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Diese furchtbare Geschichte und dieses entsetzliche Weib fiel mir neulich ein, als ich an einem, von reichen Leuten bevorzugten Strand eine junge, elegante, reizende, angebetete und von allen Seiten hochgeachtete junge Pariserin traf.
Meine Geschichte ist schon lange her, aber so etwas vergißt sich nicht.
Ein Freund hatte mich eingeladen, einige Zeit bei ihm in einer kleinen Provinzstadt zuzubringen, und damit ich die Gegend kennen lernen sollte, ging er mit mir überallhin spazieren, zeigte mir die berühmten Aussichtspunkte, die Schlösser, Fabriken, Ruinen, ließ mich Monumente, Kirchen, alte Thore sehen, Bäume von Riesengröße und seltsamer Gestalt, die Eiche von Saint-André und bie Eibe von Roqueboise.
Als ich mit liebenswürdiger Begeisterung alle die Wunder der Gegend betrachtet hatte, erklärte mir mein Freund mit betrübtem Gesicht, daß es weiter nichts gäbe. Ich atmete auf. Gott sei Dank, jetzt konnte ich mich also etwas ausruhen im Schatten der Bäume. Aber plötzlich stieß er einen Schrei aus:
– O doch! Wir haben noch die Mutter der Mißgeburten hier zu sehen. Da müssen wir mal hingehen.
Ich fragte:
– Wer ist das, die Mutter der Mißgeburten?
Er antwortete:
– Das ist ein entsetzliches Weib, eine wahrer Dämon. Ein Geschöpf, das Jahr für Jahr absichtlich verkrüppelte Kinder, fürchterliche, gräßliche Monstren in die Welt setzt und sie immer an Jahrmarktsbudenbesitzer verkauft.
Die Vertreter dieser gräßlichen Industrie kommen ab und zu und erkundigen sich, ob sie irgend eine neue Scheußlichkeit hervorgebracht hat. Und wenn ihnen das Ding gefällt, nehmen sie es mit und bezahlen der Mutter eine Rente.
Sie hat schon elf solcher Fürchterlichkeiten produziert. Sie ist reich.
Du glaubst wohl, ich scherze? Ich erfinde, ich übertreibe? Nee, nee, alter Freund, ich rede die Wahrheit, die völlige Wahrheit. Komm, wir wollen mal zu der Frau gehen, und ich will Dir mal erzählen wie sie dazu gekommen ist, diese Monstrumfabrik anzulegen.
* * *
Er brachte mich in einen Vorort. Sie bewohnte ein hübsches, kleines Haus an der Chaussee. Es war sehr nett, gut gehalten, der Garten duftete voller Blumen. Man hätte das Haus vielleicht für die Wohnung eines Notars außer Dienst halten können.
Ein Mädchen führte uns in eine Art kleinen ländlichen Salon, und die Elende trat ein.
Sie war etwa vierzig Jahr alt. Eine große Person mit harten Zügen, aber gut gewachsen, kräftig und gesund, ein richtiger derber, bäuerischer Typus, halb Vieh halb Frau.
Sie wußte, in welchem Ruf sie stand, und mir schien, als empfinge sie die Menschen mit einer Art gehässiger Unterwürfigkeit. Sie fragte:
– Was wünschen die Herren?
Mein Freund sagte:
– Ich habe gehört, Ihr letztes Kind sei ganz normal und sähe seinen Geschwistern gar nicht ähnlich. Ich wollte bloß wissen, ob es so ist.
Sie warf uns einen listigen und zugleich wütenden Blick zu und sagte:
– Nee, nee, mei guter Herr, das is vielleicht noch scheißlicher, wie die anderen. Ich habe nu mal kee Glück, kee Glück. 's is alles eene Weste, mei guter Herr. Stück für Stück dasselbe. 's ist ein wahrer Jammer. Wie ist's nur möglich. daß der liebe Gott eine arme Frau, die ganz alleene uf der Welt steht, so hart schlägt!
Sie sprach schnell, mit gesenkten Augen, wie ein wildes Tier, das Angst hat. Sie dämpfte den scharfen Ton ihrer Stimme, und es war erstaunlich, daß diese sentimentalen, falschen Worte aus dem großen, knochigen Leibe drangen, der zu stark war, zu derb und nur für grobe Bewegungen gemacht schien und um zu heulen wie ein Wolf.
Mein Freund fragte:
– Können wir mal den Kleinen sehen?
Sie schien rot zu werden, – vielleicht irre ich mich. Nach ein paar Augenblicken sagte sie etwas lauter:
– Was soll Sie das nützen?
Sie hatte den Kopf erhoben und blickte uns scharf an mit Feuer im Auge.
Mein Begleiter sagte:
– Nun, warum sollen wir es denn nicht sehen? Sie zeigen es doch vielen Leuten. Sie wissen schon, wovon ich rede.
Sie fuhr auf. Nun legte sie ihrer Stimme keinen Zwang an, ließ ihrer Wut freien Lauf und brüllte:
– Ach so, deshalb sind Sie also hergekommen! Aus reiner Gemeenheet. Weil meine Kinder, wie das liebe Vieh sind. Was? Nee, ihr kriegt's nich zu sehen. Nee, nee, ihr kriegts nich zu sehen. Macht, daß ihr 'rauskommt! Zu was kommt ihr denn ieberhaupt hierher?
Sie ging auf uns zu, die Hände in den Hüften.
Bei dem rohen Ton ihrer Stimme klang plötzlich ein Stöhnen oder ein Heulen, ein kläglicher Idiotenschrei aus dem Nebenzimmer. Er ging mir durch und durch. Wir wichen vor ihr zurück. Mein Freund sagte in ernstem Ton:
– Nehmen Sie sich in Acht, Teufelin!
In der Gegend hieß das Weib: Teufelin.
– Nehmen Sie sich in Acht. Das bringt Ihnen nochmal Unglück.
Sie zitterte vor Wut, ballte die Faust und heulte:
– 'raus sag' ich! Was soll mir denn Unglick bringen! Macht daß ihr 'rauskommt, elende Bande!
Sie wäre uns beinah ins Gesicht gesprungen. Und wir entflohen, Entsetzen im Herzen.
Als wir vor der Thür standen, fragte mich mein Freund:
– So, jetzt hast Du sie also gesehen. Was sagst Du dazu?
Ich antwortete:
– Nun erzähle mir doch, was mit dieser Bestie los ist.
Und während wir nun langsam die weiße Chaussee hinschritten, an der die schon reife Ernte stand, die ein leichter Windhauch ab und zu kräuselte wie ein ruhiges Meer, begann er zu erzählen.
* * *
Dies Geschöpf war früher Magd auf einem Hofe. Sie war arbeitsam, sparsam und vernünftig. Sie hatte keine Liebschaften, und man redete ihr auch nichts nach.
Da that sie eines Tages einen Fehltritt wie alle. Eines Abends in der Erntezeit zwischen den Strohpuppen, unter schwarzem Gewitterhimmel, als eine stickige, drückende Luft auf der Erde lag wie Hochofenglut, daß der Schweiß den Burschen und Mädchen auf die braune Haut tritt.
Sie war bald in anderen Umständen, und Scham und Angst peinigten sie. Auf jeden Fall wollte sie ihr Unglück verbergen. Und sie preßte sich den Leib zusammen auf eine Art, wie sie es eigens ersonnen, mit einem Schnürleib aus Brettchen und Stricken gebaut. Je mehr ihr Körper wuchs beim Älterwerden des Kindes, desto mehr zog sie das Marterinstrument an, überwand die Qualen voll Mut, den Schmerz niederkämpfend, immer schlank und lächelnd, ohne irgend etwas sehen und ahnen zu lassen.
Und in ihrem Leib schnürte sie durch die furchtbare Maschine das kleine Wesen zusammen, entstellte, preßte es und machte ein Ungetüm daraus. Sein Kopf ward zusammengedrückt, hob sich zu einer Spitze mit zwei großen herausstehenden Augen, die aus der Stirn quollen. Die zusammengebremsten Glieder wuchsen knorrig wie Weinreben, gingen in die Länge und Finger und Zehen erschienen daran gleich Spinnenbeinen.
Der Leib blieb ganz klein und rund gleich einer Nuß.
Eines Frühlingsmorgens kam sie auf freiem Felde nieder.
Als die Arbeiterinnen ihr zu Hilfe eilten und das Tier sahen, das sie geboren, entflohen sie kreischend. Und das Gerücht ging in der Gegend, sie hätte einen Dämon zur Welt gebracht. Seit dem Tage heißt sie ›die Teufelin‹.
* * *
Sie wurde aus der Stelle gejagt und lebte von der Mildthätigkeit der Leute, vielleicht von heimlicher Liebe; denn nicht alle Männer fürchten sich vor der Hölle, und sie war ein schönes Mädchen.
Sie zog ihre Mißgeburt auf, die sie übrigens mit wildem Haß verfolgte, die sie vielleicht erwürgt haben würde, wenn der Pfarrer, der das Verbrechen voraussah, ihr nicht furchtbare Angst gemacht mit dem Tage des Gerichts.
Da hörten eines Tages Jahrmarktbudenbesitzer, die durchzogen, von der entsetzlichen Mißgeburt sprechen und wollten sie sehen, um sie eventuell mitzunehmen, wenn sie ihnen konvenierte. Sie waren damit einverstanden und gaben der Mutter fünfhundert Francs. Zuerst schämte sie sich und wollte das halbe Tier nicht zeigen. Aber als sie merkte, daß es Geld wert sei, daß es die Nachfrage erregte, begann sie zu handeln, kämpfte Sous auf Sous, indem sie sie auf die Mißgestalt ihres Kindes lüstern machte, und mit bäuerischer Hartköpfigkeit trieb sie den Preis in die Höhe.
Um nicht betrogen zu werden, machte sie es schriftlich mit ihnen ab, und sie verpflichteten sich ihr außerdem vierhundert Francs jährlich zu zahlen, als ob sie das entsetzliche Geschöpf in Dienst genommen hätten.
Der unerwartete Gewinn machte die Mutter ganz verrückt, und der Wunsch ließ sie nicht los, noch ein anderes solches Wundertier zur Welt zu bringen, um wohlhabend zu werden, wie ein Bürgerweib.
Da sie fruchtbar war, gelang es ihr auch. Es gelang ihr, wie es scheint, die Gestalt der Ungetüme je nach dem Druck, dem sie sie aussetzte, zu verändern.
Sie hatte große und kleine, die einen sahen aus wie Krabben, die anderen wie Eidechsen. Ein paar starben – sie war außer sich.
Die Polizei suchte einzuschreiten, aber man konnte ihr nichts thun. Und man ließ sie infolgedessen in aller Ruhe ihre Mißgeburten fabrizieren.
Sie besitzt jetzt deren elf am Leben, die ihr jährlich im Durchschnitt fünf- bis sechstausend Francs abwerfen. Ein einziges ist noch nicht verkauft, das, was sie uns nicht zeigen wollte. Aber sie wird es sicher nicht lange behalten, denn alle Schaubudenbesitzer der Welt kennen sie und kommen ab und zu nachfragen, ob was Neues da sei.
Sie veranstaltet sogar eine Art Auktion unter den Leuten, wenn das Objekt gut geraten ist.
* * *
Mein Freund schwieg. Ein furchtbarer Ekel stieg in mir empor und eine gräßliche Wut. Ich bedauerte, diese Bestie in Menschengestalt nicht erwürgt zu haben, als sie vor mir stand.
Ich fragte:
– Wer ist denn der Vater?
Er antwortete:
– Das weiß man nicht. Er oder sie schämen sich, er oder sie verbergen es. Vielleicht bekommen sie etwas vom Gewinn ab.
* * *
Ich dachte gar nicht mehr an die Geschichte, als ich neulich in einem Modeseebad eine elegante, reizende, kokette, von allen geliebte und geachtete, von den Herren angebetete Dame sah.
Ich ging am Strand hin mit einem Freund, dem Arzt des Bades. Zehn Minuten darauf sah ich ein Kindermädchen mit drei Kindern, die im Sande spielten.
Ein paar Krücken lagen an der Erde und erregten meine Aufmerksamkeit. Und nun entdeckte ich, daß die drei kleinen Wesen bucklig, verwachsen, gräßlich waren.
– Das sind die Kinder dieser reizenden Frau, die Du eben gesehen hast.
Tiefes Mitleid für sie und für die Kleinen schlich sich in meine Seele, und ich rief:
– Ach, die arme Mutter! Kann sie überhaupt noch lachen.
Mein Freund meinte:
– Ach, Du brauchst sie garnicht weiter zu bedauern. Die armen kleinen Würmer muß man bedauern. Das sind die Produkte der bis zum letzten Augenblick schlank gebliebenen Taillen. Diese Mißgeburten da sind Produkte des Corsetts. Sie weiß ganz genau, daß sie dabei ihr Leben riskiert. Was thut es ihr, wenn sie nur schön bleibt und ihr der Hof gemacht wird.
Und da dachte ich an die andere, das Bauernweib, die Teufelin, die ihre phantastischen Mißgeburten verkaufte.