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Vierunddreißigstes Kapitel

Ich versuche, aus einer erhaltenen Nachricht Nutzen zu ziehen, statt dessen aber ziehe ich einer Dame bedeutende Krämpfe zu.

————

In etwa drei Stunden hatte ich ihm meine Lebensgeschichte bis zum laufenden Tag erzählt, so ausführlich beinahe, als der Leser sie erhalten hat. »Und nun, Mr. Masterton«, sagte ich am Schlusse, »glauben Sie, daß ich den Namen eines Spitzbuben verdiene, den Sie mir bei meinem Eintritt gegeben haben?«

»Auf mein Wort, Mr. Newland, ich weiß kaum, was ich sagen soll, aber ich liebe die Wahrheit. Zu behaupten, daß Sie durchaus ehrlich gehandelt haben, würde nicht ganz richtig sein: ein Spitzbube sind Sie bis zu einem gewissen Grade immerhin gewesen, aber die Schuld fällt den Umständen zu. Ich kann nur so viel sagen, daß es in dieser Welt größere Spitzbuben mit unbefleckten Namen giebt, daß die meisten Leute in Ihrer eigentümlichen Lage weit größere Spitzbuben geworden wären, und endlich, daß, Spitzbube oder nicht, es mir großes Vergnügen macht, Ihnen mit der Versicherung die Hand zu geben, daß ich, rein um Ihretwillen, alles, was in meinen Kräften steht, für Sie zu thun entschlossen bin. Ihr Suchen nach Ihren Eltern kommt mir beinahe nicht besser vor, als eine Jagd auf wilde Gänse, aber da nun einmal Ihre Glückseligkeit davon abhängt, so glaube ich, wir dürfen's nicht aufgeben; nur müssen Sie mir Zeit zum Nachdenken lassen. Ich will nachdenken, was hier am vorteilhaftesten zu thun sei. Können Sie am Freitag bei mir speisen, um die Sache unter vier Augen zu besprechen?«

»Am Freitag, Sir? Wenn ich nur nicht zu Lady Maelstrom eingeladen wäre! – Aber das hat nichts zu sagen, ich will ihr schreiben und mich entschuldigen.«

»Lady Maelstrom! wie sonderbar, daß Sie ihren Namen gerade nach dieser Unterredung nennen müssen.«

»Wieso, mein werter Sir?«

»Ja, sehen Sie«, erwiderte Mr. Masterton und wollte vor Lachen fast ersticken: »nämlich – Sie müssen wissen – es ist ein Geheimnis, Mr. Newland – fällt mir eben ein, daß sie vor zwanzig Jahren, als ein Mädchen von achtzehn, vor ihrer Heirat einen kleinen faux pas machte; ich wurde damals berufen, ein Übereinkommen wegen der Alimentation und dergleichen zu treffen.«

»Ist es möglich, Sir?« rief ich in gespannter Erwartung.

»Ja, sie war leidenschaftlich verliebt in einen jungen Offizier ohne Vermögen, aber von guter Familie. Einige sagen, es habe eine heimliche Heirat stattgefunden, andere, er sei ein – Schurke gewesen. Es wurde alles vertuscht, aber ihre Familie nötigte ihn, bevor er nach Westindien ging, eine Alimentationsverschreibung, die mir anvertraut wurde, auszustellen. Ich habe seitdem nichts mehr von der Sache gehört. Der Offizier hieß Warrender; er starb am gelben Fieber, wie ich glaube, und nach seinem Tode heiratete sie Lord Maelstrom.

»So ist er also tot!« rief ich traurig.

»Nun, das darf Sie nicht erregen, mein Guter. Am Freitag also, mit dem Schlage sechs. Adieu, Mr. Newland.«

Der alte Herr gab mir die Hand, und ich ging nach Hause, aber mir schwindelte der Kopf aus Furcht vor einer Bestätigung dessen, was Herr Masterton mir in so gleichgültigem Tone mitgeteilt hatte. Meine glühende und immer auf diesem einen Gegenstand verweilende Einbildung steigerte auch die entfernteste Möglichkeit fast zur Gewißheit, und sobald ich in mein Zimmer gekommen war, warf ich mich auf das Sopha und versank in tiefes Nachdenken. Ich versuchte Lady Maelstroms Gesichtszüge den meinigen ähnlich zu finden, aber aller Witz in der Welt konnte das nicht zustande bringen. – Indessen konnte ich ja meinem Vater gleichen – aber mein Vater lebte nicht mehr, und dieser Gedanke war ein kalter Schlag für die Gebilde der Phantasie, die ich, wie gewöhnlich, heraufbeschworen. Außerdem hatte jener Zettel besagt, ich sei ehelich geboren, und hier waltete ein Zweifel über die Heirat der Dame ob.

Nach langem Nachdenken sprang ich auf, setzte den Hut auf und begab mich nach Grosvenor-Square in der Absicht, die Dame um eine geheime Unterredung zu bitten und mit einemmale meinen beunruhigenden Zweifeln und Vermutungen ein Ende zu machen. Ich glaube, ich hätte keinen stärkeren Beweis von meiner Tollheit geben können, als durch diesen Versuch, eine vierzigjährige Dame wegen ihrer Jugendsünden zur Rede zu stellen und über einen Gegenstand ins Verhör zu nehmen, den sie, da er nur zwei oder drei Personen anvertraut worden war, längst vergessen glaubte; aber ich dachte gar nicht daran, mein Feuer hatte alle Überlegung verzehrt. Mit raschen Schritten eilte ich durch die Straße; die Leute, die mir begegneten, waren nur Schatten, die ich weder sah noch unterschied. Ich war ganz in Gedanken vertieft über die beste Art, den Gegenstand bei der Dame zur Sprache zu bringen; denn trotz meiner fixen Idee hatte ich noch so viel Besinnung, um einzusehen, daß es eine sehr zarte Sache sei. Nachdem ich wohl zwanzig Leute in meinem tollen Laufen überrannt hatte, kam ich an die Thüre und klopfte; mein Herz schlug fast ebenso heftig gegen die Brust.

»Ist Lady Maelstrom zu Hause?«

»Ja, Sir.«

Ich wurde ins Besuchszimmer geführt, wo sie mit zwei ihrer Nichten, den beiden Miß Fairfax, saß.

»Mr. Newland, Sie sind uns ja ganz fremd geworden«, sagte die Dame, als ich zu ihr herantrat und meine Verbeugung machte. »Ich hatte mir vorgenommen, Sie auszuschelten, aber ich kann mir denken, daß diese traurige Geschichte mit dem armen Carbonnell ein schwerer Schlag für Sie gewesen ist; Ihr waret so vertraut miteinander, Ihr wohntet, glaube ich, zusammen, nicht? Übrigens haben Sie bei alledem keine Ursache, sich so zu grämen; denn er war keine ganz geeignete Gesellschaft für junge Männer, wie Sie. Die Wahrheit zu sagen, ich halte es für ein Glück, daß er von Ihnen genommen wurde, denn er würde Sie nach und nach zu allem möglichen Unfug, ja zur Verschleuderung Ihres ganzen Vermögens verleitet haben. Ich dachte einmal sehr daran, Ihnen einen Wink zu geben, aber es war ein zu zarter Punkt; nun er nicht mehr ist, will ich Ihnen ganz aufrichtig sagen, daß Sie einer Gefahr entgangen sind. Ein junger Mann, wie Sie, Mr. Newland, dem eine Verbindung mit den besten, ja mit den allerbesten Familien zu Gebote stünde – und lassen Sie sich sagen, Mr. Newland, es giebt gar nichts, was einer Konnexion gleich kommt – Geld hat keinen Wert für Sie, aber Konnexionen, Mr. Newland, das ist's, worauf Sie Ihr Auge werfen müssen – eine Verbindung mit einer vornehmen Familie – da werden Sie gut fahren. Ich möchte Sie verheiratet sehen, gut verheiratet, Mr. Newland. Jetzt, da Sie den Major los sind, der seiner Zeit manchen jungen Mann zu Grunde gerichtet hat, hoffe ich, Sie werden mit Ernst daran denken, sich häuslich niederzulassen. Cäcilie, meine Liebe, zeige Mr. Newland Deine Stickerei und frage ihn um seine Meinung. Ist es nicht eine schöne Arbeit, Mr. Newland?«

»Außerordentlich schön, Lady«, erwiderte ich, froh, endlich einmal zu Worte kommen zu können.

»Emma, meine Liebe, Du bist blaß, Du mußt in die frische Luft gehen. Setzt Eure Hüte auf, Kinder, und geht ein wenig im Garten umher; wenn der Wagen vorfährt, will ich Euch rufen lassen.«

Die jungen Damen verließen das Zimmer. »Hübsche, unschuldige Mädchen, Mr. Newland; aber ich glaube, Sie lieben die Blondinen nicht.«

»Im Gegenteil, Lady Maelstrom, ich ziehe die Blondinen den Brünetten unendlich vor.«

»Das beweist viel für Ihren Geschmack, Mr. Newland. Die Fairfax sind eine sehr alte Familie – sächsisches Blut, Mr. Newland. Fairfax ist der sächsische Ausdruck für lichtes Haar. Wie merkwürdig, daß sie blond sind bis auf diesen Tag! Reines Blut, Mr. Newland! Sie haben natürlich von General Fairfax gehört, der Cromwells Zeitgenosse war. Von diesem stammen sie in gerader Linie ab – eine ausgezeichnete Familie und von hohen Konexionen, Mr. Newland. Sie wissen, daß es meine Nichten sind: meine Schwester heiratete Mr. Fairfax.«

Ich zollte den beiden Miß Fairfax alle Huldigungen, die sie nach meiner Ansicht auch wirklich verdienten; denn sie waren hübsche, liebenswürdige Mädchen, welche keines Herausstreichens von ihrer Tante bedurften; und dann begann ich: »Sie haben, Lady, mir so freundliche Wünsche ausgedrückt, daß ich nicht dankbar genug sein kann, aber Sie werden mich vielleicht für romantisch halten, wenn ich Ihnen sage, daß ich entschlossen bin, aus keinem andern Grunde als aus Liebe zu heiraten.«

»Ein ganz vortrefflicher Entschluß, Mr. Newland. Es giebt heutzutage wenige junge Männer, die sich etwas um die Liebe bekümmern; aber ich glaube, sie ist eine große Bürgschaft für eheliches Glück.«

»Wahr, meine Lady, und was kann es Entzückenderes geben, als die erste Liebe? Ich berufe mich auf Ihre Herrlichkeit: war nicht Ihre erste Liebe die schönste? hat sie nicht die dauerndsten Erinnerungen hinterlassen? rufen Sie sich nicht immer noch jene Tage der Wonne vor die Seele zurück, wo Liebe Ihnen eins und alles war?«

»Meine romantische Zeit ist längst vorüber, Mr. Newland«, erwiderte die Dame. »Wahrhaftig, es lag niemals viel Romantik in meinem Wesen. Ich heiratete Lord Maelstrom der Partie wegen und liebte ihn ganz artig, das heißt mit Maß, Mr. Newland; verstehen Sie mich, ich liebte ihn gerade hinlänglich, um ihn zu heiraten und meinen Eltern zu gehorchen; das ist alles.«

»Aber, meine teure Lady Maelstrom, ich meinte nicht Ihre Heirat mit Sr. Herrlichkeit, ich sprach von Ihrer ersten Liebe.«

»Von meiner ersten Liebe, Mr. Newland? was wollen Sie damit sagen?« versetzte die Dame mit einem scharfen Blick.

»Euere Herrlichkeit brauchen sich nicht darüber zu schämen. Unsere Herzen sind nicht in unserer Gewalt, wir sind nicht immer stark genug, unsere Leidenschaften zu unterdrücken. Ich darf Ihnen nur den Namen Wartender aussprechen.«

»Warrender!« rief die Dame mit einem Schrei. »Wie, Mr. Newland«, setzte sie hinzu, indem sie sich zu fassen suchte: »wer hat Ihnen etwas davon gesagt?«

»Meine teure Lady Maelstrom, ich bitte, zürnen Sie mir nicht, denn ich bin sehr innig bei dieser Angelegenheit beteiligt. Ihre Liebe zu Mr. Warrender, jenes Verhältnis lange vor Ihrer Heirat, ist mir wohlbekannt. Diese Liebe ist es, auf welche ich anspielte, als ich Sie fragte, ob sie nicht entzückend gewesen sei.«

»Nun ja, Mr. Newland«, erwiderte sie: »wie Sie etwas davon erfahren haben, kann ich mir nicht denken, aber ich will es gestehen, es fand eine flüchtige Liebelei zwischen mir und Edward Warrender statt; – ich war damals jung, noch sehr jung.«

»Zugegeben; glauben Sie nicht einen Augenblick, daß ich die Absicht habe, Euere Herrlichkeit zu tadeln – aber, wie gesagt, ich bin sehr bei dieser Sache beteiligt.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, Mr. Newland, was Sie mit einer kleinen Liebelei zu schaffen haben sollten, die ich vor Ihrer Geburt hatte.«

»Eben weil Sie sie vor meiner Geburt hatten – das ist der Grund, weshalb ich so beteiligt bin.«

»Ich begreife Sie nicht, Mr. Newland, und denke, wir thäten besser, auf ein anderes Thema zu kommen.«

»Entschuldigen Sie mich, Lady, aber ich muß Sie bitten, noch ein wenig bei diesem zu verweilen. Ist Mr. Warrender tot oder nicht? Starb er in Westindien?«

»Sie scheinen sehr neugierig zu sein, Mr. Newland. Ich weiß es Ihnen kaum zu sagen; ja, nun fällt es mir ein, er starb am gelben Fieber. Ich glaube – aber ich habe alles vergessen, und nun werde ich keine Frage mehr beantworten. Wenn Sie nicht so ein besonderer Günstling von mir wären, Mr. Newland, so würde ich sagen, Sie seien recht unverschämt neugierig.«

»So will ich denn nur noch eine einzige Frage thun – mit Euerer Herrlichkeit Erlaubnis – ich muß sie thun.«

»Ich sollte denken, Mr. Newland, nach dem, was ich gesagt habe, könnten Sie den Gegenstand fallen lassen.«

»Augenblicklich, aber verzeihen Sie mir die Frage –«

»Nun, Mr. Newland?«

»Werden Sie mir nicht böse –«

»Nun?« rief die Dame, welche nachgerade unruhig wurde.

»Nur höchst wichtige und zwingende Gründe können mich zu dieser Frage vermögen.« – Die Dame suchte nach Atem, und konnte nicht sprechen. Ich stammelte; endlich brachte ich die Worte heraus: »Was wurde aus – aus – aus dem süßen Pfände Ihrer Siebe, Lady Maelstrom?«

Ihre Herrlichkeit wurde über und über rot vor Wut, erhob die geballte Hand und fiel in heftigen Krämpfen auf das Sofa zurück.

*


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