Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Realismus.

Die Alten und die Scholastiker, wenn man von den griechischen Skeptikern und von den mittelalterlichen Nominalisten absieht, behandelten die Frage nach der Realität der Dinge – man achte auf die Tautologie – in einer Disziplin, welche nacheinander die Namen: erste Philosophie, Metaphysik, Ontologie bekam. Man flüchtete vor dem sich unmittelbar aufdrängenden naiven Realismus in die ideale Welt, in einen Ideal-Realismus hinein und war noch nicht imstande, zwischen Objektivität und Subjektivität, zwischen Wirklichkeit und Scheinbarkeit der Gedankendinge zu unterscheiden. Die Bezeichnung Ontologie für diese ganze Disziplin hat aber erst, wie schon einmal erwähnt, Clauberg erfunden, der nach Klarheit ringende Cartesianer, welcher endlich einmal deutlich Theologie und Welterkenntnis auseinander halten wollte und darum eine Wissenschaft vom Wesen, von der Dingheit, von der Wirklichkeit also, forderte. Wie es eine Wissenschaft der Theosophie oder Theologie gebe, so könne man die Wissenschaft vom Wesen im allgemeinen (circa ens in genere) nicht unpassend (non incommode) ontosophia oder ontologia nennen.

Das Wort steht durch Platons Ideenlehre (es geht ja auf den Terminus ὀντως ὀντα zurück) mit dem scholastischen Realismus, den ich zur Warnung immer Wortrealismus nenne, in Zusammenhang. Wolf hat dann diese Ontologie in ein sauberes System gebracht; Zeller hat (»Geschichte der deutschen Philosophie« S. 183 f.) dieses System kurz und gut dargestellt und auch auf den Grundfehler dieses Dogmatismus, den Ursprung der Vorstellungen nicht näher zu untersuchen, scharf hingewiesen. Für Freunde sauberer Terminologie ist es auch richtig, wenn Zeller diese Arbeit Wolfs »keine unfruchtbare Leistung« nennt. Erst Kant, der ebenso systematisch, aber denn doch soviel tiefsinniger war als Wolf, hat einen festen Strich zwischen Ontologie und Metaphysik gezogen, die Ontologie zum Vorhofe einer (künftigen) Metaphysik gemacht, die Ontologie in Transzendentalphilosophie, d. h. in Erkenntnistheorie umzuwandeln gesucht. Schopenhauer (»Parerga« I. S. 88) hat das so ausgedrückt: »Die Kritik der reinen Vernunft hat die Ontologie in Dianoiologie verwandelt.«

An einer andern Stelle (»Parerga« II. S. 19) spricht Schopenhauer von dieser Wissenschaft als von dem, »was man früher Ontologie nannte«. In Wahrheit ist die Ontologie ein veralteter Begriff, der alle sterilen Streitigkeiten um die Wirklichkeit der Ideen, um das Wesen oder die οὐσια, um das Sein, kurz um das Unsagbare umfaßt. Nur daß die Ontologie niemals Mystik ist, immer Logik sein will. Höchstens Hegel brachte wie von ferne einen mystischen Zug in seine Ontologie hinein, trotzdem sie bei ihm (Encyclopædie 2 § 33) wieder ganz wortrealistisch ist.

Man täuscht sich aber, wenn man glaubt, diese Sterilität des Kampfes habe aufgehört. Ja, wir brauchen das Wort Ontologie beinahe wieder, wenn wir für den Realismus und für einen seiner vielen Gegensätze irgend einen Oberbegriff suchen. Was ist das, was ist? Was ist das Sein? So fragen wir immer noch wie vor dritthalb Jahrtausenden. Auch Kant hätte noch eine Ontologie im scholastischen Sinne nötig gehabt, da er zugleich das Sein und die Unerkennbarkeit der Dinge-an-sich behauptete; gerade vom Standpunkte der Phänomenalität aus müßte doch gefragt werden: dürfen wir noch ein Sein nennen, was für den Menschen in keiner Weise erkennbar ist?

Die neueste Fragestellung der Philosophie scheint zu dem Standpunkte des naiven Realismus zurückkehren zu wollen; aber es scheint nur so. Es ist ein bedeutender Unterschied zwischen diesem, welchem die Realität der Außenwelt ein Dogma ist, und den Lehren der philosophischen Physiker (Mach und Helmholtz, auf welche sich die Pragmatisten etwas kühn berufen), denen diese Realität nur eine Hypothese ist, eine brauchbare, fruchtbare, präzise, die einfachste Hypothese. »Die mit dem Charakter der Wahrnehmung auftretenden Bewußtseinsakte verlaufen so, als ob die von der realistischen Hypothese angenommene Welt der stofflichen Dinge wirklich bestände« (Helmholtz: »Vorträge und Reden« II. S. 243). Das bescheidene und sich bescheidende als ob hat Helmholtz wieder von Kant entlehnt.

Auch der Streit um den Realismus endet also mit einem Gleichnis; und würde noch besser mit der ersten und letzten Frage endigen: was ist das?


 << zurück weiter >>