Fritz Mauthner
Nach berühmten Mustern
Fritz Mauthner

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Gustav Freytag.

Durch ein Mikroskop vergröbert,
Wird das Zöpfchen aufgestöbert.

Die Vorfahren. I. Wlf.

(a. 569 vor der Sintfluth.)

Ein Hirsch sank zusammen am Saume des Pfahlsees. Mit starkem Steinwurf hatte ein stämmiger Mann solches Werk vollbracht. Jetzt drang der Jäger aus düsterem Busch. Leicht ist es, seine Kleidung mit Worten zu schildern: dichtes Haar deckte sein Haupt. Die Linke faßte fest einen furchtbaren Feldstein. Diesen hielt er bereit, wenn etwan der erste Stein seines Zieles gefehlt hätte. Das Thier war aber todt.

Mit rüstiger Faust riß der Jäger der Beute zwei köstliche Keulen aus. Dann setzte er sich nieder und sann.

Wlf war sein Name. Noch war die menschliche Sprache nicht bedacht gewesen, festes Gefüge ihrer felsigen Mitlauter durch wohliges Wasser säuselnder Selbstlauter zu erweichen. Noch war nicht überall das Festland trocken geworden. Noch minnte das Mammuth auf grasreichen Gründen deutscher Erde.

Keck war der Kampf muthiger Männer um etlichen Imbiß.

Weidlich sann Wlf und gedachte sinniger Sagen seines Geschlechtes. Von Festesfeier sangen die Sagen. Einst sollte eben unter dieser Kiefer – noch wuchsen damals nicht Eichen in germanischen Gauen – zum Staunen des Stammes ein warmer Rehrücken in taugender Tunke aufgetragen worden sein. »Ohn' Brand kein Braten«. Diesen Vers seiner heimathlichen Göttersage murmelte Wlf und wartete wehmüthig, daß ein Brand ihm werde.

Trag schlich Blut in Wlf's Adern. Geduldig harrte er. Noch war es kurz nach der Wintersonnenwende. Bald aber mußte Lenz kommen und dann heißere Tage, bis einmal wildes Wetter sich entlud und lichterloh in harzige Holzstämme einschlug. Geduldig harrte Wlf dieses himmlischen Feuers und hielt die Keulen trotzig in kräftiger Hand. Inzwischen nährte er sich von Kieferzapfen, dacht' über sich selber nach und fand, er sei eine problematische Natur.

Schon vierundzwanzig Stunden saß er so da. Niedrig senkten sich Nebel nieder auf den See. Da kam ein Mädchen heran, freundlichen Grußes.

– »Warm ist Sonnenschein, kalt ist Schnee,« sagte die mannbare Jungfrau und lächelte dem sitzenden Manne.

– »Den Bär hungert, wenn er lange nicht fraß,« entgegnete klugen Sinnes der jagdmüde Mann.

– »Warum fraß der Bär nicht, da blutige Beute reichlich in seinen Tatzen war?« warf das Mädchen die Frage zurück.

– »Der Bär liebt Honig, so emsige Bienen für ihn bereitet haben.«

– »Sollen mannbare Mädchen für Wlf Leckerei besorgen? Traun, schnurrig scheint mir so schleckes Begehr.«

– »Warme Rehrücken auf breiten Tischen singen Sagen unseres Stammes. Mir aber mangelt freundliches Feuer. Schon allzulange harre ich auf blendende Blitze, die mir zur Lust junge Kiefern entzünden sollen.«

– »Allzu muthlos dünkt mich der Mann, der thatlos harret. Jenseits Rheines harret der geckische Kelte auf knusprige Keulen brenzelnden Bratens. Doch germanische Mannen sind tüchtig und tapfer wohl auch nach kaltem Abendbrod. Wilstu, so will ich die Keule des Hirsches mit scharfem Steine zurecht Dir schaben. Schabefleisch, so nannt' es Mutter und lehrt' es mich früh schon.«

Treuherzig ließ ihr der hungernde Held die kräftige Keule. Mrl hieß das Mädchen. Noch andere Namen hatte ihr Vater ihr sorgend gegeben. Irmgard hieß sie, Ingo's Braut, oder auch Walburg, Ingram's Gattin, oder Friderun, das Weib des Ivo, und Waldemar's Gertrud. Dieselbe war sie unter vielen Namen und an blonden Flechten war sie stets zu erkennen.

Jetzt suchte sie emsig am Ufer des Pfahlsees nach scharfem Flintstein. Rund waren die Kiesel und Mühe hatte sie, ein nutzbares Steinmesser ausfindig zu machen. Doch als sie es gefunden, säumte sie nicht. Mit ruhloser Hand schabte sie saftiges Fleisch von Knochen und legte es säuberlich auf breite Blätter der Seerose. Während der Arbeit aber blickte sie lächelnd auf den mahlfrohen Helden und sang taktmäßig lenzlaue Lieder, doch ohne Selbstlauter.

Wonnig blickte der wehrhafte Wlf auf das tüchtige Thun der drallen Dirne. Schmatzenden Mundes schmeckte er Schmack. Kraftvoll schien ihm das Mahl, doch reizlos und Salzes ledig.

Mächtig regte er die drangen Glieder, schüttelte schnell das helle Haupthaar und dachte nach; doch nichts fiel ihm ein.

Plötzlich tönte Hussa und Hurrah wild im Walde. Auf ungesatteltem, rauhhaarigem Roß, selbst frei und ungebunden, kam ein Weib herangerast. Schwarz war ihr Haar und schwarz ihre Seele, Wlf aber stand auf, sie ehrfurchtsvoll zu grüßen.

– »Wie nenn' ich Dich, Unholde? Bist Du die Fürstin Gisela, welche mit Irmgard so feindlich verfuhr, oder bist Du die Herzogin Hedwig oder die Fürstin Udaschkin oder die Valentine? Valandine bist gewiß, Du schöne Teufeline!«

– »Seltsam tönt Deine Frage. Unaussprechlich, selbstlautlos schweife ich durchs Leben. Blsk ist mein Name. Du aber, unmännlicher Held, was hockst Du zu Hause? Was tändelst Du thatlos, auf daß die blonde Mrl Dir Schabefleisch bereite? Ist das ein Weib für Dich? Ist das ein Mahl für Dich? In wildem Ritt muß der herzhafte Held des Lebens Labsal erreiten! Auf, Held Wlf! Besteige Dein Streitroß! Ich will Dich lehren, auf Rossesrücken die köstliche Keule gar zu reiten. Von Heunen hab' ich's gelernt.«

Aus der Hand des Helden heftig riß sie die zweite Keule. Zwischen Schenkel und Roß schob sie die Beute. Wlf warf sich zu Pferde und hussa! hurrah! ging's fort. Jungfräulich schabend blieb Mrl zurück und blickte aus blauen Augen den Reitenden nach.

– »Dreimal um den Pfahlsee in wildem Wagen. Dann ist der Braten gar.« So rief die Schöne und gab dem Helden zum Zeichen der Liebe einen heftigen Hieb mit der Gerte.

Schon zum zweiten Male war der Weg um den Pfahlsee im Fluge zurückgelegt. Schon dampfte die Keule. Zum andern Male wollten die Wilden an der Schabenden vorübersprengen. Da lächelte Mrl und sprach unter Thränen.

– »Ameise ist Fleißes Bild. Schabefleisch ist fertig.«

– »Die Biene hat einen Stachel,« rief höhnend Blsk.

Wlf aber war des Reitens müde. Schleunig sprang er vom Pferde und setzte sich zu Mrl und dem Schabefleisch ins Moos.

Jach fuhr Blsk da auf und ritt unter Drohungen weiter. Als sie aber zum dritten Mal in sausender Hast vorüberkam, da strauchelte das Pferd und Roß und Reiterin brachen die Genicke. Furchtbar war der Anblick.

Wlf trat gerührt zu der Todten, zog die gare, stark duftende Keule hervor und sprach: »Dankbar sei die Erinnerung an die Schöne. Dein Schabefleisch, Mrl war gut, sie aber war pikanter.«

– »Mein Held,« entgegnete Mrl, blond und weich, »am Abend geht die Sonne unter. Das Huhn pickt Körner auf und die Ziege frißt Laub.«

Da lächelte innig Wlf sie an und sie heiratheten einander in echt germanischer Ehe. Nur selten trübte die Erinnerung an Blsk's gargerittene Keulen den Himmel ihrer Bärenhaut.

Wlf aber zeugte einen Sohn gleichen Namens. Dieser, Wlf II., zeugte den Wulf, des Wulf Enkel hieß Wolf und dieser hatte einen Urenkel namens Wolff. Von diesem Wolff wird in der nächsten Erzählung (296 vor der Sintfluth) füglich die Rede sein.



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