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Ein schwerer Sturm peitschte den dichtströmenden Regen gegen die sich vor ihm beugenden Tannenwipfel des Hochwaldes; fingerstarke Wasserfäden flossen an den Riesenstämmen nieder und vereinigten sich an den Wurzeln zu erst kleinen, nach und nach aber immer größer werdenden Bächen, die in zahllosen Wasserfällen von Fels zu Fels in die Tiefe stürzten, um unten in dem engen Tal von dem hochaufgeschwollenen Fluß aufgenommen zu werden. Es war Nacht geworden; von Minute zu Minute rollte ein zürnender Donner über die Tiefe hin, doch, so hell und grell der Blitz jedesmal dabei leuchtete, fiel der Regen so dicht herab, daß man trotzdem kaum fünf Schritte weit zu sehen vermochte.
Der rasende Sturm traf oben den Hochwald und die Felsenklippen; seine Macht jedoch reichte nicht bis in die Tiefe, wo die Riesentannen im nächtlichen Dunkel unbeweglich standen, aber es war da auch nicht still, denn die Wasser des Flusses rauschten und brausten so erregt zwischen den Ufern dahin, daß nur ein ungemein scharfes Ohr es hören konnte, daß zwei einsame Reiter flußabwärts geritten kamen; zu sehen waren sie nicht.
Wäre es Tag und hell gewesen, so hätten sie gewiß den verwunderten Blick eines jeden Begegnenden auf sich gezogen, und zwar nicht etwa infolge ihrer Kleidung und Ausrüstung, sondern weil beide von einer wahrhaft angsterregenden Länge waren. Man hätte lange in allen Ländern der Erde suchen können, um zwei so gleichlange und gleichdürre Menschen zu finden.
Der eine war semmelblond und hatte einen bei seiner Höhe geradezu lächerlich kleinen Kopf. Mitten unter zwei gutmütigen Mäuseäuglein saß ein winziges, aufwärts gerichtetes Stumpfnäschen, das viel besser in das Gesicht eines vierjährigen Kindes gepaßt hätte und in gar keinem Verhältnis zu dem ungeheuer breiten Munde stand, der sich fast von dem einen Ohr bis zu dem andern zog. Einen Bart hatte der Mann nicht, und dieser Mangel schien ein angeborener zu sein, denn über dieses frauenglatte Gesicht war gewiß noch nie ein Schermesser gegangen. Er trug ein ledernes Wams, das ihm wie ein kurzer Mantel faltenreich von den schmalen Schultern hing, dazu enge Lederhosen, die seine Storchbeine fest umschlossen, halbhohe Schaftstiefel und einen Strohhut, dessen Krempe sich traurig herabneigte und den aufgefangenen Regen in ununterbrochenen Fäden rund um ihn niederströmen ließ: Auf seinem Rücken hing, die Mündung nach unten gerichtet, ein Doppelgewehr. Das Pferd, das er ritt, war ein kräftiger, starkknochiger Klepper, der gewiß schon fünfzehn Sommer hinter sich hatte, aber alle Lust zu besitzen schien, noch weitere fünfzehn ebenso rüstig zu erleben.
Der andre Reiter hatte dunkles Haar, auf dem eine uralte Pelzmütze saß, ein sehr schmales und sehr langes Gesicht, und ebenso sehr schmal und sehr lang waren auch die Nase, der Mund und der fadenartige Schnurrbart, dessen Spitzen fast hinter den Ohren zusammengebunden werden konnten. Seine weit über zwei Meter lange Gestalt war, umgekehrt zu seinem Gefährten, oben eng und unten weit bekleidet, denn während er eine sehr weite, faltenreiche Hose trug, deren Enden in rindsledernen Halbstiefeln steckten, umschloß seinen Oberkörper eine lange Filzjacke so eng, als ob sie ihm angegossen worden sei. Auch er hatte ein Doppelgewehr. Daß beide außerdem noch Messer und Revolver besaßen, war ganz selbstverständlich. Er saß auf einem zuverlässigen Mustang, dessen Wiegenfest sich wenigstens ebenso oft wiederholt hatte wie dasjenige des andern Pferdes.
Die beiden Reiter kümmerten sich weder um den Weg noch um den strömenden Regen. Den ersteren zu suchen und zu finden, das überließen sie ihren scharfsinnigen und erfahrenen Pferden, und aus dem letzteren machten sie sich aus dem Grunde nichts, weil er ihnen doch nicht tiefer als bis auf die Haut gehen konnte und dann ablaufen mußte.
Sie unterhielten sich trotz des unaufhörlichen Donnerns und Blitzens und trotz der gefährlichen Nähe des an seinen Ufern wühlenden und zerrenden Flusses so unbefangen miteinander, als ob sie im hellen Sonnenschein über eine offene Prärie ritten. Aber wer sie hätte sehen können, dem wäre wohl aufgefallen, daß sie einander trotz der Dunkelheit sehr aufmerksam beobachteten, denn sie kannten sich erst seit einer Stunde, und im wilden Westen ist ein anfängliches Mißtrauen stets am Platz. Sie hatten sich kurz vor Einbruch der Nacht und dem Beginn des Gewitters oben am Flusse getroffen und da erfahren, daß sie beide heut noch nach dem Firwood-Camp Tannenwaldlager. wollten, Und es war wohl selbstverständlich gewesen, daß sie nicht einzeln, sondern miteinander ritten.
Nach ihren Namen und Verhältnissen hatten sie sich nicht gefragt, und ihre Unterhaltung war bisher so allgemein gewesen, daß sie Persönliches nicht berührten. Jetzt ertönte ein mehrfacher, krachender Donnerschlag, und wiederholte Blitze zückten blendend über die enge Tiefe hin. Da meinte der blonde Stumpfnäsige: » Bless my soul! Ist das ein Gewitter! Grad wie daheim bei Timpes Erben!«
Der andre hielt bei den beiden letzten Worten unwillkürlich sein Pferd an und öffnete bereits den Mund, um eine schnelle Frage auszusprechen, besann sich aber eines andern und schwieg, indem er sein Pferd weiter trieb. Er erinnerte sich daran, daß man westlich vom Mississippi nicht unvorsichtig sein dürfe.
Die Unterhaltung wurde fortgesetzt, natürlich ziemlich einsilbig, wie es die Oertlichkeit und Lage mit sich brachte. Es verging eine Viertelstunde und noch eine. Da machte der Fluß eine scharfe Biegung nach der Seite, wo sich die beiden Reiter befanden; er hatte das hier erdige Ufer unterwaschen; das Pferd des Blonden konnte nicht schnell genug wenden, es geriet auf die haltlose Scholle und brach ein, glücklicherweise nicht tief; der Reiter riß es empor und herum, gab ihm die Sporen und war mit einem kühnen Satz wieder auf festem Boden.
» Good god!« rief er dann aus. »Ich bin schon naß genug vom Regen, wozu also noch ein solches Bad? Hier konnte ich ertrinken! Beinahe so wie damals bei Timpes Erben!«
Er nahm sichere Entfernung von dem Flusse und ritt dann weiter. Sein Gefährte folgte ihm eine Weile schweigend und fragte dann: »Timpes Erben? Was ist das für ein Name, Sir?«
»Wißt Ihr das nicht?« lautete die Antwort.
»Hm! Sonderbar! Alle meine Bekannten und Freunde wissen es!«
»Ihr vergeßt, daß wir uns vor wenig über einer Stunde zum erstenmal gesehen haben.«
»Richtig! Da könnt Ihr freilich noch nicht wissen, wer Timpes Erben sind. Ihr werdet es aber vielleicht erfahren.«
»Vielleicht?«
»Ja, wenn wir nämlich länger beisammen bleiben.«
»Wenn ich es nun jetzt erfahren möchte, Sir?«
»Jetzt? Warum?«
»Weil ich Timpe heiße.«
»Was? Wie? Ihr heißt Timpe? Timpe ist Euer Name?«
»Ja.«
» Wonderful! Ich suche nach Timpe seit langen Jahren, überall, auf allen Bergen und in allen Tälern, im Osten und im Westen, bei Tag und bei Nacht, bei Sonnenschein und bei Regen, und nun, da ich es längst aufgegeben habe, ihn zu finden, da reitet er hier in diesem Wetter an meiner Seite und läßt mich beinahe in diesem schönen Flusse ersaufen, ohne mir zu sagen, wer er ist!«
»Ihr sucht nach mir?« fragte sein Begleiter verwundert. »Weshalb?«
»Na, wegen der Erbschaft! Weshalb denn sonst?«
»Erbschaft? Hm! Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?«
»Ich bin auch ein Timpe.«
»Auch einer? Woher denn?«
»Von drüben herüber.«
»Aus Deutschland?«
»Natürlich! Oder kann ein Timpe wo anders geboren sein?«
»Allerdings, denn ich zum Beispiel bin hier in den Staaten geboren.«
»Aber von deutschen Eltern!«
»Mein Vater war ein Deutscher.«
»So seid Ihr wohl der deutschen Sprache mächtig?«
»Ja.«
»Nun, so redet doch, wenn Ihr einen Deutschen vor Euch habt, deutsch, wie Euch der Schnabel gewachsen ist!«
»Na, Sir, nur sachte, sachte! Ich habe doch nicht gewußt, daß Ihr ein Deutscher seid!«
»Aber nun wißt Ihr es. Ich bin ein Deutscher, ein Timpe sogar, und verlange, daß Deutsche deutsch mit mir reden.«
»Welches ist Eure Vaterstadt?«
»Ich stamme aus Hof in Bayern.«
»Da gehen wir einander nichts an, denn ich stamme aus Plauen im Voigtland.«
»Oho! Nichts angehen! Mein Vater stammt auch aus Plauen und ist von dort nach Hof verzogen.«
Der Dunkelhaarige hielt sein Pferd an. Der Regen hatte nach einem heftigen Donnerschlage plötzlich aufgehört, und die Wolken waren vom Sturm zerteilt worden. Zwischen ihnen blickten helle, blaue Stellen des Himmels hernieder, und die beiden Männer konnten gegenseitig ihre Gesichter erkennen.
»Aus Plauen nach Hof verzogen?« fragte er. »Da ist es freilich nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, daß wir Verwandte sind. Was ist Euer Vater gewesen?«
»Büchsenmacher, und ich bin es auch geworden.«
»Das stimmt, das stimmt! Das ist ja ein merkwürdiges Zusammentreffen! Aber wir wollen uns nicht hier aufhalten; das Gewitter kann leicht zurückkehren, und wir haben noch den schwierigsten Teil des Tales vor uns; da wollen wir das jetzige annehmbare Wetter benutzen. Wir können besser weiter sprechen, wenn wir an Ort und Stelle sind. Also kommt, Sir, oder Vetter, wenn Euch das besser gefällt!«
Sie ritten weiter. Das Tal wurde bald so eng, daß nur wenig Raum zwischen dem Fluß und der beinahe senkrecht aufsteigenden diesseitigen Felswand blieb. Und dieser Raum bestand nicht etwa aus grasigem Boden, sondern es gab da eine Menge Gesträuch, durch das sich die Pferde oft geradezu drängen mußten. Hätte sich das Gewitter nicht verzogen gehabt, und wäre es so finster wie vorher geblieben, so dürfte es unmöglich gewesen sein, hier vorwärts zu kommen.
Das hielt eine bedeutende Strecke an, bis das Tal sich wieder verbreiterte, um nach einer halben Stunde wieder eine sehr schmale Schlucht zu bilden, die aber nicht lang war, sondern sehr bald auf den Platz mündete, welcher Firwood-Camp genannt worden war, weil es hier nur Tannen gab, die in riesiger Größe zum Himmel aufstrebten.
Es kreuzten sich hier zwei Täler in beinahe rechtwinkeliger Richtung, nämlich das Tal des Flusses, an dem die beiden Timpes herabgekommen waren, und ein andres, worin die im Bau begriffene Eisenbahn die Höhe des Gebirges zu ersteigen strebte. Camp heißt Lager, und daß es hier ein solches, und zwar ein nicht unbedeutendes gab, das sahen die beiden Reiter trotz der nächtlichen Dunkelheit sofort, als sie die Felsenenge vor sich hatten.
Es lag da eine Menge von Baumriesen, die gefällt worden waren, um aus den Stämmen Bretter und aus den starken Aesten Bahnschwellen zu bekommen; der Abfall lieferte das nötige Feuerholz. Die über den Fluß führende Brücke war beinahe fertig, und in deren Nähe lag die fliegende Schneidemühle, deren Sägen die Holzmassen zu bewältigen hatten. Weiterhin gähnte schwarz ein tief in den Felsen gesprengter Steinbruch, der die Quadern zum Unterbau zu liefern hatte, und links zogen sich mehrere aus Balken und Brettern errichtete schuppenähnliche Bauten hin, die zur Unterbringung der Menschen, der Werkzeuge und der Vorräte dienten.
Eine dieser hier Shops genannten Buden war außerordentlich lang und tief. Die vier Feueressen, die das Dach überragten, und die zahlreichen, jetzt erleuchteten Fenster ließen vermuten, daß der Shop den im Camp anwesenden Arbeitern Unterkunft zu gewähren hatte. Infolgedessen wendeten sich die beiden Ankömmlinge dorthin.
Schon von weitem scholl ihnen ein lautes Stimmengewirr entgegen, und als sie näher gekommen waren, machte sich mit jedem Schritt mehr eine von Branntweindunst geschwängerte Luft bemerklich. Sie stiegen ab, banden ihre Pferde an die wahrscheinlich zu diesem Zweck neben der Tür eingeschlagenen Pfähle und wollten eben eintreten, als ein Mann herauskam, der in das Innere zurückrief: »Der Bauzug muß gleich kommen; ich will ihn abfertigen, dann bin ich wieder da. Vielleicht bringt er Neuigkeiten oder gar Zeitungen mit.«
Der Mann sah auf, erblickte die Fremden, trat zur Seite, um sie in das aus der Tür fallende Licht kommen zu lassen, und betrachtete sie.
» Good evening, Sir,« grüßte der Blonde. »Wir sind bis auf die Haut durchnäßt. Gibt es hier einen Platz, wo man trocken werden kann?«
»Ja,« antwortete er. »Es gibt sogar Plätze, um trocken schlafen zu können, nämlich falls ihr nicht zu derjenigen Sorte von Menschen gehört, die man lieber gar nicht eintreten läßt.«
»Keine Sorge, Sir! Wir sind ehrliche Westmänner, Gentlemen, die Euch nicht in Schaden bringen, sondern alles, was sie bekommen, bezahlen werden.«
»Wenn eure Ehrlichkeit so bedeutend wie eure Körperlänge ist, dann seid ihr freilich die größten Gentlemen unter der Sonne. Na, geht hinein, links in den kleineren Room, und sagt dem Shopman, ich, der Engineer Ingenieur., hätte gesagt, ihr könntet bleiben. Wir sehen uns bald wieder.«
Er ging fort, und sie befolgten seine Aufforderung.
Das Innere der Bude bildete einen einzigen großen Raum, von dem nur links ein kleiner Teil durch eine bloß mannshohe Bretterwand halb abgeteilt war. Es gab da eine Menge dürftiger Tische und Bänke, die in die Erde gerammt waren, und zwischen ihnen und an den Wänden hin Massenbetten, deren Füllung hauptsächlich nur aus trockenem Gras und Heu bestand. Vier Herde, auf denen hohe Feuer loderten, sorgten für eine wenig zulängliche Beleuchtung, Lampen oder Lichte gab es nicht, und so kam es, daß bei dem Flackern der Flammen alle Personen und Gegenstände in gespenstiger Unruhe und Bewegung zu sein schienen.
An den Tischen saßen und auf den Lagern hockten wohl an die zweihundert Bahnarbeiter, kleine, langzöpfige Burschen mit gelber Gesichtsfarbe, hervortretenden Backenknochen und schief geschlitzten Augen, die sich erstaunt auf die beiden überlangen Gestalten richteten.
»Pfui Teufel! Chinesen! Das konnten wir uns denken, denn man roch es schon von draußen!« meinte der Dunkelhaarige. »Kommt schnell in den kleinen Room, wo die Luft vielleicht genießbarer ist!«
In dieser Abteilung gab es auch eine Anzahl von Brettertafeln, woran aber weiße Arbeiter rauchend und trinkend saßen, derbe, wetterharte Männer, von denen wohl mancher eine bessere Vergangenheit hinter sich hatte, mancher aber auch nur deshalb hierher gekommen war, weil er sich im zivilisierten Osten nicht mehr sehen lassen durfte. Ihre überlaute Unterhaltung verstummte sofort, als sie die beiden Gäste sahen, denen ihre erstaunten Blicke bis hin zum Schenktisch folgten, hinter dem der Shopman bei zahlreichen Flaschen und Gläsern lehnte.
» Rail-roaders? Eisenbahner.« fragte er, indem er ihren Gruß nickend erwiderte.
»Nein, Sir,« antwortete der Blonde. »Wir haben nicht die Absicht, den hier sitzenden Gentlemen ihren Verdienst zu schmälern. Wir sind Westmänner und suchen ein Feuer, woran wir uns trocknen können. Der Engineer schickt uns zu Euch.«
»Könnt ihr zahlen?« erkundigte er sich, indem er ihre langen Gestalten mit einem scharf prüfenden Blick überflog.
»Ja.«
»Dann könnt ihr alles haben, was ihr braucht, auch später ein feines, abgesondertes Lager zum schlafen da hinter den Kisten und Fässern. Setzt euch da an den Tisch am Herd; da gibt es Wärme genug, der andre ist für die Beamten und höheren Gentlemen.«
» Well! Ihr rechnet uns also zu den niedrigen Gentlemen. Das hätte ich Euch bei unsrer Länge nicht zugetraut. Tut aber nichts. Bringt uns Gläser, heißes Wasser, Zucker und Rum! Wir wollen uns auch innerlich anwärmen.«
Sie setzten sich an den ihnen angewiesenen Tisch, der so nahe am Feuer stand, daß ihre nassen Anzüge bald trocknen konnten, bekamen das Verlangte und brauten sich einen Grog. Die weißen Arbeiter hatten gehört, daß sie keine Konkurrenz zu befürchten hatten; sie waren befriedigt und setzten ihr unterbrochenes Gespräch wieder fort.
An dem für Beamte und »höhere Gentlemen« bestimmten Tisch saß eine einzelne Person, ein junger, vielleicht nicht ganz dreißig Jahre zählender Mann, der wie ein weißer Jäger gekleidet war, aber der kaukasischen Rasse nicht angehörte, was sich aus der Farbe seiner Haut und der Bildung seines Gesichts schließen ließ. Er war jedenfalls ein Mestize, einer jener Mischlinge, welche zwar die körperlichen Vorzüge, aber dazu leider meist auch die moralischen Fehler ihrer verschiedenfarbigen Eltern erben. Seine Glieder waren kräftig und geschmeidig wie diejenigen eines Panthers und seine Gesichtszüge überaus klug, aber seine dunkeln Augen lagen unter den tief gesenkten Lidern und Wimpern lauernd versteckt wie ein wildes Katzenpaar, das eine Beute belauert. Er schien die beiden Fremden gar nicht zu beachten, ließ jedoch seine Blicke oft und verstohlen zu ihnen fliegen und neigte den Kopf zur Seite nach ihnen hin, um zu hören, wovon sie sprechen würden. Er hatte Grund zu ermitteln, welche Absicht sie in diese Gegend geführt hatte und ob sie bleiben oder nicht bleiben wollten. Zu seinem Leidwesen verstand er keines ihrer Worte, obgleich sie laut genug miteinander redeten, denn sie bedienten sich einer Sprache, die er nicht kannte, der deutschen.
Als sie ihre Gläser gefüllt hatten, tranken sie sich diese zu und leerten sie bis auf den Boden. Der Dunkelköpfige setzte das seinige vor sich hin und sagte: »So, das war der Willkommen, den wir einander schuldig sind, und nun wieder zur Sache! Also Sie sind eigentlich Büchsenmacher, und Ihr Vater war es auch. Nehmen wir einmal an, daß wir wirklich Verwandte seien, so will ich Ihnen offen sagen, daß ich noch nicht weiß, ob ich mich auch verwandtschaftlich zu Ihnen verhalten darf.«
»Warum sollten Sie das nicht dürfen?«
»Wegen der Erbschaft.«
»Wieso?«
»Ich bin um sie betrogen worden.«
»Ich doch auch!«
»Ach wirklich? Sie haben auch nichts bekommen?«
»Keinen Pfennig!«
»Aber es ist doch eine so bedeutende Summe an die Erben drüben ausgezahlt worden!«
»Ja, an Timpes Erben in Plauen, jedoch nicht an mich, obwohl ich ein ebenso echter Timpe bin wie sie.«
»Erlauben Sie mir, diese Echtheit einmal zu prüfen! Wie ist Ihr vollständiger Name?«
Kasimir Obadja Timpe.«
»Der Ihres Vaters?«
»Rehabeam Zacharias Timpe.«
»Wieviel Brüder hatte Ihr Vater?«
»Fünf. Die drei jüngsten sind nach Amerika gegangen. Sie glaubten, da schnell reich werden zu können, weil dort viele Gewehre gebraucht wurden. Die Brüder waren alle Büchsenmacher.«
»Wie hieß der zweite Bruder, der in Plauen geblieben ist?«
»Johannes Daniel. Er ist gestorben und hat zwei Söhne hinterlassen, nämlich Petrus Micha und Markus Absalom, welche die hunderttausend Taler geerbt und aus der Stadt Fayette in Alabama geschickt bekommen haben.«
»Das stimmt; das stimmt abermals! Mit Ihrer Orts- und Personenkenntnis beweisen Sie, daß Sie wirklich mein Vetter sind.«
»O, ich kann es noch besser beweisen. Ich habe meine Papiere und Ausweise heilig aufgehoben; ich trage sie auf meinem Herzen. Ich kann sie Ihnen sofort –«
»Jetzt nicht, jetzt nicht, vielleicht später,« fiel ihm Hasael in die Rede. »Ich glaube Ihnen. Sie wissen doch auch, warum die fünf Brüder und ihre Söhne alle solche biblische Namen haben?«
»Ja. Es war das ein uralter Gebrauch in der Familie, von dem keiner abgewichen ist.«
»Richtig! Und dieser Gebrauch konnte in den Staaten hier leicht beibehalten werden, weil der Amerikaner solche Namen auch bevorzugt. Mein Vater war der dritte Bruder; er hieß David Makkabäus und blieb in New York. Mein Name ist Hasael Benjamin. Die zwei Jüngsten gingen weiter ins Land und setzten sich in Fayette im Staate Alabama fest. Der Allerjüngste hieß Josef Habakuk; er starb dort kinderlos und hat das große Erbteil hinterlassen. Der vierte Bruder, Tobias Holofernes, starb in derselben Stadt; sein einziger Sohn, Nahum Samuel, ist der Schwindler.«
»Wieso?«
»Sehen Sie das nicht ein? Ich bin vollständig ahnungslos gewesen. Vater hat zwar in der ersten Zeit mit seinen zwei Brüdern in Fayette Briefe gewechselt, doch ist das nach und nach eingeschlafen, bis man einander schier vergessen hat. Die Entfernungen in den Staaten sind so groß, daß selbst Brüder sich nach und nach aus den Augen kommen. Nach Vaters Tod führte ich das Geschäft fort, schlecht und recht, ohne viel mehr als das Leben herauszuschlagen. Da traf ich in Hoboken mit einem Deutschen zusammen; er war Einwanderer und kam aus Plauen im Voigtlande. Ich erkundigte mich natürlich nach meinen dortigen Verwandten und erfuhr zu meinem Erstaunen, daß sie bare hunderttausend Taler von dem Onkel Habakuk in Fayette geerbt hatten. Und ich nichts! Ich glaubte, der Schlag werde mich treffen! Ich hatte meinen Anteil auch zu verlangen und schrieb wohl zehn und noch mehr Briefe nach Fayette, bekam aber keine Antwort. Da verkaufte ich kurz entschlossen mein Geschäft und reiste hin.«
»Ganz recht, ganz recht, lieber Vetter! Nun, und der Erfolg?«
»War gar kein Erfolg, denn der Vogel hatte sich unsichtbar gemacht; er war ausgeflogen.«
»Welcher Vogel?«
»Das können Sie sich doch nun denken! Man hatte in Fayette geglaubt, der alte Josef Habakuk sei nur in guten Verhältnissen gestorben; daß er so reich gewesen war, hatte man nicht geahnt. Wahrscheinlich hat ihn sein Geiz abgehalten, es zu zeigen. Sein Bruder Tobias Holofernes war sehr arm vor ihm gestorben, und er hatte dessen Sohn, seinen Neffen Nahum Samuel, zu sich in das Geschäft genommen. Dieser nun ist der Betrüger. Er hat zwar nicht umhin gekonnt, die hunderttausend Taler nach Plauen zu schicken, mit dem übrigen Gelde aber hat er sich aus dem Staub gemacht, auch mit den hunderttausend Talern, die mir zufallen mußten.«
»Und mit den meinigen wahrscheinlich auch?«
»Jedenfalls!«
»Der Schurke! Vater zog von Plauen fort, weil er sich wegen der Konkurrenz mit dem Bruder arg verfeindet hatte. Diese Feindschaft wuchs trotz der Entfernung mehr und mehr, so daß keiner mehr etwas von dem andern wissen und hören wollte. Darüber ist Vater gestorben, sein Bruder in Plauen auch. Später schrieben mir dessen Söhne, sie hätten von dem Oheim Josef Habakuk in Amerika hunderttausend Taler geerbt. Ich fuhr sofort nach Plauen, um mich zu erkundigen. Da ging es freilich sehr hoch her. Die beiden Vettern wurden nicht anders als Timpes Erben genannt; sie hatten ihr Geschäft aufgegeben und lebten wie die Fürsten. Ich wurde sehr gut aufgenommen und mußte einige Wochen bei ihnen bleiben. Von der alten Feindschaft wurde kein Wort gesprochen, aber ebensowenig konnte ich etwas Näheres und Sicheres über den Onkel Josef Habakuk und seine Hinterlassenschaft erfahren. Die Vettern ließen mich ihren Reichtum sehen, aber meinen Anteil schienen sie mir nicht zu gönnen. Da machte ich es kurz entschlossen wie Sie: ich verkaufte mein Geschäft, ging nach Amerika und begab mich von New York natürlich sofort direkt nach Fayette.«
»Ah, also auch! Wie fanden Sie es dort?«
»Ganz wie Sie, nur daß man mich auslachte. Man sagte mir, daß die dortigen Timpes niemals wohlhabend gewesen seien.«
»Unsinn! Verstanden Sie damals Englisch?«
»Nein.«
»So hat man Sie dort als Deutschen an der Nase geführt. Was haben Sie dann angefangen?«
»Ich wendete mich nach St. Louis, wo ich bei Mr. Henry, dem Erfinder des berühmten fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzens, Arbeit nehmen und soviel wie möglich von seiner Kunst lernen und ablauschen wollte, kam aber in der Stadt Napoleon am Arkansas und Mississippi in die Gesellschaft einiger Präriejäger, denen ich als Büchsenmacher recht war. Sie ließen mich nicht weiter und veranlaßten mich, mit ihnen nach den Felsenbergen zu gehen. So bin ich also ein Westmann geworden.«
»Und sind Sie zufrieden mit diesem Wechsel?«
»Ja. Lieber freilich wäre es mir, wenn ich meine hunderttausend Taler erwischt hätte und in dulce jubilo leben könnte, so wie Timpes Erben.«
»Hm! Das kann vielleicht noch werden.«
»Schwerlich! Mir ist später auch der Gedanke gekommen, daß der alte Josef Habakuk doch so reich gewesen und sein Neffe Nahum Samuel mit dem Gelde entwichen sein könne. Ich habe nach dem letzteren gesucht, mehrere Jahre lang, doch vergebens, wie ich Ihnen schon sagte.«
»Ich auch, und ebenso vergebens, doch nur bis vor kurzer Zeit, denn nun habe ich seine Spur.«
»Sei–ne – Spur? Wie – wa– wirk–lich?« rief Kasimir, indem er so schnell von seinem Sitze aufsprang, daß die Anwesenden alle aufmerksam wurden und ihre Blicke auf ihn richteten.
»Still, ruhig!« warnte Hasael. »Man darf sich nicht so bald aufregen lassen. Ich habe aus einem ganz untrüglichen Munde gehört, daß ein gewisser Nahum Samuel Timpe, früher Büchsenmacher und nun ungeheuer reich, jetzt in Santa Fé wohnt.«
»In Santa Fé da drüben? Da müssen wir hin, unverzüglich hin, wir beide, Sie und ich!«
»Bin damit einverstanden, Vetter. Es war natürlich meine Absicht, ihn aufzusuchen und zur Herausgabe des Geldes nebst Zinsen zu zwingen. Daß dies schwer, sehr schwer sein wird, habe ich mir nicht verhehlt, und darum freut es mich, Sie getroffen zu haben, denn zweien muß es leichter werden. Wir treten in einer solchen Weise vor ihn hin, daß er vor Schreck seine Schandtat eingesteht und das Geld augenblicklich aufzählt. Wir sind Westmänner und drohen ihm mit dem Gesetz der Prärie. Nicht?«
»Selbstverständlich, ganz und gar selbstverständlich!« stimmte Kasimir höchst eifrig bei. »Welch ein Glück, daß ich Sie getroffen habe, Sie – Sie – Sie? Ist es nicht eine Dummheit, Vetter, uns Sie zu nennen, da wir so nahe Verwandte und Schicksalsgenossen sind?«
»Kommt mir auch so vor.«
»Also Brüderschaft machen, du sagen, nicht wahr, du?«
»Mir recht. Hier ist meine Hand, schlag ein! Wir füllen die Gläser wieder und leeren sie auf unser Wohl und auf das Gelingen unsres Vorhabens. Da, stoß an!«
»Prosit, Vetter, oder vielmehr: Prosit, lieber Hasael!«
»Prosit! Aber Hasael? Weißt du, man ist in den Staaten möglichst kurz, besonders mit den Namen. Man sagt Jim, Tim, Ben und Bob und spricht nicht alle Silben aus, wenn eine einzige genügt. Mein Vater sagte stets Has anstatt Hasael, und ich habe mich daran gewöhnt. Mach du es ebenso!«
»Has? Hm! Dann müßtest du zu mir auch Kas sagen anstatt Kasimir?«
»Warum nicht?«
»Dumm? Unsinn! Es klingt, sage ich dir; mir gefällt es, und wie es andern klingen mag, das ist mir gleichgültig. Also nochmals Prosit, lieber Kas!«
»Prosit, lieber Has! Aufs Wohl von Kas und Has, den neuesten Erben Timpes!«
Sie stießen still begeistert und nur leise ihre Gläser zusammen, um nicht die Aufmerksamkeit der andern Zecher auf sich zu ziehen. Dann meinte der dunkelköpfige Has: »Also auf nach Santa Fé! Aber das ist nicht so leicht und schnell ausgeführt, denn wir werden zu einem weiten Umweg gezwungen sein.«
»Warum?« fragte der semmelblonde Kas.
»Weil wir durch das Gebiet der Komantschen müßten, wenn wir den kürzesten Weg einschlagen wollten.«
»Ich hörte doch nicht, daß diese Roten jetzt das Kriegsbeil ausgegraben haben!«
»Ich auch nicht; aber die Indsmen sind selbst im tiefsten Frieden kriegerisch und stets den Bleichgesichtern feind. Zudem traf ich gestern mit einem Pedlar Krämer, Händler. zusammen, der von ihnen kam. Du weißt, daß die Indsmen einem Pedlar fast niemals etwas Böses tun, weil sie ihn notwendig brauchen. Der sagte mir, daß der große Kriegshäuptling Tokvi Kava Schwarzer Mustang. jetzt nicht bei seinem Stamme sei, sondern sich mit einigen seiner besten Krieger entfernt habe, ohne zu sagen, wohin.«
»Tokvi Kava, der Jägerschinder? Mit den besten Kriegern? Und ohne zu sagen, wohin? Das läßt allerdings sehr stark vermuten, daß er wieder auf eine seiner Grausamkeiten sinnt. Ich fürchte mich wahrlich vor keinem Roten, aber sei man noch so mutig, besser ist es immer, einem solchen Burschen gar nicht zu begegnen. Ich schlage vor, lieber den Umweg zu machen und eine Woche später in Santa Fé anzukommen. Unser Nahum Samuel wird uns wohl nicht grad' jetzt zum zweitenmal davonlaufen.«
»Und wenn er lief, wir haben seine Spur und würden ihn nun ganz gewiß –«
Er wurde unterbrochen, denn der Engineer kam zurück und brachte noch zwei Männer mit. Kas und Has hatten im Eifer ihres Gespräches das wiederholte Pfeifen einer Lokomotive überhört. Der Arbeitszug war angekommen; der Engineer hatte ihn abgefertigt und wurde nun bei der Rückkehr von seinem Aufseher und dem Magazinverwalter begleitet. Er nickte den beiden Westmännern grüßend zu, und dann setzten sich die drei zu dem Mestizen an den für die »Beamten und höheren Gentlemen« bestimmten Tisch. Sie ließen sich auch Grog geben, und dann erkundigte sich der Mischling: »Nun, Sir, sind Zeitungen angekommen?«
»Nein,« antwortete der Engineer, »die werden morgen erst eintreffen; aber Nachrichten habe ich erhalten.«
»Gute?«
»Leider nicht. Wir werden von jetzt an sehr wachsam sein müssen.«
»Warum?«
»Es sind in der Nähe der Rückstation Spuren von Indianern gesehen worden.«
Es war, als ob die halb unter den Lidern verborgenen Augen des Mischlings boshaft aufleuchteten, doch klang seine Stimme ganz gelassen, als er sagte: »Das ist doch kein Grund, ungewöhnlich wachsam zu sein!«
»Ich denke doch!«
» Pshaw! Kein Stamm hat jetzt den Tomahawk des Krieges ausgegraben, und wenn es wäre, so darf man von einigen Fußstapfen nicht gleich auf Feinde schließen.«
»Freunde lassen sich sehen. Wer sich versteckt hält, der hat keine guten Absichten; das kann ich mir sagen, obgleich ich kein Scout und Westmann bin. Nun, Ihr seid ja ein tüchtiger Pfadfinder und in dieser Gegend bekannt; ich habe Euch angestellt, daß Ihr die Umgebung wachsam durchstreift.«
Durch die geschmeidige Gestalt und über das Gesicht des Mestizen ging ein leises Zucken, als er zornig auffahren wollte, doch beherrschte er sich wieder und antwortete im ruhigem Ton: »Ich werde es tun, Sir, obgleich ich weiß, daß es nicht nötig ist. Indianerspuren haben nur zur Kriegszeit böse Bedeutung. Und noch eins: die Roten sind oft bessere und treuere Menschen als die Weißen.«
»Diese Ansicht macht Eurer Menschenliebe alle Ehre, aber ich könnte Euch mit Beispielen, mit vielen Beispielen beweisen, daß Ihr im Irrtum seid.«
»Und ich mit noch mehreren, daß ich recht habe. Ist jemals ein Mensch treuer gewesen, als Winnetou zu Old Shatterhand ist?«
»Winnetou ist eine Ausnahme. Kennt Ihr ihn?«
»Gesehen habe ich ihn noch nicht.«
»Oder Old Shatterhand?«
»Auch noch nicht; aber alle ihre Taten kenne ich.«
»So habt Ihr auch von Tangua, dem Häuptling der Kiowas Dieses Wort wird Ke-i-o-wehs ausgesprochen. gehört?«
»Ja.«
»Welch ein Verräter war dieser Schurke! Er warf sich damals, als Old Shatterhand noch Surveyor war, zu seinem Beschützer auf und hat ihm doch fort und fort nach dem Leben getrachtet. Er hätte ihn sicher ausgelöscht, wenn dieser Weiße nicht klüger und stärker als er gewesen wäre. Wo findet Ihr da die Treue, von der Ihr sprecht? Und daß die Spuren von Roten nur im Kriege Gefahr bedeuten – haben die Sioux Ogallalla nicht mitten im Frieden wiederholt Eisenbahnzüge überfallen? Haben sie nicht mitten im Frieden Männer getötet und Weiber geraubt? Sie sind dafür bestraft worden, nicht von großen Jäger- und Militärhaufen, sondern von zwei einzelnen Menschen, von Winnetou und Old Shatterhand. Befände sich einer von ihnen hier, so würden mir allerdings die Indianerspuren wenig Angst bereiten.«
» Pshaw! Ihr übertreibt, Sir! Diese beiden Männer haben sehr viel Glück gehabt; das ist alles. Es gibt noch ebensolche und auch noch bessere, als sie sind.«
»Wo?«
Der Mestize sah ihm mit stolz herausforderndem Blick in das Gesicht und antwortete: »Fragt nicht, sondern seht Euch um!«
»Meint Ihr etwa Euch, Euch selbst?«
»Und wenn?«
Der Engineer wollte ihm eine zurechtweisende Antwort geben, wurde dieser aber enthoben, denn Kas kam mit zwei Schritten seiner langen Beine herbei, pflanzte sich hoch vor dem Mestizen auf und sagte: »Ihr seid der größte Schafskopf, den es geben kann, mein Sohn!«
Der Mischling sprang im Nu auf und riß sein Messer aus dem Gürtel; aber noch schneller hatte Kas seinen Revolver gespannt, hielt ihm diesen entgegen und warnte: »Keine Uebereilung, my boy! Es soll Menschen geben, die eine Kugel durch ihren Dummkopf nicht vertragen und auch nicht überleben können, und ich habe allen Grund, anzunehmen, daß Ihr so einer seid.«
Der auf ihn gerichtete Lauf des Revolvers verbot dem Mestizen, sein Messer zu gebrauchen, denn eine Kugel ist schneller als die beste Klinge. Hierüber wütend, zischte er dem Langen zu: »Was habe ich mit Euch zu schaffen? Wer hat Euch erlaubt, Euch in unser Gespräch zu mischen?«
»Ich selbst, mein Junge, ich selbst. Und wenn ich mir oder irgend jemand etwas erlaube, so möchte ich den sehen, der es nicht leiden will! Etwa Ihr, he?«
»Ihr seid ein Grobian, Sir!«
» Well, diese Antwort laß ich mir gefallen, denn ich sehe, daß Ihr Geschmack an mir findet. Sorgt nur dafür, daß ich auch welchen an Euch finde, sonst ergeht es Euch wie damals bei Timpes Erben!«
»Timpes Erben? Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?«
»Ich bin einer, der auf Winnetou und Old Shatterhand nichts kommen läßt; mehr braucht Ihr nicht zu wissen. Lebt wohl, my boy, und steckt Euer Stecheisen wieder in den Gürtel, damit Ihr Euch damit nicht etwa einen Schaden tut!«
Kas kehrte nach seinem Tisch zurück, wo er sich behaglich wieder niederließ. Der Mestize folgte seinen Bewegungen mit sprühenden Augen, seine Sehnen spannten sich, dem Beleidiger nachzuspringen und ihm das Messer in den Leib zu stoßen, doch brachte er es nicht fertig. Es gab in der Haltung des langen dünnen Mannes etwas, was ihm den Fuß bannte. Er steckte das Messer ein, setzte sich wieder nieder und murmelte, um sich vor seinen Tischgenossen zu entschuldigen, vor sich hin: »Der Kerl ist offenbar ein Narr und gar nicht im stande, einen vernünftigen Menschen zu beleidigen. Lassen wir ihn schwatzen!«
»Schwatzen?« antwortete der Engineer. »Der Mann scheint im Gegenteil Haare auf den Zähnen zu haben. Daß er für Old Shatterhand und Winnetou gesprochen hat, freut mich von ihm, denn die Taten und Erlebnisse dieser beiden Helden des Westens bilden mein Leib- und Lieblingsthema. Will doch einmal sehen, ob er sie auch wirklich kennt.«
Und sich an den andern Tisch wendend, fragte er: »Ihr bezeichnet euch als Westmänner, Sir. Seid ihr jemals Winnetou oder Old Shatterhand begegnet?«
Die kleinen Mausaugen von Kas funkelten vor Vergnügen, indem er antwortete, »Und ob! Bin zwei Wochen mit ihnen geritten.«
»Wetter! Wollt Ihr nicht herkommen und uns davon erzählen?«
»Nein.«
»Nicht? Warum denn nicht?«
»Weil ich kein Geschick zum Erzählen habe, Sir. Es ist mit dem Erzählen eine ganz eigene Sache; das muß angeboren sein. Ich habe es schon oft versucht, aber ich bringe es nicht fertig. Ich fange in der Regel in der Mitte oder hinten an und höre stets vorn oder gar schon in der Mitte auf. Ich kann Euch nur kurz sagen, daß wir damals eine Gesellschaft von acht Weißen waren und in die Gefangenschaft der Upsarokas gerieten, die uns für den Marterpfahl bestimmten. Das hatten Old Shatterhand und Winnetou erfahren. Sie suchten unsre Fährte, folgten ihr, beschlichen die Upsarokas und holten uns in der Nacht heraus, ganz allein, ohne alle Beihilfe, ein Meisterstück, wie es Euer Halfbreed Halbblut, Halbindianer. sicher nicht fertig bringt, das dort bei Euch sitzt und vorhin das Maul so voll genommen hat.«
Der Mestize wollte wieder aufbrausen, doch kam ihm der Ingenieur mit der schnellen, an Kas gerichteten Frage zuvor: »Wißt Ihr nicht, wo sich die beiden jetzt befinden, Sir?«
»Habe keine Ahnung. Es wurde einmal davon gesprochen, daß Old Shatterhand hinüber in eines der altmodischen Länder sei, Aegypten oder Persien heißt es wohl, aber bald wiederkommen werde.«
»Möchte sie doch gar zu gern einmal sehen. Und besonders auch ihre Waffen! Sind diese wirklich so vorzüglich, wie man erzählt?«
»Will es meinen, Sir! Aus Winnetous Silberbüchse ist noch nie ein Fehlschuß gegangen; sie hat in ihrer Art nicht ihresgleichen. Der Bärentöter Old Shatterhands ist wie ein furchtbares Ungetüm, das auf ungemein weite Entfernung trifft und vernichtet. Und nun erst sein Henrystutzen! Bedenkt, Sir: fünfundzwanzig Schüsse in einer halben Minute! Ich bin Büchsenmacher gewesen und verstehe, was das heißen will. Henry hat, glaube ich, nur zehn oder zwölf solcher Stutzen gefertigt, aber wer hat sie und wo sind sie? Keiner von ihnen ist bekannt, als nur der Old Shatterhands. Welche Summen würde wohl ein Kenner dafür zahlen! – Aber, Sir, wenn Ihr uns einen Gefallen tun wollt, so sagt uns, wo wir unsre Pferde unterbringen können. Ich möchte sie gern sicher unter Dach und Fach haben, weil Ihr vorhin von Indianerspuren gesprochen habt.«
»Erscheinen Euch diese Spuren auch bedenklich?«
»Natürlich! Das kluge Halfbreed dort mag denken, was er will, ich weiß, woran ich bin.«
»So biete ich Euch den Werkzeugschuppen an, der ein gutes, festes Schloß besitzt; der Verwalter hier wird Euch führen und auch für Futter und Wasser sorgen.«
Der Genannte erhob sich bereitwillig von seinem Platz, und Kas und Has folgten ihm hinaus zu ihren Pferden.
Die weißen Bahnarbeiter hatten der Unterhaltung ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt; das Gespräch war ihnen ebenso fesselnd gewesen wie ihrem Vorgesetzten. Dieser benutzte die Abwesenheit der beiden Jäger dazu, dem Mestizen sein Gebaren zu verweisen, was der Genannte mit scheinbarer Ruhe hinnahm, während er innerlich wütend war. Darüber verging einige Zeit, bis sich draußen wieder die Schritte von Pferden hören ließen.
»Was ist denn das?« fragte der Engineer verwundert. »Sie bringen die Pferde zurück, und es ist doch Platz genug für sie im Schuppen.«
Er blickte nach dem Eingang und sah nicht die drei fortgegangenen Personen, sondern zwei ganz andre Männer eintreten. Es war ein Weißer und ein Indianer.
Der erstere war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, die bis über die Kniee heraufgezogen waren, und einen breitkrempigen Filzhut, in dessen Schnur sich rundum die Ohrenspitzen des fürchterlichen grauen Bären zeigten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen verfertigten Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser; er schien rundum mit Patronen gefüllt zu sein, und an ihm hingen mehrere Lederbeutel, welche wahrscheinlich die einem Westmann nötigen kleineren Gegenstände bargen. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte lag ein zusammengeschlungener, aus mehrfachen Riemen geflochtener Lasso, und um den Hals hing an einer Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren künstlerisch geschnittenen Kopf indianische Zeichen eingegraben waren. Ein breiter Riemen hielt auf dem Rücken dieses Mannes ein ungewöhnlich langes und schweres Doppelgewehr fest, während in der rechten Hand ein leichteres, einläufiges ruhte, dessen Schloß kein gewöhnliches zu sein schien; das sah man, obwohl es jetzt durch einen ledernen Ueberzug verhüllt wurde.
Der Indianer war ganz genau so gekleidet, wie der Weiße, nur daß er anstatt der hohen Stiefel leichte Mokassins trug, die mit Stachelschweinsborsten verziert waren. Auch eine Kopfbedeckung hatte er nicht, sondern sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, eine höchst wertvolle Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Grislykrallen, ein glänzender Beweis seiner Tapferkeit und seines Mutes, denn kein Indianer darf Siegeszeichen führen, die er sich nicht selbst erworben hat. Der Lasso fehlte ebensowenig wie der Gürtel mit den Revolvern, dem Bowiemesser und den Lederbeuteln, und in der Rechten hielt der Indsman eine doppelläufige Büchse, deren Holzteile eng mit glänzenden silbernen Nägeln beschlagen waren. Der Ausdruck seines ernsten, männlich schönen Gesichts war fast römisch zu nennen; trotz des tiefdunklen Sammets seiner Augen glänzte in ihnen ein ruhiges, wohltuendes Feuer; die Backenknochen standen kaum merklich vor, und die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.
Diese beiden Ankömmlinge waren keine Riesen von Gestalt; sie kamen ruhig und bescheiden herein, und doch wirkte ihr Erscheinen grad so außerordentlich. Das tolle Geschwätz der Chinesen verstummte im Nu; die weißen Arbeiter im kleinen Room standen unwillkürlich von ihren Sitzen auf; der Engineer, sein Aufseher und der Mischling taten dasselbe; der Shopman versuchte sogar eine Verbeugung fertig zu bringen, die leider sehr eckig ausfiel.
Die beiden schienen das Aufsehen, das sie erregten, gar nicht zu bemerken; der Indsman grüßte nur mit einem leichten, aber keineswegs stolzen Neigen seines Kopfes, und der Weiße sagte in freundlichem Ton: » Good evening, Mesch'schurs! Bleibt sitzen, wir wünschen nicht zu stören.« Und sich dann an den Wirt wendend, fuhr er fort: »Kann man bei Euch ein gutes Mittel gegen den Hunger und den Durst bekommen, Sir?«
» Readily, with pleasure, Sir!« antwortete dieser. »Es steht alles zu euren Diensten, was ich habe. Nehmt da am warmen Feuer Platz, Mesch'schurs! Es sitzen zwar schon zwei Westmänner da, die einmal hinausgegangen sind, aber wenn euch dies stört, so werden sie Platz machen.«
»Das wollen wir keineswegs. Sie waren eher da als wir und haben also ein größeres Recht. Wenn sie zurückkehren, werden wir sie fragen, ob sie uns bei sich haben wollen. Macht uns zunächst ein warmes Ingwerbier, dann werden wir sehen, was Ihr zu essen habt.«
Sie sahen an den zurückgelassenen Gewehren, wo Kas und Has gesessen hatten, und nahmen an der andern Seite des Tisches Platz.
»Prächtige Kerls!« flüsterte der Engineer seinen beiden Nachbarn zu. »Der Rote blickt wie ein König drein und der Weiße nicht weniger.«
»Und das Gewehr des Indsman!« antwortete ebenso leise der Aufseher. »Die vielen silbernen Nägel daran! Ob das –«
» Thounder-storm! Silberbüchse! Winnetou! Seht das schwere Doppelgewehr des Weißen! Ob das der berühmte, Bärentöter ist? Und das kleine, leichte Gewehr! Vielleicht gar der Henrystutzen? Sollte –«
Da hörte man draußen vor dem Eingang die Stimme Kasimirs: » All devils! Was sind das für Pferde hier? Wer ist angekommen?«
»Weiß es nicht,« antwortete die Stimme des Verwalters, der mit den beiden Vettern von dem Schuppen zurückgekehrt war.
»Zwei Rapphengste mit roten Nüstern und dem Vollblutswirbel in der Mähne! Die kenne ich, die kenne ich, und auch die Reiter, denen sie gehören. Indianisch ausgeschirrt! Es stimmt, es stimmt! Welch eine Freude! Genau so wie bei Timpes Erben! Kommt herein, kommt schnell herein; Ihr wertet die zwei berühmtesten Männer des Westens sehen!«
Er kam in langen Schritten in das Innere des Gebäudes. Has und der Verwalter folgten ihm. Sein Gesicht glänzte vor freudiger Aufregung. Als er den Apatschenhäuptling und dessen weißen Freund und Blutsbruder erblickte, schoß er förmlich auf sie zu, streckte ihnen bewillkommnend beide Hände entgegen und rief: »Ja, sie sind's, sie sind's; ich habe mich nicht geirrt! Winnetou und Old Shatterhand! Was für eine Freude das für mich ist, was für eine große Freude! Gebt mir eure Hände her, Mesch'schurs, daß ich sie euch drücken kann!«
Old Shatterhand hielt ihm seine Rechte hin und antwortete mit einem freundlichen Lächeln: »Freut mich sehr, Euch zu sehen, Mister Timpe. Hier ist meine Hand. Wenn Ihr sie drücken wollt, so tut es ganz nach Belieben.«
Kas ergriff sie, schüttelte sie aus Leibeskräften und rief dabei entzückt: »Mister Timpe, Mister Timpe nennt Ihr mich? Ihr kennt mich also noch? Ihr habt mich nicht, vergessen, Sir?«
»Man vergißt nicht so leicht einen Mann, mit dem man solche Dinge erlebt hat, wie wir beide damals mit Euch und Euern Gefährten.«
»Ja, ja, das war eine ungemein dicke Tinte, worin wir dazumal steckten. Wir sollten ausgelöscht werden; Ihr habt uns aber herausgeholt. Das werde ich Euch nie vergessen, niemals, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Wir haben noch vorhin erst von diesem Abenteuer gesprochen. Wird auch Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, mir erlauben, ihn zu begrüßen?«
Der Gefragte gab ihm die Hand und sagte in seinem ernsten und dabei doch so milden Ton: »Winnetou heißt seinen weißen Bruder willkommen und bittet ihn, sich mit hierher zu ihm zu setzen.«
Da stand der Engineer auf, kam herbei, verbeugte sich sehr höflich und sagte: »Verzeiht mir die Freiheit, die ich mir nehme, Gentlemen! Ihr dürft nicht hier sitzen, sondern ich lade euch ein, mit hinüber an unsern Tisch zu kommen, der nur für Beamte und hervorragende Personen reserviert ist.«
»Beamte und hervorragende Personen?« antwortete nun Old Shatterhand. »Wir sind weder Beamte, noch bilden wir uns ein, über andre emporzuragen. Wir sagen Euch Dank für die Einladung, bitten aber, hier bleiben zu dürfen.«
»Ganz wie Ihr wollt, Sir. Wir hätten nur so gern die Ehre gehabt, mit so berühmten Westmännern einen guten ›drink‹ tun und uns mit ihnen unterhalten zu dürfen.«
»Der Unterhaltung werden wir uns nicht entziehen. Ich vermute, daß Ihr Beamter dieser Bahnstrecke seid?«
»Ich bin der Engineer; hier seht Ihr meinen Aufseher und meinen Verwalter, und dort sitzt der Scout, den wir angestellt haben, für unsre Sicherheit zu sorgen.«
Er zeigte bei diesen Worten mit der Hand auf die Personen, die er nannte. Old Shatterhand warf einen sehr kurzen, ganz unauffälligen, aber dabei doch scharf forschenden Blick auf den Mischling und fragte dann: »Ein Scout für eure Sicherheit? Wie heißt der Mann?«
»Yato Inda Guter Mann.. Er hat einen indianischen Namen, weil er von einer roten Mutter stammt.«
Der weiße Jäger musterte den Mestizen mit einem längeren, schärferen Blick und wendete sich dann mit einem so leisen »Hm!«, daß nur der Apatsche es hörte, ab. Was er dachte, das war seinem Gesicht nicht anzusehen. Der Häuptling aber schien Grund zu haben, nicht ebenso zu schweigen; er wendete sich an den Scout: »Mein Bruder mag mir erlauben, ihn anzureden! Jedermann muß hier vorsichtig sein, und wenn zur Sicherheit dieses Camps ein Scout notwendig ist, so muß es Feinde geben, die das Lager bedrohen. Wer sind diese Leute?«
Der Mestize antwortete höflich, aber immerhin etwas kühl: »Es scheint, daß den Komantschen nicht zu trauen ist.«
Winnetou machte mit dem Kopf eine horchende Bewegung, als ob er jedes Wort des Sprechenden besonders abschätzen wolle. Auch nach erhaltener Antwort wartete er noch mehrere Sekunden, wie in sich hinein lauschend; dann fuhr er fort: »Hat mein Bruder einen Grund zu diesem Verdacht?«
»Einen eigentlichen, wirklichen Grund nicht; es ist nur eine Vermutung.«
»Mein Bruder heißt Yato Inda. Yato heißt ›gut‹ und ist der Navajosprache entnommen, Inda heißt ›Mann‹ und gehört der Apatschensprache an. Die Navajos sind auch Apatschen, und so vermute ich, daß die rote Mutter meines halbfarbigen Bruders eine Apatschin gewesen ist.«
Dem Mischling war diese Frage sichtlich unangenehm; er versuchte, um die Antwort herumzukommen, indem er in abweisendem Ton erwiderte: »Wie kommt es, daß der große Winnetou sich um eine unbekannte Indianer-Squaw bekümmert?«
»Weil sie deine Mutter ist,« erklang es fest und scharf aus dem Munde des Häuptlings. »Und weil, wenn ich mich hier befinde, ich wissen will, was für ein Mann für die Sicherheit dieses Ortes zu sorgen hat. Welchem Stamm gehörte deine Mutter an?«
Bei diesem Ton und bei dem großen, offenen Auge, mit dem Winnetou ihn anleuchtete, konnte der Scout nicht schweigen. Er antwortete: »Dem Stamm der Pinal-Apatschen.«
»Und von ihr hast du das Reden gelernt?«
»Natürlich, ja.«
»Ich kenne alle Sprachen und Mundarten der Apatschen. Sie sprechen viele Laute mit Zunge und Kehle zugleich aus, zu denen du nur die Zunge nimmst, genau so, wie die Komantschen es machen.«
Da fuhr der Mestize auf: »Willst du damit etwa sagen, daß ich der Sohn einer Komantschin sei?«
»Und wenn ich dies behaupte?«
»Eine Behauptung ist noch kein Beweis. Und wenn meine Mutter eine Komantschin gewesen wäre, so folgt daraus noch lange nicht, daß ich es mit den Komantschen halte.«
»Allerdings nicht; aber kennst du Tokvi Kava, den ›schwarzen Mustang‹, welcher der grimmigste Häuptling der Komantschen ist?«
»Ich habe nur von ihm gehört.«
»Er hatte eine Tochter, welche die Squaw eines Bleichgesichts wurde; sie starben beide und hinterließen einen halbblütigen Knaben, der von dem ›schwarzen Mustang‹ in größter Feindschaft gegen die Weißen erzogen wurde. Dieser Knabe wurde einst von einem Gespielen mit dem Messer in das rechte Ohr geschnitten. Wie kommt es, daß du wie ein Komantsche sprichst und einen Schlitz in demselben Ohr hast?«
Da sprang der Scout in die Höhe und rief zornig aus: »Diesen Schnitt verdanke ich grade der Feindschaft der Komantschen; ich habe ihn im Handgemenge mit ihnen bekommen. Wenn du daran zweifelst, fordere ich dich auf, mit mir zu kämpfen.«
» Pshaw!«
Nur dieses eine Wort sagte Winnetou in unbeschreiblich nachlässigem Ton; dann wendete er sich ab und griff zu dem Ingwerbier, das der Wirt soeben brachte.
Wie gewöhnlich auf so unliebsame Szenen, folgte eine tiefe Stille, ehe an den beiden Tischen das Gespräch wieder aufgenommen wurde. Nachher erkundigte sich der Engineer, ob Old Shatterhand und Winnetou die Absicht hätten, im Camp zu übernachten; als er eine bejahende Antwort erhielt, bot er ihnen seine Wohnung an und unterstützte seine Gastlichkeit mit dem Hinweis: »Den beiden vor euch gekommenen Gentlemen hat der Shopman ihr Lager bei sich angewiesen; da gibt es keine Plätze mehr. In der Nässe draußen werdet ihr doch nicht schlafen. Und hier im Schuppen, bei den schnarchenden, unreinlichen Chinamännern? Keineswegs! Wir haben uns Chinesen aus dem Westen verschreiben müssen, weil wir keine weißen Arbeiter finden konnten und weil sie billiger und auch leichter in Zucht zu halten sind als das Gesindel, auf das wir sonst angewiesen gewesen wären. Sagt, Sir, ob Ihr meine Einladung annehmen wollt!«
Old Shatterhand warf einen fragenden Blick auf Winnetou, sah, daß dieser leise bejahend den Kopf neigte, und antwortete: »Ja, wir nehmen sie an, vorausgesetzt, daß auch unsre Pferde eine gute und sichere Unterkunft hier finden können.«
»Die finden sie. Wir haben die Pferde der beiden andern Gentlemen auch schon in Verwahrung genommen. Wollt ihr meine Wohnung vielleicht einmal ansehen?«
»Ja, zeigt sie uns! Es ist immer gut, den Ort, wo man die Nacht zubringt, vorher zu kennen.«
Winnetou und Old Shatterhand nahmen ihre Waffen und folgten dem Engineer nach einem nicht sehr entfernt liegenden, niedrigen Gebäude, dessen Wände aus Stein gemauert waren, weil es nicht nur vorübergehenden Zwecken dienen, sondern später die Wohnung der Brückenwache bilden sollte. Der Beamte öffnete und brannte, als sie eingetreten waren, ein Licht an. Es gab da einen Herd, einen Tisch, einige Stühle und außer verschiedenen Geräten und Geschirr eine breite Lagerstätte, auf der es an Platz nicht fehlte. Die beiden Gäste drückten ihre Zufriedenheit aus und wollten gehen, um nun auch ihre Pferde unterzubringen. Da meinte der Engineer: »Wollt ihr nicht eure Sachen gleich hier lassen, warum die Decken und Gewehre unnötigerweise herumtragen?«
Es war kein Grund vorhanden, ihm unrecht zu geben. Die Mauern waren stark und die Fenster so klein, daß kein Mensch einsteigen konnte; die aus starkem Holz hergestellte Tür hatte ein gutes Schloß, und die genannten Gegenstände schienen also hier ganz sicher aufbewahrt zu sein; sie wurden sonach hier gelassen, und dann brachte man die Pferde nach dem Schuppen, wo schon diejenigen der beiden Timpe standen. Sie erhielten Wasser und Futter, und dann kehrte man nach dem Shop zurück.
Unterwegs erklärte er, daß sie auch in Beziehung auf das Nachtessen seine Gäste sein möchten, und fügte dann hinzu: »Ich werde also heut abend mit euch und nicht mit meinen Leuten speisen, zumal euch einer von ihnen, nämlich der Scout, nicht gefallen zu haben scheint. Sagt einmal, Mister Winnetou, habt Ihr Grund, ihm zu mißtrauen?«
»Winnetou tut und sagt niemals etwas ohne Grund,« antwortete der Häuptling.
»Aber er ist stets treu und zuverlässig gewesen!«
»Winnetou glaubt nicht an diese Treue. Mein Bruder wird wohl erfahren, wie lange sie währt. Das Halbblut nennt sich Yato Inda, den ›guten Mann‹, sein wirklicher Name aber wird wohl lauten Ik Senanda, was in der Sprache der Komantschen soviel wie ›böse Schlange‹ heißt.«
»Gibt es einen Komantschen dieses Namens?«
»Der Mischling, von dem Winnetou vorhin sprach, heißt so, nämlich der Enkel des ›schwarzen Mustangs‹.«
»Mister Winnetou. Euern Scharfsinn und Euer Urteil in allen Ehren, aber diesmal müßt Ihr Euch irren! Der Scout hat mir so viele Beweise von Treue gegeben, daß ich ihm vertrauen muß.«
»Mein weißer Bruder kann tun, was ihm beliebt; aber wenn Old Shatterhand und Winnetou nachher so sprechen, daß der Scout es hört, so wird alles, was sie sagen, nur zum Schein sein. Howgh!«
Als sie wieder im Shop angekommen waren, bestellte der Engineer bei dem Wirt ein gutes Abendessen für fünf Personen, denn er betrachtete die beiden Timpe nun auch als seine Gäste und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Hier fragte Old Shatterhand den langen, blonden Kas, was ihn jetzt in diese Gegend geführt habe und wohin er von hier aus wolle. Der Genannte erzählte in kurzen Worten seine Erbschaftsgeschichte und auf welch sonderbare Weise er heute mit einem Vetter und Miterben zusammengetroffen sei.
»Nun müssen wir nach Santa Fé,« fuhr er fort, »können aber leider nicht den nächsten und geradesten Weg einschlagen.«
»Warum nicht?«
»Der Komantschen wegen. Wir wenden uns von hier aus östlich und biegen dann nach Süden um.«
»Hm! Vielleicht können wir zusammen reisen. Wir wollen nämlich ebenfalls nach Santa Fé, wenn auch nicht einer Erbschaft wegen.«
Da schlug Kas die Hände zusammen, daß es nur so knallte und rief vor Entzücken überlaut: »Das ist ein Glück! Has, Has, hörst du es? Wir dürfen mit Old Shatterhand und Winnetou reiten! Nun schere ich mich den Kuckuck um das ganze Komantschengesindel. Wir brauchen keinen Umweg zu machen, sondern reiten mitten hindurch.«
»Schreit doch nicht so!« lächelte Old Shatterhand. »Zu solchem Jubel habt Ihr keinen Grund. Es kann auch uns nicht einfallen, mitten durch das Gebiet der Komantschen zu reiten, sondern wir wären, grad so wie Ihr, entschlossen, nach Osten auszubiegen.«
»Ganz wie Ihr wollt. Wann meint Ihr, daß wir von hier aufbrechen, Sir?«
»Morgen, sobald wir ausgeschlafen haben. Da erreichen wir am Abend den Alder-Spring Erlenquell., wo wir bis früh lagern werden.«
Er legte auf diesen Namen einen besonderen Ton, denn er beobachtete während dieses Gesprächs den halbblütigen Scout heimlich und sah gar wohl, mit welcher Aufmerksamkeit dieser herüberhorchte, obwohl er sich den Anschein zu geben suchte, als ob er nicht den geringsten Anteil nehme. Er war übrigens nicht der einzige, der ein so großes und heimliches Interesse für die beiden berühmten Freunde hegte.
Nämlich ganz nahe an der Bretterwand, die den großen, nur von Chinesen besetzten Raum von dem kleinen trennte, saßen schon vor Eintritt der beiden Timpe zwei »Söhne des Himmels« So bezeichnen die Chinesen sich selbst. rauchend und trinkend bei einander. Sie mochten eine Art von Vorarbeitern darstellen, oder im Besitz einer sonstigen kleinen Würde sein, weil keiner ihrer Landsleute sich zu ihnen setzte. Sie konnten alles, was nebenan gesprochen wurde, hören, und verstanden es auch, denn sie befanden sich schon seit mehreren Jahren in den Vereinigten Staaten und waren in San Francisco mit der englischen Sprache vertraut geworden.
Auf die Ankunft von Has und Kas hatten sie nicht mehr geachtet wie alle andern auch; als aber drin im kleinen Raum von den Gewehren Old Shatterhands und Winnetous gesprochen wurde und von ihrem Wert, da horchten sie schärfer hin. Dann kamen so ganz unerwartet diese beiden Männer, und die Chinesen blickten erst mit Neugier und dann mit Verlangen durch die Bretterlücken nach ihnen, und es schien, als ob sie ihre Augen gar nicht von den kostbaren Gewehren der beiden wenden könnten. Als später der Engineer mit seinen Gästen von dem gemachten Gang zurückkehrte und die letzteren ihre Gewehre nicht mehr bei sich hatten, schien es mit der bisherigen Ruhe der Chinesen aus zu sein. Ihre dünnen Augenbrauen gingen auf und nieder; ihre Lippen zuckten, ihre Finger bewegten sich krampfhaft, sie rutschten auf ihren Sitzen hin und her; sie hatten beide das gleiche Gefühl und den gleichen Gedanken, doch wollte keiner zuerst sprechen. Endlich konnte sich der eine nicht länger beherrschen; er fragte leise: »Hast du alles gehört?«
»Ja,« antwortete der andre.
»Und gesehen?«
»Und gesehen!«
»Auch die Gewehre?«
»Auch!«
»Wie kostbar sie sind!«
»Ja.«
»Wenn wir sie hätten! Wie müssen wir arbeiten, wie müssen wir uns plagen und uns schinden, damit unsre Gebeine in der Heimat bei den Ahnen begraben werden können!«
Es trat eine Pause ein; sie überlegten. Nach, einer Weile tat der eine einen langen Zug aus seiner Pfeife und fragte, indem er listig mit den schiefen Augen blinzelte: »Ahnst du, wo die Gewehre liegen?«
»Ich weiß es,« lautete die Antwort.
»Nun wo?«
»Im Hause des Engineers. Wenn wir sie hätten, könnten wir sie vergraben, und niemand wüßte, wer sie geholt hat.«
»Und später könnten wir sie in Frisco San Francisco. verkaufen. Wir bekämen viel, sehr viel Geld dafür, dann wären wir reiche Herren und könnten nach dem Reich der Mitte zurückkehren und alle Tage Schwalbennester essen.«
»Ja, das könnten wir; wir könnten es wirklich, wenn wir nur wollten!« ^
Nach einer abermaligen Pause, während der sie in den gegenseitigen Mienen und Blicken zu lesen suchten, wurde das Gespräch fortgesetzt: »Das Haus des Engineers ist steinern, und niemand kann durch die Fenster!«
»Und die Tür ist stark und hat ein sehr festes, eisernes Schloß!«
»Aber das Dach! Weißt du nicht, daß es aus Shingles Schindeln. gemacht ist?«
»Ich weiß es. Wenn man eine Leiter hat, kann man eine Oeffnung machen und einsteigen.«
»Leitern gibt es genug!«
»Ja; aber wo würde man die Gewehre vergraben? In der Erde? Da verderben sie.«
»Man müßte sie gut einwickeln. Im Lagerschuppen liegen Bastmatten mehr als genug umher.«
Sie hatten bisher im Flüsterton miteinander gesprochen: jetzt rückten sie noch näher zusammen, und die Art und Weise, wie sie weitersprachen, konnte nur noch als ein fast unhörbares Zuraunen bezeichnet werden. Darauf verließen sie den Schuppen, der eine mehrere Minuten später als der andre.
Eben als dieser letztere verschwunden war, trat ein neuer Ankömmling ein. Es war ein Indianer, dessen Anzug aus einem blauen Kalikohemd, ledernen Leggins und ebensolchen Mokassins bestand. Bewaffnet war er nur mit einem Messer, das im Gürtel steckte. Das Haar hing ihm lang und voll auf den Rücken hinab, und am Hals trug er an einem Riemen einen großen Medizinbeutel.
Er blieb unter dem Eingang stehen, um sein Auge, aus der Finsternis kommend, an das Licht zu gewöhnen, warf hernach einen Blick durch die große Abteilung und ging dann langsamen Schrittes in die kleinere.
Ein Roter war hier natürlich keine seltene Erscheinung, und so wurde dieser Indsman von den Chinesen kaum beachtet. Auch in dem kleineren Raum, wo die Weißen saßen, hatte sein Erscheinen keine andre Wirkung, als daß man ihn mit einem kurzen Blick überflog und dann nicht mehr beachtete. Er ging in der demütigen Haltung eines Menschen, der sich nur geduldet weiß, zwischen den Tischen hindurch und kauerte sich in der Nähe des Herdes nieder.
Als der Scout diesen Indianer kommen sah, ging ein schnelles Zucken über sein Gesicht, so blitzschnell, daß es von keinem der Anwesenden bemerkt wurde. Die beiden gaben sich den Anschein, als ob sie füreinander gar nicht vorhanden wären; aber hie und da flog doch unter den tief gesenkten Wimpern hervor ein Blick herüber oder hinüber, und diese Blicke schienen gegenseitig verstanden zu werden. Dann stand der Scout von seinem Tisch auf und schritt dem Ausgang zu, langsam und nachlässig schlendernd, wie jemand, der bei dem, was er tut, ganz ohne Absicht und Gedanken ist.
Aber es gab zwei, denen gerade diese große und so zur Schau getragene Absichtslosigkeit auffällig vorkam: Winnetou und Old Shatterhand. Sofort richteten sie ihre Augen scheinbar von der Tür weg, aber eben nur scheinbar, denn wer das wohlgeübte Auge eines Westmannes kennt, der weiß, daß es imstande ist, auch von der Seite her so viel Strahlen aufzunehmen, um genau zu sehen, was da geschieht, wohin es nicht zu blicken scheint.
Unter der Tür angekommen, drehte sich der Scout für einige Sekunden um; er sah kein einziges Auge auf sich gerichtet und gab mit einer schnellen, kurzen Bewegung der Hand dem Roten ein Zeichen, dessen Bedeutung nur dem verständlich sein konnte, mit dem es verabredet worden war. Dann drehte er sich wieder um und trat in die dunkle Nacht hinaus.
Dieses Zeichen war ebensowohl von Winnetou wie auch von Old Shatterhand bemerkt worden: sie tauschten nur einen Blick miteinander aus und waren dann, ohne ein Wort gesprochen zu haben, darüber einig, was zu geschehen hatte. Was sie vermuteten, und was sie wollten, war folgendes: Der fremde Indianer stand im heimlichen Einvernehmen mit dem Scout, denn er hatte ein Zeichen von ihm bekommen. Heimlich war dieses Einvernehmen, weil sie darauf bedacht gewesen waren, es nicht sehen und wissen zu lassen. Aus dieser Heimlichkeit war auf eine böse Absicht zu schließen, der man unbedingt auf die Spur kommen mußte. Es mußte nun jemand dem Scout folgen, um sein Tun zu belauschen. Da nun mit Sicherheit anzunehmen war, daß es sich um Indianer handle, wollte Winnetou, der ein Indsman war, dieses Beschleichen übernehmen. Leider durfte er da nicht zur Tür hinaus, denn diese war hell beleuchtet; und der Scout stellte sich gewiß so auf, daß er jede Person, die den Schuppen verließ, sehen konnte. Glücklicherweise hatte der Apatsche vorhin bemerkt, daß es hinter den Fässern, Ballen und Kisten eine kleine Tür gab, wohl zu dem Zweck, diese Gegenstände herein- und hinausschaffen zu können, ohne daß man erst nach dem Haupteingang mußte. Durch diese Hintertür wollte der Häuptling hinaus. Da dies aber möglichst unbemerkt, zu geschehen hatte, so mußte er warten, bis die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf Old Shatterhand gerichtet worden war, was sicherlich sofort geschah, sobald dieser mit dem Indianer zu sprechen begann.
Das war das zweite, was man tun mußte, nämlich den Indianer ins Verhör nehmen, um womöglich etwas aus ihm herauszulocken, was auf seine Absichten schließen ließ.
Old Shatterhand zögerte auch gar nicht, seine Forschung zu beginnen, und als alle auf ihn hörten und ihre Augen auf ihn richteten, glitt Winnetou von dem Tische fort, um hinter den Fässern zu verschwinden und zu der erwähnten Tür zu gelangen.
Der Indsman war ein kräftig gebauter, in den mittleren Jahren stehender Mann. Bald zeigte es sich, daß er auch in Beziehung auf seinen Verstand kein Schwächling war. Dies hatte Old Shatterhand freilich vorausgesehen, denn solch heimliche und gefährliche Aufträge pflegt nur ein kluger Krieger zu bekommen.
»Mein roter Bruder hat sich fern von uns gesetzt. Will er nichts essen oder trinken?« so lautete die erste Frage Old Shatterhands.
Der Rote antwortete nur mit einem Kopfschütteln.
»Warum nicht? Hast du weder Durst noch Hunger?«
»Juwaruwa hat Hunger und auch Durst, aber er hat kein Geld,« ließ sich jetzt der Rote hören.
»Juwaruwa, so ist dein Name?«
»So werde ich genannt.«
»Das heißt Elk in der Sprache der Upsarokas Crows oder Krähenindianer.. Gehörst du zu diesem Stamm?«
»Ich bin ein Krieger desselben.«
»Wo weidet er jetzt seine Pferde?«
»In Wyoming.«
»Und wie heißt sein Kriegshäuptling?«
»Er wird ›grauer Bär‹ genannt.«
Old Shatterhand war zufälligerweise vor kurzer Zeit bei den Krähenindianern, die zum Volk der Dakotas gehören, gewesen; er war also imstande, zu beurteilen, ob der Indianer ihn belog. Die Antworten enthielten die Wahrheit.
»Wenn mein Bruder nicht bezahlen kann, so mag er sich zu uns setzen und mit uns essen,« fuhr er fort.
Der Indianer warf einen forschenden Blick auf ihn und erklärte: »Juwaruwa ist ein tapferer Krieger; er ißt nur mit Männern, die er kennt und die ebenso tapfer sind. Hast du einen Namen, und wie lautet er?«
»Man nennt mich Old Shatterhand.«
»Old – – – Shatt – – –!«
Der Name blieb ihm im Munde stecken. Er hatte nur für einen Augenblick seine Ruhe und Selbstbeherrschung verloren, aber doch dadurch verraten, daß er erschrocken war. Er nahm sich schnell wieder zusammen und fuhr in scheinbarer Unbefangenheit fort: »Old Shatterhand? Uff! So bist du ein sehr berühmtes Bleichgesicht.«
»Mit dem du also essen kannst. Komm her zu uns, und iß und trink!«
Anstatt dieser Aufforderung Folge zu leisten, ließ der Indsman seinen Blick suchend umhergehen und fragte: »Ich sehe den roten Mann nicht, der an deiner Seite saß. Wo ist er hin?«
»Er wird draußen im andern Raum sein.«
»Ich gewahrte nicht, daß er hinausging. Wenn du Old Shatterhand bist, so ist er wohl Winnetou, der Häuptling der Apatschen?«
»Er ist es. Wo hast du dein Pferd?«
»Ich reite nicht.«
»Wie? Ein Upsaroka, der sich so viele Tagesreisen südwärts von seinem Stamm befindet, hat kein Pferd? Hast du es unterwegs verloren?«
»Nein. Ich habe keins mitgenommen.«
»Auch keine Waffen als nur das Messer?«
»Keine.«
»Das muß ja sehr wichtige Gründe haben!«
»Ich habe einen Schwur getan, ohne Pferd und nur mit dem Messer zu gehen.«
»Warum?«
»Weil die Komantschen auch ohne Pferde und andre Waffen waren.«
»Komantschen? Wo waren sie?«
»Oben, nahe bei unsern damaligen Weidegründen in Dakota.«
»Komantschen so weit im Norden? Sonderbar.«
Old Shatterhand ließ seinen Zweifel auch im Ton erklingen. Der Rote warf ihm einen fast höhnischen Blick zu und antwortete: »Weiß Old Shatterhand nicht, daß jeder indianische Krieger einmal nach Dakota muß, um den heiligen Ton zur Friedenspfeife zu holen?«
»Nicht jeder braucht dies zu tun, und nicht jeder hat es getan.«
»Die Komantschen aber taten es. Sie begegneten mir und meinem Bruder; ihn erstachen sie, und mir gelang es, zu entkommen. Dann tat ich meinen Schwur und bin ohne Pferd und nur mit dem Messer hinter ihnen her; ich werde nicht ruhen, bis ich sie getötet habe!«
»Da du mich an die heiligen Bräuche mahnst, so wirst du wissen, daß kein Indsman auf dem Weg nach diesen Steinbrüchen einen andern töten darf?«
»Die Komantschen begingen dennoch den Mord!«
»Hm! Aber warum diesen Schwur? Ohne Pferd und nur mit dem Messer! Wie willst du jagen? Wovon hast du unterwegs gelebt?«
»Habe ich dir das zu sagen?« fragte der Indianer stolz, denn er glaubte, Old Shatterhand vollständig getäuscht zu haben.
»Nein,« antwortete dieser ruhig. »Ich kann nur nicht begreifen, daß du während so langer Zeit und auf einem so langen Weg auf kein Pferd gekommen bist.«
»Ich tat den Schwur und habe ihn gehalten.«
»Nein, sondern du hast ihn übertreten!«
»Beweise es!«
»Du hast heut im Sattel gesessen!«
»Uff, Uff!«
»Ja, während des Regens.«
»Uff, Uff!« wiederholte der angebliche Upsaroka; es klang halb wie Schreck und halb wie Trotz. Er war aufgesprungen und stand jetzt nahe vor Old Shatterhand. Der weiße Jäger bückte sich, strich ihm mit beiden Händen an den Beinen nieder und sagte dann: »Deine Leggins sind an den Außenseiten naß und nach einwärts trocken. Die Innenseiten, die am Leibe des Pferdes anlagen, hat der Regen nicht treffen können.«
Auf diesen scharfsinnigen Beweis war der Indianer nicht gefaßt gewesen, aber seine Schlauheit gab ihm schnell eine Ausrede ein: »Jedes Kind weiß, daß die Innenseiten der Hosen eher trocken werden als die äußern. Old Shatterhand hat noch viel zu lernen!«
Diese Frechheit war groß; der Jäger blieb dennoch ruhig. Er hatte sich bis jetzt der englischen Sprache bedient, deren der Rote leidlich mächtig war; jetzt aber legte er ihm eine Frage in der Mundart des Upsarokas vor und erhielt keine Antwort. Er sprach noch einige andre Fragen aus, doch mit demselben Mißerfolg; dann legte er dem Indsman schwer die Hand auf die Schulter und sagte englisch: »Warum antwortest du mir nicht? Ist dir die Sprache deines eigenen Stammes unbekannt?«
»Ich habe den Schwur getan, sie nicht eher zu sprechen, als bis der Tod meines Bruders gerächt worden ist.«
»So, deine Schwüre scheinen alle außerordentlich sonderbar ausgefallen zu sein! Noch viel sonderbarer aber ist die Dummheit, in der du dir einbildest, mich betrügen zu können. Grad deine Sprache ist's, die dich verrät. Ich weiß ganz genau, wie ein Upsaroka und wie jeder andre Stamm die Sprache der Bleichgesichter redet. Du bist nicht ein Krähenindianer, sondern ein Komantsche Hast du den Mut, dies einzugestehen?«
»Die Komantschen sind meine Feinde; das habe ich dir bereits gesagt!«
»Grad, daß du sie deine Feinde nennst, ist für mich der Beweis, daß du einer bist!«
»So machst du mich zum Lügner? Das ist die Sitte der Weißen, ihre roten Gäste zu beleidigen. Ich gehe!« Er wollte nach der Tür.
»Du bleibst!« gebot Old Shatterhand, indem er ihn beim Arm ergriff.
Da zog der Indianer sein Messer und rief: »Wer hat das Recht, mich zu halten? Du? Was habe ich dir getan? Nichts! Ich werde gehen, und jeder, der mich daran hindern will, bekommt dieses Eisen in das Herz!«
Old Shatterhand hielt ihn trotzdem mit der Linken fest, entriß ihm mit einem schnellen Griff seiner rechten Hand das Messer und wiederholte: »Du bleibst! Wir warten, bis Winnetou zurückkehrt; dann wird es sich entscheiden, ob du gehen darfst oder nicht. Kauere dich wieder hin, wo du vorhin gehockt hast. Ein Versuch zur Flucht bringt dir eine Kugel.«
Er schleuderte ihn nach der betreffenden Stelle hin; der Indsman stürzte dort nieder; er wollte sich aufraffen, besann sich aber anders und blieb kauern. Old Shatterhand setzte sich wieder zum Essen nieder und legte den gespannten Revolver neben sich, um seiner Drohung Nachdruck zu geben.
Das unterbrochene Abendmahl wurde fortgesetzt, doch kam das Gespräch dabei nicht mehr in Fluß. Nach einiger Zeit kehrte der Scout zurück und setzte sich an seinen Platz. Da er den Indianer in derselben Stellung fand, die dieser vorher eingenommen hätte, so ahnte er nicht, was inzwischen geschehen war. Der Verwalter und der Aufseher, die bei ihm saßen, erzählten es ihm; er hörte es und blieb äußerlich ruhig, obgleich er innerlich große Sorge hatte, von Winnetou belauscht worden zu sein.
Als der Apatsche vorhin durch die Hintertür geglitten war, hatte er sich in einem weiten Bogen nach vorn geschlichen, in der Meinung, dort den Scout bei irgend einem Streich zu ertappen. Die breite, offene Tür des Shops war hell erleuchtet, und indem man sie, immer weiter gehend, unausgesetzt im Auge behielt, mußte man jeden Menschen sehen, der sich zwischen ihr und diesem Auge befand.
Winnetou schlug seinen Bogen weiter und immer, weiter, vergeblich! Er blieb oft halten und lauschte in die Nacht hinaus, ebenso vergeblich. Er kehrte zurück und begann von neuem, wieder ohne Erfolg. Darüber verging die Zeit, bis er eine Gestalt von seitswärts her kommen und sich dem Shop nähern sah; als sie die Tür erreichte und hineinging, erkannte er, wer es war.
»Uff! Das war der Scout,« sagte er zu sich selbst. »Er scheint doch nichts Heimliches vorgehabt zu haben; darum habe ich hier umsonst nach ihm gesucht. Winnetou hat sich einmal geirrt. Old Shatterhand wird sich sehr darüber wundern.«
Er gab sich nun keine Mühe, unbemerkt zurückzukehren, sondern benutzte die vordere, helle Tür. Als der Scout ihn kommen sah, fühlte er seinen Puls schneller gehen. Jetzt mußte es sich zeigen, ob der Apatsche etwas erlauscht hatte oder nicht. Dieser setzte sich neben Old Shatterhand, der ihm das Ergebnis des Verhörs mitteilte und am Schluß leise fragte: »Hat mein roter Bruder Glück gehabt?«
»Winnetou konnte weder Glück noch Unglück haben, weil er sich im Irrtum befand. Es hat gar nichts vorgelegen.«
»Aber das Zeichen, das der Scout dem Roten gab?«
»Das war vielleicht kein Zeichen, sondern eine unwillkürliche Armbewegung.«
»So hätte auch ich mich geirrt, und das möchte ich kaum annehmen. Und dieser Indsman da ist kein Upsaroka, sondern ein Komantsche.«
»Hat er dir, oder mir, oder einem andern etwas getan?«
»Bis jetzt freilich noch nicht.«
»So darf man ihn auch noch nicht als Feind behandeln. Mein Bruder Shatterhand mag ihn freigeben.«
»Nun wohl, weil du es willst; aber ich tue es nur ungern.«
Er sagte dem Roten, daß er sich entfernen könne. Dieser stand langsam auf und forderte sein Messer zurück. Als er es erhalten hatte, steckte er es mit den Worten in den Gürtel: »Dieses Messer hat heut mehr Arbeit bekommen, denn ich habe bei mir einen neuen Schwur getan. Old Shatterhand wird bald erfahren, ob dieser auch so sonderbar ist, wie vorher die andern!«
Nach dieser Drohung entfernte er sich raschen Schrittes. Das Gesicht des Scout hatte während der letzten Minute einen höchst beunruhigten, ja ängstlich gespannten Ausdruck angenommen: jetzt aber veränderte es sich in der Weise, daß in seinen Zügen ein offenbarer, nicht zu beherrschender Hohn zu lesen war. Winnetou flüsterte Old Shatterhand zu: »Mein Bruder sehe den Mestizen an!«
»Ich sehe ihn.«
»Er verlacht uns!«
»Leider wird er Veranlassung dazu haben.«
»Ja. Seine Handbewegung vorhin war also doch ein Zeichen für den Indianer, den du für einen Komantschen hieltest. Wir haben uns nicht geirrt.«
»Du hast ihn draußen nicht gefunden. Wer weiß, was für eine Teufelei da ausgeheckt worden ist. Desto schärfer müssen wir ihn nun von jetzt an im Auge behalten. Ich bin überzeugt, daß er ein gefährlicher Mensch ist.«
»Old Shatterhand hatte recht, wenn er den Mestizen einen gefährlichen Menschen nannte, und es war draußen wirklich eine Teufelei verabredet worden.
Als der Scout den Schuppen verlassen hatte, war er zunächst vorsichtig aus dem Lichtkreis gewichen, den die brennenden Feuer hinaus ins Freie warfen. Dann gerade senkrecht von dem Shop aus weitergehend, hatte er ungefähr dreihundert Schritte zurückgelegt, bis er eine leise Stimme hörte, die seinen Namen nannte; aber es war nicht der Name, den er hier im Camp trug, sondern ein ganz andrer, denn die Stimme erklang: »Komm, hierher, Ik Senanda Böse Schlange.! Hier stehen wir.«
Er war also wirklich der, für den ihn Winnetou gehalten hatte, der halbblütige Enkel des »schwarzen Mustang«, des »grimmigsten« Häuptlings der Komantschen.
Als er dem Ruf folgte, sah er bald drei Indianer vor sich stehen, von denen der eine sich durch eine ungemein hohe und kräftige Gestalt auszeichnete. Das war der Häuptling selbst, der ihn mit den Worten begrüßte: »Willkommen, du Sohn meiner Tochter! Ich sandte Kita Homascha Zwei Federn., den listigsten meiner Krieger, in das Haus, damit du wissen möchtest, daß ich gekommen bin und auf dich warte. Hast du mit ihm gesprochen?«
»Kein Wort. Seine bloße Ankunft war für mich genug.«
»Du hast klug gehandelt, denn man hätte vielleicht Argwohn schöpfen können. Wir haben hier einen guten Platz und können nicht überrascht werden, weil wir bei der Helle der offenen Tür einen jeden sehen, der aus dem Hause tritt. Auch haben wir es ja nur mit Leuten zu tun, die nichts vom Leben des wilden Westens, verstehen.«
»Du irrst. Es sind Männer hier, die es sehr genau kennen.«
»Uff! Wer sollte das sein? Sage es!«
»Zuerst kamen zwei sehr lange und sehr dürre Reiter, die bis morgen hier bleiben. Der eine nannte sich Timpe, und der andre scheint ebenso zu heißen.«
»Timpe? Pshaw! Kein tapferer Krieger hat jemals diesen oder einen ähnlichen Namen gehört.«
»Dann aber kamen noch zwei andre: Winnetou und Old Shatterhand!«
»Uff, uff, uff! Die hat der böse Manitou hierher geführt.«
»Nicht der böse, sondern der gute. Erst erschrak ich freilich auch; dann aber, als ich sie sprechen hörte, kam Freude über mich.«
»Du wirst mir sagen, was du gehört hast, aber nicht hier. Wir müssen fort.«
»Fort? Warum?«
»Weil ich weiß, wie solche Männer denken und handeln! Haben sie mit dir gesprochen?«
»Winnetou fragte mich aus. Er glaubte nicht, daß ich Yato Inda heiße, und hielt mich für den Sohn deiner Tochter.«
»Der Apatsche hat also Verdacht geschöpft und wird dir jetzt folgen, um dich zu beobachten. Wir müssen uns sofort eine andre Stelle suchen.«
»Wir sehen ihn ja, wenn er aus der hellen Tür hervortritt.«
»Du kennst ihn nicht. Er berechnet alles und weiß, daß ein Feind, der diesen Camp beschleicht, sich grad dieser Tür gegenüber aufstellen wird, weil er da alles sehen kann. Winnetou wird also hierherkommen, und zwar nicht durch die erleuchtete Tür. Gibt es noch einen zweiten Ausgang?«
»Eine kleine Tür, die hinter dem Vorratsraum liegt.«
»Er wird diese benutzen und sich dann im Dunkeln hierherschleichen. Wir müssen nach der andern Seite hinüber. Komm!«
Sie huschten in einem weiten Bogen rechts um den Shop, während Winnetou den seinigen links herum schlug und sie also nicht mehr vorfand. Dort blieben sie unter einem Baum stehen, und der Scout erzählte, was er gehört hatte. Der Häuptling hörte ihm mit größter Spannung zu und sagte dann, vor Freude beinahe laut werdend: »Nach dem Alder-Spring wollen sie? Morgen abend werden sie dort sein? Wir ergreifen sie; wir ergreifen sie dort; sie können uns gar nicht entgehen! Welch einen Jubel wird es bei uns geben, wenn wir diese kostbare Beute geschleppt bringen, und sie martern, daß sie heulen, wie geschundene Koyoten! Diese beiden Skalpe sind viel mehr wert, als die vielen Zöpfe, auf die es eigentlich abgesehen ist!«
Er erging sich in noch weiteren Ausdrücken der Freude, bis sein Enkel ihn unterbrach: »Ja, wir werden sie ganz gewiß fangen und zu Tode martern; aber willst du deshalb auf die Chinesen verzichten, die ich euch in die Hände liefern sollte?«
»Nein, du bist ja deshalb in den Dienst der Männer vom Feuerroß getreten, und wir sind heut hierhergekommen, um dich zu fragen, ob es nicht bald geschehen kann.«
»Ich bin an jedem Tag bereit, hoffe aber, daß ihr das mir gegebene Wort halten werdet!«
»Wir halten es. Oder meinst du, daß ich den Sohn meiner Tochter betrügen werde? Alles Geld und alles Gold und Silber ist dein; alles andre, die Kleider, die Werkzeuge, die Vorräte, und besonders die Skalpe der Männer mit den langen Zöpfen, gehört uns. Wir sind es gewöhnt, daß die Bleichgesichter uns alles rauben; wir müssen vor ihnen weichen, denn sie sind mächtiger als wir; nun aber kommen auch diese Gelbhäute und bauen Brücken und Eisenwege auf dem Boden, der uns gehört; sie werden alle ihr Leben dafür lassen müssen, und die Krieger der Komantschen werden den Ruhm haben, die ersten roten Männer zu sein, welche die neuen Skalpe der langen Zöpfe besitzen. Wir verzichten nicht darauf, und du wirst uns jetzt alle Auskunft erteilen, die zu einem Ueberfall nötig ist.«
Nun folgten ausführliche Auseinandersetzungen über die Oertlichkeit und die einzelnen Teile des Camp, über die Art und Weise, wie der Ueberfall vorzunehmen sei, und über die Beute, die zu erwarten war. Dann gab der »schwarze Mustang« seinen beiden Begleitern das Zeichen, wieder zu ihm zu stoßen, denn sie hatten sich nach den Seiten hin entfernt, um als Wächter dafür zu sorgen, daß er nicht überrascht und entdeckt werde.
Das Ergebnis dieser geheimen Zusammenkunft war, daß zunächst morgen abend Old Shatterhand und Winnetou mit Kas und Has am Alder-Spring gefangen genommen werden sollten; die Zeit des Angriffs der Komantschen auf Firwood-Camp werde man dann dem Scout durch einen Boten melden. Hierauf verabschiedete er sich von den drei Verbündeten und kehrte nach dem Shop zurück.
Der »schwarze Mustang« suchte mit den beiden Komantschen eine nahe Stelle aus, wo der Verabredung gemäß die Rückkehr des nach dem Shop gesandten Boten zu erwarten war. Er stellte sich bald darauf ein und berichtete voller Ingrimm, wie von seiten Old Shatterhands mit ihm verfahren worden war. Als er hörte, daß dieser mit Winnetou überfallen werden solle, zischte er vor Freude zwischen den Zähnen hervor: »Er soll es bereuen, daß er sich an mir vergriffen hat, denn ich werde es sein, der ihm die fürchterlichsten Qualen bereitet!«
Eben schickten sich die Roten an, die Stelle zu verlassen und zu den Pferden zu gehen, die sie versteckt hatten, da hörten sie Schritte, welche näher kamen. Augenblicklich warfen sie sich auf den Boden nieder, obgleich dieser naß und schlammig war. Aber sie lagen den beiden Männern, die vorüber wollten, grad im Wege; der eine stürzte über den Häuptling weg und riß den andern mit sich nieder. Sie wurden im Nu ergriffen und festgehalten. –
»Schreit nicht, sonst kostet es euer Leben,!« befahl der Häuptling. »Wer seid ihr?«
»Wir sind Arbeiter,« antwortete der eine angstvoll.
»Steht auf; aber tut keinen einzigen Schritt von hier fort, wenn euch euer Leben lieb ist! Warum schleicht ihr so heimlich hier herum? Wenn ihr Arbeiter seid, die zu diesem Camp gehören, braucht ihr das doch nicht zu tun!«
»Wir sind nicht geschlichen!«
»Doch! So leise und gebückt geht kein Mensch, der sich sehen lassen will. Was habt ihr da in den Händen?«
»Gewehre.«
»Gewehre? Wozu brauchen Arbeiter Gewehre? Zeigt her; ich will sie sehen!«
Er entriß sie ihnen, betastete sie und hob dann jedes einzelne empor, um es gegen den Himmel gerichtet, besser betrachten zu können.
»Uff, uff, uff!« ließ er sich dann zwar leise, aber im Tone freudigen Erstaunens hören. »Diese drei Gewehre sind hier im Westen wohlbekannt. Die Flinte mit den vielen Nägeln muß die Silberbüchse Winnetous, unsres Feindes, sein. Und wenn das richtig ist, so gehören die beiden andern dem Bleichgesicht Old Shatterhand; es ist der Henrystutzen und der Bärentöter. Habe ich richtig vermutet?«
Die Chinesen schwiegen auf diese an sie gerichtete Frage. Sie sahen, daß sie Indianer vor sich hatten, und fürchteten sich. Sie zitterten förmlich und waren sogar zu feig, einen Fluchtversuch zu wagen.
»Redet!« fuhr er, sie an. »Gehören diese Gewehre Old Shatterhand und Winnetou?«
»Ja,« hauchte derjenige von ihnen, der bis jetzt gesprochen hatte.
»So habt ihr sie gestohlen?«
Der Gefragte schwieg abermals.
»Ich sehe, daß ihr Wagare-Saritsches Gelbe Hunde = Chinesen. seid, denen solche Männer ihre Gewehre niemals anvertrauen würden. Wenn du es nicht gestehst, stoße ich dir das Messer augenblicklich in den Leib! Sprich!«
Da beeilte sich der Chinese zuzugeben: »Wir haben sie heimlich genommen.«
»Uff! Also doch! Winnetou und Old Shatterhand müssen sich sehr sicher fühlen, daß sie sich hier von ihren Gewehren getrennt haben. Ihr seid Diebe. Wißt ihr, was ich mit euch tun werde! Ihr habt den Tod verdient!«
Da warf sich der Chinese auf die Knie nieder, hob die Hände und flehte: »Töte uns nicht!«
»Wir sollten euch freilich das Leben nehmen; aber wir werden euch laufen lassen, wenn ihr tut, was ich euch befehle.«
»Sage es; o, sage es! Wir werden dir gehorchen!«
»Gut! Warum habt ihr die Gewehre gestohlen? Ihr könnt sie doch nicht brauchen, denn ihr seid keine Jäger.«
»Wir wollten sie verkaufen, denn wir haben gehört, daß sie sehr, sehr viel Geld wert seien.«
»Wir kaufen sie euch ab.«
»Wirklich? Wirklich? Ist das wahr?«
»Ich bin der Häuptling der Komantschen. Mein Name lautet Tokvi Kava, was in der Sprache der Bleichgesichter ›schwarzer Mustang‹ heißt. Habt ihr von mir gehört?«
Jawohl, sie hatten von ihm gehört, und zwar so viel Schlimmes, daß der Chinese tief erschrocken antwortete: »Der ›schwarze Mustang‹?! Ja, wir kennen dich!«
»So wirst du wissen, was für ein großer und berühmter Häuptling ich bin, und daß alles, was ich sage, stets die Wahrheit ist. Ich kaufe dir die Gewehre ab.«
»Wieviel gibst du uns dafür?«
»Mehr, als jeder andre euch geben würde.«
»Was?«
»Euer Leben. Ein solcher Diebstahl wird mit dem Tod bestraft; ich schenke euch aber für die Flinten das Leben.«
»Das Leben? Nur das Leben?« fragte der Zopfträger zitternd und enttäuscht.
»Ist das nicht genug?« zischte ihn der Rote an. »Können solche Burschen, wie ihr seid, mehr bekommen als das Leben? Was wollt ihr noch?«
»Geld! Also Metall! Wenn ihr Metall wollt, könnt ihr auch dies haben, nämlich das Eisen unsrer Messer; sie sind so scharf und spitz, daß ihr genug davon bekommen werdet. Wollt ihr es?«
»Nein, nein! Verschone uns!« stöhnte der Chinese. »Wir wollen leben; behalte die Gewehre!«
»Das ist dein Glück, du gelbe Kröte! Und nun höre, was ich dir noch befehle! Old Shatterhand und Winnetou werden sehr bald merken, daß ihre Flinten fort sind; es wird sich ein großer Lärm erheben; sie werden suchen und fragen. Was werdet ihr da tun?«
»Wir werden schweigen.«
»Das müßt ihr. Kein Wort dürft ihr sagen, kein einziges Wort, sonst nehmen sie euch das Leben, weil ihr die Diebe seid. Aber auch von uns dürft ihr nicht sprechen, denn wenn sie erfahren, daß ihr uns getroffen und mit uns gesprochen habt, so erraten sie alles, Und ihr seid doch verloren. Werdet ihr diesem meinem Befehl gehorchen?«
»Wir werden schweigen, als ob wir tot wären!«
»Das fordere ich von euch, denn wenn ihr verrietet, daß wir hier gewesen sind, würden wir kommen und Rache nehmen;, ihr würdet unter tausend Qualen am Marterpfahl sterben. Und nun noch eine Frage: Sind euch die Namen Iltschi und Hatatitla »Wind« und »Blitz«. bekannt?«
»Nein.«
»So heißen die Pferde von Winnetou und Old Shatterhand. Wißt ihr, wo diese stehen?«
»Im Schuppen, der dort hinter uns liegt. Wir hörten, daß sie dorthin geschafft wurden.«
»So sind wir mit euch fertig. Also denkt an meine Warnung und schweigt! Jetzt könnt ihr gehen!«
Er gab jedem von ihnen einen Fußtritt, und dann verschwanden sie schleunigst im Dunkel der Nacht, froh darüber, daß ihnen wenigstens das Leben geblieben war.
»Uff! Glücklicher konnten wir nicht sein!!« sagte der Häuptling im Tone größter Befriedigung zu seinen Leuten. »Wir haben das Zaubergewehr, den Bärentöter und die Silberbüchse. Nun werden wir uns auch noch die Hengste holen, die außer meinem Mustang nicht ihresgleichen haben.«
»Will Tokvi Kava nach dem Schuppen gehen?« fragte derjenige, der unter dem Namen Juwaruwa als Spion im Shop gewesen war.
»Meint mein Bruder, daß ich diese Pferde stehen lassen soll? Wenn mein Mustang nicht wäre, so würden sie die besten Pferde von einem großen Wasser bis zum andern sein. Wir holen sie, denn sie sind wohl ebensoviel wert, wie die Gewehre, die wir den gelben, langzopfigen Burschen abgenommen haben.«
Sie schlichen sich lautlos nach dem Schuppen, dessen Türe kein wirkliches Schloß, sondern nur einen Riegel hatte, und lauschten. Drinnen ließen sich vereinzelte Hufschläge vernehmen, wenn ein Pferd mit dem Beine stampfte. Es war finster im Innern. Ein Wächter schien nicht da zu sein, sonst wäre der Raum erleuchtet gewesen. Der Häuptling schob den Riegel zurück, öffnete die Tür ein wenig, stellte sich so, daß er von innen nicht gesehen werden konnte und rief halblaut einigemal in englischer Sprache hinein, als ob er ein Bekannter des etwa doch anwesenden Postens sei. Es erfolgte keine Antwort. Nun traten die vier Indianer ein.
Die Pferde der beiden Timpes waren ganz nach hinten geschafft worden; die Rapphengste standen fast ganz vorn. Der Häuptling erkannte dies trotz der Dunkelheit sehr bald.
»Sie stehen hier,« sagte er. »Nehmt euch in acht! Reiten dürfen wir sie nicht, denn sie kennen uns nicht; wir müssen sie führen, und werden ohnehin draußen mit ihnen zu tun bekommen, sobald sie merken, daß es fortgehen soll, und ihre Herren nicht dabei sind.«
Die Rapphengste wurden vorsichtig losgebunden und langsam hinausgeführt. Sie folgten den Komantschen zwar ohne sich zu widersetzen, aber doch in einer Weise, welche zeigte, daß sie Verdacht geschöpft hatten. Die Tür wurde wieder verriegelt, und dann entfernten sich die Indsmen mit ihrem kostbaren Raub. Der tiefe, weiche Schlamm, den der Regen gebildet hatte, ließ die Schritte der Menschen und der Tiere nicht hörbar werden.
Tokvi Kava fühlte sich außerordentlich befriedigt von dem Streich, den er den beiden berühmten, von ihm aber so sehr gehaßten Männern heute spielen durfte. Er war seiner Sache vollständig sicher und hegte die Ueberzeugung, am heutigen Abend ganz fehlerlos schlau gehandelt zu haben. Und doch irrte er sich. Er hatte in seiner Rechnung einiges vergessen, nämlich den Scharfsinn der beiden Bestohlenen und die vorzüglichen Eigenschaften sowie die ebensogute Dressur der Pferde, die nicht gewohnt waren, ohne Erlaubnis ihrer Herren fremden Personen zu gehorchen.
Der größte Fehler jedoch, der von ihm begangen worden war, bestand darin, daß er den Chinesen seinen Namen genannt hatte. Er nahm zwar mit Sicherheit an, daß sie nichts verraten würden, aber einem Winnetou und seinem weißen Freunde gegenüber war das eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit.
Lieber Leser, hast du einmal von dem »weißen Mustang« gehört? Es ist viel über ihn geschrieben und viel von ihm erzählt worden. Zahlreiche weiße Jäger und rote Männer haben behauptet, den »weißen Mustang« gesehen zu haben, und wirklich, sie hatten ihn gesehen und doch auch wieder – – nicht gesehen; der »weiße Mustang« war eine Sage, ein Märchen, ein Gebild der Phantasie, dem allerdings wirklich Gesehenes zu Grunde lag.
Zur Zeit, als noch Büffel- und Pferdeherden zu tausend und abertausend Stück die weiten Prärien bevölkerten und während des Frühlings nord-, zur Herbstzeit aber südwärts zogen, konnte es einem vorsichtigen Jäger glücken, den »weißen Mustang« zu Gesicht zu bekommen, aber nur einem vorsichtigen, der sich anzuschleichen verstand. Denn der »weiße Mustang« war der erfahrenste und klügste unter allen Leithengsten, die jemals an der Spitze einer wilden Pferdeherde gestanden haben. Sein Auge durchdrang den dichtesten Busch, sein Ohr hörte das leise Schleichen des Wolfes Tausende von Schritten weit, und seine tiefroten Nüstern erfaßten den Geruch des Menschen aus noch viel größeren Entfernungen. Aus einer von dem »weißen Mustang« angeführten und bewachten Herde hat sich selten ein Jäger ein Pferd mit dem Lasso herausholen können. Nie hat man den »weißen Mustang« grasen sehen. Er hatte keine Zeit dazu. Stets und stets und ohne Unterlaß flog er in anmutigen und doch so kräftigen Sprüngen rund um seine ruhig werdende Herde, um beim geringsten Anzeichen der Gefahr jenes schrille, trompetenartige Wiehern hören zu lassen, auf das augenblicklich alles wie im Sturm von dannen stob.
Einigemal soll es gelungen sein, ihn von der Herde abzuschneiden; man wollte ihn fangen, ihn allein. Er entwich nur im Galopp; die Verfolger ritten unter äußerster Kraftentfaltung ihrer Tiere, konnten ihn aber trotzdem nicht einholen, und als er dann endlich, sich lang streckend, wie ein Pfeil entflog, und fern am Horizont verschwand, sahen sie ein, daß er sie nur geäfft hatte, um sie von seiner Herde fortzulocken. Ein kühner Vaquero Berittener Hirt. ein Meister im Reiten, wollte ihn einmal allein getroffen und auf einen tiefen Canon Senkrecht abfallende Schlucht. zugejagt haben; der »weiße Mustang« soll ohne Bedenken in die mehrere hundert Fuß tiefe Schlucht hinabgesprungen und unten ruhig weitergetrabt sein. Der Vaquero beteuerte es bei allen ihm geläufigen Schwüren und Flüchen, und alle, die es hörten, glaubten es. In einer Gesellschaft sehr ernster und erfahrener Westmänner berichtete ein Haziendero aus der Sierra, er habe einmal das ungeheure Glück gehabt, den »weißen Mustang« mit einer ganzen Tropa wilder Pferde in einen Korral Hohe Umzäunung zum Einfangen wilder Pferde und Rinder. zu locken, aber der wunderbare Schimmel sei wie ein Vogel über die zwanzig Fuß hohe Umzäunung hinweg und hinausgeflogen; niemand zweifelte daran.
So erzählten die Alten, und so erzählten die Jungen; der »weiße Mustang« schien nicht nur unverletzlich, sondern sogar unsterblich zu sein, bis er schließlich mit der letzten Pferdeherde, die man beisammen sah, von der Savanne verschwand. Die unerbittliche »Kultur« hat die Büffel und die Mustangs hingemordet, doch noch heute taucht hie oder da irgend ein alter Westmann auf, um zu behaupten, daß der nie erreichbare Schimmel keine Erfindung sei, denn er selbst habe ihn auch gesehen.
Ja, er war keine Erfindung, und dennoch eine Schöpfung der Einbildungskraft; es hat ihn nie gegeben, und doch ist er vorhanden gewesen; die ihn gesehen haben, haben sich nicht getäuscht, aber doch geirrt, denn der »weiße Mustang« ist nicht ein Pferd, sondern mehrere, viele Pferde gewesen.
Jede wilde Mustangherde hatte einen Anführer, der stets ein Hengst, und zwar der kräftigste und klügste von allen war, denn er mußte diese Stelle mit Gewalt und List erkämpfen und sich erhalten. Hatte er alle seine Mitbewerber aus dem Feld geschlagen, so gehorchte ihm die ganze Truppe bis zum jüngsten Fohlen herab. Wenn man nun schon bei uns behauptet, daß die Schimmel die härtesten Pferde seien, so galt das in der Prärie erst recht. Dazu kam, daß die hellen Mustangs von den Jägern geschont wurden; es fiel keinem Menschen ein, sich einen Schimmel zum Reiten zu fangen, weil ein solches Tier weithin sichtbar ist und den Reiter in Gefahr bringt. Diese Pferde konnten sich also zur vollen Kraft auswachsen. Ferner liegt oder lag es im Instinkt, jedes heller gefärbten Pferdes, vorsichtiger zu sein als ein dunkleres, sodann braucht eine Herde einen Anführer, der sich durch seine Färbung unterscheidet und mit dem Auge leicht zu finden ist. Je höher der Offizier steht, desto glänzender die Abzeichen seiner Würde. Was der Mensch durch Kunst erreicht, das bietet dem Tier die Natur. Aus diesen Ursachen mag es gekommen sein, daß, wie jeder Westmann weiß, fast jede größere wilde Pferdeherde von einem Schimmel angeführt wurde.
Wenn nun diese hellen Leithengste die kräftigsten, schnellsten, ausdauerndsten und bissigsten Tiere waren, so mußte es ihnen leichter als jedem andern Pferd werden, einer etwaigen Nachstellung zu entgehen. Jeder Westmann hatte einen solchen Schimmel gesehen und seine Schnelligkeit und Klugheit bewundert; er erzählte davon und hörte andre das gleiche erzählen; das Leben auf der unendlichen Savanne erregt die Phantasie; es waren viele Schimmel gewesen, aber nach und nach schuf die Einbildungskraft aus ihnen einen einzigen, den – »weißen Mustang«, der allüberall gesehen worden, aber nie zu fangen gewesen war.
Zur Zeit Winnetous und Old Shatterhands gab es auch einen »schwarzen Mustang«, mit dem es fast dieselbe und doch auch wieder eine andre Bewandtnis hatte. Er war kein wildes, sondern ein geschultes, ein sogar außerordentlich gut dressiertes Pferd, das sich im Besitz des Häuptlings der Naiini-Komantschen befand. Auch von ihm erzählte man sich die wunderbarsten Dinge. Es besaß alle guten Eigenschaften in bisher noch nie dagewesenem Maße; es war noch in keinem Kampf verwundet worden, noch nie gestolpert oder gar gefallen, noch nie von einem Verfolger eingeholt worden und noch nie gestorben. Das Pferd hatte schon zur Zeit der Ahnen gelebt; es war mit dem Großvater aus allen Kämpfen unverletzt hervorgegangen; es hatte dann den Vater heil durch Not und Tod getragen, und bewährte sich nun bei dem jetzigen Häuptling in so vorzüglicher Weise, daß er, um sich und das Tier zugleich zu ehren, den Namen desselben, Tokvi Kava, der »schwarze Mustang«, angenommen hatte.
Wie die Indsmen fest überzeugt waren, der Henrystutzen Old Shatterhands sei eine Zauberflinte, so fest behaupteten sie auch, natürlich die eingeweihten Angehörigen des Naiinistammes ausgenommen, daß der »schwarze Mustang« ein Zauberpferd sei. Dieser Glaube nun brachte dem Besitzer des Pferdes Ansehen und Vorteile. Man hütete sich, mit ihm persönlich oder mit seinem Stamm anzubinden, denn man hielt ihn für ebenso unverletzlich, wie sein Pferd; er war nicht zu besiegen. Er war ein kluger Mann und nützte diese Scheu in schlauer Weise aus; die Erfolge stellten sich ein und machten ihn dadurch immer zuversichtlicher. Sein Stolz und seine Rücksichtslosigkeit wuchsen; er wurde der grausamste Feind aller Weißen und gegnerischen Roten und glaubte schließlich selbst daran, daß es keinen Menschen gebe, der sich mit ihm messen könne.
Natürlich hatte man sich auch unter diesem »schwarzen Mustang« nicht ein, sondern mehrere Pferde zu denken; sie waren Abkömmlinge von einander, gleich gezeichnet und von gleicher Vortrefflichkeit. Diese Vortrefflichkeit konnte nicht geleugnet werden, und so war es begreiflich, daß der Häuptling, als er im Firwood-Camp die beiden Rappen Old Shatterhands, und Winnetous, stahl, so stolz behauptete: »Wenn mein Mustang nicht wäre, so würden sie die besten Pferde von einem großen Wasser bis zum andern sein.« Er meinte damit den Atlantischen und den Stillen Ozean, also nach seiner Ausdrucksweise ganz Nordamerika. Ob er mit seiner Behauptung recht hatte, darüber hätte man vielleicht streiten können.
Im Camp ging man an diesem Abend nicht so zeitig wie sonst schlafen. Die Anwesenheit der berühmten Gäste hielt die Leute auch nach dem Essen wach. Der Engineer saß mit Winnetou, Old Shatterhand und den beiden Timpes an dem einen Tisch, wo Erzählung auf Erzählung folgte. An dem andern saßen der Aufseher und der Verwalter, meist still zuhörend und nur zuweilen ein Wort mit in die Unterhaltung werfend. Zu ihnen hatte sich der Mestize wieder gefunden, der sich vollständig stumm verhielt, doch um so schärfer auf alles lauschte, was gesprochen wurde. Winnetou und Old Shatterhand, schienen seine Anwesenheit nicht zu beachten; er bemerkte keinen einzigen Blick, den sie zu ihm herübersandten, und doch hatten sie ihn so scharf im Auge, daß ihnen keine seiner Bewegungen und Mienen entgehen konnte.
Eben gab Kas eines seiner Abenteuer zum Besten, als Winnetou ihm zuwinkte, zu schweigen und zu lauschen.
Sie horchten und hörten bald schnelle Hufschläge näher kommen, die ganz vernehmlich den tiefen Schlamm hoch spritzten und dann draußen vor der Tür anhielten. Ein eigentümliches, freudiges Schnauben erklang.
»Uff!« rief Winnetou, indem er rasch aufstand. »Das sind keine fremden Pferde.«
Old Shatterhand erhob sich ebenso, schnell von seinem Sitz und stimmte bei: »Nein, keine fremden, das sind unsere Hengste. Wie kommen sie hierher? Was sagt Ihr dazu, Mister Engineer? Ihr habt doch, als wir von dem Schuppen fortgingen, dessen Tür selbst verriegelt?«
»Ja, das habe ich getan. Es muß irgend ein Arbeiter das Tor geöffnet haben; da sind die Pferde entwichen.«
»Entwichen? Sie waren fest angebunden! Dieser Jemand hat nicht nur die Tür geöffnet, sondern auch die Tiere losgebunden, und das ist jedenfalls ein seltsames Verhalten. – Erlaubt, Sir, daß ich mir einmal dieses Windlicht nehme!«
Diese Bitte war an den Shopman gerichtet, der an seinem Ladentisch hockte. Ueber ihm hing eine gläserne Windlaterne, welche Old Shatterhand vom Nagel nahm und anbrannte, um dann mit Winnetou hinauszugehen. Die andern folgten neugierig, auch der Mestize, der freilich nichts davon wußte, daß sein roter Großvater vorhin die beiden Hengste gestohlen hatte.
Diese standen wirklich draußen und bewillkommten ihre Herren mit den Zeichen großer Aufregung. Sie schnaubten, wehten mit den Schwänzen, ließen ihre Ohren spielen, gingen mit den Vorderbeinen hoch, grad wie Hunde, die ihren Besitzer freudig begrüßen. Old Shatterhand leuchtete sie an und rief dann betroffen aus: »Alle Wetter! Was ist das? Die Pferde kommen nicht aus dem Schuppen! Seht doch den Schmutz und Schlamm, der hier sogar dick auf dem Rücken liegt! Sie sind galoppiert; sie sind weit fortgewesen! Aber wo und mit wem?«
»Mit wem?« fragte der Engineer. »Mit niemandem, natürlich! Wem sollte es einfallen, in solchem Wetter und solcher Finsternis mit fremden Pferden spazieren zu reiten?«
»Reiten? Möchte wissen, wer es fertig brächte, sich ohne unsere Erlaubnis auf eines dieser Pferde zu setzen! Es hat niemand darauf gesessen, denn seht, die Sitze sind mit Kot bespritzt.«
»Also habe ich ja recht! Es hat jemand den Schuppen aufgemacht; da rissen sich die Tiere los und gingen davon: Sie sind ein Stück herumgerannt und nun wiedergekommen; das ist alles. Ich werde aber untersuchen, wer hieran die Schuld trägt: Es hat des Nachts kein Mensch im Schuppen etwas zu suchen.«
An dem Zügel des einen Pferdes hing ein fest angeknoteter Riemen, der wahrscheinlich eine Schleife gebildet hatte, nun aber zerrissen war. Old Shatterhand untersuchte ihn, warf dem Apatschen einen raschen, bedeutungsvollen Blick zu und sagte dann zu dem Engineer: »Ihr habt recht, Sir; die Pferde haben sich losgerissen. Kommt mit! Wir müssen sie fester anbinden. Die andern Gentlemen brauchen sich natürlich nicht weiter zu bemühen.«
Er sagte das in einem solchen Ton der Ruhe und Ueberzeugung, daß die damit beabsichtigte Wirkung nicht ausblieb. Der Aufseher und der Verwalter kehrten mit dem Mestizen an ihre Plätze in den Shop zurück. Kas und Has wollten ihnen folgen; da flüsterte ihnen Old Shatterhand zu: »Fangt mit dem Halbblut ein Gespräch an, und laßt ihn nicht eher heraus, als bis wir wiedergekommen sind!«
»Warum, Mister Shatterhand?« fragte Kas.
»Das werdet Ihr später erfahren. Nur haltet ihn fest; aber seid freundlich und zutraulich mit ihm!«
»Aber wenn er unbedingt heraus will? Sollen wir da Gewalt anwenden?«
»Nein. Das soll vermieden werden. Aber es kann Euch doch nicht schwer fallen, ihn durch eine fesselnde Geschichte festzuhalten!«
»Denke es auch. Werde einige wundervolle Sachen erzählen und dabei gute Witze machen, genau so, wie bei Timpes Erben. Komm, alter Has!«
Sie gingen hinein. Winnetou nahm die Pferde bei den Zügeln, um sie zu führen. Old Shatterhand leuchtete voran; der Engineer ging neben ihm und sagte, indem er mit dem Kopf schüttelte: »Ich verstehe Euch nicht, Sir. Erst tut Ihr plötzlich so ruhig und gebt mir recht, und dann erteilt Ihr diesen beiden Gentlemen Aufträge, als ob man Yato Inda gar nicht trauen dürfe.«
»Ich habe mich verstellt, denn es gilt, vorsichtig zu sein. Die Pferde sind gestohlen und fortgeschafft worden, haben sich aber unterwegs losgerissen.«
»Unmöglich!«
»Es ist so; ich versichere es Euch!«
»Und wenn es so wäre, könnte da Yato Inda der Dieb gewesen sein?«
»Nein; aber sein Helfershelfer. Doch kommt nur erst nach dem Schuppen, da werden wir erfahren, wer den Diebstahl ausgeführt hat!«
»Wie wollt Ihr das ermitteln?«
»Der weiche Erdboden wird es mir sagen.«
Sie waren während dieser Worte in die Nähe des Schuppens gekommen: Der Engineer wollte schnell vollends hin. Old Shatterhand aber hielt ihn am Arm zurück und warnte: »Nicht so rasch! Ihr könnt uns sonst alles verderben.«
»Was?«
»Die Spuren, die ich sehen will. Wenn Ihr hineintretet, sind sie nicht deutlich zu erkennen.«
»Richtig! Unsereiner denkt eben an solche Vorsichtsmaßregeln nicht.«
Old Shatterhand machte einen Bogen, um nicht geradewegs, sondern von rückwärts an die Tür zu kommen und dadurch die mutmaßlichen Spuren zu schonen. Dann ging er bis zur Tür und leuchtete umher. Winnetou ließ die Pferde stehen, kam zu ihm hin und bückte sich mit nieder.
»Uff!« rief er aus. »Das sind indianische Mokassins gewesen!«
»Dachte es mir!« nickte Old Shatterhand. »Es waren Rote hier. Aber wie viele?«
»Das wird mein Bruder sehen, wenn wir die Fährte von dem Schuppen weg verfolgen. Hier sind die Menschen- mit den Pferdespuren vermischt.«
»Jetzt noch nicht fort! Wollen noch hier bleiben! Die Hufstapfen zeigen deutlich, daß die Pferde langsam gegangen sind. Das hätten sie nicht getan, wenn sie entflohen wären, nachdem sie sich losgerissen hatten. Sie sind sehr vorsichtig aus dem Schuppen geführt worden.«
»Er ist verriegelt,« bemerkte Winnetou, indem er auf die Tür zeigte.
»Ein weiterer Beweis, daß ein Diebstahl vorliegt. Wer sollte die Tür sonst verriegelt haben!«
Sie öffneten die Tür und gingen hinein. Es war nichts zu sehen; die Diebe hatten keine Spur zurückgelassen. Darum wurden nun die Pferde hineingeschafft und wieder angebunden, worauf die drei Männer die Untersuchung draußen fortsetzten, indem sie die Fährte vom Schuppen weg verfolgten. Nach wenigen Schritten schon teilte sie sich: nach rechts führten Menschen- und Tierschritte, von links her gab es nur Menschenspuren.
»Da sind sie gekommen,« sagte Old Shatterhand. »Sieht mein Bruder Winnetou, wie viele es gewesen sind?«
Der Apatsche betrachtete die Eindrücke genau und antwortete dann: »Diese roten Männer waren so unvorsichtig, nicht hintereinander zu gehen, darum ist ganz deutlich zu sehen, daß es vier Männer waren. Gehen wir noch weiter! Die Fährte geht nach der hinteren Seite des Shop.«
Nach kurzer Zeit gelangten sie an die Stelle, wo die beiden Chinesen mit den Indianern zusammengetroffen waren. Sie war breit ausgetreten und wurde von Old Shatterhand sorgfältig beleuchtet.
»Uff!« rief Winnetou. »Hier haben die roten Männer einige Zeit gestanden und mit zwei Zopfmännern gesprochen. Man sieht die Spur der dicken, geraden Sohlen der gelben Leute ganz genau.«
»Sagte ich es nicht!« meinte da der Engineer. »Es sind Arbeiter im Schuppen gewesen!«
»Unsinn!« widersprach Old Shatterhand. »Im Schuppen waren sie nicht, denn ihre Spuren führen nicht bis hin, wie Ihr seht. Es sind Indianer hier gewesen, Komantschen jedenfalls. Das ist keine Kleinigkeit für Euch!«
» Pshaw! Jedenfalls arme Teufel, die vielleicht Eßwaren stehlen wollten und unglücklicherweise an eure Pferde geraten sind.«
»Wenn es so wäre, wollte ich es loben. Ich fürchte aber, daß es noch ganz anders kommen wird. Diese Roten scheinen mit Euren Chinesen im geheimen Einverständnis zu stehen.«
»Oho!«
»Ja! Ihr seht ja, daß sie hier miteinander gesprochen haben. Wenn kein Einverständnis zwischen ihnen vorläge, würden die Indianer die Chinesen ausgelöscht haben.«
»Meint Ihr, Sir?«
»Gewiß! Und seht: erst haben nur drei Rote hier gestanden, der vierte ist aus der Richtung des Shop zu ihnen gekommen. Erratet Ihr, welcher das war?«
»Etwa dieser Juwaruwa, den Ihr nicht fortlassen wolltet?«
»Ja, der war es.«
»So möchte ich nur wissen, welche von meinen Chinesen hier gewesen sind. Diese Langzöpfe werden sich freilich hüten, etwas einzugestehen!«
»Wir werden es trotzdem erfahren. Einstweilen wollen wir von ihnen absehen und uns nur mit den Roten beschäftigen. Kommt!«
Sie folgten der jetzt nicht mehr vier- sondern nur noch dreifachen Fährte, bis sie an den Ort kamen, wo Tokvi Kava mit dem Mestizen zuletzt gesprochen hatte und von wo aus dieser nach dem Shop zurückgegangen war. Dann wurden sie von der Spur nach der vorderen Seite des Shop geleitet, dorthin, wo die Komantschen auf den Mestizen gewartet hatten. Als auch diese Stelle einer Untersuchung unterworfen worden war, sagte Old Shatterhand: »Jetzt ist mir alles klar. Es kamen vier Komantschen hierher. Drei warteten, und der vierte ging in den Shop, um dem Mestizen ein Zeichen zu geben, daß er herauskommen solle. Dieser Mensch ging hierher; da sie sich aber hier nicht sicher fühlten, wendeten sie sich nach der Hinterseite des Shop. Darum hat Winnetou hier vergeblich gesucht und nichts gefunden. Der Mestize besprach sich mit den drei Roten und kehrte dann zu uns zurück; sie aber gingen nach der Stelle, wo sie Juwaruwa erwarteten. Dieser kam, und als sie sich nun ganz entfernen wollten, stießen sie auf die beiden Chinesen.«
»Was die aber dort zu suchen hatten?« fragte der Engineer. »Wollen wir ihre Spur nicht auch untersuchen?«
»Jetzt noch nicht. Wir müssen vorher zu dem Mestizen. Er soll fliehen.«
»Fliehen?« staunte der Engineer. »Welch ein Gedanke!«
»Wieso?«
»Entweder ist er der brave Mensch, für den ich ihn halte, und da braucht er nicht zu fliehen, oder er ist ein Schurke, der uns an die Indianer verraten will, und da darf ich ihn nicht entkommen lassen.«
»So denkt Ihr, ich aber denke anders. Er ist der Enkel des Komantschenhäuptlings Tokvi Kava und hat sich unter ehrlicher Maske bei euch eingeschmeichelt, um Euch seinem roten Großvater zu überliefern. Dieser hat heut vier Boten zu ihm geschickt, um die Zeit und Art des Ueberfalls zu bestimmen. Ich möchte sogar behaupten, daß Tokvi Kava mit hier gewesen ist. Was sägt mein Bruder Winnetou dazu?«
»Der ›schwarze Mustang‹ war da,« antwortete der Apatsche mit einer solchen Bestimmtheit, als ob er ihn gesehen hätte.
»Gewiß! Denn nur solch ein Krieger wie er konnte auf den Gedanken kommen, unsre Pferde zu stehlen. Er hat gehört, daß wir hier sind, und wird den Ueberfall des Camp einstweilen aufgeben, bis wir diesen verlassen haben. Zu Eurer Sicherheit aber ist unbedingt erforderlich, zu erfahren, was gegen Euch im Werke liegt, und wann es ausgeführt werden soll. Das könnt Ihr aber nicht hören, wenn der Mestize hier bleibt.«
»Sir,« antwortete der Engineer ungläubig, »ich weiß, wer Ihr seid, und was ich von Euch zu halten habe, aber Ihr redet für mich in Rätseln. Ich muß Euch zu meinem großen Schrecken glauben, daß die Roten etwas gegen uns vorhaben, denn sonst hätten sie keine Kundschafter hergeschickt; aber was ich darüber wissen muß, kann ich doch am besten und am sichersten von dem Mestizen erfahren, wenn er wirklich, wie Ihr behauptet, der Verbündete der Roten ist.«
»Ihr denkt, er sagt es Euch?«
»Ich zwinge ihn dazu!«
» Pshaw! Ich wüßte nicht, wie Ihr das anfangen wolltet! Es gibt nur das eine sichere Mittel, alles zu erfahren: wir müssen ihm Angst einjagen, daß er sich aus dem Staube macht.«
»Aber, wenn er fort ist, erfahren wir doch erst recht nichts, Mister Shatterhand!«
»Im Gegenteil. Habt Ihr nicht gehört, daß wir morgen nach dem Alder-Spring wollen?«
»Ja.«
»Der Mestize hat es auch gehört und wird es den Roten mitgeteilt haben. Ich bin überzeugt, daß sie hinreiten, um uns aufzulauern und zu fangen. Wir werden uns aber nicht erwischen lassen, sondern vielmehr sie belauschen.«
»Sir, das ist gefährlich!«
»Für uns nicht, und für Euch hat es den Zweck, daß Ihr dann wißt, woran Ihr seid.«
»Wie werde ich es denn erfahren? Wollt Ihr etwa wiederkommen?«
»Wenn wir erfahren, daß Ihr Euch in Gefahr befindet, kommen wir ganz gewiß zurück, um Euch beizustehen. Nur müßt Ihr heut den Mestizen laufen lassen.«
»Und wenn er nicht läuft?«
»Er läuft! Wo pflegt er zu schlafen? Etwa bei den Arbeitern?«
»Nein. Er hat sich da hinten an dem Gebüsch ein halbindianisches Wigwam errichtet.«
»Um nicht beobachtet zu werden. Ganz richtig! Er hat ein Pferd?«
»Ja. Es ist stets in der Nähe dieses Wigwams angepflockt.«
»Gut! Mein Bruder Winnetou wird sich jetzt dorthin begeben und sich verstecken, um ihn bei der Flucht zu beobachten. Wir hingegen gehen in den Shop, und werden ihm die nötige Angst einjagen. Vorher aber beschreibt Ihr Winnetou genau, wo das Wigwam liegt.«
Winnetou hatte zu der ganzen Unterhaltung nur wenige Worte beigetragen; er hörte jetzt die Beschreibung des Platzes schweigend an und huschte dann fort. Das war so seine Art und Weise und für Old Shatterhand der Beweis, daß er mit allem, was dieser gesagt und geplant hatte, einverstanden war. Als er sich entfernt hatte, gingen die beiden nach dem Shop. Sie fanden den Mestizen in reger Unterhaltung mit den beiden Timpes; er warf einen heimlich sein sollenden, mißtrauisch forschenden Blick auf den weißen Jäger, und dieser tat so, als ob er ihn nicht bemerkt hätte. Der gute Kas hielt in der Erzählung, die er eben vortrug, inne und erkundigte sich: »Nun, Mister Shatterhand, wie habt Ihr es im Schuppen gefunden?«
»Von einem Pferdediebstahl war keine Rede. Wir hatten vergessen, die Tür zu verriegeln, und da muß irgend ein Tier hineingeraten sein und die Hengste ängstlich gemacht haben. Sie haben sich losgerissen und das Weite gesucht, sich aber glücklicherweise wieder hierhergefunden. Darüber können wir also beruhigt sein, um so weniger aber über einen andern Umstand.«
»Ueber welchen?«
»Es sind Rote hier gewesen.«
»Einer doch wohl nur? Ich meine diesen sogenannten Juwaruwa, der da im Shop war.«
»Er war nicht allein. Es gehörten noch drei andre Rote zu ihm, die draußen auf ihn warteten.«
»Alle Wetter!« rief Kas, indem er seinen Strohhut weit aus der Stirne schob. »Noch drei andre! So ist dieser Bursche also wohl doch ein Spion gewesen?«
»Ich bin überzeugt davon und behaupte, daß sich hier im Camp ein Verbündeter von den Roten befindet.«
» All devils! Wenn das wahr wäre! Wer könnte das sein?«
»Ihr werdet es gleich erfahren. Kommt mal alle mit, geduckt und katzenartig, Mesch'schurs; ich will euch etwas zeigen!«
»Wo ist Mr. Winnetou?« fragte Kas, indem er mit den andern aufstand.
»Im Schuppen bei den Pferden, um zu wachen, daß sie nicht wieder aufgeregt werden.«
Sie gingen alle hinaus, auch die weißen Arbeiter mit; der Mestize aber blieb sitzen. Da wendete sich Old Shatterhand unter der Tür nach ihm um und sagte:
»Ich habe alle aufgefordert, mitzugehen ...!«
Sein drohendes Auge sagte noch mehr, als diese Worte enthielten. Das Halbblut stand kleinlaut auf und kam hinterher. Old Shatterhand trug die Laterne wieder und führte die Männer zu der Fährte, die der Mestize gemacht hatte, als er aus dem Shop zu den auf ihn wartenden Komantschen gegangen war. Er leuchtete auf diese nieder und sagte: »Seht euch diese Stapfen an, Mesch'schurs! Es sind die Spuren eines Halunken, der euch alle ins Verderben führen will. Ich werde euch nachher die Füße zeigen, die ganz genau in diese Eindrücke passen.«
»Ins Verderben führen?« fragte der Aufseher erschrocken. »Wieso?«
»Er verkehrt mit feindlichen Indianern, die wahrscheinlich das Camp überfallen wollen, und hat sich unter einem falschen Namen bei euch eingeschmuggelt, um ihnen die Sache leicht zu machen.«
»Ja, der Rote, welcher vorhin hier war, war ein Spion von ihnen, der ihn hinausschicken sollte. Wir sahen, daß sie Zeichen miteinander auswechselten.«
»Wer ist der Schuft? Den Kerl lynchen wir! Sagt es, Sir, sagt es!«
»Später! Erst will ich euch Beweise geben. Ihr seht, daß ich seinen Stapfen folge, und werde bald erfahren, wohin sie führen.«
Old Shatterhand ging auf der Spur weiter, und sie folgten ihm, bis er stehen blieb, auf den Boden leuchtete und sagte: »Seht her! Hier haben drei Indianer gestanden und auf ihn gewartet, während der vierte, der sich Juwaruwa nannte, sich bei uns im Shop befand und ihm heimlich zuwinkte. Ueberzeugt euch genau, daß diese Eindrücke von Indianern stammen!«
Da sagte Has, indem er seinen langen, schwarzen Schnurrbart grimmig auseinanderzog: »Das bedarf gar keiner besonderen Ueberzeugung, Sir. Man sieht es doch gleich mit dem ersten Blick, daß es sich um Rote handelt. Alle Wetter! Das Camp steht in Gefahr. Zeigt uns den Burschen, damit wir ihn ein wenig aufhängen! Es gibt hier Bäume genug, die hübsche, starke Aeste haben.«
»Wartet nur noch ein kleines Weilchen! Wir müssen der Spur noch weiter folgen.«
Der Mestize stand dabei und hörte natürlich alles, was gesprochen wurde. Old Shatterhand ließ den Schein der Laterne zuweilen über sein Gesicht gleiten und sah dabei den irren, ängstlichen Blick, mit dem das dunkle Auge um sich sah.
Es ging weiter, hinter den Shop herum, wo Old Shatterhand wieder stehen blieb und erklärte: »Dann sind sie hierher geschlichen und lange hier stehen geblieben, wie ihr aus den Spuren erseht. Hier haben sie von uns und von dem Ueberfall gesprochen, den sie planen. Dann sind die drei Roten ein Stück weiter gegangen, um auf Juwaruwa zu warten, der da zu ihnen stieß. Der Verräter aber ist von hier nach dem Shop zurückgekehrt.«
»Wer ist es, wer, wer, wer?« wurde rund im Kreise gefragt.
»Sogleich, sogleich werdet ihr es erfahren! Nur wollen wir der Fährte noch ein Stückchen folgen, bis sie so deutlich wird, daß ich euch zeigen kann, wie genau sein Fuß hineinpaßt. Kommt, Mesch'schurs!«
Während er die Männer wieder nach der vorderen Seite des Shop führte, paßte er mit scharfem Blick auf den Mestizen auf. Dieser folgte langsam nur noch einige Schritte und tat dann einige schnelle Sprünge auf die Seite; er war nicht mehr zu sehen. Nun war es Zeit. Der Mischling durfte nicht zu Atem und noch viel weniger auf den Gedanken kommen, hier zu bleiben, um sich zu Verstecken und die Bewohner des Camps zu belauschen. Darum blieb Old Shatterhand schon nach kurzer Zeit stehen und sagte: »Hier ist die Stelle, wo ihr es erfahren sollt. Yato Inda mag her zu mir kommen und – ah,« unterbrach er sich, »wo ist der Mestize?«
»Der Mestize?« wurde gefragt. »Ist er es etwa? Ist er es?«
»Natürlich der! Er heißt nicht Yato Inda, sondern Ik Senanda und ist ein Enkel des ›schwarzen Mustang‹. Dieser will das Camp überfallen und hat ihn hergeschickt, um die beste Gelegenheit dazu auszuspähen.«
Da erhob sich ein Schreien, Brüllen und Rufen nach dem Entflohenen, das weithin durch das Tal erschallte. Old Shatterhand aber überrief sie noch mit seiner mächtigen Stimme: »Wozu dieser unnütze Lärm! Er ist nach seinem Wigwam gelaufen, um, sein Pferd zu holen und zu fliehen. Eilt ihm nach, damit er nicht entkommt!«
»Nach seinem Wigwam?« rief einer immer lauter als der andre. »Ja, nach seinem Wigwam! Ihm nach, dorthin, dorthin, daß wir ihn fangen!«
Sie rannten fort und Old Shatterhand blieb mit dem Engineer allein zurück.
»Nun, was sagt Ihr dazu?« fragte der erstere lächelnd.
»Er ist wirklich geflohen! Wir müssen Gott danken, daß er Euch zu uns geführt hat. Doch horcht! Hört Ihr nichts, Sir?«
»Ja, dort drüben rennt sein Pferd; er reitet fort, getrieben von der Angst vor dem Richter Lynch. Es wird ihm nicht einfallen, sich hier zu verstecken, um uns zu belauschen. Wir sind ihn los.«
»Aber für wie lange! Er wird zu den Komantschen reiten und mit ihnen wiederkommen.«
»Dann reiten wir ihm nach und sind noch vor ihm wieder hier. Ihr braucht keine Sorge zu haben. Hört Ihr das Brüllen Eurer Leute? Sie suchen noch nach ihm und finden ihn nicht. Ah, nun lassen sie ihren Aerger an seinem Wigwam aus!«
Sie sahen drüben am Gebüsch eine erst kleine Flamme aufzüngeln, die aber trotz der vom Regen zurückgebliebenen Nässe bald größer und größer wurde. Die Arbeiter hatten das Wigwam angebrannt. Beim Schein des Feuers sahen die beiden Winnetou auf sich zukommen. Als er sie erreichte, blieb er stehen und sagte: »Winnetou lag auf der Lauer und hörte den Mestizen gelaufen kommen und in sein Wigwam treten. Da erschallte das Rachegeschrei der Männer, und das Halbblut stürzte vor Angst wieder hinaus, rannte zu seinem Pferd, stieg auf und ritt davon. Ich habe das Sausen seines Atems gehört und daraus vernommen, daß seine Angst groß war.«
»Wir können also unsere unterbrochene Forschung wieder aufnehmen,« folgerte Old Shatterhand, »ohne befürchten zu müssen, dabei heimlich von ihm beobachtet zu werden.«
Die Arbeiter kehrten jetzt von der ergebnislosen Verfolgung des Mestizen zurück. Sie. wollten von Old Shatterhand Auskunft über seinen Verdacht und was mit diesem zusammenhing, haben; er forderte sie auf in den Shop zu gehen und dort eine kurze Zeit zu warten; er werde bald nachkommen und ihnen alles erklären. Dann wendete er sich mit Winnetou, dem Engineer und den beiden Timpes wieder nach der Hinterseite des Shop, wo er vorhin die Spuren der zwei Chinesen gesehen hatte, ohne ihnen zu folgen. Sie fanden sie beim Schein der Laterne leicht wieder und gingen ihnen nach.
Sie hatten angenommen, daß diese Fährte um zwei Ecken des Gebäudes nach dem Eingang zum Shop führen werde, sahen aber bald, daß dies nicht der Fall war, denn sie ging weiter bis zur Wohnung des Engineers, und zwar nach der hinteren Seite derselben. Dort lehnte eine Leiter, die bis zum Dach ging, an der Mauer.
»Uff!« rief der Apatsche dem Engineer zu. »Lehnt diese Leiter immer hier?«
»Nein,« antwortete der Gefragte, indem er bedenklich mit dem Kopfe schüttelte.
»Lehnte sie aber vielleicht schon da, als wir vorhin im Innern dieses Hauses waren?«
»Ich weiß nichts davon. Die Sache kommt mir außerordentlich verdächtig vor. Wer mag das gewesen sein?«
»Die Chinesen natürlich!« antwortete Old Shatterhand. »Ihr seid wahrscheinlich bestohlen worden, Sir, und wir mit!«
»Uff, uff!« stimmte der Apatsche bei. »Unsre Gewehre sind verschwunden.«
»Ja, sie sind fort,« bestätigte Old Shatterhand ohne alle Aufregung.
»Und das sagt Ihr in einem so ruhigen Ton, als ob es sich nur um einige Zündhölzer anstatt um die drei kostbarsten Gewehre des wilden Westens handelte!«
»Was könnte die Aufregung nützen? Sie würde nur schaden. Je ruhiger wir die Sache hinnehmen, desto eher und sicherer bekommen wir unsre Gewehre wieder.«
»Ich kann es mir nicht denken, aber wenn es wirklich so ist, dann müssen die Spitzbuben die Gewehre sofort herausgeben, und ich jage sie fort, nachdem ich sie habe halb oder dreiviertel tot prügeln lassen!«
»Sie können sie nicht herausgeben.«
»Nicht? Warum?«
»Weil sie das Gestohlene nicht mehr haben. Die Spuren der beiden Chinesen stoßen mit denen der Komantschen zusammen und gehen dann gleich wieder zurück. Die Roten haben die Gewehre erhalten.«
»So denkt Ihr, daß die Flinten eigens für die Indianer gestohlen worden sind!«
»Möglich! Wahrscheinlich aber haben die Chinesen den Diebstahl für sich ausgeführt; als sie dann fortgingen, um die Gewehre zu verstecken, sind sie auf die Indianer gestoßen und von diesen gezwungen worden, die Waffen herzugeben.«
»Aber wir haben ja noch gar keine Gewißheit, daß es sich wirklich um eure Gewehre handelt. Kommt, wir wollen hineingehen und nachsehen! Hoffentlich habt Ihr Euch getäuscht.«
»Wir täuschen uns nicht. Seht hier diese drei Eindrücke im schlammigen Boden! Sie können nur von Gewehrkolben herrühren. Die Diebe haben, als sie von der Leiter kamen, sich die Hände auf einen Augenblick frei gemacht und die Büchsen an die Mauer gelehnt. Drei Stück, ein großer, ein mittlerer und ein kleinerer Eindruck; das ist der Bärentöter, die Silberbüchse und der Henrystutzen. Weitere Beweise brauchen wir nicht.«
»Es ist wahr; es ist wirklich wahr!« rief der Engineer aus, als er die drei Löcher im Schlamm angesehen hatte. »Wahrhaftig, das sind Chinesen gewesen!, Welche zwei aber mögen es unter so vielen gewesen sein?«
»Wir werden sie entdecken. Im Kopfe eines guten Westmannes gibt es genug Haken, woran man dergleichen Spitzbuben aufhängen kann.«
»Wollen es hoffen, Sir. Ich möchte nur wissen, wie die Halunken ans diesen Gedanken gekommen sind: sie brauchen diese Waffen doch gar nicht; sie können gar nicht mit ihnen umgehen. Welchen Zweck hatten sie eigentlich dabei?«
»Das ist mir freilich auch ein Rätsel, das sich aber schon noch lösen lassen wird.«
Da sagte Kas, der Blonde: »Ich weiß nicht, ob es ein guter oder ein alberner Gedanke von mir ist, Sir, aber mir ist soeben eine Art von Erklärung eingefallen.«
»Welche?«
»Ehe Ihr kamt, war die Rede von Euch. Wir sprachen da natürlich auch von Euren Gewehren, und daß sie von einem so hohen Wert sind, daß man ihn eigentlich gar nicht bestimmen kann. Sollten einige von diesen gelben Zopfmännern das gehört haben und dadurch auf den Gedanken geraten sein, die kostbaren Waffen zu stehlen, um sie später zu einem hohen Preise zu verkaufen?«
»Hm! Dieser Gedanke ist gar nicht dumm, Mister Timpe. Vielleicht habt Ihr das Richtige getroffen. Die beiden Abteilungen des Shops sind nur durch einen dünnen Verschlag von einander getrennt, durch den das, was gesprochen worden ist, leicht gehört werden konnte. Und wenn ich mich nicht irre, saßen zwei Chinesen ganz nahe an diesem Verschlag auf einer Bank allein.«
»Das ist richtig,« stimmte der Engineer bei. »Das waren die beiden Firsthands Vorarbeiter., deren wir uns als Vermittler bedienen«
»Muß man da nicht annehmen, daß sie ehrliche Leute sind?« fragte Old Shatterhand.
»Das nicht, Sir! Diese Burschen sind alle Halunken, vom ersten bis zum letzten. Sie stehlen nur dann nicht, wenn es nichts zu stehlen gibt, und ihr Hauptgrundsatz ist der, daß es keine Sünde und Schande, sondern vielmehr ein gutes Werk und eine Ehre ist, den Weißen so viel wie möglich zu übervorteilen. Daß ein Chinese es bis zum Firsthand gebracht hat, ist gar kein Grund, darauf zu schließen, daß er ehrlicher als die andern sei, sondern grad im Gegenteil: er ist pfiffiger, und also darf man ihm noch weniger trauen. Wollen wir uns die beiden einmal gründlich vornehmen?«
»Ja. Zunächst aber treten wir hier in das Haus, damit Ihr Euch überzeugen könnt, daß die Gewehre verschwunden sind.«
Der Engineer schloß die Tür auf und brannte drinnen ein Licht an. Bei dessen Schein sah man nicht nur, daß die Gewehre fehlten, sondern erkannte auch die Art und Weise, in der sie gestohlen worden waren, denn in der Decke war ein Loch, durch das die Diebe Zugang gefunden hatten.
Nun kehrte man zurück. Die Arbeiter waren alle noch munter. Selbst diejenigen, die sich vorher niedergelegt hatten, saßen wieder an den Tischen, um sich über das Vorgefallene zu unterhalten. Die beiden Firsthands hatten ihre vorigen Plätze eingenommen; sie fühlten sich nicht sicher und betrachteten die Eintretenden mit ängstlich forschenden Blicken. Old Shatterhand forderte sie kurz und in bestimmtem Ton auf: »Kommt einmal mit uns herein in die andre Abteilung!«
Sie standen auf und folgten. Dabei raunte der eine dem andern zu: » Schuet put tek!«
Dem scharfen Ohr des Westmanns entgingen diese Worte nicht; als er sie hörte, breitete sich ein leises befriedigtes Lächeln über sein Gesicht. Der Sprecher hatte sich seiner heimatlichen, also der chinesischen Sprache bedient und dabei sehr leise gesprochen; er war also vollständig davon überzeugt, nicht verstanden worden zu sein, denn selbst falls seine Worte an irgend ein Ohr gedrungen sein sollten, gab es doch hier, so weit von China entfernt und mitten in der Wildnis, gewiß keinen Menschen, der des Chinesischen mächtig war. Er ahnte nicht, daß Old Shatterhand sich während seiner langen und weiten Reisen auch in China aufgehalten hatte und die Sprache dieses Landes beherrschte.
Als sie dann drin in der kleinen Abteilung vor ihm standen, ließ er seinen durchdringenden Blick scharf über sie gleiten und sagte, indem er seinen Revolver aus dem Gürtel zog und den Hahn drohend knacken ließ: »Ihr befindet euch in einem fremden Lande. Kennt ihr dessen Gesetze?«
Sie hoben ihre Augen frech zu ihm auf, und der eine antwortete: »Dieses Land hat sehr viele Gesetze, Welche davon meint Ihr, Sir?«
»Die, welche sich auf den Diebstahl beziehen.«
»Die kennen wir.«
»So sag' einmal, womit der Diebstahl bestraft wird.«
»Mit Gefängnis.«
»Ja, aber nicht hier in dieser Gegend. Wer hier im wilden Westen Waffen oder Pferde stiehlt, der wird entweder erschossen oder aufgehängt. Wißt ihr das?«
»Wir haben davon gehört; aber es geht uns nichts an, denn wir werden uns nie an einem fremden Gut vergreifen.«
»Lüge nicht!«
»Was sprecht Ihr, Sir? Ich habe nicht gelogen! Wir haben vernommen, daß Ihr ein großer und ein berühmter Mann seid; aber auch wir sind keine gewöhnlichen Leute, sondern Firsthands, die sich nicht beleidigen lassen!«
» Pshaw! Dein Ton soll bald ein andrer werden, Bursche! Wenn ihr aufrichtig gesteht, werden wir glimpflich mit euch verfahren; leugnet ihr aber, so habt ihr keine Nachsicht zu erwarten. Ihr habt unsre drei Gewehre gestohlen?«
Der Mann zeigte eine möglichst unbefangene Miene, schüttelte verwundert den Kopf und antwortete: »Gewehre gestohlen? Wir? Wie kommt Ihr auf diese unbegreifliche Vermutung? Sind Euch Eure Gewehre abhanden gekommen?«
Er sagte das in einem so kindlich aufrichtigen und unschuldigen Ton, daß Old Shatterhand ausholte und ihm eine derbe Ohrfeige verabreichte; der Getroffene flog zwischen den Stühlen hindurch bis an den fernen Schenktisch, wo er Mühe hatte, sich langsam aufzuraffen. Der Jäger würdigte ihn keines weiteren Blicks, sondern wendete sich an den andern: »Du hast jetzt gesehen, wie ich die Lüge und die Frechheit beantwortete. Sage also die reine Wahrheit! Ihr habt unsre Gewehre gestohlen!«
»Nein!« behauptete trotzdem der Gefragte.
»Ihr seid in das Haus des Engineers eingestiegen?«
»Nein!«
»Als ihr dann die Gewehre verstecken wolltet, sind sie euch von Indianern abgenommen worden?«
»Nein!« behauptete der Chinese zum drittenmal, aber weit weniger zuversichtlich als bisher.
»Mensch, ich warne dich! Dein Kumpan hat dich zwar aufgefordert zu leugnen, aber es ist weit besser für dich, aufrichtig zu sein.«
»Wann soll er mich aufgefordert haben, Sir?«
»Vorhin, als ihr von euren Plätzen aufstandet.«
»Ich weiß nichts, Sir!«
»Du weißt es, denn du hast gehört, daß er leise zu, dir › schuet put tek‹ sagte!«
»Ja, das hat er gesagt.«
»Nun, was bedeuten diese chinesischen Worte?«
»Sie heißen: ›Komm, wir gehen mit!‹ Er sagte das, weil wir mit Euch gehen sollten.«
»Höre, du bist ein Pfiffikus; aber mich täuschest du nicht. Kommen heißt › lai‹ und gehen heißt › k'iu‹; schuet put tek aber heißt: ›es darf nichts gestanden werden‹. Willst du das etwa auch leugnen?«
Der noch am Schenktisch stehende Chinese hatte sich bis jetzt die schmerzende Wange gehalten; nun aber schlug er erschrocken die Hände zusammen; der andre war zwei, drei Schritte zurückgefahren, starrte den Jäger mit weit geöffneten Augen an und fragte stockend und entsetzt: »Wie? Ihr – – Ihr – – könnt – – könnt – – chinesisch sprechen?«
Old Shatterhand benutzte dieses Entsetzen, den Burschen zu überrumpeln, indem er schnell fragte: »Wer war der Indianer, der euch die Gewehre abgezwungen hat?«
Der Chinese ging gedankenlos in die Falle, denn er antwortete ohne Ueberlegung: »Er nannte sich den ›schwarzen Mustang‹, den Häuptling der Komantschen.«
» Put yen put put jii, put yen put jii!« schrie der erste Chinese vom Schenktisch her.
Dieser ängstliche Zuruf heißt. so viel wie: »Kein Wort reden, kein Wort reden!«
» Tien na, agai yn – mein Himmel, o wehe, wehe!« rief sein Kumpan, der jetzt einsah, was für einen Fehler er begangen hatte.
»Schweigt!« lachte Old Shatterhand. »Ihr habt ja gehört, daß euer Chinesisch euch nichts nützt! Ihr seid jetzt überführt und werdet heut abend erschossen oder aufgehängt, wenn ihr noch weiter leugnet. Erzählt ihr uns aber genau, wie es geschehen ist, so werden wir euch das Leben schenken.«
»Das Leben schenken?« fragte der zweite Chinese, der weniger hartköpfig als der erste war. »Was wird aber dann unsre Strafe sein?«
»Das richtet sich ganz nach eurer Aufrichtigkeit. Wenn ihr nichts, aber auch gar nichts verschweigt, so kommt ihr jedenfalls besser weg, als ihr es selbst verlangen könnt.«
»So werde ich es sagen; ja, ich erzähle es!«
Der Chinese warf einen fragenden Blick zu seinem Genossen hinüber, der ihm bejahend zuwinkte, denn er sah nun auch ein, daß es geraten sei, den in den Schmutz geratenen Karren nicht weiter hineinzuschieben. Er wagte sich, die brennende Wange wieder haltend, näher heran, und nun erzählten beide, halb freiwillig und halb sich ausfragen lassend, wie sich die Sache ereignet hatte. Als sie alles gestanden hatten, wendete sich der eine von ihnen an Old Shatterhand: »Nun wißt Ihr alles, Sir; wir haben Euch nichts mehr zu sagen und sind überzeugt, daß Ihr uns die Strafe ganz erlassen werdet.«
Da fuhr der Engineer ihn an: »Was fällt dir ein, du Dieb? Die Strafe ganz erlassen! Keinesfalls! Doch will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und euch nur hundert Hiebe zudiktieren.«
Infolge dieser Drohung erhoben beide ein lautes Wehegeschrei. Winnetou ließ ein verächtliches »Uff!« hören und wurde von Old Shatterhand gefragt: »Welche Strafe hat mein roter Bruder diesen Dieben zugedacht?«
Der Apatsche blickte einige Augenblicke lang vor sich nieder; dann ging ein eigentümliches Halblächeln über seine bronzenen Züge. »Diese,« antwortete er, indem er mit beiden Händen die Bewegung des Skalpierens machte.
Die Weißen wußten, was er meinte und zeigten sehr ernste Gesichter; die Chinesen hatten die Gesten nicht verstanden und sahen Old Shatterhand fragend an.
»Kniet hier vor mir nieder, eng nebeneinander!« befahl er ihnen.
Sie gehorchten.
»Nehmt eure Mützen ab!«
Sie zogen ihre niedrigen, schirmlosen Mützen von den Köpfen. Im nächsten Augenblick blitzte sein Messer; die anwesenden Arbeiter und Beamten schrien erschrocken auf, denn sie glaubten, daß er Ernst mache. Zwei schnelle Griffe mit der linken Hand nach ihren Köpfen und zwei ebenso rasche Schnitte mit der rechten Hand, und er hatte ihnen – – – nicht die Köpfe, sondern die Zöpfe abgeschnitten.
Die Zuschauer atmeten erleichtert auf; die Chinesen aber waren zunächst ganz starr vor Schreck. Für einen »Sohn des Himmels« ist es nämlich die größte Schande, seinen Zopf einzubüßen; er gibt unter Umständen lieber das Leben her. Darum waren diese beiden zuerst geradezu bewegungslos; dann stülpten sie plötzlich die Mützen auf die kahlen Köpfe, sprangen auf und rannten laut jammernd fort. Ein allgemeines Gelächter folgte ihnen.
Nur Old Shatterhand und Winnetou lachten nicht; der erstere erklärte vielmehr in sehr ernstem Ton: »Die Szene mag euch lächerlich erscheinen; sie ist es aber nicht, Mesch'schurs. Die Chinamänner sind nach ihren Begriffen viel strenger bestraft, als wenn sie von irgend einer Jury zu mehrjähriger Gefängnisstrafe verurteilt worden wären.«
»Was? Ist das möglich?« fragte der Engineer. »Und wenn es so wäre, so gelten hier nicht chinesische Begriffe, sondern unsre Gesetze. Ihr habt sie in Eurer Weise bestraft; ich werde dieser Strafe noch einen Nachtrag folgen lassen.«
»Welchen?«
»Ich jage sie fort; ich kann in meinem Dienst keine Spitzbuben brauchen.«
»Ihr werdet gar nicht in die Lage kommen, sie fortzuschicken. Dadurch, daß sie keine Zöpfe mehr haben, sind sie unmöglich geworden; sie dürfen sich nicht mehr sehen lassen und werden in dieser Nacht gewiß verschwinden.«
»Wenn das so ist, well, da will ich mich zufrieden geben, aber auch aufpassen, damit nicht mit ihnen noch Verschiedenes verschwindet. Diese beiden Zöpfe jedoch werde ich zum Andenken an mich nehmen.«
Er bückte sich, um sie aufzuheben. Old Shatterhand aber nahm sie ihm aus der Hand und sagte: »Erlaubt, Sir! Diese Zöpfe wird ein ganz andrer bekommen.«
»So? Wer?«
»Tokvi Kava, der große und berühmte Häuptling der Komantschen.«
»Der? Warum?«
»Um ihn zu blamieren und zu ärgern.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Und es ist doch sehr leicht zu verstehen. Winnetou hatte einen ganz besondern Grund, als er vorhin durch das Zeichen des Skalpierens diese beiden Zöpfe verlangte. Ihr seid doch wohl jetzt überzeugt, daß der ›schwarze Mustang‹ Euer Camp überfallen will?«
»Ja.«
»Worauf wird er es da wohl abgesehen haben? Etwa auf Euer Geld?«
»Schwerlich; das wird sich wohl dieser Yato Inda für seine Verräterei ausbedungen haben; die Roten brauchen keine Dollars; es wird wohl mehr auf unsre Waffen und Munition gerichtet sein.«
»Das allerdings, aber auch auf die Chinesenzöpfe.«
»Meint Ihr?«
»Ja. Wer diese Indsmen so kennt, wie wir sie kennen, der weiß ganz genau, wie sie denken und was sie wollen. Eine so große Anzahl ellenlanger Skalps! Welch eine Beute, und welch eine Ehre! Das soll ihnen aber nicht gelingen, und weil ich niemals ein Unmensch gewesen bin und mit jedem meiner Brüder fühle, gleichviel, ob er von weißer oder roter Farbe ist, so werde ich dem ›schwarzen Mustang‹ als Entschädigung diese beiden Zöpfe feierlichst überreichen.«
»Hallo, ist das ein Wort! Welch ein Aerger muß das für den ›Mustang‹ sein! So etwas kann sich nur ein Old Shatterhand ausdenken!«
»Da irrt Ihr Euch. Der Gedanke stammt vielmehr von Winnetou.«
»Winnetou? Habe ja kein Wort davon gehört!«
»Aber seinen Wink habt Ihr gesehen.«
»Sollte er dabei wirklich an den ›schwarzen Mustang‹ gedacht haben?«
»Gewiß! Wir beide pflegen uns nämlich auch ohne Worte zu verstehen. Gibt mir mein roter Bruder recht?«
Er wickelte, indem er diese Frage an Winnetou richtete, die Zöpfe zusammen und steckte sie ein. Der Apatsche antwortete: »Mein Bruder Shatterhand hat mich genau verstanden. Es wird die größte Demütigung für den Häuptling der Komantschen sein, diese Zöpfe ohne Häute von uns zu erhalten.«
»Das mag ja sein,« gab der Engineer in gedehntem Ton zu; »aber so leicht, wie es gesagt ist, kann es nicht gemacht werden. Ehe man den ›Mustang‹ mit den Zöpfen ärgern kann, muß erst sein Angriff hier abgeschlagen werden und er in unsre Gefangenschaft geraten sein. Ihr tut, als ob dies so einfach wie für einen Professor das Buchstabieren sei; mir aber wird himmelangst, wenn ich nur daran denke. Ja, wenn ich so viel Weiße hätte, wie mein Kollege in Rocky-Ground! Der hat weit über achtzig Mann, alle wohlbewaffnet; bei den dortigen Sprengarbeiten sind Chinesen nicht zu brauchen.«
»Rocky-Ground?« fragte Old Shatterhand. »Hieß dieser Ort schon früher so?«
»Nein; er wurde von uns so genannt.«
»Ist er weit von hier entfernt?«
»Nein. Mit der Maschine ist man in anderthalb Stunden dort.«
»Hm! Die hiesige Gegend ist mir leidlich bekannt, und Winnetou kennt sie noch besser. Freilich bin ich, seit Ihr hier arbeitet, nicht dagewesen und habe also keine Ahnung, wie Eure Strecke läuft. Könnt Ihr mir nicht den frühern Namen der dortigen Gegend sagen? Es genügt der Name eines Tales, eines Berges oder Flusses.«
»Der Rocky-Ground schneidet durch den Fuß eines Berges, welcher keinen englischen Namen hatte; von den Roten wird er Ua-pesch genannt. Was das heißen soll, weiß ich nicht.«
»Uff! Ua-pesch!« rief. Winnetou, als ob dieser Name sehr wichtig sei und ihn auf einen guten Gedanken bringe. Als infolgedessen alle ihn ansahen, machte er mit der Hand eine abwehrende Bewegung und fügte hinzu: »Mein Bruder Shatterhand mag an meiner Stelle sprechen. Er weiß es ebenso genau wie ich.«
Die Blicke richteten sich auf den Bezeichneten. Dieser nickte, befriedigt lächelnd, vor sich hin und sagte zum Engineer: »Ihr wißt nicht, was Ua-pesch bedeutet?. Genau dasselbe, wie der Name, den Ihr der Sache, gegeben habt, natürlich Steintal oder Felsental. Ihr wißt, daß wir nach dem Alder-Spring wollen. Habt Ihr eine Ahnung, wo diese Stelle liegt?«
»Nein. Ich weiß nur, daß Ihr morgen abend dort eintreffen wollt; es muß also wohl ein Tagesritt von hier sein.«
»Allerdings ein Tagesritt, weil man durch Täler und Schluchten sehr viele Windungen zu machen hat. Die Bahn aber scheint in gerader Richtung durchzuschneiden, wie ich höre, denn man braucht ungefähr drei Stunden, um zu Pferde von Eurem Rocky-Ground nach dem Alder-Spring zu kommen. Eure Auskunft gibt uns gegen die Komantschen eine Karte in die Hand, die sie gewiß nicht übertrumpfen können.«
»Das würde mich riesig freuen. Wollt Ihr es uns nicht erklären?«
»Sagt vorher, in welcher Verbindung Ihr mit Rocky-Ground steht!«
»In einer immerwährenden. Wir haben zunächst telegraphische Verbindung, so daß ich in jedem Augenblick depeschieren kann.«
»Schön! Und die Bahn? Geht der Schienenweg bis hin?«
»Ja, schon seit zwei Wochen. Wir befinden uns hier am Ende des vorläufigen Schienenstranges.«
»Welcher Art sind die Wagen?«
»Natürlich noch nicht Personen-, sondern nur Bau- und Materialwagen.«
»Werden auch genügen. Habt Ihr solche Wagen hier?«
»Ein ganzes Dutzend.«
»Und eine Maschine?«
»Nein; die ging gegen Abend nach Rocky-Ground zurück.«
»Befindet sich also jetzt bereits dort?«
»Ja.«
»So habt die Güte, zu gehen und nach dieser Lokomotive zu telegraphieren!«
»Was? Wie? Telegraphieren?« fragte der Engineer.
»Ja. Ich will Euch kurz sagen, wie die Sache stand, ehe wir heut hier ankamen, und wie sie jetzt steht. Der ›schwarze Mustang‹ wollte das Camp überfallen und sandte seinen Enkel, den Mestizen, unter falschem Namen her, um die Gelegenheit auszuspionieren. Heut abend kamen sie heimlich hier zusammen, um den Tag des Angriffs zu bestimmen. Dieser wäre wahrscheinlich kein naher gewesen, wenn wir uns nicht hier befunden hätten, und der Mestize nicht entlarvt worden wäre; die Roten hätten sich Zeit genommen. Jetzt aber wissen sie, daß wir sie durchschauen, und werden den Streich ausführen, ehe Ihr ihn durch Anlegung von Befestigungen und sonstige Maßregeln unmöglich machen könnt. Ich bin sogar überzeugt, daß der Ueberfall gleich heut geschehen würde, wenn es da nicht ganz bedeutende Hindernisse gäbe.«
»Hindernisse?« fiel der Engineer ein. »Ich denke, grad die gibt's heut am allerwenigsten. Wenn die Roten in diesem Augenblick kommen, sind wir verloren!«
»Ja, wenn! Sie können aber nicht kommen, denn sie sind nicht da! Ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß der ›schwarze Mustang‹ nur mit einigen wenigen Kriegern hier gewesen ist; sein Lager befindet sich weit, sehr weit von hier. Dazu kommt, daß er uns hier weiß. Der Mestize ist ihm nach und wird ihm sagen, was geschehen ist. Der Häuptling ist also überzeugt, daß wir in dieser Nacht auf der Hut sein werden. Er hat erfahren, daß ich mit Winnetou morgen nach dem Alder-Spring will. Der Besitz unsrer Personen ist ihm viel mehr wert als alle Beute, die er hier machen könnte. Er wird also schleunigst dorthin reiten, uns gefangen zu nehmen. Er denkt sich das sehr leicht, weil er sich in dem Besitze unsrer gefürchteten Waffen weiß. Noch leichter wird es ihm dünken, dann, wenn wir in seine Hände gefallen sind, schleunigst hierher zurückzukehren und sich die langen Chinesenskalpe zu holen. Aufschieben darf er das nicht, denn sonst richtet Ihr Euch zur Verteidigung ein. Es gilt nun, ihm zuvorzukommen. Ich muß mit Winnetou eher als er am Alder-Spring sein. Wir müssen ihn beschleichen, seine Krieger zählen, ihn belauschen, um zu erfahren, in welcher Weise er handeln will.«
»Aber, Sir,« fiel da der Engineer ein, »das ist ja ungeheuer gefährlich! Wenn er Euch ertappt, so seid Ihr verloren!«
»Er wird uns nicht ertappen; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Ein Westmann kann nur von einer unbekannten Gefahr überrascht werden, nicht von einer, die er kennt. Ein höchst glücklicher Umstand ist der, daß Euer Rocky-Ground so nahe am Alder-Spring liegt. Wir fahren, sobald die Maschine hier angekommen ist, dorthin, und von da aus reiten wir nach dem Spring, den wir schon früh erreichen. Dort richten wir uns so ein, daß wir alles beobachten können, ohne selbst bemerkt zu werden. Ich bin überzeugt, daß es uns gelingt, den ›Mustang‹ zu belauschen. Hören wir, daß Euch Gefahr droht, so reiten wir schnell nach Rocky-Ground und bringen die sämtlichen dortigen Arbeiter auf der Bahn hierher, um die Komantschen in Empfang zu nehmen.«
Bei diesen Worten fuhr der Engineer von seinem Sitz aus und rief in frohem Ton: »Alle Wetter, ist das ein köstlicher Gedanke! Die Weißen von dort zur Hilfe hierher! Da kann es uns ja gar nicht fehlen, denn dann schießen wir die roten Halunken vom ersten bis zum letzten Mann nieder!«
»Natürlich! Ihr habt vollständig recht, Mister Shatterhand. Ich bin Euch außerordentlich dankbar dafür und werde Sorge tragen, daß Ihr in Rocky-Ground nach Verdienst empfangen werdet.«
»Hm! Was beabsichtigt Ihr da?«
»Ich werde, sobald Ihr abfahrt, telegraphieren, daß Old Shatterhand und Winnetou, die zwei berühmtesten Männer des Westens, kommen.«
»Das werdet Ihr nicht tun, weil Ihr damit unsern ganzen Plan gefährden würdet. Es braucht niemand zu wissen, wer wir sind und was wir wollen; es könnte den Komantschen verraten werden. Denkt an den Mestizen, der Euer ganzes Vertrauen besaß!«
» Well! So werde ich ganz einfach melden, daß vier Passagiere kommen. Aber es wäre ein ganz verteufeltes Unheil, wenn Ihr Euch in Beziehung auf die heutige Nacht irrtet!«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Ich meine: wenn die Komantschen doch heut kämen, und Ihr wäret fort!«
»Sie kommen nicht! Aber tut immerhin, was Ihr für Eure Pflicht haltet!«
»Ja, was ist denn da meine Pflicht?«
»Laßt an verschiedenen Seiten des Camp mehrere Feuer anbrennen, und setzt Wachen dazu. Sollten sich die Komantschen wider alles Erwarten in der Nähe befinden, so werden sie sehen, daß wir auf der Hut sind, und sich nicht heranwagen.«
»Ja, das ist das Beste; das werde ich tun.«
Er entfernte sich, um zu depeschieren und die nötigen Befehle zu erteilen, und bald brannten trotz der herrschenden Nässe sechs mächtige Feuer, die das ganze Camp erhellten. Von Schlaf war natürlich keine Rede. Die Vorbereitungen zur Bahnfahrt wurden zeitig getroffen. Für die vier Passagiere und ihre Pferde genügte ein sehr geräumiger Werkzeugwagen, worin einige bequeme Sitze hergestellt wurden. Als die Meldung kam, daß die Maschine in Rocky-Ground abgegangen sei, wurden die Pferde in den Wagen gebracht und für deren Besitzer noch ein steifer Grog als Abschiedstrunk gebraut. Nach Verlauf von anderthalb Stunden kam die Lokomotive angedampft; der Wagen wurde angehängt; die vier Reisenden nahmen Abschied und stiegen ein.
Obgleich das Gleis nur ein vorläufiges war und eine beträchtliche Dunkelheit herrschte, flog der kurze Zug mit rasender Geschwindigkeit dahin; das war so amerikanische Weise und Sorglosigkeit. Es tauchte während der ganzen Fahrt kein einziges Licht auf, weil es keinen Haltepunkt gab. Berge, Täler, Prärien und Wälder waren nicht voneinander zu unterscheiden; es schien, als ob der Zug ohne Unterlaß durch einen endlosen Tunnel brause, und so waren die vier Männer froh, als endlich die Maschine ihre schrille Stimme hören ließ und auch die Lichter des Ziels vorn auftauchten.
Es brannten auch hier mehrere Feuer, bei deren Schein man zunächst ein langgestrecktes, niedriges Gebäude erkannte, das einen sehr breiten Eingang hatte. Das Innere schien mehrere Abteilungen zu besitzen, deren eine erleuchtet war. Am Pfosten der Tür lehnte eine schmale, nicht hohe Gestalt, die in das lederne Gewand eines Westmannes gekleidet war. Eine zweite Person stand näher am Gleis, trat, als der Zug hielt, an den Wagen heran, schob dessen halb offene Tür vollends zurück und sagte: »Rocky-Ground! Steigt aus, Mesch'schurs! Bin doch neugierig, welcher Art von Menschen der Kollege in Firwood-Camp eine nächtliche Sonderfahrt veranstalten läßt.«
»Werdet es gleich sehen und erfahren, Sir,« antwortete Old Shatterhand. »Ich vermute natürlich, daß Ihr hier beamtet seid?«
»Bin der Engineer, Sir. Und Ihr?«
»Ihr werdet unsre Namen hören, wenn wir drin beim Licht sind. Habt Ihr einen Platz, vier Pferde gut unterzustellen?«.
»Werden sehen. Kommt nur erst selbst heraus!« Er sah, als sie ausstiegen, einem nach dem andern ins Gesicht und brummte dann enttäuscht: »Hm! Lauter Unbekannte! Sogar ein Roter dabei! Habe etwas andres gedacht!«
»Habt in uns wohl Vorgesetzte oder so etwas Aehnliches erwartet?« lachte Old Shatterhand. »Millionenaktionäre, was? Nehmt es nicht übel, daß wir einfachen Menschen Eure Nachtruhe stören! Werden gleich weiterreiten; dann könnt Ihr wieder schlafen.«
»Weiterreiten? Dann seid Ihr wohl nur so etwas wie Jäger oder Fallensteller?«
»Allerdings.«
»Und da mutet mir mein Kollege zu, mitten in der Nacht mich eines – – –«
Er wurde unterbrochen. Der schmächtige Mann an der Tür war näher getreten und sagte: »Bin selbst auch neugierig, was für Mannskinder so mitten in der Nacht mit Sonderzug im wilden Westen – – –« Er hielt inne. Old Shatterhand hatte ihm den Rücken zugekehrt, drehte sich aber bei dem Klang dieser bekannten Stimme schnell um. Der Kleine erblickte sein Gesicht, unterbrach sich mitten in der Rede und rief: »Old Shatterhand! Old Shatterhand!«
»Der Hobble-Frank!« antwortete dieser, grad ebenso erstaunt.
»Und Winnetou! Winnetou!« rief Frank weiter, als er nun auch den Apatschen erkannte.
»Uff!« antwortete dieser. Er sagte nur dieses eine Wort, aber es lag in dem Ton desselben alles, was er bei dieser unerwarteten Begegnung empfand.
»Wahrhaftig, sie sind es! Old Shatterhand und Winnetou!« wiederholte der Kleine begeistert. »Kommt in meine Arme; kommt an mein Herz, Mesch'schurs!« Er schlang seine Arme bald um den einen, bald um den andern und rief dabei dem Beamten zu: »Seht, Mister Engineer, das sind die beiden hochberühmten Westmänner, von denen ich Euch während des ganzen heutigen Abends erzählt habe. Wie hätte ich ahnen können, daß ich sie so schnell danach hier treffen würde!«
Der Engineer hatte eine ganz andre Haltung angenommen; er antwortete verbindlich: »Dieser Eurer Erzählung hätte es gar nicht bedurft, Mister Frank. Ich kenne diese beiden Gentlemen schon seit langer Zeit, allerdings nur ihrem Ruf nach, der durch die ganzen Staaten geht. Ich eile, alle meine Leute zu wecken und – – –«
»Halt!« unterbrach ihn da Old Shatterhand. »Wir wünschen unerkannt zu bleiben. Die Gründe dazu werdet Ihr bald erfahren. Wir wollen nicht lange hier rasten; da wir aber unsern guten Frank so unerwartet getroffen haben, wird es wohl ein Stündchen oder auch noch länger dauern, bis wir fortreiten. Also sagt, habt Ihr einen Ort, wo wir unsre Pferde sicher einstellen können?«
»O, Mister Shatterhand, ich werde Eure Pferde grad wie Menschen behandeln, denn ich weiß, was für edle Tiere Ihr und Winnetou reitet. Wir nehmen sie mit herein in die Halle, wo ihr, wenn ich euch darum bitten darf, die Güte haben werdet, meine Gäste zu sein.«
Was er »Halle« nannte, war das schon erwähnte langgestreckte Gebäude. Der erleuchtete Teil desselben bildete den Restaurationsraum für die dermaligen Bewohner von Rocky-Ground. Daneben gab es ein Gelaß zur Aufbewahrung besserer Güter; es war jetzt leer, und hier wurden die Pferde untergebracht. Man hatte sie also fast unter den Augen und konnte ihrer sicher sein.
Als sie hierauf in die Restauration traten, erhob sich der Boardkeeper Wirt. verschlafen hinter seinem Tisch. Er war nicht zu Bett gegangen, weil er geglaubt hatte, von den erwarteten Gästen etwas zu verdienen.
Noch ehe man sich setzte, hielt es Old Shatterhand für angezeigt, Kas und Has mit dem Hobble-Frank bekannt zu machen. Er sagte also zu dem letzteren in deutscher Sprache: »Lieber Frank, es ist mir vergönnt, in diesen beiden Herren zwei Landsleute vorzustellen.«
»Was, wirklich? Also Deutsche?«
»Sogar Sachsen!«
»Is es die Möglichkeet! Sachsen? Woher denn?«
»Hier Herr Hasael Benjamin Timpe aus Plauen im Voigtland.«
»Das freut mich ungeheuer, ja wirklich ungeheuer. Und der andre Herr?«
»Ist Herr Kasimir Obadja Timpe, ein Vetter von ihm aus Hof.«
»Aus Hof? Hm! So so! Das gehört doch eegentlich nach Bayern; es liegt also eene geographisch-ornithologische Landkartenverwechslung vor. Aber in diesem Fall macht es keenen Schaden, weil die Eisenbahnlinie von Plauen nach Hof ganz sächsisch is. Ich kann also Herrn Kasimir Obadja immerhin als Landsmann gelten lassen. Welcher von den beeden ist denn eegentlich der wirkliche Vetter, der eene oder der andere?«
»Beide, lieber Frank, natürlich beide.«
»Alle beede also? Hm, ja! Schwer auseinanderzuhalten! Hoffentlich gibt es nich noch mehr Leute, welche ooch Timpe heeßen!«
Die beiden Vettern hatten schon von den Eigenheiten des Hobble-Frank gehört, weshalb Kas lächelnd antwortete: »O, Timpes gibt's noch mehr. Nämlich Rehabeam Zacharias Timpe, Petrus Micha Timpe, Markus Absalom Timpe, David Makkabäus Timpe, Tobias Holofernes Timpe, Nahum Samuel Timpe, Josef Habakuk Tim – – –«
»Alle guten Geister! Wenn Sie jetzt nur noch een eenziges Mal Timpe sagen, schieße ich Sie geradewegs über den Haufen; ich muß mein Leben retten! Tun Sie mir den Gefallen, und schreiben Sie an das sächsische Ministerium, um sich eenen andern Namen herüberschicken zu lassen, sonst kann, ich unmöglich mit Ihnen verkehren!«
»Das können wir uns leichter machen. Wir lassen uns nämlich von guten Freunden bei den abgekürzten Vornamen nennen, also Kas und Has anstatt Kasimir und Hasael. Wollen Sir?«
»Ja, das lasse ich mir eher gefallen; so eenen guten Freund sollen Sie gern an mir haben. Setzen wir uns jetzt, und – – – ah, was is denn das?«
Diese Frage galt den vollen Tellern und Flaschen, die der Keeper jetzt auf den Tisch stellte; er winkte nach dem Engineer hin, und dieser erklärte, daß er es für eine hochgeschätzte Ehre halten würde, wenn die Gentlemen seine Gäste sein wollten. Nach amerikanischer Ansicht wäre es eine große Beleidigung gewesen, diese Einladung zurückzuweisen; darum wurde sie angenommen. Hobble-Frank und die Timpes sprachen den Gaben wacker zu; Old Shatterhand aß wenig und nahm nur ein Gläschen Wein; Winnetou verzichtete ganz auf den Trank. Er wußte gar wohl, daß das »Feuerwasser« der größte Feind des roten Mannes ist, und, fügen wir hinzu, des weißen Mannes auch!
Während des Mahles wogte die Unterhaltung erregt hin und her. Old Shatterhand wollte vor allen Dingen wissen, welchem Umstand er sein heutiges Zusammentreffen mit Frank zu verdanken habe. Dieser antwortete: »Wenn man zu Hause mal an Ihre Tür klopft, um Sie zu besuchen, sind Sie gewöhnlich ausgeflogen. Man muß Ihnen also nachfliegen, wenn man mit Ihnen schprechen will. Ich hatte verschiedene kleene Anliegen an Sie und setzte mich also offs Elbschiff, um zu Ihnen zu fahren. Als ich ankam, waren Sie fort, und man sagte mir, daß Sie herüber seien, um mit Winnetou zusammenzutreffen. Aber wo, das wußte man nich. Da packte mich das Savannenfieber; ich schloß meine Villa ›Bärenfett‹ und dampfte Ihnen nach. Ich wußte ja, daß ich bei den Mescalero-Apatschen gewiß erfahren würde, in welcher Gegend Sie zu finden sind. Wir fuhren so weit, wie es ging, den Arkansas hinauf, und nahmen dann Pferde, um über Santa Fé nach dem Rio Pecos zu reiten.«
»Wir? Du bist also nicht allein?«
»Nee. Mein Vetter Droll war natürlich mit.«
»Die gute ›Tante Droll‹? Wo steckt er denn? Wo hast du ihn gelassen?«
»Ich habe ihn gar nich gelassen. Und wo er schteckt? Im Bette!«
»Aber, Frank, warum weckst du ihn denn nicht?«
»Weil dem lieben Kerl das bißchen Schlaf zu gönnen is. Er is nämlich krank.«
»Krank? Da muß ich ihn sehen! Hier im wilden Westen krank, das ist etwas ganz andres als daheim! Ist's gefährlich?«
»Gefährlich nich, aber sehr schmerzhaft, wie es scheint. Wir sind wegen der Schmerzen, die Droll auszustehen hatte, mit Ach und Krach bis nach Fort Manners gekommen, wo es eenen Arzt gab, der ihn untersuchen mußte. Der erklärte die Krankheit für Pain in the hip Hüftweh, Ischias..«
»Aber man hat doch früher bei Droll von dieser Krankheit nichts gemerkt; sie ist also neu bei ihm?«
»Ja, er hat sie jetzt zum erschtenmal.«
»Hat der Arzt die Ursache herausgefunden?«
»Der? Das hat er gar nicht nötig, denn ich habe sie ihm gesagt.«
»Du?«
»Ja, ich! Oder meenen Sie etwa, daß ich so etwas, was klar off allen Fingern liegt, nich sehen kann? Da müßte ich doch mit ägyptologischer Blindheit geschlagen sein!«
»Nun, worin besteht diese Ursache?«
»Sie beschteht in eenem Pferde, welches sich das Schtolpern nich abgewöhnen kann.«
»Wieso?« fragte Old Shatterhand ernsthaft, obgleich er das Lachen verbeißen mußte.
»Ich habe bereits gesagt, daß wir von Arkansas aus zu Pferde waren. Mein Tier war nich übel und ich habe es heute noch; mit Drolls Gaul aber waren wir betrogen worden; er war een Schtolperer, wie er im Buche steht. Geschtolpert mußte nämlich sein, und wenn es keenen Graben, keenen Steen und keene Wurzel gab, der oder die im Wege lag, da stolperte das Vieh wenigstens über seine eegenen Beene weg.«
»Wer kauft aber auch so ein Tier!«
»Wenn man een Pferd haben muß und nur een Schtolperer zu haben ist, was macht man da? Und schtolpern tat die Bestie, das is nich abzuleugnen.«
»Aber es will mir noch immer nicht gelingen, dieses Stolpern mit der Ischias in Verbindung zu bringen.«
»Das is eene ganz dumme Geschichte, und sie kam ganz plötzlich wie vom Himmel herunter. Wir ritten zwischen Büschen im hohen Gras, ganz fröhlich und wohlgemut, und ahnten nich, daß das verderbliche Schicksal in der Geschtalt eenes im Grase verborgenen Boomschtumpfes über unsern Häuptern schwebte. Da schtolpert Drolls Racker mit den Vorderbeenen und tut vor Schreck eenen gewaltigen Satz zur Seite. Droll, der ohne jede blasse Idee ganz leicht und locker im Sattel sitzt, wird abgeworfen, und zwar so, daß er off den Schtumpf grad und genau so wie off eenen Schtuhl zu sitzen kommt. Dabei gab's zweeerlee zu hören, nämlich eenen lauten Schrei und eenen gewaltigen Krach. Den Schrei hat Droll ausgestoßen; aber wer so gewaltig gekracht hat, ob Droll oder ob der Boomstummel, das is ungewiß. Ich gloobe aber, Droll is es ooch gewesen, denn seine Glieder scheinen selbst heute noch nicht ganz richtig an Ort und Schtelle zu sein. Er konnte nicht offschtehen; ich war ihm zwar behilflich, sich aus dem niedrigen Erdgeschoß in een höheres Stockwerk zu erheben, aber er sank immer wieder in sein eegenes, schmerzliches Selbst zusammen. Er quoll von Seufzern über, so daß der Wunsch, an seiner Schtelle zu sein, in meinem ooch gefühlvollen Innern tief verschlossen blieb. An alledem war der vermaledeite Schtolperer schuld.«
Der gute Frank erzählte dies nicht etwa deshalb, um seine Zuhörer zu unterhalten, in so drastischer Weise, sondern es lag das so in seiner Eigenheit. Er war von Mitleid mit seinem Vetter Droll durchdrungen und ahnte nicht, daß seine Darstellung geeignet war, eher Lachen als Mitleid zu erregen. Die beiden Timpe hingen mit ihren Blicken an dem kleinen Kerl, und es war ihnen deutlich anzusehen, daß er ihnen gefiel.
»Ich beginne, es zu begreifen,« sagte Old Shatterhand. »Erzähle weiter!«
»Was nun folgt, is noch schmerzlicher als das bisherige: ich habe mir alle mögliche Mühe gegeben, meinen Droll wieder in das richtige Geschick zu bringen; ich habe an seinen Beenen gezerrt und gezogen; ich habe sie geschüttelt und gerieben; ich habe ihn hinten geschoben und gestoßen, bis er endlich aufgesprungen is, aber vor Schmerzen, sagte er, und nicht etwa deshalb, weil es besser geworden war. Dann habe ich ihm mühsam off das Pferd geholfen, off das meinige nämlich und nich off das seinige, denn er hat von Stund an das Schtolpern nicht mehr vertragen. Sein bleiches Gesicht is zusammengefallen; seine Oogen sind in ihre Höhlen zurückgetreten, und seine Geschtalt hat in zwee Tagen gewiß fünf oder sechs Pfund verloren. Zwee ganze Tage; nun denken Sie sich! So lange haben wir zugebracht, bis wir in Fort Manners ankamen. Diese zwee Tage vergesse ich in meinem ganzen Leben nich! Dieses Ach und Weh! Dieses Seufzen und Klagen! Dieses Wimmern und Leiern! Mir wollte das Herz in Schtücke zerbrechen, doch schtolperte ich off meinem Gaul immer mutig und ergeben nebenher. Die Schmerzen schteigerten sich in der Weise, daß ich meinem Schöpfer dankte, als wir das Fort endlich in Sicht bekamen. Dort machte sich der Arzt über ihn her, mit Schröpfköpfen, Senfteigen und spanischen Fliegen; der arme Teufel hat sogar Terpentinöl trinken müssen!«
»Ist es besser geworden?« fragte Old Shatterhand.
»So nach und nach. Als eene Woche vergangen war, hatten wir ihn so weit, daß an eenen langsamen Weiterritt zu denken war. Er hat es ausgehalten, bis hierher, fühlte aber, als wir hier ankamen, daß er sich wenige Tage Ruhe gönnen müsse.«
»Wie lange seid ihr nun hier?«
»Seit vorgestern. Morgen wollten wir wieder fort.«
»Wohin?«
»Nach Santa Fé.«
»Das sagtest du schon; ich meine aber, wohin ihr zunächst von hier aus wolltet.«
»Ueber den Alder-Spring nach der Roofside hinauf.«
»Hm.«
»Warum hmsen Sie?«
»Weil der ›schwarze Mustang‹ mit einer bedeutenden Komantschenschar morgen dort sein wird. Ihr wäret ihm wahrscheinlich in die Hände geritten.«
»Der ›schwarze Mustang‹, der ›Jägerschinder‹?« fragte der Engineer erschrocken. »Was hat er am Alder-Spring zu suchen, so nahe bei uns? Sollte das vielleicht uns hier gelten, Mister Shatterhand?«
»Nein, nicht euch, sondern Winnetou und mir. Er weiß, daß wir dorthin kommen wollen, und will uns abfassen.«
» All Devils! Welch ein Glück, daß ihr das erfahren habt! Nun werdet ihr euch natürlich hüten, hinzureiten?«
»Im Gegenteil: wir reiten nun grad erst recht hin und es ist leicht möglich, daß auch Ihr hinkommt.«
»Ich? Na, wenn ich aufrichtig sein soll, so will ich Euch sagen, daß ich mich sehr darüber freuen würde, wenn ich Gelegenheit fände, diesen Halunken einige Pfund Pulver auf die roten Häute zu knallen, aber an den Haaren herbeiziehen würde ich diese Gelegenheit doch nicht.«
»Ist auch gar nicht nötig, denn es kommt ganz von selbst. Es handelt sich nämlich um Euren Kollegen und seine Leute im Firwood-Camp: er soll von den Komantschen überfallen werden. Das ist der Grund, weshalb wir im Sonderzug zu Euch gekommen sind. Wir wollen uns Eure Hilfe erbitten.«
»Die sollt Ihr haben, voll und gern. Darum also, darum! Ja, dieser gute Kollege ist zwar ein ganz tüchtiger Engineer, aber in Indianersachen weder erfahren noch ein Held. Er kann sich aber auf mich und meine Leute verlassen.«
»Wieviel Arbeiter habt Ihr hier?«
»Gegen neunzig, lauter Weiße, die gut dreinschlagen können und mit ihren Gewehren umzugehen verstehen. Aber wollt Ihr mir nicht sagen, wie die Sache gekommen ist und wie sie steht? Bin neugierig, was Ihr erzählen werdet.«
Der Engineer war tatkräftiger und mutiger als sein Kollege im Firwood-Camp, und Old Shatterhand hegte die Ueberzeugung, in ihm einen tüchtigen Helfer zu finden. Er beschrieb ihm die Ereignisse des vergangenen Abends, zog seine Schlüsse daraus und erklärte die Absichten, die er nun verfolgte. Als er geendet hatte, sprang der Engineer auf, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Topp, Sir, schlagt ein! Ihr sollt mich und alle meine Leute haben, jetzt gleich oder später, ganz so, wie Ihr wollt.«
Und der Hobble-Frank ließ sich in seiner deutschen Muttersprache also vernehmen: »Mich auch! Diesem dunkelschwarzen ›Mustang‹ soll sein letztes Brot gebacken sein! Wenn ich eenmal grimmig bin, da bin ich richtig grimmig. Jetzt gehe ich, um noch eenen brauchbaren Helden unseres neunzehnten Jahrhunderts zu holen, der dabei nich fehlen darf.«
Er stand auf und verschwand durch den Ausgang. Als er nach kurzer Zeit zurückkam, brachte er Droll mit. Man sah es diesem an, daß er in der letzten Zeit gelitten hatte, doch waren seine Augen munter und seine Bewegungen ließen nicht darauf schließen, daß er gegenwärtig Schmerzen leide. Er freute sich riesig über das ebenso unerwartete wie wunderbare Zusammenfinden und erklärte, unbedingt mit nach dem Alder-Spring reiten zu wollen, sein Zustand möge es gestatten oder nicht.
Dies gab Winnetou, der bis jetzt kein Wort gesprochen hatte, Gelegenheit, eine Reihe von Fragen an ihn zu richten, welche bewiesen, daß der Apatsche bedeutende Kenntnisse über den Bau und die Krankheiten des menschlichen Körpers besaß. Es stellte sich heraus, daß es sich bei Droll wirklich um Ischias handelte, und zwar infolge des Falles vom Pferde. Winnetou stand auf, zog seine kleine Ledertasche heraus, worin er allerlei Arzneizeug mit sich zu führen pflegte, sah den Inhalt durch und sagte dann in seiner ruhigen Weise: »Mein Bruder Droll mag mich zu seinem Lager führen; sein Leiden soll ihn nicht mehr belästigen!«
Er ging mit ihm fort. Schon nach kurzer Zeit hörten die Anwesenden einen schrillen, durchdringenden Schrei.
»Das war Droll!« rief der Hobble-Frank aus. »Was hat Winnetou mit ihm vor? Ich muß hin zu meiner Tante Droll, denn so een Schrei, der schneidet mir grad wie een Sägwerk durch die Seele.«
Er sprang auf und wollte fort; Old Shatterhand aber hielt ihn fest und sagte: »Bleib hier, lieber Frank! Winnetou weiß ganz wohl, was er tut, und grad für derartige Leiden gibt es bei den Indianern Mittel, von denen selbst unsre besten Aerzte keine Ahnung haben!«
Gleich darauf trat, wie um diese Worte zu bestätigen, Winnetou wieder ein und sagte: »Unser Bruder Droll mußte einen sehr starken, aber auch sehr kurzen Schmerz erleiden, um schnell geheilt zu werden. Jetzt ruht er von ihm aus, aber schon nach einer Stunde wird er so gesund sein, wie er gewesen ist.«
Nach Verlauf der angegebenen Zeit stellte es sich heraus, daß Winnetou recht gehabt hatte. Droll kam und erklärte in seiner Altenburger Mundart: »Is das nich großartig, meine Herre? Ich fühle mich, als ob ich neugebore wäre. Was Winnetou gemacht hat, das weeß ich nich; aber ob er die Nerve nur ausgedehnt oder ganz zerrisse hat, das is mir egal. Nu kann ich wieder reite, und der ›schwarze Mustang‹ soll erfahren, daß die Tante Droll noch derb an ihrem Platze is!«
Der Ua-pesch, an dessen Fuß die Station Rocky-Ground lag, war bis zu seiner Höhe mit dichtem Wald bestanden. Die Wasser dieses Berges sammelten sich unten zu einem ziemlich breiten Bach, welcher südöstlich floß und später nach Norden bog. An dieser Biegung vereinigte sich mit ihm ein kleinerer Bach, der am Fuße eines andern Berges entsprang, welcher schon damals Corner-Top Eckgipfel. hieß und auch heut noch diesen Namen führt.
Die erwähnte Bezeichnung hatte ihren guten Grund. Sowohl der Ua-pesch wie auch der Corner-Top bildeten Ecken; sie waren die Endberge zweier langgestreckter Höhenzüge, die zwischen sich ein breites und sehr langes Tal einschlossen, dessen Krümmungen so zahlreich waren, daß die Eisenbahningenieure es vorgezogen hatten, nicht ihm zu folgen, sondern zwischen Firwood-Camp und Rocky-Ground einen kürzeren Weg durch die Felsen zu sprengen. Denn Firwood-Camp lag unweit des Anfangs dieses Tals, von ihm nur durch eine Querberglagerung getrennt.
Von da oben herunter, also dieses vielgewundene Tal entlang, mußten die Komantschen kommen, denn es gab für sie keinen andern Weg nach dem Alder-Spring. Diese Quelle lag, von hohen Erlen umgeben, am Fuße des Corner-Top und bildete später den vorhin erwähnten kleinen Bach, der sich mit dem größeren an dessen Biegung vereinigte. Hatte das Tal die beiden Endberge hinter sich, so bildete es eine weite, ebene Prärie, durch welche die vereinigten beiden Wasserläufe flossen. Aus deren saftigen Gras erhoben sich Büsche, die wie Kulissen vor- und hintereinander geschoben erschienen und das Anschleichen oder Verbergen selbst größerer Trupps ungemein begünstigten.
Vergegenwärtige man sich, was im Firwood-Camp geschehen war, und was für Absichten die Beteiligten hegten, so war es nicht schwer, vorauszusehen, was der heutige Tag zu bringen hatte.
Die Komantschen waren überzeugt, daß Old Shatterhand und Winnetou nach dem Alder-Spring reiten würden, und hatten sich vorangemacht, sie dort zu erwarten und gefangen zu nehmen. Um dies zu erreichen, mußten die Roten bei Männern, wie die beiden Genannten waren, außerordentlich vorsichtig sein. Diese letzteren durften nicht ahnen, daß die Komantschen sich an der Erlenquelle befanden, und auch bei ihrer Ankunft durfte kein Umstand verraten, daß der ›schwarze Mustang‹ mit seiner Schar anwesend sei. Darum verstand es sich von selbst, daß die Indsmen sich nicht geradewegs nach der Quelle begaben, sondern sich in deren Nähe verbergen würden; aber wo, das war die wichtige Frage.
Für Winnetou und Old Shatterhand war es nicht schwer, sich in die Gedanken und Berechnungen ihrer Gegner zu versetzen. Weil der Alder-Spring auf der rechten Seite des Tales lag, verstand es sich ganz von selbst, daß sich die Indianer nach der linken halten und eine Strecke hinaus in die Prärie reiten würden, um dann umzukehren und von der entgegengesetzten Seite zu kommen. Auf diese Weise wurde es vermieden, durch verräterische Spuren Verdacht zu erregen. Von der Prärie her in der Nähe der Quelle angekommen, würden sich die Komantschen verstecken, um ihre Gegner zu erwarten, zu beschleichen, zu umzingeln und dann zu überfallen. Wer den Indsmen zuvorkommen und sie selbst beobachten wollte, mußte also noch weiter als sie in die Prärie hinausreiten und einen noch bedeutenderen Bogen schlagen. Das war es, was Old Shatterhand und Winnetou sich sagten, und aus diesem Grunde geschah es, daß sie nach ihrem Aufbruch von Rocky-Ground nicht dem Ua-pesch entlang ritten, sondern, sobald es Tag geworden war, weit nach links abschwenkten und den Weg hinaus in die Savanne nahmen.
Es war nach dem gestrigen Gewitter heut ein wunderschöner Morgen angebrochen. Die Sonnenstrahlen verwandelten jeden Tropfen, der an den Halmen oder Blättern hing, in einen Brillanten; die Luft war kräftig, frisch und rein, und die Natur lag rundum in jungfräulicher Schönheit schweigend ausgebreitet. Ein Ritt durch solch eine Gegend und solch einen Morgen mußte ein Hochgenuß für jeden Menschen sein – – – nur nicht für einen Westmann, der die Absicht hatte, feindliche Indianer zu beschleichen. Das zeitweilige Schnauben und Stampfen der Pferde wurde von der heutigen Luft weit fortgetragen, und das feuchte, schwere Gras hatte eine Fährte zur Folge, die vielleicht noch am Abend deutlich zu lesen war. Das sind Umstände, die einem Savannenmann sehr gefährlich werden können.
Die sechs Reiter hatten den Ua-pesch genügend weit hinter sich, darum bogen sie jetzt in der Absicht, sich dem Corner-Top zu nähern, nach Süden um. Der Alder-Spring lag an der Westseite dieses Berges; Winnetou und Old Shatterhand ritten so, daß sie ihn von Osten erreichen mußten; auf diese Weise verhinderten sie, daß ihre Spuren später von den Roten gesehen werden konnten. Der Corner-Top war auf seiner Höhe nicht voll und ganz bewaldet, es gab da Stellen, von denen aus man weithin Umschau halten konnte, und so war es also gar nicht schwer, die Ankunft der Komantschen zu bemerken.
Endlich war der Bogen quer durch die Prärie geschlagen und der Berg an seinem östlichen Fuße erreicht. Es wurde ein gutes Versteck gesucht und gefunden, wo die vier andern mit den Pferden sich verbergen konnten, während Winnetou und Old Shatterhand nach oben stiegen, um von dort aus das Tal zu überwachen.
Vier Sachsen miteinander im wilden Westen, in einem Dickicht des Corner-Top! Gewiß ein seltener Zufall! Der Hobble machte darüber die Bemerkung: »Es is grad, als hätte uns das Schicksal absichtlich zusammengeleimt.«
»Sie haben recht, lieber Frank,« bestätigte Has.
»Das will ich meenen. Ich habe nämlich immer recht. In dieser Beziehung werden Sie mich bald durchschauen, während ich in jeder andern Beziehung merschtenteels undurchdringlich bin. Für gewöhnlich halte ich meine Geistesblitze in ihrer Kapsel eingeschlossen, und nur selten können Menschen in die Tiefen meines Verschtandes Eindringen und die dortigen Schätze wie off den Fittichen eines Paternosterwerkes herausholen. So eene bevorzugte und weihevolle Schtunde is in diesem Oogenblick für euch gekommen. Ihr werdet nämlich gern wissen wollen, off welche Weise wir heut mit den Komantschen fertig zu werden gedenken. Ich bin gern bereit, euch die nötigen Offschlüsse angedeihen zu lassen und erteile euch die Erlaubnis, euch mit euren Fragen vertrauensvoll an mich zu wenden. Schprich du zuerscht, lieber Vetter Droll!«
Droll kannte den Wert der Aufschlüsse, die zu erwarten waren, darum schüttelte er den Kopf und sagte: »Warum denn ich zuerscht, lieber Frank? Ich bin gern bereit, den Vorrang diesen beeden andern zu überlassen. Der Mensch soll höflich sein.«
»Da haste recht! Ich habe eenen Professor der Zoologie gekannt, der sagte immer: ›Die Höflichkeit ist diejenigte Angewohnheit, die mer sich nich abgewöhnen soll.‹ Und was so een Fachmann sagt, das hat schtets guten Grund und Boden. Also mag nun Kas mal sagen, was er von mir wissen will.«
»Ich?« fragte der Genannte. »Ich will nichts wissen!«
»Was? Nischt, gar nischt? Is das möglich?« fragte Frank in höchster Verwunderung.
»Gar nichts,« nickte Kas.
»Und Sie, Has?«
»Auch nichts,« antwortete dieser.
»Ooch nischt? Sprechen Sie etwa im Ernst?«
»Gewiß.«
Da machte Frank zunächst ein Gesicht, als ob etwas ihm vollständig Unbegreifliches geschehen sei; dann nahmen seine Züge den Ausdruck des Bedenkens und hierauf des Zornes an und er rief erbost aus: »Is so etwas die Möglichkeet? Hat jemals schon een Mensch so was erlebt? Nischt wollen sie von mir wissen, gar nischt! Kann es denn wirklich existierende Menschen geben, die von dem Prärie- und Bärenjäger Heliogabalus Morpheus Edeward Franke nischt zu hören und nischt zu lernen haben? Da liegen wir im Hinterhalt, um die Indianer zu belauschen; wir haben die Absicht, sie zu überlisten und zu besiegen, diese Absicht kann nur durch die Mitwirkung meiner erfahrenen Persönlichkeit in die unschätzbarste Erfüllung gehen, und da leben menschliche Wesen off der Erde, die der Ansicht sind, daß sie nischt von mir zu hören brauchen ...!«
Während sich diese launische Unterhaltung unten im Versteck weiter spann, erreichten Old Shatterhand und Winnetou den Gipfel des Corner-Top. Dort gab es, wie bereits erwähnt, mehrere lichte Stellen, von denen aus man eine weite Fernsicht hatte. Eine dieser Lichtungen, die nach Westen lag, war außerordentlich geeignet für den Zweck der beiden Freunde. Man konnte von hier, oben aus das Tal, worin die Komantschen herabkommen mußten, bis zu seiner nächsten Krümmung, die weit über eine englische Meile entfernt war, vollständig überblicken. Hier ließen sie sich nieder.
Sie saßen wortlos nebeneinander, eine Stunde, zwei, ja drei Stunden lang, und keiner hielt es für nötig, auch nur eine Silbe hören zu lassen, obgleich sie einem Ereignis entgegensahen, bei dem es sich um Tod und Leben handelte. Hätte es jemand gegeben, der sie unbemerkt beobachtete, der wäre sicher der Meinung gewesen, daß sie von keiner andern Absicht hierhergeführt worden seien als von derjenigen, sich da niederzulegen und auszuruhen. Keine Bewegung ihrer Gesichter, kein Blick ihrer Augen verriet, daß ihre ganze Aufmerksamkeit scharf nach Westen gerichtet war, und daß auf der ganzen Strecke, so weit das Tal überblickt werden konnte, nichts ihren scharfen Sinnen zu entgehen vermochte. Es ist die große Kunst des Westmanns, selbst bei der äußersten Anspannung aller seiner Fähigkeiten und Gefühle äußerlich vollständig teilnahmlos zu erscheinen. Es gibt oder gab manchen berühmten Savannenläufer, der seine schönsten Erfolgs und seine Errettung aus den größten Gefahren hauptsächlich dem Umstand zu verdanken hatte, daß er sein ganzes Aeußere, jedes Glied seines Körpers so in der Gewalt hatte, daß man ihm das, was er dachte oder empfand, was er erstrebte oder zu leisten vermochte, unmöglich zutrauen konnte.
Die beiden hatten die Lider tief gesenkt, und weil sie keines ihrer Glieder bewegten, hatte es den Anschein, als ob sie schliefen; trotzdem aber war es sicher, daß sie ganz genau die Drossel hörten, welche hinter ihnen, wohl zwanzig Schritte entfernt, einen Wurm aus der Erde zog, und daß sie ebenso deutlich den Aasgeier sahen, der jetzt wie ein halb handgroßer Punkt am westlichen Himmel erschien.
»Uff« sagte Winnetou einfach.
» Well!« nickte Old Shatterhand ebenso einfach, »sie kommen.«
Trotz dieser Worte war kein lebendes Wesen in dem Tal zu sehen, das noch grad so leer und öde lag wie zuvor; aber die Art und Weise, wie der Geier sich in der Luft bewegte, verriet dem Kenner, daß sich unter ihm irgendwelche Wesen befinden mußten, von denen er Beute erwartete. Er schwebte noch etwas links über der Talkrümmung, kam ihr aber schnell näher. Als er sie erreicht hatte und sich gerade über ihr befand, bog ein Reiter unter ihm um die Ecke, blieb einen Augenblick halten, um das Tal zu überblicken, und ritt dann, als er nichts Verdächtiges bemerkte, weiter; ihm folgten zwei, fünf, zehn, zwanzig, vierzig, achtzig und noch mehr Reiter, welche deutlich zu erkennen waren, obgleich der Entfernung wegen ihre Pferde nur die scheinbare Größe von kleinen Hunden hatten. Wie außerordentlich scharfe Augen Winnetou besaß, bewies er dadurch, daß er trotz dieser Kleinheit sagte: »Sie sind es wirklich, die Komantschen.«
»Ja,« stimmte Old Shatterhand bei. »Tokvi Kava reitet an ihrer Spitze.«
»Dieser Häuptling der Komantschen bildet sich ein, ein außerordentlich schlauer Krieger zu sein, und begeht doch einen Fehler, den weder ich noch mein Bruder Shatterhand begreifen kann.«
» Well. Er kommt vom Firwood-Camp und ist der Ueberzeugung, daß auch wir heut früh dort aufgebrochen sind und hinter ihm kommen werden. Dabei denkt er nicht daran, daß wir die Spuren, welche seine Krieger in dem feuchtschweren und hohen Grase zurücklassen, bemerken müssen. Lächerlich!«
Auch über das sonst so ernste und unbewegte Gesicht des Apatschen glitt ein leises, halb verächtliches und halb mitleidiges Lächeln, als er hinzufügte: »Und dabei will er Old Shatterhand und Winnetou fangen! Uff!«
»Schau, sie tun genau so, wie wir dachten: sie wenden sich nach der andern Seite des Tales, damit wir, wenn wir nach ihnen kommen, nicht denken sollen, daß sie eigentlich herüber an den Corner-Top und nach dem Alder-Spring wollen, um uns da abzufangen.«
Die Komantschen ritten an der jenseitigen Talwand hin, bis sie den äußersten Fußpunkt der Ua-pesch erreichten; aber auch da änderten sie ihre Richtung nicht, sondern sie zogen in die Prärie hinaus, als ob sie nach einem entfernten Ziel ganz über diese hinaus wollten.
»Sie werden nach einiger Zeit den von uns vermuteten Bogen schlagen und hierherkommen,« fuhr Old Shatterhand fort. »Einer von uns beiden muß hinab, um ihnen zu folgen, der andre hat noch hier oben zu bleiben.«
Er sagte nicht, warum der andre noch bleiben sollte, aber Winnetou erriet es sofort, denn er neigte zustimmend seinen Kopf und sagte: »Um auf Ik Senanda aufzupassen, der die weißen Männer von der Bahn des Feuerrosses betrügen und verraten wollte. Er ist gestern abend den Komantschen nach und hat sie wegen der Finsternis nicht finden können, doch weil er den Weg kennt, wird er heut, als es hell geworden war, auf ihre Spur gestoßen sein und bald nach ihnen hier eintreffen. Mein weißer Bruder mag hier warten, um ihn kommen zu sehen; ich steige hinab, um zu erfahren, welches Versteck die Komantschen wählen.«
Er ging, und Old Shatterhand blieb allein zurück. Es verstrich wieder eine Stunde und abermals eine, ohne daß der erwartete Mestize erschien. Er hätte eigentlich nun da sein müssen, doch verlor der Beobachter nicht die Geduld, denn es waren zehn und hundert verschiedene Veranlassungen möglich, welche geeignet waren, den verräterischen Halbindianer unterwegs festzuhalten. Nach abermals einer halben Stunde endlich sah er ihn kommen und der Fährte der Komantschen nach der gegenüberliegenden Seite des Tales folgen. Da der Scout auf dieser Spur ritt, mußte er den ganzen Umweg der Komantschen hinaus in die Prärie machen; er konnte also kaum eher als in einer Stunde unten am Corner-Top eintreffen. Old Shatterhand durfte nun seinen Posten verlassen und stieg so rasch wie möglich zu seinen Gefährten hinab. Er fand sie da, wo er sie verlassen hatte und Winnetou war bei ihnen. Als er berichtete, daß er das Halbblut habe kommen sehen, bemerkte der Apatsche: »Er hat sich sehr verspätet. Ahnt mein Bruder, was ihn aufgehalten hat?«
»Es gibt viele Gründe, die seinen Ritt verlangsamt haben können,« antwortete Old Shatterhand.
»Vielleicht ist er nicht gezwungen worden, sondern hat sich freiwillig verweilt.«
»Hm. Du meinst, daß er sich nach seiner eiligen Flucht vom Camp eines andern besonnen und wieder umgekehrt ist, um uns zu belauschen? Würde gar nicht schaden!«
»Was sagen Sie da?« fragte der Hobble-Frank, als er diese Worte hörte. »Von eenem Feinde beobachtet zu werden, is aber doch schtets eene Sache, für die man sich bedanken muß?«
»Nein, wenigstens in diesem Falle nicht.«
»Das is mir so unverschtändlich, daß ich es nich begreifen kann, obgleich ich sonst een sehr offenes Gemüt und eene noch viel öffentlichere Fassungsgabe besitze. Wenn er uns belauscht hat, so weeß er doch zum Beispiel, daß wir gar nich das Tal heruntergeritten kommen, weil wir mit der Eisenbahn gefahren sind.«
»Wenn er das wüßte, grad dieses wäre mir lieb. Du wirst wahrscheinlich die Gründe bald erfahren. Ich werde mich jetzt mit Winnetou entfernen, um die Komantschen zu behorchen. Bleibt hier zurück, verhaltet euch still, und verlaß diesen Ort auf keinen Fall eher, als bis wir zurückgekommen sind!«
»Wenn Sie nu aber nich zurückkommen?«
»Wir kommen, wenigstens einer von uns; darauf könnt ihr euch verlassen.« Und sich an Winnetou wendend, fragte er diesen: »Weiß mein roter Bruder, wo die Feinde sich gelagert haben?«
»Ich weiß es,« antwortete der Häuptling der Apatschen.
»Ist es weit von hier?«
»Nein. Mein Bruder mag mir folgen!«
Sie legten die Gewehre, die sie sich anstelle ihrer gestohlenen vom Engineer ausgeborgt hatten und die ihnen beim Anschleichen hinderlich gewesen wären, ab und gingen. Winnetou führte seinen weißen Freund zunächst wohl zehn Minuten lang, ohne sonderliche Vorsicht anzuwenden, durch den Wald; dann erreichten sie eine Stelle, wo die stehenden Bäume aufhörten; desto mehr aber sahen sie gefallene Bäume vor sich liegen. Die Riesen des Waldes lagen aus der Erde gewuchtet, mit gewaltigen Wurzelballen und arg zerschmetterten Kronen wirr neben- und durch- und übereinander. Es war ein Windbruch, einer jener Hurrikane, die man im wilden Westen, besonders in seinen südlichen Gegenden, häufig findet. Hurrikan ist der plötzlich ausbrechende Orkan, der einen verhältnismäßig schmalen und scharf begrenzten Strich durcheilt und alles vor sich niederreißt, und Hurrikan nennt man auch den Verwüstungsbereich dieses Sturmes.
Zwischen den niedergeschmetterten und erstorbenen Stämmen war ein neuer, junger Pflanzenwuchs sehr dicht und schon ziemlich hoch aufgeschossen, so dicht, daß es selbst für ein Wild unmöglich schien, da durchzukommen.
»Hier durch?« sagte Old Shatterhand.
Winnetou nickte bejahend und fügte leise hinzu: »Links hier ist der Felsen; da können wir nicht hinauf; rechts draußen liegt die Prärie, wo die Pferde der Feinde grasen, da würden uns die Wächter sehen; jenseits des Hurrikan, der hier nicht über zweihundert Schritte breit ist, lagern die Krieger; wir müssen also durch.«
»Ist mein roter Bruder schon drüben gewesen?«
»Ja. Mein weißer Bruder wird sehr bald den tief versteckten Weg sehen, den ich mir habe bahnen müssen.«
»Weißt du, wo sich der Häuptling befindet?«
»Ich weiß es. Vielleicht kommen wir so weit an ihn, daß wir hören können, was er spricht.«
Er huschte einige Schritte am Rande des Windbruchs hin, legte sich dann auf die Erde nieder und schob sich in das dichte Zweig- und Blätterwerk hinein. Old Shatterhand zögerte nicht, ihm nachzukriechen. Da zeigte sich denn wieder einmal, welch ein unvergleichlicher Mann der Häuptling der Apatschen war. Er hatte in der kurzen Zeit mit dem Messer einen zwei Fuß breiten Weg gebahnt, die hindernden Aeste, Zweige und Schößlinge abgeschnitten und auf den Boden niedergedrückt und dabei so viel Laubwerk stehen lassen, daß es ein Dach über dem Schleichpfade bildete und ihn vollständig unsichtbar machte. Es war unmöglich gewesen, diesen Weg geradeaus zu führen; er bog bald nach dieser und bald nach jener Seite um die gestürzten Bäume herum, ging bald nach rechts und bald nach links, je nach den Schwierigkeiten, welche die Bodenform und der Pflanzenwirrwarr dem Apatschen entgegengesetzt hatten, und war eine Leistung von Kraft und Geschicklichkeit, die selbst Old Shatterhand in Staunen versetzte.
Da Winnetou so unvergleichlich vorgearbeitet hatte, brauchten sie ihre Messer jetzt nicht viel in Anwendung zu bringen und hatten vorzugsweise darauf acht zu geben, daß sich das Gesträuch nicht über ihnen bewegte und dadurch zum Verräter wurde. Sie fanden zwei Giftschlangen im Wege; die erste floh, und die zweite wurde durch einen schnellen, wohlgezielten Messerhieb des Apatschen getötet. Nach längerer Zeit nahm Old Shatterhand, dessen Nase die Luft langsam und prüfend einsog, den Rauch eines Lagerfeuers wahr; sie näherten sich dem Platze, wo sich die Komantschen befanden.
Nun ging es eine Strecke weiter bis zu einer Stelle, an welcher Winnetou dem heimlichen Pfad eine doppelte Breite gegeben hatte. Er winkte den Gefährten zu sich heran, bog die Schößlinge vorsichtig ein wenig auseinander und ließ Old Shatterhand durch die entstandene Lücke blicken.
Wie erstaunte dieser, als er Tokvi Kava nicht weiter als fünf Schritte vor sich liegen sah! Die beiden Lauscher befanden sich am Rande des Windbruchs und damit zugleich am Rande einer kleinen Einbuchtung der Prärie. Ein starker, abgestorbener Baumstamm ragte, am Boden liegend, zu ihrer Linken aus dem Wirrwarr des Hurrikans hinaus, und das unter ihm hervor- und neben ihm emporschießende Gras bildete ein weiches Lager, auf dem sich der Häuptling lang ausgestreckt hatte; er schlief. Weiterhin sah man seine Krieger liegen, gleichfalls schlafend; sie waren ermüdet und fühlten sich sicher unter dem Schutz der Wachen, die sie nach der Prärie hin ausgestellt hatten. Der Häuptling hatte nach der Gewohnheit aller Weißen und Roten im wilden Westen sein Gewehr griffbereit neben sich liegen. Am Baumstamm lehnte ein langer, schmaler Pack, dessen Hülle in der Decke Tokvi Kavas bestand, welche sorgfältig mit seinem Lasso umschlungen war. Old Shatterhands Augen blitzten, als er dieses Paket erblickte, und er raunte Winnetou zu: »In der Decke dort stecken unsere Gewehre!«
»Ja, der Häuptling schläft und alle andern schlafen; wir könnten sie uns holen.«
»Fällt uns nicht ein!«
»Howgh! Wir müssen sie jetzt noch liegen lassen, denn die Komantschen dürfen nicht ahnen, daß ihr Aufenthalt entdeckt ist. Es wird mir wirklich sehr schwer, aber wir müssen dem Gebot der Klugheit folgen. Horch! War das nicht ein Ruf?«
»Die Stimme eines Wächters,« nickte Winnetou. »Der Scout wird bei den Posten draußen angekommen sein.«
Der Ruf, den Old Shatterhand und Winnetou gehört hatten, wurde von mehreren Stimmen wiederholt. Die Schläfer erwachten und sprangen in die Höhe; auch der Häuptling richtete sich auf. Es war so, wie Winnetou gesagt hatte; der Mestize kam geritten. Als er den Häuptling sitzen sah, lenkte er sein Pferd zu ihm hin und stieg bei ihm ab. Tokvi-Kava sagte im Ton der Verwunderung: »Du bist es, Sohn meiner Tochter! Habe ich dir erlaubt, uns nachzueilen?«
Da nicht gleich eine Antwort erfolgte, fuhr er fort: »Habe ich dir nicht befohlen, die Bleichgesichter zu beobachten und bei ihnen auszuharren, bis wir kommen oder ich dir einen Boten sende?«
»Das hast du,« antwortete der Gefragte gelassen. »Aber der Vater meiner roten Mutter wird einsehen, daß ich nicht anders konnte.«
»Es müssen sich wichtige Dinge ereignet haben, daß du es wagst, vom Firwood-Camp hierher zu kommen! Ich werde hören, was du zu deiner Entschuldigung sagst.«
»Du bist der Vater meiner Mutter und kennst mich seit dem Augenblick meiner Geburt. Habe ich dir jemals Grund zum strengen Tadeln gegeben? Warum empfängst du mich mit Vorwürfen, ohne vorher zu wissen, warum ich komme?«
»Weil es sich um den wichtigsten Fang, den wir jemals machen können, handelt, und um die größten Feinde unseres Stammes, nämlich den Häuptling der Apatschen, und das verhaßte Bleichgesicht, das sich Old Shatterhand nennt.«
»Du wirst sie nicht fangen,« antwortete sein Enkel so gelassen wie vorher.
»Nicht?« fuhr der Häuptling auf. »Warum?«
»Weil sie fort sind. Sie haben schon gestern das Camp verlassen.«
»Uff, uff, so müssen wir uns darauf vorbereiten, denn sie können jeden Augenblick hier eintreffen!«
»Sie treffen nicht ein; sie kommen gar nicht hierher.«
»Nicht – hier – her?« dehnte der Häuptling betroffen. »Wohin wollen sie denn?«
»Das weiß ich nicht, jedenfalls aber sehr weit fort von hier, denn sie sind mit dem Wagen des Feuerrosses gefahren. Das tun die weißen Jäger nur dann, wenn ihr Weg ein sehr, sehr langer ist, sonst reiten sie.«
»Mit dem Feuerroß? Weißt du das gewiß?«
»Ja. Ich sah sie in den Wagen steigen und sah darauf, daß das Feuerroß mit dem Wagen, worin sie sich befanden, in größter Eile davonrannte.«
»Uff, uff, uff! Sie wollten doch hieher nach dem Alder-Spring! Was mag sie so plötzlich fortgetrieben haben?«
»Die Angst.«
»Schweig! Winnetou und Old Shatterhand sind mir verhaßt im höchsten Grad, aber Angst und Furcht, die kennen sie nicht.«
»Ja, sie nicht, aber du mußt bedenken, daß zwei andre Blaßgesichter bei ihnen weilen, die nicht so mutig sind wie sie; diesen zuliebe sind sie so schnell aufgebrochen, denn sie haben erfahren, daß das Camp von roten Kriegern überfallen werden soll.«
»Uff, uff! Wie sollen sie es erfahren haben? Wer hat es ihnen verraten? Solltest du selbst so unvorsichtig gewesen –«
Da gab der Enkel zum erstenmal seinen Gleichmut aus und fiel ihm zornig in die Rede: »Sprich nicht von mir! Hast du mich jemals unvorsichtig gesehen? Deine eigene Unvorsichtigkeit war es, die alles verraten und uns um den großen Fang gebracht hat!«
Da legte der Alte die Hand an seinen Gürtel und rief: »Vergiß nicht, mit wem du redest, Knabe, sonst wird mein Messer dich die Ehrfurcht lehren, die du dem Vater deiner Mutter und dem berühmtesten Kriegshäuptling der Komantschen schuldig bist! Wie darfst du dich unterstehen, mir, dem ›schwarzen Mustang‹, eine Unvorsichtigkeit vorzuwerfen!«
»Weil du mich wegen eines Fehlers tadelst, den du selbst begangen hast! Sag, hätten wir Old Shatterhand und Winnetou heut abend gefangen, wenn sie hierher gekommen wären?«
»So sicher, wie ich dich hier neben mir habe.«
»Dann wäre alles, was ihnen gehörte, unsre Beute gewesen?«
»Ja.«
»Auch die Pferde?«
»Auch die.«
»Warum hast du da nicht gewartet bis heut abend? Warum hast du dich da schon gestern abend an diesen Pferden vergriffen?«
»Ver–grif–fen,« wiederholte der Häuptling langsam das Wort, um sich den Vorwurf, den er hörte, zurechtzulegen. »Was weißt du davon?«
»Ich weiß alles. Zwar hatte Kita Homascha, den du zu mir in den Shop schicktest, einen kleinen Verdacht erregt, aber es gelang mir schnell, das Mißtrauen zu zerstreuen, denn die Bleichgesichter konnten uns nichts beweisen. Da aber schnaubten plötzlich die Pferde Winnetous und Old Shatterhands draußen vor der Tür und erregten Aufsehen ohnegleichen. Wohl waren die Bleichgesichter klug genug, so zu tun, als ob sie glaubten, die Pferde hätten sich losgerissen, mich aber vermochten sie nicht zu täuschen: die Tiere, waren nicht selbst entwichen, sondern gestohlen worden. Von wem?! Willst du es etwa leugnen?«
Der Häuptling blickte vor sich hin und verzog keine Miene; er sagte weder ja noch nein. Sein Enkel fuhr fort: »Dein Schweigen gibt mir recht. Natürlich suchten nun die Bleichgesichter nach den Dieben.«
»Die waren doch längst fort!« fiel der Alte ein.
»Waren auch die Spuren fort? Old Shatterhand und Winnetou fanden eure Spur, sie fanden meine Spur, und sie fanden auch Kita Homaschas Spur. Sie errieten sofort unser Einvernehmen und unsre Absichten, aber es gelang mir glücklicherweise noch, ihnen zu entspringen. Ich eilte zu meinem Pferd und jagte davon. Wäre ich geblieben, so hätten sie mich aufgehängt. Ich war schon weit fort, da kam mir der Gedanke, heimlich zurückzukehren, um zu erlauschen, ob Winnetou und Old Shatterhand vielleicht nun ihren Plan, nach dem Alder-Spring zu reiten, aufgegeben hätten. Es war sehr gut, daß ich dies tat, denn ich sah sie mit ihren Pferden in den Wagen des Feuerrosses steigen und fortfahren. Sie kommen also nicht nach dem Alder-Spring. Als sie fort waren, verließ auch ich nun Firwood-Camp und ritt hierher, um dir zu sagen, was geschehen ist. Jetzt bin ich da, nun tadle mich, wenn du mich tadeln kannst! Howgh!«
Er hatte seinen Bericht beendet und wartete nun auf das, was sein Großvater sagen würde. Dieser hielt den Kopf eine ganze Weile gesenkt; dann hob er ihn mit einer schnellen, energischen Bewegung wieder empor und warf einen forschenden Blick um sich. Das, was er sagte, konnte von keinem Unberufenen gehört werden, denn die Ankunft des Halbbluts hatte den anwesenden Kriegern zwar gesagt, daß etwas geschehen oder im Werke sein müsse, aber keiner von ihnen hatte es gewagt, sich dem gefürchteten Häuptling ohne besondere Aufforderung zu nähern. Es hatte also auch niemand die Vorwürfe vernommen, die von dem Enkel gegen den Alten ausgesprochen worden waren. Dieser letztere begann mit unterdrückter Stimme: »Ja, ich habe die Pferde aus dem Schuppen geholt. Iltschi und Hatatitla sind so berühmte Pferde, daß die Weisheit meines Alters sich in die Torheit der Jugend verwandelte. Ich wollte und mußte sie sofort haben, ohne daran zu denken, daß sie heut mit den Gefangenen doch mein Eigentum sein würden. In deinen Adern fließt mein Blut, und darum wirst du unsern Kriegern nicht mitteilen, welche Folgen diese schnelle Tat nach sich gezogen hat!«
»Ich werde schweigen,« erklärte der Junge.
»Wissen Old Shatterhand und Winnetou,« fuhr der Rote fort, »wie viel Personen wir gestern im Firwood-Camp waren?«
»Ja.«
»Wissen sie aber auch, wer es war?«
»Nein. Sie wissen nur, daß es feindliche rote Männer waren.«
»Wußten sie von unsrer Absicht, das Camp zu überfallen?«
»Sie vermuten es nur. Aber ich muß dir sagen, daß sie mir meinen Namen Ik Senanda ins Gesicht warfen; sie glaubten nicht, daß ich Yato Inda heiße.«
»So sind sie überzeugt, daß du mein Enkel bist und daß ich es bin, der das Camp überfallen will! Was sagten sie zu dem Verlust ihrer drei Gewehre!«
»Ihre Gewehre?« fragte das Halbblut erstaunt. »Haben sie diese verloren?«
»Ja.«
»Uff, uff, uff! Wo?«
»Im Firwood-Camp. Ich habe sie gefunden.«
»Du – hast – sie – gefunden – du – du – du? Die Gewehre von Old Shatterhand und Winnetou?« stieß der Mestize in höchster Ueberraschung hervor.
»Ich!« nickte Tokvi Kava, indem seine Augen vor Freude funkelten.
»Die Silberbüchse Winnetous?«
»Ja.«
»Das kleine Zaubergewehr Old Shatterhands?«
»Ja.«
»Und den großen Bärentöter?«
»Ja.«
»Wo, wo, wo sind diese kostbaren Waffen? Sage es! Schnell!«
»Hier,« antwortete der Häuptling, indem er auf das Paket deutete.
»Uff, uff, uff! Heut blickt der große Manitou mit strahlendem Angesicht auf die Krieger der Komantschen herab! Das ist eine Beute, um die uns alle Stämme der roten Nation beneiden werden! Wie sind diese unvergleichlichen Waffen in deine Hände gekommen?«
»Durch Diebe, welche sie gestohlen hatten und die sie mir geben mußten.«
Er erzählte den Vorgang und brach dann, als er kaum geendet hatte, in den Ausruf aus: »Uff, uff! Daran habe ich nicht gedacht. Old Shatterhand und Winnetou sind fort, obgleich ihnen diese Gewehre gestohlen wurden. Ist das nicht auffällig? Steckt vielleicht eine große List dahinter? Diese beiden werden ihre Waffen nicht freiwillig lassen, sondern alles wagen, um sie wieder zu erlangen!«
Sein Enkel schüttelte den Kopf und behauptete: »Sie werden nichts, gar nichts wagen.«
»Weshalb denkst du das?«
»Wer ein gesundes Hirn hat, muß ganz dasselbe denken. Wodurch sind diese Schakale so berühmt geworden? Nur durch ihre Gewehre. Womit haben sie ihre Taten verrichtet? Mit ihren Gewehren. Durch diese Gewehre wurden sie Helden, aber ohne diese sind sie nichts. Man hat ihnen diese Waffen gestohlen, da fühlen sie, daß sie nichts mehr vermögen, daß sie bei dem Ueberfall des Camps nicht widerstehen können, sondern untergehen müssen; darum sind sie so schnell entflohen. Nun weiß ich, warum sie es aufgegeben haben, nach dem Alder-Spring zu reiten, und weshalb sie Firwood-Camp so plötzlich verließen. Die Angst hat sie fortgetrieben, so weit wie möglich, die Angst vor uns und die Furcht vor dem sicheren Untergang!«
Die Ueberzeugung und Begeisterung des Jungen riß den Alten mit sich fort; er stimmte bei: »Uff, uff, du hast wahr gesprochen! Sie sind heulend davongeeilt wie Hunde, welche Schläge bekommen sollen. Ihre Personen sind uns entgangen, aber ihre Waffen haben wir. Nun müssen wir uns die Skalpe der vielen gelben Männer holen. Man wird davon sprechen, daß wir das Camp überfallen wollen, man wird nach Hilfe senden. Wir müssen uns also beeilen. Da Old Shatterhand und Winnetou heut nicht kommen, haben wir hier nichts zu suchen, sondern werden sogleich aufbrechen. Unsre Pferde sind zwar ermüdet, aber wenn wir so reiten, daß wir nach Anbruch des Abends die Stelle erreichen, welche die Bleichgesichter Birch-hole nennen, so werden die Tiere nicht unter uns zusammenbrechen.«
»Also willst du doch, wie ich dir geraten habe, im Birch-hole auf den Augenblick des Ueberfalles warten?«
»Ja, denn kein Ort eignet sich so gut dazu wie dieser. Ich führe meine Krieger dorthin, und während sie da warten, beschleiche ich das Camp, um zu erfahren, zu welcher Zeit wir es am leichtesten umzingeln können, so daß uns kein einziges Bleich- und Gelbgesicht entkommen kann. Du aber wirst hier bleiben.«
»Nicht mitreiten?« fragte der Mestize erstaunt. »Warum?«
»Weil du dort bekannt bist, was uns leicht verraten könnte. Und noch einen andern Grund gibt es, der für mich noch viel wichtiger ist, nämlich die drei Gewehre hier.«
»Wieso diese Gewehre?«
»Wir kommen auf dem Rückweg wieder hierher. Soll ich sie erst nach dem Camp und dann wieder mit zurückschleppen? Dazu sind sie zu kostbar. Ich sage dir, daß diese drei Waffen mir lieber sind als alle Skalpe, die wir in Firwood-Camp erbeuten können. Darum will ich sie keiner Gefahr aussetzen und lasse sie hier, bis wir morgen wiederkommen. Du sollst als Wächter dabei bleiben, denn einen zuverlässigeren gibt es nicht.«
Der Mestize fühlte sich durch dieses Vertrauen sichtlich sehr geschmeichelt, trotzdem brachte er den Einwand vor: »Dennoch möchte ich mitziehen, denn ich will den Teil der Beute haben, den du mir versprochen hast.«
»Den wirst du erhalten. Ich habe es gesagt, und was ich verspreche, ist wie ein Schwur.«
»Also Gold und Geld?«
»Ja. Du bist der Sohn meiner Tochter und mein einziger Erbe. Ein kluger Mann muß an alles denken. Der Ueberfall wird wahrscheinlich ungefährlich sein; aber es kann mich trotzdem eine Kugel oder eine Klinge treffen; dann sollst du der Besitzer dieser Gewehre sein, die leicht in andre Hände kommen könnten, wenn ich nicht dich hier bei ihnen zurückließe. Ich habe es gesagt und so soll es geschehen. Howgh!«
Als der Mestize dieses hörte, zögerte er nicht länger, seine Einwilligung zu geben. Der Häuptling hielt mit einigen hervorragenden Kriegern, bei denen sich auch Kita Homascha befand, der sich im Camp den Namen Juwaruwa beigelegt hatte, einen kurzen Kriegsrat ab. Dann ritt er mit seinen Komantschen davon, wieder ins Tal hinein, aus dem sie herabgekommen waren. Ik Senanda, sein Enkel, blieb mit den drei gestohlenen Gewehren allein zurück.
Kaum war nach Entfernung seiner Genossen eine kleine Weile vergangen, die er dazu benutzte, sein Pferd abzusatteln und anzukoppeln, so konnte er seine Neugierde nicht länger zügeln; er wand den Lasso von dem Paket, öffnete es und nahm die Gewehre vor, um sich an ihrem Anblick zu weiden. Mit welcher Wonne Winnetou und Old Shatterhand, die natürlich noch immer ganz nahe hinter den Schößlingen steckten, ihm zusahen, läßt sich leicht denken. Sie beobachteten, mit welcher Begierde der Mestize die Waffen betrachtete, wie seine Augen dabei funkelten, und hörten seine abgerissenen Ausrufe des Entzückens.
Freilich sollte er dieses Entzücken nicht gar lange genießen, sondern sehr bald auf unerwartete Weise aus ihm gerissen werden. Winnetou bog nämlich die Schößlinge leise, leise auseinander und schob sich unhörbar zwischen ihnen hindurch. Old Shatterhand folgte ihm mit derselben Vorsicht. Dann richteten sie sich auf. Einige Schritte, die selbst des Mestizen so außerordentlich scharfes Ohr nicht zu hören vermochte, und sie standen hinter ihm.
»Guten Tag, Ik Senanda,« sagte Old Shatterhand.
Aufs höchste erschrocken, fuhr das Halbblut herum und sah den Sprecher und Winnetou neben sich stehen. Sein Entsetzen bei ihrem Anblick war so groß, daß er kein Wort hervorbrachte und für den Augenblick nicht der geringsten Bewegung fähig war.
»Ja,« nickte ihm Old Shatterhand spöttisch zu; »wir sind hier, um die Gewehre wieder zu holen.«
Endlich kam wieder Bewegung in die Gestalt des Spions; aber er sprang nicht etwa auf, um einen Versuch der Flucht zu machen, o nein, dazu hielt ihn der große Schreck noch zu sehr und zu fest gefangen, sondern er stand langsam auf, wie einer, dessen Glieder an einer schmerzhaften Lähmung leiden, und stieß abgerissen und silbenweise die Worte hervor: »Old – Shat–ter–hand und Win–ne–tou! Wahr–haf–tig – wahrhaftig – sie sind es – sie sind es wirklich!«
»Ja, wir sind es wirklich,« lächelte ihm der Jäger stolz in das vor Angst verzerrte Gesicht. »Aus deinen Zügen starrt der bleiche Schreck uns an. Du hast uns fangen wollen und jetzt schlotterst du vor Angst!«
Die Verachtung, die aus dieser Rede sprach, gab dem Mischling seine Selbstbeherrschung wieder. Er trat, die drei Gewehre noch immer in den Händen, einen Schritt zurück und antwortete: »Was bildest du dir ein? Ich? Angst vor euch? Mir kann weder Winnetou noch Old Shatterhand Furcht einflößen. Und eure Gewehre wollt ihr wieder haben? Uff! Versucht doch einmal, ob ihr sie bekommt!«
Noch während er diese Worte sprach, wendete er sich zur blitzesschnellen Flucht. Er konnte diese nicht zu Pferde ergreifen, weil sein Tier angekoppelt war und es zu viel Zeit erfordert hätte, es loszubinden; er war also gezwungen, dieses im Stich zu lassen und zu Fuß zu entweichen. Er sprang in raschen, weiten Sätzen eine Strecke am Rande des Hurrikan hin, um dann in dessen Gewirr einzudringen. Aber er hatte seine Rechnung ohne seine beiden Gegner gemacht. Er hatte kaum erst den vierten oder fünften Sprung getan, so war er von Old Shatterhand eingeholt, von Winnetou sogar überholt und wurde, von beiden gepackt und festgehalten. Der weiße Jäger zog den Revolver, hielt ihm diesen auf die Brust und sagte: »Halt! Du kommst wieder mit zurück und setzest dich nieder. Beim geringsten weiteren Fluchtversuch jage ich dir eine Kugel zwischen die Rippen! Du wärst der richtige Bursche dazu, uns zu entwischen!«
Sie brachten ihn wieder nach der Stelle, wo er vorher gesessen hatte und wo seine Flinte noch lag, nahmen ihm ihre Gewehre und sein Messer ab und drückten ihn auf den Boden nieder. Er bebte vor Wut, sah aber ein, daß jeder Widerstand ihm jetzt nur schaden müsse, und daß es am besten sei, sich zu fügen.
Old Shatterhand legte zwei Finger zwischen die Lippen, ließ einen schrillen, weithin hörbaren Pfiff ertönen und setzte sich dann mit Winnetou zu dem Gefangenen. Ohne zunächst ein weiteres Wort zu sprechen, warteten sie auf die Herbeikunft ihrer Kameraden, denen der Pfiff gegolten hatte. Der Hobble-Frank und Droll wußten von früher her, welche Bedeutung dieses Zeichen Old Shatterhands für sie hatte, und es dauerte auch gar nicht lange, so kamen sie mit den zwei Timpes um den Windbruch herumgeritten. Sie überschauten die Lage mit schnellen Blicken, und während sie ihre Pferde anhielten und abstiegen, sagte Frank: »Potz Sapperlot, hat das eene grandiose Wendung hier genommen! Die Roten sind fort, und dafür hat sich dieser Himbeerfritze bei uns zu Gaste geladen! Wo sind sie denn hin, und wer is der sanfte Urian, meine Herren, dem es an Ihrer Seite so außerordentlich gut zu gefallen scheint?«
»Das ist ja der Scout, der die Bewohner von Firwood-Camp den Komantschen an das Messer liefern wollte!« rief Kas aus.
»Der? Hm, den will ich mir doch eenmal genau betrachten!« Und rund um den Gefangenen herumgehend und ihn musternd, fuhr er fort: »Een allerliebster Jüngling is dieser Mensch, das muß man sagen. Wie haben Sie denn das Männchen geangelt, Herr Shatterhand?«
Der Genannte erklärte ihnen in kurzen Worten, was hier geschehen und wie der Scout ergriffen worden war.
»So, so,« meinte der Hobble-Frank, »wenn er so mir nischt, dir nischt die Gewehre erben wollte, so mußte er doch warten, bis die seligen Besitzer den irdischen Schtoob von ihren jenseitigen Füßen geschüttelt hatten. Ich schlage vor, wir reiben ihm seine Erbansprüche mit Senfteig ein. Verdient hat ersch ja mehr als genug. Was sagen Sie dazu, Herr Shatterhand?«
»Er wird seiner Strafe nicht entgehen, lieber Frank. Warte es nur ab!« erwiderte Old Shatterhand und wendete sich an den Gefangenen: »Gib uns zunächst einmal deinen richtigen Namen an!«
Das Halbblut warf ihm einen tückischen Blick zu und entgegnete in lässigem Ton: »Meinen richtigen Namen habt ihr gehört. Ich heiße Yato Inda, und meine Mutter gehörte dem Stamme der Pinal-Apatschen an.«
»Das ist Lüge. Du bist Ik Senanda, der Enkel des ›schwarzen Mustangs‹.«
»Beweist es doch!«
»Diese Aufforderung enthält eine Frechheit, durch die du deine Lage nicht verbesserst. Warum verkehrst du heimlich mit den Komantschen?«
»Beweist mir, daß ich dies getan habe!«
» Pshaw! Warum bist du geflohen, als du bemerktest, daß wir die Spuren des ›schwarzen Mustangs‹ richtig lasen?«
»Ich bin nicht geflohen. Mein Ritt war keine Flucht aus Angst vor euch, sondern er wurde in der besten Absicht unternommen. Ich sah die fremden Spuren grad so gut wie ihr; ich hörte euern Verdacht. Ihr waret nur die Gäste des Camp und hattet keine Verpflichtungen; ich aber hatte die Bewohner zu beschützen, und darum folgte ich augenblicklich dem Verdacht, indem ich fortritt, um die Feinde auszuspähen.«
»Ach, das hast du nicht ganz schlecht gemacht. Du bist also fortgeritten, um zu erkunden, wo sich die Komantschen befanden? Wie war es möglich, sie in der Finsternis der Nacht zu entdecken?«
»Wer so fragt, der kann kein Westmann sein!«.
» Well! Du sprichst in einem sehr stolzen Ton. Wie bewundere ich dich, daß du den Feinden bis hierher hast folgen und dann gar mit ihnen sprechen können, ohne daß sie dich getötet oder wenigstens festgenommen haben!«
»Darüber braucht ihr gar nicht so zu staunen. Die Komantschen wissen nämlich nicht, daß ich mütterlicherseits von ihren Feinden, den Pinal-Apatschen abstamme; ich habe mich auch stets mit ihnen auf scheinbar guten Fuß gestellt; sie halten mich also für ihren Freund und haben mich auch heute ohne alle Feindseligkeit bei sich empfangen.«
»Schön! Wie aber kamen unsere Gewehre in deine Hände?«
Diese Frage brachte den Mestizen sichtlich in Verlegenheit, doch suchte er dies zu verbergen und antwortete schnell: »Grad das ist ein Punkt, der euch von meiner Ehrlichkeit und Freundschaft überzeugen muß. Gestern abend sah ich eure Waffen, die ich noch nicht kannte, heut erblickte ich sie wieder bei den Komantschen, und der ›schwarze Mustang‹ rühmte sich, daß er sie euch gestohlen habe. Um euch zu eurem Eigentum zu verhelfen, stahl ich sie ihm wieder, und er ist von hier fortgeritten, ohne es zu bemerken.«
»Dann muß ich bekennen, daß dies ein Meisterstück von dir ist, das nachzuahmen wohl keinem andern Menschen gelingen würde. Du scheinst ein Ausbund von Klugheit zu sein, während der ›schwarze Mustang‹, der sich diese Gewehre abnehmen läßt, ohne es zu gewahren, jedenfalls ein Ausbund von Dummheit ist. Du wolltest sie uns also wiederbringen?«
»Ja.«
»Wie willst du es dann aber erklären, daß du mit ihnen zu entfliehen versuchtest, als du uns vorhin hier erblicktest?«
»Das war nur vor Schreck über euer plötzliches Erscheinen, denn ich hatte euch nicht sofort erkannt.«
»Nicht erkannt? Und doch nanntest du unsre Namen!«
Das Halbblut blickte eine Weile finster vor sich nieder und rief dann in gut gespieltem Zorn aus: »Fragt nicht nach Dingen, die ihr nicht zu verstehen scheint! Wenn man sich ganz allein und sicher hier in der Wildnis glaubt und plötzlich von Personen überrumpelt wird, von denen man annehmen muß, daß sie sich weit von hier befinden, so ist es doch sehr leicht zu erklären, daß man in der ersten Ueberraschung anders handelt, als man bei ruhiger Ueberlegung handeln würde. Wenn ihr das nicht einseht, so ist es für mich unnütz, noch ein Wort zu verlieren!«
»Ja, ich bitte dich allerdings, kein weiteres Wort zu verlieren, obgleich wir nicht nur dies, sondern noch vieles andre einsehen. Du scheinst anzunehmen, daß wir uns dir sofort nach unsrer Ankunft hier gezeigt haben, befindest dich da aber im Irrtum. Wir steckten schon hier, ehe du geritten kamst. Wir haben schon vorher den ›schwarzen Mustang‹ beobachtet und dann jedes Wort gehört, das du mit ihm gesprochen hast. Er nannte dich den Sohn seiner Tochter; er übergab dir unsre Gewehre, die du ihm gestohlen haben willst. Was sagst du dazu, Ik Senanda?««
»Ich sage es wieder und kann es gar nicht anders sagen: ich bin nicht Ik Senanda, sondern Yato Inda; ihr habt eure Gewehre wieder und nun verlange ich, sofort von euch freigelassen zu werden!«
»Gemach, gemach, my boy! Da du noch immer leugnest, können wir dich erst recht nicht freigeben, sondern wir werden dich deinem lieben Großvater vor die Augen stellen, um zu erfahren, ob auch er so feig und niederträchtig ist, sein eigenes Fleisch und Blut zu verleugnen.«
Da blitzte das Auge des Mestizen heimtückisch auf, und er fragte: »Ihr wollt mich zum ›schwarzen Mustang‹ bringen? Versucht doch, ob ihr das fertig bringt!«
»Wir bringen es fertig, darauf kannst du dich verlassen! Aber es wird freilich in etwas ganz andrer Weise geschehen, als du es wünschtest. Verrechne dich nicht! Du hoffst, durch den ›Mustang‹ aus unsern Händen befreit zu werden; dein zärtlicher Grand-father aber wird mit sich selbst genug zu tun haben, denn er wird ebenso sicher unser Gefangener werden, wie du es geworden bist.«
Da beging das Halbblut den Fehler, zornig auszurufen:. »Das wird er nicht! Kein Old Shatterhand und kein Winnetou wird es jemals fertig bringen, den ›schwarzen Mustang‹ zu ergreifen, dessen Ruhm weit über alle Täler und über alle Berge geht!«
»Ah, jetzt fällst du aus der Rolle! Doch ereifere dich nicht! Wir haben noch ganz andre Kerls ergriffen, als dieser alte Mustang ist, von dem du ganz richtig sagst, daß sein Ruhm über alle Täler und Berge gehe; er scheint aber wie die Luft darüber hin zu gehen, denn man bemerkt hier unten nichts davon.«
»Brüstet euch nicht! Es ist der Häuptling der Naiini-Komantschen, der tapfersten Krieger dieses großen Volkes. Und selbst wenn ihr wirklich so wahnsinnig sein wolltet, ihnen nachzureiten, um mit ihnen zu kämpfen, ihr würdet sie doch nicht einholen, denn sie haben einen großen Vorsprung; ehe ihr sie erreichen könnt, ist Firwood-Camp ein Raub der Flammen geworden!« Und der Scout schlug ein höhnisches Gelächter auf.
Old Shatterhand legte ihm schwer die Hand auf die Schulter und sagte: »Lach jetzt immerhin, Mannikin Männchen, Knirps.; es wird bald die Zeit kommen, da dir das Lachen ganz vergeht! Zunächst werden wir diesen schönen Ort verlassen, wo du auf deinen Großvater warten solltest; du wirst ihn wahrscheinlich schon bald wiedersehen. Jetzt binden wir dich auf dein Pferd, und ich rate dir, dich ohne Widerstreben drein zu fügen, denn es gibt für uns der Mittel viele, dich zum Gehorsam zu zwingen!«
Der Mestize besaß nicht den Mut, Widerstand zu leisten. Uebrigens hoffte er mit Bestimmtheit, daß seine Gefangenschaft von keiner langen Dauer sein werde.
Er war überzeugt, daß man mit ihm der Fährte der Komantschen folgen und also in das mehrerwähnte Tal einbiegen werde. Zu seinem Erstaunen aber schlugen Winnetou und Old Shatterhand eine beinahe entgegengesetzte Richtung ein, indem sie nicht um den Corner-Top bogen, sondern sich nach dem Ua-pesch wendeten. Er konnte sich den Grund, einen solchen Umweg einzuschlagen, gar nicht denken, zumal fast nur im Galopp geritten wurde, was doch auf große Eile schließen ließ. Später freilich sah er das Bahngleis aus der offenen Prärie herüberkommen; es bog nach dem Felsental ein, und als die Reiter ihm folgten, begann eine Ahnung in ihm aufzudämmern, die ihn mit nicht geringer Besorgnis erfüllte. Sein Gesicht nahm einen bedenklichen Ausdruck an. Der Hobble-Frank bemerkte das, weil der Gefangene zwischen ihm und Droll ritt; selbstverständlich sorgte er in würdevoll-komischen Belehrungen dafür, daß sich die Besorgnis des Halbbluts noch steigerte.
Als man die Haltestelle in Rocky-Ground erreichte, war Mr. Swan, der wackere und tatkräftige Engineer, der erste, der die Reiter empfing. » Halloo!« rief er ihnen entgegen. »Schon wieder zurück? Und glücklich gewesen, wie ich sehe? Wie ist es denn gegangen? Habt ihr die Komantschen ge–«
Er hielt mitten in der Rede inne, als er den gefesselten Scout erblickte, fuhr dann aber, sichtlich erfreut, schnell fort: » All devils, das ist ja Mr. Yato Inda, der halbgefärbte Gentleman! Und gebunden? Ist er Euer Gefangener, Sir?«
»Ja,« nickte Old Shatterhand, an den diese Frage gerichtet war. »Habt Ihr vielleicht einen Ort, wo wir ihn unterbringen können, ohne daß er Lust bekommt, spazieren zu gehen?«
»Habe einen solchen Ort, einen ganz vortrefflichen, Sir. Wen ich dahin einquartiere, der kann an keinen unerlaubten Ausflug denken. Will Euch die Stelle zeigen.«
Die Stelle, die er meinte, war ein Brunnen, der sich in Arbeit befand. Obgleich schon ziemlich tief, hatte er noch kein Wasser. Als der Mestize hörte, daß er da hinabgelassen werden sollte, erhob er ein großes Lamento, was ihm aber nichts nützte. An den Rand des Brunnens geführt, um gebunden und dann hinabgelassen zu werden, stellte er sich gar zur Wehr. Da meinte der Engineer zu Old Shatterhand: »Sollen wir etwa ein solch gefährliches Geschöpf, wie dieser Kerl ist, mit Samt und Seide anfassen? Er ist zwar Euer Gefangener; seine Schandtat galt aber uns Leuten von der Eisenbahn. Erlaubt mir, Sir, ihn zu Verstand zu bringen!«
»Macht mit ihm, was Ihr für gut und richtig haltet,« antwortete der Gefragte. »Ich habe ihn Euch übergeben und mag nichts mehr mit ihm zu schaffen haben. Nur sorgt dafür, daß es ihm unmöglich ist, uns heute noch Schaden zu machen!«
»Was das betrifft, Mister Shatterhand, so könnt Ihr Euch heilig darauf verlassen, daß er nicht aus diesem Brunnen kommt, als bis ich ausdrücklich die Erlaubnis dazu gebe. Also zieht ihm den Strick unter den Armen hindurch, und dann hinab mit ihm!«
Als hierauf der Scout wieder mit den gebundenen Händen und Füßen um sich stieß, wurde er an eine Eisenbahnschwelle befestigt und dann nicht eher mit ihr in den Brunnen hinabgelassen, als bis er unter einer tüchtigen Tracht von Stockschlägen still geworden war.
Der Engineer hatte übrigens in der Zeit vom Morgen an bis jetzt an alles gedacht. Seine Arbeiter hatten ihre Gewehre nachgesehen; eine Maschine war geheizt worden, und es standen Wagen zu einer Fahrt nach Firwood-Camp bereit.
Die sechs Westmänner erhielten, während ihre Pferde abgerieben, gefüttert und getränkt wurden, ein so ausgezeichnetes Mittagsmahl, wie es unter den dortigen Verhältnissen möglich war, und erzählten dabei dem Engineer, was sie seit heute früh erlebt hatten.
»Das ist besser, viel besser gegangen, als ich glaubte,« sagte er dann. »Es freut mich ungeheuer, daß wir diesen halbblütigen Schurken in unsre Hände bekamen! Und die Roten sind wirklich nach dem Camp zurück, um es zu überfallen? Wir werden ihnen dabei gern behilflich sein. Freue mich riesig darauf, wirklich riesig!«
»Ich habe allerdings auf Euch und Eure Leute gerechnet,« bemerkte Old Shatterhand, »denn der dortige Engineer scheint allerdings kein Held zu sein.«
»Habt recht, Sir. Von den Chinesen wollen wir gar nicht reden, denn die rennen beim Erscheinen des ersten Indianers in alle Winde hinaus. Und die paar Weißen dort sind gar nicht der Rede wert.«
»Am allerbesten wäre es da wohl, wenn wir die Sache auf uns allein nehmen könnten und die Leute von Firwood nicht eher etwas zu erfahren brauchten, als bis wir mit den Roten fertig sind.«
»Warum sollte das nicht gehen? Wir werden über neunzig Männer sein, und ich denke, daß wir keinen Grund haben, uns vor den Roten zu fürchten.«
»Hm! glaube es auch nicht. Ist Euch das Birch-Hole bekannt, wohin der ›schwarze Mustang‹ seine Leute führen will?«
»Grad so wie meine eigene Tasche, Sir. Es ist eine tiefe Felsenschlucht, die hinter dem Camp in den Berg einschneidet. Das Gestein steigt auf allen Seiten fast senkrecht in die Höhe, und es gibt nur den einen, schmalen Eingang, wo eine alte, sehr hohe Birke steht, von der die Schlucht ihren Namen hat.«
»Dann ist es nicht sehr pfiffig von dem ›schwarzen Mustang‹, seine Leute grad dort unterzubringen.«
»Warum? Es gibt kein besseres Versteck für sie, und er ahnt doch nicht, daß wir diese seine Absicht kennen. Mir scheint also, er hat ganz gut gewählt.«
»Mir nicht. Kann man die Seiten der Schlucht erklettern?«
»Bloß an einer Stelle, aber auch nur am Tage. Bei Nacht möchte ich es keinem raten, dem sein ganzer Hals noch einen Vierteldollar wert ist.«
»Gut! Und ist es möglich, von außen her auf die Ränder der Schlucht zu gelangen?«
Da hob der Engineer schnell den Kopf, warf einen forschenden Blick in Old Shatterhands Gesicht und erwiderte: »Ah, Sir, ich glaube, den Plan zu erraten, den Ihr hegt! Ihr wollt uns auf die Ränder der Schlucht aufstellen und, wenn die Roten heimlich in diese eingedrungen sind, auch den Eingang besetzen. Wie?«
»Und wenn es so wäre?«
»So hättet Ihr das Beste erdacht, was sich erdenken läßt, denn wenn wir das tun, so stecken die Indsmen in dem Birch-Hole wie die Krebse in einer Reuße und müssen sich einzeln herauslangen und die Hälse abdrehen lassen, wenn wir wollen.«
»Das habe ich allerdings auch gedacht. Also, können Eure Leute hinauf?«
» Yes und abermals yes. Aber ist Mister Winnetou mit diesem Plan einverstanden?«
Der Häuptling der Apatschen hatte bis jetzt kein Wort gesprochen. Jetzt sagte er: »Old Shatterhand und Winnetou haben stets die gleichen Gedanken. Der Plan meines weißen Bruders ist gut und soll auch ausgeführt werden. Howgh!«
» Well!« nickte der Engineer. »Ich bin natürlich voll und ganz dabei. Wir kommen zeitig genug hin, um noch bei Tage und ehe die Indsmen eintreffen können, auf die Felsen zu steigen. Aber dann, wenn es dunkel geworden ist, müssen wir auch wissen, woran wir sind. Wäre es da nicht gut, für Beleuchtung zu sorgen?«
»Das ist freilich wünschenswert,« antwortete Old Shatterhand. »Stehen Euch denn hierzu Mittel und Werkzeuge zur Verfügung, Mister Swan?«
»Wird alles in schönster Ordnung sein, Mister Shatterhand. Als es galt, die hiesige Strecke schnell fertig zu bringen, haben wir häufig des Nachts bei Fackellicht arbeiten müssen, und davon sind viele Fackeln übrig. Wir haben auch Petroleumfässer von verschiedener Größe.«
»Fässer fortzuschaffen, würde zu beschwerlich sein, und doch wäre es außerordentlich vorteilhaft für uns, wenn wir grad am Eingang der Schlucht ein solches Faß in Brand stecken könnten. Ueber eine solche Flammenfackel könnten sich die Komantschen unmöglich herauswagen.«
» Well, so wird Rat geschafft. Wir haben ja Tragen, Stricke und sonst alles, was dazu gehört, ein oder mehrere Fässer leicht mitzunehmen.«
»Gut! Aber bedenkt dabei, daß kein Geräusch verursacht und keine in die Augen fallende Spur hervorgebracht werden darf!«
»Keine Sorge! Ich habe da Männer, auf die ich mich verlassen kann. Seid Ihr einverstanden?«
»Ja. Macht alles fertig, und sorgt dafür, daß wir zeitig an dem Birch-Hole ankommen!«
Bei der großen Umsicht des Engineers waren die Vorbereitungen schnell getroffen. Die Pferde blieben unter sicherer Aufsicht zurück, und an den Brunnen, in dem der Scout steckte, wurde auch ein Wächter gestellt. Dann dampfte der vollbesetzte Zug ab, natürlich ohne daß dies nach Firwood-Camp telegraphiert worden war. Die Bahnarbeiter beteiligten sich alle mit Freuden an dem Unternehmen, und als man an dem vorherbestimmten Punkt ankam und dort ausstieg, gab es keinen, der um den Ausgang des willkommenen Abenteuers oder um sich selbst besorgt gewesen wäre. Die Stelle, von der aus der Zug wieder zurückfuhr, lag so weit von dem Camp entfernt, daß man von dort aus nicht bemerkt werden konnte. Die Bahn beschrieb hier eine Krümmung um die Höhe, in welche die Birkenschlucht eingeschnitten war; die Männer befanden sich hinter dieser Höhe, während das Camp vor ihr und der Eingang zur Schlucht an der Seite des Camp lag. Wenn man von dem Ort aus, wo der Zug gehalten hatte, emporstieg, kam man, von dem Walde gedeckt, an den Rand der Schlucht hinauf; dies bot keine Schwierigkeit, weil es jetzt noch hell am Tage war. Schwerer war es, die zwei Petroleumfässer, die der Engineer mitgenommen hatte, unbemerkt und ohne Spuren zu hinterlassen, nach dem Schluchteingang zu schaffen und dort so zu verstecken, daß sie später den Späheraugen und auch den Nasen der Indianer entgehen mußten.
Die Ausführung dieses heimlichen Planes, von dessen Gelingen soviel abhing, übernahm Winnetou. Old Shatterhand aber führte die kampfeslustigen Männer zur Höhe empor, um sie dort aufzustellen und ihnen die notwendigen Verhaltungsmaßregeln zu erteilen.
Oben angekommen, befand man sich unter dicht stehenden Bäumen. Deckung war also mehr als genug vorhanden. Mit Genugtuung sah Old Shatterhand, wie steil die Felswände in die Schlucht abfielen. Waren die Komantschen einmal da unten und drin, so gab es für sie kein Entkommen. Er verteilte die Leute rund um die vielleicht fünfhundert Schritte lange und durchschnittlich fünfzig Schritte breite Schlucht und gab jeder Gruppe diejenigen Weisungen, die ihrer Stellung angemessen waren. Vor allem mahnte er zur größten Ruhe und Vorsicht und machte sie mit den verschiedenen Zeichen und Signalen bekannt, die später in der Nacht notwendig sein könnten und deren Bedeutung sie genau wissen mußten. Dann stieg er vorn, an der nach dem Camp zu gelegenen Seite hinab, um den Apatschen zu suchen.
Dieser lag, auf ihn wartend, nicht weit vom Eingang hinter einem ziemlich dichtgewachsenen Busch und winkte ihn zu sich heran. »Winnetou hat seine Arbeit getan. Die Männer, die der Engineer mitnahm, sind starke und anstellige Leute. Die Fässer liegen ganz nahe hier und so gut versteckt, daß mein weißer Bruder sehr scharf blicken müßte, um sie zu finden.«
»Und der Engineer selbst?«
»Er steckt mit den Trägern der Fässer dort unter dem Tannendickicht. Du kannst leicht hin zu ihm, wenn du ihn während meiner Abwesenheit sprechen willst.«
»Während deiner Abwesenheit? Du willst den Komantschen entgegen, um mir zu melden, wann sie kommen?«
»Ja. Sie werden sich so leise heranschleichen, daß es gut ist, sie schon vorher beobachtet zu haben.«
»Auch handelt es sich um den Häuptling, der gesagt hat, daß er selbst es sein will, der das Camp beschleicht. Seiner müssen wir uns vor allen Dingen bemächtigen.«
»Winnetou hat genug Riemen, ihn zu binden, von Rocky-Ground mitgebracht. Ich will jetzt gehen, denn es wird bald dunkel werden. Old Shatterhand mag an dieser Stelle auf meine Rückkehr warten.«
Er huschte fort und verschwand unter den nächsten Bäumen, ohne im weichen Moose eine Spur seines Fußes zurückzulassen. Old Shatterhand legte sich, von den Zweigen vollständig bedeckt, nieder; er konnte jetzt nichts weiter tun, als ruhig warten.
Es lag tiefe Stille rundumher; nur von dem nicht sehr fernen Camp klang zuweilen irgend ein Geräusch herüber. Die Dämmerung brach herein, und Winnetou war noch nicht viel über eine Viertelstunde fort, so gehörte das scharfe, wohlgeübte Auge Old Shatterhands' dazu, von dem Ort aus, an dem er lag, den Eingang zu der Schlucht noch zu erkennen. Erst von jetzt an war die Ankunft der Komantschen zu erwarten, denn es mußte als selbstverständlich angenommen werden, daß sie sich hüten würden, ihre Annäherung noch beim Tageslicht zu bewerkstelligen. Sie hätten sich da der größten Gefahr ausgesetzt, von einem auswärts herumstreifenden Bewohner des Camp gesehen und entdeckt zu werden, wodurch das Gelingen ihres Unternehmens in Frage gestellt worden wäre.
Es wurde schließlich so dunkel, daß Old Shatterhand nur noch einige Schritte weit sehen konnte. Desto weiter reichte sein Gehör, denn je weniger der eine Sinn beschäftigt ist, desto schärfer empfindet der andre. Da vernahm er etwas wie das Streichen eines langen Halmes über niedrige Gräser; er horchte mit doppelter Spannung.
»Das kann nur Winnetou sein,« dachte er, und wirklich, da erhob sich vier Schritte von ihm die Gestalt des Apatschen aus dem hohen Moos. Er kam vollends herbei, kroch unter den Busch und sagte leise: »Sie kommen.«
»Weißt du, wo sie die Pferde gelassen haben?«
»Sie haben sie mit.«
»Welch eine Unvorsichtigkeit von ihnen! Die Pferde läßt man doch unter der Aufsicht von Wächtern viel weiter zurück, als die Entfernung von hier nach dem Camp beträgt. Ein einziges Wiehern oder nur Schnauben kann alles verraten.«
»Diese Söhne der Komantschen nennen sich zwar Krieger, sind aber keine.« Obgleich Winnetou diese Worte leise sprach, war ihm doch der Ton der Geringschätzung deutlich anzuhören.
»Uns kann es nur lieb sein, denn die Pferde werden die Verwirrung, die wir anrichten, verdoppeln. Horch, jetzt schnaubte eines!«
Es näherte sich ein erst unbestimmtes und nach und nach immer deutlicher werdendes Geräusch; es war das dumpfe Stampfen von Hufen im weichen Moos oder Gras. Die Komantschen kamen nach Indianersitte einer hinter dem andern, und jeder führte sein Pferd am Zügel, wie die beiden Lauscher bemerkten. Am Eingang der Schlucht blieben sie halten. Es schienen einige hineinzugehen, um zu erkunden, ob alles sicher sei. Nicht lange nachher ließen sich unterdrückte Rufe der Aufforderung hören, worauf sich die Gänsemarschkolonne wieder in Bewegung setzte. Sie drang in die Schlucht ein, wegen der Dunkelheit so langsam, daß es über eine Viertelstunde dauerte, ehe der letzte Mann vorüber war.
Old Shatterhand und Winnetou huschten unter dem Busch hervor und krochen näher nach der Felsenkante, welche die eine Seite des Zugangs bildete. Sie hatten kaum fünf Minuten dort gelegen, so vernahmen sie Schritte, die wieder zurückkamen. Es erschienen drei Männer, die so nahe bei ihnen stehen blieben, daß sie den einen von ihnen genau erkannten; es war Tokvi Kava, der Häuptling, der den beiden andern den Befehl erteilte: »Ihr bleibt hier, um die Tür zu dieser Felsenschlucht zu bewachen, und stecht jeden Menschen, der sich naht, augenblicklich mit dem Messer nieder. Unsre Krieger müssen der Pferde wegen mehrere Feuer anzünden, und wenn jemand deren Schein auch nur von weitem sähe, wären wir verraten. Die Zeit des Ueberfalls ist noch nicht gekommen, denn die Bleichgesichter werden noch nicht alle unter dem Dach, wo sie Feuerwasser trinken, beisammen sein; dennoch gehe ich jetzt, ihre Wohnungen zu beschleichen. Achtet nicht darauf, wenn ich lange fortbleibe, denn ich komme erst dann wieder, wenn der Augenblick naht, an dem sie alle sterben müssen. Hugh!«
Nach diesen Worten entfernte er sich mit langsamen, fast unhörbaren Schritten. Er glaubte natürlich, ganz unbeobachtet zu sein, war aber doch nicht allein, denn ihm folgten Winnetou und Old Shatterhand, möglichst tief gebückt und dabei so leise auftretend, daß er ihre Tritte nicht hören konnte.
Dies war nicht etwa leicht. Man konnte höchstens zwei Meter weit sehen; sie durften ihn gar nicht aus den Augen lassen und hatten sich also ganz nahe hinter ihm zu halten. Blieb er stehen, so hielten auch sie an und duckten sich bis tief auf die Erde nieder; ging er dann wieder weiter, so setzten auch sie ihren Weg fort. Das Rollen eines kleinen Steines oder das Knicken des dünnsten Zweigleins hätte alles verderben können.
Endlich waren sie aus der Hörweite der beiden Wächter gekommen. Dabei hatten sie sich dem Camp bereits so weit genähert, daß sie die Helligkeit, die aus der offenen Tür des Herberge- und Wirtschaftsgebäudes drang, von weitem sehen konnten.
»Jetzt!« raunte Old Shatterhand dem Apatschen zu.
»Uff!« stimmte dieser ebenso leise bei.
Es folgten zwei weite Sprünge vorwärts, die der Komantsche hören mußte; er drehte sich um, bekam aber in demselben Augenblicks schon den Faustschlag Old Shatterhands an die Schläfe, so daß er steif und schwer zu Boden fiel. Er hatte einen Schrei ausstoßen wollen, brachte es jedoch nur zu einem zwar scharfen, aber rasch verklingenden Hauch, der, wenn er je gehört wurde, viel eher für den Flügelschlag eines schlafmüden Vogels als für den unterdrückten Schrei eines Menschen gehalten werden konnte. Zu gleicher Zeit kniete Winnetou auf ihm, um ihm die Beine zusammen und die Arme auf den Rücken fest zu binden. Old Shatterhand riß eine Handvoll Gras ab, schob es dem Bewußtlosen in den Mund und band einen Fetzen, den er ihm vom Jagdrock lang herunterriß, darüber, so daß er später den Grasknebel mit der Zunge nicht aus dem Mund stoßen und dadurch Raum zum Schreien bekommen konnte. Darauf warf er sich den langen, knochigen, schweren Mann über die Schulter und schritt mit ihm, gefolgt von dem Apatschen, davon, nach der Schlucht zurück.
Natürlich wendeten sie sich nicht geradewegs ihrem Eingang zu, sondern hielten sich mehr nach links, so daß sie nach dem Tannendickicht kamen, unter dem der Engineer mit seiner Abteilung lag. Dieser war zwar ein kluger und umsichtiger Herr, aber doch kein Westmann und hätte, als er die beiden Gestalten so unerwartet ganz nahe bei sich auftauchen sah, wahrscheinlich eine Unvorsichtigkeit begangen, wenn ihm nicht Old Shatterhand mit unterdrückter Stimme bedeutet hätte: »Still! Wir sind es. Macht keinen Lärm, Mister Swan!«
»Ah, Ihr! Wen bringt Ihr denn da geschleppt?«
»Den schwarzen Mustang,« antwortete der Gefragte, indem er seinen Gefangenen von der Schulter herab- und auf den Boden niedergleiten ließ.
»Den Häuptling dieser roten Halunken? Thunderstorm! Das ist so echt Old Shatterhand und Winnetou! Aber er bewegt sich nicht. Ist er etwa tot?«
»Nein. Meine Hand ist ihm etwas unzart an den Kopf geraten, und da hat er das Bewußtsein verloren.«
»Ach, Euer Jagdhieb, Sir! Was tun wir mit dem Häuptling?«
»Wir legen ihn lang auf die Erde hin und binden ihn da an den Stämmen fest.«
»Aber wenn er erwacht, wird er schreien!«
»Das kann er nicht, denn ich habe ihm einen hübschen Sucking-Bag Zulp, Saugbeutel. zwischen die Zähne gesteckt. Also, bindet ihn recht fest, und gebt gut auf ihn acht! Wir müssen wieder fort.«
»Wohin?«
»Noch zwei Rote holen, die am Eingang Wache halten. Solange die dort sitzen, sind sie uns im Wege.«
Er legte sich mit Winnetou auf den Boden nieder und schob sich mit ihm nach der Stelle hin, wo sie vorhin gelegen hatten, als der ›schwarze Mustang‹ aus der Schlucht getreten war. Als sie diesen Ort erreichten, sahen sie die Wächter fast zum Greifen nahe vor sich sitzen. Die beiden Komantschen unterhielten sich miteinander über gleichgültige Dinge. Darum verschwendeten die beiden auch keine Zeit damit, sie zu belauschen, sondern warfen sich sofort über sie her, um sie unschädlich zu machen, was ihnen mit Hilfe der Ueberraschung sehr leicht gelang. Als sie sie dann dem Engineer brachten, sagte dieser: »Schon fertig mit ihnen? Hört einmal, Mesch'schurs, ihr macht verteufelt wenig Federlesens! Gibt es vielleicht noch mehr Rote, die ihr mir auf diese Weise bringen wollt?«
»Nein,« antwortete Old Shatterhand. »Wir werden die andern gleich auf einmal fangen.«
»Die Zeit dazu ist da?«
»Ja.«
»Gott sei Dank! Ich bin weder Squatter noch Trapper und darum nicht gewöhnt, so lange hier im Grünen zu liegen. Sagt also, was ich zunächst zu tun habe!«
»Laßt eins der Petroleumfässer nach dem Eingang schaffen und dort anbrennen. Diese Fackel wird die Komantschen so erleuchten, daß sie schnell erkennen werden, wie es mit dem beabsichtigten Ueberfall steht.«
» Well! Wollen nur schnell diese beiden Roten auch anbinden.«
Als dies geschehen war, brachte er mit seinen Leuten das Faß zwischen dem Gebüsch hervorgerollt; es wurde nach dem Eingang geschafft und angezündet. Natürlich erfolgte eine Explosion, die den oberen Boden zersprengte; die Dauben aber hielten zusammen, so daß nur ein Teil des Oeles auf die Erde floß und, sich dort verbreitend, weiterbrannte. Die Flamme füllte rasch die ganze Oeffnung zwischen den Felsen aus und leuchtete nicht nur bis in den hintersten Teil der Schlucht hinein, sondern mußte auch nach der andern Seite hin im Camp gesehen werden, wo jedenfalls auch die Explosion gehört worden war.
Diese war mit einem kanonenschußähnlichen Knall erfolgt und hatte die Komantschen aus ihrer Ruhe und Sicherheit gewaltsam aufgeschreckt. Noch fragten sie sich, was für ein Krach das gewesen sei, als sie gleich darauf die Flamme hoch emporlodern sahen. Die Schlucht wurde tageshell erleuchtet. Die Indsmen waren zunächst stumm vor Schreck, dann brachen sie in ein Heulen aus, von dem man nicht sagen konnte, ob es ein Kriegs- oder ein Angstgeheul sei. Sie drängten nach dem Feuer hin, wo der einzige Ausgang aus dem Tale lag; aber schon füllte ihn die Glut von einer Seite bis zur andern. Zugleich krachten Schüsse herein, die zwar, von Old Shatterhand abgefeuert, absichtlich niemand treffen sollten, aber um so deutlicher sagten, daß der einzige Weg zur Flucht nicht nur vom Feuer verwehrt, sondern auch von bewaffneten Feinden besetzt worden sei.
Die Roten wichen also wieder zurück, nach dem hintern Teil der Schlucht, und richteten ihre Augen nach deren Seitenwänden empor, um zu sehen, ob man vielleicht dort hinauf entweichen könne. Da aber bemerkten sie etwas, was ganz und gar nicht geeignet war, sie zu beruhigen und ihren Mut zu erhöhen. Old Shatterhand hatte nämlich den Befehl gegeben, die mitgebrachten Fackeln anzuzünden, sobald man das Petroleumfaß brennen sähe. Dieser Weisung war Folge geleistet worden, und nun sahen die Indianer den Rand der Felsen rundum mit flammenden Lichtern besetzt und hörten drohende Stimmen von oben herunterschallen. Eine dieser Stimmen übertönte alle anderen: »Hurra, Hurra, das Faß da unten brennt! Jetzt is der Oogenblick gekommen, wo der Rummel losgehen kann. Schteckt die Fackeln an, schteckt sie alle an! Helle muß es werden, helle wie zu Aschermittwoch früh halb elfe! Laßt ihnen een Licht offgehen, daß es unter ihren Schkalpen endlich an zu dämmern fängt, daß sie den Herrn Heliogabalus Morpheus Edeward Franke vor sich haben, mit dem sie keene Kirschen essen können. Droll, siehste, wie sie loofen und rennen! Hörschte, wie sie heulen und duten? Droll, Droll, wo biste denn mit deiner Anwesenheet hingekommen? Ich vermisse deine Allgegenwart. Wo schteckste denn eegentlich, heh?«
Da antwortete der Angerufene von der andern Seite herüber: »Hier bin ich, hier, Vetter Frank! Hier sieht mer alles besser, als da drüben. Wennste eenen Ueberblick haben willst, so komm rasch herüber!«
»Nee, ich bleibe, wo ich bin. Mach nur Radau, tüchtigen Radau, daß die Pferde da unten wilde werden und ihre Herren zwischen die Fußzehen schtrampeln. Schießen sollen wir leider nich, aber Schteene nunter, Schteene, das wird die Rothäute rasch mürbe machen!«
Zum Glück für die Komantschen bestand der Boden da oben aus festen Felsplatten. Hätte es Steingrus oder Geröll gegeben, so wäre es ihnen übel ergangen. Dennoch fand sich hie und da ein einzelner Stein, der herabgeworfen wurde und nicht ohne Wirkung blieb. Es wurden Menschen und Pferde getroffen; die ersteren heulten vor Schmerz, und die letzteren schlugen mit den Hufen um sich, rissen sich los und galoppierten hin und her, die schon bestehende Verwirrung noch vergrößernd.
Kaum waren zwei oder drei Minuten nach dem Anbrennen des Fasses vergangen, so waren alle Indianerpferde scheu und es gab in der Schlucht eine Szene wildester Verwirrung. Und da kamen nun auch die Bewohner des Camp herbei gerannt, um zu erfahren, auf welche Weise das nächtliche und unbegreifliche Feuer entstanden sei. Einer der ersten von ihnen war Mr. Leveret, der dortige Engineer. Er erblickte zu seinem Erstaunen Old Shatterhand und Winnetou, bei denen nebst andern sein Kollege aus dem Rocky-Ground stand.
»Ihr hier Mesch'schurs, ihr?« fragte er ganz atemlos. »Und da brennt ein Petroleumfaß! Was hat das zu bedeuten?«
»Das bedeutet, daß wir die Roten räuchern wollen, Mister Leveret,« antwortete Swan.
»Die Roten? Welche Roten, Sir?«
»Die Komantschen, die euch überfallen und ermorden wollten.«
» Heavens! Sollte das etwa heute schon geschehen?«
»Natürlich, heute schon. Nun aber stecken sie drin in der Schlucht, deren Ränder von meinen Arbeitern besetzt sind, und hier macht ihnen das Feuer den Ausweg zur Unmöglichkeit.« Und er berichtete dem Ueberraschten kurz den Zusammenhang.
Dieser war herzlich froh, sich an dem gefährlichen Abenteuer nicht beteiligen zu müssen und zog sich rasch ins Camp zurück, um seine erschreckten Leute zu beruhigen. Er vermochte es aber nicht, sie auftragsgemäß dort zurückzuhalten, denn mehr und mehr Chinesen drängten sich bergan, um die Höhe zu ersteigen. Dabei rissen sie Knüppel aus den Büschen und hoben Steine auf, sie mit hinaufzunehmen; sie schrieen in ihrer Muttersprache wirr durcheinander und schoben sich hin und her. Es war ein großes Glück für die Indianer, daß Old Shatterhand Chinesisch verstand. Diese Abkömmlinge aus dem Reiche der Mitte hatten erfahren, daß sie von den Roten hatten überfallen und skalpiert werden sollen. Bei einem offenen Angriff wären sie gewiß alle wie Spreu auseinandergestoben; hier aber sahen sie ihre Feinde eingeschlossen und unfähig, Gegenwehr zu leisten; das verlieh ihnen einen Mut, von dem sie sonst keine Spur besaßen. Die Feigheit verwandelt sich sehr leicht in Blutdurst, wenn sie sich außer Gefahr befindet, und Gefahr gab es hier nicht im geringsten. Man konnte die Indsmen aus ganz sicherer Entfernung von oben herab durch Würfe töten. Darum drängten die Chinesen nach der Höhe, um sie wie im Sturm zu ersteigen.
»Mein Bruder mag schnell mit mir kommen!« forderte Old Shatterhand den Apatschen auf.
»Diese gelbe Schar wird vor uns zurückweichen, sobald wir ihnen nur in die schiefen Augen sehen,« antwortete Winnetou, der die Absicht seines weißen Freundes sofort erkannte.
Sie eilten miteinander an dem Feuer vorbei und schwangen sich von Stein zu Stein so rasch an der steilen Felsenwand empor, daß sie die Chinesen schnell überholten, weil diese einen Umweg über die bequemere Lehne des Berges eingeschlagen hatten. Der Engineer Swan war mit seiner ganzen Arbeiterabteilung unten stehen geblieben, folgte ihnen aber mit den Blicken und sagte, sich an seine Leute wendend: »Die Gelben wollen die Roten lynchen, wie es scheint, und die beiden Jäger versuchen, dies zu verhindern.«
Das Feuer leuchtete bis zum Bergeshang hinauf, wo die zwei Westmänner jetzt den Chinesen entgegentraten. Unten in der Schlucht und oben aus der Höhe war tiefe Stille eingetreten, denn alle erkannten, um was es sich handelte, und waren auf den Ausgang dieses Zwischenspiels höchst neugierig.
Man hörte die gebieterische Stimme Old Shatterhands erschallen; die Chinesen achteten nicht auf ihn, sie drängten vorwärts. Seine Stimme erklang abermals, mit demselben Mißerfolge. Da zogen er und Winnetou die Revolver aus den Gürteln, das wirkte für kurze Zeit; die Schar der Chinesen kam zum Stehen, aber nicht lange, so drängten die Hintersten auf die Vordersten ein, welche fortgeschoben wurden. Das war ein kritischer Augenblick. Wirklich schießen wollten die beiden doch nicht, sie hatten die Waffen nur gezogen, um ihnen zu drohen; aber ihren Befehlen Gehorsam verschaffen, das mußten sie doch auch, wenn es nicht zu dem beabsichtigten Blutbad kommen sollte. Man sah, daß sie die Revolver wieder einsteckten; was sie dann taten, konnte man nicht deutlich und im einzelnen erkennen, aber man hörte deutlich ihre Stimmen; man hörte ferner die Chinesen schreien, man sah einen dichten Haufen durcheinander stoßender oder gestoßener Menschen, bemerkte einzelne der vordersten Chinesen durch die Luft fliegen und in den Haufen der Ihrigen fallen; es schoß bald rechts, bald links einer wie eine Bombe aus diesem Haufen heraus und kollerte den Berg hinunter; diesen einzelnen folgten mehrere; schon flogen sie zu zweien und zu dreien bergab, sich aneinander haltend und doch miteinander hinunterreißend, manche wurden wie von einer Feder kerzengerade emporgeschleudert, um dann wieder niederzufallen und weiter fortzukugeln. Das anfängliche Wutgeschrei verwandelte sich nach und nach in ein Klagegeheul; Schmerzensrufe und Jammertöne erschollen; der Haufen wurde kleiner, weil seine Bestandteile noch ohne Aufhören auseinanderflogen und den Hang hinunterrollten; es war, als ob es in seiner Mitte einen unsichtbaren und auch unwiderstehlichen Sprengstoff gebe, dessen chemische Zusammensetzung ganz darauf berechnet sei, mit Chinesenleibern Ball zu spielen; die Zahl der bergab Kugelnden vergrößerte sich um so mehr, je kleiner diejenige der Zurückbleibenden wurde, und endlich nahm der erwähnte Sprengstoff die Gestalt Old Shatterhands und Winnetous an, die nun wieder sichtbar wurden und eine letzte Gewaltanstrengung machten, deren Wirkung zwar für die Betreffenden keine angenehme, dafür aber für die Zuschauer eine desto erfreulichere und ergötzlichere war.
Ein riesiger Quirl schien mitten in die Chinesen geraten zu sein und sich in verhängnisvoller Tätigkeit zu befinden, natürlich verhängnisvoll für sie, denn sie wurden in einer Weise bald durch-, bald auseinandergetrieben, daß ihnen Hören und Sehen vergehen mußte; es sah aus, als ob die Erde unter ihren Füßen nicht mehr haltbar sei, denn es gingen mehr und immer mehr Standpunkte verloren; man bemerkte Beine seitwärts, Beine oben, Köpfe seitwärts, Köpfe unten, bis schließlich alles, aber auch alles ins Gleiten, Rutschen, Wanken, Fallen, Kollern und Kugeln kam, so daß eine ganze Chinesenlawine talabwärts ging. Sie fuhr hernieder, erst langsam, dann schneller und immer schneller, und als sie unten angekommen war, gab es ein gewaltiges Wimmern und Klagen im Nanking- und Kantondialekt, und es gerieten und verwinkelten sich soviel menschliche Gliedmaßen ineinander, daß es für jeden einzelnen Sohn der Mitte ganz bedeutender Selbstkenntnis und anatomischer Geschicklichkeit bedurfte, um die Abseits geratenen Teile seines lieben Ichs wieder zusammenzubringen.
Alles, alles, was einen Zopf trug, war mehr oder weniger schnell und pünktlich da unten angelangt; oben aber standen noch Winnetou und Old Shatterhand. So viel Weiße es hier gab, aus so viel Kehlen wurde ihnen Bravo zugerufen. Sie stiegen herab, und als sie unten anlangten, war kein einziger Chinese mehr zu sehen; diese hatten alle Angst bekommen, daß die Quirlerei hier unten fortgesetzt werden könnte, und waren fortgelaufen. Als der Engineer die beiden Westmänner mit einer Lobpreisung empfangen wollte, fiel ihm Old Shatterhand in die Rede: »Diese Gefahr für die Roten ist vorüber, aber es gibt noch eine zweite für sie, die ihnen nicht von den Gelben, sondern von den Weißen droht, die sich ganz oben auf der Höhe befinden. Sie werfen Steine herab, was wir nicht länger dulden dürfen.«
»Aber, Sir, diese Komantschen sind doch Mörder! Tut es Euch denn wehe, wenn den einen oder anderen dieser Burschen ein Steinchen trifft?«
»Nein, aber auch Verbrecher sind schließlich Menschen und als Menschen zu behandeln. Wer Tiere quält, taugt nichts; wer aber Menschen unnütz wehe tut, der ist noch viel weniger wert; das ist so meine Meinung, nach der ich zu handeln pflege, und ich denke, daß Ihr diesem Beispiel wenigstens so lange folgt, wie ich hier bei Euch bin. Schickt also zwei Männer hinauf, den einen rechts, den andern links, welche diese Ungebühr abstellen. Es soll sich jeder ruhig verhalten, und nicht eher etwas Feindseliges unternehmen, als bis ich das Zeichen dazu gebe!«
» Well! Werden dann aber auch die Roten Ruhe geben?«
»Sie werden sich hüten, vor Tagesanbruch etwas zu unternehmen, zumal sich ihr Häuptling in unsrer Gewalt befindet.«
»Das wissen sie doch nicht!«
»Wir binden die beiden gefangenen Posten los und schicken sie zu ihnen in die Schlucht. Es ist auch an der Zeit, nun mit dem ›schwarzen Mustang‹ zu sprechen. Laßt ihn und die zwei andern hierher holen, wo es hell ist und wir ihn leichter und auch schärfer beobachten können als dort im Dunkeln. Sagt ihnen keinen Namen, und legt sie hier so nieder, daß ihre Gesichter vom Feuer beschienen werden! Ich möchte sie deutlich sehen, wenn sie uns erkennen.«
»Darf ich ihnen antworten, wenn sie mich etwas fragen, zumal dem Häuptling?«
»Ja, aber nur Unwichtiges und Allgemeines. Wir werden uns ein Stück entfernen und dann unbemerkt von hinten herantreten, um zu hören, in welcher Weise er mit Euch spricht und wie er über seine Lage denkt.«
Der Engineer begab sich nach dem Tannendickicht, und Old Shatterhand ging mit Winnetou eine kleine Strecke fort, um von dem ›schwarzen Mustang‹ nicht sogleich erblickt zu werden. Es dauerte nicht lange, so wurde dieser nach der angegebenen Stelle gebracht und dort mit den beiden Posten in der vorhin angedeuteten Weise niedergelegt. Sie lagen mit den Köpfen so, daß Winnetou und Old Shatterhand hinter ihnen standen und also von ihnen nicht gesehen werden konnten. Langsam und leisen Schrittes näherten sich die beiden.
Der Engineer stand vor den drei Gefangenen, blickte sie forschend an und sagte nichts. Der Häuptling ärgerte sich über diesen Blick; eigentlich hätte er nach Indianerart auch schweigen sollen. Aber die Verachtung, die aus dem Gesicht des Beamten zu ihm sprach, empörte ihn so sehr, daß er seiner Würde nicht gedachte, sondern ihn zornig anfuhr: »Was schaust du uns so an? Kannst du nicht reden, oder klebt dir aus Angst vor uns der Mund zusammen?«
»Angst vor euch?« lachte der Gefragte. »Bilde dir nichts ein! Du bist ein Mordbube, den wir nachher mit einem recht guten und dauerhaften Strick aufhängen werden.«
»Du weißt nicht, was du redest! Ich bin Tokvi Kava, der oberste Häuptling der Naiini-Komantschen.«
»Wenn du der Oberste dieser Schurken bist, so wird dein Rang zwar gern von uns berücksichtigt werden, doch nur in der, Weise, daß wir dich ein Stück höher hängen als deine Leute.«
»Prahlt nicht! Wohl bin ich gebunden, aber ihr werdet mich sofort wieder frei geben müssen, sonst werden mich meine Krieger holen und euch dadurch bestrafen, daß sie Firwood-Camp verbrennen, alle seine Bewohner töten und die Schienen des Feuerrosses aus der Erde reißen.«
»Willst du, daß ich dich vor diesen deinen zwei Kriegern verlache? Du wagst es, mir zu drohen, obgleich du vor mir liegst wie eine Schlange, der die Giftzähne genommen sind! Ueber dein Schicksal entscheiden Old Shatterhand und Winnetou!«
Da lachte der Häuptling laut und höhnisch auf und sagte: »Du nennst diese Namen, um mich bange zu machen; ich aber weiß, daß sich diese beiden Krieger gar nicht hier befinden. Ja, sie waren gestern abend hier, aber aus Angst vor mir sind sie mit dem Wagen des Feuerrosses davongeeilt.«
Da fiel sein Auge auf den weißen Jäger, der langsam hinter ihm hervortrat.
»Uff, uff!« rief der Häuptling erschrocken. »Das ist Old Shatterhand!«
»Ja, das bin ich. Und wer ist der, den du hier neben mir siehst?«
Winnetou war ihm nachgekommen und stellte sich an seine Seite. Als der Komantsche diesen erblickte, entfuhr ihm der Ausruf des vermehrten Schrecks: »Und Winnetou, der Häuptling der Apatschen! Wo kommen diese beiden Männer her?«
Da nickte ihm Old Shatterhand mit seiner freundlichsten Miene zu und antwortete: »Du wirst dich außerordentlich freuen, zu hören, daß wir grad von daher kommen, woher auch du gekommen bist, nämlich vom Alder-Spring!«
»Ich war nicht am Alder-Spring!«
»Aber ganz in seiner Nähe, nämlich beim Hurrikan am Corner-Top, um uns heut abend am Alder-Spring zu fangen.«
Jetzt begann dem Komantschen die Erkenntnis zu dämmern, daß seine Lage eine viel schlimmere sei, als er bisher angenommen hatte. Er war gebunden, also vollständig machtlos; er sah das Feuer hoch und breit lodern, das seinen Leuten den Ausgang aus der Falle verwehrte; aber er wußte noch nicht, daß die Höhen der Schlucht rundum besetzt waren; deshalb ließ er die Hoffnung noch nicht sinken und knirschte wütend hervor, indem er an seinen Fesseln zerrte: »Wäre ich nicht gebunden, ich würde dich zermalmen, wie der Grizzlybär den Koyoten, der ihn ankläfft, mit einem einzigen Schlag seiner Tatze zu Brei zerschlägt! Ich verlange, freigelassen zu werden!«
»Wollen noch etwas damit warten! Da du dich so stolz den obersten Häuptling der Naiini-Komantschen nennst, so denke ich, daß du auch viel zu stolz sein wirst, die Unwahrheit zu sagen. Ihr seid hierher gekommen, um das Camp zu überfallen?«
»Nein!«
»Du hattest Ik Senanda, deinen Enkel, hierher geschickt, diesen Ueberfall vorzubereiten?«
»Nein!«
»Du warst gestern abend hier und hast mit ihm gesprochen?«
»Nein!«
Dieses dreimal Nein hatte einen so bestimmten, abweisenden, stolzen Klang, daß der Engineer zornig ausrief: »Diese Unverschämtheit! Ich habe große Lust, ihm seine alte Jacke ausziehen zu lassen, damit seine rote Haut Bekanntschaft mit einem guten Stock machen kann!«
Old Shatterhand fuhr, noch immer zu dem Häuptling gewendet, fort: »Es ist wirklich eine Feigheit sondergleichen, in einer solchen Lage so bestimmt zu leugnen. Kannst du auch leugnen, deinen Enkel heut vormittag ganz allein am Corner-Top zurückgelassen zu haben?«
Der Häuptling schloß für einen Augenblick die Augen, als müsse er einen plötzlichen Schreck verbergen; dann antwortete er höhnisch: »Old Shatterhand scheint träumen zu können, ohne daß er schläft!«
» Pshaw! Du hast ihn dort gelassen, um unsre gestohlenen Gewehre zu bewachen.«
»Uff, uff!« fuhr da der Komantsche trotz seiner Fesseln halb empor.
»Gibst du das zu?«
»Nein!«
»Tokvi Kava, Feigling, ich verachte dich! Um dir die Dummheit deines Leugnens zu beweisen, will ich dir etwas zeigen. Da schau her! Das hattest du wohl nicht erwartet?«
Old Shatterhand hatte nämlich, ehe er sich vorhin sehen ließ, seine Gewehre hinter dem Gefangenen niedergelegt, und ebenso Winnetou seine Silberbüchse. Jetzt holte der erstere diese Waffen heran und zeigte sie dem Häuptling der Komantschen. Dieser vergaß vor Schreck, daß er gefesselt war; er stieß einen Schrei aus und wollte aufspringen.
» Well, das scheint zu helfen!« lachte der Jäger.
»Die – die – – die Zauberbüchse, – – der – Bärentöter und – – die – – die Silberflinte!« stammelte Tokvi Kava. »Wo – wo – wo ist Ik Senanda. der Sohn meiner Tochter?«
»Er ist unser Gefangener. Wir haben ihn am Corner Top ergriffen, denn wir waren schon dort, ehe er kam!«
»Das – das – kann nicht sein!«
»Du wirst es glauben müssen. Wir fuhren mit dem Feuerroß nach dem Rocky-Ground und ritten von dort nach dem Alder-Spring, wo wir schon eher ankamen als du. Wir sahen alles, was ihr tatet, und hörten alles, was gesprochen wurde, denn ich lag mit Winnetou nur vier Schritte weit von dem Baumstamm, an dem du dich ausgestreckt hattest, in dem Dickicht des Windbruchs.«
»Uff, uff, uff!«
»Ja, uff, uff, uff! Willst du nun noch immer bei deinem unsinnigen Leugnen beharren?«
Der Komantsche blickte still und finster vor sich nieder, bis ihm der scheinbar rettende Gedanke an seine Leute kam. Da sagte er: »Tokvi Kava kennt keine Furcht; er hat nicht aus Angst geleugnet.«
»Du gibst also zu, uns bestohlen zu haben?«
»Ja«
»Du gestehst, daß du Firwood-Camp überfallen wolltest?«
»Ja.«
»Was hättest du mit den Bewohnern dieses Ortes gemacht?«
»Wir hätten sie getötet und skalpiert.«
»Alle?«
»Alle!«
» Zounds!« rief da der Engineer aus. »Mich auch?«
Für den Komantschen war es jetzt ganz gleich, ob er einen mehr oder einen weniger hatte umbringen wollen; er antwortete in gleichgültig stolzem Ton: »Ich weiß nicht, wer du bist; aber hätten wir dich mit ergriffen, so wärest du auch mit skalpiert worden.«
»Danke sehr, danke wirklich herzlich, mein lieber, roter Sir! Für dieses liebenswürdige Geständnis werde ich mich noch ganz besonders bei Euch bedanken. Sagt doch, Mr. Shatterhand, was wir jetzt mit diesem ehrenwerten Gentleman und seinen Leuten tun werden!«
»Zunächst werden wir ihm Gelegenheit geben, seine und die Lage seiner Leute kennen zu lernen,« antwortete der Gefragte. »Wir führen ihn nach dem Rande der Schlucht hinauf, von wo aus er alles überblicken kann.«
»Und dann?«
»Dann wird er wohl seinen Leuten den Befehl erteilen müssen, sich zu ergeben.« Er wendete sich zu den beiden gefangenen Posten und fragte: »Ist euch die Sprache der Bleichgesichter bekannt?«
Der eine antwortete: »Wir haben verstanden, was gesprochen worden ist.«
» Well! Ihr sollt jetzt in die Schlucht gehen, um den Kriegern der Komantschen zu sagen, daß wir ihren Häuptling ergriffen haben, und daß wir sie alle, wenn sie sich wehren, niederschießen werden. Ich führe den Häuptling auf die Höhe, damit er sich überzeugen kann, daß jeder Widerstand euer Verderben herbeiführen muß. Er mag dann entscheiden, was für ihn und euch das beste ist.«
»Von wem werden wir das erfahren? Wenn ein Bleichgesicht es uns sagt, werden wir es nicht glauben.«
»Ich werde ihm erlauben, es euch selbst zu sagen. Er mag von der Höhe herabsprechen, so daß alle seine Krieger es hören können. Seid ihr damit einverstanden?«
»Ja.«
»So werde ich euch jetzt eure Fesseln abnehmen lassen. Die Flamme ist hier an dieser Seite des Eingangs nicht so hoch und breit, daß sie euch gefährlich werden könnte; ihr kommt mit einem einzigen Sprung hindurch.«
»Sollen wir zurückkehren und wieder gefesselt werden?«
»Nein, ihr könnt in der Schlucht bleiben. Sagt euren Kriegern, was ihr gehört und gesehen habt! Wenn ihr das tut, werden sie einsehen, daß es für sie gar nichts andres geben kann, als abzuwarten, wofür ihr Häuptling sich entscheidet.«
Während ihnen die Fesseln abgenommen wurden, stellte sich Winnetou mit angelegtem Gewehr so, daß ein Entrinnen nicht möglich war. Der eine von ihnen nahm einen Anlauf und sprang an derjenigen Stelle durch das Feuer in die Schlucht, wo es am wenigsten breit war, und der andre folgte ihm sogleich. Hierauf zog Old Shatterhand noch einige Eisenbahner mehr herbei, um den Eingang während seiner Abwesenheit unter scharfer und hinreichender Bewachung zu wissen, und dann wurden dem Häuptling der Komantschen die Füße von den Banden befreit, um ihm zu ermöglichen, mit auf den Berg zu klettern. Die Hände blieben ihm natürlich auf dem Rücken festgebunden.
So stiegen die beiden Westmänner mit Tokvi Kava den Berg hinauf. Er hätte durch einen Versuch, zu entspringen, nicht nur sein Leben, sondern auch seine eingeschlossenen Krieger in die größte Gefahr gebracht, und folgte deshalb ohne Widerstreben bis hinauf zu einer Stelle, von wo aus die ganze Schlucht mit einem Blick zu überschauen war. Das war derselbe Ort, an dem sich der Hobble-Frank befand. Als er die drei Männer kommen sah und Tokvi Kava an seinem Federschmuck erkannte, tat er einen Freudensprung und rief aus: »Hurra, da bringen sie eenen gebracht, der, wenn mich meine angeborene Pfiffigkeit nich ganz im Stiche läßt, der Häuptling dieser roten Kriegspfadbrüder is! Habe ich's erraten, Herr Shatterhand?«
»Ja, er ist's,« antwortete der Gefragte.
»Freut mich, freut mich ungeheuer! Denn sobald wir den Hauptgimpel gefangen haben, gehen uns die andern Sperlinge ganz von selber off den Leim. Off welche Weise haben Sie ihn denn bei der Schkalplocke erwischt?«
»Nachgeschlichen und niedergeschlagen, lieber Frank.«
»Nachgeschlichen und niedergeschlagen! Das klingt so eenfach und selbstverschtändlich, als wenn die Köchin im Gasthaus zur goldenen Bratwurscht von der Katze sagt: Erst abgeschtochen, dann braungebraten und nachher als Hase offgefressen! Da schteht er nu und schtaunt grad wie die Kapelle von Schiller in das Tal von Uhland hinab! Wie mir scheint, kommt ihm unsre schöne Fackel- und Gasbeleuchtung sehr bedenklich vor!«
Der kleine lustige Wirrkopf hatte nicht unrecht. Wenn Tokvi Kava bis jetzt auf die Hilfe der Seinen gerechnet hatte, so mußte er nun einsehen, daß diese Rechnung falsch war. Sie hockten, mit ihren Pferden auf das ärgste eingeengt, da unten in der Schlucht, und der einzige Weg zur Freiheit wurde ihnen durch das noch immer hochlodernde Feuer verschlossen. Dieses Feuer konnte bis zum frühen Morgen und noch länger unterhalten werden; das wußte er, denn er hatte gesehen, daß noch ein großes volles Petroleumfaß unten lag.
Und wenn er die Wände der Schlucht betrachtete, so sah er zwar eine Stelle, an der man heraufklettern konnte; ja, ein einzelner Mann, für den oben kein Feind stand; aber eine so große Anzahl von Indsmen – an die Pferde dabei gar nicht zu denken! Und oben brannten Feuer und Fackeln, so daß alles tageshell beleuchtet war, und da zählte er eine wohlbewaffnete Menge Bleichgesichter, bereit, jeden Versuch, die Wand zu ersteigen, zurückzuweisen. Er sann hin und sann her; er suchte in seinen Gedanken nach irgend einer Möglichkeit; es gab keine. Freilich dachte er einen Augenblick daran, daß seine Indianer ihre Pferde besteigen und im Galopp den Ausgang durch das Feuer erzwingen könnten; aber er mußte auch diesen Ausweg fallen lassen. Erstens hatte er die Wachen gesehen, die draußen vor dem Feuer standen, und zweitens konnten alle die Bleichgesichter, welche er hier oben sah, mit ihren Kugeln die ganze Schlucht bis hin zum Feuer bestreichen; es wäre keinem einzigen Roten gelungen, zu entkommen, denn es hätte nur einer einzigen Salve bedurft, um den Ausweg mit den Leichen von Indianern und Pferden zu verstopfen.
Dieses niederdrückende Ergebnis seines Nachdenkens nahm ihn so in Anspruch, daß er gar nicht daran dachte, seine Züge zu beherrschen, und darum stand ihm die Enttäuschung so deutlich auf dem Gesicht geschrieben, daß zwar Winnetou und Old Shatterhand darüber schwiegen, dafür aber der kleine Hobble-Frank nicht umhin konnte, zu bemerken: »Jetzt macht er een Gesicht, grad so wie der Frau von Zappelheimern ihre Gans; als die nämlich fortfliegen wollte, da bemerkte sie, daß sie gar keene wirkliche Gans, sondern een Briefbeschwerer war. Er mag's anfangen, wie er will, er kann die Flügel doch nicht – – –«
»Uff, uff!« ließ sich da der Häuptling hören, und zwar viel lauter, als er es jedenfalls beabsichtigt hatte. Er erwachte aus seinem Brüten wie aus einem Schlaf und fuhr über seinen eigenen Ausruf zusammen.
Old Shatterhand wendete sich wieder zu ihm und fragte: »Nun, hat Tokvi Kava darüber nachgesonnen, ob es für ihn und seine Komantschen einen Weg zur Freiheit gibt?«
»Ja,« antwortete der Indsman. »Es gibt einen solchen Weg.«
»Ah! Welchen?«
»Deine Gerechtigkeit.«
»Berufe dich ja nicht auf sie! Wenn ich nur auf sie höre, bin ich gezwungen, euch zu verurteilen! Von dem beabsichtigten Blutbad will ich gar nicht sprechen. Aber welche Strafe ruht nach dem Gesetz der Savanne auf dem Pferdediebstahl?«
Der Gefragte antwortete nach einigem Zögern: »Der Tod; aber eure Pferde sind wieder zu euch zurückgekehrt!«
»Und welche Strafe ruht auf dem Diebstahl von Waffen?«
»Auch der Tod; aber ihr habt euch eure Gewehre wieder geholt!«
»Das ändert nichts an deiner Schuld. Dein Leben ist verwirkt!«
»So wollt ihr mich töten?« fuhr der Häuptling zornig auf.
»Wir sind keine Mörder. Wir töten nicht, sondern wir bestrafen, denn du hast Strafe gewollt und verlangt.«
»Uff! Wann hätte ich sie verlangt?«
»Als du Gerechtigkeit fordertest.«
Der Komantsche ließ den Kopf wieder sinken und schwieg. Er wußte, daß er nicht umsonst die Milde dieser beiden menschenfreundlichen Männer anrufen würde; aber sein Stolz sträubte sich dagegen, es zu tun. Nach einer Weile fragte er: »Wo ist Ik Senanda, den du gefangen hast?«
»An einem sichern Ort, wo er auf sein Urteil wartet. Du weißt, daß man Spione zu henken pflegt.«
»Uff! Seit wann ist Old Shatterhand ein solch grausamer Mensch geworden?«
»Seit du Gerechtigkeit von mir gefordert hast; denn die Gerechtigkeit verlangt euer Blut. Gnade willst du ja nicht!«
Wieder sank der Häuptling ratlos in sich zusammen. Er konnte sich und seine Leute weder mit List noch durch Gewalt retten. Eine dumpfe Wut kochte in ihm auf und ein wilder, heimtückischer Durst nach Rache erfüllte ihn. Langsam, aber mit unbeweglichen Zügen hob er den Kopf und fragte mit unsicherer Stimme: »Was versteht Old Shatterhand unter Gnade?«
»Die Erteilung einer milderen oder gar den Erlaß der ganzen Strafe.«
»Würdet ihr uns die Strafe ganz erlassen?«
»Nein; das ist unmöglich.«
»Aber das Leben könnten wir erhalten?«
»Vielleicht. Winnetou und ich, wir trachten nicht nach eurem Leben. Aber es wird nicht leicht sein, die andern Weißen zur Nachsicht zu bewegen; doch hoffen wir, es zu erreichen, wenn du das Deinige nicht versäumst, ihren Zorn zu besänftigen.«
»Was sollen wir tun?«
»Euch ergeben.«
»Ergeben?« fuhr er auf. »Bist du toll!«
»Ich habe dich hierher geführt, um dir zu beweisen, daß euer Widerstand uns keinen Tropfen Blutes kosten wird, euch aber augenblicklich ins Verderben führt. Diesen Zweck habe ich erreicht. Wenn ich das Zeichen gebe, gehen alle unsre Gewehre los; man wird euch die Skalpe nehmen, und eure Seelen werden dann in den ewigen Jagdgründen verurteilt, unsere Diener und Sklaven zu sein. Du hast es nicht anders gewollt. Komm!«
»Wo willst du hin?«
»Wieder hinab. Du sollst die Folgen deines Trotzes sehen. Komm!«
Er faßte ihn am Arm, scheinbar um ihn mit sich fortzuziehen; aber Tokvi Kava riß sich los, wich einen Schritt zurück und fragte, indem seine dunklen Augen aufglühten: »Du kannst uns nur dadurch retten, daß wir uns ergeben?«
»Ja.«
»Wir dürfen leben bleiben?«
»Ich hoffe es.«
»Und zu unserm Stamm zurückkehren?«
»Wenn euch das Leben geschenkt wird, ja. Du glaubst doch nicht, daß man Lust haben wird, euch hier zu behalten.«
»Und wenn wir frei fortziehen, fürchtest du da nicht unsre Rache?«
» Pshaw! Wer wird sich vor euch fürchten! Du sprichst von Rache? Wenn wir euch das Leben retten, seid ihr uns da nicht vielmehr Dankbarkeit statt Rache schuldig?«
»Rette uns; dann wirst du sehen, was wir tun!«
»Gut. Siehst du, daß man da rechts am Felsen emporsteigen kann?««
»Der Pfad ist so schmal, daß nicht zwei nebeneinander kommen können. Sag deinen Kriegern, daß einer nach dem andern hier heraufklimmen soll, doch ohne Waffen. Sie werden natürlich alle zunächst gefesselt werden, bis wir über sie beraten. Dann soll –«
»Gefesselt?« unterbrach ihn der Häuptling, zornig auffahrend.
»Ja. Wenn dir das nicht paßt, so mögen sie sterben. Du bist ja auch gefesselt!«
»Uff! Old Shatterhand ist ein schrecklicher Mensch. Er spricht so sanft und ruhig, aber sein Wille ist hart wie ein Fels!«
»Sehr gut, daß du dies einsiehst! Verhalte dich danach! Also, bist du einverstanden, daß sie gefesselt werden?«
Der Gefragte zögerte einige Augenblicke; dann reckte er sich stolz und hoch empor und antwortete, vor Grimm fast schreiend: »Ja!«
» Well! Aber sag ihnen, daß wir jeden, der nicht alles unten ablegt und die geringste Waffe mit heraufbringt, sofort töten werden!«
Man sah es deutlich, daß der Häuptling vor Wut zitterte. Er erkundigte sich noch: »Wenn ich tue, was du willst, wird da der Sohn meiner Tochter auch leben bleiben und die Freiheit erhalten?«
»Wahrscheinlich.«
»So laß mir die Fesseln abnehmen, daß ich hinunter zu meinen Kriegern steigen kann!«
»Ah, du willst selbst hinab?«
»Du hast es gehört.«
»Warum?«
»Es genügt nicht, daß ich einige Befehle von hier hinabrufe. Wenn sie sich ohne Waffen euch ausliefern sollen, muß ich ihnen meine Gründe sagen.«
» Well, antwortete Old Shatterhand, indem er ihn lächelnd musterte. »Magst du eine Hinterlist dabei verfolgen, mir gleich. Ich erteile dir die Erlaubnis, hinabzusteigen; aber von dem Augenblick an, wo du den Grund erreichst, werden die Läufe von neunmal zehn Gewehren auf euch gerichtet sein, und wenn ich nach fünf Minuten rufe und du kommst nicht als erster wieder herauf, geht jeder dieser Läufe zweimal los. Ich hab's gesagt, und so geschieht's. Jetzt geh!«
Er band ihm selbst die Hände los. Winnetou hatte sich mit keinem Wort an der Unterhaltung beteiligt; jetzt, als der Komantsche Miene machte, hinabzusteigen, legte er diesem die Hand an den Arm und sagte: »Was Old Shatterhand gesagt hat, ist wie ein Schwur, den auch ich halten werde. Wenn er dich ruft und du nicht sofort kommst, ist es meine Kugel, die dich trifft! Ich habe es gesagt. Howgh!«
Der Komantsche drehte sich, ohne zu antworten, von ihm ab und begann den Abstieg, der ihn zu den Seinen führte. Als er unten angekommen war und die ersten Worte zu seinen Leuten sprach, erhob sich ein lautes Geheul. Das war ihre Antwort auf seine Mitteilung, daß sie sich zu ergeben hätten. Um ihn gegen ihren etwaigen Widerspruch zu unterstützen, gab Old Shatterhand mit weithin schallender Stimme einige kurze Befehle. Da kamen alle Weißen, die sich auf der andern Seite befanden, auf die seinige herüber, bereit, die einzeln heraufkommenden Komantschen zu empfangen und zu fesseln, und alle richteten ihre Gewehre nach unten, um auf Old Shatterhands Befehl sofort Feuer zu geben. Auch die am Eingang der Schlucht unter dem Kommando des Engineers stehenden Weißen richteten ihre Gewehre auf die Eingeschlossenen. Was die Chinesen betraf, so waren sie zwar auf den Ausgang des Abenteuers unendlich neugierig, aber ihre Haut zu Markte zu tragen, das fiel ihnen gar nicht ein. Sie hatten sich in der Ferne gelagert, um beim geringsten Zeichen von Gefahr aufzuspringen und auszureißen, und nicht nur die Komantschen waren es, die ihnen diese Furcht einjagten, sondern sie konnten noch immer den weißen Jäger und den roten Apatschen nicht vergessen, die nur durch die Kraft ihrer Arme ihren dichten Haufen in eine abwärts rollende Lawine verwandelt hatten.
Tante Droll war auch mit von der andern Seite herübergekommen. Er hatte sich neben seinen Vetter Frank niedergestreckt, hielt wie dieser die Mündung seines Gewehrs über den Rand der Schlucht hinab und erkundigte sich: »Hast du, Vetter Frank, alles gehört, was hier gesproche worde is?«
»Wie kannste nur so fehlerhaft fragen!« antwortete der Kleine. »Ich bin doch dabei geschtanden und habe meine Ohren. Warum sollte ich denn da nischt gehört haben?«
»Daßte Ohre hast, das is mer nicht ganz unbekannt; aber mancher hat zwee Ohre, ohne daß er höre will, was er höre soll. Is das nich der Häuptling der Komantsche gewese?«
»Ja.«
»Und es is mit ihm verhandelt worde?«
»Ja.«
»Off was hat er sich denn einlasse müsse?«
»Die Komantschen müssen sich ergeben. Sie kommen eenzeln da am Felsen roffgeklettert und werden sogleich gefesselt, wenn sie hier oben aus der Unterwelt geschtiegen sind.«
»Du, das is wieder mal sehr pfiffig von unserm Old Shatterhand! Hätte se roffschteige könne, wie se wolle, gleich viele so hinter'nander, so hätte das für uns gefährlich werde könne; da se aber so eenzeln und eelitzig komme müsse, könne se uns keen Schaden mache. Es ist doch gleich was andersch, wenn mer in de richtige Gesellschaft kommt! Seit mer gestern Old Shatterhand und Winnetou getroffe habe, werde mer nu wieder was erlebe könne.«
»So? Und mit mir kannste wohl nischt erleben? Höre mal, ich bitte mir diejenige reschpektvolle Hochachtung aus, off welche een Mann wie ich Anspruch erheben kann! Das merke dir in Zukunft ganz ergebenst! Habe ich dir etwa deshalb geschtattet, als mein leibhaftiger Vetter geboren zu werden, daß ich mir die gute Laune verderben lassen soll? Behauptet dieser Mensch, bei mir nischt erleben zu können!«
»Na, sei nur gut!« bat Droll. »Ich hab's ja gar nicht so gemeent! Wer wird nu gleich bei jedem Wort so wie 'ne Bombe platze!«
»Schweig, alter Generalschtabsgimpel! Wie kannste es nur wagen, mich mit eener Bombe in eenem Stelldichein zu versammeln!«
»Weilste grad so schnell platzest wie sie.«
»Platzen! Was für een Ausdruck für so eene bedeutende Wissenschaftlichkeet, wie ich es bin! Weeste denn nicht, du Grünschnabel, daß du dich in meiner geehrten Anwesenheit gewählt ausdrücken mußt?«
Droll kratzte sich hinter dem Ohr und erwiderte verlegen: »Ach, lieber Frank, ich schtamme nu eenmal aus dem Altenburgischen und bin nich in Moritzburg gebore.«
»Leider, leider ja! Die liebe Schöpfung hat uns mit so ganz verschiedenen Geistesgaben ausgeschtattet, obgleich du mein wirklicher Vetter bist. Ich bin dir in allen Stücken über und kann eegentlich gar nich begreifen, wie unsre beederseitigen Eltern off den komischen Gedanken haben kommen können, grad uns zwee beede durch so eene nahe Verwandschaftlichkeet zu verbinden.«
»So? Da willste also nischt mehr von mir wisse?«
»Sei doch so gut und frag nich so dämlich! Ich habe dich gerade deshalb so lieb, weil du dümmer bist als ich. Wo wollte ich denn mit sämtlichen Schtrahlen meiner Weisheet hin, wenn ich niemand hätte, den ich damit erleuchten und verdunkeln könnte? Es macht mich doch gerade das so glücklich, daß alle meine Worte wie een Regen sind, der mit seinen Tropfen die geistig Armen erfrischt. Aber paß off! Old Shatterhand scheint jetzt rufen zu wollen.«
Die gegebene Frist war vorüber, und der Erwähnte bog sich jetzt über die Felsenkante vor, legte die Hand an den Mund und rief in die Schlucht hinab: »Tokvi Kava, eta haueh!« »Komm herauf, Tokvi Kava!«.
Der Häuptling hörte den Ruf, gab, wie man sah, seinen Leuten noch einen letzten Befehl und wendete sich dann von ihnen, um der Aufforderung Old Shatterhands nachzukommen. Er stieg an derselben Stelle herauf, wo er hinabgeklettert war, und während er dies tat, sah man, daß seine Leute alle ihre Waffen auf einen Haufen zusammenlegten. Er schien ihnen gesagt zu haben, in welchen Zwischenräumen sie ihm folgen sollten, denn sie standen unten bereit, und erst als er oben ankam, folgte ihm langsam der Nächste. Ob es vom Steigen war oder von der Aufregung, die ihm der Widerspruch seiner Krieger verursacht hatte, man sah es ihm an, daß seine Pulse klopften, als er, die Hände auf dem Rücken zusammenlegend, mit heiserer Stimme sagte: »Tokvi Kava hat sein Wort gehalten; hier, fesselt mich wieder! Aber nehmt euch in acht, daß wir euch nicht auch einmal Riemen an die Hände legen! Wenn das geschieht, dürft ihr sicher sein, daß ihr unter der Sonne nichts mehr zu suchen habt!«
Er wurde gebunden und ein Stück fortgeführt. Der ihm folgte, wurde auch gefesselt und dann Rücken an Rücken mit dem nächsten zusammengebunden. Indem man die Gefangenen auf diese Weise zu zweien aneinander befestigte, wurde man ihrer doppelt sicher.
Und so erging es auch allen anderen Komantschen, die – einer nach dem andern – zur Höhe hinaufstiegen. Als sie endlich sämtlich abgefertigt waren, lagen weit über fünfzig zusammengebundene Indianerpaare an der Erde. Tokvi Kava rief Old Shatterhand zu sich und sagte: »Es ist mir schwer geworden, meine Krieger zur Fügsamkeit zu bewegen. Wirst du dir nun auch Mühe geben, den Bleichgesichtern unser Leben abzuringen?«
»Ich werde sogar mehr halten, als ich dir versprochen habe,« antwortete der Jäger. »Ich sagte dir, daß ich meinen Einfluß geltend machen wolle. Jetzt, da du uns so gehorsam gewesen bist, gebe ich dir das feste Versprechen, daß euch euer Leben und eure Freiheit sicher ist.«
Da stieß der Komantsche ein schrilles Gelächter aus und rief, indem ein Blitz unendlichen Hasses aus seinem Auge über Old Shatterhand hinschoß: »Gehorsam? Ich euch? Ist der Löwe dem Hund oder der Büffel dem Stinktier gehorsam? Was denkst du, wer du bist? Eine eiterige Beule, die ich aus dem Leibe der bleichen Rasse herausschneiden werde, um sie in dem einsamsten Winkel der Savanne verfaulen zu lassen! Und was ist Winnetou? Der verachtetste und feigste unter den Apatschen. Ein Gift, das ich voll Ekel ausspucken und mit dem Fuße in die Erde scharren werde! Hast du im Eise des vergangenen Winters den letzten Rest deines Gehirns erfroren, daß du zu behaupten wagst, der ›schwarze Mustang‹ sei dir gehorsam gewesen? Ich schwöre dir beim großen Manitou und bei den Geistern aller unsrer Häuptlinge, denen wir in die ewigen Jagdgründe folgen werden, daß die Zeit kommen wird, in welcher ihr erfahren werdet, wer zu befehlen und wer zu gehorchen hat!«
Die einzige Erwiderung Old Shatterhands war die ruhige Frage: »Willst du dich vielleicht um das Leben reden? Noch bist du unser Gefangener und nicht frei!«
» Pshaw!« lachte er verächtlich. »Tokvi Kava läßt sich von dir nicht bange machen! Old Shatterhand hat gesagt, daß uns unser Leben und unsre Freiheit sicher sei!«
»Ach! So fest verlässest du dich auf mein Wort? Weißt du, welche Ehre du mir damit erweisest? Ja, du darfst uns ungestraft am Leben lästern, weil ich dir mein Wort gegeben habe. Weil du weißt, daß Old Shatterhand keine Unwahrheit sagt, bist du überzeugt, frech gegen mich sein zu dürfen. So wie jetzt du, bellt der Hund, dem man die Zähne ausgebrochen hat, daß er nicht beißen kann!«
»Und dieser Hund bist du!« schrie der Komantsche wütend. »Sieh hier meinen Fuß! Er wird dir bald den Tritt versetzen, der dich vor Schmerz zum Heulen bringt!«
»Du darfst viel, sehr viel wagen, weil du mein Versprechen hast,« mahnte ihn Old Shatterhand ruhig lächelnd. »Doch treib es nicht zu weit! Wenn du dich nicht zu beherrschen weißt, werdet ihr es zu bereuen haben.«
»Zu bereuen? Dieses Wort gibt dir deine Schwäche ein. Sag, was du willst, ich verlache deine Drohung!«
Da wurde das Gesicht des Weißen Jägers ernst, und seine Stimme klang voll und schwer, als er sagte: » Well, ganz wie du willst! Ich werde allerdings halten, was ich versprochen habe, aber kein Wort, keine einzige Silbe mehr. Wie ich das meine, wirst du erfahren. Ich hatte mir vorgenommen, noch milder zu verfahren, als ich durch mein Versprechen verpflichtet war; das ist nun vorbei, und meine Mahnung wird sich bald erfüllen; die Reue wird schnell kommen!«
Statt aller Antwort zog der Komantsche den Kopf zwischen die Schultern und schnellte sich trotz der Fesseln ein Stück empor, um Old Shatterhand anzuspucken, was ihm auch gelang. Da ballte Winnetou, der sonst so ruhige, überlegene Mann, den nichts aus der Fassung bringen konnte, die Faust und rief zornig: »Scharlih, er hat dich mit seinem Geifer besudelt. Wer soll ihn dafür züchtigen, du oder ich?«
»Nicht du, sondern ich, aber anders, als du denkst,« antwortete sein weißer Freund. »Er ist nicht wert, daß ihn deine Hand berührt.«
Auch die anderen waren tief empört über die unglaubliche Frechheit des Komantschen, der jetzt, da er seines Lebens sicher war, den nur mit Mühe so lange verschlossenen Grimm hervorbrechen ließ. Eine Menge Stimmen der Weißen ließen sich, schnelle Vergeltung fordernd, hören. Kas, der lange Blonde, ließ seinen kleinen Kopf von einer Seite auf die andre gehen; sein Stumpfnäschen schien noch einmal so groß geworden zu sein; seine sonst so gutmütigen Mausäuglein blitzten, und unternehmend zog er die Schaftstiefel an seinen Storchbeinen empor, wobei er sich mit lauter Stimme erbot: »Mister Shatterhand, das ist zu stark; das könnt Ihr ganz unmöglich dulden! Ich bin bereit, ihm das große Maul zu stopfen.«
»Womit?«
»Mit einem Riemen, den ich ihm um den Hals lege; dann bringen wir ihn hoch, dort an den Baum, der einige so schöne Aeste hat, die jedenfalls nur zu dieser Rangerhöhung so hübsch gewachsen sind. Wenn ihm dann der Atem ausgeht, kann ich nicht dafür. Hätte er ihn für etwas Besseres aufgespart! Wer nicht hören will, der muß fühlen; das ist ein altes, gutes Wort, und das gab es damals schon bei Timpes Erben!«
»Danke! Wenn er geboren worden ist, um aufgehängt zu werden, so wird er schon eine dazu passende Schlinge finden, ohne daß grad wir es sein müssen, die sie ihm um den Hals legen.«
»Was?« rief der Hobble-Frank. »Er soll Sie in dieser Weise beleidigt und mit faulen Erdäpfelschalen beworfen haben, ohne daß er seinen Lohn dafür bekommt? Das kann ich nich dulden, das geht mir gegen den Schtrich, wie dem Pudel, wenn er von hinten nach vorn gebürschtet wird! Es gibt am südlichen Firmament eene helle Schtelle, von der das Gesetz der Wiedervergeltung tief herunterhängt. Viele können seine Buchstaben lesen, viele aber ooch nich. Zu denen, die es lesen können, gehöre natürlich in erschter Linie ich, und so halte ich es für meine Pflicht –«
»Hier kann nur von meiner Pflicht die Rede sein, nicht von der deinigen, lieber Frank,« unterbrach Old Shatterhand den Redefluß des kleinen Mannes. »Ueberlasse es also mir, diesem roten Burschen auf seine Frechheiten zu antworten!«
»Das tu' ich aber nich; das tu' ich wirklich nicht, denn wenn ich Ihnen die Macht und Gewalt des Oberschtaatsanwalts überlasse, so weeß ich schon im voraus, daß die Rothaut den prachtvollsten Milchreis mit Austerntunke anstatt tüchtige Prügel kriegt.«
»Keine Sorge, Frank! Dieses Mal denke ich nicht daran, Nachsicht zu üben.«
»So? Also werden Sie endlich ooch eenmal gescheit? Zwar sehr schpät, aber doch! Haben Sie wirklich eene Schtrafe für ihn?«
»Ja.«
»Da bitte ich Sie um die große Gewogenheet und Gefälligkeet, mich dabei als den erschten Tragödien- und Soubrettensänger mitwirken zu lassen! Befehlen Sie also gütigst, Herr Inschpektor und Direktor, wenn der Vorhang offfschteigen soll! Das verehrte Publikum trampelt schon mit allen Beenen, und das ganze Haus is ausverkooft!«
»Gut, dein Wunsch soll erfüllt werden. Kas und Has mögen den Häuptling so fest halten, daß er den Kopf nicht bewegen kann, und du schneidest ihm mit deinem Messer den ganzen dicken Haarschopf herunter, lässest aber eine Strähne stehen, an die wir diese schönen ostasiatischen Zierden festbinden können.«
Er zog bei diesen Worten die Zöpfe der zwei chinesischen Gewehrdiebe aus der Tasche.
»Hurra, die beeden Kang-Keng-King-Kongzöpfe! Die hatte ich beinahe ganz vergessen! Hurra, hurra, ist das een großartiger Gedanke! Ich bin so erfreut und so entzückt, als ob heute mein Geburtstag wäre! Dem Mann kann sofort geholfen werden, nämlich von dem Schopfe und zu den Zöpfen! Kommen Sie her, Herr Timpe Nummer eens und Timpe Nummer zwee! Passen Sie off, meine Herren, das große Werk kann beginnen. Der Vorhang geht in die Höhe. Ich schpiele den Barbier von Sevilla ohne Borschtenpinsel und Seefenschaum, und der Komantsche wird den ›geschundenen Raubritter‹ geben. Beim erschten Offzug singe ich ihn an: ›Reich mir die Hand, mein Leben!‹ und hierauf trägt er die Gnadenarie aus ›Robert und Bertram‹ vor. Dann beginnt der Chor der Rachebrüder: ›Schab, Hobble, schab, der Schopf der muß herab!‹ Sodann fällt er ein: ›Leise, leise, lieber Frank, sonst wird meine Kopfhaut krank!‹ aus dem Freischütz, wenn ich mich nich irre oder wenn sich Weber nich geirrt hat. Am Schluß des erschten Aktes das Terzett: ›Mond, ich grüß dich tausendmal, der Komantsche is nu kahl!‹ Wenn kurze Zeit schpäter der Vorhang wieder hochgezogen wird, schtimme ich mit Harmoniumbegleitung an: ›Weint mit ihm des Schmerzes Träne, fadendünne ist die Strähne!‹ worauf er ganz alleene mit dem Doppelquartett antwortet: ›Weil ich sonsten ohne Hut mich nich sehen lassen kann, lieber Hobble, sei so gut, bind mir die Chinesen dran!‹ Das tu' ich natürlich ooch, weil meine Rolle es so mit sich bringt, und wenn es geschehen is, fallen sämtliche Mitschpieler und Zuschauer mit dem ganzen Orchester in den Lobgesang ein: ›Jubelt laut, ihr roten Brüder, denn die Zöpfe bammeln nieder! Euer Häuptling is entzückt, daß sein Schädel ward geschmückt; führt ihn im Triumph nach Haus, die Komödie is nu aus!‹ worauf das Publikum offschteht und der Vorhang niedergeht. In dieser Weise denke ich mir das Festprogramm, und nu, meine Herrschaften und übrigen Gentlemen, mag das Schtück beginnen!«
Der kleine, lustige Kerl war ganz begeistert von der Aufgabe, die ihm zugeteilt worden war. Er hatte seinen launigen Vortrag zwar in deutscher Sprache gehalten und konnte also nur von den Deutschen vollständig verstanden werden, doch waren seine Gebärden und sein Mienenspiel so bezeichnend gewesen, daß auch die andern Weißen sich denken konnten, was er meinte; die Roten aber schienen nichts zu ahnen.
Der Häuptling allerdings sah die Blicke, die sich auf ihn richteten; er sah das Bowiemesser in der Hand des Hobble-Frank, und er sah die chinesischen Zöpfe, die dieser von Old Shatterhand erhalten hatte. Er mußte schließen, daß es mit diesen Gegenständen auf ihn abgesehen sei, aber was man vorhatte, das konnte er sich doch nicht denken. Es wurde ihm bange, und diese Bangigkeit steigerte sich, als Kas und Has rechts und links von ihm niederknieten und ihn ganz unheimlich verheißungsvoll mit ihren Blicken maßen.
»Was wollt ihr hier? Was soll mit mir geschehen?« fragte er sie.
An ihrer Stelle antwortete Old Shatterhand: »Du sollst ein Geschenk von mir erhalten, weil du so freundlich und so höflich zu mir gewesen bist.«
»Welches Geschenk?«
»Ihr seid hierher gekommen, um euch die Skalpe der gelben Männer zu holen, habt sie aber leider nicht bekommen können, weil die Chinesen sie selbst behalten wollten. Da du denken kannst, wie sehr ich dir gewogen bin, wirst du einsehen, wie leid es mir tut, daß auch du als Häuptling auf den Besitz eines solchen Skalpes verzichten sollst. Mein gutes Herz hat es darum möglich gemacht, dich nicht nur mit einem Zopf, sondern sogar mit diesen zwei Zöpfen überraschen zu können. Ich hoffe, daß du diese Gabe dankbar von mir entgegennimmst!«
Tokvi Kava ließ ein zweifelhaft klingendes »Uff!« hören, da er keine andre Antwort geben konnte, weil er nicht wußte, welche Absicht sich hinter den freundlichen Worten des Sprechers verbarg. Dieser fuhr fort: »Zöpfe gehören natürlich an den Kopf, und so denke ich, daß es dir lieb ist, wenn ich sie da anbinden lasse, wo du sie zum Andenken an mich tragen wirst.«
»Uff, Uff!« antwortete er da, zornig werdend. »Skalpe hängt man nicht an den Kopf, sondern an den Gürtel. Und das sind gar nicht Skalpe, sondern nur Haare der feigen Gelbhäute ohne Haut daran. Ein Krieger, der solche Haare trüge, würde von den Kindern und von den alten Weibern verlacht und verspottet werden!«
»Du wirst sie aber dennoch tragen, denn ich schenke sie dir und bin gewohnt, daß meine Gaben geachtet werden!«
»Behalte sie; ich mag sie nicht!«
»Ob du sie magst oder nicht, danach frage ich nicht. Sie sind für dich bestimmt, und ich werde sie dir jetzt anheften lassen.«
»Wage es, dies zu tun!« schrie der Rote auf. »Vergiß nicht, daß ich ein Häuptling bin!«
» Pshaw! Du bist seit vorhin in meinen Augen nichts als eine rote Fratze, an die ich die Zöpfe der Chinesen hängen werde, zur ernst gemeinten Mahnung an deine Krieger, damit keiner wieder Winnetou und Old Shatterhand zu beleidigen wagt!«
Die Augen Tokvi Kavas wurden stier; er biß die Zähne zusammen und zischte zwischen ihnen hervor: »Ich warne dich. Wage es ja nicht, den Kopf eines Kriegshäuptlings mit diesem Abfall gelber Hunde zu beleidigen!«
»Du sprichst von einem Wagnis und willst mich warnen? Ich habe dich vorhin auch gewarnt. Du hast nicht auf mich gehört. Jetzt kommen die Folgen: du wirst diesen ›Abfall gelber Hunde‹ tragen, und ich will dir das so bequem wie möglich machen. Du bist nicht bloß mit der Skalplocke, sondern mit dem vollen Haar geschmückt; dieses Haar und zugleich die Zöpfe, das wäre zu viel für deinen Kopf; darum werde ich dir jetzt den Schopf abschneiden lassen, um Platz für die Haare der Chinesen zu bekommen.«
Jetzt erschrak Tokvi Kava tödlich. Seine Augen wollten zwischen den Lidern hervorquellen; seine Züge nahmen den Ausdruck eines wilden Tieres an; er richtete sich trotz der Fesseln halb empor, und mit vor unsagbarem Grimm bebender Stimme schrie er laut aus: »Meinen Schopf willst du abschneiden lassen? Meinen Schopf, die Zierde meines Hauptes, den Ausdruck der Kraft und den Sitz der Adlerfedern, die meine Würde verkünden und von meinem Ruhm sprechen! Der, der soll abgeschnitten werden?«
»Ja, und zwar sofort.«
»Wage es, wage es doch, wenn du dafür eines Todes sterben willst, der so viel Martern hat, wie die Schmerzen von tausend zu Tode gequälten Menschen!«
» Pshaw! Diese deine Drohung hält mich keinen Augenblick auf, das zu tun, was ich mir vorgenommen habe. Legt ihn nieder und haltet ihn fest!«
Diese Weisung galt den beiden Timpes, die ihr sofort folgten. Sie zogen den aufgerichteten Oberkörper des Komantschen auf den Boden nieder und hielten ihn da, ohne sich anstrengen zu müssen. Er leistete in diesem Augenblick keinen Widerstand. Lang ausgestreckt lag er da, hatte die Augen geschlossen und murmelte halblaut vor sich hin: »Nein, er wird es nicht wagen; er kann es nicht wagen; er darf es nicht tun. Einem Häuptling den Schopf abschneiden, das ist noch nicht geschehen, so lange es rote Krieger und so lange es weiße Menschen gibt!«
»Wenn es wirklich noch nicht geschehen sein sollte, so wird es jetzt geschehen,« beharrte Old Shatterhand auf seinem Willen. »Fang an, Frank! Wir wollen zum Schluß kommen!«
»Ganz recht,« antwortete der Kleine, indem er die Zöpfe einstweilen weglegte und mit dem Messer in der Hand zum Häuptling trat. Dieser hörte die Schritte, öffnete die Augen und sah ihn kommen. Nun erkannte er, daß das für unmöglich Gehaltene doch geschehen sollte, und diese Erkenntnis gab ihm Riesenkraft. Er warf, obwohl ihm die Hände, auf dem Rücken zusammengebunden waren, mit einer Doppelbewegung seines Oberkörpers die beiden Timpes von sich ab. Sie faßten ihn freilich sofort wieder und strengten all ihre Kräfte an, ihn nieder zu halten; doch er war ihnen durch die gewaltige Aufregung, in der er sich befand, für den Augenblick so überlegen, daß noch zwei andre Männer auf ihn knieen mußten, ehe sein Kopf so festgehalten wurde, daß man das Werk beginnen konnte. Hobble-Frank säbelte emsig drauf los. Kaum hielt der Kleine die erste abgeschnittene Strähne in der Hand, so hörte der Widerstand auf und der Körper des Komantschen streckte sich wie im Tode. Es kam nach der übermäßigen Anstrengung das Gefühl völliger Ohnmacht über ihn, und er ergab sich in sein Schicksal, ohne sich ein einziges Mal zu regen. Er ließ sogar ohne Widerstreben seinen Kopf, wie der Hobble-Frank es brauchte, bald nach rechts, bald nach links wenden, so daß man hätte glauben können, er sei betäubt. So wurde ihm der ganze, sehr dichte und lange Schopf mit Ausnahme eines dünnen Restes heruntergeschnitten. Als dies geschehen war, hob Frank die beiden Zöpfe in die Höhe und rief: »Dem Verdienst seine Krone! Passen Sie off, meine Herrschaften, jetzt kommt die Krönung!« Und geschickt befestigte er beide Zöpfe am Kopfe des ›schwarzen Mustangs‹.
Was nun folgte, spottet jeder Beschreibung. Die Weißen erhoben ein Jubelgeschrei, das gar nicht enden wollte. Die Roten aber brüllten und heulten; sie zerrten und rissen an ihren Banden, sie schnellten sich empor, um sie zu zersprengen, sie wälzten sich wütend hin und her, obgleich sie zu zweien zusammengebunden waren. Die Weißen hatten vollauf zu tun, die trotz ihrer Fesseln wie Fische hin und her schnellenden Indianer am Boden festzuhalten. Erst allmählich legte sich der Lärm. Tokvi Kava hatte sich an dem Geschrei nicht beteiligt, sondern war bewegungslos liegen geblieben. Nun richtete er sich halb empor und sagte mit einem unnatürlichen Rufe, aber mit heiserer Stimme: »Ihr habt euch gerächt. Jetzt gebt uns frei!«
Da sagte Winnetou, der sich bisher schweigsam verhalten hatte: »Es muß zunächst beraten werden, was mit den Komantschen zu geschehen hat. Schleift sie den Berg hinab und schafft sie in die Schlucht, wo wir sie noch sicherer haben als hier!«
Der ›schwarze Mustang‹ bäumte sich auf und zischte: »Ihr habt nichts zu beraten! Old Shatterhand hat uns das Leben versprochen!«
»Das Leben!« antwortete Winnetou verächtlich. »Wenn dem Häuptling der Apatschen geschehen wäre, was dir geschehen ist, so möchte er gar nicht mehr leben. Du aber wimmerst nach der Fortdauer deiner Schande, und sie sei dir gewährt!«
»Hund!« brüllte der Komantsche aus, »ich wimmere nicht. Ich will nur leben, um mich an euch rächen zu können, wie sich noch nie ein roter Krieger gerächt hat!«
» Pshaw! Tue es! Wie sehr wir deinen Zorn verachten und wie wenig wir deine Rache fürchten, zeigen wir euch dadurch, daß wir euch das Leben schenken.«
Er wandte sich ab und ergriff die Hand Old Shatterhands, um mit ihm den Abhang hinabzusteigen und ohne sich umzusehen, ob der Befehl, die Gefangenen hinabzuschleifen, ausgeführt wurde.
Es läßt sich denken, daß dies nicht in der zartesten Weise geschah, obgleich man sich hütete, sie dabei zu verletzen, weil man wohl wußte, daß dies nicht in der Absicht des Apatschen lag. Unten wurde das Feuer auf einer Seite so eingedämmt, daß zwischen ihm und dem Felsen Raum blieb, die Gefangenen hindurchzuschaffen; diese wurden paarweise nebeneinander niedergelegt, und dann wollten sich die Bahnarbeiter über die untenliegenden Waffen hermachen. Old Shatterhand aber wehrte ab, indem er befahl: »Halt! Es bleibt jetzt noch alles, liegen. Noch wißt ihr nicht, was über diese Sachen beschlossen wird!«
Mit leisem Widerstreben gehorchte man.
Eigentlich waren es vier Personen, die über das Schicksal der Komantschen zu entscheiden hatten, nämlich die beiden soeben Genannten und die beiden Engineers von Rocky-Ground und Firwood-Camp, aber der letztere hatte seine Haut in Sicherheit gebracht und ließ sich nicht wieder sehen. Also setzten sich die drei übrigen zusammen nieder, um sich zu besprechen. Swan, der Engineer, ergriff ohne Zögern das Wort: »Es ist doch ganz selbstverständlich, daß diese Burschen sterben müssen, und da schlage ich, weil Pulver und Blei doch Geld kosten und Riemen hier umsonst zu haben sind, vor, daß wir sie alle hübsch nebeneinander an die Bäume hängen. Ich bin überzeugt, Mesch'schurs, daß ihr derselben Meinung seid.«
Ueber das ernste Gesicht des Apatschen glitt ein leises Lächeln, doch antwortete er nicht, weil er gewohnt war, bei solchen Gelegenheiten Old Shatterhand das Wort zu lassen. Dieser nickte, auch lächelnd, dem Engineer zu und sagte: » Well, Sir! Es freut mich sehr, daß Ihr uns so richtig eingeschätzt habt. Auch wir sind natürlich vollständig überzeugt, daß sie sterben müssen, weil wir Menschen nun einmal alle sterblich sind.«
»Hm! Wie meint Ihr das, Mister Shatterhand?«
»Sie müssen sterben, früher oder später, weil sie eben sterbliche Menschen sind; wir haben aber kein Recht, ihren Tod herbeizuführen.«
»Wieso?«
»Weil wir, nämlich Winnetou und ich, ihnen versprochen haben, daß niemand getötet werden soll.«
»Habt Ihr dieses Versprechen nicht etwas vorschnell gegeben, Sir?«
»Denke es nicht! Die beste und gerechteste Strafe ist stets diejenige, die es dem Verbrecher unmöglich macht, seine Tat zu wiederholen. Wir müssen also den Komantschen die Gelegenheit oder die Macht nehmen, so bald wieder an einen Ueberfall zu denken. Dies geschieht dadurch, daß sie den beabsichtigten Einbruch in das Camp mit ihren Waffen und Pferden bezahlen müssen.«
» Egad! Das ist nicht übel; das leuchtet mir ein! Wer aber soll diese Sachen bekommen?«
»Ihr und Eure Arbeiter. Ich betrachte das als Straf- und Gerichtskosten, die als Belohnung für euren Beistand unter euch verteilt werden.«
»Sehr gut! Und die Leute von Firwood-Camp?«
»Von denen bekommen nur diejenigen etwas, die sich uns schließlich noch angeschlossen haben.«
»Das sind so wenige, daß wir das, was sie bekommen, gern abgeben können. Aber meint ihr nicht, daß sie dennoch versuchen werden, sich an euch zu rächen?«
»Gewiß. Aber es wird ihnen schwer fallen. Sie müssen diese Gegend schimpflich verlassen, zu Fuß; sie müssen sich während der Rückkehr nach ihren Weidegründen höchst armselig behelfen, weil sie keine Waffen haben; sie können nicht jagen, sondern höchstens Schlingen legen; sie werden sich meist von Wurzeln, Beeren und wilden Früchten zu ernähren haben; das hält sie lange unterwegs. Hierher, nach dem Schauplatz ihres beispiellosen Verlustes, kommen sie jedenfalls nicht so bald zurück. Dafür aber wehe, dreifach wehe mir und Winnetou, wenn wir jemals das Unglück haben sollten, ihnen in die Hände zu fallen!«
»Habt ihr denn keine Angst?«
»Angst? Fällt uns gar nicht ein! Wenn man sich im wilden Westen vor allem, was geschehen kann, ängstigen wollte, käme man aus der Angst gar nicht heraus. Also sind wir einig? Habt Ihr, Mr. Swan, unserm Beschluß noch irgend etwas beizufügen?«
»Werde mich wohl hüten!« lachte dieser. »Bin ganz zufrieden. Was aber soll mit dem Scout geschehen, der bei uns im Brunnen steckt?«
»Haut ihn tüchtig durch und laßt ihn dann laufen!«
»Soll besorgt werden, Sir, ganz gehörig besorgt! Meine Leute werden sich über die Beute freuen, die sie bekommen. Die Pferde brauchen sie wohl kaum; aber wenn wir sie mit der Bahn einige Stationen zurückschaffen, können wir sie verkaufen und ganz hübsche Preise erzielen.«
»Da muß ich bemerken, daß wir, nämlich meine Gefährten und ich, von der Beute nichts beanspruchen als nur zwei Pferde, die ich für Frank und Droll aussuchen werde, weil diese beiden schlecht beritten sind.«
» Well! Sucht die besten aus! Sie sind euch wohl zu gönnen, denn daß wir die Roten so hübsch festgenommen haben, ist doch nur euer Verdienst. Ich nehme an, daß die Beratung nun zu Ende ist.«
»Ja. Ich will dem Häuptling deren Ergebnis mitteilen. Wir werden fürchterliche Wutausbrüche zu hören bekommen, machen uns aber nichts daraus.«
Er stand auf und begab sich mit Winnetou und dem Engineer nach der Stelle, wo Tokvi Kava lag, bei dem die beiden Timpe, Droll und Frank sich niedergesetzt hatten, um ihn im Auge zu haben. Der neugierige Hobble wartete nicht, bis er etwas zu hören bekam, sondern fragte: »Was hat denn nu der Reichstag,« dabei deutete er auf Winnetou und Old Shatterhand, »und das Unterhaus,« dabei deutete er auf den Engineer, »für eenen Beschluß gefaßt?«
»Wirst es gleich hören,« antwortete Old Shatterhand kurz. Und sich an Tokvi Kava wendend, verkündete er laut, um von allen Roten gehört zu werden: »Die Söhne der Komantschen haben den Tod verdient, weil sie die Leute von Firwood-Camp ermorden und skalpieren wollten, aber wir haben ihnen ihr Leben versprochen und werden unser Wort halten.«
Da warf schon jetzt der Häuptling die geheuchelte Gleichgültigkeit von sich und rief: »Uff, uff! So nimm uns die Fesseln ab und gib uns frei, damit wir fortreiten können!«
»Wer kein Pferd hat, kann nicht reiten,« lautete die ebenso ruhige wie einfache Entgegnung.
»Wir haben welche!« antwortete der Häuptling halb selbstbewußt und halb unsicher.
»Ihr habt keine mehr, denn eure Pferde und auch alle eure Waffen werden uns gehören.«
»Unsre Pferde und Waffen?« schrie der Rote. »Du willst uns bestehlen?«
»Schweig!« donnerte ihn da der Jäger an. »Ihr seid Raubmörder, und wir haben euch besiegt. Trotzdem wollte ich nicht streng mit euch verfahren; aber ihr habt uns, trotz meiner Warnung, wiederholt verhöhnt und beleidigt; du glaubtest nicht, daß darauf die Strafe folgen werde und höhntest weiter. Du hast deshalb deinen Haarschopf eingebüßt, und außerdem werden euch alle Pferde und Waffen genommen. Wenn dann der Tag angebrochen ist, könnt ihr gehen. Das Leben, das ich euch versprochen habe, nehmt ihr mit; alles andre aber laßt ihr hier. Ich habe gesprochen. Howgh!«
Da fauchte ihn der Häuptling grimmig wie eine Wildkatze an: »Wie würdest du lachen, wenn ich auf meinem schwarzen Mustang hierhergekommen wäre! Obgleich deine Hand nicht wert ist, nur seinen Geifer zu berühren, wäre er doch dein Eigentum geworden. So aber mußt du auf das beste Pferd, das es von einem Ende bis zum andern gibt, verzichten. Ich verlache dich!«
»Und ich lache noch mehr über dich,« antwortete der weiße Jäger. »Du hast ja deutlich gesagt, was dein Rappe wert ist. Ein Pferd, welches geifert, taugt nichts. Du magst deinen Tschatlo ruhig behalten!«
Der Komantsche hatte Old Shatterhand ärgern und seinen Neid wecken wollen. Nun mußte er, anstatt dieses zu erreichen, eine solche Antwort hören. Tschatlo heißt Frosch. Welche Beleidigung, seinen berühmten Mustang einen Frosch zu nennen! Grad ebenso grimmig wie damals, als ihm seine Medizin genommen worden war, fuhr er aus: »Du selbst hast Geifer im Munde! Der böse Manitou hat dich nur gemacht und gesandt, um alles zu verschimpfen und in Unrat zu verwandeln. Meinst du, daß dein Hengst und der Rappe Winnetous berühmt seien? Sie sind gegen meinen Mustang wie zwei Finger eines Grabindianers, der nur von Kammas, Schmutz und Wurzeln lebt, gegen die siegreiche Lanze eines Komantschenkriegers!«
Old Shatterhand verzichtete auf eine abermalige Entgegnung und entfernte sich, um für Frank und Droll die beiden besten Pferde der Besiegten auszusuchen. Hierauf wurden die übrigen Tiere und dann auch die Indianerwaffen nach dem Lose verteilt, damit keiner sagen könne, er sei übervorteilt worden. Während dies geschah, saß der Hobble-Frank mit seinem Vetter und den beiden Timpes im eifrigen Gespräch beisammen. Da Old Shatterhand und Winnetou mit den letzteren reiten wollten, so erging er sich selbstverständlich in Versicherung der großen Taten, die er im Interesse von Kas und Has ausführen wollte.
»Ich bin Heliogabalus Morpheus Edeward Franke,« sagte er, »und ihr werdet mich kennen lernen. Meine Wohnung am Schtrande der Elbe derheeme heeßt Villa Bärenfett, denn es is keen eenziger Bär in ganz Amerika dick und fett geworden, ohne daß ich ihm nich mit meiner Büchse den Totenschein ausgeschtellt habe. Alle diese Bären sind mit Leichenwagen Nummer eens so nach und nach in meinem Magen begraben worden, und –«
»Mit Haut und Haar?« unterbrach ihn Kas.
»Schprechen Sie doch nich solche Unsinnigkeeten, Sie ausgewanderter Baron Timpe von Timpelsdorf. Mutet mir der Mensch zu, die Bären mit den Fellen gefressen zu haben! Denken Sie etwa, daß mein Magen een Kürschnerladen is oder een Vorratsraum für Reisepelze, Pelzschtiefeln, Boas und Bisamkragen? Haben Sie denn eegentlich schon eenen Bären gesehen?«
»Natürlich!«
»Ja, natürlich! Nämlich in dem ABC-Buch und in der Bilderfibel. Ich aber habe sie geschossen!«
»Auch in der Fibel?«
»Schweigen Sie gehorsamst schtill, wenn Leute schprechen, deren Worte Sie mit ehrfurchtsvoller Andacht anzuhören und zu bewundern haben! Seien Sie nur ja recht untertänig und zuvorkommend zu mir, denn ohne meine giedige Mitwirkung werden Sie ihre Erbschaft nie erhalten. Aber weil das liebenswürdige Schicksal Ihnen so gnädig gewesen is, Sie in meinem Vaterlande, also als meinen Landsmann, geboren werden zu lassen, fühle ich een königlich sächsisches Rühren in meinem edlen Herzen und will mich in Freundlichkeet und mütterlicher Geduld um Ihre Person bemühen.«
»Ich bin Ihnen dafür ungemein dankbar.«
»Nun, das freut mich. Ich werde mich also Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Erbschaft annehmen, grad so, wie sich der eene Zwilling – das bin ich – des andern Drillings – das sind Sie – anzunehmen hat. Verhalten Sie sich nach den Vorschriften, die mir angeboren sind, da werden Sie es zu etwas bringen und als een geachteter Mensch und angesehener Timpe in Ihre Heimat zurückkehren können!«
Seine Rede wäre wahrscheinlich in dieser Weise fortgesetzt worden, wenn nicht Winnetou, der in der Nähe, stand, jetzt plötzlich mit einer schnellen Bewegung seine Silberbüchse nach oben angelegt und abgedrückt hätte. Der Schuß krachte. Old Shatterhand war noch mit der Verlosung beschäftigt. Er drehte sich rasch um, sah den Apatschen mit dem Gewehr stehen und fragte, den Blick sofort auch nach oben richtend: »Warum hast du geschossen?«
»Es sah jemand von der Felsenkante herab,« antwortete Winnetou.
»Hast du getroffen?«
»Nein! der Kopf verschwand, als ich den Finger anlegte.«
»Hast du ihn deutlich gesehen?«
»Ja. Es war kein weißer Mann.«
»Also ein Indianer?«
»Winnetou weiß es nicht genau. Der Kopf war nur so lange zu sehen, als ich meine Büchse heben konnte; dann verschwand er.«
»Hm! Es ist niemand mehr oben, der zu uns gehört. Mein roter Bruder mag mit mir hinaufgehen. Der Mann, der es gewesen ist, wird zwar nicht warten, bis wir hinauskommen, aber es ist doch geraten, einige Posten aufzustellen, denn man kann mit größter Leichtigkeit von da oben aus einen von uns niederschießen.«
Sie stiegen hinauf und nahmen die beiden Timpes mit, um ihnen Posten anzuweisen. Als sie dann nach einiger Zeit wieder herunterkamen und Frank sie fragte, erfuhr er, daß sie niemand gefunden hatten. Oben war es jetzt dunkel, und nach Spuren zu suchen, hätte selbst bei Tageslicht zu nichts geführt, weil die Eisenbahner alles niedergetreten hatten und also eine Einzelfährte, wenigstens in der Nähe der Schlucht, nicht unterschieden werden konnte.
Das war gegen Morgen, und bald darauf begann der Tag zu grauen. Man konnte nicht die Absicht haben, sich lange und unnütz mit den Indianern zu befassen; so ganz nahe beim Camp wollte man ihnen die Freiheit denn doch nicht geben; sie waren zwar nun waffenlos, aber bei ihrer großen Zahl und bei der Feigheit der Bewohner dieses Ortes konnten sie, wenn sie einen Massenangriff versuchten, ihnen doch gefährlich werden. Darum wurde beschlossen, sie eine tüchtige Strecke in die Prärie hinauszuschaffen und dann nach und nach in einzelnen Abteilungen freizugeben. Dort war das Gelände offen, und man konnte sie weit sehen und beobachten. Sie mußten sogar annehmen, daß man ihnen heimlich folgen werde, und so stand zu erwarten, daß ihnen schon die Vorsicht verbieten werde, aus Rachsucht nach dem Camp zurückzukehren.
Während also Swan, der Engineer, sich nach dem Camp begab, um nach Rocky-Ground zu telegraphieren, daß man den Zug wieder senden solle, gaben Winnetou und Old Shatterhand den Eisenbahnern die nötigen Anweisungen. Man band die Indianer auseinander und gab ihnen die Füße frei, sorgte aber dafür, daß ihnen die Hände um so fester auf dem Rücken gefesselt waren, worauf jeder an den Bügel eines Pferdes gebunden wurde; dann stiegen die Bahnarbeiter auf und ritten mit ihren Gefangenen davon. Die andern, nämlich Old Shatterhand und seine Gefährten, gaben ihnen eine halbe Stunde lang das Geleite, bis sie den Wald hinter sich hatten und kehrten dann zurück, um den Zug zu erwarten.
Jetzt endlich kam Leveret, der Engineer, wieder zum Vorschein. Als er erfuhr, wie die Komantschen bestraft worden waren, zeigte er sich von der Begnadigung zwar nicht recht erbaut, fügte sich aber darein. Bald kam der Zug und man stieg ein, wobei man natürlich auch die beiden neuen Pferde Franks und Drolls mitnahm.
Es war nur noch die Bestrafung des Mestizen zu erwarten, die dem Hobble-Frank sehr am Herzen lag, denn, während der Zug dahinrollte, wendete er sich an Old Shatterhand: »Jetzt habe ich eene Bitte, die Sie mir beileibe nich abschlagen dürfen.«
»Welche?«
»Sagten Sie nich, daß dieser Ik Senanda, der sich Yato Inda nannte, Haue bekommen und nachher freigelassen werden soll?«
»Ja.«
»Hören Sie, das is doch eegentlich gar keene hinreichende Schtrafe für so eenen erbärmlichen Schtaatsverräter! Prügel kriegt mal jeder Schuljunge, ohne daß er een Mestize is; Prügel haben hoffentlich ooch Sie von Ihrem Vater gekriegt, obgleich Sie damals nich die Absicht hatten, den Komantschen so een Schock Chinesen auszuliefern, und ich, so großartig ich schon damals mit meinen Naturgaben veranlagt und ausgezeichnet war, habe doch wirklich ooch die denkwürdige Erfahrung machen müssen, daß es sorgsame Väter und sogar freundliche Mütter gibt, welche die Rute da abschneiden, wo sie angewachsen is und damit unverantwortlicherweise dahin hauen, wo sie ihr Lebtage gar nich anwachsen kann; von dieser Wahrheet bin ich sehr häufig höchst schmerzlich in meinem Innern und off meinem Aeußern berührt worden, obwohl es mir niemals in den Sinn gekommen is, mich off Firwood-Camp als Scout und Verräter anschtellen zu lassen. Also, verehrtester Herr Shatterhand, wenn Sie nur halbwegs noch een bißchen Sinn für Gerechtigkeit im Herzen haben, da müssen Sie einsehen, daß Prügel alleene für diesen Halunken viel zu wenig sind. Ich gebe mir darum die herablassende Ehre, Ihnen eenen Vorschlag zu machen, der mir tief im Gemüte liegt und den ich loslassen muß, wenn mein gefühlvolles Herz nich dran erschticken und zugrunde gehen soll wie een Kanarienvogel, der mit Paprika und Zwiebelsamen gefüttert wird.«
Alle, außer Winnetou, lachten über die Art und Weise, wie der Kleine sich auszudrücken beliebte, und Old Shatterhand fragte: »Welchen Vorschlag willst du hören lassen?«
»Das können Sie sich eegentlich selber denken, zumal ich weeß, daß Ihre Kenntnisse ooch nich ganz von Pappe sind. Man kann nämlich, zumal bei dem Prügeln, die Strafe dünner und ooch dicker offtragen; ich schtimme hier nich für das Dünne, sondern für das Dicke.«
»Du meinst also einen stärkeren Stock?«
»Das meene ich weniger. Ich kann aus meiner eegenen Erfahrung heraus bezeugen, daß een dünner Stock viel weher tut als een dicker, weil er nämlich besser schwippt; wissen Sie, meine Herren, een dicker wirkt bekanntlich nur off diejenige Höhenlage, die man Epidermis nennt, een dünner aber geht durch und durch, so ähnlich, wie das Licht beim Photographieren durch die ganze Linse geht und dann das schönste Bild zu schtande bringt. Nee, ich meene vielmehr etwas andres. Zur Prügelschtrafe muß noch eene andre kommen, oder wir geben ihr eene Dauer und Nachdrücklichkeit, die dem Verbrechen angemessen is. Der Kerl schteckt doch im Brunnen. Wir gießen so viel Wasser hinein, daß es ihm bis an die Lippen geht und er nur immer nach Lust zu schnappen hat. Das is doch wenigstens eene ehrliche Todesangst, obgleich er nich dran schterben wird. Wenn er die so eenige Stunden ausgeschtanden hat und durch und durch naß geworden is, dann ziehen wir ihn heraus und halten mit den Hieben nich eher, aber ja nich eher off, als bis er wieder trocken geworden is. Off diese Weise erkältet er sich nich und hat ooch schpäter keenen Grund, uns vorzuwerfen, daß wir das, was sein Vater früher an ihm versäumt hat, nich tüchtig nachgeholt haben. Verdient hat er das mehr als genug; quod erat demimonschtrum!«
Er hielt inne, denn es brach jetzt ein solches Gelächter aus, daß er seine eigenen Worte nicht mehr hören konnte. Er wartete, darüber ergrimmt, bis es sich gelegt hatte, und rief dann aus: »Nee, so eene Zucht und Unhöflichkeet hat man noch nich erlebt! Wenn Ihnen meine offrichtig gemeente Schtrafprozeßordnung nur Schpaß anstatt der beabsichtigten Abschreckung bereit, so wasche ich meine Hände in Unschuld. Sagen Sie mir doch nur eenen einzigen Grund, warum ich dazu verurteelt bin, so een höllisches Hohngelächter anhören und erdulden zu müssen. Mit Leuten, die mich und meine edlen Vorschläge belachen, kann ich nich verkehren. Howgh!«
Er schob sich zürnend in die hinterste Ecke des Wagens. Old Shatterhand konnte die Betrübnis des Kleinen, obgleich sie eigentlich komisch war, nicht lange mit ansehen und fragte nach einer Weile: »Hast du deinen Vorschlag ganz aufgegeben, lieber Frank?«
Der Moritzburger warf ihm einen noch halb zornigen, halb aber schon versöhnlichen Blick zu und antwortete: »Haben Sie nur keene Sorge! Ich werde gar niemals wieder eenen Vorschlag machen!«
»Das sollte mir leid tun. Du weißt doch, daß ich viel auf deine Ansichten gebe.«
Da nahm die Freundlichkeit im Auge des Hobble noch mehr zu und es klang unter einem erlösenden Seufzer: »Das sagen Sie doch jedenfalls nur deshalb, um mich wieder gut zu machen. Sie haben mich mit unversöhnlichem Zorn erfüllt, mich, der ich doch Ihr größter Freund und Gönner bin! Wer so zart besaitet is, wie ich, dem darf man nich mit eenem Violinbaß-Fidelbogen kommen, sondern der muß sanft angeklimpert werden wie zum Beischpiel eene Guitarre oder eene Mandoline. Ich bin tief gekränkt. Deshalb bleibe ich hier in meiner Ecke und lass' mich von keenem Mississippi und Amazonenschtrom herausschwemmen. Ein gebildeter Mensch soll ooch Charakter haben!«
»Das ist sehr richtig! Und weil du nicht nur überhaupt Charakter, sondern sogar einen sehr guten hast, so denke ich, daß du nicht lange mehr dort hinten sitzen bleiben wirst.«
Durch dieses Lob geschmeichelt, rückte der Kleine schon ein wenig näher und sagte, viel freundlicher als vorher: »Is das wirklich Ihre Ueberzeugung, verehrtester Herr Shatterhand? Sollte mich freuen, wenn es so wäre. Ich sage Ihnen, es würde nicht nur für die andern, sondern ooch für Sie sehr gut sein, wenn Sie erkennen und einsehen lernen, daß ich nich so ganz ohne bin.«
»Das sehe ich nicht nur ein, sondern ich weiß es schon seit langer Zeit!«
»So?« flötete der Kleine, indem er wieder näherrückte. »Am Ende is es doch vielleicht nur een Irrtum, wenn ich denke, daß ich von Ihnen verkannt werde. Da will ich es doch noch eenmal versuchen, ob in Ihrem Verhalten die von mir gewünschte Besserung zu schpüren is!«
Er rückte abermals näher, so daß er nur noch einen Schritt von Old Shatterhand zu sitzen kam, und fuhr dann eifrig und ganz freundlich fort: »Also, was meinen Vorschlag betrifft, wie soll es da werden? Sind Sie geneigt, ihn in der gewünschten Ausführung gutzuheeßen?«
»Ja, lieber Frank.«
Da gab sich der vollständig versöhnte Hobble einen solchen Ruck, daß er eng an Old Shatterhand zu sitzen kam, und rief, indem sein Gesicht vor Freude und Genugtuung strahlte, aus: »Es is doch keen Bär een solcher Tolpatsch, daß er nicht wenigstens eenmal etwas Gescheites tut! Ich kann Ihnen jetzt das Zeugnis geben, daß meine Ehre vollschtändig wiederhergestellt is. Also es bleibt bei dem, was ich vorgeschlagen habe?«
»Wahrscheinlich. Natürlich kommt es dabei mit darauf an, wie er sich gegen uns verhält!«
»Ganz richtig! Und weil ich weeß, daß sein Verhalten nich mehr als alles zu wünschen übrig lassen wird, so wollen wir alles begraben, was unsre Geister und Gemüter trennt, und wenn Ihre Worte ja eenmal von eenem unverschtändigen Menschen angezweifelt oder gar verlacht werden sollten, wie es vorhin mir in diesem Wagen geschehen is, so wenden Sie sich nur getrost an mich! Ich bin der Mann, der es verschteht, Ihnen diejenige Achtung zu verschaffen, off welche Sie als mein treuer Freund und Gefährte Anspruch erheben können!«
Es war bei der Urkomik seines Verhaltens und seiner Worte beinahe rührend, zu beobachten, welche Mühe sich die andern gaben, den Ernst zu behaupten, der unbedingt nötig war, wenn ein Rückfall in seinen Zorn verhütet werden sollte. Sie brachten es auch glücklich fertig, und so verlief die weitere Fahrt, ohne daß er wieder Veranlassung fand, sich über die Fehler und geistigen Gebrechen der Menschheit insgesamt und im einzelnen auszusprechen. Rocky-Ground wurde in bester Stimmung erreicht, und wenn es irgend eine Schwierigkeit gab, war es nur die, die beiden Indianerpferde unverletzt aus dem Wagen zu schaffen. Sie waren diese Art des Transportes nicht gewöhnt, und es hatte in Firwood-Camp einen großen Aufwand von Mühe gemacht, sie hineinzubringen.
Die Leute, die man hier zurückgelassen hatte, waren dabei behilflich, ohne zunächst eine Meldung zu machen, und erst als die Pferde glücklich auf dem Erdboden gelandet waren und der Engineer nun die Frage aussprach, ob sich etwas Ungewöhnliches ereignet habe, antwortete einer, indem er sich verlegen in den Haaren kraute: » Well! Da Ihr danach fragt, Sir, so muß ich nun wohl heraus damit: es ist ein Pferd gestohlen worden!«
»Welches?« wurde da sofort von sechs Personen fast gleichzeitig gefragt. Da die Eisenbahner keine Pferde besessen hatten, konnte das gestohlene nur einem der sechs Jäger gehören. Wie schlimm, wenn es einer der beiden Rapphengste Winnetous und Old Shatterhands war!
Es gab einen Augenblick der größten Spannung, bis er antwortete: »Es war ein Rotfuchs, Mesch'schurs.«
Man konnte jetzt einen mehrfachen Hauch der Erleichterung hören. »Gott sei Dank!« rief Frank in wahrer Begeisterung aus. »Vetter Droll, das is dein Schtolperfritze, dem du dein Hüftweh zu verdanken hattest. Der mag immerhin geschtohlen sein. Du hast ja een viel besseres Tier dafür!«
»Nur langsam mit dem Urteil, Frank!« mahnte da Old Shatterhand. »Es handelt sich hier weniger um das Pferd als um den Dieb. Ich ahne, wer es ist. War es etwa der gefangene Mischling, den wir in den Brunnen hineingesteckt haben?«
»Ja, Sir,« antwortete der Mann verlegen, an den diese Frage gerichtet war.
»Wie kommt der aus dem Brunnen heraus? Das kann nur die Folge einer ungeheuren Nachlässigkeit von Euch sein!«
»Die ich streng bestrafen werde!« fügte der Engineer. hinzu. »Ich hatte doch einen Wächter an den Brunnen gestellt! Wo ist dieser? Er steht nicht mehr dort, und ich sehe ihn auch sonst nirgends.«
»Er hat sich aus Angst einstweilen aus dem Staub gemacht, bis, wie er sagte, die erste Hitze bei Euch vorüber sei, Mister Engineer.«
»Da kann er lange warten. Ich lasse ihn, wenn er wiederkommt, prügeln, daß er daran denken wird! Nun ist der Scout über alle Berge und wir haben das Nachsehen! Hoffentlich ist er noch nicht sehr weit, und wir können ihn noch einholen. Macht Euch schnell fertig, und – –«
»Gemach, Sir, gemach!« unterbrach ihn Old Shatterhand. »Ueberstürzung kann hier zu gar nichts führen. Wenn meine Ahnung mich nicht trügt, so ist er jetzt schon so weit fort, daß alle Verfolgung Eurerseits vergeblich ist. Ich denke, er ist von hier nach dem Firwood-Camp geritten.«
»Uns gerade in die Hände? Unmöglich! Er müßte nicht bei Sinnen gewesen sein!«
» Pshaw! Er wußte die Komantschen in Gefahr und ritt hin, sie heimlich zu warnen, ist aber glücklicherweise zu spät gekommen. Er war es jedenfalls, der von oben herunterblickte und nach dem Winnetou geschossen hat, ohne ihn zu treffen.«
»So ist's,« stimmte der Häuptling der Apatschen bei. »Es war nur ein Augenblick, daß ich ihn sah; ich hob zwar schnell das Gewehr, aber er zog ebenso rasch den Kopf zurück.«
»Müssen uns darein schicken! Ich denke übrigens, daß dieser Bursche uns schon wieder vor die Läufe kommen wird. Lassen wir ihn einstweilen fort sein! Er wird beobachtet haben, daß seine Komantschen freigelassen werden, und ihnen nachreiten, um sich mit ihnen zu vereinigen. Wenn mir daran läge, ihn zu fangen, wollte ich ihn sehr bald haben; aber wir hatten uns ja vorgenommen, ihm die Freiheit zu geben, und so mag er sie auch ohne vorherige Prügel genießen.«
»Aber es tut doch meinem Herzen wehe,« bemerkte Frank, »daß wir ihn nicht einweichen und dann ausklopfen konnten!«
»Er wird später vielleicht zu dieser Klopferei zu finden sein; tröste also dein betrübtes Herz, lieber Frank! Jetzt verlangt es mich vor allen Dingen zu erfahren, wie es ihm möglich gewesen ist, aus dem Brunnen zu entkommen und dann gar auch das Pferd zu stehlen. Hoffentlich seid Ihr im stande, es uns zu erzählen, Mann!«
Der Eisenbahner fuhr unter dem scharfen, strengen Blick Old Shatterhands zusammen, als ob er sich in sich selbst verbergen wollte; doch antwortete er: »Ich bin nicht schuld daran, Sir; das könnt Ihr mir getrost glauben. Der Clifton war's, der den Brunnen bewachen sollte und sich von den Chinesen übertölpeln ließ.«
»Chinesen? Sind Chinesen dagewesen?«
» Yes, Mister Shatterhand, zwei Stück waren es, zwei ganze Stück.«
»Ah, das sind höchst wahrscheinlich unsre Gewehrdiebe gewesen. Hatten sie ihre Zöpfe hinten herunterhängen?«
»Habe keinen Zopf zu sehen bekommen; dafür aber hatten sie Geld, schöne Dollars, Halb- und Vierteldollars. Damit gingen sie in den Room zum Keeper Wirt. und ließen sich geben, was ihr Herz begehrte oder was vorhanden war.«
»Und Ihr seid natürlich so freundlich und so vorsichtig gewesen, tüchtig mit ihnen zu zechen, nicht?«
»Ich nicht, aber der Clifton, Sir. Ihr müßt nämlich wissen, daß er sie gut kannte, denn er hat in Firwood-Camp gearbeitet, ehe er hier von Mister Swan angestellt wurde. Es wird am besten sein, wenn ich Euch alles so der Reihe nach erzähle, wie es geschehen ist.«
»Ja, tut das! Sagt alles der Wahrheit gemäß!«
»Ich kann es nicht anders erzählen, als wie es geschehen ist, Sir. Es war gegen Abend und wollte grad dunkel werden. Wir hatten unsre Arbeit getan und machten Feierabend, da kamen die Chinesen, die der Teufel reiten möge, weil sie uns diesen Streich gespielt haben. Clifton saß als Wächter am Brunnen und hatte das Ende des Strickes, an dem der Mischling unten angebunden war, um den nächsten Baum geschlungen. Sie sahen ihn, und weil sie ihn von Firwood-Camp her gut kannten, gingen sie zu ihm hin, um ihn zu begrüßen. Wir andern folgten ihnen, denn wir waren doch neugierig, was die Chinesen hier bei uns in Rocky-Ground wollten. Wir erfuhren, daß sie des geringen Lohnes und der schlechten Behandlung wegen ihre Stellung in Firwood-Camp aufgegeben hätten und sich nun eine neue suchen wollten.«
»Und das habt Ihr geglaubt?« fragte Old Shatterhand. »Sie waren doch die Vormänner der chinesischen Arbeiter und gerade sie sollten unzufrieden gewesen sein! Das war doch verdächtig!«
»Mag sein! Wir sind einfache Werkleute und haben nicht studiert. Von uns kann man nicht verlangen, daß wir uns jeden Kniff und Pfiff so schnell zurechtlegen. Clifton sagte ihnen, daß sie wahrscheinlich hier bei uns Stellung bekommen könnten; aber sie wollten nicht hier bleiben, sondern mit dem nächsten zurückfahrenden Bauzug ein gutes Stück weiter nach dem Osten hinein.«
»Das glaube ich sehr gern, sie haben ihre Zöpfe verloren, sind also geschändet und müssen sich nach einer Gegend wenden, wo keine Chinesen sind. Weiter!«
»Sie blieben natürlich da, um den Bauzug zu erwarten, und gingen nach dem Trinkraum, wo sie sich beim Keeper zwei Schlafstellen ausmachten. Sie hatten, wie ich schon sagte, Geld mit und ließen sich nicht lumpen. Wir mußten mit ihnen trinken; da kamen wir ins Sprechen und erzählten ihnen, daß Ihr hier gewesen und dann fortgefahren wäret, um Firwood-Camp zu schützen. Sie horchten nicht wenig auf; aber, Sir, von Euch und Winnetou schienen sie nichts wissen zu wollen; das hörten wir aus verschiedenen Aeußerungen, die sie taten.«
»Das glaube ich wohl. Sie haben uns bestohlen und ihre Strafe dafür bekommen; deshalb sind sie ja fort vom Camp. Ich durchschaue sie. Sie haben gehört, daß wir beide es waren, die den Mestizen gefangen nahmen; da ist ihnen der Gedanke gekommen, sich dadurch an uns zu rächen, daß sie ihn befreien.«
»Möglich, daß sie diesen Streich nicht uns, sondern euch haben spielen wollen. Vielleicht ist es noch dazu auch aus einer Art von Freundschaft geschehen, denn sie schienen in Firwood-Camp mit ihm auf gutem Fuß gestanden zu haben. Kurz und gut, sie trugen auch Clifton Schnaps hinaus, eine tüchtige Flasche voll und dann noch eine. Später suchten sie ihn noch einmal auf, und es dauerte eine geraume Weile, ehe sie wieder hereinkamen. Da setzten sie sich, was uns später aufgefallen ist, nicht wieder auf ihre früheren Plätze, sondern so, daß wir, um Raum zu gewinnen, die Tür zumachen mußten und nicht mehr hinaussehen konnten, wo die Pferde standen. Nach einiger Zeit hörten wir ein auffälliges Wiehern, Schnauben und Stampfen. Es mußte mit den Pferden etwas los sein und wir gingen hinaus, obgleich die Chinesen uns davon abhalten wollten. Da waren die beiden schwarzen Hengste losgebunden und der Rotfuchs fehlte. Losgerissen hatte er sich nicht, das sahen wir; er war also nicht selbst entwischt, sondern fortgeführt worden. Aber von wem? Wir waren ja alle beisammen, außer Clifton, der beim Brunnen wachte. Wir gingen zu ihm, ohne auf die Chinesen zu achten; da lag er total betrunken und fast besinnungslos am Boden und bei ihm der Strick, an dem der Mestize gehangen hatte; wir sahen auch die Riemen da liegen, mit denen diesem die Hände und die Füße zusammengebunden gewesen waren. Natürlich erschraken wir gewaltig und suchten von Clifton zu erfahren, was geschehen war; aber wir konnten nichts aus ihm herausbringen, da er nur unverständliches Zeug lallte. Um ganz sicher zu gehen und uns zu überzeugen, wurde ich an dem Strick in den Brunnen hinabgelassen, und da fand ich es freilich ganz so, wie ich es befürchtet hatte: der Mestize war fort.«
»Dachte, es mir!« sagte Old Shatterhand. »Die Chinesen haben ihn, als Clifton vollständig betrunken war, herausgezogen und von den Fesseln befreit. Dann sind sie wieder in den Trinkraum gegangen und haben schlauerweise dafür gesorgt, daß die Tür zugemacht werden mußte, damit der Mestize sich eines von den Pferden stehlen könne. Gab es dort Licht?«
»Ja, es brannte eine Laterne bei den Tieren.«
»Da hat er natürlich sehen können, welche Pferde die besten waren, und sich, wie sein Großvater, an unsre Rappen gemacht, ist aber dabei auch nicht glücklicher gewesen als dieser; sie haben sich zwar losbinden lassen, sich aber dann gewehrt, und dadurch ist ein Lärm entstanden, der ihn zur höchsten Eile trieb, wenn er sich nicht erwischen lassen wollte. Er nahm also dann dasjenige Pferd, das ihm am bequemsten stand, und das ist der Rotfuchs gewesen.«
»Das ist richtig, Sir; denn dieses Pferd stand der Tür am nächsten.«
»So hat er gerade das schlechteste erwischt; aber er ist jedenfalls ein guter Reiter und kennt die Gegend zwischen hier und Firwood-Camp genau, sonst hätte er sich ja nicht als Scout engagieren lassen können. Dadurch ist es ihm möglich geworden, trotz der Dunkelheit nach dem Birch-Hole zu entkommen, freilich viel zu spät für die Absichten, die er dabei verfolgte. Was sagten dann nachher die Chinesen zu seiner Flucht?«
»Nichts sagten sie, oder, um mich anders auszudrücken: was sie zu einander gesagt haben, die Halunken, das konnten wir nicht hören; denn als wir uns von der Flucht des Gefangenen überzeugt hatten und uns nach ihnen umsahen, waren sie fort.«
»Das konnten wir nicht wissen, denn es war ja finstere Nacht.«
»Alle Wetter! Ob man nicht vielleicht ihre Spuren finden kann? Wir müssen versuchen, diese Schurken einzufangen!«
»Laßt sie laufen, Mister Swan!« rief ihm Old Shatterhand. »Sie sind der Mühe gar nicht wert, die wir uns geben müßten, wenn wir sie fassen wollten. Unser Werk ist ja über alles Erwarten gut gelungen; wir haben Firwood-Camp errettet, ohne daß nur einem von uns dabei die Haut geritzt worden ist; alles andre, und zumal die Tat der beiden Chinesen, ist von so geringer Bedeutung, daß es lächerlich wäre, unsre Zeit dadurch zu versäumen, daß wir ihnen nachlaufen.«
»Hm! Es juckt mich zwar in allen zehn Fingern nach ihnen, aber ich sehe ein, daß Ihr nicht unrecht habt, Mister Shatterhand. Mögen sie also laufen! Aber diesen Clifton werde ich mir vornehmen. Wo ist er denn hin? Wißt Ihr das?«
»Nein,« antwortete der Eisenbahner. »Als er einige Stunden geschlafen hatte und auf einmal aufwachte, sagten wir ihm, wie er sich von den Chinesen hatte betölpeln lassen. Da wich der Rausch von ihm, und er wurde vor Schreck sofort nüchtern. Natürlich schimpfte er auf sie, was er nur schimpfen konnte, aber dadurch brachte er weder sie noch den Mestizen zurück; da trat die Angst bei ihm ein. Er sagte, daß er sich nicht eher wieder sehen lassen wolle, als bis bei Euch der erste Zorn vorüber sei, band seine sieben Sachen zusammen und ging fort.«
»Ihr hättet ihn nicht gehen lassen sollen!«
»Mit welchem Recht hätten wir ihn festhalten können, Sir? Etwa Gewalt anwenden? Er war ja kein Verbrecher, und wir sind keine Polizisten.«
»Ganz richtig!« stimmte Old Shatterhand ihm bei. »Höchst wahrscheinlich wird auch er nicht wiederkommen, und es hat auch keiner von uns allen einen Grund, sich nach ihm zu sehnen. Und wenn er je zurückkehren sollte, so gebt ihm einen tüchtigen Verweis, Mister Swan, und laßt es dabei bewenden! Jetzt wollen wir hineingehen, um zunächst nach unsern Pferden zu sehen; dann essen wir und schlafen tüchtig aus, weil wir die ganze Nacht durchwachen mußten. Morgen früh werden wir Euch lebewohl sagen.«
»Schon?« fragte der Engineer, »Ihr könnt Euch doch wohl denken, daß ich Euch gern länger hier bei uns haben möchte!«
»Davon sind wir überzeugt. Wir werden Euch stets in gutem Andenken behalten, Sir; für jetzt aber gibt es nichts, was uns hier halten könnte, und wir haben wichtige Aufgaben vor uns.«
»Das ist wahr,« nickte Kas. »Wir müssen nach Santa Fé hinauf. Unser betrügerischer Vetter Nahum Samuel Timpe scheint kein Mann zu sein, der längere Zeit an einem Ort bleibt; das böse Gewissen treibt ihn hin und her, und wenn wir hier unnütz unsre Zeit verschwenden, so müssen wir gewärtig sein, daß er schon wieder fort ist, wenn wir hinkommen. Ist das nicht auch deine Meinung, Vetter?«
»Natürlich ist sie es,« antwortete Has auf die an ihn gerichtete Frage. »Je eher wir zu unserm Geld kommen, desto besser ist's für uns. Glücklicherweise haben Mister Shatterhand und Winnetou sich unser und unsrer Sache angenommen; das macht mir mehr Hoffnung, als ich vorher hatte, sie glücklich zu Ende zu bringen.«
Während die beiden Timpes dies zu einander sagten, standen Frank und Droll noch bei ihnen. Die andern waren inzwischen in das Gebäude getreten. Dieser Umstand nämlich, daß Winnetou und Old Shatterhand seine Worte nicht hören konnten, veranlaßte den Hobble, der Ansicht, die Has soeben ausgesprochen hatte, eine seiner berühmten Bemerkungen folgen zu lassen: »Ich weeß gar nich, warum Sie nur immer von andern Leuten reden! Die Familie Timpe scheint an eener Erbkrankheit zu leiden, die gar nich kuriert werden kann, nämlich an eener kolossalen Eenseitigkeet.«
»Wieso Einseitigkeit?« fragte Kas.
»Ich meene die Seite, die schtets off Old Shatterhand und Winnetou gerichtet is. Sie haben nur immer davon zu reden, daß Sie von diesen beeden Herren in hervorragendster Weise unterstützt zu werden hoffen. Ich gebe zwar ooch ganz gerne zu, daß diese Ansicht nich ganz schief ist, aber ich will Sie dennoch eenmal ersuchen, sich ooch ergebenst eenmal off die andre Seite zu wenden, nämlich off die Seite, wo ich schtehe und wo ich zu finden bin, ich, der allgemein verehrte Hobble-Frank aus Moritzburg! Sagen Sie mal, trauen Sie mir denn ganz und gar nischt zu?«
»O doch, Mister Frank,« antwortete Has.
»Das scheint mir aber gar nich so, ganz untertänigster Herr Hasael Benjamin Timpe! Ich habe mich schon vorhin herabgelassen und Ihnen versichert, daß ich mich Ihrer annehmen und erbarmen will; ich habe Ihnen überzeugend bewiesen, daß mir Ihre Erbschaft höher schteht als mein eegenes Kleingeld und nu muß ich, schon nach so wenigen Schtunden, plötzlich mit anhören, daß Sie alle Ihre Hoffnungen immer wieder off andre Leute und Persönlichkeiten setzen!«
Die beiden Vettern hatten so viel Gewalt über sich, nicht zu lachen; sie zeigten die ernstesten Gesichter, und Kas antwortete, indem er dem Kleinen die Hand beruhigend auf die Schulter legte: »Aber, bester Herr Franke, Sie ereifern sich da ganz unnötigerweise. Wir kennen Sie und wissen also ganz genau, wie groß die Vorteile sind, die wir von Ihrer Hilfe zu erwarten haben.«
»So? Das wissen Sie also? Warum schprechen Sie denn da immer von Old Shatterhand und Winnetou, aber nich von mir?«
»Weil man über das, was man für selbstverständlich hält, nicht viel zu reden pflegt. Und Ihre Vorzüge sind doch alle selbstverständlich! Nicht?«
Da begann das Gesicht des Hobble vor Wonne zu strahlen; er machte eine so majestätische Handbewegung, wie sie nur ihm möglich war, und sagte: »O bitte, bitte, Herr Timpe! Sie tun mir zu viel Ehre an! Meine schprichwörtliche Bescheidenheit kann nur mit Widerschtreben von diesem wohlverdienten Lob Besitz ergreifen. Wenn Sie in Ihrer Anerkennung fortfahren wollen, so widerschtrebt es meiner bekannten Verschwiegenheet, Ihnen die Gelegenheit dazu abzuschneiden. Also schprechen Sie weiter, immer weiter! Reden Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen is! Und hiermit schließe ich unsern Freundschaftsbund. Hängen Sie sich an meine Arme, denn Sie sind meine Küchlein, und ich bin die Henne! Folgen Sie mir später durchs ganze Leben und jetzt in das Speisezimmer hinein, denn ich vermute, daß das Essen schon losgegangen is. Also kommen Sie, Herr Timpe Hasael und Herr Timpe Kasimir!«
Er, der Kleine, stellte sich zwischen sie, und die zwei Meter langen Menschen mußten bei ihm einhängen und sich von ihm in die Wirtschaft führen lassen, was einen überaus komischen Anblick bot. – – –
Da, wo die Siera Moro mit den Ausläufern des Ratongebirges einen beinahe rechten Winkel bildet, lagen zwei Indianer an dem Wasser eines Baches. Der eine von ihnen war seinem Aussehen nach gewiß über sechzig Jahre alt und trug einen Lederfetzen um den Kopf gewickelt. Sein eingefallenes Gesicht zeigte den Ausdruck ungewöhnlicher Verbissenheit; neben ihm lag eine Flinte. Der andre war nicht so alt, hatte sein spärliches, aber langes Haar in einen Schopf gewunden und trug den Stempel der List und Verschlagenheit in seinen ebenfalls eingefallenen Zügen; in dem breiten Riemen, der seinen Gürtel bildete, steckte ein Messer. Diese beiden Rothäute hatten sonderbarerweise keine Waffen außer der Flinte des Alten und dem Messer des Jüngeren. Ihr Aussehen war dasjenige von Leuten, die längere Zeit ungewöhnliche Entbehrungen, vielleicht gar Hunger und Durst erlitten haben und dabei keine Gelegenheit fanden, ihre Kleidung auszubessern, denn ihre Anzüge waren zerrissen und die Mokassins hingen beinahe in Fetzen an ihren Füßen.
Das Gras war, soweit man auf- und abwärts sehen konnte, an beiden Seiten des Baches niedergetreten, und kräftigere Lagerspuren zeigten, daß die Roten sich hie und da niedergelegt hatten, um mit den Händen in das Wasser zu langen. Die weggeworfenen Schalen eines wilden Kürbisses verrieten, in welcher Weise sie gezwungen gewesen waren, ihren Hunger zu stillen. Wenn ein Indianer wilden Kürbis verzehrt, grün, so wie er ihn am Wasser findet, so muß es schlimm, sehr schlimm mit ihm stehen!
Der Alte legte sich wieder nieder und sah, den Kopf nicht ganz vorschiebend, in das Wasser. Das dauerte eine ganze Weile; dann richtete er sich wieder auf und sagte: »Uff! Fische sind da, aber mit den Händen kann man sie nicht greifen, und wir haben keinen Haken, um Angeln zu machen. Mein Magen schmerzt; er wird krank von dem halben Kürbis, den ich habe schlingen müssen.«
»Und Kita Homascha könnte ein ganzes Büffelkalb aufessen, wenn er es hätte,« murrte der andre.
»Der große Geist hat uns ganz verlassen!« knirschte der Alte. »Tokvi Kava, der große Häuptling der Komantschen, muß Hunger leiden! Niemand wird es glauben wollen!«
»Wer trägt daran die Schuld? Winnetou und Old Shatterhand, denen ich das nie und nimmer vergessen werde!«
Der Alte war also der ›schwarze Mustang‹ und der Indianer, der bei ihm saß, jener Kundschafter, der im Firwood-Camp entlarvt wurde. Ein teuflischer, unbeschreiblich häßlicher Ausdruck ging über das Gesicht des Häuptlings, als er antwortete: »Er muß uns in die Hände fallen, denn wir wissen, wohin er will, und werden ihm den Weg verlegen, diesem weißen Schakal, der sich Old Shatterhand nennt und der noch mehr Schuld an unserm Unglück trägt als Winnetou, der Schakal der Apatschen. Wehe ihnen!«
»Hältst du es wirklich für so gewiß, daß wir sie fangen werden?«
»Ja.«
»Du wirst mir erlauben müssen, daran zu zweifeln. Wir mußten gehen; sie aber besitzen schnelle Pferde.«
»Aber unser Weg führte so gerade über die Berge wie ein ausgespannter Lasso, während sie ihrer Pferde wegen viele Bogen reiten und lange Umwege machen müssen. ›Der schwarze Mustang‹ kennt alle Berge und Täler dieser Gegend; er hat genau den Weg berechnet, auf dem die Feinde kommen werden. Wir haben einen Vorsprung vor ihnen, und wenn Ik Senanda zurückkehrt und alles mitbringt, was wir brauchen, müssen der Apatsche und die fünf weißen Koyoten, auf die wir warten, in unsre Hände fallen.«
»Ob er aber alles bringen wird? Pferde, Pulver, Blei, Flinten, Messer, Kleider und Fleisch?«
»Er wird!«
»Wenn sie im Lager erfahren, was geschehen ist, werden sie sehr erbost sein.«
»Uff! Glaubst du, daß er so dumm sein wird, etwas zu sagen? Der große Geist gebe, daß er kommt und Fleisch mitbringt! Er weiß, wo wir in diesen Tagen lagern, und da er gestern nicht eingetroffen ist, muß er heute kommen.«
»Ik Senanda hat uns seine Flinte und sein Messer zurückgelassen, die einzigen Waffen, die wir haben – über hundert Krieger, welche essen, wollen!«
»Darf ein Krieger über Hunger klagen?« verwies ihm der Häuptling seine Worte.
»Niemand hört es als nur du, und du hungerst auch. Ich fürchte keinen roten oder weißen Feind, keinen wilden Büffel und keinen Bär, aber der Hunger ist ein Feind, der im Leibe steckt; mit ihm kann man nicht kämpfen; gegen ihn hilft weder List noch Tapferkeit, er raubt dem Mutigsten das Leben, ohne daß man es ihm verhindern kann. Darum ist es keine Schande, von ihm zu sprechen und über ihn zu klagen.«
»Du hast recht,« stimmte der Häuptling bei. »Er wohnt auch in meinem Leibe und zerfrißt mir die Eingeweide. Du sagtest, daß du dich vor keinem Feinde fürchtest; auch ich habe bis vor kurzem jeden Gegner besiegt, da aber kam ein Feind, der mich überwand, und darum müssen wir Hunger leiden.«
»Wer ist es?«
»Er wohnt, wie der Hunger, auch in meinem Innern; es ist der Zorn, den ich gegen Old Shatterhand hegte und nicht besiegen konnte.«
»Uff, uff!« stimmte der andre bei. Er fügte kein Wort hinzu, aber in dem Ton dieses Aufrufs lag alles, was er sagen wollte.
»Ja, dieser Zorn war der Feind, der mich überwand,« fuhr der Häuptling fort. Bei dem ungeheuren Stolz, den er sonst besaß, war es nur dem Hunger möglich, ihn zu dieser Selbstanklage zu bringen. »Hätte ich Old Shatterhand nicht verhöhnt, hätte ich geschwiegen und die spätere Rache erwartet, so hätte uns dieses Bleichgesicht Pferde und Waffen gelassen; wir hätten heimlich in der Nähe von Firwood-Camp bleiben und auf die Feinde warten können, sie befänden sich jetzt schon in unsern Händen!«
»Da hast du die Wahrheit gesagt. So aber sitzen wir hier und hungern. Wir sind aus dem Lager gegangen, um Fleisch zu holen, haben aber nichts geschossen oder gefangen und nur einen Kürbis gefunden, den wir gegessen haben. Wenn die andern im Schlingenlegen auch so unglücklich gewesen sind wie wir, wird uns der Hunger bald verzehren. Wie viel Pulver hast du noch?«
»Für höchstens zehn Schüsse.«
»So mag Ik Senanda ja heut kommen, sonst sterben wir an dem Feinde, der in unserm Innern wohnt, denn es ist – uff!«
Er unterbrach sich selbst und ließ diesen Aufruf nicht laut, sondern mit unterdrückter Stimme hören.
»Was ist's?« fragte Tokvi Kava.
»Schau dort hin!« antwortete Kita Homascha mit dem Ausdruck der Freude im Gesicht und indem er bachaufwärts deutete.
Der Häuptling wendete den Blick nach der angedeuteten Richtung und machte sofort auch ein andres, froheres Gesicht. »Büffel!« flüsterte er.
»Ja, sechs Stück! Eine Bulle, drei Kühe und zwei Kälber!«
»Wir bekommen Fleisch!« Bei diesen Worten griff er nach dem Gewehr; aber seine Hand zitterte, entweder vor Kraftlosigkeit oder vor Aufregung.
»Du zitterst!« warnte ihn der andre. »Wenn dein Schuß nicht sicher ist, geht uns das Fleisch verloren!«
»Schweig! Es war der Hunger; aber ich werde sicher treffen!«
»Die Büffel gehen dem Wasser nach; sie werden hierherkommen, denn sie bringen den Wind.«
»Ja, die Luft kommt mit ihnen und wir brauchen also nur hier hinter dem Busch liegen zu bleiben.«
Beide duckten sich nieder und beobachteten mit fast fieberhafter Spannung die Tiere, die rasch näher kamen; sie schienen sich auf der Wanderung zu befinden und bogen die Köpfe nur zuweilen nieder, um ein Maul voll Gras zu nehmen.
Der Bulle war ein altes, mächtiges und sehr häßliches, weil fast haarloses Tier. Sein hartes, zähes Fleisch konnte kaum genossen werden, und doch mußte grade er geschossen werden, denn hätte Tokvi Kava nach der Güte des Fleisches sich richten und eine Kuh schießen wollen, so wäre er und sein Gefährte von dem rachsüchtigen und wütenden Bullen auf die Hörner genommen und zerstoßen und zertreten worden. Das Gewehr hatte allerdings zwei Läufe, aber es war ein Schrotlauf dabei.
Die Tiere kamen nahe am Wasser herunter, der Bulle voran, die Kühe mit den Kälbern hinterher. Sie waren noch hundert, dann fünfzig, endlich nur noch dreißig Schritte entfernt, ohne etwas zu merken. Die Kühe verließen sich auf ihren Führer, und dieser schien die Empfindlichkeit der Nase verloren zu haben.
Tokvi Kava legte an; er zitterte jetzt nicht mehr, schoß aber noch nicht, denn er hatte den Büffel grade von vorn. Der Indianer und jeder erfahrene Jäger nämlich gibt dem Büffel die Kugel am liebsten von der Seite her unterhalb der Schulter in das Herz, weil ihr Weg da nur durch Fleischteile geht.
Sie kamen gar noch zehn Schritte näher; da aber schien die eine Kuh Verdacht zu fassen; sie blieb stehen und sog die Luft so laut ein, daß der Bulle es hörte. Er drehte sich halb nach ihr um und bot dem Häuptling also die Seite und die beschriebene Stelle, auf die es dieser abgesehen hatte. Der Schuß krachte sofort. Der Büffel bekam einen sichtbaren Ruck durch den ganzen Körper, dann stand er still und bewegungslos, bis er den Kopf tiefer und tiefer senkte; nun lief ein krampfhaftes Zittern über ihn hin und hierauf brach er zusammen, ohne einen einzigen Laut von sich gegeben zu haben. Er war in das Herz getroffen worden.
Der Häuptling hatte, sobald der Schuß losgegangen war, in größter Eile wieder geladen. Die Kühe wendeten sich, als sie den Knall hörten, zur Flucht; die eine rannte, gefolgt von ihrem Kalb, fort; das andre Kalb aber blieb ahnungslos stehen und trottete dann sogar neugierig zu dem toten Büffel hin. Bald kehrte seine Mutter, von der Liebe getrieben, die auch ein Tier besitzt, wieder um, und stieß es mit der Nase fort, erhielt aber in diesem Augenblick den zweiten Schuß des Häuptlings, und zwar auch in das Herz, so daß sie nach einigen Sekunden zusammenbrach.
Nun sprangen die beiden Indianer, laute Jubelrufe ausstoßend, auf und zu ihrer Beute hin. Das Kalb machte einige unbeholfene Sätze hin und her und wurde dann mit dem Kolben niedergeschlagen.
»Uff, uff, uff!« rief der Häuptling aus. »Mein roter Bruder sieht, daß ich nicht gezittert habe. Beide Kugeln sitzen im Herzen, und nun haben wir Fleisch für alle unsre Männer!«
»Ja, das Fleisch der Kuh ist gut,« meinte der andre.
»Man kann auch das Fleisch eines Bullen essen, wenn man sonst nichts andres hat!«
»Brechen wir die Tiere jetzt gleich auf?«
»Nein, denn diese Arbeit dauert für zwei Männer zu lang. Wir holen unsere Krieger herbei. Ich werde gehen und mein Bruder mag bleiben.«
Er entfernte sich, nachdem er noch einen hungrigen, lüsternen Blick auf die drei Tiere geworfen hatte, von denen der Büffel allein weit über zweitausend Pfund wiegen mochte. Wer es nicht selbst gesehen hat, der glaubt es gar nicht, welch ungeheure Menge Fleisch so ein ausgewachsener Bison ausweist.
Sein Weg führte ihn am Bach abwärts. Er ging rasch und ohne jede Vorsicht in Anwendung zu bringen, die im wilden Westen fast zu jeder Zeit erforderlich ist. Tokvi Kava mußte also fest überzeugt sein, daß sich kein feindliches menschliches Wesen in der Nähe befand.
Er war mit dem Gefährten im Tal aufwärts gegangen und kehrte nun abwärts nach dem Lager zurück, das sich im Ausgang des Tals befand. Er hatte ungefähr zwei englische Meilen zurückzulegen, und so dauerte es ziemlich lange, ehe er es erreichte.
Da lagen die Komantschen, die Firwood-Camp in so schimpflicher Weise hatten verlassen müssen und ebenso abgerissen und ausgehungert aussahen wie er selbst. So viele ihrer da waren, von doppelt so viel Augen wurde er mit verlangenden Blicken empfangen; sie litten alle Hunger. Er bemerkte auch diejenigen, die vorhin fortgegangen waren, um nach den Schlingen zu sehen, in denen man irgend ein Wild zu fangen beabsichtigte. Er brauchte gar nicht nach dem Ergebnisse zu fragen, denn er sah, daß sie nichts mitgebracht hatten. Sie sprangen auf, und er bekam, ganz der indianischen Zurückhaltung entgegen, die begierige Frage zu hören: »Hat Tokvi Kava etwas geschossen? Hat er Fleisch gemacht?«
»Ja,« antwortete er. »Der Hunger hat ein Ende. Ich habe einen Büffel und eine Kuh erlegt und ein Kalb dazu.«
Da wurden hundert Freudenrufe laut, und es gab eine Aufregung, welche die Roten so ganz in Anspruch nahm, daß sie den Reiter, der sich mit einigen Packpferden dem Lager von der andern Seite näherte, nicht eher sahen, als bis er sie fast erreicht hatte. Es war Ik Senanda, der Enkel des Häuptlings, der nach den Weidegründen der Komantschen geschickt worden war, um Waffen und sonstige Bedarfsmittel mitzubringen.
Diese Sendung des Mestizen war der einzige Ausweg für den Häuptling gewesen, den er einschlagen konnte, um den Seinen die erlittene Schande einigermaßen zu verbergen und sich als Anführer zu behaupten. In seiner jetzigen Verfassung durfte er sich dort keineswegs sehen lassen; hatte er aber wieder Pferde und Waffen, so konnte er Winnetou und Old Shatterhand samt ihren Begleitern gefangen nehmen, was ihm eine große Ehre eintrug; unternahm er dann noch schnell einen glücklichen Zug gegen irgendwelche Feinde, mochten das nun Weiße oder die nächstlagernden Apatschen sein, so konnte die fürchterliche Schlappe vergessen werden und alle seine jetzigen Sorgen und Befürchtungen waren gehoben. Es kam also alles aus den Erfolg an, den die Sendung seines Enkels hatte und es läßt sich denken, mit welcher Sehnsucht und Spannung er dessen Rückkehr entgegenblickte.
Als nun Tokvi Kava sah, daß Ik Senanda nur wenige Packpferde am Zügel mit sich führte, entfärbte er sich; seine rote, verwitterte Haut wurde aschgrau. Auch die Freude der andern Komantschen über, die erlegten Büffel verstummte. Als das Halbblut vom Pferd gestiegen war, und sich dem Häuptling näherte, ging dieser eine Strecke fort, um sich bei einem Busch niederzusetzen, so entfernt von seinen Leuten, daß diese nicht hören konnten, was für eine Botschaft ihm gebracht wurde. Ik Senanda ging ihm nach und setzte sich schweigend bei ihm nieder. Der Häuptling sah ihm mit einem eigentümlichen, leeren Blick ins Gesicht und fragte dann mit hohler, vor Enttäuschung rauh klingender Stimme: »Wo sind die Reitpferde?«
»Man gab mir keine,« lautete die Antwort.
»Wo sind die zehnmal zehn Gewehre und Messer?«
»Ich erhielt nur zweimal zehn.«
»So hast du verraten, was in Firwood-Camp geschehen ist!«
»Ich habe nichts verraten!«
»Man hat aber meinem Befehl nicht gehorcht und muß also dort unsere Schande kennen!«
»Man kennt sie. Man kannte sie schon, als ich kam.«
»Von wem? Wenn ich erfahre, wer es gewesen ist, werde ich ihm die Kopfhaut, bei lebendigem Leib vom Schädel ziehen!«
Seine Fäuste ballten sich und seine Augen blitzten vor Zorn.
»Du wirst diese Kopfhaut nicht bekommen,« antwortete sein Enkel. »Das Feuerroß rannte hundertmal schneller, als wir gelaufen sind, und hat die Botschaft überall hingetragen.«
»Kommt das Feuerroß etwa auch zu den Naiini-Komantschen?«
»Nein, aber es läuft nicht weit von ihnen vorüber und hält dort einigemal an Orten an, die von den Bleichgesichtern Station genannt werden. Auf einer solchen Station sind einige von unsern Kriegern gewesen und haben alles erfahren.«
»Uff! Das Feuerwasser und das Feuerroß, beide hat der böse Geist ins Land der roten Männer gesandt, um sie zu verderben. Man wird sehr bald von einem großen Wasser Meer. bis zum andern wissen, daß man mir den Schopf genommen hat, und so wird mein Name von jetzt an sein wie der Hauch, der von einem Aas aufsteigt, von dem kein Geier fressen will. Aber ich werde mich rächen, rächen an allen, die mich zum Aas gemacht haben!«
»Du bist berühmt und wirst berühmt bleiben,« tröstete ihn sein Enkel. »Wir werden Winnetou und Old Shatterhand fangen und dann die Apatschen überfallen; sie müssen uns ihre Häute, Waffen und Pferde geben, und dann dürft Ihr nach den Jagdgründen des Stammes zurückkehren.«
»Uff! Jetzt dürfen wir das nicht?«
»Es wurde mir in der Beratung der Alten gesagt, ihr sollt vorher eure Schande durch eine Ruhmestat auslöschen!«
»Uff, uff!«
Er legte die Hand an die Augen und blieb eine lange Zeit so sitzen; dann ließ er sie wieder sinken und sagte: »Ich bin reich. Warum hast du auch mir weiter nichts gebracht als ein Gewehr?«
»Ich durfte nicht.«
»Ich bin ohne Pferd und besitze doch viele Pferde. Wurde es dir auch verboten, eines für mich mitzunehmen?«
»Ja.«
Da richteten sich seine Augen mit angstvollem Ausdruck auf das Gesicht seines Enkels, und er fragte, vor Angst fast stotternd, was er für eine Antwort erhalten werde: »Aber mein schwarzer Mustang, mein Hengst, der für mich mehr bedeutet als das Leben, will man auch ihn mir vorenthalten?«
»Auch ihn. Man sagte, deiner Unvorsicht dürfe man das kostbarste Tier des Stammes nicht anvertrauen.«
Da sprang der Alte auf; die Wut trieb ihn in die Höhe. Ik Senanda aber hob warnend den Finger und sagte in beruhigendem Ton: »Tokvi Kava ist ein großer Häuptling; er weiß, daß ein Krieger sich beherrschen muß; sollen die Leute, die dort sitzen und alle auf uns sehen, denken, daß er es verlernt habe, der Herr seiner Gedanken und Gefühle zu sein?«
Er setzte sich wieder, doch dauerte es einige Zeit, bis er äußerlich ruhig schien und zustimmend entgegnete: »Der Sohn meiner Tochter hat recht. Ich will jetzt nicht an den Schmerz denken, den man mir bereitet, aber ich werde es später all denen gedenken, die ihn mir bereitet haben! Hast du außer dem, was ich jetzt von dir hörte, vielleicht eine Botschaft an mich auszurichten?«
»Nein.«
»Uff! Es nannten sich so viele alte Krieger meine Freunde, und ich habe sie wirklich für Freunde gehalten. Läßt auch keiner von ihnen mir etwas durch dich sagen?«
»Keiner!«
»So sollen sie alle erfahren, wie Tokvi Kava solch falsche Freundschaft vergilt! Du bist mein Enkel und noch jung; aber du hast Mut und besitzest ebenso viel List wie ich. Wenn du zu mir sprechen willst, so sprich! Hast du mir einen Vorschlag zu machen?«
»Nein. Du bist derjenige, der zu befehlen hat, und ich gehorche. Was du sagst, ist gut, und was du beschließest, wird von uns ausgeführt werden.«
Der Mestize sagte das im Ton aufrichtigster Ergebenheit und senkte dabei den Kopf als Zeichen, daß er sich ihm mit seinem ganzen Denken und Tun zu eigen gebe; ein scharfer Beobachter hätte aber wahrscheinlich die leichten, doch verräterischen Falten bemerkt, die sich um seine Mundwinkel legten. Er war, wie die Mischlinge fast alle, kein vertrauenswürdiger Mensch, und wenn es sich um seinen Vorteil handelte, galt ihm sein Großvater auch nicht viel mehr, als jede andere Person. Dieser aber hielt ihn, die nahe Verwandtschaft ganz abgerechnet, für seinen besten Freund und hegte gegen ihn nicht den geringsten Argwohn. Auch jetzt blickte er ihn vertrauensvoll an und sagte: »Ich weiß, daß du für mich dein Leben hingeben würdest und daß du bei unserm Stamm für mich gesprochen hast. Daß du nicht, mehr erreichen konntest, liegt nicht in deiner Schuld. Komm, laß uns nun wieder zu den andern gehen, die erfahren müssen, was der Stamm beschlossen hat!«
Er ahnte nicht, daß Ik Senanda beim Rat der Alten tückisch gegen ihn aufgetreten war, denn es war der größte Wunsch des Mestizen, selbst Häuptling der Naiini zu werden. Sie kehrten also zu ihren Leuten zurück, die zwar schon aus dem Verhalten des ›schwarzen Mustangs‹ und seines Enkels erraten hatten, was für eine Botschaft eingetroffen war. Als er sie ihnen nun mitteilte, wurden sie in die tiefste Niedergeschlagenheit versetzt. Sie fühlten jetzt, ihre schlimme Lage und mit ihr den Hunger noch deutlicher als vorher, und so war ihnen der Befehl des Häuptlings, talaufwärts bis dahin zu ziehen, wo die von ihm erlegte Jagdbeute lag, sehr willkommen. Ehe sie aufbrachen, wurden die wenigen Gewehre, die Ik Senanda mitgebracht hatte, an die besten Schützen verteilt.
Da der Enkel des Häuptlings auch eine Anzahl Messer mitgebracht hatte, ging das Zerlegen der Büffel schnell von statten, und bald brannten mehrere Feuer, woran jeder sein Fleischstück briet. Das übrig bleibende Fleisch wurde verteilt und dann brach man sofort auf, um Old Shatterhand und seinen Begleitern einen Hinterhalt zu legen.
Man wanderte wieder am Bach abwärts bis an den vorigen Lagerplatz, um dann längs der Ausläufer der Sierra Moro südwärts zu ziehen.
Es war am Nachmittag, als der Zug über eine grasige Ebene marschierte, wo die Komantschen auf eine Fährte trafen; es mußten über zwanzig Reiter, und zwar Weiße gewesen sein, weil ihre Pferde alle beschlagen waren, und ihre Richtung war dieselbe, die auch die Roten inne hatten. Aus der Beschaffenheit der Spuren konnte man ersehen, daß die Schar vor kaum einer Stunde hier vorübergekommen war. Die Komantschen dachten bei dieser Spur sofort an die Gelegenheit, sich in den Besitz von Pferden und Waffen zu setzen, und machten sich also sehr eifrig an die Verfolgung der Reiter.
Die Fährte, die erst längere Zeit neben den Bergen dahinlief, näherte sich diesen später und führte dann gegen Abend zwischen sie hinein. Als Tokvi Kava dies bemerkte, sagte er zu seinem Enkel: »Diese Bleichgesichter sind keine unerfahrenen Leute, denn sie wenden sich, da es bald dunkel wird, nach den Höhen, um nicht auf der offenen Ebene, wo ihre Feuer weit zu sehen wären, übernachten zu müssen. Es wird uns also wohl nicht leicht werden, sie zu überrumpeln, zumal wir so wenig Waffen haben.«
» Pshaw! Unsere Zahl ist über dreimal so groß als die ihrige, und was nicht mit Gewalt zu machen ist, werden wir durch List erreichen.«
»List ist zu allen Zeiten und besonders für uns jetzt mehr wert als Gewalt. Wir müssen vor allen Dingen das Lager dieser Bleichgesichter beschleichen, ehe wir bestimmen können, was wir tun.«
Die Berge hatten Wald, der zahlreiches Gebüsch in die Ebene vorschob. Als die Komantschen dieses Gebüsch erreichten, suchten sie sich einen zum Lagern geeigneten Platz, und darauf ging der Häuptling, mit Ik Senanda fort, um die Weißen aufzuspüren. Die Dämmerung brach schon herein, und so durften sie annehmen, daß sie nicht weit zu gehen haben würden! Und wirklich waren sie kaum eine Viertelstunde vorwärts geschlichen, so nahmen sie den Geruch von Rauch wahr.
»Wir sind ihnen nahe,« flüsterte der Alte seinem Enkel zu. »Nun müssen wir aber warten, bis es ganz dunkel ist.«
Als die Dämmerung in die Nacht übergegangen war, schlichen sie weiter. Sie hörten bald ein kleines Wasser murmeln, und dann leuchtete ihnen zwischen den Bäumen der Schein eines Feuers entgegen, um das die Weißen einen Kreis gebildet hatten. In ihrer Nähe gab es einen grasigen Fleck, wo sich die Pferde befanden. Dieser wurde von zwei Männern bewacht, die ihre Gewehre schußbereit hielten; das war ein sicheres Zeichen, daß es die Komantschen nicht mit Neulingen oder unvorsichtigen Leuten zu tun hatten.
Für geübte Indianer war es gar nicht schwer, ganz nahe an die Weißen heranzukommen, weil die starken Baumstämme prächtige Deckung boten. Die beiden Kundschafter krochen so weit hin, wie es sich mit ihrer eigenen Sicherheit vereinbaren ließ, und konnten dann, jeder hinter einem Baum steckend, nicht nur die Weißen aus der Nähe deutlich sehen, sondern auch alles hören, was gesprochen wurde.
Ein alter, verwetterter Bursche mit schneeweißem Haar und langem, hellgrauem Vollbart schien der Anführer der Bleichgesichter zu sein; er war eine höchst charakteristische Gestalt mit scharf markierten Gesichtszügen und hatte jedenfalls schon manches Abenteuer glücklich überstanden. Seine scharfen Augen zeigten trotz seines Alters eine jugendliche Lebhaftigkeit, und wenn er sprach, geschah dies so bestimmt und überlegt, als ob er stets gewohnt sei, zu befehlen. Er wurde von seinen Gefährten, wie die beiden Roten hörten, merkwürdigerweise »Majestät« genannt.
Die andern waren fast ohne Ausnahme Männer, denen man gleichfalls zutrauen konnte, die für den Westen nötige Erfahrung zu besitzen. Der jüngste unter ihnen, ein schmal gebauter, aber außerordentlich in die Länge gedehnter blonder Lockenkopf, schien der Spaßmacher, der Gesellschaft zu sein und gefiel sich in heiteren Redewendungen; er wurde kurzweg Hum genannt. Eben als die Kundschafter ihre Lauscherplätze eingenommen hatten, hörten sie ihn sagen: »Ihr scheint Euch hier sehr sicher zu fühlen, Majestät, denn Ihr stellt keine Posten aus. Ich glaube, hierher grenzt das Gebiet der Komantschen. Wünscht Ihr, von diesen ehrenwerten Gentlemen um Thron und Leben gebracht zu werden?«
»Mein Thron ist hier der Platz, auf dem ich sitze, und ich möchte wohl den Roten sehen, der es fertig brächte, ihn unter mir wegzuziehen! Befinde mich ja in der Gesellschaft von dreißig Untertanen, von denen jeder ein Held und Ritter ist. Von wegen der Komantschen aber habt Ihr recht, lieber Hum. Wollte euch nur Zeit zum Essen lassen; dann werden wir, wie gewöhnlich, Wachen ausstellen: sieben Stunden schlafen und stündlich abwechseln, gibt vier Posten; das ist genug, wenn sie nicht stehen bleiben, sondern die ihnen überwiesenen Viertelkreise immerfort abschreiten. Werden es so halten, bis wir uns in den San Juan-Mountains befinden.«
»Wo wir Millionäre aus uns machen!« fügte Hum hinzu, indem er lustig lachte.
»Denke allerdings, daß wir dies trotz Eures Spottens tun werden.«
»Da mir die Erbschaft meines reichen Onkels zu Wasser wurde, habe ich ganz und gar nichts dagegen, daß Ihr mir erlaubt, den noch reicheren Staat Colorado mit zu beerben.«
» Well! Da Ihr wieder einmal davon sprecht, was hatte es denn eigentlich für eine Bewandtnis mit diesem Onkel? Hat er Euch enterbt? Das wäre ihm, da Ihr ein so wackerer Bursche seid, nicht in das Grab hinunter zu verzeihen!«
»Enterbt hat er mich nicht, aber doch ums Erbe gebracht. Er galt für reich, denn er verstand es, sich den Anschein dazu zu geben; mein Vater aber, obgleich ein tüchtiger Geschäftsmann, brachte es zu nichts, warum, das werdet Ihr gleich hören. Als er starb, hinterließ er mir außer Schulden nicht einen baren Cent; der Onkel, der keine Kinder hatte, und den ich bat, mir auf die Beine zu helfen, vertröstete mich darauf, daß ich sein Alleinerbe sei. Ich plagte mich noch einige Jahre weiter, bis auch er starb; da hinterließ er mir außer seinem vollständig leeren Geldkasten sein Kassenbuch; ich steckte meine Nase hinein und bekam den Schnupfen, und zwar was für einen! Der liebe Onkel war nämlich so pfiffig gewesen, meinen gutmütigen Vater für sich arbeiten zu lassen, ohne ihm lange Jahre hindurch auch nur einen Dollar auszuzahlen. Mein Vater hatte geglaubt, daß sein Geld bei dem Bruder sicher stehe, und dann, als er kurz vor seinem Tod die Pleite erfuhr, wollte er den Onkel nicht dadurch bloßstellen, daß er mir dessen Schlechtigkeit enthüllte. So konnte ich also den letzteren nicht beerben und bin auch um das Geld gekommen, das ich geerbt hätte, wenn der Vater weniger vertrauensselig gewesen wäre.«
»Schöner Onkel, das! Hatte also alles hübsch durchgebracht? Wie hieß er denn?«
»Geht mich nichts an, kenne den Namen nicht!«
»Was? Ihr kennt ihn nicht? Es ist ja doch auch der Eurige!«
»Allerdings.«
»Na also! Werdet doch Euren eigenen Namen nicht vergessen haben! Wir nennen Euch den langen Hum. Was Hum bedeuten soll, habt Ihr uns nicht gesagt, und Euren Familiennamen verschweigt Ihr ganz und gar. Warum?«
»Warum? Darum! Eben weil es auch der Name meines lieben Onkels war, an den ich nicht gern erinnert werde.«
»Hm! Wenn Ihr so eine ausgeprägte Abneigung gegen Onkels besitzt, so können wir freilich nichts dagegen haben; was aber die in das Wasser gefallene Erbschaft betrifft, so könnt Ihr Euch trösten, denn Ihr werdet droben in den San Juan-Bergen von Colorado mehr als hundertfachen Ersatz dafür finden!«
»Wenn auch nicht gerade hundertfachen, aber etwas, werden wir doch finden, Majestät, denn Ihr seid nicht der Mann, ehrliche Leute an der Nase so weit hinauf in die Rocky-Mountains zu führen.«
»Nein, so ein Mensch bin ich wirklich nicht. Habe den Plan der Mine genau im Kopf: sie wird uns reich machen, wenn auch nicht ganz so reich, wie wir sein würden, wenn wir das Glück hätten, hier in der Sierra Moro die geradezu großartige Bonanza of Hoaka zu entdecken.«
»Habe schon oft von ihr gehört. Sonderbarer Name! Bonanza ist spanisch, of ist englisch und Hoaka scheint indianisch zu sein. Nicht?«
»Ja.«
»Was bedeutet dieses Wort?«
»Kann es nicht sagen, denn ich habe noch keinen Menschen, auch keinen Indianer, gefunden, der es wußte und es übersetzen konnte. Aber die Bonanza ist unwiderlegliche Wirklichkeit, und es hat schon Hunderte von Gambusinos gegeben, die nach ihr gesucht haben. Einige von ihnen sind ihr so nahe gewesen, daß sie große Goldklumpen gefunden haben, aber noch keinem ist es gelungen, den eigentlichen Platz, wo solche Klumpen massenhaft liegen, zu entdecken. Befinden uns gerade jetzt in der betreffenden Gegend, und wenn wir morgen weiterreiten, werden wir die Punkte berühren, wo die erwähnten Funde gemacht wurden. Es ist sogar möglich, daß wir jetzt nahe bei der berühmten Bonanza lagern. Denkt euch nur, wenn wir sie durch einen glücklichen Zufall fänden!«
Durch diese Worte wurden alle Anwesenden begeistert; sie ließen sich in den verschiedensten Ausrufen hören, und Hum meinte lustig: »Ich werde beim Einschlafen an sie denken; vielleicht träumt mir dann von ihr, und ich zeige euch den Weg. Was meint ihr dazu, Mesch'schurs?«
»Wäre ein feiner Traum!« antwortete Majestät. »Ist es übrigens nicht geradezu unbegreiflich, daß es Menschen gibt, welche die Bonanza kennen und sie doch nicht ausbeuten?«
»Wer ist das? Gibt es welche? Ist das wahr?« wurde rundum gefragt.
»Ja, es ist wahr; es gibt Indianer, die den Ort kennen, ihn aber aus Haß gegen die Weißen Geheimnis bleiben lassen; nur wenn sie einmal etwas von den Bleichgesichtern kaufen und bezahlen müssen, gehen sie hin, um sich eine Handvoll kleine Nuggets zu holen; die großen Stücke aber lassen sie liegen. Man ist gerade hier in dieser Gegend auf solche stockdumme und hirnverbrannte Menschen gestoßen. Ich sprach kürzlich in Albuquerke mit einem Pater, dem ein Roter im Estrecho de cuarzo begegnet ist. Der Indianer hatte Hunger, und der Pater gab ihm Brot und Fleisch. Da zog der Rote einen Lederbeutel aus der Tasche und gab ihm ein Stück reines Naturgold, also ein Nugget, das wenigstens fünfzig Gramm gewogen hat, und der Beutel ist ganz voll solcher Stücke gewesen, die einen gewaltigen Wert ausmachten. Was sagt ihr dazu?«
»Hat denn der Pater nicht gefragt?« erkundigte sich einer.
»Natürlich hat er gefragt; er erhielt aber selbstverständlich keine Auskunft, sondern nur den kurzen Bescheid: ›Ich habe es mir aus der Bonanza of Hoaka geholt, lebt wohl!‹ Mit diesen Worten hat sich der Pater abspeisen lassen und der Bursche ist darauf rasch davongegangen.«
»Da hätte der Pater ihn festhalten und zwingen sollen, zu gestehen, wo die Bonanza liegt!«
»Ein Pater, also ein Geistlicher? Das darf er nicht, das würde gegen Amt und Lehre sein!«
»Was schert mich Amt und Lehre! Wenn ich einen solchen Roten träfe, ich würde ihn erstechen, wenn er es mir nicht sagte. Aber wo liegt denn dieser Estrecho de cuarzo? Wißt Ihr es, Majestät? Und wie heißt die Uebersetzung von diesem Namen?«
»Er ist spanisch und heißt so viel wie Enge des Quarzes, und ich kenne den Ort, denn ich will euch aufrichtig sagen, daß ich auch zu denen gehöre, die vergeblich nach der Bonanza of Hoaka gesucht haben. Bin sogar in dem Estrecho gewesen, habe aber nichts entdeckt, obgleich ich hätte darauf schwören mögen, daß ich da dem Funde nahe sei. Denkt euch nur den Namen! Quarz! Das ist doch gerade das Gestein, das dem Gold als Hülle dient. Und Enge! Dieses Wort sagt ja ganz deutlich, wie die Bonanza entstanden ist! Es gab in der Enge früher einen Wasserfall, der die Körner und Klumpen aus dem Gestein wusch und in ein Loch zusammenspülte. Da liegen sie nun, im Wert von vielen, vielen Millionen, und man braucht nur hineinzugreifen und sie herauszunehmen, wenn man weiß, wo das Loch ist. Es ist ein Gedanke, der einen geradezu verrückt machen könnte! Und wenn es euch Spaß macht, kann ich euch morgen diesen Estrecho de cuarzo zeigen, denn der Weg führt uns nahe dabei vorüber.«
Auch diese Worte brachten eine Aufregung hervor, die sich gar nicht legen wollte. Der Anführer konnte ihr nur dadurch ein Ende machen, daß er in befehlender Weise sagte: »Laßt es jetzt gut sein, Sennores! Ihr habt gegessen, und es müssen nun die vier Posten ausgestellt werden, denn es fällt mir gar nicht ein, den Komantschen weiter zu trauen, als ich sie mit meinen Augen erreichen kann. Ihr redet so laut, daß man es eine ganze Meile weit hört! Wenn ihr nicht Ruhe gebt und still seid, bekommt ihr morgen den Estrecho nicht zu sehen!«
» Well, Ihr sollt Ruhe haben, Majestät,« antwortete Hum in der ihm eigenen lachenden Weise. »Haltet also die Mäuler, Gentlemen, Sennores und Mesch'schurs! Ihr habt gehört, daß ich schlafen und von der Bonanza träumen will! Wer mich im Schlaf und im Traum stört, darf sich morgen keinen Goldklumpen holen. Also gute Nacht, Majestät, gute Nacht!«
Er schob sich den Sattel als Kopfkissen zurecht, streckte sich aus, legte das geladene Gewehr griffbereit neben sich und schloß die Augen. –
»Komm!« flüsterte der ›schwarze Mustang‹ seinem Enkel zu. Sie huschten vorsichtig fort, und es war die höchste Zeit, daß sie dies taten, denn die vier Posten entfernten sich vom Feuer, und einer von ihnen kam kaum eine halbe Minute nach ihrer Entfernung da vorbei, wo sie gesteckt hatten. Wären sie noch da gewesen, so hätte er sie unbedingt sehen müssen.
Als sie den Lagerplatz der Weißen weit genug hinter sich hatten, blieb der ›Mustang‹ stehen und fragte seinen Begleiter: »Hast du alles verstanden?«
»Alles,« antwortete er.
»Ich nicht jedes Wort, aber den Sinn ihrer Reden weiß ich ganz genau. Wir werden morgen die Skalpe, die Pferde, die Waffen dieser Bleichgesichter bekommen und dazu alles, was sie sonst noch bei sich haben. Howgh!«
Er sagte das so bestimmt, als ob er seiner Sache ganz und gar sicher sei. Ik Senanda war weniger überzeugt; er warnte: »Du wirst gesehen und gehört haben, daß diese Bleichgesichter keine Greenhorns sind, die sich leicht überlisten lassen!«
»Ich überliste sie doch!«
»Ich halte es für besser, sie heute noch zu überfallen.«
»Du redest wie ein junger Krieger, ich aber wie ein Weiser, der gelernt hat, alles genau abzuwägen. Es gehen vier Wachen unaufhörlich rund um den Lagerplatz, sie würden unser Kommen bemerken. Sodann schlafen diese Männer mit den Gewehren in der Hand; sie würden alle, sobald ein Posten ruft, kampfbereit aufspringen und viele von uns niederschießen; ich aber will unsre Krieger schonen, damit mir nicht noch weitere Vorwürfe werden, wenn ich zu unserm Stamme zurückkehre; es soll das Blut keines einzigen Komantschen hier vergossen werden.«
»So bin ich begierig, zu erfahren, wie du dies anfangen willst!«
»Du hast gehört, was sie von der Bonanza sprachen?«
»Ja.«
»Ich kenne diese Bonanza nicht, und es hat mir noch niemand ihren Namen genannt, aber ich weiß, wo sich unser Schapo-Gaska Versteck des Goldes. befindet.«
»Uff!« entfuhr es da dem Mestizen. »Was meinst du mit diesem Versteck?«
»Ahnst du es nicht? Du kennst es ebenso wie ich. Wenn du jetzt nach dem Versteck aufbrichst, um hinzureiten, kannst du morgen früh schon wieder beim Estrecho de cuarzo sein. Ich werde mit unsern Kriegern die ganze Nacht gehen, um zu derselben Zeit dort einzutreffen.«
»Willst du dort sein, wenn die Bleichgesichter kommen?«
»Noch viel eher, schon am Morgen oder Vormittag, während sie erst gegen Abend kommen können. Paß auf, was ich dir sage! Du holst aus unserm Schapo-Gaska so viel Nuggets, wie nötig sind, kommst nach dem Estrecho und lässest dich dort, nachdem wir dir das Pferd abgenommen haben, von den Bleichgesichtern finden. Sie müssen das Gold sehen und werden dich nach der Bonanza fragen; nach langem Weigern, führst du sie in den Estrecho, wo wir sie so einschließen werden, daß sie sich gar nicht wehren und auch nicht entfliehen können.«
»Uff!« sagte da Ik Senanda, indem er kaum ein Lächeln unterdrücken konnte. »Das hast du von Old Shatterhand gelernt!«
»Ein kluger Krieger wird sogar von seinem größten Feind lernen! Wir machen viel Holz zum Brennen bereit; sobald die Bleichgesichter sich im Estrecho befinden, verstopfen wir mit dem Holz seinen Eingang und brennen es an. Dann sind sie genau so gefangen, wie wir es im Birch-Hole waren, und müssen sich uns genau in derselben Weise gefangen geben.«
Ik Senanda sagte nichts, er dachte nach.
»Hältst du diesen Plan für schlecht?« fragte da sein Großvater.
»Nein, aber es gibt etwas dabei, was mir nicht gefällt.«
»Was?«
»Die Weißen werden mich töten.«
»Meinst du, daß ich den Sohn meiner Tochter einer Gefahr überliefere, die ihm das Leben kostet?«
»Ich meine, daß du zwar nicht den Willen dazu hast, daß es aber dazu kommen wird. Sobald diese Leute sehen, daß sie überlistet worden sind, werden sie mich natürlich für einen Verräter halten und sich an mir rächen.«
»Sie werden sich nicht rächen können, weil du ihnen entwichen sein wirst, ehe sie zu der Erkenntnis kommen, daß sie gefangen sind.«
»Kann ich ihnen denn entfliehen, wenn ich gefesselt bin?«
»Denkst du denn, daß sie dich fesseln werden?«
»Ja. Ich muß mich doch scheinbar zwingen lassen, ihnen die Bonanza zu verraten; sie müssen also annehmen, daß ich es nicht gutwillig tue, und werden sich meiner Person versichern.«
»Aber nicht dadurch, daß sie dich binden. Du bist zu Fuß, während sie Pferde haben. Sie werden denken, daß sie dich, falls du fliehen wolltest, nach wenigen Schritten einholen würden, und dir also keine Banden anlegen. Sobald sie sich im Estrecho befinden, beobachtest du den Eingang zu diesem und kommst augenblicklich zu uns gerannt, wenn du bemerkst, daß wir mit dem Brennholz erschienen sind.«
Der Mestize schien nur halb beruhigt zu sein; sein Großvater gab sich Mühe, sein Bedenken zu zerstreuen, und dies gelang ihm schließlich auch, besonders, durch die Bemerkung: »Und wenn es dir nicht gelänge, ihnen zu entfliehen, so habe ich doch mit ihnen gerade so zu verhandeln wie Old Shatterhand im Birch-Hole mit mir verhandelt hat, und meine erste Bedingung, sie zu schonen, würde natürlich die sein, daß sie dich ausliefern müßten.«
»Schonen? Ich denke, du willst ihnen das Leben nehmen?«
»Das werde ich auch; aber solchen Feinden darf ich Gnade versprechen, ohne daß es unbedingt nötig ist, mein Wort zu halten. Sind die Bleichgesichter jemals wahr und aufrichtig gegen uns gewesen?«
»Nein.«
»Bist du nun einverstanden?«
»Ja. Ich werde tun, was du von mir verlangst, denn du kannst den Sohn deiner Tochter nicht verlassen, und alle Krieger der Komantschen werden meinen Mut preisen, daß ich meine Freiheit und mein Leben gewagt habe, um dir diese weißen Männer in die Hände zu liefern.«
»So komm!«
Sie kehrten nun nach dem Platz zurück, wo die Komantschen auf sie warteten. Dort angekommen, teilte der ›schwarze Mustang‹ ihnen in kurzen Worten ihre Beobachtungen und Beschlüsse mit. Die Roten durften nun nicht ausruhen und schlafen, sie hatten vielmehr einen anstrengenden Nachtmarsch vor sich, aber trotzdem nahmen sie die Rede des Häuptlings mit Jubel auf, der allerdings nicht in laute Ausrufe ausartete. Sie bekamen da Gelegenheit, Pferde, Waffen und dreißig Skalpe zu erbeuten. Sie brachen schon nach wenigen Minuten nach dem Estrecho de cuarzo auf, während der Mestize nach dem Schapo-Gaska seines Großvaters ritt.
Ihr Weg war deshalb beschwerlich, weil sie einen großen Teil bei Nacht zurücklegen müßten und gezwungen waren, Gegenden zu durchwandern, die ihrem Marsch Schwierigkeiten boten, denn die bessere und bequemere Strecke, dursten sie nicht einschlagen, da diese höchst wahrscheinlich von den Weißen benutzt wurde, die dann möglicherweise die Spuren der Komantschen entdecken konnten.
Diese letzteren marschierten also unverdrossen die ganze j, Nacht über Berge und durch unbequeme Täler und Schluchten. Als es Tag wurde, machten sie einen kurzen Halt, um etwas auszuruhen und ein Stück kaltes Büffelfleisch zu verzehren. Dann ging es wieder weiter, und zwar mit solchem, Eifer, daß sie um die Mitte des Vormittags in der Nähe des Estrecho anlangten.
Die Gegend, wo dieser lag, war eine für ihre Zwecke sehr günstige. Es gab da einen schmalen, dicht bewaldeten Höhenzug, der sich von West nach Ost erstreckte. Kurz vor seinem Ende lag ein tiefer, von Nord nach Süd verlaufender Einschnitt, der durch die langsam fortfressende Tätigkeit des Wassers, aber auch durch einen plötzlichen Ausbruch vulkanischer Gewalten entstanden sein konnte und den letzten, steil und wirr abfallenden Teil der Höhe von ihr trennte. Der genannte schmale Bergzug bildete also eine in die Ebene verlaufende Zunge, von der die äußerste Spitze abgeschnitten war. Die Zunge war, wie bereits erwähnt, dicht bewaldet, die abgeschnittene Spitze aber, jedenfalls aus ganz natürlichen Gründen, vollständig kahl. Sie bestand aus hartem Quarzfelsen, in dessen Masse eine stellenweise kaum zehn Schritt breite Rinne hineinführte, um plötzlich scharf umzubiegen und dann schon nach wenigen Metern vor einer senkrecht aufsteigenden Felswand zu enden. Auch die Seiten dieser Rinne stiegen so glatt und steil empor, daß es keine einzige Stelle gab, die erklettert werden konnte. Es war, als ob die Natur hier mit einer riesigen Steinsäge gearbeitet habe, um dem menschlichen Fuß auch nicht den kleinsten Anhalt zu bieten. Es gab auch keinen Baum, keinen Strauch, überhaupt keine Pflanze, die für ihre Wurzeln hier Platz und Nahrung gefunden hatte.
Dieser Einschnitt war der Estrecho de cuarzo, von dem »Majestät« gemeint hatte, daß er von einem früher hier arbeitenden Wasserfall gebildet sein müsse.
Die Komantschen zogen sich nach ihrer Ankunft in den Wald hinein, ohne sich dem Eingang zum Estrecho zu nähern; das taten sie, um die Entstehung von Spuren zu vermeiden. Nur ihr Häuptling schlich nach der Enge, um sich zu überzeugen, daß er sich mit seinen Leuten ganz allein in dieser Gegend befand. Als er mit einem befriedigenden Ergebnis zu ihnen zurückkehrte, waren sie schon fleißig damit beschäftigt, für die später beabsichtigten Feuer dürres Holz zu sammeln und zu großen, aber leicht tragbaren Bündeln zu vereinigen.
Nicht viel später sahen sie den Mestizen über die Ebene geritten kommen. Er konnte nicht genau wissen, wo sie sich befanden, und wurde also herbeigeholt. Als er sein fast zum Zusammenbrechen ermüdetes Pferd, das er vor den Weißen nicht sehen lassen durfte, übergeben hatte, zeigte er dem Mustang die mitgebrachten Nuggets, bekam von diesem noch einige eingehendere Verhaltungsmaßregeln und entfernte sich dann, um seine nicht ungefährliche Rolle zu spielen. –
Die Weißen, die nicht ahnten, welch große Gefahr ihrer im Estrecho wartete, hatten, da sie nichts zum zeitigen Aufbruch drängte, bis in den Morgen hinein geschlafen und dann ihren Lagerplatz verlassen, ohne eine Spur der beiden Feinde zu bemerken, von denen sie beschlichen und belauscht worden waren. Sie ritten bis Mittag, wo sie, weil es sehr heiß geworden, war, ihren Pferden und auch sich selbst eine Stunde Ruhe gönnten; dann ging es weiter, bis sie vielleicht noch drei englische Meilen von dem Estrecho entfernt waren. Ihr Weg führte sie jetzt in eine Talsenkung hinab, wo sie einen einzelnen Baum stehen sahen. Der Anführer, der mit Hum, seinem Liebling, voranritt, deutete dorthin und sagte: »Seht ihr den Baum da unten? Kenne ihn; er ist mein Merkzeichen, dem ich entnehme, daß wir, wenn wir so langsam wie jetzt weiterreiten, in einer Stunde beim Estrecho ankommen werden.«
Die Männer richteten infolge dieser Worte ihre Blicke auf den Baum, und einer von ihnen, der sehr scharfe Augen hatte, meinte: »Ich sehe außer dem Baum noch etwas, Majestät. Wenn ich mich nicht irre, liegt ein Tier darunter. Es kann auch ein Mensch sein.«
»Hm! Ein einzelner Mensch hier, in dieser entlegenen und doch so gefährlichen Gegend? Sollte es etwa gar ein Gambusino sein, der von der Bonanza gehört hat und hier nach Gold sucht? Den wollen wir uns ja scharf betrachten!«
Schon nach kurzer Zeit sahen sie, daß es allerdings ein Mensch war, der lang ausgestreckt unter dem Baum lag und zu schlafen schien. Um ihn zu überraschen, stieg der Anführer mit noch einigen seiner Begleiter vom Pferd und ging mit ihnen leise voran, während die andern langsam nachgeritten kamen.
Der Mann unter dem Baum mußte fest schlafen, denn er hörte die sich Nähernden nicht, die ihn sogleich umringten, als sie den Baum erreichten. Ein Stück Leder, das er wie einen Beutel zusammengefaltet hatte, steckte in seinem Gürtel, aber nicht ganz; der obere Teil blickte daraus hervor; er war ein wenig auseinander gegangen und ließ die Augen der Weißen auf ein mehr als haselnußgroßes Stück gediegenen Goldes fallen.
» Tempestad!« entfuhr es den Lippen des Anführers. »Der Mann hat Nuggets! Er ist ein Halbfarbiger, wahrscheinlich ein Mestize. Nuggets! Hier in der Nähe des Estrecho! Sollte –?! Dem müssen wir sofort auf die Zähne fühlen!«
Jetzt kamen die Männer zu Pferde heran. Das Hufgetrappel weckte den Schläfer. Er schlug die Augen auf, sah die Weißen und sprang ganz erschrocken in die Höhe. Wie unwillkürlich fuhr er mit der Hand nach dem Gürtel; er fühlte, daß der Beutel sich ein Stück hervorgeschoben hatte, und stopfte ihn so ängstlich schnell und hastig zurück, daß man Verdacht fassen mußte, auch wenn man das Gold nicht gesehen hatte. Es war natürlich kein andrer als Ik Senanda, der seine Rolle ausgezeichnet spielte. Die Weißen gingen auch schnell und ohne alles Mißtrauen in die Falle; ihr Führer fragte in strengem Ton: »Darf man vielleicht fragen, wer du bist, halbroter Boy?«
»Ich heiße Yato Inda,« antwortete der Gefragte. Er gab sich also den vertrauenerweckenden Namen, den er sich schon im Firwood-Camp beigelegt hatte.
»Yato Inda? Das bedeutet ›guter Mann‹, wenn ich mich nicht täusche. Wer war dein Vater?«
»Ein weißer Jäger.«
»Und deine Mutter?«
»Eine Tochter der Apatschen.«
»Da stimmt der Name. Zu welchem Zweck treibst du dich denn hier in dieser Gegend herum, die den Komantschen gehört und wo es gar keine Apatschen gibt?«
»Mein Stamm will mich nicht mehr dulden.«
»Weshalb?«
»Weil ich ein Freund der Bleichgesichter bin.«
»Hm! Du bist also ein Ausgestoßener? Auch das stimmt, denn du hast nur ein Messer; man hat dir also das Gewehr genommen.«
»Yato Inda wird zu den Bleichgesichtern gehen und sich dort ein Gewehr kaufen.«
»So! Daß die Roten dich ausgestoßen haben, ist ein Umstand, der dich uns empfiehlt; aber wenn du ein Gewehr kaufen willst, mußt du doch Geld haben?«
»Yato Inda braucht kein Geld.«
»Nicht? Glaubst du, daß man dir ein Gewehr schenken wird?«
»Nein. Die Bleichgesichter verschenken nichts; aber sie sind auch zufrieden, wenn sie für Gewehre und Feuerwasser nicht rundes Geld, sondern goldene Nuggets bekommen.«
»Ah, Feuerwasser! Du scheinst das wohl sehr gern zu trinken?«
»Sehr!« antwortete der Mestize im aufrichtigsten und unbefangensten Ton.
»So hast du also zwar kein rundes Geld, aber dafür goldene Nuggets?«
»Yato Inda hat keine, aber er wird so lange suchen, bis er welche findet.«
»Das klingt doch grade, als ob du nach der berühmten Bonanza of Hoaka suchst!«
Majestät glaubte, das sehr pfiffig gesagt zu haben; der noch schlauere Mestize ließ ihn bei dieser Meinung und erwiderte, indem er ein dummstolzes Gesicht dabei zeigte: »Hat mein weißer Bruder auch von dieser Bonanza gehört? Er scheint sie für eine Lüge, für eine Erfindung zu halten?«
»Das tue ich allerdings, denn so viel Gold, wie da beisammenliegen soll, kann es gar nicht auf einer Stelle geben.«
»Uff!« rief der Mestize noch viel selbstbewußter aus. »Es ist keine Unwahrheit. Diese Bonanza ist wirklich vorhanden.«
»Wirklich? Kennst du sie etwa?«
»Ich weiß, wo sie ist, und – – uff, uff!« verbesserte er sich in erschrockenem Ton, »ich weiß, daß sie vorhanden ist.«
Man kann sich denken, wie groß die Spannung war, mit der die Weißen dieses Verhör verfolgten, und wie sehr ihr Anführer innerlich triumphierte, als der Mestize sich in dieser Weise verplapperte. »Majestät« trat rasch einen Schritt näher an das Halbblut heran und sagte: »Du hast dich versprochen; du hast mehr gesagt, als du wolltest. Du weißt nicht nur, daß es eine Bonanza of Hoaka gibt, sondern du weißt auch, wo sie liegt!«
»Ich – ich – weiß – das nicht, denn ich – darf es nicht sa – –«
»Sagen, du darfst es nicht sagen! Jetzt ist es heraus; jetzt habe ich dich, Bursche! Wo liegt die Bonanza? Wirst du es gestehen?«
»Ich – ich kann nichts gestehen, denn – denn ich weiß es nicht!«
»So! Schurke, der du bist, ich werde dir beweisen, daß du uns belügst. Paß auf!«
Er fuhr ihm mit einem schnellen Griff nach dem Gürtel und riß den Beutel heraus. Da dieser nicht zusammengenäht war, sondern nur aus einem zusammengefalteten Leder bestand, ging er dabei auseinander, und mehr als eine Handvoll Nuggets, die er enthielt, fielen auf die Erde nieder. Der Mestize stieß einen Schrei des Entsetzens aus und bückte sich schnell nieder, um die auf dem Boden zerstreuten Goldkörner eiligst zusammenzulesen; aber die Weißen waren noch rascher als er; die von ihnen nächststehenden warfen sich nieder und rissen die Nuggets an sich, ehe er eines davon zu erlangen vermochte. Die »Majestät« packte ihn mit beiden Händen am Arm, riß ihn empor und donnerte ihn an: »Siehst du jetzt, Halunke, daß du überführt worden bist? Wo hast du diese Nuggets her?«
Der Mestize öffnete den Mund, antwortete aber nicht; er tat, als ob er vor Schreck kein Wort hervorbringen könne, und stotterte erst dann, als die Frage einige Male wiederholt worden war: »Diese – diese Nuggets habe – habe ich gefunden.«
»Natürlich! Das wissen wir auch! Aber wo?«
»Dort – dort – da – gestern – da fand ich den Beutel im Wald.«
»Im Wald? Den Beutel? So einen Beutel voller Nuggets wirft niemand im Walde weg. Du hast das Gold aus der Bonanza und wirst uns sofort sagen, wo sie liegt!«
»Das – das – kann ich nicht sagen!«
»So! Werde dir gleich beweisen, daß du es sagen kannst! Ich gebe dir eine einzige Minute Zeit. Wenn wir dann noch keine Antwort haben, bekommst du so viel Kugeln in den Leib, wie wir hier Flinten haben! Also entscheide dich!«
Die Weißen richteten alle ihre Gewehre auf ihn; da rief er in vortrefflich gespieltem Schreck: »Schießt nicht; schießt nicht! Ihr habt ja gehört, daß ich ein Freund der Bleichgesichter bin! Ich habe deshalb ohne Gewehr und Pferd den Stamm verlassen müssen; soll ich deshalb nun auch noch getötet werden?«
»Nicht deshalb, sondern deines Leugnens wegen. Wenn du wirklich ein Freund der Weißen bist, so sei aufrichtig!«
»Ich darf nicht! Es ist den roten Männern streng verboten, die Bonanza zu verraten.«
»Du bist kein Indianer, sondern ein Halbblut, also ist es dir nicht untersagt. Und wenn ich ein Indsman wäre und würde von meinem Stamm ausgestoßen, so würde ich mich auf alle Weise zu rächen suchen. Dazu hast du jetzt die allerbeste Gelegenheit, indem du uns sagst, wo die Bonanza of Hoaka liegt.«
»Rache? Ah – ah – uff! Rache!« rief er, als ob er jetzt im Begriffe stünde, sich eines Besseren zu besinnen.
»Ja, Rache, Rache für die bittere Beleidigung, die man dir angetan hat!«
Der Mestize stand noch unentschlossen da; seine Miene zeigte deutlich, daß er mit sich kämpfte, und als die Weißen alle ermunternd auf ihn einsprachen, sagte er in bereits willigerem Tone: »Wenn ich – auch wollte – ich kann – kann es doch nicht verraten!«
»Warum nicht?«
»Weil – weil – weil ich eben ausgestoßen worden bin. Ich darf nie zu meinem Stamm zurückkehren; ich muß zu den Bleichgesichtern gehen und bei ihnen wohnen und leben; dazu brauche ich aber Gold, viel Gold, weil man den Weißen alles bezahlen muß. Das aber würdet Ihr mir nehmen, wenn ich Euch verriete, wo die Bonanza liegt!«
»Welch eine Dummheit! Wie viel Gold wird wohl in der Bonanza zu finden sein?«
»Uff!« rief er, wie unbedacht triumphierend. »So viel, daß fünfzig Pferde es nicht forttragen könnten.«
»Ist es die Möglichkeit!« schrie Majestät da förmlich auf. »Ist das wahr? Ist's wirklich wahr?«
»Ja. Ich habe es liegen sehen.«
»Wann?«
»Schon oft, und heute vormittag zum letztenmal.«
»Hört ihr es, ihr Männer? Habt ihr's gehört? Nehmt euch um Gottes Willen zusammen, daß euch nicht der Verstand überschnappt! So eine Masse, so eine ungeheure Masse von Gold! Das reicht ja zu, um die ganzen Vereinigten Staaten zu kaufen! Und da denkt dieser dumme Mensch, daß er alles allein nur für sich braucht, um eine Flinte und Feuerwasser bezahlen zu können! Mensch, ich sage dir, wenn du nur so viel Gold hast, wie du mit deinen Händen zu tragen vermagst, kannst du dir die größten Wünsche erfüllen und Feuerwasser trinken, so lange du lebst! Aber du sollst gar nicht so wenig davon bekommen. Wenn du uns die Bonanza zeigst, so werden wir teilen; du bekommst die eine Hälfte, und wir nehmen die andre; dann kannst du alle deine Apatschen auslachen und herrlicher leben als der Präsident, den ihr den weißen Vater nennt!«
»Herrlicher – als der – als der weiße Vater? Ist das wahr?« fragte er so freudetrunken, als ob er sich das Leben des Präsidenten noch tausendmal wonniger vorstellte, als das Leben in den ewigen Jagdgründen.
»Ja, ja! Ich gebe dir hiermit den heiligsten Schwur darauf. Du wirst dann alles, alles bekommen, was dein Herz begehrt.«
»Auch Feuerwasser, so viel ich nur trinken will?«
»Mehr, viel mehr Feuerwasser, als selbst der Mississippi fassen könnte! Nur sage schnell, schnell, wo sich die Bonanza befindet!«
Sein Gesicht war verklärter und immer verklärter geworden; es war klar, daß er jetzt ganz nahe daran stand, das kostbare Geheimnis zu verraten, doch sprach er noch einen letzten Gedanken aus: »Ihr seid über dreißig Krieger, und ich bin allein und ohne Waffen. Wenn ich euch die Bonanza zeige, werdet ihr alles für euch nehmen und mich fortjagen, so daß ich gar nichts bekomme!«
»Das ist Unsinn. Wir sind ehrliche Leute und geben dir die Hälfte. Ich habe es gesagt und werde mein Wort halten! Sagst du es uns aber nicht, so wirst du ohne Gnade und Barmherzigkeit erschossen, und zwar sofort, auf der Stelle, hier auf demselben Platz, wo du stehst. Also wähle, wähle rasch! Entweder den Tod oder so viel Feuerwasser, wie du in deinem ganzen Leben trinken kannst!«
Die Majestät war unbeschreiblich aufgeregt, und die andern Weißen waren es nicht minder. Ueber fünfzig Pferdelasten gediegenes Gold! Das war ja kaum auszudenken! Ihre gierigen Blicke sogen sich jetzt förmlich an den Lippen des Halbbluts fest. Bei diesem schien die abermalige Androhung des Todes ebenso sehr den Ausschlag zu geben, wie die Hoffnung auf einen ganzen Mississippi voll Feuerwasser. Er antwortete zum Entzücken aller: »Yato Inda will euch sein Vertrauen schenken, er will glauben, daß er sich die Hälfte des Goldes nehmen darf, und wird euch zeigen, wo die Bonanza of Hoaka liegt!«
Da brach ein allgemeiner Jubel aus, ein Jubel, wie ihn der Westmann mit dem Worte » shout« zu bezeichnen pflegt. Selbst Majestät focht mit den Armen wie mit Windmühlenflügeln in der Luft herum und tat einen Freudensprung nach dem andern, trotz seines Alters, seines grauen Bartes und seines schneeweißen Haupthaares. Nur ein einziger besaß Gewalt genug über sich, seine Aufregung einigermaßen zu beherrschen, nämlich der lange Hum, dessen Gesicht zwar auch vor Freude strahlte, der aber so laut in den Lärm der andern hineinrief, daß ihn alle hörten: »Mylords und Gentlemen, Sennores und Mesch'schurs! Es steht uns eine ungeheure Freude bevor, aber unsre Rechtlichkeit soll nicht geringer sein. Wir haben diesem Mann die Hälfte des Goldes versprochen, und ich denke, daß wir ihm dieses Versprechen halten werden!«
»Ja, ja; ja, ja!« lachte die Majestät, und »ja, ja; ja, ja!« lachten auch die andern.
Das Lachen sagte mehr als deutlich, daß sie gar nicht daran dachten, dies zu tun. Der Mestize stellte sich, als ob ihm dieses Lachen gar nicht auffällig sei; er erklärte vielmehr: »Wenn ich euch jetzt nach der Bonanza führen soll, braucht ihr gar nicht weit mit mir zu reiten.«
»Nicht weit?« fragte die Majestät. »Dachte es mir! Die Bonanza liegt im Estrecho, nicht wahr?«
»Ja.«
»So würden wir sie nun finden, auch ohne daß du sie uns zeigst!«
»Nein,« antwortete er jetzt in zuversichtlichem Ton. »Ihr könntet trotzdem viele, viele Jahre danach suchen und würdet sie doch nicht finden.«
»So komm und geh voran! Aber versuche ja nicht, dich aus dem Staub zu machen! Du würdest sofort von unseren Kugeln durchlöchert werden!«
Er tat, als ob er diese Drohung gar nicht gehört hätte, und machte sich ohne Weigern auf den Weg; er wußte ja, daß sie ihrem sichern Untergang entgegengingen. Die Ausführung seines Planes war ihm viel, viel leichter gelungen, als er es sich vorgestellt hatte.
Es versteht sich ganz von selbst, daß die betörten und vertrauensseligen Weißen jetzt von weiter nichts, als nur von der Bonanza sprachen. Hum war still, er ritt ganz hinterher und ging mit sich zu Rat, wie er es wohl anzufangen habe, seine Gefährten zu einem ehrlichen Verhalten zu bewegen. Nach einiger Zeit gesellte sich die Majestät zu ihm, um ihn lachenden Mundes zu fragen: »Das, was Ihr vorhin von der Rechtlichkeit sagtet, ist doch wohl nur ein Scherz von Euch gewesen? Nicht?«
»Nein, Sir. Dieser Mann liefert uns ohne alle Gegenleistung die Hälfte seiner Schätze aus; da würden wir ja die armseligsten Schurken sein, wenn wir ihm das gegebene Versprechen nicht hielten.«
»Also war es Eure wirkliche und ernste Meinung? Pshaw! Bin niemals unehrenhaft gewesen und werde es auch nie sein; aber jedermann weiß, daß man den Indianern kein Versprechen zu halten braucht.«
»Das ist so schändlich gedacht, Sir, daß ich – hm! Ueberdies ist dieser Yato Inda kein Indsman; sein Vater war ein Weißer!«
»Das ist ja erst recht ein Grund, sich nichts, gar nichts aus ihm zu machen, denn diese Mischlinge sind noch viel schlimmer, verräterischer und treuloser als die reinblütigen Indianer. Er mag uns die Bonanza zeigen, und dann kann er gehen, wohin es ihm beliebt.«!
»Ohne seine Hälfte!«
»Natürlich ohne sie! Ihm so eine schauderhafte Menge Gold zu lassen, das würde ja der reine Wahnsinn von uns sein!«
»Ich gebe es nicht zu, daß er betrogen wird!«
»Laßt Euch nicht auslachen! Ihr könnt ja doch nichts gegen uns übrigen erreichen!«
»O doch!«
»Was denn? Was habt Ihr vor?« klang es jetzt in scharfem Tön.
»Was ich tun oder lassen werde, das wird sich ganz nach Eurer Ehrlichkeit richten.«
»Soll das etwa eine Drohung sein, Sir?«
»Wenn Ihr nicht rechtlich mit dem Mestizen verfahrt, ja dann ist es eine Drohung!«
Winnetou nannte das Gold deadly-dust Tödlicher Staub., weil er es schon in zahlreichen Fällen erfahren hatte, welches Unglück das schnell und leicht erworbene Metall den »glücklichen« Findern gebracht hätte. Auch hier, wo man die Bonanza noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte, zeigten sich schon die Folgen der Gier nach dem Besitz. Der Anführer, dessen Liebling Hum bisher immer gewesen war, warf alle Freundschaft hinter sich und drohte, indem sein Gesicht den Ausdruck unerbittlicher Feindschaft annahm: »Wagt es ja nicht etwa, den Mestizen zu warnen oder sonst etwas gegen uns vorzunehmen! Wenn es sich um die Bonanza of Hoaka handelt, verstehe ich keine Spur von Spaß, und die andern denken da grade so wie ich. Ich will Euch warnen und Euch sagen: eine Kugel würde Euch sicher sein!«
Nach dieser Drohung, die er im vollsten Ernst meinte, trieb er sein Pferd an, um wieder bei dem Halbblut an der Spitze des Zuges zu reiten, und Hum blieb als Letzter zurück, ja, er verlangsamte die Schritte seines Pferdes noch mehr, denn die nahe vor ihm reitenden Gefährten hatten sein Gespräch mit dem Anführer gehört und wendeten sich zu ihm zurück, um ihn mit nicht weniger schweren Drohungen zu bedenken. Schließlich verlor er die andern aus den Augen. Er hatte nicht etwa weniger Verlangen nach dem vielen Gold als sie, aber der Aerger über den Betrug, den sie ausführen wollten, ließ ihn zögern, ihnen in gleicher Eile nach dem Estrecho zu folgen.
So kam es, daß er die Felsen, welche die Bonanza bergen sollten, später zu Gesicht bekam als sie. Als sein Auge darauf fiel, stutzte er und hielt sein Pferd an; einen Augenblick später sprang er sogar aus dem Sattel, um nicht so leicht bemerkt zu werden, denn er sah dort beim Estrecho Gestalten hin und her laufen, die er unmöglich für seine Kameraden halten konnte. Gleich darauf zuckte eine helle Flamme empor, und es drang ein vielstimmiges Geheul zu ihm herüber, das ihm bewies, daß er Indianer vor sich hatte.
Er erschrak. Zum Glück brach eben jetzt die Dämmerung herein, welche die Roten verhinderte, ihn zu sehen, und außerdem waren diese so mit dem Estrecho beschäftigt, daß sie gar keine Aufmerksamkeit mehr für die Richtung hatten, wo er sich befand. Sie glaubten, alle Weißen in der Falle zu haben.
Hum wollte versuchen, seine Gefährten zu retten. Um nicht von den Indianern bemerkt zu werden, wartete er, bis es vollständig dunkel geworden war, und ritt dann weiter, aber nicht geradewegs auf das jetzt noch deutlicher als vorher sichtbare Feuer zu, sondern er hielt sich mehr nach links, nach Osten, um in sicherer Entfernung hinter irgend einem Felsen sein Pferd anzupflocken und sich dann vorsichtig anzuschleichen.
Die Flamme brannte an der westlichen Seite der Felsenspitze; er ritt der östlichen zu und fand dort einen verborgenen Winkel, wo er sein Pferd zurückließ. Er brauchte längere Zeit, sich den Roten wieder zu nähern, weil er sich mit Vorsicht bewegen mußte. In westlicher Richtung hinhuschend, gelangte er endlich an die Bodenvertiefung, welche die Spitze des Estrecho von dem Haupthöhenzug abschnitt. Er legte sich nieder und kroch bis an die Ecke, von der aus er linker Hand von sich das Feuer in einer Entfernung von vielleicht zweihundert Schritten brennen sah. Es loderte so hoch und breit empor, daß sein Schein bis zu ihm drang. Weiter durfte er sich unmöglich wagen, denn er sah eine ganze Anzahl von Roten unaufhörlich beschäftigt, neue Holzbündel in die Flammen zu werfen.
Das waren aber nicht die einzigen Indianer. Die Helligkeit stieg auch an den Felsen empor, und als er seine Augen nach dort richtete, erblickte er noch viele andre Indsmen, die aus irgend einem ihm noch unbekannten Grunde da hinaufkletterten und sich auf der Höhe zu verteilen schienen. Dann hörte er eine Stimme herunterschallen. Der Wortwahl und dem Ausdruck nach mußte der Sprechende ein Roter sein, denn er gebrauchte jenes Gemisch von Englisch und Indianisch, dessen sich nur die Indianer zu bedienen pflegen. Hum konnte zwar nicht jedes einzelne Wort verstehen, aber doch den Sinn der Rede verfolgen, und dieser lautete, kurz zusammengefaßt: »Legt alle eure Waffen von euch, und zieht euch in den Hintergrund des Estrecho zurück! Wer einen Schuß tut oder sich sonst gegen uns wehrt, der muß am Marterpfahl sterben; wer sich aber ohne Widerstand ergibt, dem werden wir Freiheit und Leben schenken!«
»Ah, jetzt weiß ich es!« dachte Hum. »Die Weißen sind von Indianern bei der Bonanza eingeschlossen worden. Bonanza? Hm! Da geht mir nicht nur ein einziges tallow-candle Talglicht., sondern gleich ein ganzer chandelier Kronleuchter. auf! Es gibt gar keine Bonanza hier, sondern dieser schurkische Mestize hat für die Roten den Spion gemacht und uns mit seinen Nuggets nur deshalb betört, um uns ihnen in die Hände zu treiben. Wie gut ist's, daß ich ein ehrlicher Mensch bin, denn wenn ich das nicht wäre, so säße ich jetzt ebenso tief in der Skalpiertinte wie sie! Sie müssen heraus aus der Patsche, und das kann nur durch mich geschehen! Aber wie? Sie sind nur dreißig, während es mir scheint, daß die Indsmen dreimal so viel zählen.«
Er sann eine Weile über eine mögliche Weise nach, seinen Gefährten Hilfe zu bringen, und sagte sich dann: »Es ist schwer, ungeheuer schwer, wenn nicht ganz und gar unmöglich. Hin zum Feuer kann ich nicht, und hier an den Felsen hinauf kann ich auch nicht, weil es dort oben fast ebenso hell wie hier unten ist. Hm, was hier an der nördlichen Seite unmöglich ist, bringe ich vielleicht an der südlichen fertig.«
Er kehrte um und eilte am Felsen hin zurück, um dessen Spitze zu umbiegen und so nach der andern Seite zu kommen. Er hatte aber kaum hundert Schritte zurückgelegt, als plötzlich eine kleine, schmächtige Gestalt vor ihm auftauchte und ihn, überraschenderweise in deutscher Sprache anrief: »Halt, geliebter Unbekannter! Mit wem loofen Sie denn so um die Wette? Lassen Sie Ihre Beene gefälligst schtehen, sonst schieße ich Sie oogenblicklich hier mit meiner Flinte durch und durch!«
Hum war des Deutschen mächtig. Es war ein Deutscher, der zu ihm sprach, also jedenfalls keine feindliche Person; aber Hum war in der Weise von dem Gedanken eingenommen, sehr rasch nach der andern Seite des Estrecho zu kommen, daß er weder daran dachte, wie seltsam und unerklärlich diese plötzliche Begegnung war, noch sich die Zeit nahm, der Aufforderung Folge zu leisten und stehen zu bleiben. Er antwortete nur hastig, auch in deutscher Sprache: »Lassen Sie mich! Ich habe keine Sekunde zu versäumen!«
Während er hierauf weitereilte, hörte er dieselbe Stimme hinter sich: »Der hat das Loofen ooch von keener Gartenschnecke gelernt! Na, weit kommt er nich; ich seh' den Hieb schon sitzen!«
Hum wußte nicht, was das bedeuten sollte, erfuhr es aber nach wenigen Augenblicken, denn noch waren diese Worte kaum verklungen, so richtete sich eine zweite Gestalt vor ihm empor, hielt ihn mit einer Hand im Laufe auf und schlug ihm die andre Faust so an den Kopf, daß er lautlos zusammenbrach. Er befand sich nun vorläufig in einer nicht besseren Lage als seine Gefährten, die er hatte retten wollen.
Diese waren, wie schon erwähnt, ihm vorausgeritten und unter der Führung des Mestizen an den hohen Quarzfelsen gekommen, in den der Estrecho de cuarzo schmal und tief einschnitt. Sie folgten ihm auch ohne Besinnen und mit vollem Vertrauen hinein und schöpften auch dann noch keinen Verdacht, als er stehen blieb und, sie an sich vorüberweisend, sagte: »Die Bleichgesichter mögen absteigen und dort hinter der Biegung der Schlucht, ihren Pferden die Beine zusammenhobbeln. Ich werde bis dahin die verborgene Mine schnell öffnen, um ihnen die Bonanza dann gleich zeigen zu können.«
Er kniete dabei an der Felswand nieder und begann, in dem dort am Boden angesammelten Steingrus zu wühlen, als ob er da den Eingang zur Bonanza freilegen wolle. Sie ritten auch bis zum letzten Mann an ihm vorüber, und nur Majestät, der aus dem Sattel gestiegen war, blieb bei ihm stehen und fragte begierig: »Hier also liegt das Gold so massenhaft vergraben?«
»Ja,« nickte der Mischling.
»So will ich dir helfen, damit es schneller geht!«
»Das Loch ist hier so eng, daß nur ein einzelner Mann graben kann.«
Er beabsichtigte, den Anführer zu beschäftigen, um dessen Aufmerksamkeit von sich abzulenken, und dieser ging in seiner Ungeduld auch ahnungslos auf den Gedanken ein, indem er ihm gebot: »So tritt zur Seite! Ich will es selber machen.« .
Er kauerte sich nieder und begann mit den Händen das Geröll eifrig zu entfernen. Der Mestize sah ihm nur eine ganz kurze Zeit zu, trat dann leise einige Schritte zurück und überzeugte sich mit einem schnellen Blick, daß keiner von den Weißen, die alle noch mit den Pferden beschäftigt waren, auf ihn achtete. Geräuschlos huschte er nach dem Eingang der Schlucht zurück.
In diesem Augenblick wandte sich die Majestät nach ihm um. » Zounds!« schrie er, »der Mestize ...!« Im Aufspringen riß er den Revolver aus dem Gürtel. Der Schuß krachte und mit einem Fluch stürzte Ik Senanda nieder.
Unheimlich brach sich der Knall an den Wänden der Schlucht, um gleich darauf in dem Donner weiterer Schüsse seine Antwort zu finden. Am Eingang der Schlucht stieg eine Flamme aus, die sich in einigen Sekunden so vergrößerte und verbreiterte, daß sie den schmalen Spalt vollständig ausfüllte, und draußen hinter dem Feuer erhob sich das durchdringende Kriegsgeheul der Komantschen.
Majestät war sofort auf den Mestizen zugesprungen, hatte ihn mit starken Armen gepackt und schleifte ihn trotz seines Sträubens und Umsichschlagens dem Hintergrund der Schlucht zu. »Sind von Indianern umzingelt!« rief er. »Schnell wieder hinter die Biegung, wo wir nicht getroffen werden können, und helft mir, den verräterischen Kerl zu fesseln!«
Rasch folgte man seinem Geheiß und im Nu waren dem Halbblut die Hände auf den Rücken gebunden. Mit leisem Stöhnen kauerte er inmitten der Weißen und aus der Schußwunde an seinem Knie sickerte Blut hervor.
»Scheinen da böse in der Falle zu sitzen, Männer,« sagte die Majestät heiser. »Der Schuft hier war ein Spion und hat uns hereingelockt. Soll sich aber nicht lange darüber freuen, meine ich. Werden einen hübschen Strick an ihn verschwenden! Vor allem müssen aber einige von Euch an die Ecke, um von dort aus mit ihren Büchsen den Eingang zu sichern, damit keine Rothäute heranschleichen.«
Dies geschah, und nun blickte er prüfend an den Felswänden empor.
»Hier kann keine Eichkatze hinauf, noch viel weniger ein Mensch,« sagte einer der Männer. »Aber seht mal, grade wie für diesen Burschen geschaffen ragt da eine Felsnase hervor. So gut für den Strick wie ein Baumast!«
Und kaltblütig wickelte er seinen Lasso ab, um ihn über den Felsvorsprung zu werfen.
»Recht so, Fred,« sagte Majestät, »und du, mein halbroter Boy, mach dich bereit, denn du hast jetzt noch fünf Minuten, dich für die Ewigkeit zu rüsten. Wenn wir schon verloren sind, so sollst du uns wenigstens vorangehen!«
Der Mestize war während dieser ebenso plötzlichen, wie furchtbaren Vorbereitungen aschfahl geworden und stammelte mit bebenden Lippen: »Was – wollt ihr? Gebt mich – frei! Ihr – verkennt mich! Ich – bin – unschuldig!«
»Das kannst du drüben in der Ewigkeit erzählen; hier hat's keinen Zweck. Du bist durchschaut. Durch deine Flucht hast du dich verraten.«
»Ich – bin – nicht geflohen – ich wollte – mich – nur umsehen, weil ich ein – verdächtiges Geräusch gehört – hatte!«
»Ja, dieses Geräusch war so verdächtig, daß du jetzt gelyncht wirst. Halte dich nicht mit unnützen Redensarten auf, denn die erste Minute ist um!«
Zwei der Männer zerrten Ik Senanda an die Bergwand unterhalb der Felsnase, über die bereits die Schlinge herunterbaumelte.
»Ihr irrt euch, ihr irrt euch wirklich!« rief er voller Angst. »Ich bin ein Freund der Weißen, ihr dürft es glauben! Seid ihr Mörder? Wenn ihr mich losbindet, werdet ihr sehen, daß ich euch gegen die Indianer helfe!«
»Möchten diesen Versuch lieber nicht machen, mein Junge,« brummte Majestät, indem er einen Blick auf die altertümliche und unförmige Nickeluhr warf, die er aus seinem Wams hervorgezogen hatte: »Vergiß nur nicht, daß dir jetzt nur noch drei Minuten bleiben!«
Dem Mestizen trat der Schweiß auf die Stirn; trotz seines Sträubens warf man ihm mit geschickten Händen die Schlinge um den Hals und zog sie mit einem leichten Ruck zusammen.
»Ich will euch Gold geben, viel Gold,« stöhnte er, »wenn ihr mir das Leben schenkt! Ohne mich werdet ihr die Bonanza of Hoaka niemals finden!«
»Das glauben wir dir gern,« nickte Majestät, »aber auch mit deiner Hilfe hätten wir sie wohl schwerlich entdeckt. Und jetzt wäre uns dein Gold auch nichts mehr nütze, denn nun handelt es sich um unsere Skalpe!«
»Auch diese kann ich retten, wenn ihr mir vertraut. Tokvi Kava wird euch frei lassen, sobald ich für euch spreche!«
»Ah, nun hast du dich wieder verraten! Woher weißt du, daß er es ist, der uns eingeschlossen hat? Du hast uns also dem schlimmsten von allen, diesem Jägerschinder, ausgeliefert. So haben wir nichts zu hoffen, aber auch dein Wimmern um Gnade ist vergeblich.«
»Wenn ihr mich freigebt, wird euch nichts geschehen. Mordet ihr mich aber, so ist euch der grausamste Martertod gewiß! Seid klug und verderbt nicht euch selbst, indem ihr mir mein Leben nehmt!«
»Nun bekennst du also Farbe! Wir lassen uns nicht betören. Statt zu schwätzen, solltest du dich auf das Jenseits vorbereiten. Noch eine Minute! Macht euch bereit, Mesch'schurs!«
Diese Worte galten den beiden Männern, die das andere Ende des Lassos fest gepackt hielten, um den Gefesselten im entscheidenden Augenblick in die Höhe zu ziehen.
Das Halbblut bäumte sich vor Verzweiflung auf und versuchte sich trotz seiner Kniewunde zu erheben und loszureißen; mehrere Leute mußten ihn niederzwingen, denn die Todesangst verdoppelte seine Kräfte.
»Ihr dürft mich nicht töten! Ich schreie um Hilfe! Tokvi Kava! Tok–vi Ka–va! Komm – zu Hi – –!«
»Die letzte Minute ist um,« sagte Majestät, der unbeweglich dabeigestanden hatte, ruhig. »Zieht an, Boys!«
Ein kräftiger Ruck riß den Körper Ik Senandas in die Höhe. Einen Augenblick noch versuchten die Füße des Taumelnden den Boden zu halten, dann schwebte er bereits in der Luft. Er bewegte sich, in krampfhaften Zuckungen, doch wurden diese schwächer und schwächer; der Körper begann sich zu strecken. Das Halbblut war tot.
Mittlerweile hatte sich die Dämmerung niedergesenkt, und hier in der Felsenenge war es noch dunkler wie draußen im Freien. Der Hilferuf des Mestizen war ungehört verklungen, denn das Geschrei der Indianer hatte fortgedauert und man vernahm, wie sie den Felsen beiderseits erklommen, und die Länder der Schlucht besetzten. Dann wurde es allmählich ruhig.
Die Weißen hatten den Körper des Mestizen herabgelassen und ihn nach dem hintersten Ende der Schlucht geschafft. Jetzt berieten sie sich flüsternd, auf welche Weise sie aus der Falle entrinnen könnten. Die Felswände waren vollkommen unersteigbar, und deshalb wollte man auf Majestäts Vorschlag hin versuchen, zu Pferd nach dem Eingang der Schlucht zu reiten und im Galopp durch das Feuer zu brechen.
Kaum hatten sie aber einige Meter durchmessen, so hörten sie eine laute, befehlende Stimme, die ihnen von der Höhe herab zurief: »Halt, die Bleichgesichter mögen ja nicht weiter reiten! Ich bin Tokvi Kava, der Häuptling der Komantschen, und habe sechsmal fünfzig Krieger bei mir. Ihr könntet nur einzeln durch das Feuer springen und würdet ebenso einzeln von uns niedergeschossen werden!«
»Alle Teufel,« knirschte Majestät, indem er sich zurück an seine Leute wendete. »Habt ihr gehört, was er sagte? Der Mensch hat recht. Auch so ist nichts zu machen. Wir können nicht hinaus. Er wird unsre Skalpe wollen, und wir können vom größten Glück sagen, wenn er sich so weit bereden läßt, daß wir mit dem nackten Leben davonkommen!«
Abermals ließ sich die Stimme des ›schwarzen Mustang‹ vernehmen: »Wenn die Bleichgesichter sich wehren, sind sie verloren. Ich werde ihnen aber das Leben schenken, wenn sie sich uns ergeben.«
Nun sprangen die Weißen ab und hielten abermals eine kurze Beratung, deren Ergebnis war, daß mit den Roten verhandelt und durch List möglichst viel Zugeständnisse von ihnen erlangt werden sollten. Darum rief jetzt Majestät dem Häuptling zu: »Was habt ihr gegen uns, daß ihr uns als Feinde behandelt? Wir haben euch doch nichts getan!«
»Alle Bleichgesichter sind unsere Feinde,« erhielt er zur Antwort. »Es gibt für euch keinen einzigen Weg zur Flucht, und ihr könnt euer Leben nur dadurch retten, daß ihr euch uns ohne alle Gegenwehr ausliefert. Werft die Waffen weg und gebt eueren Gefangenen frei!«
» Behold! So weit sind wir noch lange nicht! Es ist ja wahr, daß ihr uns eingeschlossen habt; aber versucht es doch einmal, uns hier herauszuholen! Grad unsere Gewehre werden euch da beweisen, daß es ein Unsinn ist, uns als wehrlose Gefangene zu betrachten.«
»Uff! Sieh dich in deinem Gefängnis doch erst einmal ordentlich um! Hier oben auf den Felsenkanten stehen über zehnmal zehn Krieger der Komantschen, bereit, auf einen Wink von mir ihre Kugeln auf euch herabzusenden.«
»Fatale Lage!« flüsterte da die Majestät. »Wenn es so ist, so putzen sie uns von da oben aus weg, ohne daß wir ihnen auch nur einen von unsern Zähnen zeigen können. Wollen doch einmal hören, was er uns für Bedingungen stellt!«
Und sich wieder nach oben wendend, rief er laut: »Ihr mögt so viele sein, wie ihr wollt; wir fürchten uns nicht. Aber ich habe gehört, daß Tokvi Kava ein tapferer und gerechter Häuptling ist, der niemals Feindschaft hegt gegen Menschen, die ihn nicht beleidigt oder gar geschädigt haben. Darum bin ich überzeugt, daß du die jetzige Feindseligkeit sofort einstellen wirst, wenn du hörst, wer wir sind, und daß wir in dieser Gegend nichts suchen, sondern sie nur rasch durchreiten wollen. Ich bin also bereit, mit dir zu sprechen.«
»So komm heraus! Meine Krieger werden dich herausführen.«
»Der stolze Häuptling der Komantschen kann nicht im Ernst verlangen, daß ich zu ihm gehe. Wir sind nur dreißig Mann, während er, wie er selber sagt, dreihundert Krieger bei sich hat. Ich würde alles auf das Spiel setzen, wenn ich mich von hier entfernte, er hingegen wagt gar nichts, wenn er zu uns herein in den Estrecho kommt.«
»Ich bin Häuptling und habe es nicht nötig, einem Bleichgesicht nachzulaufen,« antwortete der Mustang stolz. »Aber ich will euch Kita Homascha als Unterhändler senden. Werdet ihr ihn frei zurückkehren lassen, sobald es ihm beliebt?«
»Ja.«
»Auch wenn er nicht mit euch einig wird?«
»Auch dann.«
»Sprichst du die Wahrheit?«
»Ja. Ich versichere dir, daß ich keine Hintergedanken habe.«
»Wir glauben an den großen Geist, den ihr Gott nennt; was ihr bei ihm schwört, müßt ihr halten. Versprich mir also bei eurem Gott, daß ihr Kita Homascha, wenn er gehen will, nicht anrührt.«
»Ich schwöre und verspreche es dir.«
»So wird er kommen.«
Es dauerte eine kleine Weile, bis das brennende Holz am Eingang der Schlucht ein wenig beiseite geschoben wurde, so daß zwischen der Flamme und dem Felsen, eine Lücke entstand, die Kita Homascha durchsprang. Mit stolzen Schritten und mit erhobenem Haupt kam der Rote auf Majestät zu und beide setzten sich nieder. Es war inzwischen tiefe Nacht geworden und nur der langsam steigende Mond und das hellflackernde Feuer warfen ein spärliches Licht in die Schlucht.
Der alte Westmann wußte, daß nach der Ansicht der Indianer der Sieger das Gespräch zu beginnen hat; darum schwieg er und wartete, bis Kita Homascha nach längerer Zeit die Verhandlung durch die Frage einleitete: »Die Bleichgesichter haben eingesehen, daß es Wahnsinn wäre, sich gegen uns zu wehren?«
»Nein,« antwortete der Weiße, »das haben wir noch nicht eingesehen.«
»So seid ihr ohne Hirn geboren. Kein Mensch kann diese Felsen erklettern, und kein Pferd und kein Reiter wird durch die Glut des Feuers kommen. Von dort oben aber sehen zweimal hundert Augen auf euch herab, und hundert Gewehre sind bereit, euch zu vernichten.«
» Pshaw! Diese Gewehre fürchten wir nicht. Es gibt hier im Estrecho überhängende Stellen genug, die uns Schutz vor euren Kugeln bieten.«
»Wie lange wird dieser Schutz währen?« meinte der Rote verächtlich, »es ist gar nicht nötig, daß wir Kugeln an euch verschwenden. Wir haben draußen Wasser und Wild, soviel wir wollen, ihr aber nicht. Wir brauchen nur zu warten, bis ihr vom Hunger und vom Durst hinausgetrieben werdet.«
»Das kann lange dauern!«
»Uff! Je länger es dauert, desto mehr wird unsere Nachsicht schwinden und dann dürft ihr auf kein Erbarmen mehr rechnen. Wenn ihr euch aber jetzt ergebt, werdet ihr erfahren, daß noch Gnade in unseren Herzen lebt!«
»Was verlangt ihr von uns?«
»Wir haben das Beil des Krieges gegen alle Bleichgesichter ausgegraben und wir müßten euch also eigentlich am Marterpfahl sterben lasten. Tokvi Kava hat mich aber beauftragt, euch Leben und Freiheit anzubieten, wenn ihr euren Gefangenen herausgebt und alle eure Waffen abliefert.«
»Die Pferde etwa auch?«
»Nein, die Krieger der Komantschen sind so reich an guten Pferden, daß sie die schlechten, die ihr habt, mit Verachtung von sich weisen.«
»Und unser übriges Eigentum?«
» Pshaw, alles, was ihr besitzt, ist für uns so wertlos, wie die dürren Grashalme, die der Wind von dannen trägt. Wir wollen eure Waffen, weiter nichts!«
»Aber dann können wir nicht jagen, um uns zu erhalten, und sind ganz wehrlos gegen Feinde, falls uns solche begegnen!«
»Ihr behaltet ja eure Pferde, und das nächste Fort der Bleichgesichter liegt nicht sehr weit von hier. Ihr könnt es schnell erreichen und dann dort alles, was ihr braucht, bekommen. Entscheidet euch rasch, denn der ›schwarze Mustang‹ wird nicht allzulange warten.«
»Ich muß erst mit meinen Leuten reden.«
Majestät stand auf und zog sich mit seinen Gefährten hinter die Biegung der Schlucht zurück, während der Indianer ruhig und bewegungslos sitzen blieb.
Der Alte unterrichtete seine Gefährten, soweit sie der Unterredung nicht schon gelauscht hatten, von deren Inhalt und flüsterte: »Die haben keine Ahnung, daß wir den halbblütigen Schuft haben baumeln lassen! Sie verlangen seine Auslieferung und wollen auch unsere sämtlichen Waffen haben. Eine verteufelte Geschichte, Mesch'schurs! Die einzige Hoffnung besteht fast nur darin, daß der lange Hum entkommen ist; er muß hinter uns zurückgeblieben sein und wenn sie ihn erwischt hätten, so hätte dies der rote Halunke da vorne sicher schon gegen uns ausgespielt.«
Sie beratschlagten und kamen zu dem Entschluß, sich nur dann auf die Forderungen Tokvi Kavas einzulassen, wenn man ihnen wenigstens einige Gewehre und Messer ließe. Den Tod des Mestizen wollten sie den Indianern verheimlichen und ihn auf ein Pferd gebunden in der Dunkelheit »als Geisel« mit sich führen, unter dem Versprechen, ihn später freizulassen.
Majestät erhob sich und kehrte mit schweren Schritten und mit gesenktem Kopf zu Kita Homascha zurück. »Was habt ihr beschlossen?« fragte dieser.
»Wir wollen auf alle eure Bedingungen eingehen, wenn ihr uns wenigstens drei Gewehre und zehn Messer laßt, damit – – –«
In diesem Augenblick ertönten hoch über ihnen Stimmen. Man hörte ein dumpfes Gewirr und darauf den lauten Ruf:
»Zurück, ihr Komantschen! Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und wird Old Shatterhands Zaubergewehr zu jedem sprechen lassen, der sich zu nahen wagt!«
Ein Wutschrei antwortete ihm: »Und hier steht Tokvi Kava, der Häuptling der Komantschen! Jetzt naht euch die Rache; eure Skalpe sind mein! Drauf auf sie, ihr Krieger der Naiini!«
»Kommt nur heran, wenn ihr Mut habt, ihr roten Halunken!« entgegnete eine überschnappende Stimme. »Die Tante Droll wird euch huldvoll aufnehmen. Wart, du Spitzbube, du wirst gleich hinabbefördert!«
Man hörte das Geräusch eines herabstürzenden Gegenstandes, und gleich darauf krachte ein menschlicher Körper in unmittelbarer Nähe Majestäts auf den Felsenboden nieder. Der Schein des flackernden Feuers ließ erkennen, daß es ein Indianer war.
»Uff, uff!« rief Kita Homascha erschrocken, »das ist – – –«
»Hast du ihm den Weg in die ewigen Jagdgründe gezeigt, Vetter Droll?« tönte oben eine weitere Stimme. »Paß uff, gleich wird noch eener in der Versenkung verschwinden!«
Und ein zweiter Körper sauste in die Tiefe hinab, unten schwer und dumpf aufschlagend. Ein dritter und vierter folgten, und mehrere rasch aufeinanderfolgende Schüsse zeigten, daß Winnetou die Zauberbüchse sprechen ließ. Dann wurde es stiller. Der Mond, der eine Zeitlang hinter Wolken verschwunden war, trat soeben wieder hervor und die Untenstehenden erblickten die dunklen Umrisse zweier Menschen, die an der Kante des Felsens schwer miteinander rangen. Plötzlich wurde der eine in die Höhe gerissen und gleich darauf sauste er in einem weiten Bogen durch die Luft. Entsetzt trat Kita Homascha zurück; gleich als wenn er seinen Augen nicht trauen wollte, beugte er sich zu dem Zerschmetterten nieder und sagte tonlos: »Tokvi Kava, der große Häuptling der Komantschen, ist tot!«
Ein Lasso fiel über die Felswand herab und ein Mann glitt an ihm hernieder, um auf den roten Unterhändler zuzuschreiten.
»Uff, uff,« rief dieser, »Old Shatterhand!«
»Ja, ich bin es. Euer Schurkenstreich ist durchkreuzt und der Häuptling und noch andere Komantschen haben ihn mit dem Leben bezahlt. Ich nehme an, daß du berechtigt bist, die mit diesen wackeren Mesch'schurs begonnene Verhandlung mit mir fortzusetzen.«
Der Rote hatte sich mit der den Indianern eigenen Kaltblütigkeit gefaßt. »Kita Homascha ist der Stellvertreter des toten Häuptlings. Was hat mir Old Shatterhand zu sagen?«
»Geh hinaus zu deinen Kriegern und befiehl ihnen, sich rasch zehnmal zehn Schritte weit vom Eingang der Schlucht zu sammeln. Wenn ihr dies tut, habt ihr keine weitere Feindseligkeit zu befürchten und wir werden euch erlauben, eure Toten mit fortzunehmen; folgt ihr nicht, so werden unsere Gewehre weiter sprechen und das Klagen und Jammern in den Hütten der Komantschen wird noch größer und lauter werden. Beeile dich, denn wir erwarten euren Bescheid in kürzester Zeit!«
Kita Homascha schritt, ohne ein Wort zu sagen, dem Ausgang zu und Majestät trat linkisch und voller Staunen näher. » Good evening, Mister! Das ging ja so schnell, daß meiner Mutter Sohn mit seinem wurmstichigen Verstand gar nicht nachkommt. Ich bin noch ganz starr vor Staunen, Sir. Ihr seid wirklich Old Shatterhand?«
»Denke es! Darf ich auch euren Namen hören?«
»Mein Name ist euch jedenfalls ganz unbekannt; er kommt mir selbst so selten zu Ohren, daß ich ihn beinahe vergessen habe. Man pflegt mich nur Majestät zu nennen.«
»Ah, Majestät! Wenn ihr das seid, so habe ich von euch gehört. Ihr sollt ein ganz sattelfester und fährtengerechter Westmann sein, und so wundert es mich um so mehr, daß ihr euch von dem Mustang und seinem Enkel so ahnungslos habt hinter das Licht führen lassen.«
»Von seinem Enkel? Kenne ich gar nicht!«
»Ihr kennt ihn nur zu gut. Der Mestize, der euch hierhergeführt hat, ist der Sohn eines Weißen, dessen Squaw die Tochter des Mustang war.«
»Der – der – ist der Enkel des Jägerschinders? Alle Wetter, wer hätte das gedacht! Na, der ist ja seinem Großvater glücklich ins Jenseits vorausgegangen!«
»Wie sagt ihr? Das Halbblut ist tot? Wir haben die Roten belauscht und hörten aus ihren Gesprächen, er sei in eure Gefangenschaft, geraten!«
»Ist er wohl, Sir, war es aber nicht lange. Fanden eine schöne Schlinge, in die wir ihn seinen Kopf so lange stecken ließen, bis ihm der Atem ausging. Dort hinten liegt der Bursche, wenn ihr ihn sehen wollt! Aber, woher wißt ihr, daß uns dieser Halunke hierhergeführt hat?«
»Seine Fährte und eure Spuren haben es mir gesagt. Ihr seid von ihm und dem Häuptling an eurem Lagerplatz belauscht worden.«
»Wirklich! Ist es so? Und wir dummen Menschen haben das nicht bemerkt! Waren eben bereit, den Komantschen unsere Waffen auszuliefern. Mußten das tun, wenn wir unser Leben retten wollten.«
»Euer Leben dadurch retten? Wieso?«
»Wir sollten eigentlich getötet werden; aber der Häuptling ließ uns gegen Auslieferung der Waffen nicht nur das Leben, sondern auch die Freiheit versprechen.«
»Und das habt ihr ihm geglaubt? Der hat sicherlich nicht die Absicht gehabt, sein Versprechen zu erfüllen, sondern euch nur waffenlos machen wollen, um euch dann in aller Gemächlichkeit töten zu können!«
» Tempestad!! Das glaubt Ihr?«
»Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon. Mir scheint, daß ihr die Hauptsache gar nicht wißt. Wieviel Komantschen glaubt ihr wohl, hier gegen euch zu haben?«
»Dreihundert.«
»Es sind nur hundert, und diesen hatten wir die Waffen und die Pferde abgenommen. Infolgedessen ziehen sie nun herum, sich Waffen und Skalpe zu holen. Beides wollten sie euch nehmen und eure Pferde dazu.«
»Alle Teufel! Da haben wir uns schön hinters Licht führen lassen. Aber, Mister Shatterhand, ich bin noch immer nicht aus dem Staunen heraus, euch hier zu sehen. Wie seid ihr denn hierhergekommen?«
»Auf die einfachste Weise von der Welt. Wie wir, nämlich ich, Winnetou, und vier andere Westmänner, mit dem Mustang zusammengetroffen sind, werdet ihr noch hören; daß wir den Komantschen dabei die Waffen und die Pferde abgenommen haben, wißt ihr schon. Sie hatten erfahren, daß wir nach Santa Fé wollten; darum stand zu erwarten, daß sie uns auf diesem Weg auflauern würden, um sich zu rächen; mithin schauten wir fleißig nach ihrer Fährte aus. Heute früh erreichten wir ihren gestrigen Lagerplatz und sahen da auch den eurigen und daß ihr beschlichen worden wart. Natürlich folgten wir ihnen wieder und kamen gerade hier an, als das Feuer angebrannt wurde, das euch den Ausgang aus dem Estrecho verwehren sollte. Wir huschten näher und dabei wurde einer eurer Gefährten von mir niedergeschlagen. Er nennt sich Hum und war vor Eifer, euch zu retten, so unvorsichtig, daß ich ihn als Feind betrachten mußte.«
»Der gute Mensch! Wir haben ihn schlecht behandelt, und dafür wollte er uns retten! Er ist klüger als wir gewesen und auch besser!«
»Das ist freilich wahr. Ich habe ihn auch schnell wieder freigegeben. Dann schlichen wir uns auf den Felsen und es gelang Winnetou, die Roten zu belauschen. Die meisten Indianer waren am Eingang der Schlucht aufgestellt und die wenigen, die mit Tokvi Kava oben auf der Felswand standen, genügten nicht, um diese vollständig zu überwachen. Dennoch wurden wir entdeckt, als wir näher herankamen, und es entspann sich ein Handgemenge, das ihr ja beobachtet habt. Der Häuptling, dem ich mich selbst entgegengestellt hatte, war der letzte, der herabsauste, die übrigen sind geflohen. Schon vorher hatten wir drei Lassos zusammengebunden, an denen ich mich nunmehr herunterließ, um euch Bescheid zu sagen. Der Ausgang wird nicht lange aus sich warten lassen, denn seht, da kehrt Kita Homascha zurück.«
Der Unterhäuptling kam langsam näher; kein Zug seines Gesichts verriet, was in ihm vorging, als er sprach:
»Wir sind bereit, auf eure Bedingungen einzugehen, denn wir haben nicht genügend Waffen, um euch Widerstand leisten zu können. Tokvi Kava hat seinen Plan mit dem Leben bezahlt. Die Krieger der Komantschen haben sich weitab von der Schlucht zurückgezogen. Old Shatterhand wird erlauben, daß einige von uns unbewaffnet näher kommen, um die Toten zu bergen, damit wir sofort heimziehen können!«
Mit kurzen Worten gab der Weiße seine Einwilligung und bald sah man einige Rothäute nahen und die Leichen fortschaffen. Schon kurze Zeit später überzeugten sich die Weißen, daß die Indianer sich in einer langgezogenen Einzellinie von dannen machten.
Nun schürten sie das von den Rothäuten angezündete Feuer fort, an dem sie sich niedersetzten, um das Ereignis dieses Abends gründlich durchzusprechen. Als Majestät dabei die Bonanza of Hoaka erwähnte, fragte ihn Old Shatterhand: »So war es also nicht auf den Estrecho, sondern auf diese Bonanza abgesehen?«
» Yes, Sir. Die Bonanza sollte eben hier in dem Estrecho zu finden sein.«
»So!« lächelte der Jäger. »Kennt ihr die Bedeutung dieses Namens?«
»Nein. Es gibt überhaupt keinen Menschen, der das weiß.«
»Es gibt doch welche. Winnetou weiß es, und auch ich kann es euch sagen. Hoaka ist ein Wort aus der Acomasprache und bedeutet soviel wie Himmel. Bonanza of Hoaka heißt also Bonanza des Himmels. Während die golddurstigen Bleichgesichter hier überall herumstöberten, um das gleißende Metall zu finden, und dabei meist zugrunde gingen, predigten die alten Padres von den wahren Schätzen, die nur im Himmel zu suchen sind. Dadurch hat sich der Ausdruck Bonanza of Hoaka herausgebildet; er lebt in der Sage; er spukt in den Köpfen der Diggers und Gambusinos, und er hat sogar, wie ich höre, Besitz von euren Köpfen ergriffen, Mesch'schurs.«
»So, also so ist die Sache!« meinte Majestät höchst enttäuscht. »Einer Täuschung, einer alten Sage wegen haben wir uns dem Martertod nahe gebracht. Der einzige Gewinn ist derjenige, daß diese schöne Gegend nunmehr von zwei großen Schurken befreit wurde!«
»Das ist freilich wahr,« stimmte der Hobble-Frank bei. Jetzt kann sich der ›schwarze Mustang‹ seinen Haarschopf in den ewigen Jagdgründen nachwachsen lassen! Gaudeamus Igelkur!«
Der lange Hum kannte den Kleinen und seine Eigentümlichkeiten noch nicht; er hielt es darum für angezeigt, den kuriosen Fehler des Hobble zu verbessern, und sagte also: »Verzeiht, Mr. Frank! Es heißt nicht Gaudeamus Igelkur, sondern Gaudeamus igitur!«
Da blitzte ihn der Moritzburger mit zornigen Augen an und antwortete mit fauchender Stimme: »So? So? I, was Sie da nich sagen! Heernse, mein Gutester, wissen Sie vielleicht, wie ich heeße?«
»Ja, Sie haben es mir doch gesagt. Ihr Name ist Franke.«
»Franke? Bloß Franke? Nur Franke? Da muß ich aber sehr bitten! Ich bin nämlich geboren und getooft als Heliogabalus Morpheus Edeward Franke, Präriejäger aus Moritzburg. Verschtanden? Nun sagen Sie mir doch eenmal ihren Namen!?«
»Ich heiße Hum.«
»Hum? Hum! Das is ja gar keen Name. Sie müssen doch noch anders heeßen! Das is ja gerade, wie bei Timpes Erben, nich wahr, Kas?«
Da horchte der lange Hum auf und fragte rasch: »Timpe? Wie kommen Sie zu diesem Namen?«
»Ich? Ich komme gar nich dazu; er is nich meine. Ich wollte mich ooch bedanken! Wenn ich Timpe hieße, so schpräng ich da ins Meer, wo das Wasser am dicksten is!«
»Aber Sie haben vielleicht jemand gekannt, der Timpe hieß?«
»Ja; ich habe allerdings zwee solche bedauernswerte Personen gekannt; ich kenne sie sogar noch.«
»Drüben in Ihrem Vaterland?«
»Nee, hier in Amerika. Sie brauchen sich nur die beeden Jünglinge anzusehen, da den kastanienbraunen Has und dort den semmelblonden Kas; die sind schon seit langer Zeit ganz hoffnungslos mit dem unheilvollen Namen Timpe behaftet.«
»Wirklich? Sie, Sie heißen Timpe?« fragte Hum, indem er sich an die beiden Vettern wendete.
»Ja,« antwortete Kas. »Ich heiße Kasimir Obadja Timpe, und dort mein Vetter nennt sich Hasael Benjamin Timpe. Sie scheinen unsern Namen zu kennen?«
»Allerdings. Aber sagen Sie mir vorher, aus welchem Grund Sie Ihr Vaterland verließen?«
»Wir haben nicht nötig, es zu verschweigen. Wir suchen hier nach einer Erbschaft, um die wir betrogen worden sind.«
»Betrogen? Wieso? Von wem?«
Es war Hum anzusehen, daß der Gegenstand dieses Gesprächs seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Kas antwortete: »Ein Vetter ist uns damit durchgebrannt. Er hieß Nahum Samuel Timpe und soll jetzt in Santa Fé stecken. Darum sind wir nach dieser Stadt unterwegs, um den Betrüger zu entlarven.«
» All devils! Von wem soll die Erbschaft stammen?«
»Von unserm Oheim Joseph Habakuk Timpe, der kinderlos in Fayette gestorben ist.«
»Meine Herren, das ist mir wirklich sehr, sehr interessant. Sagen Sie mir nur noch, woher Sie wissen, daß dieser Onkel ein Vermögen hinterlassen hat!«
»Von meinen Vettern Petrus Micha Timpe und Markus Absalom Timpe in Plauen, die grade hunderttausend Taler erhalten haben.«
»Und da sind Sie herüber, um sich auch Ihren Teil zu holen?«
»Ja. Erst habe ich wiederholt geschrieben; ohne aber Antwort zu erhalten, und so machte ich mich dann auf, um den Betrüger zu fassen, der mit der ganzen Summe durchgebrannt ist.«
Da ließ Hum ein schallendes Gelächter hören und rief in verschiedenen Pausen dazwischen: »Und deshalb wollen Sie nach Santa Fé? Das ist gar nicht notwendig. Sie können ihn hier fangen, hier am Estrecho, wo Sie sitzen!«
»Was? Wie? Sie scherzen! Sie machen sich lustig über uns!« fragten Kas und Has schnell durcheinander.
»Es ist mein völliger Ernst, obgleich ich lache. Merken Sie denn noch immer nichts? Sie haben Ihre Vornamen Kasimir und Hasael in Kas und Has abgekürzt. Ich werde Hum genannt, das ist die Abkürzung von Nahum. Mein Name ist nämlich Nahum Samuel Timpe, und ich bin der betrügerische Vetter, den Sie suchen. Nun greifen Sie rasch zu!«
Has und Kas waren zunächst sprachlos vor Erstaunen; der stets redefertige Hobble-Frank aber rief begeistert aus: »Jetzt haben wir ihn! Jetzt is uns der richtige Kriminal-Timpe in das Garn geloofen! Wenn er nicht sofort das Geld berappt, hängen wir ihn off wie eene Fledermaus, nämlich mit dem Koppe abwärts nach dem Innern der Mutter Erde gerichtet. Da sieht man wieder: der Hochmut kommt schtets vor dem Fall. Gaudeamus Igelkur, Herr Hum!«
Nun sprangen Käs und Has auf, um mit Fragen, Vorwürfen und Drohungen auf Hum einzustürmen. Dieser hörte aber gar nicht darauf, sondern zog einen sorgfältig verwahrten Papierpack aus der Tasche, entnahm ihm einen Brief und reichte ihnen diesen, dabei immer lachend, mit den Worten hin: »Diese jetzt wertlosen Papiere, die mich aber viel Geld gekostet haben, sind die ganze Hinterlassenschaft des Onkels Joseph Habakuk. Sie sollen Sie alle sehen und prüfen; jetzt aber lesen Sie zunächst einmal dieses Schreiben, das der edle Erblasser damals aus Plauen erhalten hat! Es kam kurz vor seinem Tod an, und ich habe es geerbt. Es ist das einzige Erbstück, das ich nicht mit meinem Vermögen zu bezahlen gehabt habe. Sie können es behalten.«
Die beiden fielen begierig über den Brief her; sie lasen ihn zu gleicher Zeit; aber je weiter sie darin kamen, desto länger wurden ihre Gesichter, und als sie fertig waren, ließen sie ihn fallen und sahen Hum aus tief enttäuschten Gesichtern an.
»Nun, bin ich ein Betrüger?« fragte Hum. »Der Oheim hat mich selbst um mein ganzes Erbe betrogen, und Ihre Vettern haben sich einen Spaß mit Ihnen gemacht, weil die Timpes in Plauen mit den Timpes in Hof verfeindet waren. Die in Plauen hatten das Glück, hunderttausend Taler in der Lotterie zu gewinnen, und machten ihren Verwandten in Hof weis, sie hätten diese Summe von Onkel Joseph Habakuk geerbt. Sie schrieben dem Onkel kurz vor seinem Tod diesen Brief darüber, in dem sie sich über euch lustig machten, und so spaßhaft diese Sache ist, es tut mir doch herzlich leid, daß sie so weit getrieben wurde, bis sie uns hier im wilden Westen zusammenführte. Wenn Ihr mich nun noch verhaften wollt, so stehe ich Euch gern zur Verfügung!«
Obgleich der Brief den unumstößlichen Beweis der Unschuld Nahums führte, bedurfte es doch einer ganzen Weile, bis Kas und Has sich in die neue Anschauung der Sache fanden. Es wurde ihnen nicht leicht, auf die Hoffnung, doch noch zu ihrem Erbe zu gelangen, nun gänzlich zu verzichten. Da stand er endlich auf und streckte ihnen beide Hände entgegen und sagte: »Laßt es Euch doch nicht grämen! Ihr bekommt nur ein eingebildetes Vermögen nicht; ich aber habe durch Joseph Habakuk ein wirkliches Vermögen verloren, das mein Vater mir hinterlassen hätte, wenn er nicht von seinem Bruder betrogen worden wäre; der brave Onkel hat sein und mein Geld durchgebracht. Habe ich mich dreinfinden müssen, so wird es wohl auch euch möglich sein, einer Hoffnung zu entsagen, die überhaupt ja doch ganz unbegründet war. Ihr habt dafür anstatt eines betrügerischen Verwandten einen ehrlichen Vetter gefunden, der sich riesig darüber freut, mit euch hier zusammengetroffen zu sein, und gern bereit ist, alles Heil und Unheil des Lebens mit euch zu teilen. Und das ist, denke ich, doch wohl auch etwas wert!«
Das griff dem kleinen Hobble tief in die Seele. Er, der soeben noch davon gesprochen hatte, daß Hum verkehrt aufgehängt werden solle, rief jetzt begeistert aus: »Was schtehen Sie denn da wie zwee gebackene Pflaumen vor der Küchentür! Dieser liebe und vortreffliche Hum hat mir ganz aus dem Herzen geschprochen. Es gibt nischt Besseres in der Welt als eenen Vetter, den man hochachten kann; ich habe diese Erfahrung hier an meinem Vetter Droll gemacht. Schperren Sie sich also nich so lange gegen den glücklichen Konsumverein der Freundschaftlichkeet, sondern schlingen Sie die Hände kräftig ineinander, und lassen Sie mich den erschten Schritt der Versöhnung tun, indem ich Ihnen aus Fridolins Gang nach dem Drachen zurufe:
›Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Vierte!!‹«
Die Verwechslung, deren Frank sich schuldig machte, erregte allgemeine Heiterkeit. Kas und Has mußten in das Lachen der anderen einstimmen und griffen endlich nach Hums Händen, wobei der erstere sagte: »Du hast recht, Vetter; es gibt für uns keinen Grund, dir länger zu zürnen, und das Geld hätte uns ja vielleicht auch nicht glücklich gemacht. Wir stehen ja hier an der Bonanza of Hoaka, aus deren Namen wir lernen sollen, daß es andere Schätze gibt, nach denen man zu trachten hat. Wir wollen fortan gut zusammenhalten, so gut, daß man, um eine treue Freundschaft zu bezeichnen, einst sagen wird: Grad wie bei Timpes Erben!«
»Ja, wie bei Timpes Erben!« stimmte der Hobble bei. »Ich habe zwar diesem Namen bis jetzt keinen Beigeschmack abgewinnen können, aber was kein Verschtand der Verschtändigen sieht, das merkt der Rheumatiker, wenn es zieht. So sage ich denn meiner bisherigen Abneigung Lebewohl, und da Sie sich durch lauter abgekürzte Namen auszeichnen, so werde ich, als Vierter im Bunde, diesem Beispiele folgen und ooch zwee Silben schtreichen. Sagen Sie also in Zukunft nur Heliogabalus Morpheus Edeward zu mir; das Franke können Sie weglassen; der Erdkreis weeß es dennoch ganz genau, daß man den weltberühmten Frank darunter zu verschtehen hat. Ich habe geschprochen. Howgh!«