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Wir alle, soweit wir sie an jedem Montag Abend umringten, beteten sie an auf eine besondere Art: in spielerischer Lust, in Ehrfurcht vor ihrer Macht und mit geheimen Hoffnungen. Zu andern Zeiten war sie den jungen Hagestolzen fremd. Da legte sie etwa gegen Ende der Woche ihren Robber mit einer wohlwollenden Generalin, mit dem Polizeipräsidenten und dem englischen Konsul, oder sie empfing um die Teestunde ältere Patrizierinnen aus ihren Kreisen, deren Töchter mit den Leutnants über Sport und Bälle schwätzten und in unserer schwülen Grotte wie in einer Kinderstube sich tummelten. Außerhalb ihres Hauses war sie in den respektabelsten Familien zu treffen, wofern nur einiges Leben von Bedeutung dort herrschte, oder sie blieb auch abwesend, verreist aufs Unbestimmte, irgendwo im Ausland.
Wir beteten an ihr zärtliches Auge, das unter langen Wimpern lustig nach uns blinzelte, ihre stolze weiße Stirn, ihre vielversprechenden Lippen und den Anschein ihrer mädchenhaften Reinheit. Das 116 Wunderbarste an ihr aber waren ihre Finger, an zartem Glanz und schlanken Linien so begnadet, daß sie bewußter Pflege nicht bedurften; sehr bewegliche, geübte Finger waren es, die viele angenehme Dinge betastet und dem geschmeidigen Leib, dem sie dienten, alle romantischen Wege gewiesen zu haben schienen. Ringe trugen sie nicht, wie denn jedes Geschmeide, jeder künstliche Putz den Reiz und die bescheidene Hoheit dieser Natur, die wie aus göttlicher Lichtquelle aus sich selbst erstrahlte, verdunkelt haben würde.
Ich kannte sie nur flüchtig, bis auf die eine Stunde, da sie in Gnaden mein halb spöttisches Flehen halb erhörte. Kastor kannte sie seit Jahren. Mansuet hat sie von Kindheit an gekannt, auch sonst wohl von allen am besten; denn als Kinder sind solche Geschöpfe in der unbefangensten Schenkerlaune und erweisen sich dem Spielkameraden, der sie weiter geleitet, dankbar ihr ganzes Leben hindurch. Wie weit Herr Doktor Aloys Pampler, den wir von Anbeginn Pampila nannten, eine Ahnung ihres Wesens hatte, ob dieser Ochse mit den Tigerkrallen irgend welcher Ahnungen überhaupt fähig war, ist uns niemals klar geworden. Ein Tier, das nur wittert mit seinen dummen Instinkten und zupackt mit seinen plumpen Pratzen, so werde Doktor Pampila, der blondbärtige Idealist, zu den Akten seines schmählichen Falls gelegt. 117
Tasja.
»Für euch erziehe ich Tasja, für euch, ihr lieben jungen Herren!« so sagte Caritas Mimi zu uns, als wir sie mit der Zukunft ihres Kindes neckten.
Wir standen um den Flügel, an dem der Rückenmärker Roland etwas von Mozart spielte. Im olivgrünen Lederstuhl lag Caritas Mimi, und neben ihr saß, auf der Lehne, Tasja, ernst und aufrecht, die Füßchen zierlich gekreuzt.
Die Flügeltüren nach der Terrasse waren weit geöffnet, Sommernachtslüfte und Brodem von regenfeuchtem Hollergebüsch drang aus dem Garten herein. Die Brandmauern, die sein enges Geviert umdrängten, warfen die Schlußakkorde der heiteren Sonate dumpf und hart in das Gemach zurück.
»Weshalb für uns, Mimi?« erkundigte sich Mansuet, ihres Namens letzte Silbe eindringlicher als sonst betonend. Dabei beugte er sich von seinem Sessel aus über die Hand des Kindes, um sie behutsam zu liebkosen. »Sollen wir zeitlebens mit ihr spielen, oder sie nur beschützen, oder sie verheiraten, unter uns, wenn nicht gar anderwärts?«
»Nein, mein Alter, verheiraten sollst du sie nur, wenn es nicht anders möglich ist. Freude sollt ihr Tasja bereiten und Freuden an ihr haben, so gut ihr es versteht, und Kastor soll weiter Karriere mit ihr 118 machen, Malte Roland soll sich von ihr pflegen und verwöhnen lassen, und dieser Seelenschänder da« – sie wies auf mich, indem sie ein Kreuz über meinen demütigen Gliedern schlug – »soll alle holden und abscheulichen Gefühle mit ihr tauschen, bis sie reif geworden ist für einen andern.«
Pater Henning trat ein, schüttelte die letzten Tropfen des Gewitters von seiner Kutte und reichte uns allen unter Verbeugungen die Hand.
»Pater Henning soll Tasja in der Furcht Gottes erhalten,« fuhr Caritas Mimi lächelnd in ihren Dispositionen fort. »Die Furcht des Herrn ist der sicherste Hemmschuh auf unserer tollen Fahrt. Wollen Sie, Pater? – Ich meine nicht predigen, sondern plausibel machen sollen Sie die Frömmigkeit.«
Pater Henning blickte sich unsicher um:
»Caritas, Sie sprechen wie eine Matrone auf dem Sterbebette. Oder haben Sie die Absicht, den Schleier zu nehmen? Sie werden im Kloster nicht wohlgefälliger wandeln als hier.«
»Ach, lieber Pater, ich arbeite an meinem letzten Willen früh und spät. Wenn es nach Recht und Billigkeit geht, so muß der Himmel nun bald für das viele, viele Gute, das er an mir getan hat, seine Quittung präsentieren.«
Tasja, die wortlos und aufmerksam einen nach 119 dem andern mit ihren Topas-Augen verschlingend, all diese tändelnde Melancholie in sich gesogen hatte, warf sich nun von der Lehne herab auf Caritas' Schoß und umschlang ihre Mutter stürmisch. Die beiden schmalen Gesichter schmiegten sich aneinander, zwei Pfirsiche an einem Zweig; das dunkle Gelock des Kindes wühlte sich in die blonde Krone der älteren Gefährtin, und als sie sich küßten, schienen zwei Schwestern sich Lebewohl zu sagen.
Was unsere Freundin für ihr Kind ersehnte, war nichts anderes als das eigene Geschick, in dem sie sich tief befriedigt fühlte. Bei Gott, sie durfte die schwungvolle Kurve ihres Wandels mit bestem Gewissen segnen!
Baron Lottermoos.
Im bürgerlichen Verkehr hieß sie Baronin Lottermoos. Diesen Namen hatte sie vor zehn Jahren sachgemäß erworben. Bis dahin lebte sie verwaist in dem Hause, das seit undenklichen Zeiten ihrer Familie, dem Kaufherrn-Geschlecht der Porck-Weißthurn gehörte und das jetzt wieder ihr regelrechter Aufenthalt war. Vor zehn Jahren aber hatte sie es als Siebzehnjährige unvermutet verlassen, um, begleitet von einer 120 ebenso würdigen, wie zuverlässigen Gesellschaftsdame, die Riviera zu bereisen.
Was ich nunmehr berichte, war jenen ersten Zirkeln, in denen sie verkehrte, unbekannt. Niemand wußte darum als Mansuet, der es mir erst kürzlich offenbarte, und noch zwei andere Menschen, die, jeder in seiner Art, alsbald daraus zu profitieren versuchten.
In den französischen Alpen nämlich, in einem idyllisch gelegenen Chalet dieser Gegend, kam Tasja zur Welt und gedieh sogleich, zur Freude ihrer Mutter, vortrefflich. Jedoch ließ diese sie vorderhand in der Obhut der zuverlässigen Gesellschaftsdame, fuhr inkognito nach Deutschland und begab sich dort in das Bureau der Firma ›Weihrauch et Meyergeschrei, mariages‹, um sich aus deren Listen den Gemahl zu wählen.
Baron Leopold Salvator Lottermoos, ein Kavalier von unzweifelhaftem Stammbaum und tadelloser Haltung, war ganz der Mann, dessen Caritas Mimi bedurfte. Seine Schulden waren im Vergleich mit Caritas' Konsols nicht allzu bedeutend; seine Vergangenheit im großen und ganzen intakt. Öffentlich war er jedenfalls noch nicht kompromittiert gewesen. Er hatte Proben von überaus distinguierten Neigungen abgelegt, die seiner Gattin die Gewähr boten, daß er sie nicht mit Zudringlichkeiten, geschweige denn 121 mit Nachkommenschaft belästigen werde. In dem Vertrage, den Mimi, unterstützt von Herrn Meyergeschrei, aufsetzte, wurden diese Neigungen als Grundlage des Kontraktes unzweideutig stipuliert, so daß sie die Trauung in Seelenruhe erledigen konnte. Ein Jahr darauf kehrte Caritas in die Heimat zurück, stellte den Gemahl, der sich in ihrer Vaterstadt irgend einer künstlerischen Beschäftigung zu widmen gedachte, in den besten Häusern vor, ließ Tasja, das entzückendste Baby der Welt, umhüllt von einem Tragkleidchen aus Brüsseler Spitzen, gebührend bewundern und ward allenthalben aufs herzlichste beglückwünscht. Einen Winter lang übte sie Geselligkeit in großem Stil. Dann aber riefen den Baron verschiedene Pflichten ins Ausland, wie es hieß, auch nach Rom, wo ihm die Würde eines Päpstlichen Kämmerers verliehen worden war. Außerdem litt er an nervösen Störungen, mußte in der oder jener Anstalt seiner Gesundheit leben, und es währte nicht lange, so wurde Caritas nach Monte Carlo an sein Sterbebett gerufen. Von dort aus versandte sie die schwarz umränderten Anzeigen und war, wenn auch im Witwenschleier, bald wieder daheim bei Tasja und unter den Familien der besten Gesellschaft.
Nun erst begann ihr eigentliches, königliches Wirken. Nun erst krönte sich der lustig stolze, schimmernde Bau ihres Daseins und zwang uns Priester 122 dieses Tempels auf die Kniee zur Lobpreisung und zum flehenden Gebet.
Kastor.
Wem anders verdankt Kastor den hohen Posten, den er in Ehren ausfüllt, den amtlichen und politischen Einfluß, die Aussicht, in Kürze unentbehrlichster Beistand der Krone zu werden, wem anders als seiner Gönnerin Caritas! Ein Zufall, ein hingeworfenes Wort erweckte ihr die Laune, seinen Weg zu bahnen. Der junge Rat, den sie gern leiden mochte, weil er der anspruchsloseste ihrer Verehrer war, in ihrem Hause und überall wo sie ihn sonst antraf, so wortkarg und abwartend sich verhielt, hatte ihr eines Tages betrübt seinen Abschiedsbesuch angekündigt, da er nun bald in die Provinz versetzt und dort einbalsamiert werden würde. Es tat ihr leid, dieses ernste, kluge Gesicht künftig entbehren zu müssen und sie kam in ein vertrauteres Gespräch mit ihm. Das Gespräch hatte einige Unterredungen nahezu geschäftlichen Inhalts zur Folge, aus denen sie erkannte oder auch nur sich einbildete, daß er das Zeug zu starken, selbständigen Leistungen in sich trage. Und nun faßte sie ihren Plan, einen trotzig launischen Entschluß, ihn mit 123 Aufbietung all ihrer Kräfte zu halten und aufwärts zu treiben. Hoffnungen entzündete sie in ihm, das war ja ihr vornehmstes Machtmittel und versagte nie. Was lag daran, daß diese Hoffnungen allzeit trügerisch blieben, dienten sie doch dem gemeinsamen Ziele und feuerten ihn an zum gewaltigsten Training. Der zurückhaltende, gesetzte Mann, bisher nichts als ein Arbeiter tüchtiger Qualität, wagte auf einmal kühne Schritte, übte die Kunst, mit Takt sich vorzudrängen und in günstiges Licht zu setzen, veröffentlichte alsbald ein verwaltungsrechtliches Werk, das sich für die Praxis wertvoll erwies, stürmte die Jours und die Routs der höchsten Vorgesetzten. Inzwischen war Caritas noch eifriger am Werke. Mit der Hetzpeitsche ihrer koketten Andeutungen, ihrer Ratschläge und Überredungskünste stand sie unermüdlich hinter ihm. Sie ergründete, so gut es ihr gelingen wollte, Art und Umfang seines Wissens, die Grenzen seines Könnens, seine Spezialitäten und seine Abneigungen. War sie selbst auch mit den Ideen für sein Ressort nicht gesegnet – übel genug hätten sie ihr zu Gesicht gestanden –, so gelang es ihr doch, aus dem Manne Ideen hervorzulocken, vielleicht in ihm auch welche zu erzeugen. Auf ihrem eigensten Gebiet jedoch, in der Behandlung und Suggestion der Gesellschaftsmenschen, feierte sie mit dieser Sache wieder glänzende Triumphe. Selbst immer scheinbar unbeteiligt, im 124 Hintergrund sich haltend, streute sie unter die Leute wirksame Gerüchte von Kastors glänzender Begabung, seinem organisatorischen Scharfblick, seinem eisernen Fleiß und seiner großen Zukunft. Man erfuhr unter der Hand, daß auswärtige Behörden und Hochschulen ihn zu gewinnen suchten und daß er eine Millionenerbschaft zu erwarten habe. Nicht minder erforschte und verfolgte Caritas Mimi die Kanäle, die über die verschiedenen Staffeln geselliger Kreise und amtlicher Instanzen bis zu den entscheidenden Stellen führen. Sie ruhte nicht, bis sie die Bekanntschaft der wichtigsten Nummern, der Spezialdezernenten und Personalreferenten gemacht, deren schwache Seiten erkundet und mit geeigneten Mitteln erfolgreich bearbeitet hatte. Vor allem bediente sie sich der Damen, berechnender Mütter, heiratslustiger Töchter und klatschsüchtiger Tanten. Sie alle wurden mit den ahnungslosen Nasen auf Kastors eminente Bedeutung gestoßen. Die Maschine der öffentlichen Meinung wurde geölt und geheizt, bis schließlich ihr Räderwerk von selber funktionierte. War Kastor von Natur nur eine starke Intelligenz, bald galt er allgemein für den genialsten Kopf unter all seinen Kollegen, für einen Staatsmann unter den Beamten. In den wenigen Stunden, die er seiner Pace abrang, mühte er sich wohl, von Mimi den Lohn zu erhalten, den Caritas ihm versprochen hatte. Sie aber erklärte ihn noch immer 125 nicht reif dafür, sondern trieb ihn weiter vorwärts, aufwärts, andern Gipfeln zu. Als sie ihn das letzte Mal allein empfing, war er weich, weil etwas übermüdet, trug sich mit Gedanken an Haus und Herd, beabsichtigte, ihr seinen jetzt so klangvollen Namen, seine Titel und Erfolge legitim zu Füßen zu legen. Sie aber unterbrach ihn lächelnd, zählte ihm gleich drei günstigere Partieen auf und berichtete ihm, abschweifend auf dringlichere Geschäfte, daß dank ihrer guten Beziehungen zur hohen Geistlichkeit, die sie von jeher eifrig pflegte, der Entwurf seines Volksschulgesetzes der klerikalen Fraktion und Presse sicher sei. So segelten sie denn beide wieder im rechten Fahrwasser und bestätigten einander in fröhlichen Hyperbeln die erprobte Weisheit, daß deutsche Völkerschaften am sichersten und ersprießlichsten regiert werden, wenn voraussetzungslose Herren ein fromm konservatives Joch auf ihren Nacken legen.
Caritas Mimi.
Ei, wie verstand doch Caritas Mimi die greisen Würdenträger zu ködern und die Jugendlichen hinzuhalten! Wie geläufig waren ihr die kindlich-schwärmerischen Phrasen, mit denen man Glatzköpfe salbt und 126 die Paradoxe, von denen jeder Springinsfeld sich blenden läßt! Für jeden hatte sie eine andere Definition der Liebe, der Ehre oder der ewigen Daseinszwecke, und ein jeder spiegelte sich wohlgefällig in der verständnisvollen Seele Caritas Mimis, während sie über die Zerrbilder all der Tölpel sich belustigte.
Ihr schönen, ehrgeizigen Frauen, die ihr eure Schwestern zu überflügeln und auf uns Männern zu spielen gedenkt, von Caritas Mimi könnt ihr zum mindesten das eine lernen, daß ihr nicht anders denn durch sanfte und bescheidene Formen, das ist durch Grazie nämlich, unwiderstehlich werdet. Ihr dürft krank sein vor Stolz, vor Hochmut ruhig bersten, nur zeigen dürft ihr nichts davon. Sofern ein einziges Tröpflein Arroganz durch eure Poren sickert, ist es auch schon um euren ganzen Teint geschehen. Tausende von Weibern laufen enttäuscht, verbittert umher, die unter günstigem Stern begannen und dann doch von den Männern verworfen, von ihren Rivalinnen zertreten wurden, weil sie prahlten mit ihrer Rolle, die sie lieber hätten spielen sollen. Denn so beschränkt wir auch sonst sind, so wissen wir doch, daß sichtbarer Hochmut stets den Parvenü verrät, Einflüsse von Dienstboten aus einer schlechten Kinderstube. Menschen von gepflegter Rasse prunken, wenn sie denn einmal prunken müssen, auch im Umgang nur mit Güte. Ich will die Frage nicht entscheiden, ob 127 Caritas tatsächlich vornehm war. Doch herrschte sie durch einen Anschein von Vornehmheit, weil sie sich still und liebenswürdig gab und offenbarste Herzlichkeit gerade den Geringen und Ungewandten erzeigte. Daß sie Allmacht besaß, soll nicht behauptet werden. Nicht jedes ihrer Steckenpferde vermochte sie zu reiten. So hätte sie gern einmal – ich hörte das aus ihrem eigenen Munde – irgend einen Richter zur bewußten, wenn auch unmerklichen Beugung des Rechtes verleitet, nur um das Menschliche in ihm herauszuholen. Es gelang ihr leider nicht. Denn unsere guten Richter, so parteiisch sie auch urteilen, unbewußt, mit dem Brett der Bourgeoisie vor ihren Schädeln – doloser Weise ungerecht zu sein, widerstrebt ihrer unausrottbaren Pedanterie.
Die Rolands.
Der Jüngere von beiden, genannt der Rückenmärker, weil er auf seinen hohen, schlanken Schenkeln dahinstelzte wie ein struppiertes Vollblutpferd und alle Parketts nicht anders als mit einem elfenbeinernen Krückstock betrat, war ein feiner, übermütiger Knabe von fünfundzwanzig Jahren, Abgott und Sklave aller Damen von Welt. Wenn er vor dem 128 Flügel phantasierte und aus Mollakkorden elegante Wehmut sog, so erschauerten diese Damen, gleich als kitzele sie das Tremolo eines berühmten Tenors. Von den unbefriedigten Sehnsüchten seiner Jugend schmerzte ihn am meisten die zur Musik. Er hatte die Kunst des Kontrapunkts studieren und zum Beruf erwählen wollen, doch seine Eltern und Lehensvettern hatten es ihm untersagt. Sein Vater, Erbmarschall und Majoratsherr, stand den Künsten im allgemeinen nicht ablehnend gegenüber, wollte auch zugestehen, daß es wenigstens in der Malerei einige Herren von Familie gäbe, Musikanten jedoch, welche immer unsaubere Mähnen tragen und Konservatoristinnen mit lockeren Grundsätzen ohne Korsett seien kein Umgang für seinen Sohn. So bildete sich denn Malte allein und in den Salons nach eigenem Gefühle weiter, schmiedete nebenbei auch wohlklingende Verse über Landschaften oder irgend eine schöne Gönnerin, die ihn gerade bezaubert hatte.
Der Baronin Lottermoos ließ er sich vorstellen, weil das für ein Zeichen guten Geschmackes galt. Bald ward er Seladon bei ihr wie bei den übrigen. Seine Wünsche gingen auch ihr gegenüber nur auf seelische Gemeinschaft. Das Körperliche betrachtete er als Privatangelegenheit. Die meisten Damen lassen sich das gern gefallen, weil es gut aussieht und zu nichts verpflichtet. Caritas hegte zudem eine 129 wirkliche, fast mütterliche Zuneigung für Malte, den feinen, hinfälligen Knaben.
Und dann – wie angenehm! – seine Galanterie war Wachs in ihren Händen; gefügig und willenlos ließ sie sich von der Herrin in allerhand praktische Formen kneten, zu nützlichen Zwecken verwenden, so zur Begleitung ins Theater, zu kleinen Botengängen, zum Paketeltragen. Welche Dame von Welt zeigt sich auf der Straße und an anderen öffentlichen Orten nicht gern zur Seite eines gutgekleideten jungen Herrn mit Adorantenblicken!
Als Malte Roland noch in der Wiege lag, hatten ihm neckische Kobolde seinen eigenen Willen heimlich entwendet und dafür einen zuckrigen Extrakt, gebraut aus den Launen aller schönen Frauen, ins Herz geträufelt. Nun konnte er nichts denken, nichts unternehmen, es sei denn unterm Einfluß weiblicher Gewalten. Selbst seine Leidenschaft zur Musica empfand er nur als Gebot der holdseligen Euterpe und spielte am Flügel, weil es ihr und den andern Damen wohlgefiel. Es wäre ein schiefer Ausdruck, wollte ich von ihm sagen, daß er durchs Leben ging. wandelte oder auch nur trottete. Nein, Malte Roland stand, wenn nicht gestützt auf eines Menschen Arm, so doch wenigstens auf seinen elfenbeinernen Stab, unsicher im Leben umher und wartete, wohin der erste Beste ihn geleiten werde. So frei war er 130 von jedem eigenen Entschluß, daß er an irgend einer Straßenkreuzung plötzlich stehen bleiben, bald rechts bald links sich wenden, im Kreise und in Spiralen stelzen konnte, bloß weil ihm gerade niemand vorschlug, welches Ziel sich vielleicht lohnen würde.
Pakete trug er den Damen ungern, doch er tat es. Nur einmal, als er allzu schwer beladen, Caritas Mimi begleitete, trieb ihn ein Dämon, daß er all die Paketeln mit einem Male gelassen niederlegte, mitten auf das Trottoir und die wogende Menge und darauf an Caritas' Seite nachdenklich weiterschritt. Erstaunt wandte Caritas sich um, verstand ihn, lächelte verzeihend und ließ die Pakete liegen. Während Gassenbuben sich um die Pralinees und die dänischen Handschuhe rauften, bestieg sie mit Malte ein Automobil und stritt mit ihm über die Bedeutung des ›Parsifal‹.
Letzter Zeit waren seine Gefühle für Mimi immer durchsichtiger, immaterieller, seraphischer geworden. Er lag tagsüber viel zu Bett, umgeben von Damen, die ihm Neuigkeiten erzählten und Malossolbrötchen strichen, von Freunden, die Neckereien und heiteren Schimpf mit ihm trieben. Am lustigsten war es eine Zeitlang, als er in seinem Toilettenzimmer in Verbindung mit dem Gabelfrühstück regelmäßig eine Art von Lever abhielt, Mansuet dazu seine Gedichte parodierte und Caritas ihm bei den letzten Finessen des Anzugs half.
131 Früher gab es wohl Stunden, wo er unter ihrer Gegenwart in Seligkeit und Pein verging. Da saß er eng an ihren Fauteuil gepreßt, schwelgte mit seltsam erhitztem Ohr in dem Frou-Frou unterirdischer Gewänder, die bewegt von ihren wippenden Füßen, ein verfängliches Madrigal ihm zuzuflüstern schienen, oder er streifte mit den Fingerspitzen wie von ungefähr über eine Falte ihrer Bluse, wodurch sein Nervensystem mit elektrischen Kräften wie eine Batterie sich sättigte, wurde im Antlitz feucht und rötlich, seufzte einige Male bedrohlich auf und stürzte aus dem Salon. Da dieser Anfall sich wiederholte und Malte Roland jedesmal länger draußen blieb, so schlichen Mansuet und der Zyniker des Hauses ihm eines Tages nach, kehrten ebenso heimlich zurück und zeigten dabei komisch entsetzte Mienen.
»Ist unsrem Malte nicht wohl?« erkundigte sich ängstlich Caritas Mimi.
»Sehr wohl ist ihm,« erwiderte Mansuet, »außerordentlich wohl!«
Und weil wir sahen, daß auch er Kongestionen bekam, wenn auch nur vom Zwerchfell aus, so schlichen wir anderen samt Caritas Mimi gleichfalls hinaus und sahen unsere Wißbegier belohnt durch einen sensationellen Eindruck.
Im Triumphe führten wir Malte wieder hinein zum Fauteuil und beglückwünschten die erlauchte 132 Mimi zu der machtvollen, unmittelbaren Wirkung, deren ihre Schönheit so vor aller Augen sich hatte rühmen dürfen.
Das hatte sich früher einmal ereignet. Inzwischen war Mimi zwar immer jünger, Malte Roland aber weit älter und schließlich ganz leistungsunfähig geworden. Die Hände der Damen wußten wir nur noch pflegend um ihn bemüht. Caritas, wie gesagt, strich ihm Malossolbrötchen und knüpfte ihm die Krawatte. Oft konnte er sich vom Bett nur bis zum Flügel und vom Flügel bis zum Bette schleppen. Dabei mußte Caritas ihn stützen, ihm zuhören, solange er in Tönen klagte, und wenn die Kräfte ihn vollends verließen, sich über ihn beugen, um mit gelind magnetischen Strichen von ihrer schwellenden Jugend ihm mitzuteilen, oder, nachdem sie Koniferenduft gespritzt, möglichst sinnlos mit ihm zu zwitschern, wodurch sie dem Verehrer der Natur eine Vorstellung von Vögeln im Walde schuf. Besonders wohl tat seiner sinkenden Temperatur die Kur von heißer Luft aus Mimis glutvollsten Tiefen.
»Meine Seele friert!« so hauchte der Bedauernswerte. »Geh, Caritas, tu mir diesmal noch die Liebe und blase mir deinen Odem ein! Laß mich aus deinem Hexenkessel Labung schlürfen!«
Und Mimi, die Gute, Geduldige blies, obwohl es ihr wahrhaftig kein Vergnügen war. Sie blies 133 ihm heiße Luft zwischen die zuckenden Lippen, über die schlaffen Lider und namentlich in sein edelstes, empfindsamstes Glied, sein Ohr. Er gab der Illusion sich hin, daß seine Kraft als Mann und Künstler sich daraus erneue.
Alle Leiden – und was heißt Leiden anders als Passivität! – regten Caritas selbst zur Tätigkeit, zur leiblichen Ergänzung an. Nie fanden zumal neuropathische Zustände eine selbstlosere Samariterin.
Reich an Gefühlen war sie, doch keineswegs sentimental. Furchtbar konnte sie werden, von einer zähen Grausamkeit, wenn ein Mensch ihr über den Weg lief, der ihr Widerwillen erregte. Das hat sich niemals deutlicher gezeigt, als in dem Falle von Maltes Bruder, des unausstehlichen Kunz von Roland. Dieser Bursche glaubte sich ihr nähern zu dürfen auf Grund eingebildeter Vorzüge, die in Caritas' Augen nur lächerliche Geschwüre waren.
Kunz von Roland hatte seine hohle Existenz mit drei schäbigen Lappen drapiert: er trat auf als A. H. eines Feudal-Corps, als Reserveleutnant eines Garderegiments und als Salonlöwe. Schon eines dieser drei Prachtgewänder hätte genügt, um Caritas Mimi Übelkeit zu erregen. Doch ließ sie den unglückseligen Kunz zunächst seine Rolle spielen, damit er sie bald um so gründlicher ausgespielt hätte. Er paßte ihr gerade, ein denkwürdiges Exempel an ihm zu 134 statuieren. Es machte ihr Spaß, zerstreute sie ein wenig und erhöhte den Respekt vor ihr.
Kunz Roland tat alles, was in der jeweiligen Saison für tiptop, todschick und fashionable galt und außer diesem tat er nichts. Das wurde sein Verderben. Caritas Mimi richtete seine klägliche Existenz mit Leichtigkeit zugrunde. Sie ballte ihre kleine Faust, spreizte gebieterisch die Fingerchen und – pf! siehe da! Kunz Roland war zu Staub zerfallen.
Ein halbes Jahr genügte, ihn zunächst unrettbar in Schulden zu verstricken. Was nur an verderblicher Verschwendung möglich war, wurde seiner Dummheit suggeriert. So nährte man in ihm die Hoffnung – es war schon die bornierteste von allen –, daß Caritas Mimi, dieser allersehnte, unerreichbare Preis mit Brillanten zu gewinnen sei. Caritas nahm die Colliers, Bracelets und Diademe von ihm an, warf sie in eine Kiste, die sie zu seiner besonders empfindlichen Nebenstrafe später dem sozialistischen Wahlfonds zur Verfügung stellte, und deutete Herrn Kunz mit ihrem verführerischsten Lächeln an, daß das Gelieferte noch nicht ausreichend sei. Ferner wurde von fünf Kavalieren aus der Crême die Parole ausgegeben, daß Pharao up to date sei. Sie glichen Gewinn und Verlust untereinander aus, bis Kunz das Messer an der Kehle saß und er sich auf den Weg zu einem Halsabschneider machte, dessen Adresse das 135 Vehmgericht ihm lieferte. Damit noch nicht genug, war Caritas auch auf den moralischen Ruin dieses Gentleman bedacht.
Vertraut mit allen Höhen und Tiefen ihrer Stadt, war sie auch auf dem Laufenden über das Treiben einer Gräfin Risorosola, die seit einiger Zeit vielbeflüsterte Kaffeekränzchen gab, zu denen ihre vierzehnjährige Tochter Freundinnen aus der höheren Töchterschule lud. Diese Kaffeestündchen galten für sehr exklusiv. Doch war jeder persönlich eingeführte Kavalier, sofern er nur jedesmal zwei Doppelkronen unter seine Kaffeetasse schob, ohne weiteres willkommen. Mimis Freunden war der Verkehr bei Gräfin Risorosola untersagt. Jedoch pflegten sie indirekte Beziehungen und ließen Herrn Kunz von Roland durchblicken, daß jeder Kavalier, der etwas auf sich halte, dort einmal vorgesprochen haben müsse. Das sei tiptop und zeuge von Courage. Ein Attachee des Staates Venezuela führte den arglosen Kunz bei der Gräfin ein. Nicht lange nach genossenem Kaffee, als Kunz gerade noch sein Kragenknöpfchen suchte, explodierte dann der Betrieb mit infernalischem Getöse. Die Schergen des Polizeipräsidenten drangen ein und nahmen unter anderen Verhaftungen auch die des Kunz von Roland vor. Gräfin Risorosola nebst Tochter ward in aller Stille über die Grenze geschoben, Kunz Roland aber erstickte im 136 Skandal und entschwand mit ausgeblasenem Lebenslicht.
War das nun niederträchtig von Caritas Mimi? Ja, es war niederträchtig! Meinethalben! – Eine Perfidie? – und wenn schon! – Unsere Damen sind doch, weiß Gott, nicht bloß zum Vergnügen da! Auch eine wirkungsvoll durchgeführte Intrigue ist ihrer Reize nicht unwürdig und raubt ihnen nichts von ihrer Glorie, wenn sie selbst darin unantastbar bleiben.
Malte von Roland, der Rückenmärker, sagte:
»Ach, süßeste Mimi, das hättest du nicht tun sollen. Er war doch immerhin mit mir verwandt.«
Mansuet belehrte ihn, daß solchem Ungeziefer gegenüber der stärkste Mann nicht die Kraft habe, etwas auszurichten. Selbst eine tödliche Kugel im Zweikampf hätte Kunzens Position nur noch gestärkt.
Es gibt eben Fälle, wo eine geschmeidige Frauenhand zum allgemeinen Wohl es übernehmen muß, die lästige Wanze zu zerdrücken.
Mansuet.
Der verschlafene Garten reckte sich zum Licht, denn es war Mittagszeit. Der alte, fette Rasen sonnte sich. Hier schmiegte er einen Streifen, dort eine Ecke 137 in der liebevollen Strahlen seltene Umarmung, und wo ihm endlich warm und wohlig geworden, da sträubte er die Halme wie ein Kater sein Fell, das er am Herde trocknet. Mitten auf seinem breiten Rücken trug der Rasen die Geisblattlaube, in deren schummriges Asyl noch nie ein Sittenwächter eingedrungen war.
Mit Mansuet zusammen spazierte ich im Geviert herum, die Mauern entlang. und ob wir gleich nichts Verbotenes im Sinne hatten, sondern nur rauchten und den Sonnenschein lobpriesen, so freute es uns doch, daß diese rissigen Wände weder Augen noch Ohren hatten, und niemand uns belauschen konnte als etwa Caritas Mimi, falls sie aus ihren Gemächern auf uns herniederblickte.
Ihren Eingang hatte die Laube der hinteren Brandmauer gegenüber. Wenn wir daran vorüberschlenderten, so streiften unsere Blicke mit Andacht und Zärtlichkeit die holde Tasja, die darinnen auf einem Feldstuhl saß, ihre Lieblingspuppe neben sich gebettet, mit erhitzten Wangen in ein Buch vertieft. Ihr Fingerchen folgte den Zeilen, ihre gespitzten Lippen flüsterten den Text.
»Nun ist mir doch beinahe,« sagte Mansuet, »als müßt ich mich wieder einmal hineinschleichen in die gute verschwiegene Laube, leise ›Caritas‹ rufen, ›süße Caritas Mimi!‹, das Buch ihr entwinden und altvertrauten Unfug treiben.«
138 »Du findest, daß man Mutter und Tochter verwechseln könnte?«
»Nicht das! Bei einer wohlgeratenen Mutter ist die Tochter stets das vollkommenere Teil. Ob wirklich etwas dran war an der Mutter, wird die Tochter erweisen. Tasja ist nichts als gesteigerte Caritas. Niemandem gleicht Tasja als ihr.«
»Und ein wenig dir selbst, Mansuet.«
»Das bildest du dir ein, aber du siehst es nicht. Niemand sieht dergleichen, und auch ich glaube wahrhaftig nicht daran.«
»Sie hat deine Art, aufzuschnellen und sogleich wieder in den Traum zurückzusinken, deinen stürmischen Tonfall und deine Gleichgültigkeit gegen alles Reale.«
»Alles scheinbar Reale! Vielleicht hat sie es gelernt von mir, sicher nicht geerbt. Als Knabe hatte ich Ehrfurcht vor der Wirklichkeit. Aber irgend einen Unglauben muß der Mensch doch haben! Besser ließen wir sie am Leben zweifeln als an ihrem lieben Gott.«
»Sind schlanke, weiße Glieder keine Wirklichkeit? Ist Caritas Mimi nur ein Phantom? War sie unwirklich damals, als du ihr in der Laube das Buch entwandest?«
»Ja, das war sie. Nichts als Phantom damals wie heute. Eine Verheißung, ein Sinnbild, ein Gedankenspiel und ein ewiger Zweifel am 139 Gegenwärtigen. Nimm als Beispiel von ihr, was du willst. Nimm ihr Köstlichstes: das dreimal gestammelte ›Nein!‹, die atembeklemmende Fermate und dann ihr kurzes blinkendes Lachen, das sie wie eine Handvoll Perlen in die Gluten warf. Oder denk an die Gabe, die sie für dich bereit hielt, für dich allein: Ein Bild, eine rosige Statue der Anadyomene, einen Rausch von Licht, einen Akkord von Bewegungen, das Gekräusel des Wasserspiegels um ihren Fuß, sprühende Tropfen auf Brust und Nacken, den Griff, mit dem sie ihre Flechten löste, dazu vielleicht Musik von zwei, drei feinen Worten, nimm dazu deine jähe Sehnsucht, die den Jubel erstickte – und alles dies verklungen, verweht wie der Gespensterruf der Memnonssäule! Zuvor peinvolles Wünschen, darnach aber Schatten und Trümmer der Erinnerung, und jede Wiederkehr ins Paradies nur eine trübe Irrfahrt nach dem Unwiederbringlichen, das in Wahrheit niemals lebte, weil es nicht einmal im Gedächtnis Form gewinnt.«
»Mir blieb es, Mansuet! Ich habe es in einen Kleinodschrein gelegt, den ich zu geweihter Stunde öffne, um das Erlebte wie einen Spiegel vor mich hinzuhalten, mich zu bespiegeln als ein eitler, doch auch als ein dankbarer Narr, zufrieden mit einem Nichts, froh über den Schein.«
»Klingt es, als ob ich ihr undankbar wäre?« rief Mansuet mit Stolz. »Sprach ich im Eifer wie ein 140 Ehemann, der auf Rechte pocht? Nein, ich nahm alles von ihr nur als unverdiente Güte hin. Ich habe nie etwas für sie getan, als daß ich eine Treue hielt, die ich von ihr aus nie verlangte. Und glaub mir: Treue, die jedwede Freiheit zugesteht, kettet Mensch an Menschen fester als die rostige Kette der Pflicht! – Als sie Kind war in Tasjas Alter, da haben wir uns Puppenstuben gebaut, indem wir Decken über Tisch und Stühle hingen, uns darunter zu verkriechen. Diese Puppenstuben wurden bald genug zu Schlupfwinkeln und Höhlen erweitert, in denen der Räuber seine Prinzessin barg. Ich habe geschwiegen, wenn die Prinzessin zuweilen den Herrn der Höhle vertrieb und dafür Polizisten zu sich lud. Von da ab hat sie mich stets zu sich zurückgerufen und hat mich schmunzeln gelehrt über ihre Streiche, die ich anfangs mit Tränen benetzte. Als junge Dame auf den ersten Bällen hat sie mich dann lange Zeit in den Winkel gestellt und doch niemals vergessen. Beim Kotillon und wenn ich sie zu Tische führte, ließ sie von meinen Seitensprüngen sich erzählen, ermunterte mich auch zu immer heftigeren Taten und hegte viel Sympathie für die Nebenbuhlerinnen, mit denen ich sie vergebens zu reizen versuchte. Gern lieh sie mich aus an alle Welt in ihrer großen Gefälligkeit, doch nie versäumte sie, mich als ihr Eigentum zu behandeln, mich zu verwenden, wenn sie meiner bedurfte. Dann griff sie 141 nach mir als nach dem liebsten Spielzeug ihrer Kinderzeit, verschleppte mich in irgend einen Winkel und sagte: ›Komm, Tanzbär, Tausendkünstler, Lüdrian, wieder einmal ist es an der Zeit! Die andern machen Tick-Tack, gleichmäßig und regelrecht wie eine Standuhr. Mit dir allein kann ich unregelmäßig leben.‹ Und immer mußte ich auf neue Wunderwerke sinnen, um sie zufrieden zu stellen und ihren Appetit auf unsere reich besetzte Tafel neu zu entflammen.«
Pampila.
Tasja hatte ihr Buch zusammengeklappt und rief uns zu sich in die Laube. Zwischen uns geschmiegt, fragte sie, ob uns schon einmal ein Gespenst erschienen sei.
»Ja,« antwortete ich ihr. »Unsereiner redet mit Gespenstern Tag und Nacht.«
»Und jene Gespenster, die als Menschen unter uns wandeln,« fügte Mansuet hinzu, »sind die unheimlichsten von allen.«
»In meinen Märchen hier,« erzählte Tasja, »kommen nur solche vor, die früher einmal Menschen waren. Ich begreife nicht, warum man sich vor denen fürchten soll, denn sie erscheinen doch immer nur, 142 tun nichts Böses, sondern spektakeln höchstens. Daran erkennt man sie und kann sich vorsehen.«
»Die lebendigen aber . . .?« Mansuet grinste grimmig in sich hinein und blickte sich dann plötzlich furchtsam um.
»Ja, nicht wahr?« flüsterte Tasja mit heiligem Ernst. »Ich ängstige mich auch viel mehr vor den richtigen Menschen, weil ihnen niemals die Wahrheit anzusehen ist. Räuber und Mörder gibt es darunter, die sich unterm Torweg auf kleine Mädchen stürzen. Draußen geht man an ihnen vorüber und weiß es nicht.«
»Wenn sie schon äußerlich verlumpt daherschwanken, so ist das eine Redlichkeit, die uns beruhigen kann. Wirklich grauenvoll sind aber die Hunderttausende, die gar nichts weiter als nur lieblos sind und zu all ihren kleinen bösen Spielen eine harmlose Miene machen. Wenn eine Nachbarin von der Schulbank dich heute als Freundin umarmt und morgen dir den Rücken kehrt, du fragst betrübt, weshalb, und sie schweigt verbissen, sie weiß es vielleicht nicht einmal, dann hockt der gefährlichste Kobold schon hinter ihrer Stirn, und du mußt dich zeitlebens vor ihr hüten, denn es ist eines von jenen Gespenstern, die lebendige Herzen zerreißen.«
»Es gibt solche. Die eine beschimpft mich, seit ich das violette Haarband trage, die andere verlangt, 143 daß meine Kleider bis zu den Knieen reichen, die meisten sind erbost, weil ich anders rede als sie, und ich rede doch nicht anders als Mama.«
»Du mußt dich an die Buben halten. Die wissen dich besser zu schätzen.«
»O, die sind freilich lieb zu mir. Sie schleppen mir die Schultasche und haben mich schwimmen gelehrt. Dein kleiner schwarzer Vetter, Mansuet, hat einen Tritonen vorgestellt und unter wildem Gesinge mich auf seinem Rücken quer über den See getragen.«
»Er ist ein Prachtbursch. Nur mußt du ihm zuweilen die Peitsche zeigen, damit er nicht über die Stränge schlägt.« –
Tasja sprang auf und trieb mit den Sprüngen der Gazelle ihren Reifen über das Gras.
Schön und still war diese Mittagsstunde. So eng fühlten wir uns miteinander befreundet, wir drei, einig in der Hingebung an Caritas, einig in Verachtung der Welt, die dort draußen hinter den fensterlosen Mauern frech und lärmend sich spreizte.
Ach, es war die letzte warme Mittagsstunde dieser festlichen Zeit! Schon hatte das Unheil Mimis Schwelle hinter sich, mit klobigen Schritten stapfte es durch ihr Boudoir. Soeben betrat es an der Seite unserer arglosen Herrin die Terrasse und glotzte auf uns herab.
144 Doktor Pampila war es, der sich eingedrängt hatte und aufgenommen worden war, wie denn Caritas einen jeden willkommen hieß, mochte er sein, was er wollte, wenn er nur irgend eine Idee als Banner entfaltete, etwas Flatterndes, das sich den Anschein von Geist und Tatkraft gab.
Caritas trat zu uns und stellte Doktor Aloys Pampler vor.
Wie soll meine Schilderung seiner Scheußlichkeit gerecht werden! Ein viereckiges Trampeltier mit Quadratschädel, Wurstfingern und kurzen Beinen pflanzte sich da auf, spreizte die rechtwinklig gekrümmten Ellbogen vom Wanste ab und wölbte eine zweifellos zottige Männerbrust. Der rote Hals zeigte einen ausgebildeten Bierknoten und fiel hinten in zwei Fettwulsten über den Umklappkragen. Dazu redete er in rauhen Stentortönen von dem Ideal seiner sozialen Aufgabe, das er der Frau Baronin schon oben näher erläutert habe.
Mansuet und ich fanden ihn vom ersten Augenblick an überaus widerlich. Tasja musterte ihn von oben bis unten mit einem so unverhohlenen Abscheu, wie nur die unbestechlichen Kinder ihn auszudrücken wagen. Sie faltete die Hände auf dem Rücken, als er ihr gönnerhaft seine Pranke bot, rümpfte und blähte das Näschen, schüttelte sich und lief davon.
Von Beruf war Doktor Pampler, wie aus seinen 145 weitläufigen Darlegungen hervorging, Versammlungsredner, nicht mehr und nicht weniger. Er zog unterm Trompetengeschmetter der Zeitungen durch die deutschen Lande und rief die gebildeten Klassen zur Erziehung der ungebildeten auf.
»Wir Gebildeten haben heilige Pflichten gegen das Volk! Was hilft dem vierten Stand seine politische Fraktion! Es ist nur eine einseitige, äußerliche Vertretung. Wer gibt sich aufklärend und sittlich fördernd mit den Bauern, dem Mittelstande und vollends mit dem fünften Stande ab! Allseitig und von innen heraus muß mit der Reform begonnen werden. Die kernige Ursprünglichkeit des Fühlens muß dem Volke erhalten, sein Denken aber geklärt und bereichert werden. Es gilt einen Kampf gegen Unwissenheit und Verkommenheit . . .!«
»Lassen wir es doch dabei, das wackre Volk!« unterbrach Mansuet trocken die Redeflut. »Unwissenheit ist bekömmlich, und in der Vollkommenheit sitzt sich's warm.«
Doktor Pampler schleuderte ihm vernichtende Blicke zu und bekam einen roten Kopf.
»Sie, meine Gnädigste,« wandte er sich an Caritas, »wissen sich eins mit mir. Das Herz einer schönen Frau wird immer warm für die Veredelung der Massen schlagen.«
»Sie überschätzen mich,« erwiderte Caritas 146 belustigt, »immerhin ist es eine Bewegung, die Sie da hervorgerufen haben, und einer Bewegung schaut man mit Vergnügen zu, ob man nun ihre Ziele billigt oder nicht.«
»Billigen Sie nicht den Aufschwung unserer Volksgenossen, unserer Brüder? Die Verbreitung der Schönheit unter den Ungebildeten?«
»Möchten doch die Gebildeten erst bei sich selbst beginnen!« konnte ich mich nicht enthalten einzuwerfen.
Doktor Pampler schob mich mit einer breit ausladenden Oratorengeste zu den hoffnungslosen Drohnen.
»Ich und meine Freunde,« sagte Caritas, »verstehen vom Volke ebensowenig wie von Erziehungsfragen. Wir fühlen uns so schwach, besonders allen Massen gegenüber, daß wir froh sind, wenn das Volk nicht probiert, uns zu maßregeln und zu erziehen.«
»Aber Ihren Beistand sagten Sie mir doch schon gütigst zu, Ihr Protektorat, Ihren Einfluß in der Gesellschaft und Ihre finanzielle Unterstützung?«
»Ja gern, Herr Doktor, denn ich hoffe, daß Ihr Wirken in unserer Stadt einiges Ärgernis stiften wird. Und nichts ist erquicklicher als ein Ärgernis in der offiziellen Welt. Seien Sie versichert, wir treten morgen abend beifallsfreudig in Ihrer Versammlung an. Ich und alle meine Freunde« – sie blinzelte uns 147 ermunternd zu – »so viel ich zusammentrommeln kann. Eine wirkungsvolle Claque soll organisiert werden. Für zwei Wochen verbürge ich Ihnen hier das Interesse des Publikums.«
Doktor Pampler nahm diesen Sieg der guten Sache als selbstverständlich mit Würde in Empfang. Er schnaubte vor Genugtuung wie ein feuriges Zirkuspferd, wenn es in die Arena springt. Mit dem Versuch eines Kompliments von chevaleresker Klangfarbe küßte er schallend Caritas' Handgelenk. –
Noch im Laufe des Tages zog Caritas Mimi Erkundigungen über ihn ein. Sie lauteten abschreckender als wir erwartet hatten: Doktor Pampler, ursprünglich Reallehrer, sei ein geschätzter Pädagog. Ein durchaus anständiger Mensch, ein vollkommener Ehrenmann von sittlichem Fond und idealer Veranlagung, lebe er nur dem Ausbau seiner hehren Gedankenwelt und einer kühnen Propaganda für die Sache der Volksveredelung.
Wir beschworen daraufhin Caritas einstimmig, solch ein Individuum unverzüglich fallen zu lassen und ihm künftig ihre Schwelle zu verbieten. Sie aber lachte uns nur aus, schalt uns eifersüchtig und erklärte, sich schon lange nach einem verdrehten Kauz gesehnt zu haben, dessen geschwätziges Treiben zur Anregung und Erheiterung diene. Wir anderen seien Mumien, Pampila dagegen ein regsamer Hanswurst, 148 mit dem man wenigstens noch streiten und seine Gäste unterhalten könne.
So fügten wir uns denn und begleiteten Caritas Mimi schweren Herzens in die Versammlung, deren blödsinniges Thema lautete: »›Über Erziehung des Volkes zu Bildung und Schönheit‹. Berichterstatter Herr Doktor Aloys Pampler, Pädagog.« –
Bock.
Dieses Meeting nahm einen imposanten Verlauf. Pampila stand reckenhaft am Katheder, zwischen Manuskripten und einer Maß Bier ganz in seinem Element. Gleich den Wogen der Meeresbrandung rollten seine mächtigen Phrasen mit Gebrüll und Schaum wider das Publikum an und ersäuften es in Begeisterung. Die Claque raste, hingerissen und doch fest im Takte. Mansuet rief: »Bravo! Bis! Bis!« Malte Roland stampfte mit der Elfenbeinkrücke die Dielen. In die Diskussion wurden nur sichere Leute eingelassen: ein Journalist, ein liberaler Pastor und zwei Studenten der politischen Ökonomie, die sich scheinbar befehden mußten. Zum Schlusse ward eine Adresse an den Kultusminister und eine klangvolle Resolution beschlossen, der ›Lutherbund‹ mit 149 Jahresbeitrag von einer Mark gegründet und ›Zwanglose Blätter für völkische Kultur‹ unter die Menge gestreut. Darauf vereinte uns, die Gründer und Protektoren, ein Bankett in der Apollohalle, wobei auch der Plan eines Bazars erwogen und beliebte Künstlerinnen des Schauspielhauses zur Mitwirkung herangezogen wurden.
An der Tafel saß Mimi zur Rechten des gefeierten Pampila, ich selbst den beiden gegenüber. Nach zwei Stunden war Pampila betrunken und händelsüchtig, während Caritas sich allmählich zu besinnen schien. Bleich und unruhig wartete sie auf die ernsthaften Folgen ihrer jüngsten Bekanntschaft, und sie traten ein, vorerst in Gestalt einer Indiskretion.
Pampila rückte der Mimi immer näher auf den Leib, warf Brotkügelchen in den Blusenausschnitt und entwickelte auch sonst eine hahnebüchene Galanterie. Eifrig bemüht, zwischen sich und Mimi engere Beziehungen herzustellen, kam er auf Familienverhältnisse zu reden und offenbarte, was er in nüchternem Zustande wohl noch verschwiegen hätte, daß er Neffe und einziger Erbe von Mimis Vormund sei. Eine Mitteilung, die auf unsre Dame offensichtlich übel wirkte. Denn sie schwieg, wie erstarrt in plötzlichem Schrecken, kam aber später zweimal darauf zurück, ohne daß Pampila sich näher darüber ausließ als mit einem vielsagenden Geräusper.
150 Dieser Vormund, ein Justizrat namens Bock, war vor einigen Jahren mit Tod abgegangen und hatte dem äußeren Anschein nach im Leben seines Mündels nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Mansuet, nach dem Verschwinden des Baron Leopold Salvator zum Vormund für Tasja bestellt, kam mit seinem Amtsvorgänger aufs beste aus, das heißt, er vergnügte sich ebenso wie Caritas Mimi daran, dem Justizrat moralische Fußtritte zu versetzen, eine Umgangsform, die nur auf fettem Sumpfland zu gedeihen pflegt.
Mit der Natur und allen Verhältnissen Mimis von früh auf eng vertraut, zu ihrer Überwachung dienstlich angestellt, hatte Bock ihr zunächst von Gottes und Rechts wegen allerhand Verhaltungsmaßregeln diktiert, und es scheint, daß Caritas Mimi, um diese höchst lästige Gewalt, die einzige, die ihr den Weg versperrte, zu brechen, kein besseres Mittel wußte, als sie ins Grenzenlose zu erweitern. Eine so freiwillig dargebotene Unterwerfung hätte kein Edelmensch auf die Dauer abgelehnt, geschweige denn Justizrat Bock, der nur ein schwacher Diener des Gesetzes war. Dadurch, daß er eine unerlaubte Herrschaft antrat, ward er zum Sklaven und gefügigen Werkzeug seines listigen Mündels. Und als nun in der Folgezeit die Existenz von Caritas Mimi sich in jenes eigenartige Doppelleben spaltete, indem sie, gewandter als Herkules, es am 151 Scheidewege ermöglichte, beide Straßen im Zickzack zu wandeln, sowohl die des äußeren Anstandes, als auch zugleich die des innerlichsten Vergnügens, zog sich Herr Justizrat Bock auf einen rein passiven Zuschauerposten zurück, künftig um keinerlei Gesetzesbestimmungen mehr besorgt, als um die eines gewissen Paragraphen 174.
Doktor Aloys Pampler schien nun allen Ernstes gewillt, die Erbschaft seines Oheims in vollem Umfange anzutreten und nistete sich demgemäß bei Caritas Mimi als Hausfreund ein. Der Odem Pampilascher Ehrenhaftigkeit verpestete unsere Räume. Es duftete darin nicht mehr nach Mimosen und Heliotrop, sondern nach verschwitztem Kraftbewußtsein und müffigem Anstand. Seine anständigen Gesinnungen schleppte Pampila wie unausrottbares Ungeziefer ein; sie krochen schleimig über alle Kissen und zwickten uns, wenn wir plaudern wollten. Einige davon wuchsen sich zu greulichen Ungetümen aus und wurden von ihm selber als Leidenschaften bezeichnet. Sehr stolz war Pampila auf seine Männlichkeit. Er führte sie uns vor mit Gebrüll und Gestampf und erwartete, daß man sie bewundern solle. Er rühmte sich seines Jähzorns wie manche Frauen ihrer Schwachheit, um anzudeuten, daß ein Versuch damit willkommen sei. Es belustigte uns zwar, ihn zu reizen, weil er dann sofort seinen grotesk karmoisinroten Kopf bekam und 152 sich mit den Wurstfingern nervös durch den Schopf und den gelben Rundbart fuhr, aber zugleich waren solche Auftritte auch bedrückend durch ihre Häßlichkeit und ermüdeten Caritas, die unter Pampilas beständiger Gegenwart namenlos litt.
Hatte doch seine männliche Leidenschaft in Ermangelung anderer Ziele sich auf Caritas Mimis Reize geworfen und belagerte sie als ein feuerspeiender Drache. Anstatt in seinem Furor teutonicus mit sämtlichen Standbildern der Germania kleine Volksputten aus Blut, Schweiß und Eisen zu erzeugen, wozu er doch offenbar von Wotan berufen war, versteifte er sich auf die gigantische Geschmacklosigkeit, eine Caritas Mimi zu bezaubern, als brünstiger Hengst vor ihr zu tänzeln und zu bocken.
Arme kleine Mimi! Wie matt und bleich ward sie in jenen Tagen! Wie unruhig, hilfesuchend blickte sie sich nach ihren Freunden um, wenn der Bierbaß jenes vierschrötigen Scheusals zu erdröhnen begann und nach der Steigerung ins Doktrinär-Fanatische regelmäßig den Abstieg in ein zudringliches Gutturalgesäusel unternahm! Ach, niemand konnte ihr helfen, selbst Mansuet, der Vielgewandte, der auch der Nächste dazu war, durfte nichts für sie tun, mußte den Kerl, den mit zwei Worten zu vernichten und in sein geliebtes Volk zurückzustoßen ein Leichtes gewesen wäre, mit Handschuhen anfassen und tatenlos einer 153 ungewissen Entwicklung entgegensehen. Denn Caritas Mimi fühlte sich verstrickt in ihres Wandels kreuz und quer geknüpfte Maschen. Der alte Bock, zu Lebzeiten geknebelt, nahm nun nach seinem Tode schändliche Rache, kassierte durch seinen Erben unbeglichene Schulden ein.
Die Freunde.
Es war nicht mehr möglich, bei Caritas vorzusprechen, ohne daß man Doktor Pampler in den Klubstuhl hingeflegelt fand.
Einer nach dem andern von uns Freunden ist schließlich ausgeblieben. Treulos sind wir Caritas nicht geworden, aber unsere Treue sann auf andere Wege.
Am Vorabend der Katastrophe haben sich alle noch bei mir versammelt, um zu erwägen, wie die Unglückliche zu befreien wäre. Lange warteten wir vergebens auf Mansuet; da habe ich denn den Kriegsrat eröffnet.
Soweit war die Belagerung der Feste schon gediehen, daß Pampila mit unverhüllten Drohungen zum Angriff überging. Wir wußten, daß er vom Bade der sittlichen Wiedergeburt geredet und sich 154 verschworen hatte, die Luft von Miasmen zu reinigen. Jetzt auf einmal wollte er bei denen beginnen, die er mit Respekt ›die Gebildeten‹ nannte, und dem deutschen Volke ein abschreckendes Beispiel von der Verderbnis der hyperkultivierten Gesellschaft vorführen. Aber vielleicht würde ein zerknirschtes Schuldbewußtsein – so hoffte er – noch in letzter Stunde freiwillig die Folgen sittenloser Lebensführung ziehen. Worin diese wohltätige Sühne zu bestehen habe, darüber ließ er Caritas Mimi nicht im Unklaren. Er, Doktor Aloys Pampler, schlug sich selber als Werkzeug der Entsühnung vor.
Kastor, als Einflußreichster zuerst befragt, war hoffnungslos.
»Nichts zu machen!« sagte er, nachdem er sich den klugen Kopf zermartert. »Nichts zu machen! Er hat das Gesetz und die gute Sitte auf seiner Seite. Wider den Anstand ist nicht anzukommen.«
Pater Henning stand dem Anstand skeptischer gegenüber. Bei ihm pflegte Caritas zweimal im Jahr zu beichten. Er mochte die Verhältnisse wohl noch klarer durchschauen als Mansuet:
»Der Anstand und die Ehrenhaftigkeit kommen für mich, den Kleriker, gottlob nur als tönendes Erz und klingende Schelle in Betracht. Wir anerkennen als einzigen Imperativ die kirchliche Norm. An den Anstand seid ihr Beamten, an die Ehrenhaftigkeit ist 155 der Leutnant gebunden; es sind unbestimmte, kindische Begriffe, gut genug, um vor der Öffentlichkeit Fangball damit zu spielen. Gilt es Ärgernis zu vermeiden, so schlagen unsere kirchlichen Begriffe die bürgerlichen gern und leicht in Trümmer.«
»So schlage zu!« riefen wir durcheinander. – »Mit welchen Waffen? – Erteil uns also deinen seelsorgerischen Rat!«
»Jeder an seinen Posten! Ich selbst werde Caritas ermahnen, standhaft zu sein, werde ihr den Schutz der kirchlichen Oberen sichern, werde unsere Blätter instruieren, daß sie dem Raubtier in die Flanke fallen. Kastor muß sich der Polizei bedienen und den Journalisten vom sogenannten führenden Organ zum Rückzug blasen.«
»Ist selbstverständlich schon geschehen,« erwiderte Kastor. »Frontwechsel bleibt des führenden Organs vornehmlichster Beruf. Es hat in Sachen ›Pampler und Lutherbund‹ binnen vierzehn Tagen bereits dreimal die Ansicht auf höheren Befehl geändert. Aber wenn morgen ein Kretin dem Chefredakteur erklärt, daß Pamplers Volkstümlichkeit im Steigen sei und zum Beweise dafür ein Inserat aufgibt, so rufen seine Kulis von neuem Halleluja!«
Auch Malte Roland führte seine bescheidene Kraft ins Treffen:
»Mir erscheint vor allem wünschenswert, daß er 156 von oben her unmöglich wird, kurzerhand hinausgefegt aus allen Salons, in denen er Fuß zu fassen suchte. Ich werde schleunigst bei meinen Damen vorfahren und kundtun, daß er im Begriffe ist, sie alle mit einem Pressefeldzug zu kompromittieren.«
Ich selbst erbot mich zu noch kräftigeren Mitteln, deren Natur ich jedoch nicht anzudeuten wage, da sie auf das öffentliche Sittlichkeitsgefühl allzu befremdlich wirken würden. Genug, daß Kastor sie für durchschlagend hielt, jedoch nichts damit zu schaffen haben wollte, und Pater Henning mir dafür im voraus Absolution erteilte.
Da trat Mansuet herein und warf uns alle schönen Pläne über den Haufen.
»Um Gottes willen, rührt euch nicht!« rief er verzweifelt aus. »Soeben war ich bei ihr. Es ist zu spät. Der Halunke war flinker als wir. Er hat sie in seinen Klauen und fletscht ihr die Zähne mit einer so unheildrohenden Grimasse, daß sie jetzt völlig zusammengebrochen ihm zu Füßen liegt. Bis morgen schon muß es sich entschieden haben, ob sie den roten Hahn auf dem Dache haben will oder an Leib und Seele Pampilas scheußliches Brandmal.«
Jede weitere Frage, jeder letzte Zufall, ja selbst der Ausbruch des Entsetzens erstickte zwischen unsren Zähnen. Es wurde eiskalt im Raum und totenstill. Draußen vor den Scheiben aber zog ein Geräusch 157 vorüber wie das Kichern der runzligen Atropos, die an den nachdenklichen jungen Herren dieser Zeit ihre besondere Freude hat, weil wir vor lauter tändelnder Betrachtung nie mehr dazu gelangen, ihre Fäden zu verwirren.
Was haben wir nach dem ersten Schrecken nicht alles durcheinander geschrieen! Wozu doch? Um uns mit Entschlüssen zu betäuben, mit Schattenbildern erlösender Taten anzufeuern, während der gesunde Instinkt des Mannes aus dem Volke sein Schäfchen längst im Trocknen hatte.
»Handgreiflich müssen wir ihm an den Kragen!«
Ja, so ruft man stets, wenn der Verstand zum Teufel ging.
»Als ich ihn im Hausflur traf,« erzählte Mansuet, »habe ich ihm vorgeschlagen, zu probieren, wer von uns beiden zuerst die Treppe hinunterfliegt. Er war bereit dazu, doch teilte er mir mit, für den Fall, daß ihm was Übles widerführe, lägen bei seinem Vertrauensmann allerhand Briefe und Dokumente zur Veröffentlichung bereit.
»Wer noch einer Hoffnung fähig ist,« schloß Mansuet, »der setze sie auf die Riesenkräfte einer Frau wie Caritas Mimi, wenn sie Amok läuft mitten durch die moralische Entrüstung und durch den Skandal.« 158
Pater Henning.
Tags darauf ist es also geschehen, das lächerlich Widersinnige, das Entsetzliche.
Caritas, deren Abscheu vor einer persönlichen Gemeinschaft mit dem Tiere Pampila ebenso tief und unüberwindlich war, wie ihr Abscheu vor öffentlichen Händeln, hat sich entschlossen, die Kurve ihres Wandels vor dem Niedergange abzubrechen und auf einem andren Stern neue Lebensbedingungen zu erwarten. Sie hat sich in ihre Spitzen gehüllt, hat ihre Schleppe aufgenommen und ist mit den Allüren einer großen Dame, der diese minderwertige Gesellschaft nicht mehr paßt, davongerauscht. Sobald ein Aufenthalt in der Heimat anfängt, beschwerlich und mesquin zu werden, besteigt man den Expreß und fährt ins Ausland, irgend wohin. Da jedoch der gesamte Erdball nur einer klatschsüchtigen Kleinstadt ähnelt und selbst andere Kontinente der Baronin Lottermoos nicht mehr den gewohnten Komfort versprachen, so zog sie es vor, auf einen andern Planeten, eventuell auch in die ruhevollen Gefilde Nirwanas zu verreisen. –
Ein letzter widerwärtiger Auftritt blieb ihr nicht erspart. Pampila, bei aller Borniertheit mit der richtigen Witterung für entgehenden Gewinn begabt, suchte rasch noch seine körperlichen Kräfte an ihr zu erproben.
159 Er trat, um möglichst imposant zu erscheinen, zur Visitenstunde um einhalb ein Uhr in zugeknöpftem Gehrock bei Caritas an. Da sie ihm die Tür wies, so drängte er sich kurz entschlossen ein und verriegelte diese Tür. Er muß Mittel zur Hand gehabt haben, Caritas zu verhindern, daß sie den Dienstboten klingelte. Nur Tasja war gerade bei ihr und wurde, wie sie erzählt, von Pampler mit Gewalt ins Nebenzimmer gesperrt. Dort hat die Kleine eine fürchterliche Viertelstunde hindurch flehend und weinend um ihrer Mutter Geschick auf der Schwelle gelegen, und als sie das Flüstern und Keuchen erbitterten Streites vernahm, mit ihren zarten, schwachen Gliedern versucht, das trennende Schloß zu sprengen.
Dann ist Pampler davongestürmt. Es ist ganz still geworden. Auf keinen von Tasjas zärtlichen Rufen hat ihre Mutter mehr geantwortet. Da hat das gepeinigte Kind die Besinnung verloren. Mansuet hat sie später noch immer regungslos auf der Schwelle vorgefunden und in ihr Bett getragen. Und als sie des Abends aus langer Ohnmacht endlich erwachte, war sie verwaist.
Auch Caritas wurde noch einmal für etliche Stunden ins Leben zurückgerufen. Die Brutalität der Berufspflicht zwang den herbeigerufenen Arzt, mit Medikamenten ihren Todesschlaf zu unterbrechen.
Sie wußte kaum noch, was alles geschehen war 160 und welche Fahrt sie eigentlich angetreten hatte. Aber sie benutzte den Aufenthalt, Pater Henning zu empfangen, der ihr die Sterbesakramente reichte. Pater Henning kannte ja ihre holden Sünden aus Erfahrung und hatte sich für seinen Teil vom Prior bereits die Absolution geholt. Die gab er nun weiter an Caritas Mimi. Es wäre ihm schmerzlich gewesen, hätte die süße Mimi nicht einmal in dieser religiösen Form Abschied von ihm genommen.
Andächtig und aufs höchste befriedigt kehrte er von diesem traurigsten aller Tête-à-Têtes zurück zu uns, die wir im Vorzimmer versammelt waren.
Wir bezweifelten die Innerlichkeit und Übernatürlichkeit ihrer Reue im Sinne des Sakraments. Doch Henning beruhigte uns, indem er versicherte, daß für eine echte Frau nur eins in der Welt leichter sei als sündigen, nämlich das: ihre Sünden von Herzen zu bereuen. –
Unser Kreis, nur durch Caritas Mimi zusammengehalten, ist längst zerfallen. Auch Pater Henning habe ich nicht wiedergesehen. Er bereute nunmehr mit Recht alles und jedes, denn seine weltliche Existenz hatte den letzten Reiz verloren. Er begrub sich in seinem Kloster.
Nur einmal trat er noch hervor, als es galt, über die Zukunft unsrer geliebten Tasja zu entscheiden. In dem an sich gleichgültigen Rachekrieg, der nach 161 Caritas' Tode zwischen Pampila und Mansuet entbrannte, wurde letzterem die Vormundschaft über Tasja entzogen. Pater Henning, unparteiisch und für des Kindes Zukunft sicher nur wohlwollend und aufrichtig besorgt, erreichte, daß man sie zu den Englischen Fräuleins schickte. Er dürfte wohl auch durchsetzen, daß sie dort bleibt und zum Schleier gezwungen wird. Denn Pater Henning war stets der Überzeugung, daß es für liebereiche Mädchenseelen nur zwei Sphären irdischer Seligkeit gibt: einer sündigen, die sich am Leben ohne Unterlaß berauscht, und einer asketischen, die auflodernd aus der Brunft zum Seelenbräutigam, Welt und Leben ganz vergißt.