Karl May
Freuden und Leiden eines Vielgelesenen
Karl May

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Sie folgen uns, bald mehr und bald weniger nahe hinter uns gehend, und wir hören nun folgende Urteile:

»Hört, sie ist nicht übel, seine Frau! Beinahe majestätisch! Er hat etwas krumme Beine; in dunklen Hosen sähe man es nicht so deutlich. Wahrscheinlich vom vielen Reiten; das drückt die Knochen rund!« – – »Ich bin mit dem Schnurrbart nicht zufrieden; er müßte eigentlich größer sein!« – – »Dafür ist der Gang um so elastischer; der reine Apatsche! Hört, jetzt hängt sie gar bei ihm ein! Herr und Squaw Old Shatterhand! Ob sie nach dem Jägerhof gehen? Da ist Konzert. Wer da mit hinein könnte! Dazu fehlen aber die Moneten!«

Karl May – Old Shatterhand mit Winnetous Silberbüchse.
Karl May – Old Shatterhand mit Winnetous Silberbüchse

Wir betreten den genannten Konzertgarten, und die drei Kritiker meiner Beine stellen sich draußen am Zaune auf und lassen mich so wenig aus den Augen, daß ich hingehe und sie frage:

»Sie fixieren mich! Kennen Sie die Folgen davon? Was wählen Sie, Pistolen oder Säbel?«

Sie starren mich mit hochroten Gesichtern erschrocken an, bis der älteste mir erklärt:

»Wir haben nicht fixiert, sondern nur so hingeguckt.«

»Das ist egal! Kennen Sie mich?«

»Ja.»

»So kommen Sie herein! Wir müssen die Angelegenheit besprechen!«

»Wir können nicht hinein; uns fehlt der nervus rerum

»Das thut nichts. Kommen Sie an die Kasse!«

Sie kommen dieser Aufforderung mit sorgenvollen Herzen nach und sitzen dann höchst niedergedrückt beim Kulmbacher, welches ich ihnen geben lasse. Aber als ich kein Wort von Fixieren, Duell und Sekundanten erwähne, heitern sich ihre Mienen auf; sie bekommen den Mut, mir ihre »Blumen« zuzutrinken, und bald sitze ich als Examinand vor ihnen und werde so gründlich über meine Reisen ausgefragt, daß ich, als das Konzert zu Ende geht, beim besten Willen nicht sagen kann, was geblasen worden ist. Sie aber trennen sich mit der Versicherung von uns, daß sie zwar erst »notorisch erschrocken seien«, bald aber gemerkt hätten, daß ich nur gescherzt habe; nun bitten sie mich mit dankbarem Herzen, ja nie zu vergessen, daß die zwei seligen Stunden hier im Garten der schönste Tag in ihrem Leben sein und bleiben werde!

Die Folge dieses für sie so hochwichtigen Ereignisses war eine von ihrer ganzen Klasse ausgefertigte Bierkarte, welche ich erhielt.

Bierkarten! Ich kann dreist behaupten, daß noch nie jemand soviel Bierkarten erhalten hat, wie Karl May. Wer kennt alle die May-Klubs, deren Ehrenmitglied ich bin? Wer kennt meine vielen Geburts- und Namenstage, welche von diesen Klubs gefeiert werden? Wer zählt die Verbindungen, die akademischen und unakademischen Gesangsvereine, die Lese-, Fecht-, Turn- und anderen Vereine, die Stamm-, Skat- und Kaffeetische, welche mir durch Depeschen, Briefe, Karten, Blumen und sonstige Spenden beweisen, daß ich jährlich etwa zwanzig Geburts- und dreißig Namenstage habe? Gibt es unter den vielbesuchten Orten und Punkten zwischen den Alpen und dem Nord- und Ostseestrande einen, an welchem nicht einige feuchtfröhliche Leser auf Old Shatterhand und seine Westmänner angestoßen und mir dies durch Reime mitgeteilt haben, die teils über und teils unter aller Würde sind? Hat nicht der erste Karl May-Klub in L . . . (es gibt dort deren zwei) in Friesland mir am letzten 29. Februar vier Würste geschickt, weil dieser mein Schalt- und Geburtstag nur in den Jahren gefeiert werden kann, welche sich durch vier dividieren lassen? Ich beantworte nämlich die Fragen nach meinem wirklichen Geburtstage nie und verrate ebensowenig, daß er in jedem Schriftstellerverzeichnis zu finden ist.

Da ich von Gratulationen und Gaben spreche, so sei gleich hier die liebe, selige Weihnachtszeit erwähnt. Welch eine Masse von Zuschriften aller Formen und Größen geht in der letzten Hälfte des Dezember bis Neujahr bei mir ein! Das sind Tage, an denen ich so recht sehen kann, wie groß die Familie ist, welche da an ihren »geliebten litterarischen Papa« denkt. Da kommen nicht nur Briefe, sondern auch Gaben aus allen Himmelsgegenden! Feinster Rigoletwein vom Karst, ein 140 Pfund schwerer Käse aus der Schweiz, Zigarren aus wohl zehn Orten, bester chinesischer Thee vom berühmtesten Hause an der Leda, ein Kunstwerk aus Marzipan von herzensguten Leuten in Hamburg, ein Meisterwerk der Plastik aus Düsseldorf, Schinken aus Westfalen, Bier aus Bayern und Böhmen, Butter aus Holstein, Kaviar von der russischen Grenze etc. etc. und, last not least, eine kolossale Flasche Kanzleitinte vom schönsten Hafenplatze des Bodensees. Dich aber, Du Spender der großartigen »Perle von Deidesheim«, werde ich hier nicht erwähnen, denn Du wirst bald auf anderem Wege von mir hören. Einstweilen Gruß Dir und den »lieben Orgelpfeifen«! Lieber will ich dafür mit Namen nennen die sehr honourablen Zepf Bros. Cincinnati, 236 fifth Street, Umbrellas and Canes, Repairing and Covering at lowest prices, welche so pfiffig waren, mir einen Check auf 1 Dollar zu senden, um mich durch diesen Vorschuß auf Frankierung zu zwingen, ihre liebenswürdigen Briefe an Old Shatterhand zu beantworten.

Die Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke erwähne ich in objektiver Weise; wer mich kennt, der weiß, daß ich viel, viel lieber gebe, als nehme! Dies zu beweisen, wird mir, wie weiter unten zu sehen ist, mehr als reichlich Gelegenheit geboten. Hier aber will ich fortfahren, von den »Freuden« eines Vielgelesenen zu sprechen.

Am tiefsten berühren mich die Zuschriften, welche sich auf die religiösen, ethischen und, ich muß sagen, auch sozialen Wirkungen meiner einfachen Erzählungen beziehen Es sei mir erlaubt, einige Zeilen, natürlich ohne Namen, wiederzugeben!

»Als wir acht Unterzeichneten Studenten der Philosophie wurden, haben wir nicht an Gott geglaubt. Die Lektüre Ihrer Werke hat uns den Glauben zurückgebracht, und wir werden ihn nun um so fester halten. Gott segne Sie!« – –  »Ich bin ein böser Mensch gewesen, habe Vater und Mutter in das Grab geärgert, den Glauben an Gott verlacht, bin aber durch Ihre Gespräche mit Marah Durimeh und Old Wabble gerettet worden.« – – »Da las mein Sohn jenen ernsten Ritt durch den Llano estakado und wurde davon so ergriffen und gepackt, daß er den entsetzlichen Entschluß des Selbstmordes fallen ließ. Sie sehen, Ihr »Surehand« hat einer armen Witwe ihren einzigen Sohn erhalten!« – – »Ich bin Missionar, und Sie sind es auch; meine größten Schätze hier im Innern Afrikas sind das Wort Gottes und Ihre Bücher, die ich, sowie sie erscheinen, über Marseille geschickt bekomme.« – – »Sie werden sich meiner früheren Briefe erinnern. Es war für mich, die arme, katholische Wirtschafterin, das größte Leid, daß mein Herr, der protestantische Millionär, mich meines Glaubens wegen verspottete. Ich habe ihn vermocht, Ihre Werke zu kaufen; nun ist er ein ganz anderer Mensch geworden. Erst verhöhnte er Sie; jetzt hat er gehört, daß Sie schwer krank gewesen sind, und ich soll sie bitten, zu uns zu kommen; er stellt Ihnen seine ganze Alpe zur Erholung zur Verfügung. Ich bin unendlich glücklich!« – – »Ich, die Lehrerin in den einsamen Dolomiten, habe einen lieben, lieben Freund, der mir alles Schwere ertragen hilft; der sind Sie. Sie glauben kaum, wie die armen, einfachen Menschen lauschen, wenn ich ihnen nach ihrem schweren Tagewerke des Abends vorlese! Ich kann behaupten, daß es jetzt keinen bösen Menschen mehr hier gibt. Haben Sie tausend Dank für das kostbare Geschenk Ihrer Bücher!« – – »Jetzt bin ich wieder eine glückliche Frau. Ich sah mit schwerer, stiller Bangnis, wie mein Mann heimlich mit sich kämpfte, aber der Tod Winnetous und das Ave Maria haben ihm zum Siege verholfen.« – –  »Wir sind arm und können Ihnen keine Schätze geben; aber einen Dank sollen Sie haben; der ist: seit wir Ihre Werke gelesen haben, sind wir keine Sozialdemokraten mehr und sehen zu unserer Freude, daß alle, denen wir sie borgen, auch langsam zu uns übertreten.«

Es war mir sehr überraschend, zu hören, daß meine Werke an hohen Schulen etc. als Stilvorbilder dienen. Ich habe keine Zeit, zu entwerfen, ein Konzept anzufertigen, zu feilen, zu streichen, zu verbessern und dann eine Reinschrift anzufertigen. Ich setze mich des Abends an den Tisch und schreibe, schreibe in einem fort, lege Blatt zu Blatt und stecke am andern Tage die Blätter, ohne sie wieder anzusehen, in ein Kouvert, welches mit der nächsten Post fortgeht. An den Stil denke ich dabei gar nicht. Gerade das mag wohl das richtige sein. Ich lasse das Herz sprechen und schreiben und bin stets der Meinung gewesen, daß das, was aus dem Herzen kommt, viel klüger ist als das, was der spitzfindige Verstand erst auszuklügeln hat. Weil ich meist Selbsterlebtes erzähle und Selbstgesehenes beschreibe, brauche ich mir nichts auszusinnen; das fließt so willig aus der Feder, und ich denke, daß das Feilen und Hobeln mehr verderben als bessern würde. Also, aufrichtig gesagt: Wer eine einfache, anspruchslose ungekünstelte Schreibweise kennen lernen will, der mag ein Buch von mir lesen; mehr will ich gar nicht bieten, und ich habe auch nie darnach getrachtet, ein Stilkünstler zu werden. Ich lösche lieber meinen Durst am frischen, natürlichen Quell, als aus einer Sodawasser- oder Brauselimonadenflasche. So habe ich es auch mit den fremden Sprachen gehalten. Zwar sind Fleischer und Wüstenfeld, die berühmten Orientalisten, meine Lehrer gewesen, aber den eigentlichen Fluß habe ich mir doch erst an Ort und Stelle geholt. Wirklich in den Geist einer Sprache eindringen kann man nur als Angehöriger des Volkes, von welchem sie gesprochen wird, und wer meine Erzählungen gelesen hat, der weiß, daß ich stets nach dieser, wenn auch der innern, Angehörigkeit getrachtet habe.

Weit weniger hat es mich überrascht, daß meine Bücher als Erziehungsmittel betrachtet werden. Es ist mein höchster Wunsch, nicht nur ein Lehrer meiner Leser und Leserinnen zu sein, sondern ihnen nach und nach ein lieber Anverwandter zu werden, von dem sie überzeugt sind, daß er es herzlich gut mit ihnen meint und sie so glücklich sehen möchte, wie ein Mensch eben zu sein vermag. Und da es ohne Gott kein Glück geben kann, so möchte ich ihnen gern schnell und billig geben, was ich mir während eines nur fünfzigjährigen Lebens unter steten Entbehrungen, Drangsalen und Kämpfen mühevoll errungen habe, nämlich den unerschütterlichen Glauben an Gott und die ebenso unantastbare Überzeugung, daß unser irdisches Leben eine zwar kurze, aber sehr ernste Vorbereitung auf das ewige Jenseits ist. Wer Ohren hat, die Brandung, welche beide trennt, schon hier zu hören, der kann weder das sein, was ich einen bösen, noch das, was ich einen unglücklichen Menschen nenne.

So freut es mich, daß meine Werke von diesem Standpunkte aus in vielen Schul- und Erziehungsanstalten gelesen werden und daß es als ein gutbewährtes Züchtigungsmittel gilt, Ungehorsame bis zu ihrer Besserung von dieser Lektüre auszuschließen. Wenn ich in dieser Weise von meinen Büchern spreche, so geschieht dies wieder durchaus objektiv. Es fällt mir nicht im Traume ein, mir auf das, was ich erlebt und geschrieben habe, auch nur das Geringste einzubilden. Was ich bin, und was ich schaffe, das bin und schaffe ich durch Gottes Barmherzigkeit, und wer den Anker seines innern und äußern Lebens in die Barmherzigkeit des Allgütigen versenkt, der weiß, daß er nichts als nur ein schwaches Werkzeug Gottes und ihm zu unaufhörlichem Dank verpflichtet ist; Dankbarkeit ohne Demut aber gibt es nicht.

Mit dieser Dankbarkeit erinnere ich mich eines Ereignisses, welches ich hier nicht vorenthalten möchte. Es gab in einer berühmten höhern Lehr- und Bildungsanstalt, wo meine Bücher mittags und abends nach Tische vorgelesen werden, mehrere räudige Schafe, bei denen kein Besserungsmittel fruchten wollte. Da bat mich der Obere um meine Photographie. Da er mir den Grund seiner Bitte darlegte, schickte ich sie ihm. Es war allen Schülern ein Fest, das Bild zu sehen; den Betreffenden aber wurde sie nicht gezeigt. Einige Tage darauf teilte mir der Regens mit, daß er seinen Zweck erreicht habe; die Widerstrebenden hatten um Verzeihung gebeten und Besserung versprochen. Am gleichen Tage traf bei mir eine freiwillige Zuschrift von ihnen ein, in welcher sie sich bei mir bedankten und mir versprachen, mich stets in ihr Gebet einzuschließen.

Gebet! Kennt einer die Macht des Gebetes, so bin ich es! Wie oft, wie oft ist es der Fels gewesen, auf den ich mich in der Not gerettet habe! Und wenn meine Erzählungen hier und da Gutes wirken, so habe ich dies nächst Gott nicht mir, sondern den Gebeten meiner Leser zu verdanken. Ich weiß, daß Hunderte von ihnen täglich für mich beten; sie haben es mir geschrieben, und ich schließe sie täglich auch in meine Bitte ein. Wenn so viele den Herrgott bitten, meiner Feder Segen zu verleihen, da kann doch wahrlich ich nicht stolz auf das sein, was ich schreibe! Es sind die Boten Gottes, die mir die Worte bringen. Wenn jeder Autor von diesem Standpunkte aus arbeitete, es gäbe weniger unnütze Bücher, aber mehr Glauben, mehr Liebe und Vertrauen!

Da fällt mir eine arme, blutarme Witwe in Taus in Böhmen ein. Sie schrieb mir, sie sei stets unglücklich gewesen und habe deshalb mit Gott gehadert; da habe ihr Pfarrer ihr meine Werke geborgt, und sie sei still und zufrieden geworden. Nun möchte sie gern wissen, wie ich aussehe; ob ich ihr nicht eine Photographie schicken könne, wenn auch eine alte. Da sie aber wisse, daß das Photographieren Geld koste, so lege sie mir hier alle ihre Ersparnisse bei; ich solle ihr aber ja dafür ein Bild schicken. Sie wolle für mich beten und möchte mich dabei gern vor sich liegen haben. Der Brief enthielt – – einen alten, recht abgegriffenen Guldenschein! Ist das nicht rührend?

Diese arme Witwe bot mir ihr alles für ein altes Bild. Wie viele, viele Leser und nicht etwa arme, machen gar keine Umstände mit mir; sie bitten nicht, sondern sie fordern einfach meine Photographie. Sie glauben, durch die Anschaffung meiner Werke oder auch nur dadurch, daß sie sie aus der Leihbibliothek entnehmen, ein gutes Recht auf die unentgeltliche Übersendung meines Bildes erworben zu haben. Ich schreibe hier die Anfangszeilen eines Briefes ab:

»Herr Doktor May, Old Shatterhand! Ich habe alle Ihre Werke geborgt bekommen und gelesen. Ich mag gar nichts anderes mehr lesen, auch meine Freunde nicht; darum senden Sie mir unverzüglich Ihre Photographie, und schreiben Sie mir Ihren Namen darauf, daß ich auch Ihre Handschrift mit habe!«

Dieses Schreiben eines wohlhabenden Bäckermeisters kostet mich 20 Pfennige Strafporto; die Erfüllung seines Wunsches oder vielmehr Befehles würde mich 3 Mark 40 Pfennige und einen Brief kosten. Und dabei hat er meine Bücher nicht gekauft, sondern geborgt! In dieser und ähnlicher Weise bin ich im vorigen Jahre über 900mal um mein Bild angegangen worden; im laufenden Jahre wird die Zahl der Begehrenden eine noch größere. Das ergibt Tausende von Mark, welche meine Leser in aller Unbefangenheit von mir verlangen. Daß der Photograph Adolf Nunwarz in Linz-Urfahr Bilder von Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi verkauft, ändert nichts; man will sie umsonst von mir haben.

Ganz ebenso ist es mit den Büchern. Ich habe im vorigen Jahre ca. 800 Bände verschenkt, damit aber nicht die Hälfte der Bittsteller befriedigt. Da meine Freiexemplare nicht entfernt dazu ausreichten, habe ich den größten Teil dieser Bücher selbst kaufen müssen. Und Dank? Die Bittschreiben erhalte ich, ja; schicke ich dann die Bücher, so kann ich darauf rechnen, daß fünfzig Prozent der Befriedigten nichts von sich hören lassen.

Aber weiter! Wenn ich nur um Bilder und Bücher angegangen würde, so wollte ich gern schweigen. Ich greife in die Mappe und ziehe ohne Wahl aus der Abteilung der Bittsteller einige Briefe heraus.

»– – Wie gesagt, es genügen zu dieser Vergrößerung meines Geschäftes 3000 Mark, die bei Ihnen nichts ausmachen, mich aber, Ihren größten Verehrer und Bewunderer glücklich machen würden, falls ich sie noch im Laufe dieser Woche bekäme.« – – »Wir verlangen gar keine Kirche; nur eine Kapelle sollen Sie uns bauen, höchstens für 10-15000 Mark; die Gemeinde ist zu arm dazu.« – – »Zu diesem frommen Bau erübrigen nur noch 30000 Mark, die Sie uns sicher zur Verfügung stellen werden. Sollten Sie nicht in der Lage sein, es flüssig machen zu können, so genügt nur ein Wort an Ihre steinreichen Freunde, und Lord Lindsay oder Sir John Raffley wird Ihnen die Summe gern gewähren.« – – »Da ich weder Verwandte noch Freunde habe, so sind Sie der einzige, an den ich mich in dieser traurigen, leider selbstverschuldeten Lage wenden kann. Kommen die 1100 Mark nicht bis Montag in die Kasse zurück, muß ich mich erschießen!« – – »Also bitte, verehrtester Herr Doktor, haben Sie die Güte, Ihren Namen quer auf das beifolgende Wechselformular zu schreiben! Die 950 Mark werden am Fälligkeitstage sicher von mir eingelöst!« – – »Da wir aber nicht die Mittel besitzen, ihn auf das Gymnasium zu thun, bin ich mit meiner Frau übereingekommen, Ihnen folgenden Vorschlag zu machen: Sie nehmen unseren Franz ganz zu sich, in Logis, Kost, Wäsche und Kleidung, geben ihm Unterricht in allem, was man auf dem Gymnasium lernt, ganz besonders aber in allen Sprachen, die Sie selbst können, und wenn er dann nach vier Jahren neunzehn Jahre alt geworden ist, dürfen Sie ihn dafür drei Jahre lang als Ihren Begleiter umsonst mit auf Reisen nehmen.« – – »Sie ist das schönste Mädchen der Stadt, will aber nach auswärts heiraten, womöglich weit weg. Da wären nun Sie bei Ihrer großen Bekanntschaft der richtige Mann, mir einen passenden Bräutigam vorzuschlagen, von dessen Vermögen Sie gewiß fünf und auch noch mehr Prozent erhalten werden.« – – »Da mir die Mittel fehlen, verkaufe ich Ihnen das ganze Unternehmen. Jeder Erzbischof und Bischof Deutschlands muß uns eine Predigt gratis liefern; auf diese Weise bekommen wir für jeden Sonn- und Feiertag des Jahres eine Predigt umsonst; Sie lassen diese Predigten drucken, die natürlich von aller Welt gekauft werden, weil sie die höchsten geistlichen Würdenträger zu Verfassern haben, und nach Verlauf schon eines Jahres sind Sie ein steinreicher Mann.«

In dieser Weise könnte ich noch stunden-, ja tagelang fortfahren. Es ist wirklich ärgerlich, für so reich oder so dumm gehalten zu werden! Damit aber auch der Humor nicht fehle, will ich noch die originelle Bittschrift eines edlen Musensohnes bringen:

»Lieber Old Shatterhand,
Ich bin ganz abgebrannt;
Lös ich den Ehrenschein
Nicht in fünf Tagen ein,
Muß ich Schmul Veit verführ'n,
Ihn mir zu prolongier'n.
Ungefähr achtzig Mark
Macht nur der ganze Quark.
Schick' sie mir mit Verstand
F. G. R. postrestant.«

Der Fassung dieser Zeilen nach vermutete ich, daß der Bittsteller mich persönlich kenne; seine Handschrift kam mir bekannt vor. Ich suchte und fand dieselbe Schrift auf dem noch nicht eingelösten Schuldscheine, den mir der Sohn eines Freundes als Primaner ausgestellt hatte. Er war ein leichtlebiger aber sonst braver junger Mann und wollte sich damals dem reichen Vater nicht entdecken. Ich that dies jetzt an seiner Stelle; der Vater bezahlte mich und die neuen Schulden, und ich erhielt darauf folgende Epistel:

»Mein lieber Shatterhand,
Du warst bisher bekannt
Mir als verschwieg'ner Mann,
Dem man vertrauen kann.

Doch dieser Illusion
Spricht Dein Verhalten Hohn,
Denn Du hast mich zwar heut
Von dem Schmul Veit befreit,
Jedoch auf eine Art,
Die nicht korrekt und zart.
Dich, der nicht schweigen kann,
Pump ich nie wieder an!«

Man sieht, seine Reime besitzen ganz dieselbe Eigenschaft, wie er selbst: sie sind nicht ganz schlecht, und ich will zur allgemeinen Beruhigung hinzufügen, daß er mich trotz seines fürchterlichen Racheschwures doch wieder »angepumpt« hat, wenn auch nur für sehr kurze Zeit.

Karl May – Old Shatterhand.
Karl May – Old Shatterhand.

Will ich in der Schilderung meiner Leiden fortfahren, so komme ich jetzt zu einer Gattung von Briefen, über welche ich eigentlich ein noch tieferes Schweigen beobachten sollte, als dieser Musensohn von mir verlangte; da dieses Genre aber nicht uninteressant ist und ich keine Namen nenne, so glaube ich keine unverzeihliche Indiskretion zu begehen, wenn ich in halblautem Tone sage, daß die Verfasser dieser Briefe meist Verfasserinnen sind. Diese Verfasser scheinen als Damen die Eigentümlichkeit zu haben, mich für jünger zu halten, als ich bin und sich für meine Person ebenso sehr wie für meine Bücher zu interessieren.

»Wie ist die Farbe Ihrer Haare und Ihres Bartes? Was tragen Sie überhaupt für einen Bart? Welche Augen haben Sie? Singen Sie Tenor, Bariton oder Baß? Von welcher Gestalt sind Sie? Wieviel Kilo wiegen Sie? Rauchen Sie? Spielen Sie Billard, Schach, Skat? Sind Sie musikalisch? Welches ist Ihr Lieblingstanz? Wie gehen Sie am liebsten gekleidet, dunkel oder hell? Welches ist Ihre Leibspeise, Ihr Leibgetränk? Was ziehen Sie vor, die Oper oder das Drama? Schlafen Sie lange? Welcher Klasse fahren Sie?»

So lauten einige der vielen Fragen, welche man mir vorlegt. Ich beantworte sie:

»Ich trage Schnurrbart und Fliege; beide waren, wie auch das Kopfhaar, sehr dunkelblond; jetzt beginnt eine zwar ehrwürdige, mir aber »gräuliche« Färbung überhand zu nehmen, denn ich zähle 54 Jahre, sehe aber 10 Jahre jünger aus. Meine Augen sind graublau. Ich singe ersten und auch zweiten Baß, je nachdem, wohin mich der Herr Direktor stellt. Meine Gestalt ist schlank, sehnig; ich bin 166 Centimeter hoch und wiege 75 Kilogramm. Ich rauche gern und spiele alles, finde aber keinen Genuß dabei. Ich bin musikalisch und geige, blase und streiche die meisten Instrumente, keines aber mir zur Genüge. Ich tanze alle Tänze, doch nur, wenn ich muß; lieber bin ich Mauerblümchen. Dunkelblau ist in Beziehung auf den Anzug meine Lieblingsfarbe. Frack und Chapeau claque können mich zur Verzweiflung bringen. Die Handschuhe sind bei mir stets zu finden, nämlich in der Tasche. Den Regenschirm nehme ich bei verdächtigem Wetter zwar mit, lasse ihn aber nicht naß werden. Jetzt liegt er in Regensburg, und ich wohne in Radebeul bei Dresden. Meine Lieblingsspeise ist Brathuhn mit Reis, mein liebstes Getränk Magermilch. Ich komponiere jetzt selbst an einer Oper, stelle aber ein gutes Drama gleich hoch. Ich schlafe sehr wenig und fahre zweiter Klasse.«

So, das wird für heute genügen! Es gibt aber noch intimere Fragen, z.B. ob ich verheiratet bin, seit wann, ob glücklich oder unglücklich, ob meine Frau eine Indianerin, Perserin, Araberin oder Türkin ist u. dgl. m. Da kann ich denn aus vollem Herzen sagen: Ich bin noch nicht lange verheiratet, aber sehr glücklich. Und da ich dies hier öffentlich erklärt habe, so will ich das Paket Briefe, welches ich schon in der Hand hielt, wieder weglegen, denn es enthält - honny soit qui mal y pense – Heiratsanträge, meist ohne Vorwissen der betreffenden Dame von Verwandten oder Vormündern an mich gerichtet.

Ein sehr, sehr wißbegieriger Backfisch in Aachen hat mich auch gefragt, ob ich eine Jugendliebe gehabt habe. O ja, eine recht glühende sogar, nämlich meine gute Großmama. Für sie hat mein ganzes kleines Herz geschlagen und ich bin so eifersüchtig auf sie gewesen wie – wie, nun, wie eben der sechsjährige blinde Young Shatterhand auf seine Großmama!

Eine weitere Art von Briefen, für welche ich hier an dieser Stelle herzlichen Dank sage, denn die Absender sind durchweg Abonnenten unsers lieben »Hausschatzes«, enthält Einladungen, denen ich leider aus Mangel an Zeit bisher nicht Folge leisten konnte.

Die Kunde von meiner mehrmaligen schweren Erkrankung hatte zur Folge, daß mir von Angehörigen der verschiedensten Stände die umfassendste Gastfreundschaft angeboten worden ist, um mich fern von dem nervösen Jagen und Hasten der Welt in ungestörter Ruhe erholen zu können. Ich konnte wählen zwischen den Pußten Ungarns, dem grünen Steiermark, dem herrlichen Achensee, den Schweizer Alpen, dem sonnigen Rheine und dem stillen Nordseestrande. Sogar aus der Lüneburger Heide schrieb mir ein einfacher Bauersmann: »Ich kann Ihnen kein Schloß und keinen Palast bieten, aber kommen Sie dennoch! Sie finden, was Sie brauchen, die tiefste Einsamkeit. Und wollen Sie mit jemand verkehren, so wohnen hier Leute, deren Herzen Sie gewonnen haben. Also kommen Sie; versuchen Sie es wenigstens einmal!«

Wenn ich vorhin gesagt habe, daß ich an einer Oper arbeite, so will ich jetzt noch eine zweite Indiskretion begehen, indem ich verrate, daß ich die Absicht habe, Winnetou auf die Bühne zu bringen. Eine gewagte Idee? O nein! Der Farbe wegen? Hat nicht Shakspeare seinen Othello geschrieben, der ein vollständig schwarzer Mensch gewesen ist? Wie? Ich sei noch lange kein Shakspeare? Gewiß; das weiß ich wohl; aber dafür ist mein Winnetou auch viel heller als sein Mohr! Und wer Winnetou kennt, der gibt mir sicher recht, daß es keine edlere und ergreifendere Bühnengestalt geben kann, als diesen hochragenden Häuptling der Apatschen, der ganz desselben tragischen Todes sterben mußte, welchem seine untergehende Nation verfallen ist. Mir klingt noch heute das Ave Maria in den Ohren, bei dessen Klängen er in meinen Armen die Augen schloß. Es waren da nur die erste und die letzte Strophe angegeben, und ich bin so oft von Abonnenten unsers Lieblingsblattes angegangen worden, das Fehlende gelegentlich zu ergänzen, daß ich glaube, mich heute am besten von ihnen zu verabschieden, indem ich diesen Wunsch erfülle:

»Es will das Licht des Tages scheiden;
Nun bricht die stille Nacht herein.
Ach, könnte doch des Herzens Leiden
So, wie der Tag vergangen sein!
Ich leg' mein Flehen dir zu Füßen;
O, trag's empor zu Gottes Thron,
Und laß, Madonna, laß dich grüßen
Mit des Gebetes frommem Ton:
Ave, ave Maria!

Es will das Licht des Glaubens scheiden;
Nun bricht des Zweifels Nacht herein.
Das Gottvertrau'n der Jugendzeiten,
Es soll mir abgestohlen sein.
Erhalt', Madonna, mir im Alter
Der Kindheit frohe Zuversicht;
Schütz' meine Harfe, meinen Psalter;
Du bist mein Heil, du bist mein Licht!
Ave, ave Maria!

Es will das Licht des Lebens scheiden;
Nun bricht des Todes Nacht herein.
Die Seele will die Schwingen breiten;
Es muß, es muß gestorben sein.
Madonna, ach, in deine Hände
Leg' ich mein letztes, heißes Fleh'n:
Erbitte mir ein gläubig Ende
Und dann ein selig Aufersteh'n!
Ave, ave Maria!«

Karl May – Kara Ben Nemsi.

Karl May – Kara Ben Nemsi mit dem Henrystutzen

Pavillon in Karl May's Garten.
Pavillon in Karl May's Garten.

Unsere Bilder.

Herr Dr. Karl May ist dem Drängen so vieler seiner Verehrer endlich nachgekommen und hat eine Reihe von photographischen Aufnahmen anfertigen lassen, die nicht allein zeigen, »wie er aussieht« – was so viele Leser und nicht wenige – Leserinnen so brennend gern gewußt hätten – sondern auch wie er wohnt, liest und schreibt. Die Abbildungen der vorliegenden Nummer zeigen ihn uns als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, also in zwei Gestalten, die den Lesern seit Jahren vertraut sind. Das Kostüm ist dasselbe, wie Karl May es auf seinen Reisen getragen hat.


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