mich von meinem Stuhl erhob, »ich fühle, daß der innere Kampf zu schwer für mich ist und mich tödten muß, wenn er noch lange andauert. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß ich seit Monaten alle meine Kräfte aufgeboten habe, mein Sehnen zu zügeln und mir meine eigene Thorheit, die Uebereilung meines Ehrgeizes vor Augen zu führen, aber jetzt kann ich es nicht länger, und es ist besser, daß ich mein Schicksal mit einemmal erfahre, selbst wenn es der Tod ist. Ihr werdet meine Thorheit lächerlich finden und über meine Anmaßung in Staunen gerathen – ja aller Wahrscheinlichkeit nach sogar mein Zugeständniß mit Verachtung zurückweisen; aber es muß heraus. Miß Trevannion, ich habe nur Eine Entschuldigung dafür vorzubringen, daß ich mich nämlich mehr als ein Jahr in Eurer Gesellschaft befand, und daß es für Jedermann unmöglich ist, ein so reines, schönes, gutes Wesen nicht zu lieben. Ich würde diese Erklärung aufgeschoben haben, bis ich im Stande gewesen wäre, durch die Mittel, welche ich der Industrie verdankte, meine Stellung in der Gesellschaft wieder einzunehmen, aber meine Abreise in dieser Geschäftsangelegenheit und eine Art von Ahnung, die mich bedrückt, daß ich Euch nie Wiedersehen könnte, hat mir sie abgezwungen. In wenigen Tagen verlasse ich Euch – habt Nachsicht mit dem Anstoß, den ich unwillkührlich gegeben – schenkt mir, wenn Ihr mich auch verdammt, Euer Mitleid, und ich will nicht mehr darauf zurückkommen.

Miß Trevannion antwortete nicht; sie athmete schneller und stand regungslos da. Ich suchte meinen Muth zusammenzuraffen und blickte ihr ins Gesicht, das keine Spur von Mißvergnügen zeigte. Wie ich ihr näher trat, bemerkte ich, daß sie halb ohnmächtig war; sie legte ihre Hand auf meine Schulter, um sich zu halten, während ich meinen Arm um ihren Leib legte, sie nach dem Sopha führte und zu ihren Füßen niederkniete, dabei jede Veränderung in ihrem schönen Antlitz beobachtend. Ich nahm ihre Hand und drückte sie an meine Lippen, aber allmählig wurde ich kühner. Ich setzte mich an ihre Seite und drückte sie an meine Brust. Ihr Haupt ruhte zunächst meinem Herzen und sie brach in Thränen aus.

»O zürnt mir nicht,« sagte ich nach einer Weile.

»Sehe ich darnach aus, als ob ich Euch zürne?« entgegnete sie, ihr Gesicht erhebend.

»Nein, aber ich kann nicht an die Wirklichkeit meines Glückes glauben; es muß ein Traum sein.«

»Was ist das Leben anders als ein Traum,« entgegnete sie wehmüthig. »Ach, diese Küste von Afrika, wie fürchte ich sie!«

Und ich muß gestehen, von diesem Augenblicke an erging es mir ebenso. Wie ich bereits bemerkt hatte, fühlte ich eine bedrückende Vorahnung, daß irgend etwas schlimm ausfallen werde, und ich konnte mich derselben nicht entledigen.

Madame, ich will nicht länger bei dem verweilen, was an jenem entzückenden Abende stattfand. Es mag genügen, wenn ich sage, daß Miß Trevannion und ich sich wechselseitig Treue gelobten, und nach einem warmen Austausch unserer Gedanken und Gefühle trennten wir uns, wobei ich zum Abschied ihre theuren Lippen an die meinigen drückte. Vor Aufregung taumelnd ging ich nach Hause und eilte zu Bette, wo ich meinen Gedanken freien Spielraum ließ. Die Scene des Abends trat wieder und wieder vor meine Seele; ich vergegenwärtigte mir jede ihrer Bewegungen, jeden Blick, jedes Wort aus ihrem Munde. Das afrikanische Fieber und alle schlimmen Vorahnungen waren vergessen, und ich dachte jetzt nur an unser glückliches Wiedersehen, dem keine Trennung mehr folgen sollte. Es währte lange, bis ich einschlafen konnte, und ich brauche kaum zu sagen, welche Art Träume meinen Schlummer beschäftigten. Ich begab mich am folgenden Tage so früh, als ich es nur möglicherweise wagen konnte, in Mr. Trevannions Haus und besprach mich lang mit meiner theuren Amy. Noch ehe ich zu ihrem Vater hinaufging, versuchte ich ihre Besorgnisse über meine herannahende Reise zu beschwichtigen und sie zu überzeugen, daß von einem so kurzen Aufenthalte wenig oder gar keine Gefahr zu befürchten sei. Allerdings würde ich jetzt den Auftrag gerne abgelehnt haben, aber Mr. Trevannion war so auf das Unternehmen erpicht und obendrein durch meine Zustimmung in die Unmöglichkeit versetzt, in passender Zeit einen Stellvertreter zu finden, so daß ich nicht mehr zurücktreten konnte; ich überzeugte daher Miß Trevannion, daß es unrecht von mir wäre, wenn ich meine Zusage nicht halten wollte. Es kam nun auch eine weitere Frage zur Sprache, ob wir nämlich unser Verhältniß dem alten Herrn eröffnen sollten, und sie wurde mit Nein entschieden. So sehr er mich auch liebte, war er doch nicht darauf vorbereitet, mich so plötzlich als seinen Schwiegersohn aufzunehmen, und Amy war der Ansicht, daß es zweckmäßiger sei, die Mittheilung zu verzögern. Natürlich gab ich hiezu bereitwillig meine Zustimmung. War ich ja ihrer Liebe versichert, und ich trug die Ueberzeugung in mir, daß sie mir dieselbe treulich bewahren würde. Als ich nach dieser Unterredung mit ihrem Vater sprach, sagte er:

»In der That, Elrington – oder Musgrave? Ich weiß wahrhaftig kaum, wie ich Euch nennen soll?

»Musgrave ist mein wahrer Name, Sir,« versetzte ich.

»Musgrave – Musgrave – wo habe ich doch einen Musgrave gekannt?«

»Wir sind aus dem Norden,« versetzte ich.

»Nun,« fuhr er fort, »ich wollte sagen, daß es mir sehr lieb wäre, wenn ich Jemand anders finden könnte, der statt Eurer diese Reise mitmachte, denn ich lasse Euch ungerne fort.«

»Ach ja, mein theurer Vater, laßt ihn nicht ziehen,« sagte Miß Trevannion, die an seiner Seite stand.

»Der Tausend, Miß Amy, ich möchte doch wissen, was dies dich angeht, und was es dich kümmern kann, ob Mr. Musgrave die Reise unternimmt oder nicht.«

»Ich sagte so, Vater, weil ich weiß, wie sehr Ihr ihn diese lange Zeit vermissen werdet. Sein Verlust ist Euch früher schon sehr empfindlich geworden, und ich möchte Euch nicht so lange angestrengt arbeiten sehen, als dies ohne seinen Beistand nöthig seyn wird.«

»Nun, das ist jedenfalls ein liebevoller Gedanke, Amy; aber dennoch fürchte ich, daß Mr. Musgrave gehen und ich für mich selbst arbeiten muß, bis er wieder zurückkommt. Es führt daher zu nichts, weiter darüber zu sprechen.«

Amy seufzte und schwieg. Am dritten Tag nach dieser Besprechung war Alles bereit, und am folgenden Morgen sollte ich aussegeln. Mr. Trevannion hatte so viele Weisungen zu ertheilen und behielt mich so lang bei sich, daß ich kaum Zeit finden konnte, seine Tochter zu sprechen. Wir waren jedoch überein gekommen, daß ich sie, weil die Abfahrt auf Tagesanbruch anberaumt war, besuchen sollte, nachdem ihr Vater zu Bett gegangen. Die Zusammenkunft fand statt – brauche ich zu sagen, daß sie zärtlich war? Wir erneuerten wieder und wieder unser Gelübde und es war schon Mitternacht vorbei, als ich mich losriß. Der alte Humphrey machte ein sehr verschmitztes Gesicht, als er mich zur Hausthüre hinausließ. Ich drückte ihm jedoch eine Guinee in die Hand und wünschte ihm wohl zu leben. Dann eilte ich an Bord des Sperbers, ertheilte Weisung, mich vor Tagesanbruch zu wecken, und ging dann in die Cajüte hinunter. Dort blieb ich am Tische sitzen und erging mich so lange in Gedanken an Amy, daß der Mate, als er vom Deck herunterkam, mich noch immer dasitzend fand, denn ich war die ganze Nacht nicht ins Bett gekommen. Ich fuhr aus meiner Träumerei auf und eilte aufs Deck, um den Schooner unter Segel zu bringen. Dies war bald geschehen, obschon wir, beziehungsweise gesprochen, nur eine schwache Bemannung hatten. Es wehte eine schone Brise, und das kleine Fahrzeug flog mit dem grauenden Tage durch das Wasser. Wir hatten Liverpool bald aus dem Gesichte verloren und fuhren den irischen Kanal hinab.

»Der Sperber segelt gut,« sagte ich zu dem zweiten Maten, einem sehr verständigen Mann, der eine weit bessere Erziehung genossen hatte, als die meisten Matrosen; auch verstand er sich auf die Theorie der Seefahrerkunst und war überhaupt ein Seemann ersten Rangs.

»Ja, Sir,« versetzte Olivarez, »er ist ein rascher Segler und geht auch nicht allzutief. Was für ein treffliches Sklavenschiff würde er abgeben!«

Dieser Mann war kein Engländer, sondern von Geburt ein brasilianischer Portugiese, obschon er seine Heimath lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Nachdem das Fahrzeug im Gang war, begab ich mich hinunter, um mein Bauen von Luftschlössern gemächlicher wieder aufnehmen zu können. Der Wind steigerte sich zu einer Kühlte; aber da sie aus dem Norden kam und uns unserer Bestimmung näher brachte, so war sie uns nicht unwillkommen. Wir hatten bald die Bai von Biscaya gekreuzt und kamen in die wärmere Breite. Nachdem wir eine rasche Fahrt von etwa vier Wochen gemacht hatten, befanden wir uns in der Nähe des Strichs, wo der Angabe zufolge die Amy vor Anker liegen sollte. Ich holte nun nach der sehr niedrigen Küste einwärts und beobachtete bei der Annäherung die erforderliche Vorsicht. Um Sonnenuntergang sahen wir einige hohe Palmen und legten bei; am andern Tage steuerten wir wieder einwärts, und nachdem wir um Mittag genau unsere Breite aufgenommen hatten, standen wir noch ungefähr anderthalb Seemeilen nordwärts von der Mündung des Flusses. Demgemäß bildeten wir unseren Curs, und in zwei Stunden erkannte ich die Merkzeichen, welche auf Capitän Irvings roher Skizze angedeutet waren. Dies überzeugte mich, daß ich auf dem rechten Wege war, und ich lief unmittelbar auf die Mündung des Flusses zu. Capitän Irving hatte ganz richtig angegeben, daß sie schwierig aufzufinden sey, denn wir mußten auf etwa dritthalb hundert Ruthen nahe kommen, bis wir eine Oeffnung entdecken konnten. Endlich aber gelang es uns, und zu gleicher Zeit bemerkten wir die Masten zweier Schiffe in einiger Entfernung stromaufwärts. Wir steuerten einwärts und fanden, daß die Flußmündung keine Barre hatte – ein sehr ungewöhnlicher Umstand an dieser Küste. Der Grund dachte sich allmählig ab, und eine Stunde später ankerten wir zwischen der Amy und einem schönen Schooner unter britischer Farbe. Kapitän Irving erkannte den Sperber und kam unverweilt an Bord. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen theilte er mir mit, daß sein Schiff zur Hälfte geladen sei; er habe übrigens auf die Ankunft der bestellten Waaren gewartet, um sein Cargo vervollständigen zu können. Ich erwiederte ihm, daß ich das Gewünschte an Bord führe, und er solle es durch seine Boote holen lassen. Seiner Angabe nach waren nie andere Schiffe als Sklavenhändler in diesen Fluß eingelaufen, und die Tauschgegenstände, welche diese zu verwenden pflegten, hätten in Tüchern und andern gewöhnlichen Handelsartikeln bestanden; seine auserlesene Ladung aber habe die Leute in Erstaunen gesetzt, und sie seien ganz wüthend auf den Besitz von Gegenständen, die sie nie zuvor gesehen hätten. Sklaven waren ihm in Menge angeboten worden; als jedoch die Neger fanden, daß er diese nicht in Tausch annehmen wollte, so brachten sie Elfenbein und Goldstaub herbei. Er äußerte seine Freude gegen mich, daß ich gekommen, denn der Fluß sei sehr ungesund und werde es mit jedem Tage mehr; von seinen zwölf Leuten seien bereits vier vom Fieber behaftet.

Ich fragte ihn nach dem Schiffe auf der andern Seite von uns, und er erwiederte, es sei ein Liverpooler Sklavenhändler, dessen Kapitän ein ganz tüchtiger Mann zu sein scheine, der sich weder im Branntwein übersehe, noch dem Fluchen ergeben sei.

Einige Minuten nachher kam der Kapitän des Sklavenhändlers an Bord des Sperbers, um mir seine Achtung zu bezeugen. Ich führte ihn nach der Kajüte hinunter und ließ Bier und Käse auftischen – die größten Hochgenüsse in diesen Himmelsstrichen. Wie mir Kapitän Irving angedeutet hatte, war er ein sehr ruhiger, anständiger, ernster Mann, was mich einigermaßen Wunder nahm. Als wir uns auf das Deck begaben, bemerkte ich auf dem nahegelegenen Schiffe, daß es zwei sehr große Hunde an Bord hatte, welche bei dem Anblick des Kapitäns ganz wüthend zu bellen begannen. Er sagte mir, es wären Cuba-Bluthunde, ohne die er nie an's Land gehe; sie seien sehr treue, muthige Thiere, und wenn er sie bei sich habe, könne er sich für sicherer halten, als wenn er ein halb dutzend bewaffneter Männer in seinem Gefolge mitnähme. Bald nachher verabschiedete sich Kapitän Irving sowohl, als der Kommandeur des Sklavenhändlers. Da wir noch einige Stunden Tag hatten, so ließ Ersterer in seinen Booten die Waaren abholen, und mit Einbruch der Nacht begab ich mich in meine Kajüte, weil mir Kapitän Irving angedeutet hatte, es sei äußerst ungesund, wenn ich nach Sonnenuntergang auf dem Deck bleibe.

Am folgenden Tag ging Kapitän Irving mit seinen Waaren an's Land und betrieb einen sehr vortheilhaften Tauschhandel. Wie wir nachher fanden, hatte er für seinen Tand mehr Elfenbein, als sein Schiff zu fassen vermochte, und außerdem auch viel Goldstaub erhalten. Tags darauf ging ich mit Kapitän Irving an's Land, um den König – denn so nannte er sich selbst – zu besuchen. Er saß vor einer aus Palmblättern gefertigten Hütte und hatte einen Bortenrock auf seinem sonst nackten Leib – ein Anblick, der sich sehr possirlich ausnahm. Nach einem kurzen Gespräch entfernte ich mich wieder, und da ich hörte, der Sklavenhändler nehme etwa hundert Schritte weiter oben seine Ladung an Bord, so ging ich in diese Richtung. Die Sklaven wurden in einem Haufen von etwa Zwanzigen heruntergebracht; sie waren insgesammt mit den Hälsen an eine lange Bambusstange befestigt, und eine Reihe war bereits in das Boot hinuntergeschafft worden, während eine andere ihre Einschiffung erwartete. Ich überblickte sie voll Theilnahme mit ihrem Unglück und bemerkte mit einemmale ein Weib, das ich schon früher gesehen zu haben glaubte. Bei näherer Betrachtung erkannte ich in ihr Whyna, die Prinzessin, die mich in meiner Gefangenschaft so freundlich behandelt hatte. Ich ging auf sie zu und berührte ihre Schulter. Sie wandte sich so gut um, als es ihre Bande gestatteten, und als sie meiner ansichtig wurde, stieß sie einen schwachen Schrei aus. Ich griff ohne Umstände nach meinem Messer, schnitt den Strick, mit welchem sie an der Stange befestigt war, durch und führte sie weg. Sie fiel mir zu Füßen und küßte sie. Der Schwarze, welcher die Auslieferung der Sklaven beaufsichtigte, wurde darüber sehr zornig, eilte auf mich zu und holte mit seinem langen Stock aus; aber der Kapitän des Schooners, der an der Küste war und mein Benehmen mit angesehen hatte, begrüßte ihn mit einem Fußstoß vor den Magen, der ihn zur Ruhe brachte. Dem Sklavenhändler-Kapitän theilte ich in wenigen Worten mit, daß ich früher einmal in der Gefangenschaft der Neger gewesen und in dieser Frau eine Wohlthäterin gefunden habe; er möchte mir daher, ihren Preis namhaft machen, da ich bereit sei, ihn zu bezahlen.

»Es ist nicht der Rede werth,« versetzte er. »Die Weiber sind so wohlfeil, wie der Straßenkoth; nehmt sie, ich überlasse sie Euch herzlich gerne

»Nicht doch, ich muß für sie Lösegeld bezahlen,« entgegnete ich.

»Wohlan denn, Sir,« sagte er, »es fehlt mir sehr an einem Fernrohr; Ihr habt eines an Bord – wollt Ihr mir es abtreten?«

»Gewiß, und tausend Dank obendrein,« lautete meine Erwiederung.

Ich richtete das arme Geschöpf, welches kläglich abgemagert und sehr schwach war, vom Boden auf, führte sie nach dem Boot der Amy und hieß sie einsteigen. Kapitän Irving kam gleichfalls herunter und wir kehrten an Bord zurück. Nachdem ich dem armen Weibe einige Erfrischungen gereicht hatte, deren sie sehr benöthigt war, versuchte ich, mir so viel von ihrer Sprache in's Gedächtniß zu rufen, um mich ihr verständlich machen zu können – eine Aufgabe, die mir anfänglich schwer genug wurde, allmählig aber immer besser ging, da ihre eigenen Reden meinem Gedächtniß zu Hülfe kamen. So viel ich aus letzteren entnehmen konnte, hatten sich die Krieger gegen die Barbarei ihres Königs empört, denselben in Stücke gehauen und seine Weiber sowohl, als seine Diener in die Sklaverei verkauft. Ich versprach ihr, sie solle keine Sklavin sein, sondern mit mir in mein Vaterland reisen, wo für sie Sorge getragen werden solle.

Sie küßte meine Hände, und in dem Lächeln ihres Dankes sah ich mich wieder an die Whyna der früheren Zeiten erinnert. Ich hielt es jedoch nicht für räthlich, sie an Bord des Schooners kommen zu lassen, weßhalb ich Kapitän Irving aufforderte, sie in seine Obhut zu nehmen und für ihre Bedürfnisse Sorge zu tragen, da ich beabsichtige, sie in seinem Schiffe nach England reisen zu lassen. Er gab bereitwillig seine Zustimmung, und ich rief nun nach einem Boote, um mich an Bord des Sperbers zu begeben. Whyna folgte mir auf's Deck; hier sagte ich ihr aber, ich müsse nach dem andern Schiffe hinüber, und sie werde gut thun, wenn sie sich niederlege, um auszuruhen. Da sie wahrscheinlich glaubte, die Amy sei mein Schiff und ich mache nur einen Besuch, so gehorchte sie meiner Aufforderung und ging mit Kapitän Irving wieder nach einem ledigen Passagierszimmer hinunter, das er ihr anwies.

Sobald ich an Bord des Schooners angelangt war, schickte ich dem Kapitän des Sklavenhändlers das erbetene Fernrohr. Whyna hatte zu mir gesagt: »ich werde jetzt deine Sklavin sein,« augenscheinlich in der Erwartung, daß sie bei mir bleiben dürfe, aber hierauf konnte ich nicht eingehen. Miß Trevannion hatte von meinen Abenteuern während meiner Gefangenschaft gehört, und ich mochte deshalb Whyna nicht in demselben Schiffe mit mir fahren lassen. Am andern Tag kam Kapitän Irving zu mir an Bord, um die Meldung zu machen, daß zwei weitere Matrosen am Fieber erkrankt seien; er wünsche daher, daß ich ihm bei Einschiffung seines Cargos Beistand leisten lasse. Ich entsprach seinem Ansinnen, und noch vor Einbruch der Nacht war die Amy bis an die Lucken geladen; aber gleichwohl blieb noch eine beträchtliche Anzahl von Elephantenzähnen in der Hütte, wo sie abgeliefert worden waren. Ich ertheilte ihm daher die Weisung, er solle, da seine Mannschaft augenscheinlich mehr und mehr den Anfällen der Krankheit erliege, ohne Zögerung absegeln; ich wolle den Rest des Elfenbeines an Bord meines Schooners nehmen und ihm folgen. Zugleich deutete ich ihm einen Punkt an, wo er warten sollte, bis ich ihm nachkäme, damit wir die Reise in Gesellschaft fortsetzen könnten. In derselben Nacht erkrankten auch drei von meinen Leuten.

Ich befand mich an Bord der Amy und hatte eben mit Whyna gesprochen, welche wissen wollte, warum ich nicht in diesem Schiffe schlafe. Ich entgegnete ihr darauf, daß ich dies nicht könne; wir gingen übrigens ohne Zögerung nach England, und ich lebe an Bord des Schooners. Kapitän Irving lichtete mit Tagesanbruch die Anker und war in einer Stunde aus dem Fluß. Auch ich sehnte mich, möglichst bald von einem so ungesunden Orte fortzukommen, weßhalb ich meine Boote bemannte und nach dem noch zurückgebliebenen Elfenbein an's Land ging. Ich fand, daß ich zur Einschiffung desselben den ganzen Tag verwenden mußte, denn wir hatten es eine gute halbe Stunde weiter oben von einem Punkte zu holen, der wegen des seichten Wassers mit unserm Schiff unnahbar war; denn das Elfenbein lag in einer Hütte neben dem Hause des Königs. Ich hatte bereits vier Bootslasten an Bord schaffen lassen, und da es jetzt Mittag war, kehrte ich mit dem fünften Boote zurück, um ein Diner einzunehmen, während ich den zweiten Maten zur Aufsicht am Ufer ließ und der erste, der mit mir in der Kajüte speiste, mich begleitete. Als wir in der Mitte des Stromes ruderten, stieß, wie es uns vorkam, das Boot gegen einen Baumstumpf und erhielt im Bug ein so großes Leck, daß es sich alsbald zu füllen begann. Ich befahl den Matrosen, nach dem nächsten Punkt, der sich auf der andern Seite des Flusses befand, zu rudern, damit wir das Boot auf den Grund brächten und es nicht versinke.

Als der erste Mate, der ein sehr rühriger Mann war, fand, daß ihn die Elephantenzähne dem Leck nicht beikommen ließen, so sondirte er mit dem Bootshaken, der eine Tiefe von blos drei Fuß Wasser ergab, weßhalb er mit einigem Werg, das er in den Sternschooten gefunden, über die Buge sprang, um die Beschädigung von außen zu verstopfen. Aber der arme Mensch war kaum zwei Sekunden im Wasser gewesen, als er einen Schrei ausstieß, und wir bemerkten jetzt, daß ein großer Hayfisch ihn entzweigeschnappt hatte. Dieser traurige Unfall flöste uns großen Schrecken ein, und die Matrosen ruderten, während zwei derselben das Boot ausöseten, nach Leibeskräften dem Ufer zu; denn wir sahen jetzt, welches Schicksal uns erwartete, wenn wir in dem Fluß versanken. Unter großer Anstrengung gelang uns dies endlich, und wir brachten das Boot unter das Schilf, welches auf dieser Seite des Flusses so dicht wuchs, daß wir uns nur mit Mühe durch dasselbe Bahn brechen konnten.

Knietief im Schlamm steckend, warfen wir das Elfenbein heraus und fanden jetzt, daß eine ganze Planke geborsten war, so daß eine Ausbesserung des Bootes außer dem Bereiche alter Möglichkeit lag. Wir waren dabei vor denen, welche uns hätten beistehen können, wenn sie von unserer Bedrängniß gewußt hätten, durch das Schilf verborgen und besaßen durchaus kein Mittel, ihnen Kunde zugehen zu lassen. Endlich glaubte ich, wenn ich mir durch das Schilfdickicht bis nach dem Vorsprung des Flusses Bahn brechen könnte, dürfte ich in der Lage sein, zu rufen und ein Nothsignal zu geben, weßhalb ich meine Leute aufforderte, beim Boot zu bleiben, und meine Expedition antrat. Anfangs ging dies ziemlich gut von Statten, da in dem Schilf kleine Pfade waren, welche meiner Meinung nach von den Eingebornen herrührten, und obschon ich oft bis an die Kniee in dickem schwarzem Schlamm einsank, ging es doch ziemlich schnell vorwärts. Endlich aber wurde das Röhricht so dicht, daß ich nur mit ungeheurer Mühe weiter kommen konnte. Gleichwohl setzte ich meine Anstrengung fort, da ich mit jedem Augenblick das Ufer des Flusses zu erreichen und so den Lohn meiner Bemühungen zu finden hoffte; je mehr ich mich über abarbeitete, einen desto schlimmern Anschein gewann die Sachlage und zuletzt fühlte ich mich so erschöpft, daß mir aller Muth entsank. Jetzt versuchte ich den Rückweg, aber mit eben so ungünstigem Erfolg, weshalb ich mich mit sehr trübseligen Gedanken niedersetzte. Meiner Berechnung nach hatte ich mich schon zwei Stunden abgemüht und wußte jetzt gar nicht mehr, in welcher Richtung ich fortschreiten sollte. Wie es zu spät war, beklagte ich bitterlich meine Uebereilung.

Nachdem ich eine Weile ausgeruht hatte, nahm ich meine Anstrengungen wieder auf, die ich abermals eine Stunde fortsetzte; dann aber sah ich mich vor Erschöpfung genöthigt, aufs Neue in den tiefen schwarzen Schlamm niederzusitzen. Nachdem ich mich einigermaßen erholt hatte, arbeitete ich mich eine weitere Stunde ab, aber ebenso erfolglos, so daß ich mich für verloren gab. Der Tag neigte sich augenscheinlich seinem Ende zu, denn das Licht über meinem Haupte begann sich zu verdüstern, und ich wußte, daß eine Nacht, in dem Miasma des Schilfs zugebracht, für mich tödtlich werden mußte. Endlich wurde es dunkler und dunkler; es konnte höchstens noch eine Stunde bis zum Einbruch der Nacht seyn. Ich entschloß mich zu einer weiteren Kraftanstrengung und erhob mich, dampfend von Schweiß und fast auf den Tod erschöpft, abermals, um mir durch das dichte Schilf Bahn zu brechen, als ich mit einemmale ein tiefes Knurren vernahm und nicht zwanzig Schritte von mir einen großen Panther bemerkte. Er war wie ich auf dem Zuge und versuchte sich durch das Röhricht Bahn zu brechen, um an mich zu kommen. Ich wich in möglichster Eile zurück; er aber kam mir langsam immer näher, und meine Kräfte schwanden mehr und mehr. In der Entfernung glaubte ich Laute zu vernehmen, die stets größere Bestimmtheit gewannen; indeß hinderte mich die Furcht sowohl, als mein Ringen mit den Hemmnissen des Wegs, sie zu unterscheiden. Meine Augen hafteten auf dem grimmigen Thier, das mir nachsetzte, und ich dankte jetzt Gott, daß das Schilf so dicht und undurchdringlich war. Gleichwohl kam mir der Panther augenscheinlich immer näher, bis er kaum mehr fünf Schritte von mir entfernt war. Ich hörte wie er mit den Zähnen das Schilf zerriß und es mit seinen gewaltigen Pfoten niedertrat.

Die Laute, welche ich früher vernommen, näherten sich jetzt gleichfalls und ich konnte unterscheiden, daß es das Geheul anderer Thiere war. Einen Augenblick hielt ich es für das Bellen von Hunden, weshalb ich glaubte, in der Nähe des Schooners angelangt zu sehn, an dessen Bord die Bluthunde Laut gaben. Endlich konnte ich nicht mehr weiter – ich sank erschöpft und fast bewußtlos in den Schlamm. Ich erinnere mich noch, daß ich das Rohr krachen hörte, und dann ein wildes Gebrüll, ein Gellen, Knurren und Anzeichen eines wüthenden Kampfes vernahm – dann aber wurde ich ohnmächtig.

Ich muß nun dem Leser mittheilen, daß ungefähr eine Stunde, nachdem ich das Boot verlassen, der Sklavenhändlerkapitän flußaufwärts gerudert und von unsern Leuten im Langboot angebreit worden war. Als er sie auf dieser Seite des Flusses bemerkte, und zugleich ersah, daß sie sich in Bedrängniß befanden, hielt er auf sie ab und erfuhr von ihnen, was vorgefallen war; zugleich theilten sie ihm mit, ich habe vor einer Stunde das Boot verlassen, um mir durch das Röhricht Bahn zu brechen, und seitdem hätten sie nichts von mir gehört.

»Dies ist Wahnsinn!« rief er. »Er ist ein verlorner Mann. Bleibt an Ort und Stelle, bis ich vom Schooner zurückkomme.«

Er begab sich nach seinem Fahrzeug, nahm aus seiner Mannschaft zwei Neger und die beiden Bluthunde in das Boot, kehrte augenblicklich wieder zurück und setzte sodann die Hunde ans Land, indem er den Negern die Weisung gab, ihnen zu folgen. Sie hatten mir durch meine Windungen nachgespürt, (denn wie sich jetzt herausstellte, hatte ich nach allen Richtungen hin gearbeitet) und mich endlich erreicht, als ich eben erschöpft zusammengebrochen und der Panther zum Sprunge bereit war. Die Hunde griffen den Panther an, und dies war das Getöse gewesen, das in meinen Ohren klang, als ich betäubt da lag, den gierigen Fängen der wilden Bestie preisgegeben. Der Panther war nicht so leicht zu überwältigen, obschon er endlich erlag. Die Schwarzen, die gleichfalls herangekommen waren, fanden mich und trugen mich in meinem bewußtlosen Zustand an Bord des Sperbers. Das Fieber hatte sich meiner bemächtigt, und ich kam drei Wochen lang nicht wieder zum Bewußtsein. Erst dann erfuhr ich den eigentlichen Hergang der Sache, wie ich ihn dem Leser eben mitgetheilt habe und noch viel Anderes, über das ich mich jetzt verbreiten will.

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in der Kajüte des Sperbers. Einige Stunden war mir's noch wirr und unstät vor den Sinnen, aber ich raffte mich von Zeit zu Zeit auf, bis ich endlich das Gebälk und die Kielschwiene über mir unterscheiden konnte. Ich war zu schwach um mich zu rühren, und blieb deshalb auf dem Rücken liegen, bis ich wieder einschlief. Wie lange mein Schlaf währte, weiß ich nicht; indeß muß er wohl viele Stunden gedauert haben, und, als ich erwachte, fühlte ich mich kräftiger.

Ich konnte mich nun auf meinem Bette umwenden, und wie ich dies that, bemerkte ich einen jungen Mann, Namens Ingram, der an meiner Seite eingeschlummert war. Ich rief ihm mit matter Stimme zu, und er fuhr auf.

»Ich bin wohl sehr krank gewesen?« sagte ich.

»Ja wohl, Sir.«

»Ich habe versucht, mich auf Alles zu erinnern, aber bis jetzt ist's mir noch nicht möglich gewesen.«

»'s ist auch nicht der Mühe werth, Sir,« versetzte er. »Wünscht Ihr zu trinkend«

»Nein,« entgegnete ich.

»So ist's wohl am Besten, wenn Ihr wieder einzuschlafen versucht.«

»Ich kann dies nicht, denn es ist mir eher zu Muth, als ob ich aufstehen möchte. Wo ist Mr. Thompson – ich muß ihn sehen.«

»Mr. Thompson, Sir?« entgegnete er. »Erinnert Ihr Euch nicht?«

»An was?«

»Daß er von einem Hayfisch entzwei gebissen worden ist?«

Hayfisch! dies war das erforderliche Stichwort und das Gedächtniß kehrte wieder zurück.

»Ja, ja, ich erinnere mich jetzt an Alles – an Alles – an den Panther und an das Rohrdickicht. Wie wurde ich gerettet?«

»Die Bluthunde tödteten den Panther, und Ihr wurdet besinnungslos an Bord gebracht; seitdem habt Ihr stets in tobendem Fieber dagelegen.«

»Es muß wohl so seyn,« erwiederte ich, nach einigen Augenblicken des Nachdenkens meine Besinnung zusammenraffend. »Es muß so seyn. Wie lange bin ich krank gewesen?

»Dies ist der ein und zwanzigste Tag.«

»Der ein und zwanzigste Tag!« rief ich. »Ist's möglich? Ist von den Leuten Niemand krank?«

»Nein, Sir, sie sind Alle wohl.«

»Aber ich höre das Wasser an die Planken spielen. Sind wir noch immer vor Anker?«

»Nein Sir; der zweite Mate lichtete die Segel, sobald er fand, daß Ihr so krank wart.«

»Und ich bin ein und zwanzig Tage krank gewesen. Ei, so müssen wir wohl in der Nähe der Heimath seyn.«

»Wir hoffen in einigen Tagen Land anzuthun, Sir,« entgegnete Ingram.

»Dem Himmel sey Dank für alle seine Gnade,« sagte ich. »Ich erwartete nicht, das alte England wieder zu sehen. Aber was ist dies für ein übler Geruch? Woher kann er rühren?«

»Vermuthlich von dem Leckwasser, Sir,« entgegnete Ingram. Es macht auf kranke und schwache Leute stets einen schlimmen Eindruck. Indeß bin ich der Meinung, Sir, es wäre das Beste, wenn Ihr etwas Haferschleim nahmt und wieder einzuschlafen versuchtet.«

»Ich bin freilich noch sehr schwach, und das viele Reden hat mir nicht gut gethan. Ich glaube, ich will ein wenig Haferschleim nehmen.«

»Ich will dafür Sorge tragen, Sir, und komme bald wieder zurück.«

»Thut dies, Mr. Ingram, und sagt Mr. Olivarez, dem zweiten Maten, daß ich ihn zu sprechen wünsche.«

»Ja, soll geschehen,« entgegnete Ingram und verließ meine Kajüte.

Ich wartete eine Weile und horchte, ob ich nicht die Tritte des herankommenden zweiten Maten höre; denn es kam mir vor, als vernehme ich im Raume unten vor der Scheidewand der Kajüte, in welcher ich lag, ein seltsames Getöse. Aber ich war noch sehr schwach, und der Kopf schwindelte mir. Nach einer Weile kam Ingram mit dem Haferschleim herab, in welchen er, wie er sagte, der Würze halber etwas Zucker und einen Löffel voll Rum gemischt hatte. Er bot mir die Tasse an und ich trank sie aus, da ich Appetit verspürte. Rührte es nun von meiner Schwäche her, oder hatte er mehr als einen Löffel voll Rum beigemischt – so viel ist gewiß, daß ich ihm die Tasse kaum zurückgegeben hatte, als ich mich schläfrig zu fühlen anfing. Ich wandte mich von ihm ab und war bald wieder eingeschlummert.

Dieser Ingram war ein junger Mann, der früher bei einem Apotheker in der Lehre gewesen und dann auf die See gegangen war. Er hatte eine gute Erziehung genossen und war überhaupt ein heiterer Bursche, weshalb ich ihn ausgelesen, damit er mich in der Kajüte bediene und sich erforderlichen Falls auch anderweitig nützlich mache, da er den Seedienst gut verstand und es an Regsamkeit nicht fehlen ließ. Als ich wieder erwachte, fühlte ich mich überzeugt, daß ich eine ganze Nacht durchgeschlafen haben müsse; denn es war wieder Tag, wie zuvor, aber Ingram befand sich nicht an meinem Bette. Da ich in meiner Kajüte keine Klingel hatte, so mußte ich seine Ankunft abwarten. Ich fühlte mich. weit kräftiger, als Tags zuvor, und wollte nun aufstehen, sobald Ingram herunterkäme. Ich erinnerte mich nun, daß der zweite Mate mich nicht besucht hatte; auch hörte ich Lärm und Gemurmel im Raum, wie gestern. Dies überraschte mich und ich sah um so angelegentlicher der Rückkehr Ingrams entgegen. Endlich kam er und ich sagte ihm, daß ich schon mehr als eine Stunde wache.

»Wie fühlt Ihr Euch, Sir?« fragte er.

»Ich bin wieder ganz kräftig und möchte wohl aufstehen und mich ankleiden. Vielleicht kann ich mich ein Viertelstündchen auf dem Deck ergehen.«

»Ich denke es ist besser, wenn Ihr damit noch zuwartet,« versetzte er, »bis Ihr gehört habt, was ich Euch mittheilen muß, Sir. Gestern schwieg ich, weil ich glaubte, die Kunde würde Euch zu sehr angreifen; aber da Ihr heute viel besser seyd, möchte ich Euch sagen, daß es seltsame Dinge zu berichten gibt.«

»Wirklich?« rief ich überrascht. »Das ist sonderbar. Beiläufig, warum ist Olivarez gestern nicht zu mir gekommen?«

»Ich will Euch Alles erklären, Sir – nur müßt Ihr mir versprechen, daß Ihr liegen bleiben und ruhig zuhören wollt.«

»Gut, Ingram; ich will mich fügen. Ich bitte, fahrt fort.«

»Ihr wurdet durch den Sklavenhändlerkapitän in einem Zustand von Fieber und Besinnungslosigkeit an Bord gebracht. Er sagte, als er Euch heraufschaffte, daß er Euch für einen verlorenen Mann halte. Wir Alle waren derselben Ansicht, und in dieser Ueberzeugung, welche die ganze Schiffsmannschaft theilte, brachte man Euch in die Kajüte hinunter. Fieber und Delirien steigerten sich immer mehr, und man erwartete stündlich, daß Ihr den Geist aufgeben würdet. Zwei Tage nachher segelte der Sklavenhändler mit seiner Ladung aus, und wir blieben allein im Flusse zurück. Olivarez, der nun natürlich kommandirte, benahm sich mit den Matrosen und sagte ihnen, da Ihr schon so gut wie todt seyet, so habe man jetzt eine schöne Gelegenheit, sich Geld zu verdienen. Er machte den Vorschlag, das noch am Ufer liegende Elfenbein gegen Sklaven umzusetzen – ein Tausch, auf den die Neger, wie er sagte, mit Freuden eingehen würden – und mit der Ladung nach Brasilien zu segeln. Es sey nutzlos, meinte er, im Fluß liegen zu bleiben, da es uns allen, wie Euch das Leben kosten würde, und als Commandeur des Schooners glaube er am besten wissen zu müssen, was der Wunsch des Rheders sey, da dieser lange Zeit Schiffe im Sklavenhandel beschäftigt habe und es günstig aufnehmen werde, wenn wir eine Ladung verführten. Auch könne Allen an Bord eine reichliche Belohnung nicht entgehen. Dies sey ein hinreichender Grund, den Fluß ohne Zögern zu verlassen; denn andernfalls müßten sie warten, bis Ihr wieder genesen oder gestorben seyd, und mittlerweile könne mehr als die Hälfte der Mannschaft selber auch den Tod davon tragen. Versteht Ihr mich, Sir?«

»Ja, vollkommen. Fahrt fort Ingram.«

»Gut, Sir; die Matrosen bemerkten anfangs nicht, was er im Schilde führte, und erwiederten, es sey ihnen schon recht, wenn sie je eher je lieber aus dem Flusse kamen; auch dürfte es auf alle Fälle besser seyn, wenn wir eine Ladung Sklaven einnähmen, denn Olivarez sey jetzt im Kommando und sie müßten thun, wie ihnen befohlen würde. Ich schwieg darüber denn Olivarez hatte mir überhaupt die Frage nie vorgelegt. Gut also; das Elfenbein wurde gegen Sklaven umgetauscht, die wir jetzt an Bord haben, und von ihnen rührt der üble Geruch her, über den Ihr Euch gestern beklagtet. Wir nahmen hundert und vierzig nebst zureichenden Mundvorrath an Bord, versahen uns auch reichlich mit Wasser und segelten dann aus dem Strom. Seitdem sind wir Brasilien zugesteuert.«

»Da hat Olivarez eine Verantwortlichkeit auf sich genommen, der er nicht gewachsen ist,« sagte ich, »und er soll mir dafür einstehen.«

»Geduldet Euch, Sir,« entgegnete Ingram; »Ihr habt nur den ersten Theil der Geschichte gehört. Wir waren drei Tage zur See gewesen, als Olivarez, der zuvor die Leute einzeln gesprochen hatte, sie alle zusammenberief und ihnen sagte, man solle die schöne Gelegenheit nicht verlieren; sie seyen jetzt im Besitze des Schiffs und der Rheder werde nie erfahren, wohin es gekommen sey; sie könnten es für sich behalten und für eigene Rechnung Sklavenhandel treiben. Da es so schnell segle, sey ein Einholen oder Geentertwerden nicht zu fürchten, weßhalb sie keine Gefahr zu besorgen hätten. Sodann machte er ihnen den Vorschlag, er wolle das Kommando führen und den technischen Theil der Seefahrt besorgen; dafür verlange er die Hälfte des Gewinns und die andere Hälfte solle unter die Mannschaft getheilt werden, nachdem zuvor der Aufwand für Verköstigung und dergleichen bestritten sey. Dabei rechnete er ihnen vor, daß nach Tilgung aller Kosten jede Fahrt dem einzelnen Mann ungefähr hundert Pfund eintragen müsse. Die Mannschaft ging ohne Umstände auf die Bedingungen ein, mich ausgenommen, und als die Frage an mich kam, gab ich zur Antwort, ich werde in nichts willigen, so lange Ihr noch am Leben seyet. Dies sagte ich, weil ich fürchtete, man werde mich ermorden oder über Bord werfen.«

»Fahrt fort, Ingram, fahrt fort, und laßt mich Alles, selbst das Schlimmste, hören.«

»›Dann werdet Ihr bald der schwankenden Wahl enthoben seyn,‹« sagte Olivarez.

»›Ich weiß dies doch nicht, Sir,‹« versetzte ich, »›denn ich glaube Mr. Musgrave könnte es doch überstehen.‹«

»›Wirklich?‹ entgegnete er. ›Nun, in diesem Falle ist's um so schlimmer für ihn.‹«

»Ich muß der Mannschaft die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie auf diese Worte des Sprechers einmüthig ausrief, sie werde keinen Mord zulassen; denn wenn er hierauf abziele, so wollten sie nicht nur nichts mit der ganzen Sache zu thun haben, sondern sogar im ersten Hafen, den sie erreichten, die Anzeige machen; Ihr seyet immer ein wohlwollender guter Offizier gewesen, und ein so wackerer Mann dürfe nicht in dieser Weise sterben.«

»›Ei, ihr Leute,‹ entgegnete Olivarez, ›ich hatte nie einen derartigen Gedanken und verspreche Euch, wenn er mit dem Leben davon kommt, soll von keinem Mord die Rede seyn. Ich setze ihn im nächsten Hafen, den wir anthun, ans Land, übrigens in einer Weise, daß unsere Sicherheit nicht gefährdet wird – dafür muß Sorge getragen werden.‹

Die Matrosen erklärten sich hiemit einverstanden und wurden unter sich einig, bei ihrem nunmehrigen Befehlshaber auszuhalten.

›Und Ihr, Ingram,‹ fuhr Olivarez gegen mich fort, ›was sagt Ihr dazu?‹

›Was ich früher gesagt habe,‹ versetzte ich. ›So lange Mr. Musgrave noch am Leben ist, kann ich mich durchaus für nichts entscheiden.‹

›Gut,‹ sagte Olivarez; ›es handelt sich nur um den Aufschub Eures Entschlusses, denn ich weiß, daß Ihr Euch uns anschließen werdet. So wäre jetzt Alles ausgemacht, meine Jungen, und wir können uns das Mittagessen schmecken lassen.‹«

»Der Schurke soll mir dafür büßen!« rief ich.

»Stille, Sir, stille, ich bitte Euch darum; sagt kein Wort, sondern wartet geduldig ab und seht, wie die Sache ausfällt. Wir sind noch nicht in Rio; erst wenn wir dort anlangen, können wir vielleicht etwas thun. Aber Alles hängt davon ab, daß Ihr Euch ruhig verhaltet, denn wenn die Matrosen besorgt werden, könnten sie sich vielleicht überreden lassen, um der eigenen Sicherheit willen Euch zu tödten.«

»Ihr habt hierin vollkommen Recht, Ingram,« entgegnete ich. »Verlaßt mich jetzt für eine halbe Stunde; ich wünsche allein zu seyn.«

Ihr könnt Euch meine Aufregung denken, meine theure Madame, nachdem ich diese Kunde vernommen hatte. Ich hatte gedacht, in einigen Tagen Liverpool zu erreichen und daselbst von meiner theuren Amy bewillkommt zu werden; jetzt aber befand ich mich in den Händen von Seeräubern, die mit einer Sklavenladung in der Nähe der brasilianischen Küste standen. Sie hätten für ihre lebendige Waare wohl einen besseren Markt finden können, aber Olivarez hatte absichtlich auf Rio abgehoben, um einer Entdeckung vorzubeugen. Ach, wie mußte sich Amy mit ihrem Vater abängstigen, wenn sie nichts mehr von mir hörten! Wahrscheinlich kam man auf den Schluß, der Schooner müsse in einer Bö überstürzt und mit seiner ganzen Mannschaft zu Grunde gegangen seyn. Trotz meiner Aufregung und meines Zornes fühlte ich doch die Wahrheit dessen, was mir Ingram gesagt hatte – daß es nämlich nöthig war, mich ruhig zu verhalten; denn hiedurch konnte ich vielleicht nicht nur mein Leben erhalten, sondern auch den Rückweg nach meinem Vaterlande finden. Als Ingram wieder eintrat, fragte ich ihn, ob Olivarez von meiner Besserung und von dem Umstande, daß ich wieder zur Besinnung gekommen, unterrichtet sey. Er antwortete mit Ja; indeß habe er ihm bedeutet, ich sey so schwach, daß ich mich wohl kaum wieder erholen werde.

»Dies ist gut,« sagte ich. »Erhaltet ihn so lang als nur immer möglich auf diesem Glauben.«

Er bot mir jetzt wieder Haferschleim an, den ich genoß; ich glaube, er hatte demselben ein Opiat beigemischt, denn bald nachher fühlte ich mich wieder schlaftrunken und schlummerte aufs Neue ein. Diesmal erwachte ich früher, denn es war noch Nacht, und ich hörte die Stimme von Olivarez auf dem Deck. Hieraus entnahm ich, daß Land in Sicht seyn mußte, denn ich hörte ihn zugleich Befehl zum Beilegen des Schooners ertheilen. Am Morgen brachte mir Ingram ein Frühstück in die Kajüte herunter, das ich mir gut schmecken ließ; denn mit meiner Wiedergenesung ging es schnell und es hungerte mich unaufhörlich.

»Wir haben Land in Sicht?« sagte ich zu ihm.

»Ja, Sir; aber wie ich höre, stehen wir noch viele Meilen nördlich von Rio. Olivarez kennt die Küste genau. Heute langen wir nicht daselbst an; wenn es überhaupt nur morgen geschieht.«

»Ich fühle mich wieder ganz kräftig und möchte aufstehen,« versetzte ich.

»Thut dies, Sir,« sagte er; aber wenn Ihr Jemand die Leiter herunterkommen hört, so schlüpft sogleich wieder in Euer Bett.«

Unter Ingrams Beistand kleidete ich mich an und ging in der Kajüte umher. Mein Gang war noch sehr taumelig; aber sobald ich die kühle Luft durch die Sternpforten verspürte, fühlte ich mich neu belebt, und nach einer Stunde konnte ich wieder kräftig auftreten.

»Habt Ihr nichts Weiteres in Erfahrung gebracht?« fragte ich Ingram.

»Olivarez erkundigte sich diesen Morgen bei mir, wie Ihr Euch befändet. Ich antwortete ihm, daß Eure Genesung Fortschritte mache.«

›Gut so,‹ sagte er, ›was auch sein Schicksal seyn mag, Ihr werdet es zu theilen haben, da Ihr so sorgfältig für ihn gewesen seyd und uns in diese Klemme gebracht habt. Nun, ich werde es einzuleiten wissen, daß wir Euch Beide vom Hals kriegen.‹

»Ich gab keine Antwort, Sir, da ich wohl wußte, ich würde ihn dadurch nur aufbringen.«

»Ihr hattet Recht, Ingram; ein paar Tage werden unser Geschick zur Entscheidung bringen. Ich glaube nicht, daß er es wagen wird, uns zu ermorden.«

»Ich vermuthe gleichfalls, daß dies nicht in seinem Wunsche liegt, wenn er uns nur, ohne seine eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen, fortbringen kann,« entgegnete Ingram.

Zwei weitere Tage entschwanden, und jetzt theilte mir Ingram mit, daß wir nur in kurzer Entfernung von der Stadt stünden und bald Anker werfen würden.

»Schleicht Euch hinauf und sagt mir, was sie oben treiben,« versetzte ich.

Er ging die Leiter hinauf, kehrte aber bald wieder mit dem Bemerken zurück, daß wir eingeschlossen wären.

Ich war sehr ärgerlich darüber; aber die Sache ließ sich nicht ändern und wir sahen uns auf Geduld angewiesen. Ich gestehe, daß mir meine Lage sehr beängstigend wurde. Wir hörten das Niedergehen des Ankers und das Anlegen von Booten, worauf die Nacht über Alles still wurde. Am andern Morgen vernahmen wir, wie die Luken geöffnet und die Sklaven auf das Deck berufen wurden. Der Tag entschwand unter dem Landen derselben. Ich war ungemein hungrig und fragte Ingram, ob man uns vielleicht auszuhungern gedenke. Er stieg die Leiter hinan, um nach Lebensmitteln zu rufen, fand aber auf dem obern Tritt ein großes Gefäß mit Wasser und etwas gekochtem Mundvorrath, der wahrscheinlich im Lauf der Nacht hingestellt worden war. Dies reichte auf zwei oder drei Tage zu. Der nächste Tag entschwand, ohne daß uns Jemand nahe kam, weshalb ich darauf dachte, ob ich nicht durch die Sternpforten hinausspringen und ans Land zu schwimmen versuchen sollte; aber Ingram, der seinen Kopf so weit wie möglich hinausgesteckt hatte, theilte mir mit, das Ufer liege ziemlich fern und am Hintertheil des Fahrzeugs könne er mehrere Hayfische bemerken, wie dies stets bei mit Sklaven beladenen Schiffen der Fall ist.

Der nächste Morgen jedoch machte unserer Spannung ein Ende, denn die Hütte wurde aufgeschlossen und Olivarez kam, von vier Portugiesen begleitet, in die Kajüte herunter. Er redete seine Begleiter in ihrer Sprache an, worauf sie sich näherten, Ingram und mich am Kragen packten und uns die Leiter hinaufschleppten. Ich wollte Widerspruch einlegen, konnte mich aber natürlich nicht verständlich machen, und Olivarez sagte zu mir:

»Widerstand ist fruchtlos, Mr. Musgrave; Ihr habt nichts zu thun, als ruhig mit diesen Männern zu gehen. Sobald der Schooner abgesegelt ist, wird man Euch in Freiheit setzen.«

»Gut,« versetzte ich, »sey es darum, Olivarez. Aber merkt Euch meine Worte – Ihr werdet dies bereuen, und ich sehe Euch sicherlich noch an einem Galgen baumeln.«

»Ich hoffe, das Holz dazu ist noch nicht aus dem Boden herausgewachsen,« entgegnete er; »indeß kann ich keine weitere Worte gegen Euch verlieren.«

Er redete dann wieder mit den Portugiesen, welche Regierungsbeamte irgend einer Art zu seyn schienen, und diese führten uns nach der Laufplanke. Wir stiegen in das Boot und wurden ans Ufer gerudert.

»Wohin mögen sie uns nehmen, Ingram?« fragte ich.

»Der Himmel weiß es, Sir; aber wir werden es seiner Zeit schon erfahren.«

Ich versuchte die Beamten anzureden, aber sie riefen mir » Silentio« zu, ein Wort, mit dem sie mir, wie ich wohl begriff, Stillschweigen auferlegen wollten. Da ich nun fand, daß sie sich nicht bewegen ließen, mich anzuhören, so sagte ich nichts mehr. Wir landeten an einem Hafendamm und wurden sodann durch die Straßen nach einem großen freien Platz geführt. Auf der einen Seite desselben stand ein großes Gebäude, nach welchem unsere Begleiter ihre Schritte lenkten. Die Thüre ging auf, und wir mußten eintreten. Die beiden Beamten brachten ein Papier zum Vorschein, dessen Inhalt augenscheinlich in ein Buch eingetragen wurde; dann entfernten sie sich und ließen uns bei den Leuten, welche uns in Empfang genommen hatten und ihrem Aussehen nach die Gefängnißwärter waren.

»Was für ein Verbrechen ist mir zur Last gelegt worden?« fragte ich.

Ich erhielt keine Antwort, aber zwei von den untergeordneten Dienstleuten nahmen uns fort, schlossen eine schwere Thüre auf und stießen uns in einen großen Hofraum, der mit Leuten von jeder Farbe angefüllt war.

»Jedenfalls sind wir in einem Gefängniß;« sagte ich, sobald die Thüre hinter uns abgeschlossen war; »aber nun frägt sich's, ob wir wirklich wieder in Freiheit gesetzt werden, wie Olivarez versichert hat.«

»Das ist schwer zu sagen,« versetzte Ingram. »Es handelt sich zuvörderst darum, in was für einem Gefängniß wir uns befinden. Dies ließe sich vielleicht ermitteln, wenn wir Jemand entdecken könnten, der Englisch spricht.«

Mehrere unserer Mitgefangenen waren auf uns zugekommen, um uns zu betrachten, und entfernten sich dann wieder. Ich besprach mich noch in der vorhin angedeuteten Weise mit meinen Leidensgefährten, als ein Neger herankam und uns, wie er hörte, was wir sagten, Englisch anredete.

»Massa wünscht Jemand, der Englisch sprech – ich sprech Englisch – war lange Zeit an Bord von englisch Schiff.«

»Wohlan denn, mein guter Freund,« sagte ich, »könnt Ihr uns sagen, was dies für ein Gefängniß ist und weshalb man hier eingesperrt wird?«

»Ja, Massa, Jedermann das weiß, wenn er zu Rio leb'. Dies Gefängniß ist für Leute, die Diamanten graben sollen.«

»Wie meint Ihr dies?«

»Wie ich mein', Massa? die Leute sind hergeschickt zu arbeiten in den Diamantgruben, ihr ganz Leben lang, bis sie sterb'. Sie müssen hier bleib', bis man genug hat, sie zu schick' All' auf einmal fort. Dann nimmt die Wach' sie ins Land hinauf und man muß grab' und wasch' nach Diamant. Wenn Ihr find' ein sehr groß' Diamant, so werd' Ihr frei. Wenn Ihr nicht find', so sterb' Ihr dort.«

»Barmherziger Himmel!« rief ich Ingram zu, »so sind wir also verurtheilt, als Sklaven in den Diamantengruben zu arbeiten!«

»Ja,« versetzte Ingram mit einem Seufzer. »Indessen ist dies immerhin ein besseres Unterkommen, als in den Quecksilberminen. Jedenfalls haben wir frische Luft.«

»Frische Luft ohne Freiheit!« rief ich, meine Hände zusammenschlagend.

»Laßt den Muth nicht gleich sinken, Sir, denn wir wissen ja unser Schicksal noch nicht. Vielleicht werden wir, wie Olivarez gesagt hat, nach der Abfahrt des Schooners in Freiheit gesetzt.«

Ich schüttelte den Kopf, denn ich fühlte mich vom Gegentheil überzeugt.


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