Karl May
Das Vermächtnis des Inka
Karl May

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Eine Urwaldschlacht

Nach dem nächtlichen Unwetter war ein heiterer Morgen angebrochen. Die Regenwasser hatten sich verlaufen; der Hochwald dampfte, und im Thale unten wogte zwischen dem Gesträuch das saftige Gras hoch wie ein Ährenfeld. Die Pferde wurden aus den Gebäuden gelassen, um sich an diesem Grün zu laben, denn von einem Aufbruche konnte jetzt noch keine Rede sein, da die Tiere sich nach dem nächtlichen Parforceritte ausruhen mußten und man jetzt auch noch gar nicht wußte, wohin man sich zu wenden hatte. Dieses letztere mußte erst noch besprochen werden.

Die Männer nahmen von den mitgebrachten Vorräten ein Frühstück, um sich nach demselben zur notwendigen Beratung zusammenzusetzen. Dabei war zu bemerken, daß Lieutenant Verano dem alten Anciano eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit schenkte. Seine Blicke kehrten wieder und immer wieder zu diesem zurück, so daß der Indianer, welcher dies gar wohl bemerkte, endlich fragte:

»Sie betrachten mich fortwährend, Señor. Hat dies einen besondern Grund?«

»Ja,« antwortete der Offizier.

»Darf ich erfahren, welchen? Komme ich Ihnen vielleicht bekannt vor? Hätten Sie mich schon einmal gesehen?«

»Sie wohl nicht. Meine Aufmerksamkeit gilt nur Ihrem langen, weißen Haare, welches mich an einen Skalp erinnert, den ich einmal gesehen habe.«

»Skalp? Was ist das?«

»Die Indianer Nordamerikas haben die Gewohnheit, ihren getöteten Feinden die Kopfhaut abzuziehen und als Zeichen des Sieges und der Tapferkeit aufzubewahren. Eine solche Haut wird Skalp genannt. Es ist ganz dasselbe, was wir spanisch sprechenden Leute mit Piel del cráneo bezeichnen.«

An welcher Beziehung stehe denn ich mit dieser Kopfhaut?«

»Es ist eine Ähnlichkeit. Der Skalp, von welchem ich spreche, hatte ein ebenso langes und dichtes weißes Haar, wie Sie tragen.«

Anciano horchte auf. Seine Züge nahmen den Ausdruck der Spannung an, als er fragte:

»Ein ebensolches Haar? Das wäre doch höchst merkwürdig! Ich glaube nicht, daß ein Weißer sein Haar in meiner Weise trägt.«

»Ich habe das allerdings auch noch nie gesehen. Übrigens hatte die Kopfhaut einem Indianer angehört.«

»Wohl einem nordamerikanischen?«

»Nein, sondern einem hiesigen.«

»Von welchem Stamme war er?«

»Das weiß ich nicht. Ich fragte zwar danach, doch gab mir der Besitzer des Skalpes keine genügende Antwort.«

»Wo sahen Sie die Haut?«

»In Buenos Ayres.«

»Bei wem?«

»Bei dem Stierkämpfer Antonio Perillo. Ich war einmal mit einem Freunde bei ihm. Er hatte sein Zimmer mit allerlei Trophäen ausgeschmückt, unter denen sich diese Haut befand.«

»Antonio Perillo, der Espada! Er ist es ja, mit dem wir wahrscheinlich zusammenstoßen werden! Man sagt, daß er wiederholt im Westen gewesen sei. Hat er Ihnen mitgeteilt, auf welche Weise er zu dieser Haut gekommen ist?«

»Ja. Er hat mit einem Indianer auf Leben und Tod gekämpft und ihn besiegt. Als Andenken an diesen schweren, lebensgefährlichen Kampf hat er den Skalp seines Feindes mitgenommen.«

»Wo hat dieser Kampf stattgefunden? Sagen Sie schnell, wo!« bat Anciano im Tone außerordentlicher Erregung.

»In der südlichen Pampa. Das war alles, was ich erfahren konnte.«

»Da unten? Da ist es freilich anders, als ich dachte.«

Er atmete bei diesen Worten hörbar und wie erleichtert auf. Sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck der Gleichgültigkeit an, veränderte sich aber sofort wieder, als der Lieutenant bemerkte:

»Das Haar war wirklich prächtig, schöner noch als das Ihrige. Es wurde von einer Spange zusammengehalten, und der, welcher es getragen hat, muß ein sehr alter und wohl auch armer Mann gewesen sein.«

»Von einer Spange?« rief Anciano aus, indem er eine Bewegung der Überraschung machte. »Wie sah diese Spange aus? Und warum glauben Sie, daß der Mann arm gewesen ist?«

»Weil sie von Eisen war, während ein wohlhabender Mann doch, wenn er sich solcher Zieraten bedient, solche von wertvollerem Metalle wählt. Die Spange hatte an ihrer vorderen Seite die Form einer Sonne mit zwölf Strahlen.«

»Zwölf Strahlen!« schrie Anciano förmlich, indem er aufsprang. »Señor, diese Spange war nicht aus Eisen, sondern vom reinsten Golde. Der Besitzer hatte sie aber künstlich geschwärzt, um nicht die Habsucht andrer zu erwecken.«

»Woher wissen Sie das? Haben Sie den Mann gekannt, welchem dieser Schmuck gehörte?«

»Ob ich ihn gekannt habe! Er war mein Gebieter, ein Herrscher über – –«

Er war im höchsten Grade erregt. Seine Augen blitzten; er hatte sein Messer aus dem Gürtel gerissen und machte mit demselben Bewegungen, als ob er einen vor ihm stehenden Feind erstechen wolle. Er hätte noch mehr gesagt, vielleicht sein ganzes Geheimnis verraten; aber Haukaropora war auch aufgesprungen, legte ihm die Hand auf den Arm und unterbrach ihn in warnendem Tone:

»Still, mein Vater! Der Mann war ein Indianer, weiter nichts; aber dennoch müssen wir erfahren, ob er in rechtlichem Kampfe getötet worden ist. Wenn nicht, dann wehe seinem Mörder! Er war trotz seines Alters so stark und tapfer, daß er niemals überwunden wurde. Soll ich da glauben, daß er von diesem Antonio Perillo besiegt worden ist? Nein und abermals nein! Er ist ermordet worden.«

»Ganz gewiß, ganz gewiß!« stimmte der Alte bei. »Wir brauchen nach dem Mörder nicht zu forschen; Perillo hat zugegeben, daß er selbst ihn getötet hat. Wir wissen, daß er hinter uns herkommt; er wird in meine Hände fallen, und dann soll er uns Rede und Antwort geben!«

»Ja, reden soll er, und die Antwort gebe ich ihm mit diesem da!«

Der Inka schwang seinen Streitkolben, auf den sich seine Worte bezogen, um den Kopf. Er war fast noch mehr erregt, als sein Anciano, beherrschte sich aber schnell, als er sah, daß die Anwesenden ihn erstaunt anblickten, nahm eine gleichgültige Miene an, setzte sich wieder nieder und legte den Kolben neben sich hin.

Aber nicht nur diese beiden waren von der Mitteilung des Lieutenants so tief berührt worden; es gab einen dritten, welcher ihr eine ebenso große, wenn auch ruhigere Aufmerksamkeit schenkte. Dieser dritte war der Vater Jaguar. Von da an, wo der Skalp erwähnt wurde, bis zum letzten Augenblicke hatte er die Reden mit der größten Spannung verfolgt. Er saß neben dem Inka und griff jetzt nach dem Streitkolben, um denselben zu betrachten. Die Waffe war schwarz, wie von einem dunkeln Firnis überzogen. Er besah sie sehr genau, legte sie dann wieder hin, ohne eine Miene zu verziehen, und sagte:

»Ich halte es nicht für notwendig, sich jetzt über den Skalp zu ereifern. Noch wißt Ihr nicht, ob es wirklich die Kopfhaut Eures Bekannten ist. Wir werden es erst später genau erfahren.«

»Nein, ich weiß es sicher,« antwortete Anciano; »die Spange ist der Beweis, daß ich mich nicht irre.«

»Dennoch haben wir jetzt Notwendigeres zu besprechen,« entgegnete Hammer, indem er dem Alten einen verstohlenen Wink gab, zu schweigen. »Es gilt, zu beraten, wohin wir uns von hier aus wenden sollen.«

»Doch jedenfalls nach dem Palmensee,« antwortete der Lieutenant Verano. »Das war ja schon vorher Ihr Ziel und muß es nun erst recht bleiben, da die Verschwörer dort zusammen kommen wollen.«

»Ich glaube zwar nicht, daß schon jemand von ihnen dort ist, möchte diesen See aber dennoch vermeiden. Man könnte später durch einen Zufall entdecken, daß wir dort gewesen sind, und das könnte zum Mißlingen meines Planes führen.«

»Hast du denn schon einen Plan?« fragte Geronimo.

»Beinahe. Wir wissen, daß die Abipones gegen die Cambas wollen, und könnten dieses Vorhaben vielleicht schon im Keime zunichte machen. Ich sage mit Absicht: vielleicht, denn ich befürchte, daß wir zu schwach dazu sind. Die Abipones können sich schon jetzt auf dem Kriegsfuße befinden, und in diesem Falle dürfen wir bei unsrer Minderheit nicht wagen, es mit ihnen aufzunehmen.«

»Das meine ich auch. Die Burschen sind zwar furchtsam und scheuen einen offenen Angriff; zu einem nächtlichen Überfalle aber sind sie stets bereit, und da habe ich vor ihren vergifteten Pfeilen den größten Respekt. Wir müssen uns verstärken, und das kann nur mit Hilfe der Cambas geschehen.«

»Allerdings. Es fragt sich, ob sie ahnen, was ihnen bevorsteht.«

Da antwortete der »harte Kopf«:

»Unsre Leute wissen nichts davon, daß sie überfallen werden sollen. Wir leben in Feindschaft mit den Abipones, aber daß sie jetzt einen Kriegszug gegen uns vorhaben, das war uns ganz unbekannt. Wir müssen sobald wie möglich aufbrechen, um ihnen die Nachricht zu bringen und sie vorzubereiten. Der Zug wird gegen unser größtes und reichstes Dorf gerichtet sein.«

»Woher weißt du das?«

»Die Abipones, welche uns gestern fingen, sprachen ganz offen davon. Da wir heute früh ersäuft werden sollten, so glaubten sie, ganz sicher zu sein, daß wir nichts verraten könnten.«

»Wo liegt dieses Dorf und wie weit ist es von hier entfernt?«

»Es liegt an dem Wasser, welches die Weißen den Arroyo claro nennen, und wenn wir gut reiten, können wir nach drei Tagemärschen dort sein.«

»Wie ist die Gegend beschaffen, durch welche wir müssen? Ist sie unbewohnt?«

»ES gibt Wald, offenes Feld und auch mehrere Dörfer der Abipones, welche wir aber vermeiden können, wenn wir den Ritt von hier aus unternehmen. Wollten wir aber erst den Palmensee aufsuchen, so würden wir von dort aus längere Zeit durch feindliches Gebiet zu reiten haben.«

»Hm!« brummte der Vater Jaguar nachdenklich in den Bart. Er blickte eine Weile vor sich nieder und fuhr dann fort: »Und dennoch halte ich es für besser, erst nach dem Palmensee zu gehen. Vorhin wollte ich das vermeiden; nun ich aber genau erfahren, wohin die Gegner wollen, muß mir daran hegen, den Weg, welchen sie einzuschlagen haben, kennen zu lernen. Hältst du es denn gar nicht für möglich, vom Palmensee aus nach dem ›klaren Bache‹ zu gelangen, ohne von den Abipones gesehen zu werden?«

»Ihre Dörfer könnten wir umreiten, Señor, aber daß wir einzelnen von ihnen begegneten, das wäre wohl nicht zu vermeiden.«

»Einzelne sind nicht zu scheuen. Wir würden sie ergreifen und gefangen mit uns nehmen, so daß sie den Ihrigen keine Nachricht von uns gehen können. Ich habe auch noch einen andern Grund. Unser Fleischvorrat geht zu Ende, und uns drei Tage lang vom Ertrage der Jagd zu ernähren, dazu haben wir keine Zeit. Durch den dabei entstehenden Aufenthalt könnten aus den drei leicht fünf oder sechs Tage werden. Die Abipones aber besitzen, wie ich weiß, Rinder, von denen wir eins oder gar einige heimlich wegfangen können. Da kommen wir ohne Mühe und Zeitverlust zu Fleisch. Wie weit ist es von hier bis zu dem Palmensee?«

»Einen halben Tagesritt.«

»Gut, dann brechen wir um die Mittagszeit von hier auf, so daß wir am Abend dort ankommen. Es ist ja nicht notwendig, daß wir ganz bis zum See reiten. Meine Absicht geht ja nur dahin, in die Gegend desselben zu kommen. Kennst du denn den geraden Weg nach dem klaren Bache?«

»Ich kenne jeden Baum und Strauch, an dem wir vorüberkommen werden.«

»So können wir uns also auf dich verlassen. Es bleibt dabei: zu Mittag geht's von hier fort.«

Es hatte keiner etwas dagegen einzuwenden, doch meinte Doktor Morgenstern Grund zu der Bemerkung zu haben:

»Ihre Absicht und Ihren Plan in allen Ehren, aber ich habe doch auch Absichten und Pläne, an die ich Sie erinnern muß. In welcher Richtung liegt denn der klare Bach, zu welchem Sie wollen?«

»Nach Nordwesten,« antwortete der Häuptling.

»Ist die dortige Gegend eben oder bergig?«

»Es gibt Berge.«

»Dann erhebe ich Einspruch, Señores! Sie wissen, daß ich nicht wegen der Cambas, sondern um Ausgrabungen vorzunehmen, in dieses Land gekommen bin. Die Tiere, deren Überreste ich suche, haben nicht auf den Bergen, sondern in der Ebene gelebt. Je weiter ich mich von der letzteren entferne, desto mehr schwindet mir die Hoffnung, etwas zu finden. Ich erhebe also Widerspruch, lateinisch Contradktio oder auch Repugnantia genannt.«

»Ihr Widerspruch wird leider ohne Erfolg sein,« antwortete der Vater Jaguar. »Wir können doch nicht Ihrer Ausgrabungen wegen die Cambas berauben oder gar ermorden lassen!«

»Ebensowenig kann ich dieser Leute wegen auf mein Mastodon oder Megatherium verzichten, welches ich finden möchte. Ich beantrage, daß die Wissenschaft berücksichtigt werde. Ist dies nicht der Fall, so thue ich – – –«

Er hielt inne.

»Nun, was wollen Sie thun?« fragte Hammer.

»Hm! Ich bleibe zurück, um meine Nachforschungen auf eigene Faust vorzunehmen.«

»Ich rate Ihnen, davon abzusehen. Sie würden sehr bald in die Hände der Indianer fallen. Oder haben Sie vergessen, daß Sie sich schon einmal in Gefangenschaft befanden?«

»Ja, das ist freilich wahr; aber wenn ich nichts wage, so gewinne ich nichts. Ich habe mir nun einmal vorgenommen, ein vorweltliches Tier nach Hause zu bringen. Die Reise, lateinisch Profectio oder auch Peregyinatio genannt, hat Geld gekostet, und das will ich doch nicht umsonst ausgegeben haben.«

Der »harte Kopf« hatte aufmerksam zugehört. Es war ihm nicht klar, was der kleine Mann meinte, aber er ahnte es und erkundigte sich jetzt:

»Dieser Señor spricht von Tieren und vom Ausgraben. Gehört er vielleicht zu den sonderbaren weißen Leuten, welche in der Pampa nach Knochen graben, um dieselben in die großen Städte zu bringen und dort zusammenzustellen?«

»Ja, er gehört zu ihnen,« antwortete Hammer lächelnd.

»So braucht er nicht hier zu bleiben und sich in die Gefahr zu bringen, von den Abipones gefangen genommen oder gar getötet zu werden. Ich weiß, wo solche Knochen zu finden sind.«

»Wo denn, wo?« fragte der kleine Gelehrte schnell.

»Ich kenne mehrere Orte. An einem derselben werden wir vorüberkommen. Es ist der Pantano de los Huesos. Dieser Name sagt Ihnen, daß das Gewünschte dort zu finden ist.«

»Wirklich, wirklich? Ein Knochensumpf?« erkundigte sich Morgenstern mit großem Eifer. »Welchem Tiere gehören denn die Knochen an?«

»Das weiß ich nicht. Und dann kenne ich auch nicht – –«. Er stockte für einige Augenblicke, fuhr dann aber fort: »Die Señores sind gekommen, uns gegen unsre Feinde beizustehen, und aus Dankbarkeit dafür will ich sagen, daß ich einen Ort kenne, wo ein Tier in der Erde steckt' welches so groß gewesen sein muß, wie es jetzt keins mehr gibt. Wir haben es zufällig gefunden und wollten es an einen der Weißen, welche solche Knochen suchen, gegen Geld verhandeln. Da Sie uns aber gegen die Abipones helfen wollen, werde ich es Ihnen schenken.«

»Was? Wie? Ein so großes Tier, wie es jetzt keins mehr gibt?« fragte Morgenstern schnell. »Was ist es für eins? Vielleicht ein Glyptodon?«

»Das kann ich nicht sagen. Ich habe diesen Namen noch nie gehört.«

»Wie groß ist es denn? Wie lang und wie hoch?«

»Auch das weiß ich nicht, denn wir haben es nicht ganz

gesehen.«

»Nicht ganz? O wehe! Dann sind vielleicht nur einzelne Knochen vorhanden!«

»Nein; es ist ganz. Wir haben gegraben, bis die sämtlichen Rückenknochen zu sehen waren.«

»Und dann? Dann habt ihr sie wohl durcheinander geworfen?«

»Nein, wir hatten erfahren, daß ein zerbrochenes Tier nicht so viel wert ist, wie ein unverletztes. Darum ließen wir es, wie es war, und deckten es sorgfältig mit Erde zu.«

»Bravo, bravo! Das war sehr klug, sehr gescheit gehandelt! Ich ersehe daraus, daß ihr Indianer doch nicht so dumm seid, wie man euch uns geschildert hat. Ich muß dieses Tier haben! Wo steckt es? Wo ist der Ort? Wann werden wir hinkommen? Doch sobald wie möglich?«

»Die Stelle befindet sich einen ganzen Tagesritt hinter unsrem Dorfe.«

»Das ist mir gar nicht lieb, ganz und gar nicht! Ich beantrage, sofort aufzubrechen, Señores! Ich sehe wirklich nicht ein, weshalb wir so lange hier sitzen bleiben wollen!«

»Nur langsam, langsam!« lachte der Vater Jaguar. »Erst wollten Sie hierbleiben, und nun können Sie nicht schnell genug fortkommen. Wir haben noch so viel zu thun, daß wir vor Mittag nicht aufbrechen können.«

»Zu thun? Was denn? Ich wüßte nicht, was wir noch zu arbeiten hätten!«

»Denken Sie an die vielen Pferde, welche wir jetzt haben, und an unser Gepäck. Wir müssen das letztere den ersteren zu tragen geben, haben also Packsättel anzufertigen.«

»Packsättel? Wir haben ja weder Leder noch sonstiges Material dazu?«

»Material ist genug vorhanden. Man muß sich nach den Umständen richten. Aus Zweigen, Laubwerk, Schilf und Gras lassen sich Sättel anfertigen, welche länger als drei Tage zu gebrauchen sind. Aus Schlingpflanzen, welche hier in Hülle und Fülle zu haben sind, drehen wir Seile, womit die Sättel befestigt und die Pferde aneinander gebunden werden. Haben wir auf diese Weise eine zusammenhängende Tropa gebildet, so geht der Ritt viel leichter und schneller von statten. Wir werden sofort an die Arbeit gehen.«

Der erfahrene Mann ließ junges Gezweig, Gras und Schilf sammeln, und bald waren alle Hände unter seiner Anleitung beschäftigt, die Pferde mit weichen Tragunterlagen und Halftern aus Schlinggewächsen zu versehen. Als die Tiere sich ausgeruht hatten, wurden sie beladen und so aneinander gebunden, daß sie eine zusammenhängende Tropa bildeten. Dann konnte der Aufbruch vor sich gehen. Es war gerade zur Mittagszeit, als man den Ort verließ, welcher einen so schlimmen Namen besaß und doch so vielen Schutz vor dem verderblichen Unwetter geboten hatte.

Das heutige Ziel war also der Palmensee, welcher in südwestlicher Richtung von der Ansiedelung der Niedermetzelung lag. Der »harte Schädel« ritt mit seinen vier Cambas als Führer voran; dann folgten die Pferde in einer langen Reihe, welche von den Reitern zu beiden Seiten in Ordnung gehalten wurden. Die Höhen, an denen man während der Nacht vorübergekommen war, blieben links liegen; die Gegend, durch welche man kam, konnte, obgleich man sich mitten im Chaco befand, als Campo bezeichnet werden. Sie war eben und offen. Nur hier oder da wurde der weiche Rasen von einer sandigen Stelle unterbrochen, bis man am Nachmittage wüstes Land betrat, welches, wie der Häuptling sagte, erst am Palmensee ein Ende nahm.

Der Vater Jaguar ritt heute hinter dem Zuge. Er hatte Anciano und dem Inka einen Wink gegeben, sich zu ihm zu halten. Als sie dann zu seinen beiden Seiten ritten, sagte er zu ersterem:

»Dein Mund wäre heut früh beinahe mitteilsamer geworden, als in deiner Absicht lag. Fast hättest du dein Geheimnis verraten.«

»Du meinst, daß ich ein Geheimnis habe? Welches könnte das sein?« fragte Anciano.

»Ich kenne es nicht, aber ich errate es. Haukaropora ist nicht dein Sohn und auch nicht ein Enkel von dir.«

»Wie kommen Sie auf diesen Gedanken, Señor? Sie haben ihn doch stets als meinen Enkel gekannt!«

»Du hast ihn als solchen bezeichnet; ich aber ahnte längst, daß euer Verhältnis ein andres sei. Du teiltest uns in deiner Aufregung mit, daß die Spange, von welcher der Lieutenant sprach, nicht von Eisen, sondern aus purem Golde sei. Es gibt noch andre Gegenstände, welche aus Eisen zu sein scheinen und doch aus Gold gefertigt sind.«

»Welche, Señor?«

»Zum Beispiel der Streitkolben, den Hauka hier an seiner Seite trägt.«

»Der soll aus Gold sein, Señor? Dann wären wir ja reiche Leute!«

»Pah! Verstelle dich nicht! Ich bin dein Freund, und ihr wißt, daß ihr von mir nichts zu befürchten habt. Ich mag nicht aufdringlich erscheinen; aber wenn ihr euer Geheimnis wahren wollt, so müßt ihr vorsichtiger sein. Hauka hat gestern den feindlichen Indianer mit dem Streitkolben niedergeschlagen. Die Waffe muß auf etwas Hartes oder Scharfes oder Spitziges getroffen sein, wodurch der dunkle, harzige Überzug beschädigt wurde. Die kleine Stelle glänzt goldig gelb. Seht einmal nach!«

Haukaropora nahm den Kolben zur Hand, betrachtete ihn und hing ihn dann errötend wieder an seine Stelle.

»Nun?« fragte der Vater Jaguar lächelnd. »Nicht wahr, er ist von Gold?«

Keiner von beiden antwortete. Sie wollten nicht ja sagen, aber auch nicht den Freund belügen. Dieser fuhr fort:

»Wißt ihr, wer ganz allein das Recht hatte, einen goldenen Streitkolben oder Humantschuay zu tragen? Ihr wißt es ebensogut wie ich; dennoch will ich es sagen: der Herrscher von Peru war es. Und dieser Streitkolben verrät mir, daß Hauka ein Abkömmling der Inkas ist.«

»Señor, Sie irren!« entfuhr es dem alten Anciano.

»Ich irre mich nicht. Gib dir keine Mühe, mich zu täuschen! Das Geheimnis ist bei mir ebenso sicher wie in deiner eigenen Brust bewahrt. Überhaupt habt ihr ja gar nicht nötig, ein Geheimnis aus der Abstammung dieses jungen Mannes zu machen.«

»O doch!«

»Warum?«

»Denken Sie an die Verfolgungen, welche wir erlitten haben!«

»Ihr? Davon weiß ich nichts. Euern Vorfahren stellte man nach mit Feuer, Schwert und Gift; das ist wahr. Seitdem haben sich die Zeiten geändert, und kein Mensch wird euch eurer Abstammung wegen nach dem Leben trachten.«

»Das denken wohl Sie; wir aber sind vom Gegenteil überzeugt.«

»So hast du einen besonderen Grund zur Vorsicht und Verschwiegenheit. Der Umstand, daß Hauka ein Kind des Inka ist, bringt ihn in keine Gefahr; aber gefährlich könnte ihm etwas andres werden.«

»Was wäre das, Señor?«

»Wenn ihr infolge seiner Abstammung gewisse Hoffnungen hegtet, welche niemals in Erfüllung gehen können.«

»Nie? Wirklich nie?«

»Niemals, sage ich euch! Ihr lebt in euern Erinnerungen und wißt nichts von der übrigen Welt, von dem Leben. Ihr träumt. Laßt diesen Traum einen Traum bleiben, da er nie zur Wirklichkeit werden kann! Das ist es, was ich euch sagen will. Weiter in euch zu dringen, habe ich weder die Absicht, noch das Recht. Ich wollte etwas andres erfahren. Was ist es mit der Spange? Ich bin überzeugt, daß du richtig geraten hast, daß der Tote, dessen Skalp Antonio Perillo besitzt, dein Bekannter war. Wer ist dieser Mann gewesen?«

Anciano zögerte zu antworten, darum fügte der Vater Jaguar hinzu:

»Ich frage in einer bestimmten Absicht und nicht etwa aus müßiger Neugierde. Eine Antwort würde für dich wahrscheinlich von Vorteil sein.«

»Wollte ich antworten, so müßte ich Ihnen eben unser Geheimnis mitteilen.«

»Es würde euch nichts schaden, wenn du das thätest; doch wenn du das Schweigen für besser hältst, so habe ich nichts dagegen. Sage mir wenigstens, wo der Betreffende den Tod gefunden hat.«

»Ich kenne den Ort nicht genau.«

»Auch nicht die Gegend im allgemeinen?«

»Die weiß ich allerdings; sie wird Ihnen aber unbekannt sein.«

»Was das betrifft, so bin ich weiter herumgekommen, als du denkst.«

»So sagen Sie, ist Ihnen ein Ort bekannt, welchen man die Barranca del Homicidio nennt?«

»Nicht nur bekannt, sondern ich bin zweimal dort gewesen. Ich stieg von der Salina del Condor hinauf.«

»Ja, von der Salina del Condor. Sie liegt nicht weit davon, und ich war viele, viele Male dort.«

»Und du bist überzeugt, daß dein Bekannter seinen Tod dort gefunden hat?«

»Ja.«

»Welchen Grund hast du dazu?«

»Ich begleitete ihn bis in die Nähe und mußte zurückbleiben, um auf ihn zu warten; er wollte das so; er befahl es mir.«

»Ah, er befahl es dir? Wer befiehlt, ist der Herr, und wer gehorcht, ist der Untergebene, der Diener. Du wartetest wohl vergeblich auf seine Wiederkehr?«

»Ja. Ich wartete zwei volle Tage lang. Dann wurde es mir angst um ihn. Ich ging ihm nach bis an den Ort, den er hatte aufsuchen wollen. Ich sah ihn nicht und fand ihn nicht. Ich suchte in allen Thälern und Schluchten, auf allen Bergen und Höhen. Ich ging heim und holte meine Freunde, damit sie mir helfen sollten, nachzuforschen; es war alles vergeblich. Wir suchten wochenlang und mondenlang, ohne das kleinste Zeichen von ihm zu entdecken. Er mußte verunglückt sein. Heute früh habe ich die erste Spur gefunden. Er soll im Kampfe gefallen sein; aber ich bin überzeugt, daß er ermordet worden ist.«

»Glaubst du nur deshalb an einen Mord, weil du ihn für unüberwindlich gehalten hast? Oder wüßtest du noch einen weiteren Grund?«

»Ja, ich habe einen.«

»Welchen?«

»Er hatte Gegenstände bei sich, welche geeignet waren, die Habsucht anzulocken.«

»Welcher Art Gegenstände waren das?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»Du hast es nicht nötig, denn ich weiß es doch. Es war Gold.«

»Señor!« fuhr Anciano auf. »Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?«

»Es ist keine Vermutung, sondern die festeste Überzeugung. Der Mann trug Gegenstände bei sich, welche aus der Zeit der Inkas stammten und aus Gold oder Silber gefertigt waren.«

»Wie könnten Sie das wissen?«

»Das will ich dir sagen. Ich will aufrichtiger mit dir sein, als du gegen mich bist.«

Er wollte weiter sprechen, da aber bemerkte Haukaropora, welcher bis jetzt geschwiegen hatte, in eifriger Weise:

»Anciano, du beleidigst den Señor. Er ist unser Freund und verdient es nicht, daß wir ihm Mißtrauen zeigen. Wenn wir ihm alles sagen, wird er keinem Menschen etwas davon mitteilen.«

»Du hast recht. Von mir wird niemand etwas erfahren,« antwortete Hammer. »Aber was ihr mir mitteilen könntet, das habe ich schon beinahe erraten. Ich will euch etwas zeigen.«

Er öffnete sein Lederkoller und zog einen kleinen, goldglänzenden Gegenstand hervor, den er an einer Schnur am Halse hängen hatte. Er band ihn los und reichte ihn Anciano hin. Es war eine kleine, außerordentlich kunstvoll gearbeitete Schale, welche einen Durchmesser von höchstens drei Zoll besaß.

»Ein Taubecher!« rief Anciano betroffen aus. »In dieser Schale wurde der Morgentau aus den Kelchen der Tempelblumen gesammelt und der Sonne, damit sie ihn trinken möge, zum Opfer gebracht.«

»Das wußte ich nicht. Der Zweck dieser Schale war mir unbekannt,« antwortete der Vater Jaguar.

»Señor, es ist ein heiliges, ein sehr heiliges Gefäß l«

»Das weißt du so bestimmt? Damit beweisest du, daß deine Vorfahren Peruaner waren.«

»Ja, das waren sie,« gestand der Alte.

»Die meinigen waren die Herrscher des Volkes,« fügte Haukaropora hinzu. »Ich bin der einzige Nachkomme von ihnen, und nur sehr wenige treue Menschen wissen davon.«

»Ich dachte es. Du besitzest die verborgenen Schätze deiner Ahnen?«

»Warum fragen Sie so?«

»Diese Opferschale sagt es mir.«

»Woher haben Sie dieselbe?« fragte Anciano. »Wie sind Sie in den Besitz derselben gelangt?«

»Ich habe sie gefunden.«

»Wo?«

»Zwischen der Salina del Condor und der Barranca del Homicidio.«

»Dort, also dort! Welch eine Entdeckung! Wann ist das gewesen?«

»Vor fünf Jahren.«

»In welcher Mondeszeit? Können Sie sich darauf besinnen?«

»Ganz genau. Es war am Tage nach dem Vollmonde.«

»Das ist richtig, wie es gar nicht richtiger sein kann. Nur in der Nacht des Vollmondes pflegte dein Vater in die Schlucht hinabzusteigen.«

Diese letzteren Worte waren an den Inka gerichtet. Dieser hatte sich die Schale geben lassen, betrachtete sie, küßte sie und sagte dann, indem sein Auge in feuchtem Glanze schimmerte:

»Also diese Schale hat mein Vater, der vorletzte Inka, in den letzten Stunden seines Lebens bei sich getragen! Señor, Sie bekommen sie nicht wieder; Sie müssen sie mir lassen. Ich werde Ihnen etwas viel Größeres und Wertvolleres dafür geben!«

»Behalte sie! Ich mag nichts dafür, denn sie hat in dir ihren rechtmäßigen Eigentümer gefunden.«

»Ich danke Ihnen! Aber haben Sie nur diese Schale gefunden? Nichts weiter, gar nichts weiter?«

»Noch viel, viel mehr! Aber es war nichts Erfreuliches, sondern im Gegenteile etwas Schreckliches.«

»Was?«

»Soll ich es wirklich sagen, so mache dich auch darauf gefaßt, Schlimmes zu hören!«

»Sprechen Sie, Señor! Ich bin stark und immer gewöhnt, an den Tod meines Vaters zu denken. War es noch etwas von ihm, was Sie fanden?«

»Nein, sondern er selbst war es.«

»Er selbst? Also seine Leiche?«

»Ja.«

Der Inka sah lange Zeit vor sich nieder auf den Sattel. Keine Muskel seines Gesichtes bewegte sich; aber er war bleich, sehr bleich geworden. Der alte Anciano fuhr sich mit den Händen einigemal über die Augen und schwieg auch. So ritten die drei eine ganze Weile nebeneinander hin, bis der Alte endlich das Schweigen brach und den Vater Jaguar mit bebender Stimme fragte:

»War er tot? Gab es keine Spur von Leben mehr in ihm?«

»Er war tot!«

»Und wie war er gestorben? Konnten Sie das sehen? Konnten Sie entscheiden, ob ein Mord vorlag oder ob ein ehrlicher Kampf stattgefunden hatte?«

»Es hatte keinen Kampf gegeben, weder einen ehrlichen noch einen unehrlichen. Ich hätte die Spuren desselben auch am Boden sehen müssen, da dieser von den Füßen zerstampft und aufgewühlt gewesen wäre. Es lag ein Mord vor, ein heimtückischer Meuchelmord. Der Tote hatte von hinten eine Kugel in die Brust bekommen.«

»und das Haar, das Haar, sein schönes, herrliches Haar, welches viel länger war als das meinige?«

»Es war weg, war fort. Der Ermordete war skalpiert worden.«

Keiner von beiden, weder der Inka noch Anciano, sprach eine Klage aus. Sie schwiegen jetzt wie vorhin, um Herr ihrer Gefühle zu werden. Dann begann der Alte wieder:

»Erzählen Sie uns, wie das gekommen ist! Wir müssen alles, alles erfahren, selbst die geringste Kleinigkeit!«

»Es ist da nicht viel zu erzählen. Weshalb ich in jene Gegend kam, und was ich da wollte, das wird euch gleichgültig sein. Ich kam nach der Salina del Condor, um mich und mein Maultier da auszuruhen, denn ich war fast die ganze helle Vollmondsnacht hindurch geritten. Während mein Maultier von dem spärlichen Grase naschte und ich, an der Erde sitzend, ein Stück Fleisch verzehrte, hörte ich Hufschlag hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen Reiter, welcher, von der Höhe herabkommend, um eine Felsenecke bog. Als er mich erblickte, stutzte er für einen Augenblick; dann gab er seinem Tiere die Sporen und jagte weiter, an mir vorüber.«

»Er hielt gar nicht an?«

»Keinen Augenblick.«

»Und sagte auch kein Wort, keinen Gruß?«

»Keine Silbe sagte er, und auch ich hielt es nicht für nötig, ihn anzurufen. Es fiel mir auf, daß er im Vorüberreiten das Gesicht von mir abwendete, gerade so, als ob ich es nicht sehen solle.«

»Und Sie haben es auch nicht gesehen?«

»Nur zwei oder drei Sekunden lang, als er um die Ecke kam. Dann wendete er es, wie schon gesagt, von mir ab. Ich sah, daß er die gewöhnliche, landläufige Kleidung trug und mit einem Gewehre bewaffnet war. Er hatte eine Decke hinter sich aufs Pferd geschnallt; dieses Bündel war so dick, daß ich annehmen mußte, es bestehe nicht aus der Decke allein. Es schien noch andre Gegenstände zu enthalten. Welche, das konnte ich natürlich nicht wissen.«

»Kam er nahe an Ihnen vorüber?«

»Nein. Es waren wohl an die fünfzig Pferdelängen.«

»Hätten Sie ihn doch angehalten!«

»Das war bei dieser Entfernung nicht möglich. Übrigens machte er einen so unheimlichen Eindruck auf mich, daß ich froh war, als ich ihn nicht mehr sah. Man muß bei fremden Begegnungen vorsichtig sein. Gegen Mittag, als mein Maultier sich erholt hatte, ritt ich weiter, nach der Barranca del Homicidio hinauf. Ich mochte ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als ich auf die Leiche stieß. Sie lag in einer Blutlache und machte mit dem skalpierten Schädel einen gräßlichen Eindruck. Ich untersuchte sie und war natürlich sofort der festen Überzeugung, daß der Mensch, den ich gesehen hatte, der Mörder sei.«

»Wie war der Tote gekleidet?«

»Ganz in Leder, so wie jetzt du es bist und wie ich es bin.«

»Das stimmt. Wir trugen stets solche Anzüge, weil leichtere im dichten Walde schnell zerreißen. Was hatte er sonst noch bei sich?«

»Nichts, gar nichts. Er war vollständig ausgeraubt worden. Aber als ich, um ihn zu untersuchen, seinen Körper hin und her wendete, sah ich etwas blinken, was unter ihm im Blute gelegen hatte. Es war diese Opferschale, welche ich seitdem stets bei mir getragen habe.«

»Nun eine Hauptsache: Was haben Sie mit der Leiche gemacht?«

»Ich konnte sie nicht liegen lassen; sie wäre eine Beute der Raubtiere geworden. Ich schaffte sie in eine nahe Felsenspalte und verschloß dieselbe mit Steinen. Das Blut löschte ich mit Sand aus. Dann aber machte ich mich auf, um den Mörder zu verfolgen.«

»Verfolgt haben Sie ihn, Señor? Schon wollte ich Ihnen den Vorwurf machen, dies unterlassen zu haben! Hatten Sie Glück dabei?«

»Nein, wie du doch schon längst gemerkt haben mußt. Als ich den Mann sah, war es am frühen Vormittage. Zu Mittag ritt ich von der Salina fort, und mehrere Stunden später fand ich die Leiche. Ich konnte beim besten Willen und bei der größten Eile an diesem Tage nur bis zur Salina zurück und eine kurze Strecke weiter kommen. Ich sah die Spur des Reiters und folgte ihr, so lange es noch Tageslicht gab; beim Mondenscheine aber war es unmöglich, die Fährte zu erkennen, denn es gab kein Gras, sondern nur Sand, Stein und Geröll. Als der Tag graute, ging es weiter. Ich brannte darauf, den Menschen einzuholen, mußte aber sehr bald einsehen, daß dies unmöglich war. Er hatte sich wohl gesagt, daß ich die Leiche finden würde, und war die ganze Nacht geritten, um einen möglichst großen Vorsprung zu bekommen. Dabei hatte er den Weg über felsiges Terrain genommen, um keine Spur zurückzulassen. Es gehörte meine ganze Übung und Aufmerksamkeit dazu, sie festzuhalten. Das erforderte aber Zeit. Hundertmal mußte ich absteigen, um das Gestein zu untersuchen, und zehnmal kehrte ich wieder um, weil ich eine falsche Richtung eingeschlagen hatte. Am Abend dieses Tages fand ich, daß noch kein halber Tag hinter mir lag. Während der darauffolgenden Nacht mußten die spärlichen Spuren vollends unsichtbar werden. Ich sah ein, daß ich ihn nicht einholen könne und gab also die Verfolgung, wenn auch im höchsten Grade ungern, auf.«

»Schade, jammerschade, Señor! Was hätten Sie mit ihm gemacht, wenn Sie ihn erreicht hätten?«

»Das wäre auf die Umstände angekommen. Die Todesstrafe wäre ihm aber auf keinen Fall erspart geblieben.«

»Wären Sie mit ihm nach der Salina zurückgekommen, so hätten Sie mich dort gefunden, und wir hätten zu Gericht über ihn gesessen. Sie hatten alle Spuren der That verwischt und so konnte ich nichts entdecken. Halten Sie es für möglich, die Spalte zu finden, in welcher Sie die Leiche begraben haben?«

»Ja. Es ist, als ob ich sie jetzt ganz deutlich vor meinen Augen hätte.«

»Ich höre, Sie wollen hinauf und über das Gebirge. Welchen Weg schlagen Sie ein?«

»Eigentlich wollte ich weiter nördlich; aber bei einem solchen Falle darf es auf einen kleinen Umweg nicht ankommen. Wenn ihr wollt, werde ich euch zu der Stelle führen.«

»Natürlich wollen wir! Der Tote darf nicht in dieser Weise liegen bleiben; er muß nach der Art und den Gebräuchen seiner Ahnen bestattet werden.«

»Du gibst also zu, daß er ein Inka, ein Nachkomme der Herrscher war?«

»Ja. Nun würde es die größte Undankbarkeit sein, es Ihnen zu verschweigen.«

»Und einen verborgenen Schatz hat er gehabt?«

»Ja. Als sein Ahne mit dem meinigen und einigen Getreuen vor den Spaniern floh, gelang es ihnen, viele Kostbarkeiten mit sich zu nehmen. Diese wurden in der Barranca del Homicidio versteckt. Die Flüchtlinge und ihre Nachkommen lebten einsam in den Bergen, und zuweilen ging der Inka nach dem Versteck, um einiges Gold zu holen, welches verkauft wurde, weil sonst er und die Seinigen nicht genug zu leben gehabt hätten. Das geschah stets in einer Vollmondsnacht. Mein Herr ist von seinem letzten Gange nicht wiedergekommen.«

»Kennst du das Versteck?«

»Ja.«

»Bist du seitdem dort gewesen?«

»Ich war dort, habe es aber nicht geöffnet, denn ich besitze kein Recht dazu.«

»Aber Hauka besitzt dieses Recht?«

»Noch nicht. Erst wenn die Erde achtzehnmal ihren Lauf um die Sonne vollendet hat, darf er sein Erbe antreten. Dies wird nach zwei Wochen der Fall sein.«

»Aber wie kommt er da zu der kostbaren Streitaxt, welche er besitzt?«

»Er hat sie von seinem Vater überkommen, welcher sie damals daheimließ, als er zum letztenmal nach der Barranka ging. Wir hatten noch einige andre, kleinere Gegenstände, welche wir verkauften, um die Reise machen zu können, von welcher wir jetzt heimkehren. Daß wir auf derselben den Mörder entdecken würden, hätte ich nicht gedacht. Señor, haben Sie eine Abrechnung mit diesem Antonio Perillo?«

»Nein.«

»Oder ein andrer von Ihren Begleitern?«

»Höchstens Señor Morgenstern, dem er nach dem Leben getrachtet hat.«

»Dieses kleine Männlein wird nicht nach seinem Blute dürsten. Darum bitte ich, den Mörder uns zu überlassen, wenn er in unsre Hände fällt!«

»Ich habe nichts dagegen, vorausgesetzt, daß wir uns nicht irren und er es wirklich gewesen ist.«

»Wenn er das Kopfhaar meines Herrn besitzt, so war er es. Und dieser Lieutenant Verano wird uns wohl nicht belogen haben.«

»Gewiß nicht. Übrigens war ich, schon ehe ich von dem Skalpe hörte, überzeugt, daß Perillo der Mörder ist. Ich habe ihn da droben an der Salina nur für einige Sekunden gesehen und es sind seitdem Jahre vergangen; aber als ihn mir der Zufall kürzlich in Buenos Ayres vor die Augen führte, erkannte ich ihn sofort wieder.«

»Haben Sie etwas zu ihm gesagt?«

»Ich habe ihn an die Sahna del Condor erinnert; das genügte, um sein böses Gewissen, falls es bisher geschlafen haben sollte, aufzuwecken. Er ist jetzt unterwegs nach dem Palmensee und wird uns, wenn wir nicht ganz unverzeihliche Fehler begehen, sicher in die Hände fallen. Was du dann mit ihm thun wirst, das ist deine Sache.«

Damit hatte dieses so wichtige und inhaltsreiche Gespräch sein Ende erreicht. Der Vater Jaguar ritt zu dem Führer vor, um den Inka mit seinem Anciano allein zu lassen, damit diese beiden Zeit fänden, die innere und äußere Ruhe, welche sie verloren hatten, wiederzuerlangen.

Man war sehr scharf geritten. Daher kam es, daß der »Harte Schädel« schon zwei Stunden vor Abend meldete, daß man, wenn man weiter reite, den Palmensee sehr bald zu Gesicht bekommen werde.

»Wir reiten nicht ganz hin,« entschied der Vater Jaguar. »Es könnten doch Abipones dort sein, und ich will nicht, daß wir gesehen werden. Wir müssen ganz unerwartet über unsre Feinde kommen. Sie dürfen keine Ahnung davon haben, daß wir uns auf ihren Empfang vorbereiten. Es genügt mir, mich in der Nähe des Ortes zu befinden, von welchem aus sie ihren Kriegszug unternehmen werden. Reiten wir von hier aus in möglichst gerader Richtung nach dem ›klaren Bache‹, so lerne ich die Linie kennen, auf welcher sie sich während ihres Zuges bewegen werden, und das ist es, was ich für jetzt beabsichtige. Wie weit ist das erste Dorf der Abipones von hier entfernt?«

»Wenn wir so schnell reiten, wie bisher,« antwortete der Häuptling, »werden wir es bald nach Einbruch der Dunkelheit erreichen.«

»Das ist ganz vortrefflich. Wir reiten im Finstern vorüber und machen dann, wenn sie uns nicht mehr wahrnehmen können, Lager.«

Der Ritt wurde also fortgesetzt, doch nicht in der bisherigen Richtung, welche eine südwestliche gewesen war; man bog nach Nordwesten um. Es ging wohl noch eine Stunde lang über sandige Wüste, dann gelangte man wieder über Rasen, welcher nach und nach immer dichter und kräftiger wurde. Später sah man zu beiden Seiten hochbäumige Waldung liegen. Der Führer fand mit rühmenswerter Sicherheit die von der Natur hergestellten Durchgänge, und selbst, als es Nacht geworden war, wußte er die richtigen Wege einzuschlagen.

Es war heute sternenhell, was den Marsch sehr erleichterte. Bei völliger Dunkelheit wäre es wohl schwer gewesen, die vielen Pferde in Ordnung zu halten. Vielleicht drei Viertelstunden nach Sonnenuntergang hörte man eigentümliche Töne, welche der Wind von rechts herüberbrachte. Es klang wie Katzengeschrei, untermischt mit Schlägen, als ob Teppiche ausgeklopft würden.

»Wat mag dat sein?« fragte Fritze seinen Herrn. »Dat sind keine menschlichen Stimmen.«

»Von lebenden Wesen kommen diese Töne jedenfalls,« antwortete Morgenstern bedächtig. »Nun entsteht die Frage, zu welcher Klasse und Ordnung diese Wesen gehören. Wenn ich die Höhe und Tiefe dieser Stimmen und ihren Farbenklang richtig beurteile, so kann ich nicht umhin, mich der Ansicht zuzuneigen, daß sie menschlichen Kehlen allerdings wohl kaum zu entstammen scheinen.«

»Diese Ansicht ist falsch,« belehrte ihn der Vater Jaguar, welcher jetzt in der Nähe der beiden ritt. »Die Abipones haben mobil gemacht.«

»Mobil?« fragte Fritze. »Soll dat heißen, dat sie sich im Kriegszustande befinden?«

»Ja. Was wir hören, sind ihre Kriegsgesänge.«

»Und die Hiebe, die es bei diese Jelejenheit zu setzen scheint?«

»Das sind die Kriegspauken, welche geschlagen werden.«

»Na, sonne Pauke möchte ik mich mal betrachten.«

»Es sind die einfachsten Instrumente, die man sich denken kann: ausgehöhlte Kürbisse, über deren Öffnung ein Fell gespannt ist. Wir wissen nun, daß sie zum Angriffe rüsten und also von dem Kommen der Weißen schon unterrichtet sind. Das ist wertvoll für uns. Wollen doch einmal nachforschen, wie viele Krieger ungefähr sich in diesem Dorfe befinden.«

Er ließ den Zug halten und schickte zwei Kundschafter ab, Geronimo, seinen Liebling, auf den er sich verlassen konnte, und EI Picaro, den Schalksnarren, welcher auch sehr gut für solche Dienste geeignet war. Links dehnte sich die dunkle Linie des Waldes hin; rechts lag offenes Land mit Strauchwerk, zwischen dem man den Schein von fern brennenden Feuern bemerken konnte. Die beiden Kundschafter blieben fast eine Stunde lang fort, und schon wollte Hammer Sorge um sie tragen; da aber kehrten sie zurück, und zwar nicht allein, sondern in Begleitung. Diese Begleitung bestand in zwei Rindern, von denen jeder eins hinter sich herzog. Sie hatten nicht nur gekundschaftet, sondern auch für Proviant gesorgt. Das Dorf war nicht groß; es konnte höchstens hundert Einwohner haben, die Frauen und Kinder mitgerechnet, und doch hatten die beiden Lauscher wenigstens hundert bewaffnete Krieger gezählt. Man schien sich also von benachbarten Dörfern hier zu versammeln.

»Schön!« meinte der Vater Jaguar befriedigt. »Das beweist, daß wir uns auf der richtigen Route befinden. Die beiden Rinder sind uns sehr willkommen. Daß wir sie nicht bezahlt haben, macht mir keine Schmerzen, denn die Abipones haben auch nichts dafür gegeben. Sie werden nachher geschlachtet. Jetzt weiter!«

Er hatte in Beziehung auf diese Tiere recht. Die argentinische Regierung pflegt den Indianern, um sie von Raubzügen fernzuhalten, von Zeit zu Zeit Pferde und Rinder zu senden, als ein Geschenk natürlich, da man es nicht mit dem undiplomatischen Worte Tribut bezeichnen mag; dadurch lassen sich die Roten aber durchaus nicht abhalten, je nach Bedarf über die Grenze zu gehen, um mit gestohlenen Herden wieder über dieselbe zurückzukehren. Wenn man sich hier zweier Rinder bemächtigt hatte, so war das nur eine Wegnahme gestohlenen Gutes zu nennen.

Als man noch eine halbe Stunde geritten war, wurde angehalten und hinter einem Vorsprunge des Waldes Lager gemacht. Da konnte man Feuer anbrennen, ohne befürchten zu müssen, daß dieselben gesehen würden.

Die beiden Rinder wurden geschlachtet und zerlegt, um verteilt zu werden. Es erhielt ein jeder so viel, daß er mehrere Tage davon zehren konnte. Natürlich begann eine allgemeine Braterei und Schmauserei, an welcher sich nur zwei nicht beteiligten, nämlich der junge Inka und sein treuer Anciano. Sie dachten seit des Gespräches mit dem Vater Jaguar weder an Hunger und Durst, noch an etwas andres, als nur allein an den ermordeten Inka.

Die Pferde wurden freigelassen. Obgleich die Glocke der Madrina sie zusammenhielt, versäumte Hammer es nicht, ihnen zwei Wächter zu geben. Später, als man sich gesättigt hatte, wurden die Feuer ausgelöscht, und man legte sich zur Ruhe. Drei schliefen fast gar nicht, nämlich wieder der Inka und der Anciano, und der dritte war der kleine Gelehrte, dem das versprochene Riesentier so im Kopfe spukte, daß er, obgleich oft schon halb entschlummert, immer wieder aufwachte.

Sobald der Tag zu grauen begann, wurde aufgebrochen. Von jetzt an zeigte sich das Land sehr abwechslungsreich, aber die Abwechslung war stets dieselbe: dichter Wald mit einzelnen offenen Durchbrüchen und dann wieder größere oder kleinere grasige Flächen, an deren Rändern die Dörfer lagen.

Diese letzteren bestanden durchweg aus mit Schilf und ähnlichem Materiale gedeckten Erdhütten, deren Inneres einen einzigen Raum bildete. Dabei gab es kleine Felder, auf denen Mais, Hirse, Mandioca, Bohnen, Quinoa, Tomaten, Erdnüsse, Bataten, Melonen und Kürbisse gebaut wurden.

Man hielt sich selbstverständlich von diesen Dörfern fern. Das Glück war den Weißen insofern günstig, daß ihnen weder heute noch am nächsten Tage auch nur ein einziger Abipone begegnete; er wäre freilich sofort gefangen und mitgenommen worden. Einige der Dörfer, an denen man vorüberkam, schienen leer zu stehen. Die Bewohnerschaft hatte sich des geplanten Kriegszuges wegen an besondern Orten zusammengezogen.

Am Abende des zweiten Tages war das Gebiet der Abipones zurückgelegt und am nächsten Morgen erreichte man das erste kleine Cambasdorf. Die Bewohner desselben wurden von der ihnen drohenden Gefahr benachrichtigt. Der Häuptling sandte die jungen Männer nach den verschiedensten Richtungen aus, um die waffenfähigen Leute der andern Ortschaften schleunigst nach dem großen Dorfe am »klaren Bache« zu beordern. Die fernliegenden Dörfer hatten von den Feinden nichts zu befürchten; anders aber stand es mit denjenigen Orten, welche in der Nähe der voraussichtlichen Marschroute der Abipones lagen. Diese mußten verlassen werden, und die Bewohner zogen sich mit den Kriegern nach dem »klaren Bache« hin, wobei sie selbstverständlich nicht versäumten, ihr ganzes Eigentum mitzunehmen, was freilich nicht viel sagen will.

Am Vormittage dieses dritten Tages gelangte der Reiterzug an ein großes, aber seichtes Wasser, dessen Ufer sehr morastig waren. Wo es eine festere Stelle gab, hatten sich Bäume und Sträucher entwickelt, sonst aber sah man nur dichtes Schilf und Rohr, welches eine Höhe von fünf Meter erreichte. Der Häuptling wendete sich an Doktor Morgenstern und sagte, indem er nach dem Wasser deutete:

»Das ist El Pantano de los Huesos, der Sumpf der Knochen, von dem ich Ihnen gesagt habe, Señor!«

»Das ist er?« antwortete der Kleine, von den Worten des Roten wie elektrisiert. »Kann man die Knochen sehen?«

»Viele sind vermodert; diejenigen aber, welche zuletzt gefunden worden sind, werden noch daliegen.«

»So muß ich hin, sie zu betrachten. Wir müssen halten. Hören Sie, Señores, halten, halten!«

Er hielt sein Pferd an und rief die letzten Worte so laut, daß sie vom Anfang bis zum Ende des Zuges zu hören waren.

»Das geht nicht,«antwortete der Vater Jaguar.»Wir können Ihrer alten Knochen wegen nicht unsre kostbare Zeit verlieren.«

»O, die Knochen sind weit kostbarer als die Zeit, von der Sie sprechen. Wenn Sie nicht warten wollen, so komme ich nach; aber sehen muß ich die Knochen; eher zieht mich kein Elefant von hier fort!«

Hammer sah ein, daß es besser sei, eine kleine Rücksicht zu hegen, und antwortete darum.

»Gut, so bleiben Sie, aber ja nicht länger als höchstens eine halbe Stunde; dann müssen Sie doppelt schnell reiten, um uns einzuholen. Der Häuptling mag Ihnen einen seiner Leute als Führer geben.«

jetzt gab sich der Kleine zufrieden. Er bekam einen der vier Cambas, welcher den Sumpf kannte und den Ort wußte, an welchem die Knochen zu sehen waren. Selbstverständlich blieb Fritze auch mit zurück; er wäre ohne seinen lieben Herrn keinen einzigen Schritt weitergeritten. Der Zug entfernte sich und die drei waren nun allein.

Der Camba ritt auf das Wasser zu und wußte dabei alle trügerischen Stellen wohl zu vermeiden. Dort stieg er ab und band sein Pferd an einen Strauch. Dabei sagte er etwas, was jedenfalls eine Aufforderung an die beiden andern sein sollte, das gleiche zu thun, doch verstanden sie ihn nicht, da er sich seiner Sprache bediente, deren sie nicht mächtig waren. Es stellte sich nun heraus, daß dieser Mann zwar den »Sumpf der Knochen« genau kannte, dafür aber nur sehr wenige Worte spanisch verstand.

»Dat kann jut werden,« meinte Fritze, indem er sich vom Pferde schwang, um es anzubinden und dann seinem Herrn zu helfen, auch aus dem Sattel zu kommen. »Jetzt verstehen wir kein Chinesisch, und dieser Herr Jevatter ist nicht aufs Türkische einjeübt. lk bin bejierig, wat dat for ein inniges Verständnis ergeben wird.«

»Wir werden uns durch Pantomimen verständigen,« tröstete ihn der Doktor. »Mit Pantomimen kommt man durch die ganze Welt. Diese Erfahrung, lateinisch Peritia geheißen, habe ich schon oft gemacht.«

»Aber wenn ik nun die richtige Pantomime am falschen Orte, oder die falsche Pantomime am richtigen Orte anwende?«

»Du scheinst in Beziehung auf Zeichen und Gestikulationen freilich noch ziemlich unerfahren zu sein. Achte nur auf mich, dann braucht dieser gute Mann nicht unsre und wir brauchen nicht seine Sprache zu verstehen.«

Als der Rote sah, daß die beiden ihre Pferde angebunden hatten, winkte er ihnen, ihm zu folgen, und schritt in das Schilf hinein, wo, wie man deutlich sah, vor ihm schon andre gegangen waren. Dabei deutete er nach rechts und links in die Schilfdichtung und sagte:

»Precaucion – Cocodrilos – Vorsicht – Krokodile!«

»Wat? Hier sollen Krokodile sind?« meinte Fritze. »Da müßte man doch wat von sie sehen. Mir soll er nicht bange machen.«

Aber kaum hatte er diese Worte gesagt, so sprang er mit einem Schreckensrufe zur Seite, denn ganz nahe neben ihm kam der Kopf eines solchen Tieres aus dem Schilfe zum Vorscheine. Es glotzte ihn aus den kleinen Augen an, und schlug die offenen Kiefer zusammen, daß es einen Ton gab, als ob zwei Bretter zusammengeklappt wurden.

»Er hat wirklich recht,« fuhr er fort, als er sich in Sicherheit befand. »Wenn wir nur nicht für die vorsündflutlichen Knochen unsre eijenen herjeben müssen!«

»Fürchte dich nicht,« meinte sein Herr, welcher, sobald es sich um sein Lieblingsobjekt handelte, allerdings keine Furcht kannte. »Diese Tiere sind viel zu träge, als daß sie uns belästigen könnten. Sie riechen schlecht; das ist das einzige an ihnen, was unangenehm ist.«

»Na, der Rachen mit die Zähne ist auch nicht anjenehm. lk meinesteils will sonne Kreatur lieber riechen, als von ihr jefressen werden.«

Sie gelangten durch das Schilf auf eine Art spitze Halbinsel, welche in das Wasser hineinragte. Sie schien aus festem Lande zu bestehen, denn sie trug Bäume und Sträucher, und bildete ein scharf geschnittenes und nicht sumpfiges Ufer. Unter den Bäumen war die Erde an einigen Stellen aufgewühlt, und da lagen sie denn, die der kleine Gelehrte suchte – Knochen von allen Gestalten und Größen, teils ganz, teils zerbrochen, teilweise noch hart und fest, teilweise auch schon angefault und vom Moder angegriffen.

»Heureka!« schrie der Kleine auf, indem er sich förmlich auf die Knochen stürzte. »Da sind sie; da liegen sie! Fritze, komm und sieh die Zeugen und Überreste einer Periode, in welcher an dich noch nicht zu denken war!«

»Dat finde ik sehr vernünftig,« antwortete der Stralauer gelassen; »denn wenn damals an mir zu denken jewesen wäre, so könnten Sie mir heutigen Tags nun auch einsammeln und als verflossene Gigantochelonia aus die einzelnen Gliedmaßen ins Janze zusammensetzen.«

»Sei kein Thor und schwätze nicht solchen Unsinn!« sagte Morgenstern, indem er ganz entzückt einen Knochen nach dem andern aufnahm, um ihn zu betrachten und zu betasten. »Hier öffnet sich ein großartiger Blick auf die Entwickelungsstufen der bis jetzt bestandenen und noch bestehenden Daseinsformen. Schau einmal diesen Schädelteil! Ich wette, es ist das Os occipitis eines Megatheriums. Wir werden alle diese Knochen einpacken und mitnehmen, damit ich sie, wenn wir am ›klaren Bache‹ angekommen sind, noch heute untersuchen und bestimmen kann. Lieber Freund, hat man diese Knochen hier an dieser Stelle gefunden oder sind sie von einem andern Orte hergeschafft worden?«

Diese Frage war an den Indianer gerichtet, welcher aber nicht mehr zu sehen war; dafür hörte man seine rufende Stimme.

»Er will uns bei sich haben. Kommen Sie!« meinte Fritze.

»Nein, noch nicht,« antwortete sein Herr. »Ich habe hier noch nicht alles gesehen.«

»So werde ik mal zu ihm jehen, um zu sehen, wat er zu rufen hat. Verstehen kann man ihm ja nicht.«

Er entfernte sich in der Richtung, aus welcher die Rufe des Camba zu hören waren. Der Doktor sah sich gar nicht nach ihm um. Er war mit seinen Schätzen so beschäftigt, daß er für gar nichts andres Augen hatte. Er wühlte in den Überresten und sortierte herüber und hinüber, bis er hinter sich die Stimme Fritzens hörte:

»Lassen Sie die Knöchelchens hier liejen! Da drüben jibt's eine janz andre Sorte. Dat sind die richtigen Eisbeine mit Meerrettich und Sauerkohl. Da habe ik eine Probe mitjebracht; schauen Sie sich die mal an!«

Als Morgenstern zu ihm aufblickte, sah er in seinen Händen ein wirklich riesiges und sehr gut erhaltenes Schenkelbein. Er sprang mit einem Jubelrufe auf, riß es an sich, betrachtete es mit weit geöffneten Augen erst sprachlos und schrie dann entzückt:

»Fritze, weißt du, was das ist? Weißt du es?«

»Ja; natürlich ist mich dieser Jegenstand bewußt. Wenn ik mir nicht irre, wird's wohl ein Knochen sind.«

»Du bist ein Idiot, ein reiner Idiot! Nur immer von Knochen und wieder von Knochen zu sprechen! ja, es ist ein Knochen, aber was für einer! Denke dir, Fritze, wir haben hier das Os femoris von einem Glyptodon vor uns! Welch eine Entdeckung! Dieses eine Bein ist allerdings viel, viel wertvoller als alle Knochen, welche hier beisammenliegen.«

»So? Dann will ik jratulieren, denn da drüben jibt's noch mehrere solche Beine.«

»Wirklich? Wo, wo?«

»Da drüben, wo ik eben war.«

Fritze deutete mit der Hand in die Richtung, welche er meinte; sein Herr eilte in derselben fort, indem er sagte:

»Da muß ich hin, sogleich, augenblicklich!«

»Halt!« rief ihm der Stralauer nach. »Nicht jerade aus; Sie müssen nach links umbiegen I«

Aber der kleine, begeisterte Mann wollte keine Sekunde verlieren, sondern möglichst schnell an Ort und Stelle gelangen; darum drang er in gerader Richtung in das dichte Schilf ein. Einige Augenblicke später gab es ein nicht mißzuverstehendes Geräusch, und dann hörte man den Kleinen um Hilfe rufen. Auch Fritze war zurückgegangen, aber auf dem sichern Wege; er sah den Indianer jenseits stehen und eifrig abwinken; darauf erscholl der Hilferuf. Der treue Diener dachte nicht an die eigene Gefahr, sondern drang schnell in das Schilf ein. Als er fünf oder sechs Schritte zurückgelegt hatte, bot sich ihm ein Anblick, welcher ihn hätte vor Schreck erstarren lassen können. Das Wasser hatte eine schmale Bucht eingefressen, welche durch Rohr, Schilf und Binsen so verdeckt worden war, daß Morgenstern sie nicht bemerkt hatte. Er war hineingestürzt und steckte nun bis an den Hals im Wasser und im Schlamme. Das war nicht schlimm; gefährlicher, viel gefährlicher war ein andrer Umstand. Nämlich es arbeitete sich, von dem Geräusch des Falles herbeigerufen, ein Krokodil in die Bucht, welche glücklicherweise nur einem schmalen Graben zu vergleichen war. Dieser Mangel an der nötigen Breite hatte zur Folge, daß das Tier sich seiner Beute nur langsam nähern konnte; doch arbeitete und schob es sich mit gefräßigem Eifer weiter und weiter heran, so daß es, als Fritze kam, mit der Spitze seines Rachens nur noch drei Fuß von Morgenstern entfernt war. Dieser arbeitete zwar auch, wobei er immerfort schrie, mit den Armen und den Beinen, um der schrecklichen Gefahr zu entgehen, sank aber desto tiefer in den Schlamm ein, welcher ihn nicht loslassen wollte. Fritze verlor keinen Augenblick die Geistesgegenwart. Er hatte zum Glück sein Gewehr umhängen, während Morgenstern das seinige bei den Pferden gelassen hatte; er riß es vor, brach sich schnell bis zur Unglücksstätte Bahn, hielt die Mündung der Bestie gerade vor das Auge und drückte ab. Der Schuß krachte, das Tier schnellte vorn empor, kam um einen Fuß weiter vorwärts und blieb dann aber liegen. Fritze gab ihm auch noch den Inhalt des zweiten Laufes in das ausgeschossene Auge und rief dann, indem er tief aufatmete, aus:

»Jelungen, vollständig jelungen! Dat war jerade noch der letzte Augenblick vons vierte Rejiment! Der Walfisch sitzt fest; nun wollen wir den Jonas herausangeln. Fassen Sie mein Jewehr, und jreifen Sie fest zu! Ik ziehe Ihnen aus dat Stillverjnügen heraus.«

Morgenstern hielt den ihm zugereichten Kolben des Gewehres krampfhaft fest, und Fritze zog aus allen Kräften an dem Laufe; aber der tückische Schlamm wollte sein Opfer nicht so schnell hergeben. Da kam der Indianer und half mit. Den vereinigten Kräften gelang es nun, den verunglückten Gelehrten zu befreien.

Aber wie sah er aus, als er nun triefend und duftend vor Fritze stand! Dieser, immer resolut, nahm ihm den vorher so schön roten Poncho von den Schultern, um ihn aus- und abzuschütteln, und raisonnierte dabei in seiner drastischen und doch zugleich liebevoll besorgten Weise:

»Wat ist Sie denn einjefallen, da rinzuspringen? Dat hätte noch lange Zeit jehabt. Man muß nicht sogleich jede Jelegenheit sofort benützen! lk habe Ihnen doch zujerufen, nicht jeradeaus, sondern nach links zu jehen!«

»Aber der Indianer winkte mir doch!« entschuldigte sich der Paläontolog, indem er beide Arme und Hände mit den ausgespreizten zehn Fingern weit von sich streckte.

»Abjewinkt hat er, aber doch nicht zujewunken! Sie dachten mit den Pantomimen durch die janze Welt zu kommen, und wohin sind Sie jeraten? In den Milchreis, ja, aber in wat vor welchen! Nun kann ik Ihnen waschen und spülen und ausringen und an die Sonne hängen und mit Ohdekarnallje einspritzen, um Ihnen zur frühern Sauberkeit und zum alten, menschenwürdigen Odör zu verhelfen! Wissen Sie, wat ik Ihnen vorschlagen werde?«

»Was denn, mein lieber Fritze?« fragte der Doktor kleinlaut.

»Wir haben gleiche Anzüge und sind auch von derselbigen Jestalt. Sie werden mir Ihr Habit verehren, wofür ik Ihnen dat meinige offeriere.«

»Das geht nicht, Fritze. Das meinige ist ja naß und schmutzig, lateinisch mit udus und limosus ausgedrückt.«

»So! Und wenn der Herr naß ist, so soll der Diener trocken sind? Dat wäre mich eine schöne Dienstboten- und Jesindewirtschaft! Wat dem Herrn recht ist, dat muß dem Diener billig sein. Ik dulde da keinen Widerspruch ins akustische Kabinet. Da hinten, wo wir vorhin waren, jibt's helles, reines Wasser. Da will ik den Schlamm schon herunterbekommen. Ik habe Ihnen bisher jehorcht; nun können Sie auch mich einmal parieren.«

Er zog ihn mit sich nach der Landzunge, wo der Umtausch der Anzüge vor sich gehen sollte. Der Indianer blieb zurück und untersuchte das Krokodil. Es war tot. Fritze hätte keinen Augenblick später erscheinen dürfen, um der Retter seines Herrn zu sein.

Als er nach einiger Zeit mit ihm wiederkam, hatte er den zwar gereinigten, aber noch nassen Anzug an, während Morgenstern den trockenen trug. Dieser letztere hatte erst jetzt Zeit und Ruhe, das Krokodil genau zu betrachten; er schüttelte dem Stralauer die Hand und sagte:

»Ich verdanke dir mein Leben, Fritze; das werde ich dir nicht vergessen. Hoffentlich kann ich es dir vergelten!«

»Darauf war's nicht anjefangen. Wenn ik auch mal in den Schlamm jerate, angeln Sie mir wieder heraus; dann sind wir quitt. Wat aber wird nun mit die großen Knochens, wegen denen Sie in die Versenkung jingen?«

»Die – die – werde ich mir natürlich ansehen müssen, selbst wenn ich sie dann für einstweilen liegen lasse.«

Dieser Zusatz und der Ton, in welchem er diese Worte sprach, ließen vermuten, daß seine Begeisterung um viele Grade gesunken sei. Die Nähe des Krokodilrachens war nicht ohne Einfluß geblieben. Fritze führte ihn nach dem betreffenden Orte, wo sich ihm allerdings ein Anblick bot, welchem seine augenblickliche Niedergeschlagenheit nicht zu widerstehen vermochte. Dennoch fragte er in ungewöhnlich ruhigem Tone:

»Meinst du, daß es jetzt hier Leute gibt, welche sich heute oder morgen dieser Knochen bemächtigen könnten?«

»Nein. Hier jibt's nur Indianer, und wat wollten die mit die Knochens machen? Auch weiß der Häuptling, daß Sie solche Jerippe suchen, und wird jewiß nicht dulden, daß sich seine Leute an sie verjreifen.«

»So werde ich darauf verzichten, sie heute mitzunehmen. Auf alle Fälle aber kehre ich zurück, doch nicht allein, sondern in Begleitung mehrerer Leute, welche graben müssen und zugleich dafür sorgen können, daß ich nicht wieder von einer solchen Gefahr überrascht werde. Die halbe Stunde, welche uns erlaubt wurde, ist längst vorüber. Wir wollen weiterreiten.«

Sie kehrten mit dem Indianer zu den Pferden zurück und trieben dieselben sodann zu solcher Eile an, daß sie die Vorangerittenen nach zwei Stunden einholten. Morgenstern sprach nicht von seinem Unfalle, und dem treuen Diener fiel es auch nicht ein, seinen Herrn durch die Erzählung desselben zu kränken.

Es war um die Mittagszeit, als die Bodenformation eine andre wurde. Es gab niedrige, aber lange, wellenförmige Erhebungen, welche die Ebene nach verschiedenen Richtungen durchschnitten und derselben das Ansehen gaben, als ob hier eine Unzahl kleiner Seen oder Teiche gelegen hätten, nach deren Austrocknung nun die frühern Dämme als Erhöhungen zu sehen seien. Diese Dämme waren meist mit Büschen bestanden, während in den tiefer liegenden einstigen Wasserbetten Gras wuchs. Hinter dieser eigenartigen Szenerie breitete sich ein endlos scheinender Streifen Waldes aus, welcher gerade an dem Punkte, auf welchen der Führer zuritt, eine Öffnung hatte. Rechts und links, so weit man zu sehen vermochte, lief dieser Wald in ebenes Land hinaus; gerade vom aber stieg er hoch empor; er schien da einen Berg zu bedecken, in dessen Inneres die erwähnte Öffnung führte. Als der Vater Jaguar dies sah, fragte er den Häuptling:

»Warum bleiben wir nicht im ebenen Lande? Können wir durch den Berg kommen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte. »Der Berg ist rund und hohl. Er birgt in seinem Innern ein Thal, welches Valle del Lago desecado genannt wird. Da können wir hindurch, während der Wald aber so dicht ist und die Bäume desselben so durch Schlingpflanzen verbunden sind, daß kein Reiter, geschweige denn eine ganze Schar, hindurch kann. Selbst ein Fußgänger müßte sich den Weg mit dem Beile oder dem Messer bahnen und würde in einem Tage höchstens so weit kommen, daß er diesen Weg in einer Viertelstunde zurücklegen könnte.«

»Kann man den Wald nicht umreiten?«

»Ja; aber er ist nach beiden Seiten so lang, daß wir einen Umweg machen müßten, welcher gewiß einen ganzen Tagesritt beträgt. Durch das Thal aber reiten wir nicht eine halbe Stunde lang, und dann kommen wir noch einmal so lang durch die Breite des Waldes, hinter welchem wieder der Campo beginnt.«

»Und wie weit ist's nachher bis zu deinem Dorfe?«

»Wir werden dort sein, noch ehe es dunkel geworden ist.«

»Wer von hier aus nach dem Dorfe will, muß also, um keinen Umweg zu machen, durch dieses Thal des ausgetrockneten Sees gehen?«

»Ja.«

»Das ist gut, sehr gut!«

»Warum?«

»Davon nachher, wenn ich das Thal gesehen habe. Ich vermute, daß wir die Lage und Beschaffenheit desselben ganz vortrefflich gegen unsre Feinde ausnutzen können.«

Von weitem hatte es geschienen, als ob diese Öffnung eine Art Tunnel sei, denn die zu beiden Seiten derselben stehenden Bäume schickten sich ihre Äste zu und bildeten mit ihren Wipfeln ein geschlossenes Dach über diesem Eingange zum Thale. Aber als man näher kam, war zu sehen, daß man es mit einer Lücke zu thun hatte, welche in einen länglichen Kessel führte, den das Innere des Berges bildete.

Als die Reiter in demselben anlangten, hielt der Vater Jaguar sein Pferd an und schaute sich um. Es war allerdings sehr wahrscheinlich, daß sich hier einst ein See befunden hatte. Es gab noch heute einen kleinen Bach, welcher durch das einstige hintere Ufer kam und einen Weiher speiste, dessen helle Fläche in der Mitte des Thales lag. Die Wasser des Sees hatten das Ufer da, wo die Reiter jetzt hereingekommen waren, durchfressen und sich hinaus in die Ebene ergossen; dann war der Wald, welcher ihn umsäumt hatte, von der Höhe herabgestiegen und bedeckte nun die Seiten des Thales vollständig und so dicht, daß man nur mit Mühe zwischen den Bäumen einzudringen vermochte.

Der Vater Jaguar gebot den andern, zu warten, und umritt das ganze Thal, um den Rand desselben genau in Augenschein zu nehmen. Als er zurückkam, sagte er im Tone der Befriedigung:

»Für uns kann nichts vortrefflicher liegen als dieser Ort. Wir werden hier zu einem leichten Siege kommen.«

»Wieso, Señor?« fragte Lieutenant Verano. »Meinen Sie etwa, daß wir die Feinde hier erwarten sollen?«

»Ja.«

»Das würde die größte Dumm – wollte sagen, der größte Fehler sein, den wir begehen könnten.«

Der Lieutenant mußte zwar anerkennen, daß der Vater Jaguar ein seltener Mensch und Charakter sei, aber es widerstrebte ihm, sich demselben unterzuordnen. Er hielt sich als Offizier als viel höher stehend als diesen Mann; er sagte sich im stillen, daß eigentlich ihm das Kommando gehöre. Er hatte zwar versprochen, sich zu fügen, allein seine gewaltthätige, eigenmächtige Natur kam bei vielen Gelegenheiten, so auch wieder hier, zum Vorscheine.

»Freut mich, daß Sie das Wort nicht ausgesprochen haben, Señor,« sagte Vater Jaguar in ernstem Tone. »Ich bin nicht gewöhnt, mich in dieser Weise kritisieren zu lassen. Ich habe meine Meinung geäußert und bin nicht dagegen, daß Sie uns die Ihrige auch kundgeben. Warum halten Sie das, was ich meine, für einen Fehler?«

»Weil wir hier aufgerieben würden.«

»Wieso?«

»Das fragen Sie? Señor, ich bin allerdings Offizier, was Sie freilich nicht sind. Man kann bei einem Laien nicht militärische Kenntnisse voraussetzen; aber das, wonach Sie fragen, ist eine so einfache und selbstverständliche Sache, daß ich sehr verwundert bin, Sie noch fragen zu hören.«

Vielleicht hatte er die Absicht, mit diesen Worten den Vater Jaguar in der Achtung der andern herabzusetzen; dieser aber antwortete ihm, indem er ein kleines, ironisches Lächeln sehen ließ:

»Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich allerdings nicht begreife, wie wir hier aufgerieben werden könnten. Gehören wirklich so bedeutende militärische Kenntnisse dazu, dies zu wissen?«

»Eben ganz und gar nicht. Der gewöhnlichste Mensch muß es einsehen.«

»So habe ich vielleicht den großen Fehler, kein gewöhnlicher Mensch zu sein. Haben Sie also die Güte, meinem mangelhaften Begriffsvermögen zu Hilfe zu kommen!«

Der Lieutenant, welcher die Ironie nicht übersah, meinte in halb zorniger und halb überlegener Weise:

»Wenn wir uns hier im Thale aufstellen, sind wir von den ringsum liegenden Höhen eingeengt und werden, wenn der Feind hereindringt, erliegen müssen.«

»So! Das begreife ich noch immer nicht. Wir müssen erliegen, wenn der Feind hereindringt. Wenn! Merken Sie wohl: Wenn! Kann er denn herein? Der Zugang zum Thale ist, wie Sie sehen, nur so breit, daß ihn höchstens sechs oder sieben Menschen nebeneinander passieren können. Außerdem stehen da Bäume, hinter welche wir uns stecken können, um nicht von den feindlichen Kugeln oder Pfeilen getroffen zu werden. Wenn wir nur fünfzig wackere Kerls da stehen haben, so kann kein Feind herein, und wenn er tausend Mann stark sein sollte. Sehen Sie das nicht ein?«

Der Offizier antwortete nicht. Darum fuhr der Vater Jaguar fort:

»Sie sagen, wir seien von den Höhen eingeengt. Diese Höhen treten wohl auseinander, wenn der Feind hereinkommt? Oder ist es nicht so, daß er ebenso eingeengt sein würde wie wir? Dazu käme, daß stets derjenige im Vorteile ist, welcher den Posten zuerst besetzt hat. Sind Sie noch immer der Meinung, daß man Taktik und Strategie studiert haben muß?«

Verano zuckte nur die Achsel, da er doch nicht zugeben wollte, daß er unrecht gehabt hatte.

»Übrigens,« fügte der Vaterjaguar hinzu, »ist es gar nicht meine Absicht, dem Feinde den Eintritt in dieses Thal streitig zu machen. Ich will es vielmehr haben, daß er hereinkommt.«

»Aber warum denn nur!« fuhr der Offizier ungeduldig auf. »Das würde doch heißen, uns ihm in die Hände zu liefern.«

»Nein, sondern ihn in die unsrigen. Jetzt scheinen Sie es zu sein, welcher der Laie ist. Haben Sie wohl eine Ahnung, wann die Abipones ungefähr in dieser Gegend eintreffen werden?«

»Das kann niemand wissen.«

»Warum nicht? Es ist leicht zu erraten. Die Weißen, mit denen wir schon zusammengetroffen sind, haben Soldaten nach dem Palmensee bestellt. Sie werden nicht viel früher und nicht viel später dort eintreffen als diese. Das liegt in der Natur der Sache. Sie sind, um ihre Spur für uns unsichtbar zu machen, über den Rio Salado zurückgegangen. Diese Absicht zu erreichen, brauchen sie zwei Tage. Wenn sie dann ebenso rasch reiten, wie wir geritten sind, haben wir zwei Tage Vorsprung. Nehmen wir an, daß sie einen Tag brauchen, um sich auszuruhen, die mobilen Indianer zu sammeln und Beratung zu halten, so ergibt sich noch ein dritter Tag. Wir haben drei Tage bis hierher gebraucht, weil wir gut beritten sind und Pferde im Überflusse haben. Den Abipones aber fehlen die Pferde. Ihre Mannschaften werden aus Kavallerie und Fußtruppen bestehen; darum brauchen sie wenigstens vier Tage bis hierher. Wir haben also den Feind frühestens in vier Tagen, von heute an gerechnet, zu erwarten. Das ist Zeit genug, um unsre Vorbereitungen in einer Weise zu treffen, welche uns den Kampf erleichtert und den Sieg sichert.«

»Aber es ist keine Erleichterung des Kampfes und keine Sicherung des Sieges, sondern das gerade Gegenteil, wenn wir den Feind hier zu uns hereinlassen!«

»Aber, Señor, sehen Sie denn nicht ein, daß dies eine Falle sein soll?«

»Eine Falle?« fragte Verano erstaunt. »Dann wird es eine, in welcher wir uns selbst fangen.«

Der Vater Jaguar wollte antworten, da aber fiel ihm der Doktor Morgenstern in die Rede:

»Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor Verano! Sie sind Offizier und begreifen dennoch nicht, was der Vater Jaguar meint? Das könnte scheinen, als ob Sie im Begriffe ständen, sich der Absicht zuzuneigen, diejenige Thätigkeit Ihres Geistes, welche man berechtigt ist, das Denken zu nennen, etwas weniger anzustrengen, als es nach den gegenwärtigen Verhältnissen als geboten erscheint. Die Falle oder der Fallstrick, um den es sich handelt, lateinisch Lagneus genannt, ist sehr leicht zu begreifen.«

»So! Begreifen Sie ihn etwa?« fragte der Offizier zornig.

»Allerdings.«

»So haben Sie doch die Güte, ihn mir zu erklären.«

»Sehr gern, Señor. Ich setze den Fall, wir verstecken uns da rundum im Walde, hinter den Bäumen, lassen den Feind herein und besetzen dann den Ein- und Ausgang des Thales, so befindet er sich in unsrer Mitte und ist verloren, da er uns, die wir geschützt stehen, nicht anzugreifen vermag, während er, der keine Deckung hat, allen unsern Kugeln ausgesetzt ist. Ich hoffe, das ist Ihnen nun deutlich, lateinisch perspicuus, geworden.«

Der Lieutenant war wütend. Daß der kleine, deutsche, lächerliche Kerl es wagte, ihn zu belehren, das war viel schlimmer als alles Vorhergehende. Er rief entrüstet aus:

»Was reden Sie zu mir? Habe ich Sie um Rat gefragt?«

»Allerdings. Sie haben mich aufgefordert, es Ihnen zu erklären.«

»Das habe ich ganz anders gemeint. Bleiben Sie mir in Zukunft mit Ihren Erklärungen vom Leibe. Ich weiß genau, was ich zu thun habe!«

»Nein, das scheinen Sie nicht zu wissen,« nahm der Vater Jaguar jetzt wieder das Wort. »Ich habe keine Lust, mich mit jemand zu streiten, und da es nicht notwendig ist, uns über den Gegenstand unsres Gespräches gleich jetzt weiter und erschöpfend zu äußern, so schlage ich vor, weiterzureiten. Wir haben vor allen Dingen danach zu trachten, noch vor Einbruch der Nacht unser Ziel, den ›klaren Bach‹, zu erreichen.«

Diesen Worten zufolge wurde aufgebrochen. Der Lieutenant hielt sich schmollend hinterher. Es ärgerte ihn gewaltig, daß er, der Beauftragte des Generals Mitre, eine solche Schlappe erlitten hatte.

Der Berg, welcher, von vorn gesehen, die Gestalt eines Kegels zu haben geschienen hatte, besaß nach rückwärts eine längere Ausdehnung. Er hatte die Form eines Komma, dessen in einen langen Schwanz auslaufender Teil von dem schon erwähnten Bache durchflossen wurde. Dieser Bach entsprang auf der höchsten Stelle. Dann senkte sich das Terrain wieder abwärts und ging endlich in die Ebene über.

Man hatte bisher zu beiden Seiten immer Wald gehabt, welcher auch jetzt noch nicht aufhörte, sondern sich weit in die Ebene hinein erstreckte. Er stand aber nicht mehr so dicht wie vorher, so daß man zwischen den Bäumen hindurchreiten konnte, während vorher die Ufer des Baches den Weg gebildet hatten. Das dann folgende Feld war grasig. Hier konnten die Pferde mehr ausgreifen als bisher, und so flogen sie jetzt im Galopp über den Campo hin.

War dem kleinen Gelehrten früher das Reiten schwer geworden, so hatte er sich jetzt ganz hübsch eingerichtet und saß sehr fest im Sattel. Er ritt neben Fritze Kiesewetter, seinem treuen Diener, welcher sich wo möglich stets an seiner Seite hielt.

»Wie steht es mit dem Anzuge?« fragte er ihn. »Er ist jedenfalls noch naß, und du kannst dir leicht eine Erkältung zuziehen.«

»Dat ist nicht!« antwortete Fritze. »Es ist allens schon vollständig trocken, und von eine Verkältung kann keine Rede sind. Als Sie den Lieutenant so schön trocken stellten, ist das Habit vor Freude auch gleich mit trocken jeworden.«

»Aber ich hatte doch recht!«

»Natürlich! Der Mensch scheint von seinem Fache oft und manchmal nichts zu verstehen!«

»Aber er wird nun zornig auf mich sein!«

»Dat ist er allerdings; ik habe es jesehen, aber wir machen uns nichts draus. Jroße Jeister, die sich nur mit Riesentieren abjeben, bekümmern sich nicht um so kleine Menschen.«

Der Doktor blickte nachdenklich vor sich nieder und sagte dann:

»Fritze, ich werde doch wohl einen Fehler gemacht haben!«

»Mit dem Lieutenant?«

»Nein, sondern mit dem Riesentiere, mit den Knochen, welche wir da hinten an dem Sumpfe gefunden haben.«

»Wieso?«

»Ich hätte sie nicht liegen lassen, sondern mitnehmen sollen.«

»Warum?«

»Weil sie mir in Verlust geraten werden. Du hast gehört, daß die Abipones hinter uns herkommen. Sie halten jedenfalls auch an dem Sumpfe an, und dann ist's jedenfalls um die schönen Knochen geschehen.«

»Dat ist mich unwahrscheinlich. Wat wollen die Abipones mit die Knochen machen?«

»Diese nicht, aber die Weißen, welche bei ihnen sind.«

»Hm! Meinen Sie?«

»Ja. Die Soldaten wissen, daß solche Knochen für die Wissenschaft einen großen Wert besitzen, und werden sie mitnehmen.«

»Nein, dat werden sie nicht; da kann ik Ihnen trösten. Selbst wenn sie die Absicht hätten, sie mitzunehmen, würden sie sie doch einstweilen liejen lassen, um sie dann erst auf dem Rückwege aufzuklauben.«

»Das ist ganz dasselbe.«

»Nein, denn wir besiegen ihnen ja!«

»Ob sie als Sieger oder als Besiegte zurückkehren, das ist gleich; sie werden sie mitnehmen. Ich bin überzeugt davon.«

»Wenn Sie so sagen, dann muß ik Ihnen allerdings recht jeben. Aber es ist nicht zu ändern.«

»O doch.«

»Wie?«

»Wenn wir beide zurückritten, um die Knochen zu holen.«

»Dat jeht nicht.«

»Warum?«

»Weil wir den Feinden in die Hände fallen würden.«

»Gewiß nicht! Der Vater Jaguar sagte ja, daß sie nicht eher als in vier Tagen hier sein würden. So lange hätten wir also Zeit.«

»Jut; aber es jeht doch nicht, denn der Vater Jaguar würde es nicht erlauben.«

»Das ist gar nicht nötig. Ich werde mich hüten, ihn um die Erlaubnis zu fragen.«

»Also nicht? ja, dat wäre eine andre Sache.«

»Fritze, würdest du mitreiten?«

»Hm! Es kommt mich doch ein wenig unheimlich vor.«

»Ich denke, du bist mir treu!«

»Herr, treu bin ik; darauf können Sie Ihnen verlassen!«

»Aber keinen Mut hast du?«

»Keinen Mut? Wat? lk als Stralauer Kind am Rummelsburger See soll keinen Mut haben? Dat hat noch kein Mensch mich zu sagen jewagt!«

»Warum ist es dir da mit einemmal so unheimlich geworden?«

»Nicht aus Furcht, sondern von wejen des bösen Jewissens. Es kommt mich wie ein Unrecht vor, so etwas zu unternehmen, ohne vorher den Vater Jaguar zu fragen.«

»Sind wir an ihn gebunden? Ist er unser Vorgesetzter?«

»Nein. Aber unter die jejenwärtige Verhältnisse halte ik es für sehr richtig, nichts ohne sein Vorwissen zu unternehmen.«

»Auch wenn ich darum bitte?«

»Bitte? Herr Doktor, wenn Sie mich befehlen, so jehorche ich; wenn Sie mir aber bitten, so muß ik Ihnen erst recht den Willen thun. Es würde mich jeradezu unmöglich sein, Ihnen eine Bitte abzuschlagen.«

»So ist's recht! Das nenne ich Treue, lateinisch Fidelitas geheißen! Also ich kann mich auf dich verlassen?«

»Ja. lk jehöre zu Sie und weiche nicht von Ihre Seite. Aber ist's denn wirklich jewiß, daß Sie zurück wollen?«

»Noch nicht ganz. Ich muß erst abwarten, ob die Verhältnisse meinem Vorhaben günstig sind.«

»So sagen Sie mich wenigstens, wie wir die Knochens fortbringen wollen?«

»Wie soll ich das wissen? Ich möchte mich da auf deinen Scharfsinn verlassen.«

»Ja, wenn mein Scharfsinn ein Roll- oder Frachtwagen wäre, so könnten wir sie darauf verladen. Hier jibt's überhaupt keine Wagens. Man kann sich höchstens der Lastpferde bedienen.«

»Und da haben wir leider keine!«

»Nicht? Wat, wir hätten keine? Haben wir nicht über achtzig Pferde erbeutet?«

»Aber die gehören uns doch nicht!«

»Nicht? Wer hat dat behauptet? Wir waren dabei, als sie erbeutet worden sind. Sie sind eijentlich Jemeingut und müssen verteilt werden. Da kämen wenigstens vier Stück auf uns beide. Ik mache mich jar kein Jewissen, einige Pferde wegzunehmen. Dat ist kein Diebstahl, denn wir bringen sie doch wieder. Und Packsattels sind auch vorhanden. Wir haben also allens, wat wir brauchen.«

»Und würdest du den richtigen Weg finden, damit wir uns nicht etwa verirren?«

»Glauben Sie nicht, daß ich mir verirren würde. Wo ik einmal jewesen bin, da bin ik zu Hause wie in meine Tasche. Dat ist der jeringste Kummer, den Sie Ihnen zu machen brauchen, Wenn ik ein Bedenken habe, so ist's ein janz andres.«

»Welches?«

»Von wejen die Krokodilers. Wenn es sich um Knochen handelt, so jehen Sie zu forsch ins Zeug, und da können Sie leicht wieder an sonne Bestie jeraten, ohne daß ik Ihnen dann so schnell helfen kann.«

»Ich nehme mich in acht. Ich verspreche es dir.«

»Jut! Dann ist die Sache abjemacht. Sagen Sie es mir nur, wenn es losjehen soll! lk bin dabei.«

Während dieses Gespräches war man eine tüchtige Strecke weiter gekommen. Der Campo wurde zuweilen von kleinen Wäldchen unterbrochen, denen man es ansah, daß sie von Menschenhänden angelegt worden seien. In der Ferne bemerkte man Ackerland, hinter dem einzelne Hütten erschienen. Man ritt zwischen kleineren Ansiedelungen der Cambas hindurch. Gegen Abend kam man dann durch einen lichten Wald, welcher nicht sehr groß war. Als man ihn zurückgelegt hatte, sah man eine Lagune glänzen, an welcher mehrere langgestreckte Reihen von Hütten lagen. Sie waren zu beiden Seiten eines Baches erbaut, welcher aus dem Walde kam. Dieser Bach war der Arroyo claro, und man befand sich dem Ziele, dem Hauptdorfe der Cambas gegenüber.

Auf der Lagune bewegten sich einige Boote, deren Insassen mit Fischen beschäftigt waren. Hinter den Hütten sah man Gärten und Felder, in denen Frauen, Männer und auch Kinder arbeiteten. Vor den Hütten saßen oder standen andre, welche ihre Arbeit gethan hatten. Dieses friedliche Bild aber veränderte sich sofort, als das erste Auge die Ankömmlinge erblickte. Kaum war dies geschehen, so stieß der Betreffende einen schrillen Ruf aus, welcher von Mund zu Mund ging, und von allen wiederholt wurde. Die Fischer schossen mit ihren Booten an das Ufer. Die auf den Feldern und in den Gärten Beschäftigten flogen nach dem Dorfe, wo alle in den Hütten verschwanden, um nach wenigen Augenblicken bewaffnet wieder zu erscheinen.

Da stieß der Häuptling einen ähnlichen Ruf aus. Sie kannten denselben und wußten nun, wer der Ankömmling war, noch ehe sie seine Züge deutlich erkennen konnten. Sie jubelten laut und kamen, ihre Waffen schwingend, dem Zuge entgegengesprungen und entgegengetanzt, um die Gäste zu begrüßen.

Diese mußten, der dortigen Sitte gehorchend, anhalten, um die Ceremonie des Bewillkommnens über sich ergehen zu lassen. Diese konnte nicht sofort beginnen, denn es waren noch nicht alle Bewohner des Dorfes versammelt. Viele derselben befanden sich im Walde und mußten herbeigerufen werden. Dies geschah mit Hilfe eines Signalinstrumentes, das aus einem starken Bambusstücke bestand, in welches als Mundstück ein dünnerer hohler Zweig befestigt war. Der Mann, der in dieses Instrument blies, brachte einen grauenhaften, dumpfen Ton hervor, der aber in große Ferne zu dringen schien, denn man hörte viele Schreie, welche die Antwort bildeten, in einer Weise erschallen, der man es anhörte, daß sich die Betreffenden nicht in der Nähe befanden. Bald sah man sie aus dem Walde kommen, einzeln oder in kleinen Gruppen. Sie liefen so schnell wie nur möglich, woraus zu schließen war, daß dieses Signal nur dann gegeben wurde, wenn große Eile nötig erschien.

Nach einiger Zeit waren wohl an dreihundert Männer versammelt, welche vor den Ankömmlingen eine Doppelreihe bildeten. Hinter dieser stellten sich die Frauen auf, während die Kinder im Hintergrunde die Zuschauer bildeten.

Nun begann zunächst ein Tanz der Männer, welcher in Bewegungen der Hände und Köpfe bestand, ohne daß die Füße sich von der Stelle bewegten. Der zweite Teil bestand in einem Vor- und Rückwärtsschreiten, an welchem sich auch die Frauen beteiligten. Im dritten Teile wurden die Lanzen, Blasrohre und Messer geschwungen, wozu die Frauen ein unbeschreibliches Geschrei in der Fistellage anstimmten. Dann schien der Tanz zu Ende zu sein. Da aber deutete der Häuptling auf Hammer und rief nur den einen Namen: »Der Vater Jaguar!« laut aus. Einen kurzen Augenblick war alles still, jedenfalls vor Überraschung, diesen berühmten Mann hier zu haben. Dann aber brach ein Jubilieren los, daß man sich hätte die Ohren verstopfen mögen. Die Männer und Frauen sprangen wie besessen hin und her, und die Kinder folgten diesem Beispiele. Viele kamen herbei, um dem Genannten die Hand zu geben, oder ihn auch nur zu betasten. Er war noch nie hier am »klaren Bache« gewesen, doch wußte man recht wohl, daß er andern Cambasstämmen gegen die Abipones siegreich beigestanden hatte. Als die Aufregung vorüber war, ordneten sich die Indianer, um mit ihren Gästen im Dorfe einzuziehen. Die Männer gingen zu dreien voran; dann kamen die Kinder, und darauf folgten die Ankömmlinge. Der Häuptling hatte sich an die Spitze gestellt.

Das Dorf bestand aus vielleicht achtzig Hütten, welche durchweg aus gestampfter Erde bestanden und mit Schilfdächern versehen waren. In den Gärten gab es Blumen, und auf den Feldern wuchsen neben Getreide allerlei Gemüse, von denen sich diese Leute, welche wenig Fleisch essen, meist ernähren. Hinter den Feldern gab es bis nach dem Walde hin einen ziemlich großen Plan, auf welchem Rinder und Pferde weideten. Von den ersteren konnte man vielleicht sechzig Stück, von den letzteren kaum dreißig, den ganzen Reichtum des Dorfes, zählen.

Man stieg von den Pferden. Dann hielt der Häuptling eine Rede, in welcher er seinen Untergebenen erzählte, was er erlebt hatte und daß die feindlichen Abipones im Anzuge seien. Als er geendet hatte, erhob der Vater Jaguar seine Stimme, um zu sagen, daß er beabsichtige, die mitgebrachten Pferde und Gewehre als Geschenke unter sie zu verteilen. Natürlich rief das einen allgemeinen Jubel hervor. Der Lieutenant Verano machte dann zwar eine Bemerkung darüber, daß niemand ein Recht besitze, die erbeuteten Pferde, an denen er eigentlich auch einen Anteil habe, oder gar die Gewehre zu verteilen; Hammer achtete aber gar nicht darauf.

jetzt begann es dunkel zu werden. Man entlastete die Pferde, ließ sie im »klaren Bache« trinken und trieb sie dann nach dem Weideplane, wo sie sich erholen sollten. Von dort brachte man einige Rinder mit, welche den Gästen zu Ehren geschlachtet und verschmaust werden sollten. Feuer wurden angezündet, und beim Scheine derselben entwickelte sich ein eigenartiges Leben, welches selbst denen, die dergleichen schon oft erlebt hatten, von großem Interesse war.

Die Cambas schienen zunächst gar nicht an die Gefahr, welche ihnen von den Abipones drohte, zu denken. Sie hatten gehört, daß dieselben noch fern waren, und wußten den Vater Jaguar bei sich. Die Anwesenheit dieses Mannes ließ keine Sorge bei ihnen aufkommen.

Das Fleisch wurde ganz wie bei den Gauchos bereitet und verzehrt. Man trank dazu ein gegorenes Getränk, welches aus den Früchten des Chafiar bereitet wird. Dazu genoß man Kuchen, welchen die Frauen aus Mais- und anderm Mehl in der heißen Asche buken.

Nach diesem Essen wurde eine Beratung gehalten, an welcher alle Weißen und auch der Häuptling teilnahmen. Wohl nur den Lieutenant Verano ausgenommen, hielten alle es für ganz selbstverständlich, daß dem Vater Jaguar die erste Stimme und auch die Entscheidung zustehe. Er wurde aufgefordert und gab seinen Plan bekannt.

Morgen früh sollten die Gewehre verteilt und die Cambas im Gebrauche derselben unterwiesen werden. Zur geeigneten Zeit sollte man nach dem Thale des ausgetrockneten Sees ziehen, hundert Cambas sollten durch den Eingang desselben marschieren, um sich dann seitwärts im Walde zu verstecken. Diese Leute mußten natürlich die Abipones kommen sehen; sie hatten zu warten, bis diese vorüber und im Thale verschwunden sein würden. Dann sollten sie aus ihrem Verstecke hervorkommen und den Eingang besetzen, damit die Abipones nicht zurück könnten.

Die andern Cambas sollten sich im Thale selbst verstecken, und zwar hinter den Bäumen, um im gegebenen Augenblicke aus dieser sichern Deckung heraus den Kampf zu beginnen. Die Einzelnheiten konnten natürlich nicht genau vorherbestimmt werden. Darum sollten die Cambas so nahe beieinander stehen, daß der eine dem andern die von dem Vaterjaguar ausgehenden Befehle leise zurufen könne. Nach diesen sollte dann ganz genau gehandelt werden.

Alle waren mit diesem Plane einverstanden, nur der Lieutenant nicht. Er hatte geschwiegen, bis alle ihre Zustimmung erteilten; dann aber sagte er, gegen den Vater Jaguar gewendet:

»Ihr Plan, Señor, ist ganz gut, nämlich wenn er gelingt. Nur zweifle ich, daß dies der Fall sein wird.«

»Das muß abgewartet werden,« antwortete Hammer in gleichmütigem Tone.

»Warum abwarten! Die Force eines tüchtigen Soldaten besteht im Angriffe, nicht aber im Zaudern. Der Angreifer ist stets im Vorteile, was Sie aber nicht zu wissen scheinen.«

»Ich weiß es wenigstens ebenso gut wie Sie, Señor!«

»Nun, warum wollen Sie denn da nicht angreifen?«

»Ich will es ja; aber freilich erst dann, wenn ich den Feind in der Falle habe.«

»Das ist falsch. Sie dürfen ihn gar nicht so weit heranlassen. Sie müssen ihm entgegengehen, um ihn zu schlagen, wo Sie ihn treffen. Oder getrauen Sie sich das nicht? Dann brauchen Sie nur mir die Führung zu übergeben; ich weiß, wie man solche Siege erkämpft.«

»Mit Blut natürlich, mit sehr viel Blut! Das kann ich auch, Señor, den Abipones entgegengehen und sie schlagen.«

»Auch wenn sie Ihnen an Zahl überlegen sind?«

»Auch dann. Aber es würden ihrer viele untergehen, und auch auf unserer Seite würde viel Blut fließen, und das ist es, was ich vermeiden will.«

»Was! Sie wollen sie schonen?«

»Ja, sie und uns.«

»Das ist falsch, grundfalsch. Das kann ich nicht zugeben; dagegen protestiere ich. Diese Hunde müssen niedergeworfen werden, vom ersten bis zum letzten. Es dürfen ihrer so wenig wie möglich entkommen!«

»Warum, Señor?«

»Das fragen Sie noch? Sind sie nicht gegen uns? Bestehlen sie uns nicht?«

»Was thun denn Sie? Gehört Ihnen ein Fußbreit von dem Lande, in welchem Sie sich befinden? Haben Sie oder Ihre Vorfahren den Indianern ehrlich bezahlt, was Sie ihnen genommen haben? Doch, streiten wir uns nicht darüber! Wollte ich auch die Abipones nicht schonen, so würden bei einem Kampfe, wie Sie ihn wollen, viele von uns zu Grunde gehen. Wenn es aber so kommt, wie ich es wünsche, so fließt kein Tropfen Blutes.«

»Nur auf unsrer Seite natürlich!«

»Wie wäre das möglich? Ein einziger Blick oder auch nur eine kurze Überlegung wird den Feinden sagen, daß sie verloren sind, falls sie zur Gegenwehr greifen. Ich werde zu ihnen sprechen und ihnen menschliche Bedingungen stellen.

Daraufhin werden wir einen ehrlichen Frieden mit ihnen schließen.«

»Einen Frieden? Sie sind des Teufels, geradezu des Teufels, Señor! Es darf kein Friede geschlossen werden. Man muß diese Kerls niederschießen. Je mehr von ihnen zu Grunde gehen, desto besser ist es für uns.«

»Ich weiß allerdings, daß dies Ihre Meinung ist; ich aber denke anders. Sie machen es gerade so, wie diejenigen es machen, mit denen wir es zu thun haben, nämlich Antonio Perillo und Konsorten. Es ist entsetzlich, den Roten auf den Roten zu hetzen, um dabei im Trüben fischen zu können. Solange ich da bin, wird dies verhütet werden.«

»Werden Sie es verantworten können?«

»Ich möchte den sehen, der es unternehmen wollte, mich darüber zur Verantwortung zu ziehen.«

»Der General, der Präsident!«

»Pah! Wir befinden uns nicht in Buenos Ayres, sondern im Gran Chaco. Die Stelle, an welcher Sie sitzen, gehört dem Volke der Cambas; da hat der Präsident nichts zu sagen. Übrigens können die Cambas aus Ihren Worten ersehen, was sie von den Weißen zu erwarten haben.«

»Sie mögen Frieden halten, dann geschieht ihnen nichts.«

»Wer kann solchen Freunden gegenüber Frieden halten! Ihr wißt es schon so einzurichten, daß es möglichst bald zum Bruche kommt.«

»Sprechen wir nicht darüber. Sagen Sie mir lieber, ob es wirklich Ihr Ernst ist, die Roten zu schonen.«

»Es ist mein vollster Ernst. Warum sollte ich scherzen?«

»Nun, so mögen Sie wissen, daß ich mich dagegen sträuben werde.«

»Versuchen Sie es.«

»Ich werde es nicht nur versuchen, sondern wirklich thun.«

»Das heißt, Sie werden unter Umständen gegen meinen Willen, gegen meine Anordnungen handeln?«

»Ja. Ich kenne hier keinen, dessen Anordnungen ich zu befolgen habe.«

»So vergessen Sie, daß Sie durch uns von dem schmählichen Tode des Ersäufens errettet worden sind, und ich will Ihnen folgendes sagen. Hören Sie wohl darauf! Was ich verspreche oder drohe, das führe ich auch aus. Wenn durch Sie ein einziger Tropfen Blutes gegen meinen Willen vergossen wird, gebe ich Ihnen eine Kugel in den Kopf.«

»Sie sprechen wie toll, Señor!« fuhr der Offizier auf. »Wissen Sie, wer und was ich bin?«

»Ein einfacher Lieutenant sind Sie, weiter nichts, und nebenbei ein gewaltthätiger und blutdürstiger Mensch. Ich aber bin der Vater Jaguar, dem ein braver Indianer mehr gilt als ein gewissenloser Weißer. Was ich gesagt habe, das gilt. Wollen Sie partout Blut sehen, nun, so wird das Ihrige fließen; das schwöre ich Ihnen zu!«

Er stand von seinem Platze auf und entfernte sich, um den Zorn zu bekämpfen, welcher ihn ergriffen hatte. Der Lieutenant stieß hinter ihm her noch einige großsprecherische Worte aus; da aber zog Geronimo, der Liebling des Anführers, sein Messer und sagte zu ihm:

»Señor, schweigen Sie! Höre ich noch ein einziges unehrerbietiges Wort gegen unsern Freund, so stoße ich Ihnen diese Klinge in den Leib, daß Ihnen das Reden sofort vergeht! Wenn Sie etwa stolz darauf sind, daß Sie sich Lieutenant nennen dürfen, so gehen Sie in das Vaterland des Vater Jaguar, und lernen Sie dort erkennen, daß allerdings ein dortiger Lieutenant zehnmal mehr wert ist, als bei Ihnen ein General! Mit Ihrer Charge imponieren Sie ihm nicht!«

Damit hatte die Beratung ein ganz andres Ende gefunden, als man hatte vermuten können.

Hammer war zwischen zwei Hütten hindurch und an mehreren Gärtchen entlang gegangen. Er machte diesen Spaziergang nur, um sich zu beruhigen. Der Neumond war seit einigen Tagen vorüber, und am Horizonte stand die dünne Mondsichel, um ein halbes, ungewisses Licht über den Weideplatz zu werfen, den der Vater Jaguar nun erreicht hatte. Er sah die Pferde und die Rinder, und da fiel ihm die Stellung auf, welche diese Tiere einnahmen. Die Pferde standen in Gruppen zusammen, und zwar mit den Hinterbeinen nach außen. Die Rinder bildeten ihre Kreise in der entgegengesetzten Weise, nämlich mit den Köpfen nach außen. Dies erklärt sich dadurch, daß die ersteren sich mit den Hinterhufen, die letzteren aber mit den Hörnern verteidigen. Es mußte ein Raubtier in der Nähe sein und zwar ein größeres. Da er kein Gewehr bei sich hatte, so rief er mit lauter Stimme in das Dorf zurück:

»Cuidado, Señores! Bringt die Gewehre; es ist ein Jaguar da!«

Er stieß diesen Ruf nicht aus Furcht aus. Daß er sich auch ohne Gewehr nicht fürchtete, bewies er dadurch, daß er ruhig weiterging. Nur hatte er das Dolchmesser gezogen, um im geeigneten Augenblicke die Klinge bereit zu haben. Seine laute, weithin schallende Stimme war nicht nur in das Dorf zurück-, sondern auch über den ganzen großen Weideplatz gedrungen und da an die Ohren von zwei Personen, denen das sonderbare Verhalten der Tiere noch gar nicht aufgefallen war.

Diese beiden Personen waren Anton Engelhardt und der Inka. Die Freundschaft der beiden Jünglinge war während der letzten Tage womöglich noch inniger geworden, als sie vorher gewesen war. Sie hielten, wie auch schon früher, stets zu einander. Da mußte Anton von seiner Heimat erzählen, nicht von Peru, sondern von Deutschland, woher seine Eltern stammten, von andern Ländern, von deren Bewohnern und ihren Verhältnissen. Er hatte einen sehr guten Unterricht genossen und viel gelernt; darum konnte er dem Freunde sehr wohl die gewünschte Auskunft geben. Sie hatten von den Religionen der verschiedenen Völker gesprochen, von ihren Regierungsformen, ihren Herrschern und deren Machtbefugnissen, von den Streitkräften und den Verheerungen, welche die gegenwärtigen Waffen anzurichten im stande sind. Je mehr der junge Inka gehört hatte, desto einsilbiger und nachdenklicher war er geworden. Er begann mehr und mehr einzusehen, daß der Traum, den er bisher geträumt hatte, eben nur ein Traum sei und ein solcher bleiben werde.

Es fiel ihm nicht ein, seinem alten Anciano etwas davon zu sagen. Er wollte den treuen Beschützer nicht kränken.

Heute, als die Beratung begann, hatten sie geglaubt, zu jung zu sein, um an derselben teilzunehmen. Es hätte ihnen niemand verwehrt, bei den Alten zu sitzen, um zuzuhören und auch wohl ein Wort zu sagen, dennoch hielten sie es in ihrer berechtigten Bescheidenheit für geraten, fern zu bleiben, und so hatten sie, sich Hand in Hand führend, einen Spaziergang unternommen. Sie kamen nach der Weide hinaus und gingen in nicht allzu großer Ferne vom Walde parallel mit dem Rande desselben hin. Es war ihnen nicht eingefallen, ein Gewehr mitzunehmen. Anton hatte das Messer und den Revolver mit; der Inka trug auch ein Messer im Gürtel, und dazu hing ihm sein Streitkolben, von dem er sich nie zu trennen pflegte, an der linken Seite nieder. Der erstere erzählte wie gewöhnlich, der letztere hörte still zu und warf zuweilen eine wißbegierige Frage dazwischen. Da vernahmen sie von drüben herüber eine donnernde Stimme:

»Cuidado, Señores! Bringt die Gewehre; es ist ein Jaguar da!«

»Das war der Vater Jaguar,« sagte Anton, indem er stehen blieb und unwillkürlich seinen Revolver zog. »Sollte eine Onze, ein Tiger, in das Dorf gedrungen sein?«

»Nein,« antwortete Haukaropora. »Die Stimme kam nicht aus dem Dorfe, sondern von der andern Seite der Weide her. Wir haben uns zu weit entfernt. Laß uns zurückkehren!«

Sie entfernten sich vom Walde, um sich dem Dorfe zu nähern, und kamen dabei an einer Rindergruppe vorüber. Als der Inka die Haltung dieser Tiere sah, sagte er:

»Wir müssen uns beeilen. Diese Ochsen stehen zur Verteidigung bereit, und da sie die Hörner tief senken, so ist der Jaguar nicht nur da, sondern er muß sich hier in der Nähe befinden.«

Sie eilten mit raschen Schritten vorwärts, dorthin, wo sechs oder sieben Pferde, die Kruppen nach auswärts gerichtet, mit zusammengesteckten Köpfen einen Verteidigungskreis bildeten. Die Tiere schnaubten und standen mit den Hinterhufen keinen Augenblick still. Haukaropora ging links, Anton aber rechts vorüber, weil er da glaubte, näher zu kommen. Eben war er um die Pferdegruppe gebogen, als er seitwärts von derselben und vor sich etwas Dunkles im Grase liegen sah. Was es war, konnte er nicht erkennen, da die Sichel des Mondes nicht hell genug schien. Er hielt den Gegenstand oder das Tier für ein junges, an der Erde liegendes Kalb oder Füllen und wollte an demselben vorüber. Da erhob es sich und nun sah er allerdings, wen er vor sich hatte: es war der Jaguar, welcher zwar aufgesprungen war, sich aber zum Sprunge sofort wieder niederduckte. Flucht wäre da das Schlimmste gewesen. Anton blieb also stehen, spannte den Revolver und zog mit der linken Hand sein Messer. Was er in diesem Augenblicke fühlte, das war eigentlich nicht Furcht, sondern eine Empfindung, für die es keine Bezeichnung gibt.

»Hauka,« rief Anton, »der Jaguar!«

Eben kam der Inka um die andre Seite der Pferdegruppe. In demselben Augenblicke that der Jaguar den Sprung auf Anton zu. Dieser jagte ihm eine Kugel entgegen, wurde aber von dem Tiere niedergerissen. Er fühlte die schwere Last der Bestie auf sich liegen und roch den stinkenden Hauch derselben. Er war sicher, nun von den Krallen zerfleischt, von den Zähnen zermalmt zu werden; da aber hörte er über sich einen Krach, wie wenn man mit einer Axt auf den Hackstock schlägt; der Jaguar richtete sich halb auf und rollte dann, ohne einen Laut auszustoßen oder nur zu röcheln, zur Seite. Anton fühlte sich von der Last frei; es war ihm aber, als ob er es noch gar nicht glauben dürfe; darum blieb er noch liegen. Da beugte sich der Inka über ihn und fragte in liebevollem Tone:

»Bist du verletzt, Antonio? Hat dich seine Kralle oder sein Rachen getroffen?«

»Ich glaube nicht,« antwortete der Gefragte. »Es thut mir nichts weh. Da liegt das Tier. Was ist mit ihm?«

»Es ist tot; ich habe es mit meinem Humantschuay erschlagen. Eben als du mich gerufen, sprang er auf dich ein. Du gabst ihm eine Kugel und ich sprang hinter ihm her, um ihm mit dem Kolben den Schädel einzuschlagen. Steh auf, daß wir sehen, ob du Schaden erlitten hast!«

Anton erhob sich. Es war ihm nichts geschehen. Selbst sein Anzug war vollständig unverletzt. Ob der Schuß das Tier so konsterniert hatte, daß es seine scharfen Waffen nicht sofort gebraucht hatte?

Der Gerettete drückte seinen Retter innig an sich und sagte:

»Ohne dich lebte ich jetzt nicht mehr; ich wäre zerfleischt. Wie kann ich dir danken?«

»Dadurch, daß du mich immer so liebst, wie du mir jetzt gewogen bist. Das ist mir lieber als alles. Doch laß uns nun zu den Unsrigen zurückkehren.«

»Und was geschieht mit dem Tiger?«

»Den lassen wir einstweilen liegen; die Cambas mögen ihn holen.«

Sie kamen aber noch nicht von der Stelle fort, eben jetzt kam der Vater Jaguar. Er hatte den Ruf Antons und den Revolverschuß gehört und war dem Bedrängten zugeeilt. Als er den Fall übersah, bückte er sich zu dem Raubtiere nieder, untersuchte dasselbe und sagte dann:

»Ein Weibchen, ein gewiß fünfjähriges Weibchen. So einen großen Jaguar habe ich noch selten gesehen. Hauka, du bist wirklich ein junger Held, vor dem ich alle Achtung habe. Und welch ein gewaltiger Hieb! Du hast ihm den Schädel eingeschlagen. Hier nimm meine Hand! Ich muß dir die deinige drücken und schütteln, denn ich bin überzeugt, daß du einst ein tüchtiger Mann sein wirst.«

Dieser Händedruck war dem jungen Inka sehr viel wert. Eine Anerkennung von diesem Manne galt ihm höher, als das Lob vieler andrer.

Die drei kehrten nach dem Dorfe zurück. Als die in demselben Befindlichen das Abenteuer erfuhren, brachen sie alle, Männer, Weiber und Kinder, auf, um den Jaguar im Triumphzuge heimzuholen. Er wurde sofort aus der Haut geschält. Das Fell gehörte natürlich dem Inka, da dieser das Tier erlegt hatte; er nahm es aber nicht an, sondern schenkte es Anton als Andenken an die Gefahr, aus welcher er von dem Freunde gerettet worden war. Haukaropora hatte schon bisher die Teilnahme der ganzen Gesellschaft genossen; von heute an bemerkte man noch viel deutlicher, daß sie ihn wirklich achteten und einem erwachsenen Manne für gleichwert hielten.

Die Bewohner des Dorfes räumten mehrere Häuser, damit ihre Gäste einmal unter Dach schlafen konnten. Die Folge davon, daß der Häuptling Boten ausgesandt hatte, war noch vor morgens zu bemerken, denn es stellten sich schon während der Nacht viele Krieger aus den näher liegenden Dörfern ein. Im Laufe des Vormittags kamen noch viel mehr und dann auch mit Sack und Pack diejenigen Familien, welche vor den Abipones hatten weichen müssen, weil ihre Wohnungen auf der Route derselben lagen.

Es wurden diejenigen Krieger ausgesucht, welche die meiste Intelligenz besaßen; diese erhielten Schießgewehre. Gewehre bekamen natürlich auch alle Häuptlinge, welche mitgekommen waren, und deren gab es nicht wenige, weil jedes Dorf einen Häuptling hat. Sie werden Kaziken genannt. Diese Leute zeigten sich sehr anstellig, so daß der Vater Jaguar am Abende des zweiten Tages sagen konnte, er sei überzeugt, daß ein jeder seine Schuldigkeit thun werde. Um diese Zeit befanden sich über sechshundert junge, rüstige Cambaskrieger in dem Dorfe. Da gab es natürlich zu backen und zu braten die Hülle und die Fülle. Die armen Leute mußten fast alles hergeben, was sie an Nahrungsmitteln im Vorrate besaßen. Mußten doch die Krieger, wenn sie auszogen, sich für mehrere Tage mit Proviant versehen, da man die Ereignisse nicht vorherzusehen vermochte. Der Vater Jaguar tröstete sie aber mit der Versicherung, daß der Besiegte gezwungen sein werde, alle Kriegskosten zu bezahlen und vielleicht auch noch mehr zu erstatten. Waren die Verbündeten doch schon jetzt in den Besitz guter Gewehre und außerdem von achtzig sehr brauchbaren Pferden gekommen.

Am nächsten Morgen verließ der Vater Jaguar mit dem Inka und dem alten Anciano das Dorf, um dem Feinde als Kundschafter entgegenzureiten. Es galt nämlich nicht nur, möglichst genau die Zeit der Ankunft der Abipones zu erfahren, sondern es war ja auch möglich, daß sie nicht den erwarteten Weg eingeschlagen hatten. In diesem Falle mußten ganz andre Dispositionen getroffen werden, und da war es höchst notwendig, die Richtung, aus welcher sie kommen würden, auszuspähen. Er nahm gerade Hauka und Anciano mit, weil er wußte, daß diese im Kundschaften Vortreffliches leisteten. Am folgenden Morgen sollten die Krieger der Cambas dann nach dem Thale des ausgetrockneten Sees ziehen, um dort diejenige Aufstellung zu nehmen, welche er ihnen ebenso deutlich und bestimmt wie ausführlich vorgeschrieben hatte. Angeführt sollten diese Leute während seiner Abwesenheit von dem treuen und geschickten Geronimo werden, ein Umstand, welcher den Ärger des Lieutenants Verano von neuem auflodern ließ.

Als der Anführer mit seinen beiden Begleitern fortgeritten war, sagte Doktor Morgenstern zu seinem Fritze:

»Jetzt ist er nicht mehr da. In seiner Anwesenheit konnte ich unmöglich wagen, meinen Plan auszuführen. Er hat die Augen überall und hätte unser Verschwinden sofort bemerkt. Dann wäre er uns nachgeeilt, um uns zurückzuholen.«

»Und dat wäre eine Blamage jewesen, die mir tüchtig jeärgert hätte,« bemerkte Fritze. »Also Sie denken noch oft und manchmal daran, Ihren Plan auszuführen?«

»Ja. Je länger ich es mir überlegte, desto mehr habe ich eingesehen, daß ich sonst um diese herrlichen Knochen komme. Wirst du mich im Stiche lassen?«

»Fällt mich nicht im Traume ein! Lieber lasse ich mir selbst im Stiche, als Ihnen; dat wissen Sie ja.«

»Nun gut, so wird es ausgeführt.«

»Aber wann?«

»Wann denkst denn du? Am Tage wird es wohl nicht möglich sein?«

»Nein, denn dieser Jeronimo, mit die jroße Habichtsnase, würde uns nicht fortlassen. Wir können also nur des Nachts ausrücken. Da wird es auch nicht bemerkt, wenn wir die Pferde beiseite führen und auch die Sattels unbemerkt mitjehen heißen.«

»Wieviel Pferde nehmen wir?«

»Zwei Reit- und drei Packpferde. Mehr brauchen wir nicht. Riemen zum Festbinden der Knochen werde ik mich auch verschaffen. Lassen Sie dat allens nur mich über. Sie wissen, daß Sie sich auf mir verjiften können.«

Der schlaue Patron beschäftigte sich den ganzen Tag mit den Vorbereitungen, welche die Ausführung dieses unvorsichtigen Vorhabens nötig machte. Am Abende ging man sehr zeitig schlafen, da morgen früh ausmarschiert werden sollte, und so kam es, daß er um Mitternacht seinem Herrn sagen konnte, daß alles bereit und fertig sei. Er hatte im Laufe des Abends drei Packsättel und zwei Reitsättel nach dem Walde geschafft und dann auch die Pferde heimlich hingeführt und angebunden. Jetzt nahmen sie ihre Waffen an sich und huschten davon. Als sie bei den Pferden ankamen, sattelten sie dieselben, hingen die Packpferde aneinander, um sie nebenher zu führen, stiegen dann auf und ritten davon, natürlich in derselben Richtung, aus welcher sie drei Tage vorher gekommen waren. Als sie das Dorf weit genug hinter sich hatten, lachte Fritze vergnügt auf und sagte:

»Wat für ein Schreck wird dat früh sein, wenn sie sehen, daß wir verschwunden sind! Ik bin bejierig, zu erfahren, wat sie dann machen werden, um sich wieder mit unsre hochzuverehrende Gejenwart zu beglücken.«

»Sie werden sich keine große Mühe geben. Übrigens ist mir das höchst gleichgültig, wenn ich nur zu meinen Knochen komme. Hoffentlich liegen sie noch an demselben Orte.«

»Wer soll sie wegjenommen haben? Es hat nicht jeder sonne Passion darauf, wie wir. Die Knochen sind noch da!«

»Aber ob wir sie finden!«

»Janz sicher.«

»Der Mond ist so dünn wie ein Messerrücken und man sieht kaum, wohin man reitet!«

»Ik verlasse mir nicht auf den Mond, sondern auf mein Jedächtnis. Ik weiß die Richtung so jenau, als ob ik hier zwanzig Jahre lang Briefträger jewesen wäre.«

Ja, die Richtung kannte er und hielt sie auch ein, aber als sie dann den Wald vor sich hatten, bildete dieser eine dunkle, zusammenhängende Masse, und es war ihnen ganz unmöglich, die Stelle zu finden, an welcher sie vor drei Tagen unter seinen Bäumen heraus und auf die freie Ebene gekommen waren. Sie mußten also absteigen und dann warten, bis die Sonne aufgegangen war. Selbst dann suchten sie längere Zeit, hielten verschiedene Stellen für die richtige und mußten mehrmals umkehren. Es war wohl schon zwei Stunden lang Tag, als sie ganz zufällig auf die Fährte des Vater Jaguar trafen, die ihnen nun als Richtschnur dienen konnte. Diese Fährte war nach so langer Zeit noch erhalten, weil hier das Gras hoch und dicht stand und die Reiter es nicht für nötig gehalten hatten, vorsichtig zu sein. Indem die beiden derselben von jetzt an folgten, kamen sie glücklich durch den Wald bis an den kleinen Bach und, dann diesen zum Führer nehmend, hinab in das Thal des ausgetrockneten Sees.

Hier ließen sie ihre Pferde trinken und ein wenig verschnaufen, und dann setzten sie ihren Weg fort. Sie sahen auch jetzt noch sehr deutlich die Spur des Vater Jaguar und seiner beiden Begleiter. Als sie das Thal hinter sich hatten, blieb Fritze nachdenklich halten, sah vom Pferde herab auf diese Spur nieder und sagte:

»Wenn ik mir nicht irre, so hat der Vater Jaguar sich jeirrt, und wenn er recht jehabt hat, so muß ik mir wejen meines Irrtums schämen.«

»Wieso? Was meinst du damit?« fragte der Doktor.

»Er ist zu weit nach links jeritten. Der richtije Weg jeht mehr da nach rechts hinüber.«

»Du wirst dich täuschen. Der Vater Jaguar ist nicht der Mann, sich im Wege, lateinisch Via oder Trames genannt, zu irren.«

»Aber ik kann alle meine fünf Jedanken zusammennehmen, so komme ik doch auf keine andre Ahnung. Ob er sich vielleicht ein andres Ziel gesetzt hat?«

»Nein. Er nimmt an, daß die Feinde genau daher kommen, woher wir auch gekommen sind, und so versteht es sich von selbst, daß er ihnen nach dem Sumpfe der Knochen und noch weiter entgegengeritten ist.«

»Wenn dat richtig ist, so ist mich das Augenmaß vollständig verloren jegangen. Als wir hierher kamen, sind wir schnurjerade auf dieses Thal zujeritten, wir hatten es jerade der Nase nach vor uns liegen. Und wenn ik mir jetzt auf diese Spur stelle, so liegt es von mich aus zu viel nach links. Der Vater Jaguar muß also abgewichen sein.«

»Gewiß nicht. So ein Mann macht keinen solchen Fehler.«

»Dat scheint auch mich richtig zu sind. Ik denke, daß ich mir eher irre als er. Wie reiten wir also?«

»Gerade so wie er. Dann kommen wir ganz sicher nach dem Sumpfe der Knochen.«

»Jut, ik will Ihnen jehorchen. Hoffentlich kommen wir nicht nach Connewitz, anstatt nach Stötteritz.«

Sie folgten der Spur also auch noch fernerhin. Es vergingen einige Stunden, und doch kamen sie nicht an eine einzige Stelle, von welcher sie mit Bestimmtheit sagen konnten, daß sie auf ihrem Herwege an derselben gewesen seien. Dann gab es sandigen Boden und die Fährte war nicht mehr zu sehen. Sie hielten die bisherige Richtung genau fest, obgleich die Gegend ihnen vollständig unbekannt vorkam. Wieder verging eine längere Zeit; da parierte Fritze die Pferde und sagte:

»Ik habe mir doch nicht jeirrt; wir sind falsch jeritten. Wir müßten nun längst an dem Sumpfe sein.«

»Das ist wahr. Aber der Vater Jaguar kann sich doch nicht im Wege täuschen!«

»So hat er eine Absicht jehabt, einen Jrund, den Sumpf zu vermeiden.«

»Und wir haben eine kostbare Zeit verloren. Was ist zu thun, lieber Fritze? Müssen wir umkehren und etwa wieder nach dem Thale des ausgetrockneten Sees zurück?«

»Dat thue ik nicht, auf keinen Fall. Wir sind zu weit links, also brauchen wir nur nach rechts zu reiten, so kommen wir dahin, wo der Dichter oft und manchmal singt: »An der Quelle saß der Knabe.« Und weil wir zu weit vorgekommen sind, müssen wir uns jetzt zurückhalten, in Summa also rückwärts nach rechts. Wenn wir auch dann nicht an den Sumpf kommen, so lasse ik mir in Butter braten und esse mir selbst als Kalbskotelette auf.«

Diese Berechnung war allerdings sehr richtig, und da sie derselben folgten, kamen sie nach längerer Zeit auf bekanntes Terrain, bogen auf demselben um und sahen dann die Uferbäume des Knochensumpfes vor sich liegen. Leider aber war nun der Tag fast verstrichen, und die Sonne befand sich schon im letzten Achtel ihres Tagebogens. Später erfuhren sie, warum der Vater Jaguar nach links abgewichen war.

An dem Sumpfe angekommen, stiegen sie ab und führten die Pferde, um sie dort anzubinden, vorsichtig in die Nähe der Stelle, wo sie die Knochen liegen gelassen hatten.

»Nun heißt's schnell machen,« meinte Fritze. »In einer Stunde wird es Nacht. Bis dahin müssen wir die Fracht im Sattel haben. Dann wieder fort.«

»Nicht hier bleiben?«

»Nein. Es ist ja heute der letzte Tag, und da könnten die Abipones kommen. Dat wäre ein Jaudium for ihnen, wenn sie mir und Ihnen erwischten!«

»Ehe die kommen können, kommt der Vater Jaguar vorüber. Sobald er sie erblickt, wird er schnell wieder umkehren.«

»Dat sollte man denken; aber ik kann mir nicht darauf verlassen, da er schon einmal nicht so jeritten ist, wie wir jedacht hatten. Jehen wir an die Arbeit; aber nehmen Sie Ihnen vor die Krokodile in acht! Heute sehe ik erst, wie massenhaft sie hier vorhanden sind.«

Diese Worte Fritzes waren sehr wohl berechtigt, denn wenn man aufmerksam über die Wasserfläche, ganz besonders in der Nähe der Ufer, blickte, konnte man wohl hunderte von diesen Eidechsen sehen. Die Knochen lagen noch so da, wie sie verlassen worden waren. Die beiden Männer machten sich daran, sie in Bündel zusammenzuschnüren. Das ging aber nicht so rasch, wie Fritze es wünschte, denn sein Herr hatte ihm allerlei zu zeigen, zu erklären und hundertmal zu bitten, doch ja die größte Behutsamkeit anzuwenden, damit nichts beschädigt werde. Da gab es bald hier eine Kleinigkeit abzukratzen, bald mußte eine Stelle mit einer Handvoll Wasser gereinigt werden. Die Zeit verging und die beiden achteten nicht auf das, was in der Nähe des Sumpfes geschah. Da hörten sie plötzlich eine laute Stimme sprechen. Sie hatten im Schilfe gekauert und fuhren empor, um zu sehen, wer so unerwartet hier anwesend sein könne. Sie befanden sich hinter einem Buschwerke, welches sie verdeckte, konnten aber zwischen den Zweigen desselben hindurchsehen. Was sie da erblickten, war ganz geeignet, sie im höchsten Grade besorgt zu machen.

Da draußen kam nämlich ein ganzes Heer von Reitern und Fußgängern angezogen. Man sah, daß diese Leute in einiger Entfernung vom Sumpf Halt machen wollten. Jedenfalls beabsichtigte man die Nacht da zuzubringen, und in der Nähe des Sumpfes zu lagern. Einige Reiter, vielleicht zwölf oder vierzehn, waren ganz herangekommen, denn sie hatten von weitem die fünf Pferde gesehen, bei denen sie jetzt hielten. Einer von ihnen war ein Indianer; die andern gehörten der weißen Rasse an. Sie stiegen von ihren Pferden und begannen nach rechts und links im Schilfe nach Spuren zu suchen. Da sie höchstens vierzig Schritte entfernt waren, konnte man ihre Gesichtszüge deutlich erkennen.

»O Jerum, ist dat eine Weihnachtsbescherung!« raunte Fritze seinem Herrn zu. »Warum haben Sie doch so lange geplaudert und gezaudert! Wir konnten längst über alle Berge sind und sitzen nun im schönsten Pfannkuchen drin. Ik habe mich's doch fast jedacht! Kennen Sie diese Kerls?«

»Leider ja,« antwortete der Doktor, welchem es höchst ungemütlich zu werden begann. »Wenn ich mich nicht irre, so sehe ich dort jenen Antonio Perillo, der auf mich geschossen hat, und auch den Kapitän Pellejo, der uns bei der Gigantochelonia überraschte.«

»Und auch den langen, starken Menschen, welchen sie den jrößten Jambusino nannten! Herr Doktor, schauen Sie hinaus ins Land! Dat sind doch wenigstens achthundert bewaffnete Menschen. Und wer sind sie? Die Abipones! Dat ist eine Suppe, welche uns sehr jesalzen vorkommen wird. Sehen Sie, daß diese Menschen nach uns suchen! Sie denken, wo Pferde sind, müssen auch Reiters sind.«

»Können wir nicht fliehen, mein lieber Fritze?«

»Wohin denn? Hinaus zu die Kerls oder hinein in dat Wasser? Dort fangen uns die Roten, und hier fressen uns die Krokodile.«

»So bleiben wir hier hinter den Büschen stecken. Vielleicht finden sie uns nicht. Ist es dann dunkel, was der Lateiner caliginosus oder obscurus nennt, so fliehen wir.«

»Dat bilden Sie Ihnen ja nicht ein, denn ehe fünf Minuten in die Ewigkeit jeflossen sind, haben sie uns beim Zopfe und beim Schopfe.«

»Darin wird's wohl gefährlich? Nicht?«

»Jemütlich auf keinen Fall.«

»Was sagen wir, wenn sie uns fragen, was wir hier wollen?«

»Jut, daß Sie diese Frage aussprechen. Sie antworten jar nichts. Dat Reden wird meine Aufjabe sind. Am allerwenigsten aber dürfen diese Leute wissen, daß der Vater Jaguar hier ist und daß die Cambas von dem Überfalle wissen. Wir sind janz allein hierher jeritten. Dabei bleiben wir, selbst wenn sie uns erst pfählen, dann spießen, nachher aufhängen, endlich verjiften und schließlich zuletzt jar ermorden wollen. Verraten wir unsre Freunde, so sind wir verloren, denn nur durch diese können wir jerettet werden. Selbst wenn wir uns verteidigen wollten, würde dat unmöglich sind, weil wir die Waffen dort bei die Pferde haben. Passen Sie auf! Jetzt haben sie unsre Spur. Alle juten Jeister! jetzt jeht der Vorhang in die Höhe! Wie wird's sein, wenn er wieder niederfällt!«

Die Suchenden waren jetzt endlich soweit gekommen, die alten Spuren von den neuen zu unterscheiden; indem sie den letzteren folgten, näherten sie sich rasch und kamen hinter den Busch. Der Gambusino schritt ihnen voran. Als er die beiden kleinen Roten erblickte, machte er eine Gebärde der Überraschung und rief dann aus:

»Ay maravilla – o Wunder! Wen treffen wir hier? Das sind ja alte, liebe Bekannte! Willkommen, Señores! Was treiben Sie denn hier? Haben Sie etwa wieder eine Riesenschildkröte gefunden? Wahrhaftig, sie haben es mit alten Knochen zu thun! Nun, die Ihrigen werden bald ebenso aussehen, wie diese hier!«

Er stieß ein höhnisches Gelächter aus, in welches die andern einstimmten. Die beiden wurden angepackt und bis hin zu ihren Pferden gezogen, wo der Boden fest und trocken, also sicherer und zuverlässiger war, als dort am Wasser. Man bildete zunächst einen Kreis um sie; dann suchte man ihre Taschen aus. Alles, was dieselben enthielten, wurde genommen. Man raubte sie jetzt also zum zweitenmal aus. Hierauf erzählte der Gambusino denen von seinen Leuten, welche damals an der Fischquelle nicht mit dabeigewesen waren, unter welchen Umständen die zwei Deutschen seine Gefangenen geworden und ihm dann wieder entkommen waren.

»Vielleicht hätten wir ihnen dort das Leben geschenkt,« fuhr er fort, »denn ich begann wirklich zu glauben, daß dieser dumme Kerl unmöglich Oberst Glotino sein könne. Nun ich ihn aber hier auf dem Gebiete der Cambas finde, gibt es keinen Zweifel mehr darüber, daß wir in ihm den richtigen Mann vor uns haben. So eine Verstellung ist mir wahrlich noch nicht vorgekommen. Sie soll ihm aber nichts nützen, und heut wird ihm auch nicht wieder ein Zufall den Vater Jaguar herbeiführen, der ihn befreit. Señores, werden Sie ihn mir überlassen?«

»Ja, ja, ja,« ertönte es im Kreise.

»Gut! Vorher aber soll er mir einige Auskunft geben. Ich möchte doch gern wissen, was mit dem Vater Jaguar geworden ist.«

»Der ist hinter Ihrer Fährte her,« antwortete Fritze schnell, damit die Fragen an ihn gerichtet werden möchten.

»Was hast du zu reden, vorlauter Bursche! Aber ich will es gestatten, denn vielleicht bist du aufrichtiger als dein Herr, welcher schon damals zu keinem Geständnis zu bringen war. Auch du hast dein Leben verwirkt, kannst es aber retten, indem du uns die Wahrheit sagst. Wußtet ihr damals vorher, daß der Vater Jaguar euch befreien würde?«

»Nein,« lautete Fritzes Antwort.

»Ist er uns am andern Morgen wirklich nachgeritten?«

»Ja.«

»Wie weit?«

»Das wissen wir nicht, weil er uns nicht mitnahm.«

»Warum that er das nicht?«

»Er sagte, er könne uns nicht gebrauchen.«

»Was wollte er denn eigentlich im Gran Chaco?«

»Er wollte mit seinen Yerbateros Thee holen.«

»In welcher Gegend?«

»Das weiß ich nicht. Er war überhaupt sehr verschwiegen gegen uns, und wir erfuhren nur das eine, daß er Ihnen schnell nach wollte, um zu erfahren, wohin Sie gehen würden.«

»Wieviel Leute hatte er bei sich?«

»Vielleicht zwanzig Mann.«

»Wie kommt ihr aber zu diesen Pferden und Waffen? Wir hatten euch doch alles genommen.«

»Er gab sie uns, weil er meinte, daß der Bankier Salido ihn dafür bezahlen würde.«

»Dachte es mir! Und wie kommt ihr nun in diese Gegend?«

»Wir wissen von früher her, daß im Gran Chaco Reste von alten Tieren gefunden werden, und sind aufs Geratewohl hineingeritten. Hier haben wir auch gefunden, was wir suchten.«

»Wo habt ihr Cambas getroffen?«

»Nirgends. Als wir gestern durch einige Dörfer kamen, waren sie leer.«

»Warum?« »Wie kann ich das wissen, Señor!«

Da legte ihm der riesige Gambusino die Faust schwer auf die Achsel und sagte in grimmigem Tone:

»Höre, Mensch, du bist entweder der größte Dummkopf, den es gibt, oder ein höchst verschmitzter Mensch. In beiden Fällen aber ist es nicht schade, wenn du das Schicksal deines Herrn teilst. Wir wissen nun durch dich, daß wir den Vater Jaguar hinter uns haben und nicht vor uns, wie wir bereits glauben wollten. Das ist genug. Schnürt die Kerls fest an zwei Bäume! Dann werde ich mitteilen, welchen Spaß ich euch mit ihnen mache.«

Diese letzten Worte waren an seine Umgebung gerichtet. Die beiden Deutschen wurden so, wie er es befohlen hatte, angebunden, und dann sprach er leise mit dem Gefolge, welches einen Kreis um ihn gebildet hatte. Das häßliche Gelächter, mit welchem man ihm zustimmte, ließ erraten, daß sein Entschluß ein für die Gefangenen möglichst schlimmer sei. Er trat wieder zu ihnen und sagte:

»Damit es für euch ja keine Möglichkeit gibt, uns abermals zu entkommen, habe ich euch ein zweifaches Todesurteil gesprochen. Ihr sollt gehängt und zu gleicher Zeit von den Krokodilen gefressen werden. Nur der Teufel allein kann euch da noch Hoffnung machen.«

Der Doktor wollte antworten, jedenfalls, um etwas zu seiner Verteidigung zu sagen, Fritze aber ließ ihn nicht dazu kommen, indem er schnell, und zwar in deutscher Sprache, bemerkte:

»Schweigen Sie, Herr! Es würde jedes Wort verjeblich sind.«

»Aber wenn ich diesen Menschen nicht erkläre, daß sie sich in mir irren, sind sie wirklich im stande, uns aufzuhängen!«

»Man wird auf Ihre Worte jar nicht hören.«

»Dann sind wir freilich verloren, lieber Fritze!«

»Denken Sie dat nicht! Wenn Sie uns nicht in diesem Augenblick ermorden, werden wir jerettet werden.«

»Von wem?«

»Vom Vater Jaguar.«

»Unmöglich! Er ist ja nicht da.«

»Ik habe wat jesehen.«

»Was?«

»Ihn selbst. Jrad als dieser Jambusino endete, blickte ik zufälligerweise da über den kleinen Wasserarm hinüber, und da fuhr eine Jestalt aus dem Schilfe empor, welche mich winkte und dann schnell wieder verschwand.«

»Und du meinst, daß es der Vater Jaguar gewesen ist?«

»Er war es; ik habe ihn erkannt.«

»Wahrscheinlich hast du dich geirrt. Die Sonne, lateinisch Sol genannt, ist schon untergegangen, und die Dämmerung tritt ein.«

»Dennoch habe ik mir nicht jeirrt. Es war seine hohe breite Jestalt und auch der lederne Anzug, den er trägt.«

»Vielleicht ist einer der Weißen, die sich bei den Abipones hier befinden, auch so gekleidet.«

»Es war keiner von ihnen. Er winkte mich heimlich zu und versteckte sich rasch wieder. Wenn er zu den Abipones jehörte, brauchte er dat nicht zu thun.«

»Das ist wahr. Du meinst also, daß wir noch Grund zur Hoffnung haben?«

»Ja. Ik bin überzeugt, daß wir noch oft und manchmal jerettet werden.«

Sie hatten sich in dieser Weise so ungestört aussprechen können, weil ihre Widersacher für kurze Zeit fortgegangen waren, um den Abipones zu sagen, wen man gefangen habe und welcher interessanten Scene man sich bald zu erfreuen haben werde. Die Roten hielten infolgedessen in ihren Vorbereitungen zum Lagern inne und kamen herbei, die beiden zu betrachten und zu verhöhnen. Benito Pajaro, der Gambusino, ließ sie erst einige Zeit gewähren und trieb sie dann zurück, indem er sagte:

»Gebt jetzt Raum, damit wir beginnen können. Brennt dort unter dem Alisobaume ein Feuer an! Dann könnt ihr sehen, wie diese beiden Halunken zappeln werden.«

Der Aliso stand so nahe am Wasser, daß die Hälfte seiner Krone sich über demselben befand. Seine untern Äste waren so stark, daß sie das Gewicht eines erwachsenen Mannes leicht zu tragen vermochten. Man gehorchte der Aufforderung und zündete in der Nähe des Stammes ein Feuer an, durch welches die Krokodile vertrieben wurden, die ganz nahe am Ufer im Wasser gelegen hatten.

»Sie werden bald wiederkommen,« rief der Gambusino dem Doktor in höhnisch tröstendem Tone zu. »Habt also keine Sorge! Ihr werdet ihre Bekanntschaft baldigst machen. Was denkt ihr wohl, was wir mit euch beginnen werden?«

Die Gefragten verschmähten es, ihm auf diese Frage eine Antwort zu geben, und so fuhr er fort:

»Wir hängen euch an den Ästen auf, welche da über das Wasser ragen, und machen die Riemen so lang, daß die Krokodile euch mit den Zähnen erreichen können. Auf diese Weise werdet ihr gehängt und gefressen zu gleicher Zeit.«

Die beiden Deutschen überlief ein Schauder, und doch war diese Todesart einem ihrer Feinde nicht schrecklich genug, nämlich Antonio Perillo, dem Stierkämpfer. Dieser stand neben dem Gambusino und sagte:

»Das ist nichts, gar nichts für diese Halunken! Dieser Mensch, welcher vorgibt, ein Deutscher zu sein, ist meiner Kugel entgangen; dann gelang es ihm, aus unsrer Gefangenschaft zu entrinnen. Er hat uns also schon zweimal um das Schauspiel, ihn sterben zu sehen, betrogen, und dafür soff er uns heute entschädigen. Wenn wir ihn wirklich und regelrecht hängen, so ist er in einigen Augenblicken tot. Was nützt es da, wenn ihn dann die Krokodile fressen? Die Kerls müssen viel, viel länger in Todesangst schweben!«

»Was willst du denn da vorschlagen?« fragte der Gambusino.

»Wir hängen sie auf, ja; aber nicht am Halse, sondern unter den Armen, und lassen sie so tief herab, daß sie von den Krokodilen beinahe erreicht werden, nicht ganz, sondern beinahe. Welche Lust, wie sie zappeln werden, wenn die Bestien nach ihnen schnappen!«

»Aber wenn sie dabei noch zu hoch hängen, werden sie doch nicht zerrissen!«

»Einstweilen, einstweilen nur,« lachte der Stierkämpfer. »Erst stehen sie die Angst des Todes aus, und dann, wenn wir ein Ende machen wollen, lassen wir sie an den Riemen tiefer herunter.«

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall, und man schickte sich an, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

»Gräßlich!« flüsterte der Doktor seinem Diener zu. »Sind das Menschen? Da wollte ich doch lieber, sie würfen uns den Krokodilen sofort vor!«

»Nein,« antwortete Fritze, »denn da wäre es sogleich um uns jeschehen; so aber jewinnen wir Zeit. Nur Mut, Herr Doktor, nur Mut! Ik bin überzeugt, daß der Vater Jaguar uns nicht im Stiche lassen wird. Jrad diese ausjesuchte Jrausamkeit wird unsre Rettung sind. Darauf können Sie Ihnen verlassen!«

Es war mittlerweile dunkel geworden, und das lodernde Feuer warf flackernde Schatten auf die Büsche und das Geschilf und blutrote Lichter auf die Fläche des sumpfigen Wassers, aus welchem man die Köpfe oder Schnauzen der Krokodile hervorragen sah. Man holte vier Lassos, von denen je zwei fest zusammengebunden wurden. Dann kletterten zwei Indianer auf den Baum, jeder auf einen andern starken Ast, um die Lassos da so anzubringen, daß sie sich in einer Astgabel wie auf einer laufenden Rolle bewegten. Dann kamen sie, die Enden der Lassos festhaltend, wieder herunter.

Hierauf wurden die Gefangenen von den Bäumen, an die man sie gefesselt hatte, losgemacht. Man band ihnen die Hände auf den Rücken und zog ihnen dann das eine, äußere Ende des Lassos unter den Armen durch, um es ihnen auf dem Rücken festzuknebeln. Dann wurden die andern Enden von mehreren kräftigen Männern angezogen und, als die Gefangenen in der Luft schwebten, an dem Stamme des Baumes festgeschlungen.

Da die beiden Äste über das Wasser ragten, so hingen die beiden Gefangenen natürlich auch über demselben. Sie schwangen an den Lassos hin und her, und dadurch wurden die in der Nähe befindlichen Krokodile herbeigelockt, um mit lautem Zusammenschlagen der Kinnladen nach ihnen zu schnappen.

Man hatte, dem Vorschlage des Stierfechters gemäß, die Lassos soweit angezogen, daß die Tiere die Füße der Gefangenen nicht ganz erreichen' konnten; dennoch warfen die letzteren, so oft sich ein Rachen unter ihnen öffnete, die Beine krampfhaft empor, so daß sie nicht still hingen, sondern sich an den Riemen immer in schleudernder Bewegung befanden. Es konnte sich eins der Tiere doch einmal so hoch emporschnellen, daß es mit den Zähnen sein Ziel erreichte. Falls ein Lasso riß, so war der an demselben Hängende verloren; es war ihm gewiß, augenblicklich zerfleischt zu werden.

Die Stimmung, in welcher sich die beiden Deutschen, wenn in einer solchen Lage überhaupt von einer Stimmung die Rede sein kann, befanden, läßt sich natürlich nicht beschreiben. Ob sie still waren oder schrieen, das konnte man nicht sagen, denn die Indianer stießen ein Freudengeheul aus, welches jeden andern Ton oder Laut unhörbar machte, und die Weißen stimmten in dasselbe ein. Wollte dieses Heulen je einmal aufhören, so fing es, wenn ein Krokodil zuschnappte, immer wieder von neuem an. Das währte wohl über eine halbe Stunde lang, bis die Kehlen doch ermüdeten und nun einige verlangten, daß ein Ende gemacht werden solle. Dagegen aber stimmte der Stierfechter, indem er rief:

»Nein, jetzt noch nicht, noch lange nicht! Sie müssen die Todesangst noch stundenlang empfinden.«

»Aber wir haben keine Zeit, uns hierher zu stellen,« warf ein andrer ein. »Wir müssen das Lager bereiten und essen.«

»Wer verlangt denn, daß wir uns hierherstellen? Diese Kerls hängen gut. Thun wir also unsre Arbeit. Wenn wir dann zurückkehren, kann das Theater von neuem beginnen.«

Man stimmte ihm bei. Nachdem noch einmal nachgesehen worden war, ob die Lassos auch wirklich fest am Stamme des Baumes hielten, entfernten sie sich alle, um ihren anderweiten Obliegenheiten einstweilen nachzukommen. Keiner blieb am Wasser. Dieser letztere Umstand war es, dem die so fürchterlich Gequälten ihre Rettung zu verdanken haben sollten.

Fritze hatte sich nämlich nicht geirrt, als er der Meinung gewesen war, den Vater Jaguar gesehen zu haben. Dieser war, wie schon erzählt, mit dem Inka und dem Anciano von dem Arroyo claro fortgeritten, um die nahenden Abipones zu erkundschaften. Sein Weg hatte ihn nach dem Thale des ausgetrockneten Sees geführt. Er war überzeugt, daß der Marsch der Feinde nach diesem Orte gerichtet sein werde. Ritt er ihnen in gerader Richtung entgegen, so begab er sich in die Gefahr, auf dem ebenen und meist offenen Terrain von ihnen gesehen zu werden. Darum wich er von dieser Richtung nach links ab, um den Anzug der Abipones von dieser Seite her zu beobachten. Doktor Morgenstern war mit Fritze dieser abweichenden Spur gefolgt, infolgedessen beide den bereits erwähnten Umweg gemacht hatten.

Der Vater Jaguar war bis über die Grenze, welche das Gebiet der Cambas von demjenigen der Abipones trennte, zurückgekehrt und dann auf einen weiten, baum- und strauchlosen Campo gekommen, auf welchem er glaubte anhalten zu müssen.

»Wir dürfen nicht weiter,« sagte er zu seinen Begleitern. »Wenn meine Berechnung richtig ist, sind wir schon über den Punkt hinaus, an welchem die Abipones sich rechts von uns befinden müssen. Biegen wir jetzt nach dorthin ein, so steht zu erwarten, daß wir hinter sie gelangen und aus ihren Spuren zu ersehen vermögen, mit welcher Anzahl von Gegnern wir es zu thun haben.«

»Sie haben recht, Señor,« stimmte Anciano bei. »Biegen wir rechts ein! Die Gegend paßt sehr gut dazu, da wir hier etwaige Feinde sehen werden, sobald sie am Horizonte auftauchen.«

Man ritt also jetzt nach Süden, nicht allzu schnell, sondern in leichtem Trabe, um Zeit zur scharfen Beobachtung des Horizontes zu haben. Es war wohl zwei Stunden lang weder ein Mensch, noch die Spur von einem solchen zu sehen. Dann aber kamen die drei Reiter an eine ungemein breite Fährte, welche rechtwinklig quer über ihre Richtung lief.

»Das ist jedenfalls, was wir suchen,« sagte der Vaterjaguar, indem er sein Pferd anhielt und aus dem Sattel sprang. »Wollen diese Spur doch einmal genau betrachten.«

Anciano und der Inka folgten seinem Beispiele. Man sah, daß sowohl Reiter als auch Fußgänger hier vorübergekommen waren, aber wieviel es gewesen waren, das konnte höchstens geschätzt, nicht aber genau bestimmt werden, da die hintern die Eindrücke der vordersten ausgetreten hatten.

»Es sind die Abipones,« meinte Anciano. »Sie müssen sich sehr sicher fühlen, da sie so breit marschiert sind und eine so sehr unvorsichtige Fährte zurückgelassen haben. Ihre Zahl kann ich nicht sagen.«

»Und doch möchte ich dieselbe sehr gern wissen,« sagte der Vater Jaguar. »Wenn wir ihnen nachreiten, so finden wir vielleicht einige Zeichen, welche uns als Anhalt dienen können.«

»Um ihnen folgen zu können, müßten wir wissen, wie weit wir sie vor uns haben.«

»Das ist doch nicht schwer zu sagen. Ich sehe am Grase, daß wir sie wenigstens vier Reitstunden vor uns haben. Ihre Schnelligkeit kann die unsrige zwar nicht erreichen, aber wir müssen uns trotzdem sputen, da wir gezwungen sind, vor ihnen im Thale des ausgetrockneten Sees anzukommen.«

Einige Zeit später gelangten die drei an eine Stelle, an welcher die Abipones gelagert hatten. Die Pferde waren seitwärts auf die Weide gelassen worden, und nun konnten die einzelnen Eindrücke besser auseinander gehalten werden. Der junge Inka gab sich Mühe, den Platz zu untersuchen. Der Vater Jaguar wollte ihm Gelegenheit bieten, seinen Scharfsinn zu zeigen, und fragte ihn darum:

»Nun, Hauka, wieviele Feinde werden wir vor uns haben?«

»Vielleicht fünfzig Reiter und fünfzehnmal mehr Männer, welche keine Pferde haben,« antwortete der Jüngling mit großer Bestimmtheit.

»Deine Schätzung hat das Richtige getroffen, nicht zu viel und nicht zu wenig. Um einige Männer oder Pferde kann man sich irren; es kommt nicht darauf an.«

»Was thun wir nun?« fragte Anciano. »Reiten wir noch weiter hinter ihnen her?«

»Nein, denn erstens gibt es keinen Grund dazu, und zweitens würde es eine Unvorsichtigkeit von uns sein. Wir wissen jetzt, woran wir sind; wir haben unsern Zweck erreicht und kehren zu unsern Cambas zurück.«

»Auf welchem Wege?«

»Auf dem wir hierhergekommen sind. Wir halten uns wieder nach Norden und reiten, sobald wir unsre Fährte erreichen, auf derselben zurück.«

Diese Absicht wurde ausgeführt, so daß die drei dann also nördlich von der Linie, und zwar parallel mit derselben, ritten, auf welcher die Abipones marschierten. Stunden vergingen und wieder Stunden. Der Weg hatte fast zwei Tage in Anspruch genommen, denn die drei waren gestern früh ausgeritten, und jetzt war der Mittag längst vorüber.

»Wir kommen noch sehr zu rechter Zeit,« sagte Anciano nach einem längeren Schweigen. »Die Feinde erreichen heute das Thal des ausgetrockneten Sees auf keinen Fall.«

»Nein,« stimmte Hammer bei. »Ich vermute, daß sie am Sumpfe der Knochen Nachtlager machen werden, welcher jetzt zwei Stunden südlich von uns liegt.«

»Darüber wird der Señor Doktor keine Freude haben.«

»Warum?«

»Weil sie ihm wahrscheinlich die Knochen nehmen werden, welche er sich später holen will.«

»Die werden sie ihm gern liegen lassen.«

»Nein, denn sie werden Feuer brennen, und da sind Knochen besser als Schilf, welches schnell verlodert.«

»Es fragt sich, ob sie sie finden. Sie werden wegen der Stechfliegen, von denen sie am Wasser geplagt würden, nicht in der Nähe desselben lagern. Aber halt! Was ist denn das? Sehe ich recht?«

Er hielt sein Pferd an und sah überrascht zur Erde nieder. Die drei befanden sich jetzt an der Stelle, an welcher Morgenstern und sein Diener zu der Einsicht gekommen waren, daß sie falsch geritten seien.

»Sonderbar!« antwortete Anciano. »Da sind Reiter hinter uns hergekommen und nach Süden abgebogen!«

»Vom Thale des ausgetrockneten Sees her,« ergänzte der Vater Jaguar.

»Wer mag das sein?«

»Es sind jedenfalls Freunde von uns, da es dort noch keine Abipones geben kann. Sie sind nach dem Sumpfe der Knochen hinüber. Was hat das zu bedeuten? Ich habe doch ganz genaue Weisungen gegeben, wie man sich verhalten soll. Welch eine Unvorsichtigkeit von diesen Cambas! Wenn sie da drüben von den Abipones bemerkt werden, so ändern diese sehr wahrscheinlich ihren Plan, und dann muß der meinige erfolglos sein.«

Haukaropora war der Spur eine kleine Strecke gefolgt. Indem er zurückkehrte, hörte er diese Worte und sagte:

»Es sind keine Cambas, welche diese Unvorsichtigkeit begangen haben.«

»Wie kommst du zu dieser Behauptung? Sollen es Weiße gewesen sein? Meine Kameraden werden es sich niemals einfallen lassen, einen solchen Fehler zu begehen.«

»Señor, es sind außer ihnen noch andre Weiße da. Ich sollte nicht sprechen, weil ich ein Knabe bin, aber wenn mich nicht alles trügt, so ist der kleine, gelehrte Mann mit seinem Diener hier geritten.«

»Doktor Morgenstern? Das wären nur zwei Personen; ich sehe aber die Spuren von fünf Pferden im Grase.«

»Sie haben die Fährte noch nicht genau betrachtet. Wenn Sie das thun, so werden Sie bemerken, daß zwei Reiter drei ledige Pferde neben sich geführt haben.«

Als der Vater Jaguar hierauf aus dem Sattel stieg, überzeugte er sich sehr leicht, daß der junge Inka sich nicht geirrt hatte.

»Zwei Reiter mit drei ledigen Pferden, also wohl mit Packpferden!« sagte er. »Da möchte ich allerdings auch behaupten, daß es nur diese beiden kleinen Kerle sein können, deren Unerfahrenheit und Ungeschick uns immerfort zu schaffen macht. Es ist dem Doktor wirklich zuzutrauen, daß er nicht an die Gefahr, sondern nur an diese alten Knochen denkt!«

»Ist diese unsre Vermutung richtig, so befindet er sich in großer Gefahr,« sagte Anciano. »Es steht sehr zu befürchten, daß die Abipones ihn überraschen werden. Wir müssen hin, um ihm beizustehen.«

Hammers Stirn legte sich in zornige Falten; er bückte sich, strich mit der Hand über das von den Pferden niedergetretene Gras und zürnte dann:

»Es ist so. Diese Menschen sind vor zwei Stunden hier gewesen. Sie werden jetzt drüben angekommen sein, und wenn wir ihnen zu ihrer Rettung folgen, so kann es sehr leicht geschehen, daß wir zu spät kommen und mit den Abipones zusammengeraten.«

»So meinen Sie, daß wir sie ohne Beistand lassen?«

»Nein. Das mag ich denn doch nicht auf mein Gewissen nehmen. Ist es der Doktor, so muß ihm geholfen werden. Und es kann kein andrer sein. Er hat seinen Diener beschwatzt, mit ihm zu kommen, und dieser Fritze ist im stande, aus Liebe zu seinem Herrn die unmöglichsten Albernheiten zu begehen. Sie haben Packpferde mitgenommen, um ihnen die Knochen aufzuladen.«

»So wundert es mich nur, daß Señor Geronimo ihnen erlaubt hat, sich zu entfernen. Er ist doch sonst ein höchst umsichtiger und auch strenger Mann.«

»Der? Es ihnen erlaubt? Würde ihm nie einfallen! Sie haben sich heimlich entfernt, bei Nacht und Nebel, ohne daß es jemand bemerkt hat. Darum sind sie erst vor so kurzem hier gewesen. Es bleibt uns wirklich nichts andres zu thun, als nach dem Sumpfe zu reiten, um zu sehen, ob wir die Gefahr von den Unvorsichtigen abwenden können. Aber höchst vorsichtig müssen wir sein. Wir dürfen nicht gesehen werden.«

Sie stiegen wieder auf und folgten nun der Spur der beiden Missethäter. Es war notwendig, Galopp zu reiten, denn der Sumpf lag zwei Reitstunden entfernt, und gerade so lange hatte man noch bis zum Anbruch der Finsternis Zeit.

Während sie so über die Ebene flogen, hielten sie die Augen scharf nach der Gegend gerichtet, aus welcher die Feinde zu erwarten waren. Es verging eine Stunde und noch eine halbe; der Sumpf konnte nicht mehr weit entfernt sein. Da deutete der Inka, welcher die jüngsten Augen besaß, nach Osten und sagte:

»Dort kommen Reiter. Sie bilden einen großen Punkt; darum sehe ich sie; sie aber bemerken uns noch nicht, da wir nur drei Personen sind.«

»Wir sind gezwungen, einen Bogen zu schlagen, um ihnen aus der Sehweite zu kommen,« riet Hammer. »Wenn wir nun den Sumpf zwischen sie und uns bringen, werden sie uns wahrscheinlich nicht entdecken.«

»Aber Ihre beiden Landsleute, Señor?« fragte Anciano. »Wo finden wir diese?«

»Das ist schwer zu sagen. Wir kennen leider die Stelle des Ufers nicht, an welcher sie sich befinden. Sie kann aber unmöglich entfernt von derjenigen liegen, an welcher der Doktor bei unsrer Ankunft hier zurückblieb, um sich die Knochen zeigen zu lassen.«

Nach einigen Sekunden schon war der Punkt, welchen Haukaropora gesehen hatte und für eine Schar von Reitern hielt, verschwunden. Die drei schlugen einen weiten, nach Westen gerichteten Bogen und verlängerten denselben zu einem Halbkreise, welcher sie wieder östlich führte. Da sahen sie in der Ferne Bäume stehen, dann auch die niedrigeren Sträucher, und hielten nach wenigen Minuten am westlichen Ende des Sumpfes, so, daß dieser sich zwischen ihnen und den heranziehenden Abipones befand.

Sie stiegen ab und banden ihre Pferde an. Der Vater Jaguar nahm sein Fernrohr aus der Tasche und kletterte auf einen Baum, da er von da oben aus weiter sehen konnte. Ja, da hinten kamen sie, die Abipones, voran eine Reiterschar, welche aus lauter Weißen zu bestehen schien, und hinter derselben die Indianer zu Fuße. Hammer suchte mit seinem Rohre das Schilf des Ufers ab, konnte aber niemand entdecken, da Morgenstern und Fritze in gebückter Haltung an ihrem wertvollen Funde arbeiteten.

Die Sonne verschwand hinter dem Horizonte. Der Vater Jaguar freute sich darüber, denn das, was es hier wahrscheinlich zu thun gab, ließ sich bei Nacht viel leichter als am Tage ausführen. Der junge Inka hatte auch einen Baum bestiegen. Er konnte von seinem Sitze aus mehr sehen als Hammer und rief diesem schon nach wenigen Augenblicken zu:

»Fünf Pferde, Señor! Ich sehe sie.«

»Wo?«

»Da drüben an den Bäumen hinter dem Gebüsch. Von Ihrer Stelle aus kann man sie nicht sehen.«

»Da müssen sie doch von den Abipones bemerkt werden?«

»Ja. Die Reiter galoppieren gerade auf sie los. Jetzt steigen sie bei ihnen ab.«

»O wehe! Man wird die Unglücklichen sogleich entdecken.«

Die beiden Lauscher sahen von ihren Standorten oder vielmehr Sitzen aus, daß die abgestiegenen Reiter zu suchen begannen. Ebenso sahen sie, daß die andern Ankömmlinge nicht ganz bis zum Sumpfe marschierten, sondern in gewisser Entfernung von demselben anhielten.

Leider dämmerte es jetzt so rasch, daß die fernere Beobachtung resultatlos blieb. Der Vater Jaguar stieg also, ebenso wie der Inka, vom Baume herab und sagte, unten angekommen:

»Da, wo die fünf Pferde angebunden sind, müssen sich auch die Besitzer derselben befinden. Ich werde mich hinüberschleichen.«

»Das ist gefährlich,« warnte Anciano.

»Ich fürchte die Abipones nicht!«

»Ich meinte nicht diese, sondern die Krokodile, welche im Schilfe versteckt sind.«

»Jetzt ist es noch hell genug, diese Tiere zu sehen. Horch!«

Man hörte laute Stimmen von drüben herüberschallen.

»Die Unvorsichtigen sind erwischt worden,« fuhr Hammer fort. »Ich muß erfahren, was mit ihnen geschieht.«

»So gehe ich mit!« sagte Anciano.

»Und ich auch!« stimmte Hauka ein.

»Einer muß hier bei den Pferden bleiben. Anciano mag mit mir gehen.«

Der Inka wagte es nicht, gegen diese Entscheidung Einspruch zu erheben; die beiden andern entfernten sich, um in geduckter Haltung durch das Schilf zu schleichen. So lange es Sträucher gab, hinter denen sie Deckung fanden, war dies nicht schwer; bald aber waren sie gezwungen, sich niederzulegen. Sie mußten sich dabei in acht nehmen, das Schilf nicht zu bewegen; die scharfen Halme desselben schnitten ihnen in die Hände, was sie jedoch nicht beachteten. Oft mußten sie, um das Terrain gut auszunutzen, durch eine übelriechende Lache kriechen, deren Jauche ihnen bis an die Ellbogen reichte; sie thaten das ohne Zögern, da es sehr wahrscheinlich ein oder gar zwei Menschenleben galt. So kamen sie näher und näher und befanden sich höchstens noch sechzig Schritte von der Stelle entfernt, an welcher Hauka die fünf Pferde angebunden gesehen hatte.

Bis jetzt waren sie so vorsichtig gewesen, die Köpfe nicht über die Spitzen des Schilfes zu erheben; nun aber galt es, den letzten Rest des Tageslichtes zu benutzen. Der Vater Jaguar hatte seinen Hut längst abgenommen und zwischen den Zähnen getragen; jetzt riß er ein Bündel Schilf aus, hielt es wie einen Fächer in die Höhe und erhob dann hinter demselben den Kopf so weit, daß er beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Da stand der Doktor mit seinem Diener bei den Weißen, welche mit den Abipones gekommen waren, und etwas weiter zurück waren die Roten in verschiedenen Gruppen zu sehen. Fritze hielt sein Gesicht gerade nach der Stelle gerichtet, an welcher sich die beiden Lauscher befanden, während die andern alle in andre Richtung blickten, nämlich auf die beiden Gefangenen. Diesen Umstand benutzte der Vater Jaguar zu einem Wagnisse, welches leicht schlimme Folgen haben konnte, aber, wenn es gelang, den Bedrängten sagte, daß Hilfe in der Nähe sei. Er erhob sich nämlich zu seiner vollen Höhe, aber nur für einen einzigen Augenblick, gab Fritze einen Wink und ließ sich darauf schnell wieder nieder.

»Was wagen Sie, Señor!« flüsterte ihm Anciano zu. »Diese Bewegung kann uns das Leben kosten.«

»Nun nicht, denn man hat sie nicht bemerkt; aber Fritze hat mich gesehen und wird seinem Herrn sagen, daß er hoffen darf.«

»Was werden sie mit den beiden unbedachtsamen Menschen machen?«

»Das werden wir bald sehen, denn es scheint, daß sie Beratung halten. Ziehe Schilf aus dem Boden und stecke es vor dich hin! Dann kannst du bequem beobachten, was geschieht.«

Anciano befolgte diesen Rat. Die beiden sahen, daß der Gambusino auf seine Gefährten einsprach; aber sie konnten die Gesichter schon nicht mehr deutlich erkennen. Dann hörten sie laute, zustimmende Rufe, ohne aber die einzelnen Worte verstehen zu können. Es wurde dunkel, und man brannte unter einem Alisobaum ein Feuer an. Die beiden Gefangenen wurden in die Nähe desselben geschafft. Die Flamme warf ihren Schein auf die Gestalten und auf die Gesichter. Da entfuhr dem Vater Jaguar ein Schrei, den seine Feinde jedenfalls gehört hätten, wenn ihre eigenen Stimmen weniger laut gewesen wären.

»Was ist's? Was gibt's?« fragte Anciano.

Hammer antwortete nicht. Sein Auge war mit einem wie glühenden Blicke auf die Männergruppe gerichtet, welche dort am Feuer stand.

»Warum riefen Sie?« fuhr der Alte fort. »Wenn man Sie gehört hätte! Was haben Sie gesehen?«

Er hörte, daß der Vater Jaguar schwer, fast röchelnd, atmete, und wiederholte seine letzten Worte. Da endlich antwortete der Gefragte:

»Siehst du den langen, starken Menschen, der wie ein Riese unter den andern steht? Er spricht eben jetzt auf die Gefangenen ein.«

»Natürlich sehe ich ihn, denn er ist ja groß genug, Señor.«

»Aber du siehst ihn jetzt wohl zum erstenmal?«

»Nein!«

»Was? Wie? Wirklich?« stieß er schnell hervor. »Du kennst ihn also?«

»Ja. Jeder kennt diesen Mann.«

»Wer ist er?«

»Benito Pajaro, den sie den Gambusino nennen.«

»Ah! Oh! Der – der – – der! Alle Welt kennt ihn; jeder hat ihn gesehen! Nur mir allein ist er noch nicht vor die Augen gekommen, obgleich ich ihn jahrelang gesucht, ja förmlich nach ihm geschmachtet habe!«

Er hatte bei diesen Worten seine Stimme so erhoben, daß Anciano schnell einfiel:

»Nicht so laut, Señor, nicht so laut! Sie verraten uns ja! Was ist mit Ihnen? Sie, der vorsichtigste Mann, den ich kenne, bringen uns in eine solche Gefahr! Haben Sie etwas mit dem Gambusino?«

»Ob ich etwas mit ihm habe!«

Er sprach nur diese Worte; sie kamen dumpf zwischen seinen Lippen hervor, und dann hörte der Alte ihn mit den Zähnen knirschen. Darauf blieb er still. Das warum die Zeit, in welcher die Lassos aneinander geknüpft wurden; dann stiegen, wie schon erwähnt, die beiden Indianer auf den Baum. Als Anciano dies sah, fragte er mehr sich selbst als seinen Gefährten: »Was haben sie vor? Wozu schaffen sie die Riemen auf die Äste?«

»Ich vermute es,« antwortete der Vater Jaguar, jetzt wieder in der ruhigen Weise, welche ihm so eigentümlich war.

»Will man die Gefangenen etwa aufhängen?«

»Ja.«

»So können wir sie nicht retten!«

»Vielleicht doch.«

»Dann wäre keine Zeit zu verlieren. Was aber vermögen wir zwei gegen so viele!«

»Wir haben Zeit. Man will die Gefangenen nicht in der gewöhnlichen Weise hängen, nämlich nicht am Halse. Wollte man das thun, so hätte man es bequemer und brauchte nicht die Äste zu wählen, welche über das Wasser ragen. Paß auf!«

Es folgte die schon beschriebene Scene. Als die beiden Gefangenen an den Ästen hingen und die Krokodile herbeigeschossen kamen, langte der Vater Jaguar unwillkürlich nach seinem Rücken, auf welchem er sein Gewehr hängen hatte, zog die Hand aber wieder zurück und flüsterte in hörbar erleichtertem Tone:

»Gott sei Dank! Ich brauche nicht zu schießen. Man will sie einstweilen noch quälen. Man hat sie so hoch gehängt, daß sie von den Bestien nicht gefaßt werden können.«

»Welche Grausamkeit, Señor! Sehen Sie nur, wie die Tiere nach ihnen schnappen! Was raten Sie uns zu thun?«

»Jetzt noch nichts. Wir müssen noch warten.«

»Bis die Armen tot sind?!«

»Wir können unmöglich schon jetzt handeln. Warten wir, was noch geschieht! Die Lage der armen Teufel ist zwar schrecklich, aber keineswegs schon lebensgefährlich. Die um die Brust gelegten Riemen drücken ein wenig; das ist auszuhalten.«

»Ich möchte am liebsten mitten unter die Halunken hineinspringen!«

»Das würde nichts helfen, sondern nur uns mit denen verderben, welche wir retten wollen. Also Geduld!«

Sie machten sich diese Mitteilungen in ziemlich lautem Tone, da die Abipones ein Geheul wie die Teufel erhoben hatten. Dies verstummte nach und nach; eine kleine Weile verging, und dann sahen die beiden, daß die Abipones mit ihren weißen Verbündeten den Platz verließen und sich um die am Baume Hängenden nicht mehr zu kümmern schienen.

»Jetzt hin, Señor!« flüsterte Anciano dem Vater Jaguar zu. »Die Zeit zum Handeln ist da!«

Er wollte auf. Hammer drückte ihn nieder und antwortete in befehlendem Tone:

»Bleib! Willst du alles verderben?«

»Verderben? Es ist ja niemand mehr dort!«

»Siehst du denn, wo unsre Feinde sich befinden?«

»Nein; es ist ja dunkel; aber fort sind sie doch!«

»Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich; aber wenn wir uns übereilen, können wir alles verderben. Sie lassen die Gefangenen hängen, um sie so lange wie möglich zu quälen und erst später den Krokodilen zu überlassen. Jetzt werden sie Material zusammentragen, um da draußen, wo sie lagern wollen, Feuer anzuzünden; sie sind also noch in der Nähe. Dann, wenn ihre Feuer brennen, können wir sie sehen, und dann ist die Gefahr für uns nicht so groß wie jetzt.«

»Sie werden Wächter bei dem Baume lassen!«

»Denen geben wir unsre Messer. Gerade ihre Grausamkeit, die Todesqual der Gefangenen zu verlängern, läßt vermuten, daß sie sich ganz sicher fühlen. Wir haben Zeit, das versichere ich dir.«

»Und ich möchte das Gegenteil behaupten, Señor. Sie müssen sich doch sagen, daß da, wo die Gefangenen sind, auch wir uns befinden!«

»Wäre dies der Fall, so hätten sie mit ihnen kurzen Prozeß gemacht. Wer weiß, was dieser Fritze ihnen gesagt hat. Wenn es sich um einen Wunsch seines Herrn handelt, kann er die größte Dummheit begehen; sonst aber ist er ein sehr pfiffiger Bursche, und ich glaube nicht, daß, als sie ihn ausfragten, es ihm eingefallen ist, ihnen die Wahrheit zu sagen.«

jetzt sah man draußen auf der Ebene ein Feuer nach dem andern aufleuchten. Das Lager wurde in ziemlicher Entfernung von dem Sumpfe aufgeschlagen, und der Vater Jaguar sah zu seiner Genugthuung, daß der Baum, an dem die Gefangenen hingen, gegen das Lager hin durch ein Gesträuch gedeckt war, welches die Rettung der mit dem Tode Bedrohten außerordentlich begünstigte.

Noch immer liefen Indianer hin und her, um Schilf und Holz nach den Feuern zu tragen. Dies mußte man vorüberlassen. Noch so lange zu warten, diese Aufgabe ging fast über die Kräfte des alten Anciano. Er gestand:

»Señor, wenn es nicht bald losgeht, so werde ich auch Dummheiten machen! Ich möchte diese Hunde alle erwürgen!«

»Sei still! In mir kocht es noch weit ärger als in dir. Du hast keine Ahnung von dem, was ich seit einer Viertelstunde empfinde. Ich muß mich noch viel mehr zwingen, als du, ruhig zu sein.«

»Aber wir könnten längst fertig sein! Es bedarf nur einiger Sprünge, so sind wir dort, machen die Gefangenen los und laufen mit ihnen in die Nacht hinein. Wer will uns da finden!«

»So! Das würde allerdings die Dummheit sein, von welcher du gesprochen hast! Wie willst du die beiden losmachen?«

»Losschneiden!«

»Kannst du sie mit dem Arme, mit dem Messer erlangen, da sie über dem Wasser, über den Krokodilen hängen?«

»Das ist wahr! Leider nein! Daran dachte ich nicht. Wir müssen auf den Baum, um sie emporzuziehen!«

»Da werden wir gesehen, oder die Äste brechen unter der doppelten Last, und wir stürzen unter die Krokodile, ganz abgesehen davon, daß es selbst für einen starken Mann nicht leicht ist, einen Menschen aus freier Hand so hoch emporzuziehen. Wir müssen sie in ganz andrer Weise losmachen, nämlich mit dem Lasso, und das geht nicht so schnell, wie du denkst. Und dann habe ich einen sehr triftigen Grund, diesen Gambusino nicht wissen zu lassen, daß die Gefangenen befreit worden sind; er soll vielmehr denken, daß sie von den Krokodilen heruntergerissen und verschlungen wurden.«

»Warum, Señor?«

»Davon später, denn ich glaube, daß wir nicht mehr lange zu warten brauchen. Wie ich sehe, wird Fleisch verteilt. Das zieht die Leute an und hält sie jedenfalls so lange von hier fern, bis wir fertig sind.«

Man sah, daß die Abipones sich alle an einem Punkte des Berges versammelten; auch diejenigen, welche noch mit Zutragen des Feuerungsmateriales beschäftigt waren, eilten dorthin. Der Rand des Sumpfes war von Beobachtern frei. Das Feuer, welches unter dem Baume brannte, hatte keine Nahrung erhalten und brannte nicht mehr hell genug, die Umgebung so zu erleuchten, daß sie vom Lager aus deutlich gesehen werden konnte. Der Vater Jaguar sprang auf und rannte auf den Baum zu; der alte Anciano folgte ihm augenblicklich. Die schon erwähnten Büsche standen zwischen ihnen und dem Lager. Nun galt es, schnell, aber auch besonnen zu handeln.

Der Vater Jaguar schlang sich seinen Lasso vom Gürtel, rollte ihn wurffertig zusammen und rief dabei den an dem Baume Hängenden mit gedämpfter Stimme zu:

»Die Hilfe ist da. Macht euch steif und unbeweglich, bis ihr den festen Boden erreicht!«

Er warf den Lasso, und zwar so geschickt, daß dasjenige Ende desselben, welches sich nicht in seiner Hand befand, sich um den Leib des Doktors schlang. Dann gebot er Anciano:

»Binde den Riemen los, an welchem er hängt, und halte ihn aber fest! Du lässest ihn in der Weise über den Ast laufen, in welcher ich den Doktor an meinem Lasso herüberziehe!«

Anciano that, wie ihm befohlen worden war. Er band den Lasso von dem Stamme los, hielt ihn aber fest, damit der Doktor nicht in das Wasser fiel; dann ließ er ihn laufen, während Hammer den zwischen Himmel und Erde Schwebenden aus der Luft und herüber an das Ufer zog. Ein Schnitt mit dem Messer, und die Arme des Geretteten waren frei. Er wollte sprechen und sich dabei den Lasso von der Brust entfernen; da aber gebot der Vater Jaguar:

»Stehen Sie still und sprechen Sie jetzt nicht. Der Lasso bleibt jetzt an Ihrem Leibe!«

Er meinte damit nicht den seinigen, den er schon losgebunden hatte, sondern denjenigen, an welchem der Doktor gehangen hatte. Jetzt wieder eine Schlinge legend, warf er sie dem Diener um den Leib, worauf Fritze in ganz derselben Weise herunter- und herübergeholt wurde. Darauf sagte er.

»Man muß denken, daß ihr von den Krokodilen herabgerissen und verzehrt worden seid; darum darf ich euch nicht losbinden und auch nicht losschneiden, sondern ich muß die Lassos so entzwei machen, daß es scheint, als ob sie abgerissen worden seien.«

Er sägte nahe an den Körpern der Geretteten die Riemen in der Weise auseinander, daß er sie mit der Messerschneide aufschabte und dann vollends zerriß. Dann wurden sie wieder an den Baumstamm befestigt, wie sie vorher an denselben gebunden gewesen waren. Die abgerissenen Enden hingen nun ganz in der Weise von den Ästen über dem Wasser herab, daß es genau so aussah, als ob diejenigen, welche daran gehangen hatten, von den Krokodilen herabgezerrt worden seien.

Dies war weit schneller geschehen, als man es beschreiben kann, und während es geschah, hatte der Vater Jaguar auch ein sehr scharfes Auge mit auf das Lager gehabt. Dort fiel es jetzt keinem Menschen ein, sich um die Gefangenen zu bekümmern. Man war mit dem Essen beschäftigt, und erst als dies vorüber war, bemerkte man zufällig, daß das Feuer unter dem Baume nicht mehr brannte. Der Gambusino schickte einen Mann hin, um es von neuem anzuzünden; kaum aber hatte dieser den ihm gewordenen Befehl erfüllt, so kam er eiligst herbeigelaufen und meldete:

»Señores, denken Sie sich, was geschehen ist! Die Krokodile haben unsre Gefangenen gefressen!«

Niemand wollte dieses glauben und als der Mann es wiederholte, sprangen alle auf, um, die Weißen natürlich voran, sich zu überzeugen, ob es wahr sei. An Ort und Stelle angekommen, sah man bei dem Scheine des wieder brennenden Feuers die beide Lassoenden von den Ästen hängen. Darunter lagen die Krokodile und glotzten mit stieren Blicken nach dem Ufer hin.

»Wahrhaftig, sie sind weg, sind fort!« rief Antonio Perillo, der Stierkämpfer. »Wer hätte das gedacht? Wie kann das geschehen sein?«

»Die Krokodile sind doch jedenfalls hoch genug gesprungen, um sie fassen zu können,« antwortete der Kapitän Pellejo.

»Schwerlich!« meinte der Gambusino. »So hoch, wie diese Kerls hingen, kann sich kein Krokodil in die Höhe schnellen. Sollte sich jemand hier befunden haben, der sie abgeschnitten hat?«

»Abschneiden? Wer konnte so weit hinüberlangen?«

»Hm! Das ist wahr. Zieht doch einmal die Lassos von den Ästen herunter! Wir werden gleich sehen, ob es mit dem Messer geschehen ist.«

Man holte die Enden herab und unterwarf sie einer sehr genauen Untersuchung. Der Vater Jaguar hatte seine Sache ausgezeichnet gemacht, denn die Ansicht aller ohne Ausnahme ging dahin, daß die Lassos zerrissen worden seien.

»So sind diese Tiere doch so hoch gesprungen!« meinte der Gambusino. »Sie müssen großen Hunger gehabt haben. Und geschmeckt hat es ihnen jedenfalls ausgezeichnet, denn sie liegen da, als ob sie noch mehr haben wollten. Nun, so oder so, wir sind die Feinde los; sie haben ihren Lohn!«

»Was das betrifft,« sagte Perillo ärgerlich, »so freue ich mich keineswegs darüber, daß das gar so schnell gegangen ist. Sie sollten länger hängen, viel länger! Und ich wollte dabei sein, wenn sie zerrissen wurden! Wäre das Feuer nicht ausgegangen, so hätten sich die Bestien mehr gescheut und wären nicht so zudringlich geworden. Das hätte ich bedenken sollen!«

Dieser gewissenlose Mensch ging wirklich ganz enttäuscht von dannen, und die andern folgten ihm in der festen Überzeugung, daß die beiden Gefangenen in Wirklichkeit von den Krokodilen zerfleischt und verschlungen worden seien.

Diese letzteren waren indessen von ihren beiden Befreiern nicht durch das Schilf, denn das war jetzt bei der Dunkelheit gar nicht nötig, sondern im Gegenteile sehr gefährlich, sondern um den Sumpf herum nach der Stelle geführt worden, an welcher der Inka auf sie wartete. Als dieser sie kommen sah, sagte er:

»Endlich, Señores! Da ich so lange Zeit warten mußte, befürchtete ich schon, daß es sehr schlimm stehe. Nun freut es mich doppelt, zu sehen, daß die Rettung gelungen ist.«

Die Befreiten hatten bis jetzt geschwiegen; nun aber meinte der Doktor, indem er tief Atem holte, in deutscher Sprache zu dem Vater Jaguar:

»Sie haben uns vorhin das Sprechen verboten; jetzt werden wir wohl reden können. Das war schrecklich! Nein, das war mehr als schrecklich; das war ganz unbeschreiblich entsetzlich! Mir zittert jedes Glied meines Leibes noch im gegenwärtigen Augenblicke!«

»Und mich auch!« stimmte Fritze bei. »Erst war ik ziemlich juten Mutes; aber als ik am Baume hing und unter mich die Krokodilers so schadenfroh lächeln sah, da jab ik mir verloren.«

»Hatten Sie mich gesehen?« fragte der Vater Jaguar.

»Ja,« entgegnete Fritze, »ik sah Sie einen Augenblick; dann waren Sie wieder verschwunden; aber ik hatte Ihnen doch erkannt und dachte bei mich selbst, daß Sie uns nicht verlassen würden.«

»Sie sehen, daß Ihr Vertrauen gerechtfertigt worden ist. Jetzt sagen Sie mir vor allen Dingen, ob Sie darüber, wie Sie an den Sumpf gekommen sind, ausgefragt wurden!«

»Natürlich hat man uns kriminalisiert; ik habe aber nichts jestanden.«

»Fragte man nach mir?«

»Janz besonders. Man wollte partout wissen, wo Sie Ihnen befinden; ik habe die hochgeehrten Herren so irre jeführt, daß sie denken müssen, Sie kommen erst noch hinterdrein.«

Er berichtete über das Verhör, welches man mit ihm angestellt hatte. Darauf sagte Hammer, welcher bisher in zornigem Ton gesprochen hatte, in etwas milderer Weise:

»So haben Sie glücklicherweise doch nicht lauter Fehler gemacht. Wie aber sind Sie denn auf die unglückselige Idee gekommen, nach dem Sumpfe zurückzukehren?«

»Daran bin ich schuld,« antwortete der kleine Gelehrte. »Ich konnte die Knochen nicht vergessen. Sie lagen mir im Kopfe; ich wollte und mußte sie haben, und so ruhte ich nicht eher, als bis Fritze einwilligte, mit nach dem Sumpfe, lateinisch Palus genannt, zurückzukehren.«

»Dachten Sie denn nicht an die Gefahr? Sie wußten doch, daß die Abipones kommen würden.«

»Wir glaubten, noch vor ihrer Ankunft fertig zu sein.«

»Welche Unvorsichtigkeit! Sie werden mir unterwegs erzählen, wie das alles geschehen ist. Jetzt habe ich zunächst an noch andres zu denken. Wir müssen aufbrechen. Sie haben keine Pferde mehr. Da Sie jedenfalls sehr angegriffen sind, werden Sie reiten müssen. Ich gehe mit Anciano zu Fuße nebenher.«

»Nein, ich laufe, Señor,« bemerkte der Inka. »Ich bin jung und nur ein Knabe; Sie aber und mein Anciano haben – – –«

»Laß es gut sein!« unterbrach ihn Hammer. »Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Ich habe meine Gründe dazu.«

Erst jetzt band er dem Doktor und dessen Diener die Lassoenden unter den Armen los. Er warf sie nicht weg, sondern steckte sie ein, damit sie nicht etwa von den Abipones gefunden würden, denn dann hätten diese erkannt, daß ihre Gefangenen nicht zerrissen, sondern befreit worden seien.

Es war anzunehmen, daß die Feinde in gerader Linie nach dem Thale des ausgetrockneten Sees reiten würden. Damit sie nicht seine Spur bemerken möchten, hielt der Vater Jaguar es für geraten, sich in gehöriger Entfernung, aber doch immer parallel mit dieser Linie zu halten. Es wurde aufgebrochen, die beiden Deutschen und der Inka zu Pferde; der Vater Jaguar ging mit Anciano mit langen, ausgiebigen Schritten voran, um den andern den Weg anzugeben.

Als nach einiger Zeit die Mondessichel erschien, wurde es heller, als es vorher gewesen war, und so bemerkte der alte Anciano, in welch gebückter und nachdenklicher Haltung der Vater Jaguar jetzt an seiner Seite dahinschritt. Den sonst so rüstigen, kräftigen Mann schien irgend etwas schwer und tief niederzudrücken. Viertelstunde um Viertelstunde verging, ohne daß er ein Wort sagte, und nur zuweilen war ein eigentümlicher, knirschender Ton zu vernehmen, als ob seine Zähne hart aufeinander getroffen hätten. Darum unterbrach der Alte endlich das Schweigen, indem er in mildem Tone fragte:

»Sie haben einen Gedanken, der Ihnen viel zu schaffen macht. Wollen Sie ihn mir mitteilen, Señor?«

»Ja, du sollst ihn erfahren, Anciano,« antwortete der Deutsche. »Ich denke, daß er morgen so öffentlich sein wird, daß alle ihn wissen werden. Ich habe diesen Gambusino während einer ganzen Reihe von Jahren mit Schmerzen gesucht, ohne ihn ein einziges Mal getroffen zu haben.«

»Das ist sonderbar! Hätten Sie mir diesen Wunsch mitgeteilt, so wäre er Ihnen schon längst in Erfüllung gegangen.«

»Eine solche Mitteilung hätte nichts gefruchtet, denn ich wußte nicht, daß der Gambusino derjenige ist, den ich suche.«

»Aber jetzt wissen Sie es?«

»Ja. Ich habe ihn wiedererkannt. Ich habe ihn nicht nur heute mit dem Auge, sondern schon vorher mit dem Ohre erkannt. Ich kenne nicht nur seine Gestalt, sondern auch seine Stimme. Als wir uns zuerst da unten am Rio Salado trafen und eine Stunde später die beiden, die wir heute vom Tode errettet haben, aus der Hand der Abipones befreiten, da hörte ich eine laute, befehlende Stimme. Ihr Klang machte, daß ich mitten in der größten Eile halten blieb; aber wir hatten Wald zur Rechten und zur Linken, wodurch die Stimme eine andre Klangfarbe erhielt. Dennoch war es mir dann immer, als ob derjenige, dem sie gehörte, der Mann sei, den ich so lange vergeblich gesucht habe. Es war der Gambusino, und heute, da ich ihn gesehen habe, weiß ich genau, daß mein damaliger Gedanke begründet war.«

»Er ist ein Feind von Ihnen?«

»Mein größter Feind, aber ich bin auch der seinige. Ich habe eine Rechnung mit ihm auszugleichen, und die Quittung wird mit Blut geschrieben – – morgen schon, wie ich hoffe!«

»Es ist also Blut gegen Blut?«

»Ja. Er hat meinen Bruder ermordet droben im Norden. Wie das geschehen ist, das will ich jetzt nicht erzählen. Es war entsetzlich, so entsetzlich, daß mir das Haar darüber weiß geworden ist. Ich verfolgte ihn; ich erfuhr, daß er sich nach Südamerika gewendet hatte. Argentinien war seine Heimat. Ich kam hierher, um ihn zu suchen. Ich durchritt das Land; ich befuhr alle Flüsse; ich überkletterte alle Berge, ohne ihn zu treffen, heute aber habe ich ihn und nun soll er mir nicht wieder aus dem Auge kommen, als bis ich fertig mit ihm geworden bin.«

»So nehmen Sie den einen und ich nehme den andern!«

»Wen?«

»Den Stierkämpfer. Ich werde ihn nach dem Skalpe fragen, den er dem Lieutenant Verano gezeigt hat. Meinen Sie, Señor, daß die beiden morgen in unsre Hände geraten?«

»Ich bin überzeugt davon. Laß mir jetzt meine Gedanken! Wenn man an solche vergangene Stunden denkt, läßt man sich nicht gern von der Gegenwart stören.«

Sonderbarerweise waren jetzt, zu derselben Stunde, die beiden, von denen hier gesprochen wurde, mit ihren Gedanken bei demjenigen, der soeben in seinem Innern das Todesurteil über den Gambusino gefällt hatte. Dort am Sumpfe waren die Feuer ausgegangen; die Roten und die Weißen schliefen, weil morgen mit dem Frühesten aufgebrochen werden sollte. Ein Wächter stand bei den Pferden; aber er war es doch nicht allein, welcher wachte, sondern es gab außer ihm noch drei, welche von dem Schlafe nichts wissen wollten, nämlich der Gambusino, der Stierfechter und der Kapitän Pellejo.

Dieser letztere stand zu den beiden andern in ganz demselben Verhältnisse, in welchem sich der Lieutenant Verano dem Vater Jaguar gegenüber fühlte: er war Offizier; die beiden andern waren nicht Militärs, und so glaubte er höher zu stehen als sie, wenigstens in Beziehung auf die Angelegenheit, in welcher sie sich jetzt im Gran Chaco befanden. Er war während der letzten Zeit oft mit ihnen in Streit geraten und hatte immer nachgeben müssen, weil der Einfluß des Gambusino auf die Abipones größer als der seinige war. Das hatte ihn tief verdrossen und mißtrauisch gemacht. Er begann, die beiden, welche nachgerade Gehorsam von ihm verlangten, zu beobachten, und da bemerkte er denn verschiedenes, was ihm auffiel. Er verglich dieses mit jenem, eins ihrer Worte mit dem andern und kam schließlich zu dem Verdachte, daß sie es nicht ehrlich mit dem gegenwärtigen Unternehmen meinten. Er zog sich von ihnen zurück; sie bemerkten das und vergalten ihm seinen Verdacht mit dem ihrigen. Sie hörten auf, ihn bei ihren Beratungen zu fragen; sie wichen seinen Ansichten und Vorschlägen aus und hatten immer miteinander heimlich zu thun, wobei er bemerkte, daß ihre Augen auf ihm ruhten. Darum begann er sich unsicher zu fühlen und beschloß endlich, ein klares, offenes Wort mit ihnen zu reden.

Heute, als die beiden Gefangenen von dem Baume verschwunden waren, und man den Lagerplatz wieder aufgesucht hatte, saß er bei den Soldaten, welche sich am Palmensee zusammengefunden hatten und für deren Anführer er sich hielt. Sie waren alle beritten. Da trat der Gambusino mit Perillo zu ihnen und sagte:

»Señor Kapitän, wir werden morgen das große Dorf der Cambas erreichen und sofort angreifen; ich werde Ihnen jetzt Ihre Instruktion erteilen.«

»Meine Instruktion?« fragte Pellejo verwundert. »Eine Instruktion hat man doch nur von dem Vorgesetzten entgegenzunehmen!«

»Sie meinen nicht, daß ich der Ihrige bin?«

»Nein.«

»Wer hat da wohl den Befehl über die Krieger, welche wir bei uns haben, zu führen?«

»Eigentlich ich, da ich unter den Anwesenden den höchsten militärischen Rang bekleide.«

»Ich wußte, daß dies Ihre Ansicht ist, und habe bis jetzt geschwiegen. Nun es aber morgen zum Kampfe kommt, muß ich Sie aufklären. Ich bitte Sie, zu lesen!«

Er zog eine kleine Blechkapsel aus der Tasche, öffnete sie, nahm ein zusammengefaltetes Papier aus derselben, schlug es auseinander und gab es dem Kapitän. Dieser las es beim Scheine des Feuers, an welchem er saß, wurde bleich im Gesicht und gab es ihm wieder zurück.

»Nun,« fragte der Gambusino, »wer ist der Kommandierende?«

»Ich habe mich überzeugt, daß ich Ihnen zu gehorchen habe.«

»Nicht nur Sie allein, sondern auch alle Ihre Untergebenen. Sagen Sie es ihnen! Nachdem Sie mich anerkannt haben, werde ich von meiner Autorität den ersten Gebrauch machen, indem ich Sie für einstweilen Ihrer Verpflichtungen enthebe. Sie begleiten uns weiter, werden sich aber, bis ich etwas andres befehle, in allem vollständig passiv verhalten.«

»Señor!« fuhr der Kapitän auf. »Von wem ist Ihnen ein solches Verhalten vorgeschrieben?«

»Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Sie haben zu gehorchen. Thun Sie das nicht, so wissen Sie, was geschieht. Wir befinden uns auf dem Kriegsfuße!«

»Schön, Señor! Ich werde kein Wort verlieren, sondern gehorchen,« rief der Hauptmann, indem er aufstand und, kaum im stande, seinen Zorn zu beherrschen, das Feuer verließ.

Er schritt ein Stück in die Nacht hinein und überlegte. Woher so plötzlich dieses Verhalten des Gambusino? Hatte es einen allgemeinen oder heute einen besondern Grund? So fragte er sich, ohne daß er im stande war, sich eine Antwort zu erteilen. Als er später zurückkehrte, war das Feuer erloschen. Dennoch bemerkte er, daß der Gambusino und der Stierkämpfer sich nicht an ihren Plätzen befanden. Er legte sich neben seinem Korporal nieder und fragte diesen, als er bemerkte, daß er noch nicht eingeschlafen war, leise:

»Wo ist der neue Oberst oder gar General?«

»Er ging nach dem Sumpfe und wird dort mit Perillo sitzen, um ungestört Pläne machen zu können.«

»Was geschah, als ich fort war?«

»Nichts weiter, als daß er auch uns seine Vollmacht zeigte.«

»Sie ist echt.«

»Ja, sie ist vom Vizepräsidenten der Konföderation unterschrieben und besiegelt. Wir müssen ihm gehorchen.«

»Und ich habe euch nichts mehr zu befehlen?«

»Señor Kapitän, ich sagte, daß wir gehorchen müssen. Wir sind Soldaten, und der Ungehorsam würde uns den Kopf kosten.«

»Das ist Treue! Wer hätte gedacht, daß es so komme!«

Er hüllte sich in seine Decke und versuchte zu schlafen. Er hatte ganz vergessen, daß er jetzt selbst Empörer, Aufrührer war und also gar kein Recht besaß, auf seinen Untergebenen zornig zu sein. Er hatte hier eine Rolle spielen wollen, um später schnell zu avancieren, und war nun so plötzlich kalt gestellt worden. Das ließ ihn nicht ruhen. Er dachte an den Gambusino und an Perillo. Diese beiden hatten jedenfalls etwas gegen ihn vor. Ob es möglich war, dies zu erfahren? Warum nicht? Vielleicht zeigte sich der Zufall günstig. Er hob den Kopf, um zu lauschen. Alle schliefen; auch sein Nachbar, der Korporal, war jetzt eingeschlafen. Er wickelte sich aus der Decke und kroch fort, langsam und unhörbar, nach dem Sumpfe hin. Es dauerte lange, ehe er die Bäume des Ufers im Mondenscheine stehen sah. Er erreichte sie, ohne die Gesuchten zu bemerken, und kroch auf gut Glück weiter, am Rande hin, immer möglichst im Schutze der Sträucher und des Schilfes. Nach einiger Zeit hörte er leise Stimmen. Noch einige Ellen weiter, und er sah sie sitzen, eng nebeneinander, auf einem trockenen Grasplätzchen. Ein Wisch hohen Schilfes erhob sich ganz in ihrer Nähe. Er wagte es, hinzukriechen und sich dort auf den Boden niederzustrecken. Wenn die beiden zufällig aufstanden, mußten sie ihn sehen. Sie sprachen leise, aber doch so, daß er sie', wenn er scharf aufmerkte, wohl verstehen konnte. Eben sagte der Gambusino:

»Es ist mir immer, als ob ich es nicht glauben solle. Die Lassos waren zwar abgerissen, aber so ein fünfzehnfach zusammengeflochtener Riemen hält doch viel, sehr viel aus. Ein Krokodil kann dem, den es packt, das Bein abbeißen; aber einen Lasso zu zerreißen, das erscheint mir als unmöglich.«

»Ich nehme es, wie es gekommen ist, und mache mir keine Gedanken darüber,« antwortete Perillo. »Wer könnte die beiden befreit haben! Der es gethan hat, müßte ein ebenso kühner wie schlauer Mensch sein.«

»Es gibt einen solchen!«

»Du meinst den Vater Jaguar?«

»Ja.«

»Er ist ja doch nicht hier! Der Kleine hat es ja gesagt.«

»Glaube ich nicht an den Tod dieses Kleinen, so glaube ich auch seinen Worten nicht. Ist er der Oberst oder nicht? Wir halten ihn für Glotino. Wenn er dieser ist, so besitzt er jedenfalls Klugheit genug, uns zu täuschen. Er sagte, der Vater Jaguar sei uns nachgeritten. Wenn dies nun eine Lüge ist? Wenn er uns nun vorangeritten wäre? Er kannte ja unser Ziel.«

»Höre, das wäre eine verteufelte Sache! Wir müßten da gewärtig sein, daß wir, anstatt anzugreifen, überfallen werden. Dieser Vater Jaguar hat den Cambas schon einmal gegen die Abipones beigestanden, wenn auch in einer andern Gegend. Die Kerls, welche er bei sich hat, fürchten den Teufel nicht.«

»Wir müssen vorsichtig sein. Ist er schon hier, so stellt er uns sicherlich eine Falle.«

»Wir hätten aber doch eine Spur von ihm finden müssen.«

»Eigentlich haben wir eine.«

»Welche denn? Ich weiß nichts von ihr.«

»Und doch ist sie so deutlich, daß sie gar nicht deutlicher sein kann. Ich meine nämlich die leeren Dörfer und Hütten, welche wir auf unserm jetzigen Zuge getroffen haben.«

»Das nennst du eine Spur?«

»Natürlich! Die Bewohner sind geflohen. Warum? Aus Furcht vor uns. Sie müssen also gewußt haben, daß wir kommen. Wer aber hat ihnen das gesagt?«

»Das weiß ich freilich nicht.«

»Der Vater Jaguar ist es gewesen. Ich weiß das freilich nicht genau, sondern ich vermute es nur, aber ich möchte behaupten, daß diese Vermutung eine sehr begründete ist.«

»Hast du diesen Gedanken erst jetzt bekommen? Du hast ihn vorher doch nicht ausgesprochen.«

»Es kam mir verschiedenes verdächtig vor. Vor allen Dingen war es doch auffallend, daß alle unsre Waffenverstecke ausgeleert waren; da sie aber auch ganz zufälligerweise von Indianern entdeckt worden sein konnten, brachte ich diesen Umstand nicht in Beziehung zu dem Vaterjaguar. Heute nun kann ich, wenn ich näher darüber nachdenke, nicht glauben, daß unsre beiden Gefangenen durch die Krokodile von den Lassos gerissen worden sind, und was ich bisher nur vermutete, ist mir zur Gewißheit geworden: der Vater Jaguar ist da!«

»Wie aber hat er es angestellt, diese beiden loszubekommen? Die Riemen hingen doch noch am Baume.«

»Das begreife ich auch nicht; dieser Mensch aber bringt Sachen fertig, welche für andre Leute geradezu unmöglich sind. Ich kenne ihn. Er wurde von den Indianern ›Blitzende Hand‹ genannt; das hatte Bezug auf seine erstaunliche Fertigkeit im Schießen; er ist aber in andern Dingen ebenso gewandt.«

»Wenn deine Berechnung richtig ist, so befinden wir uns in der größten Gefahr. Wir müssen gewärtig sein, daß er die Cambas schon gegen uns zusammengerufen hat und nun mit ihnen irgendwo steckt, um uns plötzlich zu überfallen.«

»Das möchte ich nicht behaupten, da er dazu keine Zeit gehabt hat. Desto sicherer aber ist es, daß er sich mit seinen Leuten, die stets bei ihm sind, in der Nähe befindet und uns beobachtet. Ja, es ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß er hier irgendwo am Sumpfe steckt. Ist dies der Fall, so wird er unser Lager umschleichen, um unsre Stärke kennen zu lernen, und dann noch während der Nacht fortreiten, um die Cambas zu benachrichtigen. Wir müssen uns auf alle Fälle beeilen. Wenn wir mit dem Anbruche des Morgens aufbrechen, so kommen wir am Abende am ›klaren Bache‹ an und können das Dorf noch während der Nacht überfallen.«

»Aber wenn die Cambas gerüstet sind?«

»Dann ist unser Kriegszug vergeblich gewesen, und die Hoffnungen, welche wir an denselben geknüpft haben, werden sich nicht erfüllen.«

»Damnacion! Er hat uns so viele Mühe und auch all unser Geld gekostet1Wirwürden als arme Leute zurückkehren, und statt durch den Putsch, welchen wir beabsichtigen, mit einem Schlage reich zu werden, müßten wir uns Bettler nennen.«

»Wir spielen Va banque. Verlieren wir, so bleibt uns nichts übrig, als von vorn anzufangen. Ich gehe wieder in die Berge, um eine Gold- oder Silberader zu entdecken, und du mußt wieder zu deinem früheren Geschäft als Stierkämpfer greifen.«

»Dann wirst du eines schönen Tages im Gebirge umkommen, und mich erwartet dasselbe Schicksal in der Arena. Ich habe es jetzt in Buenos Ayres gemerkt, daß ich nicht mehr der Alte bin. Meine Knochen sind weich und meine Gelenke steif geworden. Nein, es fällt mir nicht ein, wieder zum alten Metier zu greifen.«

»Was aber wolltest du sonst anfangen? Etwa mit mir auf Abenteuer gehen?«

»Damit man eines schönen Tages mein Gerippe in den Cordilleren findet? Nein, ich weiß etwas andres, etwas viel, viel besseres.«

»Was?«

Der Gefragte zögerte eine ganze Weile; dann antwortete er in geheimnisvollem Tone:

»Ich habe zu keinem Menschen davon gesprochen, und es sollte nie jemand davon erfahren; da die gegenwärtigen Verhältnisse aber so stehen, sollst du es hören. Auch ganz abgesehen von dem Vater Jaguar, kommt es jedenfalls zum Kampfe mit den Cambas, und keiner von uns weiß, ob er aus demselben entkommen wird. Ich kann verwundet und sogar getötet werden. In diesem Falle wäre es jammerschade, wenn mein Geheimnis mit mir sterben sollte. Du bist mein bester Kamerad, und so will ich es dir mitteilen.«

»Du machst mich im höchsten Grade neugierig. Der feierliche Ton, in welchem du sprichst, läßt erraten, daß es sich um etwas ganz Ungewöhnliches handelt.«

»Das ist es auch! Ich spreche nämlich von Reichtümern, von einem Schatze, welcher ungeheuer groß zu sein scheint.«

»Von einem Schatze? Höre, fast möchte ich denken, daß du im Traume redest!«

»Ich träume nicht, sondern was ich dir sage, ist die volle, reine Wirklichkeit. Ich kann es dir durch einen Gegenstand beweisen, welchen du sehr genau kennst.«

»Welcher ist das?«

»Der lange, weiße Haarschopf, den du bei mir gesehen hast.«

»Ach, der Skalp des Indianers, welcher dich überfallen wollte, aber von dir getötet wurde?«

»Derselbe. Doch ist die Geschichte anders, als ich sie bisher erzählte. Dir kann ich die Wahrheit sagen, da du schon oft ähnliches gethan hast. Nämlich nicht ich wurde von dem Indianer überfallen, sondern er von mir.«

»Qué diablos! Ist die Sache so! Da will ich dir denn aufrichtig sagen, daß ich deine Erzählung nicht etwa geglaubt habe. Du hattest damals gar nichts bei dir, was die Habsucht eines Indianers anlocken konnte. Ich dachte mir immer, daß die Begebenheit sich anders, als du sie erzähltest, abgespielt habe. Also du hast ihn überfallen, und sein Haar steht im Zusammenhange mit dem Schatze, von welchem du sprichst? Soll ich etwa annehmen, daß jener Indianer der Besitzer dieses Schatzes gewesen ist?«

»Ja.«

»Demonio! Erkläre dich deutlicher! Du kannst ihm den Schatz unmöglich abgenommen haben, da du nicht reich bist. Warum hast du es nicht gethan?«

»Weil er ihn nicht bei sich hatte. Es waren nur einige Gegenstände, welche zu dem Schatze gehörten, die ich bei ihm fand.«

»Hat er dir denn gesagt, wo sich das übrige befindet?«

»Nein.«

»So weißt du also gar nicht, wo dieser dein berühmter Schatz zu suchen ist?«

»Ja und nein, ich weiß es und weiß es doch auch nicht.«

»Sprich nicht in Rätseln!«

»Ich meine, daß ich zwar die Gegend kenne, aber die betreffende Stelle nicht.«

»So brauchst du dir auf den Schatz ganz und gar nichts einzubilden. Was nützt mir ein Schatz, den ich nicht finden kann? Vielleicht existiert er gar nur in deiner Phantasie.«

»Er existiert in Wirklichkeit; ich kann es beschwören.«

»Wo denn?«

»Droben in den Bergen und zwar jedenfalls in einer Schlucht, welche man die Barranca del Homicidio nennt.«

»Die kenne ich genau. Es geht von ihr die Sage, daß dort die letzten Inkas ermordet worden sind.«

»So ist es. Und ich nehme an, daß diese Inkas vor ihrem gewaltsamen Ende ihre Schätze dort versteckt haben.«

»Hm! Ich habe oft gehört, wie reich die Inkas gewesen sind. Alles, was die Herrscher berührten, hat von reinem Golde sein müssen. Die Spanier sollen damals ganze Schiffsladungen von Gold und Silber heimgeschafft haben. Doch was hilft das unnütze Reden! Erzähle!«

»Schwöre mir vorher, daß du keinem andern ein Wort davon sprechen willst!«

»Von solchen Sachen spricht man nicht; aber wenn ich dich damit beruhigen kann, so soll es mir auf einen Schwur nicht ankommen. Also ich schwöre, gegen jedermann über diese Angelegenheit zu schweigen!«

»So sollst du alles hören. Ich kam damals von Chile herüber, wo ich bei mehreren Stiergefechten mitgewirkt und mir einige Prämien erworben hatte; aber wie gewonnen, so zerronnen; du weißt ja, wie ich bin. Ich aß gut, trank noch besser, spielte viel und hatte kein Glück; ich verlor alles, und als ich die Rückreise antrat, mußte ich, um nur herüberzukommen, mich an einen Kaufmann, welcher nach Mendoza wollte, als Diener vermieten. Ich sage dir, daß er nie dort angekommen ist; warum, das kannst du dir ja denken.«

Er stieß ein hämisches Lachen aus. Er hatte natürlich diesen Kaufmann ermordet, um zu dem Eigentum desselben zu kommen. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort:

»Ich war also ganz allein, als ich die diesseitigen Hänge des Gebirges erreichte. Es war des Abends, als ich an der Barranca del Homicidio ankam. Da du auch dort gewesen bist, so weißt du, daß es eine höchst unwirtliche Gegend ist. Gern wäre ich noch bis zur Salina del Condor weitergeritten, aber es war denn doch zu weit, und der Weg da hinunter ist so schlecht, daß man selbst beim hellsten Mondenschein verunglücken oder wenigstens ihn verfehlen kann. Ich suchte mir also einen Felsen, um hinter ihm Schutz gegen den rauhen Nachtwind zu finden, band mein Maultier an einen Stein fest und legte mich zum Schlafen nieder.«

»Konntest du denn schlafen?« fragte der Gambusino mit eigenartiger Betonung.

»Warum sollte ich das nicht?«

»Des Kaufmanns wegen, welcher nie in Mendoza angekommen ist.«

»Du meinst, daß er mir verwundet und blutig im Traum erschienen sei? Ich bin kein Kind oder altes Weib. Wer tot ist, kommt nicht wieder. Dennoch wollte an jenem Abende der Schlaf nicht gleich kommen; dafür aber kam ein andrer.‹,

»Ah, ich vermute! Der Indianer, oder nicht?«

»Ja. Der Vollmond stand am Himmel, und kein Wölkchen war zu sehen. Ich hörte Schritte und lauschte. Ein Mann kam, ohne mich und mein Maultier zu sehen, ganz nahe an dem Felsblocke vorüber, hinter dem ich lag. Er blieb stehen und schaute nach dem Monde. Dabei bekam ich sein Gesicht zu sehen. Er war ein Greis, aber ein sehr rüstiger und sehr schöner Greis. Er trug einen langen Bogen und einen Köcher auf der Schulter, und ein Messer stak in seinem Gürtel; andre Waffen hatte er nicht und schien überhaupt gar nichts andres bei sich zu haben. Auffallend war sein langes, weißes und sehr dichtes Haar, welches ihm hinten bis an die Oberschenkel vom Kopfe hing und, wie ich später bemerkte, durch eine Spange zusammengehalten wurde. Er stand lange da, ohne sich zu bewegen, starrte den Mond an und flüsterte dabei leise Worte, als ob er betete. Es schien, als ob er warten wolle, bis der Mond den höchsten Punkt seines Bogens erreicht habe; dann ging er weiter.«

»Und du folgtest ihm heimlich?« fragte der Gambusino.

»Ich wollte es thun, brachte es aber nicht fertig. Der scharfe Rand der Barranca befand sich nämlich gar nicht fern von mir. Der Mann ging auf denselben zu und war dann verschwunden. Ich kroch leise bis hin zur Schlucht und blickte hinab. Ich sage dir, daß mir bei dem, was ich sah, ein Grauen ankam. Die Felswand stieg beinahe senkrecht hinab; sie schien nicht die kleinste Stelle zu haben, an welcher ein menschlicher Fuß festen Halt fassen könne, und doch glitt der weißhaarige Mann mit einer Sicherheit da hinab, als ob eine bequeme Treppe hinunterführe. Sein Haar glänzte im Monde, bis ich es nicht mehr sehen konnte, so groß war die Tiefe, in welche er hinunterstieg. Wer war der Mann? Seinen Zügen nach jedenfalls ein Indianer. Was wollte er hier? Warum wartete er, um den gefährlichen Weg anzutreten, nicht bis es Tag geworden war? Wo hatte er sein Maultier? Oder war er so arm, daß er keins besaß? Du kannst dir denken, daß ich diese und andre Fragen gern beantwortet haben wollte; darum blieb ich am Rande der Schlucht auf der Lauer liegen, um auf seine Rückkehr zu warten. Ich lag die ganze Nacht; er kam nicht wieder; aber am Morgen, eben als die Sonne im westlichen Tieflande aufstieg, sah ich ihn jenseits langsam emporklettern. Er hatte jetzt ein Paket auf dem Rücken hängen. Als er oben angekommen war, breitete er die Arme gegen die Sonne aus, als ob er sie begrüßen wolle, und ging dann weiter. Ich beobachtete ihn, ohne daß er mich sehen konnte. Von der Höhe, auf welcher er sich ebenso wie ich mich befand, ging eine felsige Lehne allmählich abwärts; er schritt dieselbe hinunter und bog dann um den Fuß einer zweiten Höhe, worauf er mir aus den Augen verschwand.«

»Du bist ihm natürlich sofort nach?« fragte der Gambusino.

»Ja. Ich mußte unbedingt wissen, wer der Mann war, und was er nächtlicherweile aus der Barranca geholt hatte, denn das Paket, welches er jetzt trug, hatte er am Abende nicht gehabt. Ich band mein Maultier los, stieg auf und ritt ihm nach. Ich brauchte dabei keinen Umweg zu machen, denn die Richtung, welche er eingeschlagen hatte, führte nach der Salina del Condor, wohin auch ich wollte. Ich war sehr schnell die Lehne hinab und bog dann um die Stelle, hinter welcher er verschwunden war. Von da lief ein ziemlich steiler Abhang in ein schmales Thal hinunter. Der Indianer war schon unten. Er schien es eilig zu haben, denn er ging schneller, als mein Maultier bis jetzt gegangen war. Ich spornte es also an. So folgte ich ihm in das Thal, durch dasselbe auf eine Ebene, dann wieder über einen felsigen Abhang in ein zweites Thal, in welchem ich ihm so nahe kam, daß er den Hufschlag Meines Tieres hörte. Er blieb einen Augenblick stehen, um sich umzublicken. Als er mich sah, eilte er viel schneller weiter, als er bisher gegangen war. Er wollte mir ausweichen. Ich gab meinem Tiere die Sporen, daß es zu galoppieren begann. Er hörte das und blickte nach rechts und nach links, um einen Ausweg zu entdecken, aber die Seitenwände des Thales waren gerade hier so senkrecht eingeschnitten, daß er nicht hinauf konnte. Jedoch da öffnete sich das Thal, noch ehe ich ihn ganz erreicht hatte, und er wollte sich seitwärts wenden. Ich rief ihm zu: ›Bleib stehen, sonst schieße ich!‹

»Er hörte nicht; darum schickte ich die Kugel des einen Laufes hinter ihm her. Ich traf ihn nicht, wollte ihn überhaupt nicht treffen; er hörte die Kugel neben sich auf den Felsen schlagen und mochte nun doch denken, daß es geraten sei, meinem Befehle zu gehorchen. Er blieb also stehen und drehte sich nach mir herum. Das Doppelgewehr noch in der Hand, kam ich an ihn heran. Da fragte er mich: ›Señor, was habe ich Ihnen gethan, daß Sie auf mich schießen?‹

›Warum läufst du davon, wenn ich dir Halt gebiete?‹ antwortete ich.

»Da richtete er sich hoch auf, schüttelte sein langes, weißes Haar wie der Löwe seine Mähne und entgegnete in einem Tone, als ob er ein König sei: ›Wer hat hier zu gebieten? Sie etwa?‹

»Dabei funkelten mich seine Augen nur so an; aber sie waren es nicht allein, welche funkelten, denn das Paket, welches er auf dem Rücken trug, bestand aus einem Bastnetze, zwischen dessen Maschen es wie reines, pures Gold hervorschimmerte. Und bei der Bewegung, welche er gemacht hatte, gab die glänzende Bürde einen leisen Ton von sich, wie er nur vom Golde hervorgebracht wird. Wie es so schnell kam, das weiß ich auch jetzt selbst noch nicht; kurz und gut, ich richtete mit einer blitzschnellen Bewegung den zweiten Lauf auf ihn und drückte ab. Der Schuß krachte, und der Mann stürzte zu Boden.«

»Vorn durch die Brust geschossen?« fragte der Gambusino.

»Nein, sondern von hinten in das Herz getroffen. Als ich den Lauf auf ihn richtete, machte er nach der Seite hin eine schnelle Drehung um sich selbst, damit ich ihn nicht treffen solle; aber mein Auge war schneller als er; ich folgte seiner Bewegung und schoß ihn von hinten nieder. Das Netz glitt von seinem Rücken und fiel neben ihm hin, wobei es sich öffnete; einige Stücke des Inhaltes rollten heraus. Es waren kleine, goldene Gefäße und andre Gegenstände, deren Zweck ich nicht zu erraten vermochte. Der Indianer war tot, und diese Sachen gehörten mir. Ich wickelte sie in die Decke, welche ich hinter mir an den Sattel zu schnallen pflegte – –«

»Und bist natürlich nach der Barranca zurückgeritten?« fiel der Gambusino ihm ins Wort.

»Nein. Ich hatte seit fast zwei Tagen kein Wasser gehabt, und mein Maultier mußte trinken, wenn es nicht liegen bleiben sollte. Daher mußte ich zunächst nach der Salina del Condor, in deren Nähe, wie du weißt, einige Quellen sind; dann erst wollte ich wieder nach der Barranca zurück, um den Ort zu suchen, von welchem der Indianer die Kostbarkeiten geholt hatte.«

»Vorher aber nahmst du ihm seinen Skalp?«

»Ja. Wie ich auf den Gedanken kam, dies zu thun, kann ich freilich nicht sagen. Ich hatte daheim eine Sammlung von allerlei Kleinigkeiten, Andenken an meine früheren Reisen und Erlebnisse, und als ich so vor dem Toten stand und sein Haar betrachtete, fielen mir die Indianerskalpe ein, welche man in so vielen Sammlungen findet, und ich dachte, daß dieser Schopf es wohl wert sei, mitgenommen zu werden. Ich schnitt die Kopfhaut also vom Schädel los und wickelte sie mit in die Decke.«

»Hm! Also auf diese Weise bist du zu der Haut gekommen!« sagte der Gambusino langsam und in nachdenklichem Tone. »Ich hätte sie wohl nicht mitgenommen.«

»Warum nicht?«

»Weil sie zur Verräterin an dir werden kann.«

»Möchte wissen, wie!«

»Eben durch ihre Seltenheit. Hast du etwa schon viele Personen gesehen, welche ihr Haar in dieser Weise tragen? Und nun noch dazu eine solche Fülle schönen, langen, grauen Haares! Dieser Indianer hat Verwandte und Bekannte, welche ihn vermißt und nach ihm geforscht haben. Wenn nun einer derselben erfährt, daß du dich im Besitze dieses Skalpes befindest? Vielleicht gibt es Mitwisser des Geheimnisses von dem Schatze. Ich würde zu keinem Menschen von der Kopfhaut sprechen und sie noch viel weniger jemand zeigen.«

»Pah! Es sind seit jenem Ereignisse Jahre vergangen; ich habe nichts mehr zu befürchten.«

»Dennoch fordere ich dich zur Vorsicht auf. Ich denke da an einen alten Indianer, welcher sein Haar ganz ähnlich trägt und einsam droben in den Bergen haust. Diese Ähnlichkeit der Haartracht läßt ganz wohl den Gedanken aufkommen, daß er zu jenem Toten in irgend welcher Beziehung gestanden hat. Dieser Mann zum Beispiel dürfte durch Zufall von deinem Skalpe hören, und dann wäre es, falls er den Toten gekannt hat, um dich geschehen.«

»Wie heißt der Mann?«

»Er ist über hundert Jahre alt und wird darum allgemein der alte Anciano genannt. Er ist trotz dieses Alters noch so rüstig und gewandt wie ein Vierziger und hat sich durch seine Kühnheit und Verschlagenheit berühmt gemacht.«

»Ich kenne ihn nicht, und er geht mich nichts an. Ist er arm oder reich?«

»Arm.«

»So weiß er von dem Schatze nichts, und deine Warnung ist überflüssig.«

»Mag sein. Es war eben nur so ein Gedanke von mir. Erzähle jetzt weiter! Ich bin begierig, zu erfahren, wie dein Abenteuer sich weiter entwickelt hat.«

»Es kam leider ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich wollte an der Salina mein Maultier tränken, selbst auch trinken und dann nach der Barranca zurückkehren. Aber als ich bei der Salina anlangte und um die Ecke bog, sah ich einen Menschen dasitzen, welcher mich verwundert anstarrte. Jedenfalls war er von unten gekommen und wollte hinauf in die Berge; dies machte mein ganzes Vorhaben zunichte. Zurück durfte ich nicht, denn er wäre mir gewiß gefolgt und hätte den Toten gesehen. Mich zu ihm setzen, fiel mir noch viel weniger ein, da er mich nicht genau sehen durfte, um mich später nicht verraten zu können. Ich ritt also an ihm vorüber.«

»Dumme Sache! Warum hast du ihn nicht niedergeschossen?«

»Dieser Gedanke kam mir auch; aber er hatte, als er mich sah, schnell zum Gewehre gegriffen, und seine Kugel wäre jedenfalls schneller als die meinige gewesen.«

»Hat er dich deutlich sehen können?«

»Nein; wenigstens denke ich das. Ich stutzte nur einen Augenblick und wendete mein Gesicht dann schnell von ihm ab. Im Galopp durch die Salina jagend, kam ich eine halbe Stunde später unterhalb derselben auf einem Platze an, wo es auch ein Wasser gibt. Da hielt ich für kurze Zeit an und ritt dann weiter. Eine Ahnung sagte mir, daß der Mann mich verfolgen werde.«

»Woher diese Ahnung? Du hattest ja gar nicht mit ihm gesprochen.«

»Eben das mußte ihm auffallen. Wenn er dann die Leiche fand, mußte er mich für den Mörder halten.«

»Wie sah er aus? Du hast ihn natürlich scharf betrachtet?«

»Nein, denn da hätte ich ihm mein Gesicht länger zukehren müssen, was ich aus gutem Grunde vermeiden wollte. Seine Züge konnte ich nicht erkennen, doch sah ich so viel, daß er nicht mehr jung war, denn sein Haar war grau.«

»Und seine Gestalt?«

»Er saß an der Erde; darum konnte ich mir kein Urteil über seine Figur bilden; er schien mir aber nicht klein zu sein.«

»Ha! Du bist unvorsichtig gewesen. Dieser Mann kann in jedem Augenblicke auftauchen und dich zur Rechenschaft ziehen. Du hättest dich zu ihm setzen sollen, um ihn dann in einem geeigneten Augenblicke niederzuschießen.«

»Das habe ich mir später auch gesagt, und heute bereue ich sehr, es nicht gethan zu haben, denn es hat den Anschein, daß der Kerl mich genauer angesehen hat, als ich dachte.«

»Wieso? Bist du ihm etwa später wieder begegnet?«

»Es scheint so. Es wurde mir eine Drohung ins Gesicht geworfen, welche sich nur auf dieses Ereignis beziehen konnte.«

»Von wem?«

»Vom Vater Jaguar.«

»Valgame Dios! Von dem? Hat dieser Mensch etwa seine Hand auch hier im Spiele?«

Perillo erzählte von jenem Zusammentreffen in der Restauration in Buenos Ayres, wo Der Vater Jaguar ihn an die Salina del Condor erinnert hatte, worauf der Gambusino so laut, daß die Schläfer beinahe aufwachten, ausrief:

»Er ist's gewesen; jedenfalls war er's! Nimm dich vor ihm in acht! Wie war der Mann, den du auf der Salina getroffen, gekleidet?«

»Ganz in Leder. Dazu hatte er einen breitrandigen Hut auf dem Kopfe.«

»Es stimmt; es stimmt! Genau so geht der Vater Jaguar, wenn er sich nicht in einer Stadt befindet. Jetzt haben wir einen Grund mehr, ihn baldigst wegzuräumen. Ich bin überzeugt, daß er, nachdem er den Indianer gefunden hat, hinter dir drein geritten ist. Erzähle weiter!«

»Ich bin damals einen Tag und eine Nacht geritten, ohne länger als einige Minuten anzuhalten, und habe mir alle Mühe gegeben, meine Spur unsichtbar zu machen. Der Erfolg zeigt, daß mir dies gelungen ist. Natürlich war ich ganz begierig darauf, die Barranca nach Gold zu untersuchen, mußte dies aber unter diesen Umständen auf einige Wochen verschieben. Diese Zeit brachte ich in Chiccana zu, wo ich so glücklich war, einen Althändler zu finden, welcher mir die goldene Beute abkaufte und leidlich bezahlte, ohne viel danach zu fragen, wie ich zu diesen Gegenständen gekommen war. Die Summe, welche ich erhielt, verlockte mich, nach Salta zu gehen. Dort fand ich Gelegenheit zum Spiele und verlor so viel, daß mir kaum das verblieb, was ich brauchte, um mich für den Ritt nach der Barranca auszurüsten.«

»Er war aber ohne Erfolg?«

»Leider! Als ich an die Stelle kam, wo ich den Indianer erschossen hatte, war keine Spur mehr von ihm zu sehen. Die Kondors hatten sogar seine Knochen verschleppt. Dann in der Barranca angekommen, habe ich sie Fuß für Fuß, Zoll für Zoll durchsucht, ohne das geringste zu finden. Auch so oft ich später wieder hingekommen bin, ist mein Nachforschen vergeblich gewesen. Und doch bin ich überzeugt, daß dort Kostbarkeiten verborgen liegen, welche einst den Herrschern von Peru gehört haben.«

»Das ist allerdings leicht möglich. Du hast deine Nachforschungen jedenfalls nicht sorgfältig genug angestellt. Zu so etwas gehört ein Scharfsinn, welcher eine weit längere Übung und Schulung durchgemacht hat, als die deinige ist.«

»Das habe ich mir auch schon gesagt, und darum denke ich, in dir den rechten Mann gefunden zu haben. Du würdest also bereit sein, mit hinauf nach der Schlucht zu gehen?«

»Ja. Und je eher wir dies thun können, desto besser wird es sein. Man soll nicht zaudern, wenn es sich um so wertvolle Sachen handelt. Der Zufall könnte gar zu leicht einen andern hinführen, welcher das entdeckt, was du trotz aller Mühe nicht gesehen hast. Sollte unser Zug gegen die Cambas aus irgend einem Grunde eine andre Wendung nehmen, als wir erwarten, so sind wir arme Leute geworden und können nichts besseres thun, als schleunigst nach den Bergen zu reiten, um uns die Schätze deines toten Indianers anzueignen.«

»Meinst du denn, daß wir sie finden werden?«

»Ich halte es mehr für wahrscheinlich als für unwahrscheinlich. Deutliche Spuren, nach denen wir uns richten könnten, werden wir freilich nicht finden, aber es gibt doch einen oder gar einige Anhaltepunkte, welche uns von Nutzen sein werden.«

»Welche sind das?«

»Durch diese Frage lieferst du eben den Beweis, daß du nicht erfahren und scharfsinnig genug bist. Man muß scharf nachzudenken verstehen. Jener Indianer stieg auf der einen Seite in die Schlucht hinab und kam auf der andern wieder empor. Warum das? Warum kam er nicht auf der ersteren zurück?«

»Jedenfalls deshalb, weil auf der andern Seite der Weg leichter war.«

»Keineswegs. Wer in der Nacht einen so halsbrecherischen Abstieg wagt, der frägt am allerwenigsten dann am Tage nach der Schwierigkeit des Terrains. Nein; er ist jenseits emporgestiegen, weil er dort gearbeitet hat. Dort unten liegt der Ort, den wir suchen. Als er fertig war, hat er es nicht für nötig gefunden, dadurch, daß er zurückkehrte, einen Umweg zu machen, sondern ist von der Stelle, an welcher der Schatz liegt, stracks bergan geklettert. Das ist das eine, und wenn wir erst dort sind und ich die Örtlichkeit genau in Augenschein nehme, so werden sich auch noch andre Fingerzeige ergeben.

Nur fragt es sich natürlich, welche Ansprüche du machst, und welche du dann mir zu machen erlaubst.«

»Du meinst, welche Teile auf mich und dich kommen sollen?«

»Ja.«

»Ich habe die Sache entdeckt und darf also mehr fordern. Zwei Drittel für mich und eins für dich!«

»Ja, du bist der Entdecker, hast aber nichts gefunden und wirst ohne meine Hilfe auch niemals etwas finden. Warum da doppelt so viel, wie ich erhalten soll, für dich? Teilen wir! Das ist das einfachste und gerechteste.«

»Darüber läßt sich noch sprechen. Wir haben ja Zeit.«

»Ja, wir haben Zeit, wie es scheint; aber es wird sich schon morgen entscheiden, ob wir gegen die Cambas glücklich sind oder nicht. Im letzteren Falle geht es sofort in die Berge, und dann möchte ich bald wissen, woran ich bin. Jetzt möchte ich einen Rundgang machen, um mich zu überzeugen, ob wir hier sicher liegen. Ich kann mich je länger desto weniger nicht von dem Gedanken losmachen, daß dieser Vater Jaguar sich doch hier in der Nähe befindet und uns umschleicht.«

Als der Lauscher diese Worte hörte, hielt er es, um nicht entdeckt zu werden, für geraten, sich schleunigst zurückzuziehen. Er verließ also den Ort, an welchem er lag, genau auf dem Wege, auf welchem er gekommen war, kroch an dem Schilfe hin und schlich sich dann nach seiner Lagerstelle. Da alle fest schliefen, kam er dort an, ohne daß seine Abwesenheit bemerkt wurde.

Hätte er nicht so viel Sorge vor der Entdeckung gehabt, so wäre er Zeuge einiger weiterer Äußerungen geworden, welche sich auch mit auf ihn selbst bezogen. Nämlich als der Gambusino sich bei seinen letzten Worten erheben wollte, um seinen Rundgang zu beginnen, hielt ihn Antonio Perillo noch zurück und sagte:

»Warte noch einen Augenblick! Gesetzt den Fall, daß der Vater Jaguar wirklich hier ist und morgen unser Vorhaben zu schanden macht, so willst du sofort nach den Bergen. Wen aber nehmen wir mit?«

»Welch eine Frage!« fuhr der Gambusino auf. »Wen wir mitnehmen wollen! Keinen Menschen natürlich.«

»So meinst du, daß wir allein reiten?«

»Ja.«

»Ich halte es aber für besser, einige Begleiter mitzunehmen.«

»Warum?«

»Wegen der Gefährlichkeit der Gegend.«

»Du bist doch früher auch allein dort gewesen!«

»Daß ich niemand bei mir hatte, war Zufall. Zudem wissen wir nicht, was uns bevorsteht. Vielleicht erfordert die Hebung des Schatzes so viel Arbeit, daß wir sie gar nicht allein zu verrichten vermögen.«

»Jener Indianer aber hat sie ganz allein verrichtet!«

»Weil es seine Absicht war, nur. einzelne Gegenstände, nicht aber den ganzen Schatz mitzunehmen. Wir brauchen also höchst wahrscheinlich Arbeitskräfte.«

»Mit denen wir teilen müßten !«

»Nein.«

»Wie? Nicht? Kein Mensch würde uns helfen, ohne seinen Anteil zu verlangen.«

»Das ist wohl richtig; aber es würde niemand etwas bekommen.«

»Wie meinst du das?«

»Das errätst du nicht? ja, ein jeder würde nach gethaner Arbeit etwas erhalten, nämlich eine Kugel oder einen Messerstich.«

»Ah, denkst du so! Das ist freilich etwas andres. Damit wäre ich sofort einverstanden.«

»Schön! Also gehen wir nicht allein?«

»Nein. Wenn du so willst, so können wir Hilfskräfte mitnehmen, ohne sie bezahlen zu müssen.«

»So ist es geraten, gleich jetzt diejenigen zu bestimmen, welche wir auffordern werden, uns zu begleiten. Etwa die Soldaten, welche sich bei uns befinden?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Oder einige Abipones?«

»Auch nicht.«

»Wen sonst?«

»Warum denn überhaupt von denen, die jetzt bei uns sind, welche auswählen? Der Weg nach der Mordschlucht ist weit, und wir legen ihn viel leichter und schneller zurück, wenn wir ganz allein reiten. Die Weißen will ich übrigens schon deshalb nicht mitnehmen, weil ich sie dann nicht gern erschießen mag. Müssen einige Indianer ins Gras beißen, so nehme ich mir das viel weniger zu Herzen. Und die Abipones können wir aus dem Grunde nicht brauchen, weil wir durch Gegenden kommen werden, in denen Indianerstämme hausen, die ihnen feindlich gesinnt sind. Wir würden dadurch uns selbst in Gefahr begeben. Wir reiten allein bis über die Grenze der weißen Bevölkerung und engagieren uns dann eine Schar Roter, mag der Stamm, zu welchem sie gehören, heißen, wie er will. Brauchen wir sie dann nicht mehr, nun, so genügen einige Schüsse, uns von ihnen zu befreien. Man kann diesen Zweck übrigens auch auf noch andre Arten und Weisen erreichen.«

»Ganz richtig; aber es fragt sich nur, ob es uns gelingen wird, von unsern jetzigen Begleitern loszukommen.«

»Warum sollte das nicht gelingen? Wir sprechen jetzt überhaupt nur von dem Falle, daß wir von den Cambas geschlagen werden. Je mehr von unsern Leuten da fallen, desto lieber kann es uns sein. Die übrigen werden nach allen Richtungen davonlaufen und sich sehr wahrscheinlich gar nicht um uns kümmern.«

»Ich denke aber doch, daß wenigstens die Soldaten sich zu dem Anführer halten werden, und der bist du, wie du ihnen heute abend gesagt hast. Wie werden wir sie los? Nehmen wir den Fall, daß dieser Kapitän Pellejo, welcher sich vorhin so beleidigt fühlte, sich an uns klammert.«

»Dann bekommt der Kerl eine Kugel. Es ist eigentlich lächerlich, mit solcher – fast möchte ich es Sicherheit nennen, anzunehmen, daß unser jetziger Zug verunglücken wird. Das rätselhafte Verschwinden unsrer Gefangenen hat uns besorgt gemacht und auf dumme Gedanken gebracht. Wir haben eine Maus in einen Elefanten verwandelt. Warten wir ganz ruhig ab, was morgen geschieht. Was darauf folgt, das wird sich finden.«

Er erhob sich jetzt von seinem Platze, um die Umgebung zu durchforschen, konnte aber nichts bemerken, woraus er auf die Anwesenheit eines Feindes hätte schließen müssen. Darum legte er sich befriedigt und beruhigt nieder.

Kaum graute der nächste Tag, so wurden die Schläfer geweckt, da sehr zeitig aufgebrochen werden sollte. Diejenigen Abipones, welche als Führer dienten, weil sie die Gegend kannten, wußten genau, in welcher Richtung das Thal des ausgetrockneten Sees zu suchen war. Sie schlugen dieselbe ein. Sie befanden sich an der Spitze des Zuges, und der Gambusino hielt sich mit Antonio Perillo zu ihnen, um etwaige Spuren sofort zu entdecken. Er ritt bald nach rechts, bald nach links von der geraden Linie ab, konnte aber nichts Befremdendes entdecken, weil der Vater Jaguar so vorsichtig gewesen war, sich mit seinen Begleitern weiter südlich zu halten.

Da von achthundert Kriegern nur fünfzig beritten waren, kam beinahe der Mittag heran, bevor in der Ferne der undurchdringliche Wald erschien, welcher das Thal des ausgetrockneten Sees nach beiden Seiten flankierte. Als der Gambusino die dunkle Linie desselben erblickte, winkte er den »tapfern Arm«, den Häuptling der Abipones zu sich heran und fragte:

»Ist das der Wald, in welchem das Thal liegt, durch welches wir müssen?«

»Ja, Señor,« antwortete der Rote.

»Und wir können nicht zur Seite ausweichen?«

»Wir können es, wenn wir den Wald ganz umgehen; aber das würde viele, viele Zeit erfordern.«

»Die haben wir nicht übrig, denn wir müssen heute abend beim Dorfe der Cambas ankommen, um in der Nacht über dasselbe herfallen zu können. Indiesem Thale gibt es Wasser?«

»Fließendes Wasser, welches sich in einen kleinen See ergießt.«

»So machen wir da Halt, um uns auszuruhen.«

Diese Worte hörte auch der Hauptmann Pellejo, welcher jetzt an die Spitze des Zuges gekommen war und mit nachdenklichem Blicke den Wald musterte. Als Militär fühlte er sich zu der Bemerkung veranlaßt:

»Señor, das vor uns liegende Terrain fordert uns zur Vorsicht auf. Wir können weder nach rechts noch nach links weichen und müssen durch ein Thal, dessen Wände wohl nicht niedrig sind. Wie nun, wenn der Feind uns in demselben erwartet?«

»So würde ich mich außerordentlich über diese seine Unvorsichtigkeit freuen,« antwortete der Gambusino in wegwerfendem Tone. »Wir würden in das Thal dringen und ihn, der nicht entkommen könnte, einfach niederrennen.«

»Das ist leichter gesagt als gethan, und ich möchte raten, in diesem –«

»Ich habe noch keinen Menschen um Rat gefragt, auch Sie nicht!« fiel ihm der andre barsch in die Rede. »Behalten Sie Ihre Meinung gefälligst so lange für sich, bis ich Sie auffordere, mir dieselbe mitzuteilen!«

Der Hauptmann wendete sich entrüstet ab, ohne aber ein Wort zu entgegnen, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Nach einiger Zeit sah man eine Fährte, welche von links herkam und gerade nach dem Thale führte. Es war diejenige des Vater Jaguar, welcher natürlich nach dem Thale gemußt hatte, ohne eine Möglichkeit zu haben, seine Spur unkenntlich zu machen. Der Gambusino stieg vom Pferde, untersuchte sie und sagte.

»Es hat hier einige Pferde und auch einen oder zwei Fußgänger gegeben, doch ist dies kein Grund, uns bedenklich zu machen. Diese Leute kommen von Süden her, während wir von Osten kommen; sie können also gar nichts von uns wissen.«

Infolge dieser Ansicht ritt und marschierte man getrost weiter, ohne, was doch geboten gewesen wäre, Kundschafter voranzusenden. Hauptmann Pellejo erkannte das als einen großen Fehler, doch schwieg er zunächst; aber als man sich dem Walde so weit genähert hatte, daß man den Eingang zum Thale sich öffnen sah, konnte er doch nicht umhin, warnend zu bemerken:

»Ich würde doch einige Leute voransenden, um nachsehen zu lassen, ob das Thal für uns sicher ist.«

»Und ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich nur wünsche, daß es voller Cambas wäre,« antwortete der Gambusino. »Wenn Sie sich fürchten, so bleiben Sie zurück.«

»Ja, wer sich fürchtet, mag umkehren,« stimmte Antonio Perillo ein. »Wir brauchen keine Feiglinge bei uns.«

»Señor, meinen Sie damit mich?« fuhr der Offizier auf.

»Denken Sie, was Sie wollen!«

»Gut, dann denke ich mir nur das eine, daß es feig ist, ahnungslose Menschen niederzuschießen, um ihnen ihre alten Inka-Kostbarkeiten abzunehmen und dann vor dem ersten Manne, den man an der Salina del Condor sitzen sieht, feig davonzujagen.«

Diese zornigen Worte waren ihm kaum entfahren, so bereute er, sie ausgesprochen zu haben; doch waren sie nun nicht wieder zurückzunehmen. Der Gambusino und Antonio Perillo starrten ihn betroffen an. Der erstere faßte sich am schnellsten und antwortete lachend:

»Sie sprechen wohl im Traume? Was wollen Sie mit einer so unverständlichen Rede?«

»Das werden Sie später jedenfalls erfahren,« erwiderte der Hauptmann, indem er sein Pferd ab und auf die Seite wendete. »Von mir werden Sie keinen Rat mehr hören.«

Er sah die beiden nicht wieder an; sie aber warfen sich im Weiterreiten bedeutsame Blicke zu, und der Gambusino flüsterte Perillo zu:

»Dieser Schurke hat uns gestern abend belauscht. Es ist gar nicht anders möglich. Was meinst du, was wir thun?«

»Ihn schweigsam machen, und zwar sobald wie möglich, bevor er Gelegenheit findet, das, was er gehört hat, auszuplaudern.«

»Richtig! Er lebt heut seinen letzten Tag! Im Grunde genommen hatte er mit seiner Mahnung zur Vorsicht gar nicht unrecht; aber soll ich das dadurch zugeben, daß ich seinen Rat befolge? Meine Person werde ich auf keinen Fall in Gefahr bringen. Wir bleiben am Eingange des Thales halten und lassen unsre Leute hineinmarschieren. Dann wird es sich ergeben, ob es von den Cambas besetzt ist.«

Diese Absicht wurde ausgeführt. Er ritt mit Perillo und dem »tapfern Arme« voran, bis sie den Eingang erreichten, und blieb dann halten, um die andern an sich vorüber zu lassen. Der »tapfere Arm« aber gab der Schar, indem er sich rückwärts wendete und den Arm hoch emporhob, ein Zeichen, noch zu warten, und galoppierte dann zwischen den Thalwänden hinein. Als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, meldete er:

»Es ist kein Mensch im Thale. Wir können getrost weiter.«

»Dann vorwärts!« kommandierte der Gambusino, indem er sein Pferd auf die Seite drängte, um, mit Perillo dort wie ein Feldherr haltend, den Kriegszug an sich vorüber zu lassen. Der Häuptling ritt voran; ihm folgten seine Abipones, hinter denen die weißen Soldaten kommen sollten. – – –

Der »tapfere Arm« hatte sich außerordentlich geirrt, als er das Thal für unbesetzt hielt, und sollte seinen Irrtum nur zu bald erkennen.

Wie bereits erwähnt, hatte der Vater Jaguar, als er das Cambasdorf verließ, um auf Kundschaft zu reiten, seinem Geronimo den Befehl übergeben und diesem die nötigen Bestimmungen zurückgelassen. Geronimo war zur bestimmten Zeit mit den sechshundert Cambas aufgebrochen und bis an das Thal des ausgetrockneten Sees marschiert, ohne aber, wie es vorher beabsichtigt gewesen war, in dasselbe einzudringen. Der um- und vorsichtige Mann sagte sich, daß wenn er die Rückkehr der Kundschafter im Thale selbst erwarte, dies dort Spuren geben müsse, welche die heranrückenden Abipones unmöglich übersehen konnten. Dazu kam das Verschwinden Morgensterns und seines Dieners. Die Spuren dieser beiden in Verbindung mit dem bisher Erlebten sagten ihm, daß sie nach dem Sumpfe zurückgekehrt seien, um die vorweltlichen Knochen zu holen. Wie leicht konnten diese beiden mit den Abipones zusammentreffen und von ihnen gezwungen werden, alles zu verraten. Darum hielt Geronimo es für geboten, das Thal vor der Rückkehr des Vater Jaguar nicht zu betreten. Er lagerte sich mit seinen Cambas so gut es ging draußen vor demselben längs des Baches, da nur dort der dazu nötige Raum vorhanden war. Natürlich aber stellte er einen Posten an den Ausgang des Thales, welches dieser, hinter einem Felsen stehend, vollständig überblicken konnte.

Heute früh nun, als die Sonne noch nicht lang aufgegangen war, meldete dieser Wächter das Nahen dreier Reiter und zweier Fußgänger. Geronimo ging nach dem erwähnten Felsen und sah diese fünf, welche vorn durch den Eingang gekommen waren und sich nach hinten, gerade auf den Ausgang zu, bewegten. Er vermochte sie noch nicht genau zu unterscheiden; dann aber, als sie sich genugsam genähert hatten, verkündigte er mit lauter, froher Stimme:

»Es ist der Vater Jaguar mit Hauka und seinem Anciano. Sie bringen die beiden Deutschen mit.«

Diese Kunde wurde mit allgemeiner Freude aufgenommen, denn es hatte doch in der Möglichkeit gestanden, die Feinde eher als den Vater Jaguar zu sehen. Dieser letztere sah sich, indem er das Thal passierte, nach beiden Seiten scharf um und bemerkte gar wohl, daß die Thalränder noch nicht besetzt waren. Er hätte das für einen Ungehorsam nehmen können, doch kannte er seinen Geronimo so genau, daß er sich sagte, es müsse ein triftiger Grund zu dieser Unterlassung vorhanden sein. Als er am Ende des Thales angekommen war, sah er ihn hinter dem Felsen stehen und rief ihm schon von weitem zu:

»Ich will doch hoffen, daß die Krieger alle da sind?«

»Alle,« antwortete Geronimo.

»Wo?«

»Da, hinter mir am Bache.«

»Warum vermeidet ihr das Thal?«

»Weil diese deine beiden gelehrten Landsleute uns ausgerissen sind. Ich befürchtete, sie würden von den Abipones ergriffen werden und gegen dieselben plaudern. Darum hielt ich es für besser, deine Rückkehr zu erwarten. Ist das richtig oder falsch gewesen?«

»Richtig. Ich muß dich loben.«

Er war jetzt bei ihm angekommen und reichte ihm die Hand. Die Weißen drängten sich herbei, ihren zurückgekehrten Anführer zu begrüßen. Morgenstern und Fritze schlichen sich kleinlaut zur Seite. Es wäre ihnen lieb gewesen, für jetzt verschwinden zu können, um nicht durch Fragen belästigt zu werden; aber es gab einen, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als sofort an sie heranzutreten und ihnen lachend zuzurufen:

»Aber, Señores, was ist Ihnen denn eingefallen, daß Sie uns so ohne allen Abschied verlassen haben! Wir machten uns viel Sorge um Sie. Wie leicht konnten auch Sie von einer Riesenschildkröte verschlungen werden! Sie scheinen mit solchen uralten Tieren nun einmal kein Glück zu haben!«

Doktor Parmesan, der Chirurg, war es, der sie auf diese Weise empfing. Morgenstern zog es vor, zu schweigen; Fritze aber antwortete:

»Selbst wenn wir verschlungen worden wären, hätten wir keine Angst gehabt. Sie wären doch jedenfalls gekommen, um uns dem Tiere aus dem Leibe zu schneiden.«

»Ja, das hätte ich sicher gethan, vorausgesetzt, daß ich zu rechter Zeit von Ihnen benachrichtigt worden wäre. Sie wissen ja, mir ist kein Schnitt und keine Operation zu schwer; ich säble alles herunter! Natürlich sind Sie am Sumpfe der Knochen gewesen, Señor?«

»Ja. Eigentlich wollten wir hinauf in den Mond reiten, da aber sein erstes Viertel noch nicht voll. ist, hätte es uns am nötigen Platze gemangelt.«

»Da Sie sich in so fröhlicher Stimmung befinden, muß es Ihnen unterwegs sehr gut gegangen sein. Und wir befürchteten schon, daß Sie in die Hände der Abipones gefallen seien. Aber ein kleiner dunkler Punkt scheint doch dabei vorhanden zu sein: Wo sind denn nun eigentlich die Pferde, welche Sie mitgenommen haben?«

»Die sind von der Riesenschildkröte gefressen worden, von welcher Sie glaubten, daß sie uns verspeist habe. Wollen Sie Ihre berühmte Operation noch ausführen, so können Sie die armen Tiere vielleicht noch retten.«

Mit diesen Worten wendete er sich schnell ab und folgte seinem Herrn, welcher sich unter einem Baume, wo niemand sich befand, niedergesetzt hatte. Er nahm neben ihm Platz und sagte, jetzt natürlich in deutscher Sprache:

»So jeht es in der Welt: Wer den Schaden hat, braucht nicht für den Spott zu sorjen. Dieser Chirurjius wollte mir wahrscheinlich ärjern; aber es fällt mich jar nicht ein, mir in Harnisch bringen zu lassen. Freilich, daß wir die Pferde verloren haben, dat kann mir leid thun. Wat mir wundert ist, daß der Vater Jaguar uns eijentlich noch jar nicht richtig ausjezankt hat. Ist Ihnen dat nicht aufjefallen?«

»Warte nur! Er wird es schon nachholen, sobald er Zeit dazu findet.«

»Leider wird dat wohl richtig sind. Aber grämen Sie Ihnen nicht! Ik werde allens auf mir nehmen. Ik werde sagen, dat ik es bin, der die Jeschichte anjestiftet hat. Mir haben die Riesenknochen im Kopfe jelegen, und ik habe nicht jeruht, bis Sie mit mich davonjeritten sind.«

»Das geht nicht, Fritze. Ein solches Opfer kann ich von dir nicht annehmen.«

»Warum nicht?«

»Es ist gegen meine Ehre, lateinisch Honor genannt. Ich könnte mich nicht mehr selbst achten.«

»Wat? Wie? Wer verlangt es, daß Sie Ihnen selbst achten? Kein Mensch! Die Hauptsache ist, daß ik Ihnen achte und daß Sie auch von andern jeachtet werden. Wat aber Sie selbst von sich denken, dat ist von die allerjrößte Gleichjültigkeit. Ja, Sie haben überhaupt jar nichts von Ihnen zu denken! Ik bin Ihr Diener und Sie bezahlen mir. Und dafür soll ik nichts thun und sagen dürfen?«

»Laß es gut sein, lieber Fritze! Man würde deinen Worten doch keinen Glauben schenken. Freilich, wenn ich gewußt hätte, wie es kommen würde, so wäre es nicht geschehen. Es war eine Dummheit, die wir wohl schwerlich wieder gut machen können.«

»Nicht? Dat fragt sich sehr. Wir sind auch noch da. Ik weiß jenau, wie wir unsre Ehre wieder herstellen können.«

»Nun, wie?«

»Durch Tapferkeit.«

»in dem Kampfe, welcher zu erwarten ist?«

»Ja.«

»Du meinst, daß wir an demselben teilnehmen sollen?«

»Natürlich! Oder wollen Sie tapfer sein, wenn er vorüber ist?«

»Das würde nicht gut möglich sein. Ich bin nicht furchtsam; aber ein tapfrer Mensch ist zugleich ein blutiger Mensch, und Blut, lateinisch Sanguis genannt, möchte ich doch nicht gern vergießen.«

»So? Sie wollen die Menschen schonen, welche uns über den Zähnen der Krokodile aufjehängt haben? Es ist keine Sünde, sondern jeradezu eine Pflicht, solche Subjekte von der Erde zu vertiljen. Ik jebe Sie mein Wort, daß ik so viele von ihnen erstechen werde, wie mir vor die Hände kommen!«

»Ja, wenn dabei nur dieses entsetzliche Blutvergießen zu vermeiden wäre!«

»Nichts ist leichter als das. Schlagen Sie die Kerls tot! Erwürjen Sie ihnen! Dabei wird kein Blut verjossen.«

»Das ist wahr. Ich bin nicht zum Kriegshelden geboren; aber wenn ich daran denke, was dieser Gambusino, dieser Antonio Perillo und die andern schon mit mir beabsichtigten, so zuckt es mir freilich im Pugnus, wie lateinisch die Faust genannt wird.«

»So ist's recht; so muß es sind! In die Faust muß es zucken. Seien sie jescheit und foljen Sie mich; ik werde mit einem juten Beispiele vorangehen. Auch ik erinnre mir nicht, jemals ein Menschenfresser jewesen zu sind; aber solche Halunken müssen aus dieses Leben in dat jenseitije verschwinden!«

Während Fritze sich in dieser Weise Mühe gab, die Kampflust seines Herrn anzuregen, saßen die Weißen mit den hervorragenden Häuptlingen der Cambas beisammen, um zu erfahren, was Der Vater Jaguar erkundschaftet hatte. Als sie von ihm darüber aufgeklärt worden waren, fügte er hinzu:

»Ich bin überzeugt, daß sie uns in die Hände laufen werden. Wir brauchen uns keineswegs zu beeilen, denn nach meiner Ansicht können sie vor Mittag nicht hier eintreffen. Es bleibt dabei, daß hundert Mann von uns durch das Thal gehen und draußen vor demselben sich am Waldesrande verstecken. Geronimo wird diese Leute anführen. Im Thale selbst befehlige ich. Ich werde in der Mitte des Randes Stellung nehmen. Jedenfalls lagern sie sich, um auszuruhen. Dann komme ich hervor und gehe zu ihnen, um die Anführer aufzufordern, sich zu ergeben.«

»Das darfst du nicht, Karlos, das darfst du nicht!« entgegnete Geronimo schnell. »Das wäre mehr als verwegen; das würde tollkühn sein!«

»Nicht im mindesten! Ich weiß genau, was ich thue.«

»Das denkst du jetzt; später aber kommt es anders!«

»Nein, gewiß nicht. Es sind Militärs dabei, welche gewiß Ehrgefühl haben und solchen Halunken, wie die beiden Anführer sind, sicher nicht gehorchen.«

»Welche Anführer meinst du?«

»Benito Pajaro, den Gambusino, und Antonio Perillo. Ich habe die Entdeckung gemacht, daß der Gambusino der größte Schurke ist, den es geben kann, und werde es euch später ausführlich mitteilen. Wenn die Weißen, die er jetzt kommandiert, dies erfahren, werden sie sich augenblicklich von ihm lossagen. Deshalb muß ich mit ihnen sprechen. Hören sie mich an, so hoffe ich, daß es gar nicht zum Kampfe kommt.«

»Wenn sie dich aber nicht hören wollen oder dir nicht glauben?«

»So mag geschehen, was geschehen soll, ich habe dann meine Pflicht gethan.«

»Sie werden dich natürlich nicht fortlassen, sondern dich festnehmen!«

»Pah! Man nimmt mich nicht so leicht gefangen! In diesem Falle würde ich den Gambusino und Antonio Perillo augenblicklich niederschießen, und diese Schüsse werden für euch das Zeichen sein, loszubrechen.«

»Und dabei stehst du mitten unter ihnen! Nein, es ist zu kühn, zu verwegen!«

»Nicht nur zu kühn und zu verwegen, sondern noch etwas Schlimmeres,« fiel Lieutenant Verano ein. »Ich habe dem Señor Jaguar meine Meinung bereits gesagt, bin aber von ihm zurückgewiesen worden. Wozu diese Kerls schonen, noch dazu, wenn sich einer von uns dabei in die offenbarste Lebensgefahr begeben muß! Das sind sie alle nicht wert. Schießt sie nieder, wie sie kommen, und laßt keinen von ihnen am Leben! Das sind sie wert, Schonung aber nicht. Ich halte es, wenn nicht für eine Dummheit, so doch für eine große Unklugheit, sie als Menschen zu behandeln. Die Abipones sind wilde Tiere, und die Weißen, welche sich bei ihnen befinden, sind Schufte, und gegen Schufte und reißende Tiere darf man keine Nachsicht haben, sonst sticht und schneidet man sich in das eigene Fleisch. Was mich betrifft, so werde ich schießen, so bald die Kerls kommen.«

»Nein, sondern das werden Sie bleiben lassen, weil ich es Ihnen verboten habe und jetzt wieder verbiete,« antwortete der Vater Jaguar in strengem Tone. »Sie haben meine Meinung bereits gehört. Ich hoffe, daß es mir glückt, die beiden bisher feindlichen roten Stämme mit einander zu versöhnen; außerdem möchte ich den Gambusino und Antonio Perillo lebendig fangen, würde aber sehr wahrscheinlich beides nicht erreichen, wenn geschossen wird, bevor ich es befohlen habe.«

»Und wenn ich dennoch schieße?«

Hammer zog die Brauen finster zusammen und antwortete:

»So kommt das dann fließende Blut über Sie, und ich habe Ihnen bereits gesagt, daß es mir in diesem Falle gar nicht darauf ankommt, Ihnen eine Kugel in den Kopf zu geben.«

»Das heißt, mich zu ermorden?«

»Nein, sondern zu bestrafen. Handeln Sie gegen meinen Willen, so sind Sie ein Mörder, und ich brauche mir kein Gewissen daraus zu machen, Sie niederzustrecken. Übrigens braucht es ja gar nicht so weit zu kommen; es gibt noch andre Mittel, meinem Willen Geltung zu verschaffen.«

»Welche?«

»Ich lasse Sie einfach binden und so weit fortschaffen, daß Sie weder durch Schüsse noch durch voreilige Rufe uns zu schaden vermögen.«

»Das werden Sie wohl unterlassen, Señor, denn ich bin Offizier!«

»Hier nicht! Wir haben Ihnen das Leben gerettet. Sie sind ein Mensch, der uns Dankbarkeit schuldet; weiter können Sie für uns nichts sein. Und wenn Sie in der bisherigen Weise fortfahren, mich vermuten zu lassen, daß Sie meinen Plan in Frage stellen werden, so zwingen Sie mich, das zu thun, was ich Ihnen angedroht habe.«

»Dann schweige ich, Señor. Ich habe keine Lust, mich wie einen Verbrecher binden und forttransportieren zu lassen.«

Bei diesen Worten wendete er sich ab und schritt unmutig von dannen. Als er außer Hörweite gekommen war, ballte er die Faust und murmelte zornig vor sich hin:

»Einem solchen Menschen gehorchen zu müssen! Alle die Kerls vergöttern ihn, und er gebärdet sich mir gegenüber wie ein General, der einen Rekruten vor sich hat. Die Indianer schonen zu wollen, welch ein Blödsinn! Aber ich werde dennoch thun, was ich will. Niedergeschossen müssen sie werden. Ist's vorüber, dann können sie es nicht ändern, diese menschenfreundlichen Schwachköpfe. Also der erste Schuß soll das erste Zeichen zum Beginne des Kampfes sein. Dieser erste Schuß wird aus meinem Gewehre kommen.«

Der Vater Jaguar erläuterte nun seinen Plan in eingehender Weise und ging, als er damit fertig war und ein jeder nun wußte, was er zu thun hatte, zu dem Baume, unter welchem Doktor Morgenstern und Fritze noch immer saßen. Sie hatten es vorgezogen, entfernt zu bleiben, um nicht nach ihrem Abenteuer gefragt zu werden.

»Es ist die Zeit gekommen, unsre Stellungen einzunehmen,« sagte er zu dem kleinen Gelehrten. »Ich werde Ihnen die Ihrige anweisen.«

»Dat ist schön!« antwortete Fritze an Stelle seines Herrn. »Und wissen Sie, wohin wir so jern postiert sein wollen?«

»Nun?«

»Dorthin, wo es am jefährlichsten ist.«

»Warum? Woher diese plötzliche Kühnheit?«

»Plötzlich? Jott bewahre. Ik bin niemals plötzlich kühn, sondern ik bin stets tapfer. Und heut wollen wir die Scharte auswetzen, welche in uns hineinjesprungen ist. Uns mang die Krokodile aufzuhängen! Dat muß jerächt und jerochen werden. Ik werde unter ihnen hineinfahren, wie die Katze unter die Sperlinge, und der Herr Doktor will mich dabei hilfreich beistehen.«

»Unter die Feinde hineinfahren? Das werden Sie nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie keine Gelegenheit dazu haben werden. Meinen Sie, daß ich Sie zu denjenigen Personen beordern werde, welche an dem etwaigen Kampfe teilzunehmen haben?«

»Natürlich!«

»Das kann mir nicht einfallen. So lange Sie sich bei uns befinden, haben Sie nichts als Dummheiten gemacht, und ich müßte gewärtig sein, daß Sie auch heute nichts Gescheites zu wege bringen.«

»Herr Hammer, wollen Sie mir an meiner Ehre beschädigen? Ik will Rache haben!«

»Die sollen Sie haben, aber nicht durch die direkte Teilnahme am Kampfe. Ich gebe Ihnen einen Posten, an welchem Sie höchst wahrscheinlich keinen Schaden anrichten können. Ich sage höchst wahrscheinlich, denn gewiß ist es keinenfalls, daß Sie nicht auch da etwas Unmögliches aushecken.«

»So! Wo soll sich dieser Posten denn befinden?«

»Bei den Pferden, welche wir nicht mit in das Thal nehmen können. Sie müssen hier zurückbleiben, und sollen dieselben bewachen.«

»Bei die Pferde!« rief Fritze ganz enttäuscht aus. »Hirten sollen wir sind, aber keine Helden! Wat sagen Sie dazu, Herr Doktor?«

»Daß ich mich nur ungern füge,« antwortete der Genannte. »Wir wollten kämpfen und wären gewiß so tapfer gewesen wie jeder andre.«

»Möglich,« meinte der Vater Jaguar gleichmütig; »aber nach allem, was ich bisher von Ihnen gesehen und erfahren habe, könnte Ihre Tapferkeit den Freunden gefährlicher werden als den Feinden. Gerade darum trage ich Ihnen ein so friedliches Geschäft auf.«

»Und meinen Sie, daß wir zwei eine so große Anzahl von Rossen zusammenhalten können? Ich weiß nicht, ob ich behaupten darf, das Talent dazu zu besitzen.«

»Sie werden nicht allein sein, denn ich erteile fünf oder sechs Cambas den gleichen Auftrag. Hoffentlich kann ich mich, wenigstens dieses Mal, auf Sie verlassen, Herr Doktor?«

»Jawohl. Obgleich wir viel lieber als Krieger jekämpft hätten, werden wir, da Sie es so gern wollen, diese unsre Pflicht, lateinisch Officium genannt, erfüllen.«

»Gut! Sie haben nichts weiter zu thun, als darauf zu achten, daß keins der Pferde nach dem Thale läuft. Schwer kann Ihnen das nicht werden, da Sie auf die Unterstützung der Cambas rechnen können.«

Er ging. Es war aber klar, daß er nur die Absicht hegte, sie von dem Schauplatze des Zusammenstoßes fernzuhalten. Er traute ihnen nicht, sondern befürchtete, daß sie leicht wieder auf einen Schwabenstreich geraten könnten. Das fühlte Fritze sehr wohl, und er ärgerte sich so darüber, daß er seinem Herzen unbedingt Luft machen mußte.

»Sie haben doch studiert, Herr Doktor?« fragte er.

»Ja.«

»Und. sind auf einer Universität jewesen?«

»Auf dreien sogar.«

»Und jetzt sollen Sie die Pferde hüten! Lassen Sie dat Ihnen jefallen?«

»Was soll ich dagegen thun?«

»Welche Frage! Fühlen Sie denn nicht, daß Sie beleidigt sind? Während der dümmste Indianer mit der Flinte oder dem Messer in der Hand jejen den Feind jeht, wird ein studierter Mann und Zoolog zu die Pferde jeschickt!«

Die Erinnerung an den Zoologen war ein diplomatischer Kniff, welcher sofort die beabsichtigte Wirkung hervorbrachte. Der Doktor runzelte die Stirn und antwortete:

»Von dieser Seite habe ich diese Angelegenheit freilich noch nicht betrachtet. Es will allerdings den Anschein haben, als ob eine kleine Berechtigung zu dem Gedanken vorläge, daß ich nicht im vollsten Maße dasjenige besitze, was man mit dem Worte Mut bezeichnet.«

»Es hat nicht nur den Anschein, sondern es ist wirklich so!«

»Das wäre beinahe eine Beleidigung!«

»Beinahe? Es ist wirklich eine, und zwar die jrößte, die es für einen Mann jibt.«

»Dann müßte ich um Satisfaktion bitten!«

»Natürlich! Sie müssen sich mit diesem Beleidiger schießen oder schlagen. Ik wäre sehr jern bereit, mir Ihnen oft und manchmal als Sekundanten anzubieten, wenn ik nur überzeugt sein könnte, daß die Sache auch wirklich zu stande kommt.«

»Warum sollte sie nicht?«

»Warum? Darum! Der Vater Jaguar würde uns auslachen, Ihnen sowohl wie auch mir. Und wat könnten wir denn thun? Nichts, jar nichts! Aber es jibt einen andern Weg, uns Jenugthuung zu verschaffen und den Vater Jaguar zu zwingen, Abbitte zu leisten.«

»Welchen?«

»Wir thun so, als ob er uns jar nichts jesagt hätte. Wir lassen die Pferde Pferde sind und jehen mit in den Kampf.«

»Das wird er bemerken!«

»Nein, denn wir werden so klug sind, es heimlich zu thun.«

»Aber wir haben keine Waffen!«

»Ist auch jar nicht nötig. Sie wollen ja doch kein Blut verjießen. Wenn wir uns im Walde einen tüchtijen Knüppel abbrechen, haben wir Waffen jenug. Damit stellen wir uns nicht etwa hinten an, sondern vor, wo es tüchtig zu hauen jibt. Wenn der Vater Jaguar nachher sieht, wat wir jeschafft haben, so ist er moralischerweise jezwungen, Ihnen um Verzeihung zu bitten. Jefällt Ihnen dieser Plan?«

»Er scheint nicht übel zu sein. Beleidigt bin ich wirklich in hohem Grade, und meine gekränkte Ehre bedarf der Wiederherstellung, lateinisch Instauratio genannt.«

»Ja! Und diese Instauratio finden Sie bei den Pferden nicht. Machen Sie also mit?«

»Ich würde gern, sehr gern mitthun; aber ich habe dem Vater Jaguar doch versprochen, bei den Pferden zu bleiben.«

»Dat war ja nur Vorwand von ihm. Um die Pferde handelt es sich jar nicht, denn für die sind die Cambas da. Wir sollen nur vom Kampfe fernjehalten werden. Wat for eine Blamage! Wat müssen die Roten von Sie und von mich denken!«

»Alle Teufel, das ist wahr!« meinte Morgenstern mit bedeutend mehr Feuer als bisher. »Die Indianer müssen uns wirklich für alte Weiber halten. Fritze, ich billige deinen Plan; ich mache mit!«

»Jut! Wir werden wie die Löwen fechten und, wenn es sein muß, wie die Tiger unterjehen. Wehe dem, welcher an meinem Mute zweifelt; sein letzter Lebenstag hat ausjeschlagen!«

Somit war also die kleine Verschwörung gegen den Befehl des Vater Jaguar zu stande gebracht.

Ungefähr eine Stunde vor Mittag wurde Aufstellung genommen. Die Weißen setzten sich mit achtzig Cambas zunächst in Bewegung, um unter Geronimos Anführung draußen vor dem Thale sich zu verstecken. Die grasige Mitte des Thalkessels durfte nicht betreten werden, damit die Abipones keine Spur sehen möchten. Die Krieger bewegten sich, einer hinter dem andern, an dem Rande des Kessels unter den Bäumen hin und blieben auch, als sie das Thal verließen und sich rechts nach dem Walde wendeten, stets so hinter den Büschen, daß man von außen ihre Spuren nicht sehen konnte. Erst als der letzte von ihnen sich wohl zweihundert Schritte weit von dem Eingange entfernt hatte, blieben sie stehen, um die Ankunft der Feinde zu erwarten und dann ihre Pflicht zu thun. Sie sollten im Falle eines friedlichen Ausgleiches durch einen Boten abgeholt werden, sonst aber, sobald sie im Thale einen Schuß hörten, schnell hervorbrechen, um den Eingang desselben zu verschließen und mit Gewalt zu bewachen und zu verteidigen.

Die übrigen, lauter Rote, zählten über fünfhundert Mann. Sie hatten den Rand des Thales rundum zu besetzen, die eine Hälfte rechts und die andre links. Darum mußten sie zwei Abteilungen baden, deren eine nach rechts, die andre nach links abbog. Der Vater Jaguar befand sich auf der rechten Seite; darum gesellten Morgenstern und Fritze sich zu denen, welche die linke Seite offenbar zu besetzen hatten.

Die beiden kleinen Ungehorsamen drängten sich in ihrem Eifer so weit vor, daß sie, als die lange Linie sich nach einiger Zeit entwickelte und ein jeder seine Stellung genommen hatte, sich an der Spitze derselben befanden. Sie standen also ganz vorn, nahe dem Eingange des Thales, ohne daß der Vater Jaguar ihre Anwesenheit ahnte.

Außer ihnen gab es noch einen Weißen, welcher nicht mit Geronimo hinausmarschiert war, nämlich den Lieutenant Verano. Als man sich allgemein in Bewegung gesetzt hatte, war der Vater Jaguar zu ihm gekommen, um ihn zu fragen:

»Sie wissen, Señor, was ich Ihnen gesagt habe. Wollen Sie sich dennoch an unsrer Aufstellung beteiligen?«

»Ja.«

»So ersuche ich Sie, von jetzt an an meiner Seite zu bleiben.«

»Warum das?«

»Weil Sie Offizier sind und Ihr militärischer Rat mir von Nutzen werden kann.«

»Sie haben sich doch vorher nicht um meinen Rat gekümmert!«

»Weil es keine Gelegenheit gab, mir denselben zu nutze zu machen.«

»Ach so! Ich verstehe, Señor. Nicht mein Rat ist es, den Sie in Beschlag nehmen wollen, sondern es gilt meiner Person, welche unter Ihrer Aufsicht stehen soll, weil Sie mir nicht trauen. Nun, ich will nicht widerstreben und gehe mit Ihnen.«

Er hielt sich neben dem Vater Jaguar und blieb, als dieser die Mitte der rechten Stellung erreicht hatte, bei ihm stehen. Sein Gesicht hatte einen so gleichgültigen Ausdruck, daß es sehr leicht täuschen konnte, doch war er fest entschlossen, im passenden Augenblicke den verhängnisvollen Schuß zu thun.

Fritze drüben auf der andern Seite ließ sich von einem der Cambas ein Messer geben und schnitt zwei starke Knüppel aus einem Strauche, von denen er einen seinem Herrn gab.

»So,« sagte er mit vergnügtem Lächeln, »wer mit diesem Ausrufe- und Erinnerungszeichen einen Hieb auf den Kopf bekommt, der findet sicher keine Zeit, sich extra dafür zu bedanken.«

Die Roten wußten nicht, welche Aufgabe die beiden erhalten hatten, und waren ihnen darum nicht hinderlich gewesen, mit ihnen zu gehen. Fritze brannte vor Begierde, seine hölzerne Waffe in Anwendung zu bringen, und auch der Doktor wünschte sehr, bald beweisen zu können, daß es ihm keineswegs an Mut gebreche. Darum kamen ihnen die Minuten, welche sie warten mußten, fast wie Stunden vor, und Fritze meinte schließlich, indem er die dichten Büsche betrachtete, welche sich hinter ihm zur Höhe zogen:

»Mich wird die Zeit zu lang und die Jeduld zu kurz. Wat meinen Sie? Könnten die Abipones nicht ein wenig rascher laufen?«

»Allerdings. Diese gespannte Erwartung ist unangenehm.«

»Wenn wir wüßten, ob sie bald kommen! Gleich neben uns ist der Einjang zum Thale. Könnten wir da auf die Höhe steigen, so müßten wir die Feinde kommen sehen.«

»Das ist wahr. Aber die Büsche scheinen zu dicht zu stehen.«

»Wollen's doch mal versuchen. Wir sind kleine Kerls und kommen wohl leichter durch als andre, welche wie Ihre Gigantochelonia jebaut sind.«

»Sprich nicht wieder von diesem Tiere; ich mag nichts von demselben hören!«

Fritze kroch voran, um Bahn zu brechen, und sein Herr folgte ihm. Es war sehr schwer, durch das feste Dickicht zu kommen, aber doch nicht unmöglich. Nach längerer Anstrengung erreichten die beiden, freilich mit ziemlich zerfetzten Anzügen, die Höhe des Felsens, welcher die eine Seite des Einganges bildete. Oben standen auch Bäume und Sträucher; aber die auswärts nach der Ebene gerichtete Seite des Felsens war ziemlich kahl. Kaum oben angelangt und die Blicke nach Osten gerichtet, sahen sie die Erwarteten kommen, langsam, so wie Fußgänger marschieren, welche sich nicht übermäßig ermüden wollen.

»Da sind sie! Jott sei Dank, da sind sie endlich!« rief Fritze aus, indem er vor Freude seine Hände wie ein Kind zusammenschlug. »Wat sagen Sie dazu, Herr Doktor?«

»Mir ist's lieb, daß sie kommen. Das Warten hat mir nicht gefallen.«

»Mich auch nicht. Sie jehen ihrem Verderben entjejen. Wehe, wenn ick losjelassen! sagt Schiller im Liede von die Glocke, wat sich freilich auf dat Feuer bezieht; aber ick bin ebenso fürchterlich, wenn ick einmal losjelassen werde. Zweimal haben sie uns ermorden wollen; dat letztemal sojar doppelt, mit die Lassos und mit die Krokodile. Heut jeben wir ihnen dafür die Verdienstmedaille mit Brillanten auf die Köpfe. Sie kommen immer näher und bald werden wir ihre lieben Gesichter sehen können.«

Von da oben aus, wo die beiden Lauscher hinter den Sträuchern lagen, konnte man nicht nur weit hinaus in die Ebene blicken, sondern auch nach innen das ganze Thal übersehen. Dieses letztere lag so still, ruhig und unbelebt da, als ob sich kein einziges menschliches Wesen in der Nähe befinde. Draußen kamen die Abipones immer näher, voran die fünfzig Reiter. Schon konnte man die einzelnen Gesichter unterscheiden.

»Können Sie die Leute sehen?« fragte Fritze. »Sehen Sie, wer an der Spitze reitet? Kennen Sie ihn, den obersten aller Halunken?«

»Ja; es ist der Gambusino.«

»Und rechts neben ihm?«

»Antonio Perillo, der Stierkämpfer, welcher schon in Buenos Ayres nach mir geschossen hat.«

»Dafür wird heut ein wenig nach ihm jeschossen werden, wat ihm wohl weniger jut bekommen dürfte. Und neben ihm links?«

»Der Häuptling der Abipones.«

»Auch so ein Halunke, der nur Freude hat, wenn er ehrliche Leute am Lasso hängen sieht. Vielleicht hänge ick ihn nachher auch ein wenig auf. Aber wir müssen leiser reden, sonst hören sie uns, wenn sie da unten anjekommen sind.«

Diese Mahnung war ganz am rechten Platze, denn die Felsen, welche das Thor zum Thale bildeten und auf deren einem sich die beiden befanden, waren höchstens zwanzig Ellen hoch. Wie bereits erwähnt, hielt der Zug am Thore an und der Häuptling ritt ein Stück in das Thal hinein, um zu untersuchen, ob dasselbe leer sei. Seine Untersuchung war eine höchst oberflächliche. Da er keinen Menschen sah, so nahm er an, daß überhaupt keiner vorhanden sei und kehrte zurück, um dies zu melden. Dann setzte er sich an die Spitze seiner Roten, um sie in den Kessel des ausgetrockneten Sees einzuführen.

Sie folgten ihm bis an den kleinen See, welcher in der Mitte lag, und breiteten sich an dem Ufer desselben aus. Keiner von ihnen ahnte, daß er sich in einer Falle befand, aus welcher es kein Entrinnen gab. Als der letzte der Roten durch den Eingang geschritten war, folgten die Reiter.

»Der Gambusino will den letzten machen,« flüsterte Fritze dem Doktor zu. »Schade, daß wir zu hoch hier liejen! Ick möchte ihm jar zu jerne einen Klapps auf die Nase jeben!«

Er schwang seinen Knüppel und Morgenstern machte mit dem seinigen auch eine Bewegung, als ob er zuschlagen wolle. Der Busch, hinter welchem sie lagen, hatte seine Wurzeln jahrelang tief in den Boden eingeschlagen; davon und durch den Einfluß des Wetters war der Boden rissig und brüchig geworden. Gerade unter ihnen hielt der Gambusino auf seinem Pferde; jetzt drängte sich dasselbe näher an den Felsen; der Reiter war nicht mehr zu sehen; darum schob sich Morgenstern neugierig noch weiter vor, wobei er leise fragte:

»Ob er schon durch den Eingang ist?«

Die Antwort auf diese Frage sollte ihm ganz anders werden, als er gedacht hatte und ihm lieb sein konnte. Er hatte sich nämlich zu weit vorgeschoben und dem lockern Boden zu viel Vertrauen geschenkt; dieser letztere kam ins Rutschen und zwar so schnell, daß von einem rechtzeitigen Zurückweichen gar keine Rede mehr sein konnte; der Doktor rutschte mit.

»Halt, Halt! Um Jottes willen!« rief Fritze vor Angst so laut, daß man es weithin hörte. »Wohin soll die Reise jehen? Doch nicht etwa da hinunter! Dat jebe ick nicht zu!«

Er faßte seinen Herrn an den beiden Beinen, um ihn zu halten; da aber die Erde nun auch unter ihm nachgab, kam auch er ins Rutschen, und so glitten, rollten und kugelten sie, ohne daß sie losließen, bald hier an einen Busch bald dort an einen Baumstamm stoßend, den Felsen, welcher auf dieser Seite glücklicherweise nicht steil war, hinab und blieben gerade vor dem Pferde des Gambusino liegen.

Dieser war mit Antonio Perillo und dem Hauptmann Pellejo noch allein zurück, da die andern Weißen schon innerhalb des Einganges verschwunden waren. Er hörte den Angstruf des Dieners über sich, blickte empor und sah die beiden verunglückten Lauscher von oben heruntergeflogen kommen. Sie blieben, wie bereits gesagt, gerade vor ihm liegen und vergaßen infolge der kräftigen Stöße, welche sie erlitten hatten, für kurze Zeit das Aufstehen.

»Wer ist denn das?« fragte er erstaunt. »Wo kommen die her? In ganz roter Kleidung! Die sollte ich doch kennen!«

»Qué sorpresa!« antwortete Antonio Perillo. »Ich will des Teufels sein, wenn das nicht unsre Gefangenen sind, welche wir gestern vergeblich aufgehängt haben.«

»Du hast recht; sie sind es. Sonderbare Menschen! Gestern verschwanden sie, ohne eine Spur zu hinterlassen, und heut fallen sie gerade vom Himmel herunter. Heda, ihr Halunken, seid ihr tot oder lebt ihr noch?«

Er stieß sie vom Pferde herab mit seinem Gewehrkolben so derb an, daß sie aus ihrer augenblicklichen Betäubung erwachten. Fritze nahm sich am schnellsten zusammen; er befühlte seine Glieder und hob, als er dieselben unzerbrochen fand, seinen Herrn auf.

»Wie ist's abgelaufen?« fragte er ihn, die Todfeinde gar nicht beachtend. »Hat Ihr Körper jut zusammenjehalten, oder sind ein paar Gelenke zerrissen?«

Der Doktor befühlte sich auch und antwortete dann:

»Es scheint nichts zerbrochen zu sein, aber der Kopf brummt mir wie eine Pauke, lateinisch Tympanum genannt.«

»Dat jibt sich wieder. Wie sind Sie nur ins Rollen jekommen?«

»Ganz so wie du, der du doch auch –«

»Schweigt!« fuhr sie der Gambusino an. »Jetzt habe nur ich mit euch zu sprechen, und zwar ein sehr ernstes Wort. Wo seid ihr denn gestern abend hingekommen?«

»Hierher,« antwortete Fritze.

»Das sehe ich! Aber wer hat euch losgebunden?«

»Niemand.«

»Lüge nicht! Von selbst konntet ihr nicht loskommen.«

»O doch, sehr leicht!«

»Auf welche Weise?«

»Wir haben uns losgebissen.«

»Mensch, wenn du so gute Laune hast, daß es dir beikommt, Scherz mit mir zu treiben, so will ich dich bald in eine andre Stimmung bringen! Ich will wissen, wer euch befreit hat!«

»Und ich kann nichts anders antworten, als was ich schon gesagt habe. Wir haben uns selbst losgemacht.«

»Auf welche Weise?«

»Fällt mir nicht ein, dies zu verraten!«

»Wenn du nicht reden willst, werde ich dir den Mund öffnen!«

»Auch dann sage ich nichts. Wenn ich es erklärte, und ihr hängt uns wieder auf, könnten wir dann nicht herunter, denn ihr würdet euch besser vorsehen.«

»Ist das etwa wieder Hohn? Ich weiß, wer euch befreit hat. Ist's nicht der Vater Jaguar gewesen?«

»Seid jetzt nicht so neugierig! Später werden wir es euch erzählen.«

Er nahm seinen Herrn bei der Hand und eilte mit ihm fort, zum Felsenthor hinein. Antonio Perillo zog seine Pistole und wollte ihnen nach, um sie zum Stehenbleiben zu zwingen, aber der Gambusino meinte, indem er höhnisch auflachte:

»Laß sie nur! Sie entgehen uns nicht. Sie scheinen nicht zu wissen, daß sich die Krieger schon hier befinden und werden arg erschrecken, wenn sie dieselben sehen.«

»Mir fällt ein Stein vom Herzen!« fiel Perillo in das Gelächter ein. »Jetzt werden wir bald erfahren, was wir über ihr rätselhaftes Verschwinden zu denken haben und es wird uns das Vergnügen, sie noch einmal aufhängen zu können. Reiten wir ihnen nach!«

Sie folgten den Vorangeflohenen. Der Hauptmann Pellejo machte den Letzten. Als sie das Thor hinter sich hatten, sahen sie den Doktor und seinen Diener eben rechts hinter den nächsten Büschen verschwinden. Zu gleicher Zeit aber sahen sie noch etwas oder vielmehr noch jemand, das heißt, einen Menschen, welcher nicht verschwand, sondern erschien. Er trat soeben am linken Rande des Thales unter den Bäumen hervor. Wer ihn einmal gesehen hatte, der mußte ihn stets und überall wieder erkennen.

»Todos los diablos!« rief der Gambusino. »Das ist der Vater Jaguar!«

Er hielt unwillkürlich sein Pferd an, und die andern beiden thaten mit den ihrigen dasselbe. Da sahen sie hinter dem Vater Jaguar ein leichtes Rauchwölkchen erscheinen, und im nächsten Augenblicke krachte ein Schuß. Was nun geschah, kann unmöglich im zehnten, ja nicht im fünfzigsten Teile der Zeit erzählt werden, in welcher es sich abspielte.

Der Vater Jaguar war von allen, welche auf das Nahen der Feinde warteten, der ruhigste gewesen. Er wußte, woran er war. Und dann, als der Häuptling der Abipones im Thale erschien und allen Cambas das Herz klopfte, bewahrte er dieselbe Ruhe. Er lehnte am Stamme eines Baumes und beobachtete durch das Gebüsch, welches er vor sich hatte, den Anmarsch der Feinde. Aber eben dieses Gebüsch, welches so dicht sein mußte, daß es ihn verbarg, verhinderte ihn, genau zu sehen. Er konnte die Gesichtszüge der einzelnen, oft sogar selbst ihre Gestalten, nicht erkennen. Er sah erst die Roten kommen, dann die weißen Reiter, und als hierauf der Zuzug stockte, weil der Gambusino, Perillo und Pellejo draußen geblieben waren, glaubte er, daß nun alle im Thale versammelt seien. Darum sagte er zu dem Lieutenant Verano:

»Bleiben Sie stehen, bis ich wiederkomme. Sollte ich aber schießen, so können Sie mit Ihren Kugeln so viele Abipones niederstrecken, wie Ihnen beliebt.«

Er trat aus dem Gesträuch hervor, um sich nach dem Mittelpunkte der Feinde zu begeben. Zwar sah er in diesem Augenblicke erst den Gambusino mit seinen beiden Begleitern erscheinen; aber er konnte unmöglich wieder zurück. Verano aber hielt seine Zeit für gekommen. Er hob sein Gewehr, legte es an, zielte auf den Häuptling der Abipones und drückte ab. Der Schuß krachte und der Häuptling stürzte, durch den Kopf getroffen, am Wasser nieder. Eine halbminutenlange Pause des Entsetzens folgte; dann erhoben die Abipones ein Geheul, welches von den Wänden des Thales widerhallte. Der Vater Jaguar wendete sich, als der Schuß hinter ihm krachte, blitzschnell um. Er sah den Lieutenant mit noch erhobenem Gewehre stehen und stand nach einigen raschen Sprüngen neben ihm.

»Schurke, Verräter, Mörder!« donnerte er ihn an. »Ist das der Gehorsam, den ich von dir forderte!«

»Ich habe keinem Menschen zu gehorchen,« antwortete der Mann trotzig.

»Auch Gott nicht, welcher den Mord verboten hat? Und du bist nicht ein einfacher, sondern ein Massenmörder!«

»Ich habe nur den Häuptling erschossen!«

»Nein, denn dein Schuß ist das Signal zu sechshundert andern. Horch!«

Von beiden Seiten des Thales krachten die Schüsse der Cambas unter den Bäumen hervor. Man sah die Abipones in Masse niederstürzen, und vom am Eingange rief eine laute, donnernde Stimme:

»Flieht, rettet euch! Ihr seid von allen Seiten umzingelt!«

Es war der Gambusino, welcher diese Worte mit solcher Stimme rief, daß sie über das ganze Thal hin schallten. Dann warf er sein Pferd herum und jagte hinaus. Antonio Perillo und der Kapitän Pellejo folgten ihm. Dies geschah, während der Vater Jaguar seine letzten Worte zu dem Lieutenant gesprochen hatte; darum fuhr er ergrimmt fort:

»Schon sind wenigstens hundert tot, und dort entkommen diejenigen, die ich haben wollte und haben muß. Ich habe dir gesagt, wie ich einen solchen Mord bestrafen würde; du aber hast nicht auf meine Warnung gehört. Hier, nimm deinen Lohn!«

Er riß den Revolver hervor, hielt ihn dem Lieutenant blitzschnell an die Schläfe und drückte ab. Der Ungehorsame brach augenblicklich tot zusammen. Dann warf der gewaltige Mann einen schnellen Blick über das Thal. Eben krachte eine neue Salve der Cambas, welche zehnfach gefährlich waren, weil sie von den Abipones nicht gesehen werden konnten und die letzteren stürzten zu zehn und zwanzig zusammen. Was sollte er thun? Den Gambusino und Antonio Perillo, auf welche es hier ankam, entkommen lassen oder hier bleiben, um dem Morden Einhalt zu thun? Da eben kam Geronimo mit den Seinen durch den Eingang gestürmt; das brachte ihn schnell zur Entscheidung. Er rannte auf eins der Abiponespferde zu, welche, von den Schüssen erschreckt, scheu im Thale herumrannten, und sprang auf. Zu gleicher Zeit mit ihm kam der alte Anciano mit geschwungenem Gewehre gesprungen, warf sich auf ein zweites und rief ihm dabei zu:

»Señor, Antonio Perillo, der Mörder meines Inka, entkommt. Ich muß ihm nach, muß ihn haben!«

»Ich reite mit,« antwortete er. »Halte dich zu mir!«

Sie jagten nebeneinander nach dem Eingange zu. Dort hielt der Vater Jaguar sein Pferd für einen Augenblick an und rief seinem Geronimo zu:

»Hast du die drei fliehenden Reiter gesehen?«

»Ja. Wir konnten sie nicht halten, da wir keine Pferde hatten.«

»Nach welcher Seite haben sie sich gewendet?«

»Nach links, vom Thale aus.«

»Thu schnell dem Blutvergießen Einhalt! Der Kampf mag ruhen, wenigstens bis ich wiederkomme!«

Dann schoß er mit dem alten Anciano zwischen den beiden Felsen hindurch und riß sein Pferd nach links herum, wo er die Spuren der Flüchtigen im Grase sah.

Von dem Augenblicke an, wo der Gambusino seine Warnung ausgerufen und das Thal verlassen hatte, bis zum gegenwärtigen Moment waren höchstens zwei Minuten vergangen und doch waren die Gestalten der drei Reiter schon fast am nördlichen Horizonte zu sehen. So sehr beeilten sie sich und so groß war ihre Furcht vor dem Vater Jaguar!

»Wir holen sie nicht ein, denn wir haben fremde Pferde, welche nichts taugen,« knirschte der Anciano.

»Wir holen sie ein, denn wir müssen sie haben. Gib deinem Gaul das Messer! Mag er immer sterben, wenn er dich nur bis zu ihnen trägt!«

Die beiden standen, um ihre Last zu verringern, mit vorgebeugten Oberkörpern hoch in den Bügeln und trieben ihre Pferde durch Schläge und Sporen an. Der Zwischenraum verringerte sich, aber nicht rasch genug. Da zog der Vater Jaguar sein Messer und stach seinem Pferde die Spitze desselben in das Fleisch. Er, der Tierfreund, welcher sich sogar hütete, einem Wurme Schmerzen zu bereiten, quälte jetzt das Pferd, um seinen Todfeind zu erreichen, den er so lange Jahre vergeblich gesucht hatte und nun wieder aus den Augen verlieren sollte. Anciano bediente sich desselben Mittels, und die armen Tiere strengten ihre Kräfte auf das äußerste an. Sie flogen nur so über den ebenen, grasigen Plan, parallel mit dem Rande des Waldes, welcher sich von dem Thale des ausgetrockneten Sees aus nach Norden erstreckte. Der Zwischenraum verringerte sich mehr und mehr und die Fliehenden verloren zusehends den Vorsprung, den sie gehabt hatten.

»Wenn man ihnen ihre Pferde unter den Beinen wegschießen könnte!« seufzte Anciano.

»Leichtigkeit!« antwortete der Vater Jaguar.

»Leichtigkeit? Ich halte es für unmöglich.«

»So hast du mich noch nicht schießen sehen.«

»Dann bitte ich dich dringend, es doch zu thun!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Warum?«

»Weil es die größte Dummheit wäre, welcher ich mich schuldig machen könnte.«

»Das begreife ich nicht. Wir könnten sie doch sofort festnehmen!«

»Nein, sondern sie würden uns gerade im Gegenteile entkommen. Sie würden sich zu Fuße in den Wald retten und dieser ist so dicht, daß wir die Verfolgung sogleich aufgeben müßten. Ich begreife überhaupt nicht, warum sie nicht schon längst die Pferde preisgegeben und sich in den Wald gerettet haben. So lange sie im Sattel bleiben, bin ich sicher, sie einzuholen. Wir müssen also versuchen, sie vom Walde abzubringen und in den offenen Campo hinauszutreiben.«

Er hielt sein Pferd mehr nach links, bis er dicht am Waldesrande dahinjagte, und Anciano folgte diesem Beispiele. Da ereignete sich vor ihnen etwas, was nur wenige Augenblicke in Anspruch nahm und sie dennoch mit Grauen erfüllte.

Die drei Verfolgten ritten nämlich nicht neben, sondern in verschiedenen Abständen hinter einander. Der Hauptmann Pellejo war voran, denn er hatte das beste Pferd; dann kam Antonio Perillo, und endlich folgte der Gambusino, dessen Pferd am ermüdetsten war, weil es einen so schweren Reiter zu tragen hatte. Bei jedem mal, daß er sich umsah, bemerkte er, daß die Verfolger ihm wieder näher gekommen waren. Wenn das nur noch fünf Minuten so fortging, so hatten sie ihn eingeholt, denn er sah nicht nur, sondern er fühlte auch, daß ihn sein Pferd nur noch eine kurze Strecke zu tragen vermochte. Sollte er sich verloren geben? Nein! Lieber ein Menschenleben opfern! Er zog also sein Messer und stieß die Klinge desselben dem Pferde bis an das Heft in den Leib. Das verwundete Tier nahm seine letzte Kraft zusammen und jagte mit verdoppelter Geschwindigkeit weiter. Der Gambusino jagte infolgedessen an Antonio Perillo vorüber und holte dann den Hauptmann ein.

»Señor, Euer Pferd!« herrschte er diesen an. »Springt herab; ich muß es haben!«

»Was fällt Ihnen ein!« antwortete der Offizier. »Soll ich mich etwa fangen lassen?«

»Ich habe keine Zeit, mit dir zu verhandeln. Fahre hin, du Schwachkopf!«

Er hatte das Gewehr zu diesem Zwecke schon in der Hand gehalten und schoß Pellejo, ehe dieser sich zu wehren vermochte, eine Kugel in die Seite. Der Getroffene wankte, griff aufschreiend mit beiden Händen in die Luft, wollte sich vergeblich halten und stürzte vom Pferde. Der Gambusino hatte dasselbe im Nu beim Zügel, hielt an, schwang sich hinüber und jagte dann weiter.

»Haben Sie es gesehen?« rief Anciano dem Vater Jaguar zu. »Er hat seinen Gefährten erschossen!«

»Um zu dessen Pferd zu kommen. Es soll ihn aber nichts nützen, daß er einen Mord mehr auf sein Gewissen geladen hat.«

Sie erreichten jetzt die Stelle, an welcher Pellejo lag. Er war nicht tot und rief ihnen zu:

»Ich kann Sie aufklären. Erbarmen Sie sich meiner!«

Sie verstanden im Vorüberjagen diese Worte, konnten sie aber nicht beachten, da ihnen an Pellejo weniger lag als an den beiden andern. Der Gambusino hatte jetzt das bessere Pferd; da er aber viel schwerer war als der bisherige Reiter, so blieb er nicht im Vorsprung, sondern die beiden Pferde jagten Kopf an Kopf nebeneinander hin. Jetzt sah er sich wieder um und erschrak.

»Cascaras!« schimpfte er grimmig. »Die Schufte sind uns auf den Fersen und wollen uns vom Walde abbringen. Ich habe den Kapitän vergeblich getötet, denn wir müssen in den Wald, sonst sind wir verloren. Stecke alles, was du in den Satteltaschen hast, zu dir und dann herab von den Pferden und ins Gesträuch hinein!«

Perillo sagte kein Wort, denn er wußte, daß der andre recht hatte. Sie leerten die Satteltaschen, lenkten ihre Pferde schräg dem Walde zu, sprangen, als sie diesen erreicht hatten, ab und jagten in das Dickicht hinein. Perillo wollte rasch tiefer eindringen; der Gambusino aber hielt ihn am Arme zurück und gebot:

»Bleib! Hier sind wir so sicher wie in Abrahams Schoß. Meinst Du, daß dieser Vater Jaguar sich heranwagt und unsern Kugeln aussetzt? Dazu ist er viel zu schlau. Nur ein unerfahrener Knabe könnte das thun.«

Sie standen also hinter dem vorderen Gebüsch, hielten ihre Gewehre schußbereit und lauschten angestrengt zurück, ob sie die Nahenden sehen oder hören würden. Sie bekamen aber nichts zu sehen und es blieb draußen so still und ruhig, als ob kein Mensch da vorhanden sei.

»Siehst du, daß ich recht habe,« meinte der Gambusino. »Sie hüten sich sehr, heranzukommen.«

»Dann scheinen wir gerettet zu sein. Ich begreife überhaupt nicht, warum wir uns so einschüchtern ließen; wir waren drei Personen und sie nur zwei. Sie konnten sich auch draußen nicht an uns wagen, denn wenn sie in Schußweite herangekommen wären, hätten wir sie von den Pferden schießen können.«

»Das sagst du, weil du diesen Vater Jaguar nicht kennst. Er besitzt nicht nur so außerordentliche Körperkräfte, daß selbst ich im Ringkampf mit ihm unterliegen würde, sondern ist auch der beste Schütze, den ich kenne. Man hat nie gehört, daß er einen Fehlschuß gethan hat und damals, als ich ihn kennen lernte, war seine Büchse als die weittragendste bekannt. Er hat sie jedenfalls noch. Hätten wir ihn draußen erwartet, so wären wir von seinen Kugeln viel eher erreicht worden, als er von den unsrigen. Das ist so sicher, daß ich es beschwören kann. Es gab für uns nur den einen Rettungsweg, den wir auch eingeschlagen haben, nämlich uns hier in den Wald zu flüchten, in welchen er uns nicht folgen kann, da wir da vollständige Deckung haben und jeden Feind, welcher seine Annäherung durch das dabei unvermeidliche Geräusch verraten müßte, niederschießen würden.«

»Du magst recht haben. Wir können hier ruhig abwarten, bis die beiden Kerls sich entfernt haben, und reiten dann weiter.«

»Weiterreiten? Darauf müssen wir verzichten.«

»Wieso?«

»Weil wir keine Pferde haben werden.«

»Sie stehen doch draußen! Wir sehen sie von hier. Sie sind, als wir absprangen, nur eine kleine Strecke weiter gelaufen.«

»Das weiß ich wohl, denn ich sehe sie ebenso gut wie du. Aber denke ja nicht, daß der Vater Jaguar so dumm sein wird, sie uns zu lassen. Wir werden den größten Teil des weiten Weges nach der Barranca del Homicidio zu Fuße zurücklegen müssen. Horch! Da siehst du, daß ich recht gehabt habe.«

Es waren nämlich draußen soeben zwei Schüsse gefallen, worauf die beiden Pferde, von den Kugeln Hammers getroffen, tot niederstürzten. Der Gambusino hatte den Vater Jaguar ganz richtig beurteilt. Dieser letztere wußte ganz genau, wie er unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu handeln hatte. Als die beiden Flüchtlinge von ihren Pferden sprangen und im Walde verschwanden, hatte der alte Anciano fröhlich ausgerufen:

»Sie sehen ein, daß wir sie einholen werden und verstecken sich in den Büschen. Jetzt haben wir sie. Wir müssen ihnen nach, schnell hinter ihnen her!«

Er wollte sein Pferd zu möglichst noch größerer Eile antreiben, um die Stelle, an welcher die beiden verschwunden waren, schnell zu erreichen; aber Hammer, welcher eng neben ihm ritt, griff ihm in die Zügel, und es gelang ihm, die Pferde nach einigen Sätzen anzuhalten.

»Was fällt dir ein!« sagte er. »Willst du direkt in den Tod reiten? Wir müssen anhalten.«

»Anhalten?« fragte der Alte erstaunt. »Dann entgehen sie uns ja! Sie werden trotz der Dichtheit des Waldes so tief in denselben eindringen, daß es uns unmöglich ist, sie zu finden.«

»Nein, das werden sie nicht. Ich wette, sie sind am Rande des Gebüsches stehen geblieben, um uns, mit den Gewehren in den Händen, zu erwarten. Wenn wir uns ihnen nähern, bekommen wir ihre Kugeln.«

»Das ist wahr, Señor; daran dachte ich nicht. Aber sollen wir diese Halunken entkommen lassen?«

Der Vater Jaguar antwortete nicht sofort. Sein Gesicht nahm den Ausdruck grimmiger Entsagung an. Er blickte eine Weile finster vor sich nieder und sagte dann, indem das zornige Knirschen seiner Zähne zu hören war:

»Es bleibt uns wohl nichts andres übrig, als unverrichteter Sache zurückzureiten.«

»Aber ich will und muß diesen Antonio Perillo, diesen Mörder haben!«

»Und ich will und muß den Gambusino erreichen; aber wenn wir uns zur Unvorsichtigkeit hinreißen lassen, werden sie uns bekommen, anstatt wir sie.«

»Gibt es denn kein Mittel, keinen Weg, Señor? Sie sind so erfahren, so listig. Sie sind niemals um eine Auskunft verlegen. Sollten Sie gerade jetzt, wo es sich um alles handelt, wo wir schon so nahe am Ziele waren, von Ihrem Scharfsinne verlassen werden?«

»Nein, doch nicht so ganz, wie du denkst,« antwortete Hammer, indem sein Gesicht sich wieder aufzuheitern begann. »Wir müssen sie laufen lassen, aber doch nur einstweilen. Wir kennen den Ort, an welchem sie sich jetzt befinden, und werden ihrer Fährte folgen.«

»Aber dies können wir doch nicht jetzt, sondern erst später thun!«

»Allerdings. Jetzt müssen wir nach dem Thale zurückkehren, wo meine Anwesenheit zunächst notwendiger sein wird als hier.«

»Dann kommen die beiden Schurken hervor, setzen sich auf ihre Pferde und reiten davon, sie erhalten dadurch einen Vorsprung, welchen wir nicht einholen können.«

»Sie werden nicht reiten können, sondern gehen müssen. Dafür sorge ich jetzt.«

Er legte sein Doppelgewehr an und richtete es nach der Stelle, an welcher die Pferde der Flüchtlinge standen. Die beiden Kugeln trafen so genau, daß die Tiere sofort niederstürzten. Dann fuhr er fort, indem er gleich wieder lud:

»Übrigens ist es vielleicht gar nicht nötig, daß wir ihren Spuren mühsam folgen. Hast du gehört, was Hauptmann Pellejo uns zurief, als wir an ihm vorüberjagten?«

»Ja.«

»Er scheint in die Pläne seiner Kumpane eingeweiht zu sein und wird sich rächen wollen, indem er sie uns verrät. Vielleicht ist er nicht zu Tode getroffen. Wenn er noch lebt, werden wir vielleicht Wichtiges von ihm hören. Laß uns also umkehren.«

Er wendete sein Pferd um, ohne noch einmal zurückzublicken. Anciano aber folgte ihm nicht eher, als bis er die Faust drohend gegen die Stelle geschüttelt hatte, an welcher die entkommenen Feinde zu vermuten waren. Er, der sonst so ruhige und bedächtige Greis, zitterte fast vor Grimm darüber, daß die erst so viel versprechende Verfolgung ein solches Ende genommen hatte.

Als sie sich im Galoppe der Stelle näherten, wo Pellejo vom Pferde gestürzt war, sahen sie, daß er seinen Oberkörper mühsam erhob und ihnen zuwinkte. Er lebte also noch. Sie hielten bei ihm an und stiegen von ihren Pferden. Er lag in einer Blutlache und hielt die Hand auf die Wunde, als ob er dadurch das entfliehende Leben zurückhalten könne. Der Vater Jaguar sah es seinem todesbleichen Gesichte und den schon starr werdenden Augen an, daß jede Hilfe hier vergeblich sei; dennoch kniete er bei dem Verwundeten nieder und schnitt die Kleidung desselben auf, um die Wunde zu untersuchen.

»Geben Sie sich keine Mühe, Señor,« sagte Pellejo mit schwacher Stimme. »Ich fühle, daß die Kugel im Leben sitzt. Haben Sie gesehen, daß ich von dem Gambusino meuchlerisch vom Pferde geschossen wurde?«

»Ja. Er, der Ihr Verbündeter war, ist zum Mörder an Ihnen geworden. Ich sehe, daß es keine Rettung für Sie gibt. Sie haben nur noch wenige Minuten zu leben. Wollen Sie Ihr Gewissen erleichtern? Haben Sie einen Wunsch, den ich Ihnen vielleicht erfüllen kann?«

»Einen Wunsch – –? ja!« antwortete der Gefragte, indem sein Auge für einige Sekunden neues Leben bekam.

»So teilen Sie ihn mir mit!«

»Rache!«

»An dem Gambusino?«

»Ja. Rächen Sie meinen Tod, Señor!«

»Ich will es thun. Auch ich habe eine schwere Rechnung mit dem Gambusino und werde den an Ihnen begangenen Mord dazu addieren. Aber unterstützen Sie mich. Kennen Sie die Pläne dieser beiden Männer?«

»Ja,« antwortete Pellejo, indem er die Hand wieder auf die Wunde drückte, um das Blut aufzuhalten und so einige Minuten länger leben zu können. »Meine Augenblicke sind gezählt, aber sie werden ausreichen, Ihnen mitzuteilen, was ich erlauscht habe. Der Gambusino und Perillo wollten durch den jetzigen Kriegszug und das darauf folgende Pronunciamiento reich werden. Sie hofften, reiche Beute zu machen. Darauf müssen sie nun verzichten. Dafür aber wollen sie sich den gewünschten Reichtum nun aus den Bergen holen.«

»Ach! Kennen Sie den Ort?«

»Ja. Er liegt in der Nähe der Salina del Condor.«

»Kennen Sie den Namen?«

»Ich kenne ihn; aber ich bin schon so schwach, daß – daß ich mich erst noch besinnen muß.«

»War es vielleicht die Barranka del Homicidio?«

»Ja, ja, die war es!« antwortete der Sterbende lebhafter als bisher.

»Soll es denn dort Schätze geben?«

»Große Reichtümer aus der Inkazeit!«

»Woher weiß das der Gambusino?«

»Antonio Perillo erzählte es ihm. Dieser hat einen Indianer belauscht, der in einer Vollmondnacht in die Barranka stieg und am nächsten Morgen mit Kostbarkeiten beladen wieder herauf kam.«

»Wann ist das gewesen?«

»Das weiß ich nicht, denn es wurde nicht mit erwähnt.«

»Hat Perillo denn die Kostbarkeiten gesehen?«

»Nicht nur gesehen. Er ist dem Indianer nach und hat ihn ermordet, um ihn zu berauben. Sogar seine Kopfhaut hat er mitgenommen.«

Der alte Anciano hatte geschwiegen; jetzt ließ er einige dumpfe, unverständliche Worte hören. Der Vater Jaguar fragte weiter:

»Ist Perillo später wieder in der Barranka gewesen?«

»Ja. Er hat nach den Schätzen gesucht, aber nichts gefunden. Nun will er jetzt mit dem Gambusino hinauf, weil dieser erfahrener und scharfsinniger ist.«

»Sie wissen das genau?«

»Ganz genau. Ich hörte es von ihnen selbst. Ich belauschte sie gestern, ohne daß sie es ahnten und – – –« '

Er hatte nur in kurzen Absätzen gesprochen und die Worte oft einzeln und mühsam hervorgestoßen; seine Stimme war dabei immer schwächer geworden. Jetzt riß es ihm mitten in der Rede die Hand von der Wunde weg; er bäumte sich mit einem gurgelnden Schrei empor und sank dann wieder nieder. Seine Augen schlossen sich; er röchelte leise und immer leiser; seine Glieder streckten sich in krampfhaften Zuckungen aus – – er war tot.

»Vorüber!« sagte der Vater Jaguar indem er sich aufrichtete. »Er war ein Empörer, ein Verräter und hat hier den gerechten Lohn gefunden. Seine letzten Worte sind von der größten Wichtigkeit für uns.«

»Ja,« nickte Anciano ernst. »Sie bestätigen, daß Antonio Perillo der Mörder meines Herrschers ist. Wäre bisher ein Irrtum möglich gewesen, so könnte nun jetzt keine Rede mehr von einem solchen sein. Der Thäter ist mir heute entkommen; aber ich werde mich wie ein Hund auf seine Fährte legen und weder am Tage noch des Nachtsruhen, bis ich ihn ergriffen habe.«

»Was seine Fährte betrifft, so werden wir dieselbe nicht berücksichtigen. Es würde vielmehr ein großer Fehler von uns sein, wenn wir uns auf eine so langwierige und mühsame Suche begeben wollten, während wir doch nun ganz genau wissen, wohin sich die beiden wenden werden. Da wir erfahren haben, daß die Barranca del Homicidio das Ziel ihrer Wanderung ist, brauchen wir ja nur dorthin zu reiten, um sie dort zu erwarten.«

»Aber wenn sie eher dort ankommen als wir?«

»Das steht nicht zu erwarten, weil sie keine Pferde haben.«

»Sie können aber durch irgend einen Zufall zu zwei Tieren kommen!«

»Wenn wir uns mit allen möglichen Zufällen abgeben wollten, so wäre es am besten, wir ließen sie gleich laufen und bekümmerten uns gar nicht mehr um sie. Unter hundert ist auf neunundneunzig zu wetten, daß wir eher dort ankommen als sie, und danach handeln wir. Sollte aber keiner der neunundneunzig Fälle, sondern nur gerade der hundertste eintreten, so trifft uns keine Schuld, wir haben unsre Pflicht gethan und es ist selbst dann noch immer die Möglichkeit vorhanden, daß wir dennoch unsern Zweck erreichen. Brechen wir also nach dem Thale auf!«

»Was thun wir mit dieser Leiche?«

»Unter andern Umständen würde ich sie hier an Ort und Stelle begraben; jetzt aber habe ich keine Zeit dazu. Wir wissen nicht, was während unsrer Abwesenheit geschehen ist, und haben also keine Zeit zu verlieren. Das Pferd nehmen wir natürlich mit.«

Das Pferd, welches der Gambusino geritten und dann aufgegeben hatte, war vor Überanstrengung gestürzt und eine Weile wie tot hegen geblieben. Nun aber hatte es sich wieder aufgerafft und fraß von dem Grase, welches hier ziemlich üppig stand. Der Vater Jaguar fing es leicht ein und untersuchte es. Er erkannte, daß es sich bei einiger Ruhe und Schonung sehr wahrscheinlich wieder erholen würde, und band daher die Zügel desselben mit denen des seinigen zusammen.

Indessen hatte der alte Anciano sich an der Leiche des Hauptmannes zu schaffen gemacht. Dieser hatte Waffen und verschiedene andre brauchbare Gegenstände bei sich getragen, von denen vorauszusetzen war, daß der Gambusino und Perillo sich ihrer bemächtigen würden. Darum nahm der Alte sie lieber zu sich. Darauf bestiegen sie ihre Pferde wieder und kehrten nach dem Thale des ausgetrockneten Sees zurück.

Als sie dort ankamen, wurden sie von einer Cambasschar empfangen, welche den Eingang des Thales zu beaufsichtigen hatte. Der »harte Schädel« befehligte sie. Von dem Vater Jaguar befragt, wie es im Thale stehe, antwortete dieser:

»Es steht gerade so, wie wir erwartet haben, Señor Wir sind Sieger geblieben.«

»Das versteht sich ganz von selbst, denn uns zu besiegen, war für die Abipones gar keine Möglichkeit vorhanden. Wenn ich fragte, so geschah es um dieser letzteren willen. Ihr habt nach meiner Entfernung doch nicht wieder geschossen?«

»Noch einigemal, Señor.«

»Warum?« fuhr Hammer auf. »Das ist der reine Mord!«

»Sie waren und sind unsere Feinde und hätten uns, wenn sie Sieger geblieben wären, bis auf den letzten Mann getötet.«

»So müßt ihr sie ja fast alle erschossen haben! Ich befahl doch Geronimo, dem Morden Einhalt zu thun. Komm, Anciano, wir wollen sehen!«

Die beiden ritten durch den Eingang in das Thal. Was sie da sahen, war für einen christlichen Sinn weit mehr als nur betrübend. Die Cambas, welche vorher unter den Bäumen verborgen gewesen waren, hatten ihre Verstecke verlassen, um ihren Gegnern sich und ihre Übermacht zu zeigen. Sie hatten, jetzt vor den Bäumen sitzend und ihre Waffen noch immer bereit haltend, den ganzen Rand des Thales rundum eingenommen. Rechts, wo vorher der Vater Jaguar postiert gewesen war, befand sich jetzt Geronimo mit seinen weißen Gefährten. Doktor Morgenstern und sein Fritze waren auch dabei.

Die Abipones befanden sich noch am Ufer des kleinen Sees; sie wagten es nicht, einen Vorstoß zu unternehmen, und hatten ihre Toten und Verwundeten zusammengetragen. Der Augenschein lehrte, daß wohl mehr als die Hälfte von ihnen gefallen waren. Das erregte den Zorn des Vaterjaguar. Er galoppierte zu Geronimo hin, schwang sich aus dem Sattel und fragte in scharfem Tone:

»Wie kommt es, daß ich so viele Leichen sehe, von den Verwundeten gar nicht zu sprechen? Ich hatte dir doch gesagt, daß bis zu meiner Rückkehr nicht mehr geschossen werden sollte!«

»Ich trage nicht die Schuld, daß es anders gekommen ist,« antwortete Geronimo. »Man gehorchte mir nicht, und ich habe geradezu drohen müssen, ehe man Einhalt that.«

»Dann wollen wir den Übriggebliebenen wenigstens nicht die härtesten Bedingungen stellen. Leider hat Lieutenant Verano den Oberhäuptling der Abipones erschossen; wir werden also mit den Unterhäuptlingen zu verhandeln haben. Sende einen Boten an sie! Sie mögen zu mir kommen. Ich sichere ihnen freies Geleit zu. Aber ohne Waffen müssen sie sein.«

Während der Bote abging, wendete sich Hammer, natürlich in deutscher Sprache, an Morgenstern:

»Ich hatte Ihnen doch angedeutet, draußen vor dem Thale bei den Pferden zu bleiben. Wie sind Sie denn eigentlich auf die entgegengesetzte Seite des Thales und noch dazu in die Hände der Feinde gekommen?«

Der Kleine antwortete:

»Infolge unsrer Tapferkeit, lateinisch Fortitudo oder auch Strenuitas genannt.«

»Also Ungehorsam! Es ist doch sonderbar, daß Ihre Tapferkeit stets Ihre Gefangennahme zur Folge hat! Es muß sich also bei Ihnen beiden um eine ganz unglückliche Art von Fortitudo oder Strenuitas handeln.«

»Janz jewißlich nicht,« fiel da Fritze schnell ein. »Es ist die richtige Tapferkeit jewesen. Erinnern Sie Ihnen doch einmal jenau! Sind wir heut jefangen jewesen?«

»Allerdings.«

»Ja, wo denn?«

»Der Gambusino brachte Sie getrieben!«

»Wie? Er hätte uns jetrieben jebracht? Dat is falsch! Wir haben ihn vielmehr anjelockt und hinter uns herjebracht. Wir haben ihm in die Falle jeführt.«

»Verteidigen Sie sich nicht auf eine so lächerliche Weise! Er ist ja wieder aus der Falle entkommen, und daran sind nur Sie beide schuld. Ich werde aber in Zukunft dafür sorgen, daß Sie uns einen solchen Schaden nicht wieder bereiten können.«

Er wäre vielleicht noch schärfer mit ihnen verfahren, aber es kamen jetzt die Unterhäuptlinge der Abipones herbei, und vom Eingange her näherte sich der »harte Schädel«, und so war es Zeit, die Verhandlung zu beginnen, zumal der Nachmittag sich zur Rüste zu neigen begann.

An dieser Verhandlung nahmen nur die Weißen und die Häuptlinge teil. Der Vaterjaguar hielt einige begütigende Reden, in denen er die Forderungen der Cambas zu mäßigen suchte und den Abipones bewies, daß ihre Freundschaft mit dem Gambusino und seinem Anhange ihnen nur Unglück gebracht habe und daß es für sie am geratensten sei, mit ihren roten Brüdern in Eintracht und Frieden zu leben. Seine Worte brachten nach beiden Seiten den beabsichtigten Eindruck hervor und dann begann eine Art Handel in Beziehung der Kriegsentschädigung, welche die Abipones den Cambas zu zahlen hatten. Es ging dabei sehr erregt her, doch brachte der Vater Jaguar nach einiger Zeit die beabsichtigte Einigung zu stande.

Die Cambas hatten heute keinen Mann verloren, Grund genug, ihre Forderungen nicht zu übertreiben. Die Abipones waren durch die große Zahl ihrer Toten und Verwundeten hart bestraft. Sie mußten alle ihre Waffen abgeben und dann Frieden schwören. Es war dem Vater Jaguar gelungen, eine Straflieferung von Pferden und Rindern zu hintertreiben, da die Abipones diese Tiere doch, um sie den Cambas bringen zu können, den weißen Ansiedlern vorher hätten rauben müssen.

So war der Krieg zum Nutzen der Cambas beendet. Diese jubelten und fanden kaum Worte, dem Vater Jaguar ihre Dankbarkeit zu bezeigen. Die Abipones aber waren selbstverständlich im höchsten Grade niedergeschlagen. Sie saßen klagend bei ihren Leichen und kühlten mit Wasser die Wunden ihrer Blessierten. Heute blieben alle, Sieger und Besiegte, im Thale. Morgen sollten die letzteren waffenlos abziehen, natürlich nur die Gesunden und Leichtverwundeten, während die Schwerverwundeten von den Cambas gepflegt würden und dann nachkommen sollten.

Kein Mensch freute sich darüber, daß so viel Blut geflossen war, in der Weise, wie Don Parmesan Rui el Iberio, denn er glaubte, nun das Licht seiner chirurgischen Kenntnisse und Geschicklichkeiten leuchten lassen zu können. Er wendete sich an die Häuptlinge der Abipones, um die Erlaubnis zu erhalten, ihre Kranken behandeln zu dürfen, wurde aber kalt und ohne Dank abgewiesen, da diese Roten sich auf die Behandlung der Wunden weit besser als mancher weiße Arzt verstehen. Er kehrte darum ganz erbost von ihnen zurück und sagte zu Morgenstern, dem er sich am liebsten mitzuteilen pflegte:

»Sind diese Kerls nicht Prügel wert, Señor? Sie weisen mich ab, obgleich ich ihnen meine Hilfe angeboten. Sie meinen doch auch, daß ich viele ihrer Blessierten gerettet hätte?«

»Ich bin überzeugt davon,« antwortete der Gefragte in höflicher Weise.

»Ja, viele, viele hätte ich gerettet! Ich sah sie liegen, blutend und mit zerschossenen Gliedern. Diese Glieder müssen herunter, sonst kommt der Brand dazu. Und wer kann sie kunstgerechter herunterbringen als ich? Sie sind doch vollständig überzeugt, Señor, daß ich alles, alles heruntersäble?«

»Ich bezweifle es nicht im mindesten.«

»Dann wollte ich, daß Sie einen Schuß in den Arm, in das Bein oder in den Leib bekommen hätten. Sie sollten staunen, mit welcher Virtuosität ich Ihnen die Kugel und alle Knochensplitter aus der Wunde ziehen und nötigenfalls das verletzte Glied abschneiden würde. Es ist wirklich jammerschade, daß niemals ein verständnisinniger Mann einen Schuß bekommt!«

Morgenstern entfernte sich schnell, da es ihm in der Nähe dieses Mannes nicht ganz geheuer war. Der Abend brach herein und mit ihm kamen Gäste, nämlich die Frauen und größeren Kinder der Cambas. Sie wußten, für welche Zeit man den Kampf vermutet hatte, und kamen nun, den Ausgang desselben zu erfahren, erst einzeln und verzagt, dann aber in hellen Haufen. Auf den versprochenen Sieg rechnend, hatten sie reichlich Speise und Trank mitgebracht, um denselben zu feiern, und da doch Friede geschlossen war, so durften auch die Besiegten an dem Mahle teilnehmen. Es brannten viele Feuer, an denen Freunde und Feinde in den verschiedensten Gruppierungen lagerten oder sich bewegten.

Obgleich von einer Gefahr keine Rede mehr sein konnte, hatte der Vater Jaguar doch einen Doppelposten an den Eingang des Thales postiert. Es war das mehr eine Folge der Gewohnheit. Das mochten die beiden Indianer, denen dieser Auftrag geworden war, auch denken, denn als sie einige Zeit allein gestanden hatten, wurde ihnen die Zeit lang und sie kehrten, ohne daß der Vater Jaguar dies bemerkte, an ihr Feuer zurück. Dieser Ungehorsam, den man geneigt sein könnte, eine bloße, kleine Nachlässigkeit zu nennen, sollte von schweren Folgen sein.

Der Gambusino hatte nämlich mit Antonio Perillo wohl eine Stunde lang im Gebüsch gelegen, ehe er es wagte, den Kopf aus demselben zu stecken, um sich umzusehen.

»Ich sehe niemand,« sagte er.

»So sind sie fort,« meinte sein Genosse.

»Das möchte ich doch nicht als so gewiß annehmen. Wie nun, wenn sie in der Nähe in den Büschen stecken, um zu warten, bis wir hervorkommen!«

»Dann müßten wir doch die Pferde sehen.«

»Nein. Der Wald ist zwar sehr dicht, aber der Rand desselben hat doch hie und da eine dünnere Stelle, wo man zwei Pferde verstecken kann.«

»Wenn du so übermäßig vorsichtig sein willst, können wir bis zum jüngsten Tage hier stecken bleiben!«

»Gar so lange doch nicht ganz. Jetzt möchte ich nicht hinaus auf den freien Campo treten; ich könnte sogleich eine Kugel bekommen. Aber wenn es finster geworden ist, gibt es kein Wagnis dabei. Es ist dann sogar möglich, daß wir nach dem Thale des ausgetrockneten Sees zurückkehren.«

»Bist du toll!«

»Gar nicht!«

»Sollen wir uns ergreifen lassen?«

»Fällt mir gar nicht ein. Es ist mir nur ein Gedanke gekommen, den ich für einen sehr glücklichen halte.«

»Welcher?«

»Wir haben keine Pferde und können auch auf viele Tagereisen weit keins bekommen. Im Thale aber gibt es welche.«

»Die du dir holen willst?«

»Nicht alle, sondern nur zwei.«

»Das wäre Tollkühnheit!«

»Wenn ich finde, daß es zu verwegen ist, werden wir es lassen. Ich hoffe aber, daß es viel, viel leichter sein wird, als du denkst.«

»Schwerlich!«

»Pah! Wir wissen genau, daß die Cambas Sieger sind, und ich befürchte, daß sie unsere Verbündeten bis auf den letzten Mann aufgerieben haben. Nach einem solchen Erfolge sind die Roten wie betrunkene Kinder. Sie werden schreien und jubeln, essen und trinken und an nichts anders denken, als daß sie uns überwunden haben. Da vergißt man es vielleicht, den Eingang zum Thale zu bewachen. Und stellt man ja einen Wächter hin, so läuft er entweder fort, um mitzujubeln, oder er wird von mir und dir sehr leicht unschädlich gemacht, worauf es sehr schlimm zugehen müßte, wenn wir nicht zu zwei Pferden kämen.«

»Und wenn dieselben nicht gesattelt sind?«

»Dummkopf! Schau da hinaus! Siehst Du denn nicht, daß der Vater Jaguar unsre Pferde zwar erschossen, aber ihnen nicht das Sattel- und Zaumzeug genommen hat? Finden wir zwei ungesattelte Pferde, so reiten wir hierher, um das zu finden, was wir brauchen.«

Perillo brachte noch einige Einwendungen vor. Er wollte sich nicht wieder in eine so große Gefahr wie die heut überstandene begeben; aber der Gambusino widerlegte ihm alles, was er vorbrachte. Darüber wurde es Abend und die beiden verließen vorsichtig ihr Versteck. Sie wendeten sich nicht am Waldesrande zurück, da sie da leicht auf den befürchteten Hinterhalt stoßen konnten, sondern schlichen sich eine Strecke weit in den Campo hinein und bogen erst dann, als sie den Wald nicht mehr sehen konnten, nach rechts ab, in welcher Richtung das Thal des ausgetrockneten Sees vor ihnen lag.

Um dasselbe zu erreichen, brauchten sie jetzt viermal so viel Zeit, als am Nachmittage, da sie es zu Pferde als Flüchtlinge verlassen hatten. Sie konnten es nicht verfehlen, weil sie sich dem Walde nach und nach wieder näherten und endlich an demselben hinschritten. Noch ehe sie in der Finsternis den Eingang sehen konnten, hörten sie den Lärm, welcher durch denselben aus dem Thale drang.

»Horch!« sagte der Gambusino, indem er lauschend stehen blieb. »Ich habe mich nicht geirrt. Man bejubelt den Sieg. Daß es so kommen mußte! Meine Ahnung, daß der Vater Jaguar uns voraus sei, war also doch ganz richtig.«

»So hättest du dich danach richten sollen. Pellejo hatte doch recht, als er uns zu größerer Vorsicht aufforderte.«

»Schweig und sprich mir nicht von diesem Menschen! Er wollte kommandieren. Es hat so sollen sein und ist nun nicht zu ändern. Bleib jetzt einmal hier stehen! Ich will voranschleichen, um zu rekognoscieren.«

Er huschte fort. Als er nach ungefähr zehn Minuten zurückkehrte, berichtete er in freudigem Tone:

»Es ist so, wie ich dachte. Kein Mensch steht Wache. Wir können hinein, ohne bemerkt zu werden. Komm!«

Er nahm den andern bei der Hand und zog ihn mit sich fort. Als sie das Felsenthor des Thales erreichten, glänzte ihnen der Schein von vielen Feuern entgegen, so daß sie sich ganz zur Seite im Schatten des Felsens halten mußten. Der Gambusino deutete auf den letzteren und sagte:

»Hier war es, wo uns die beiden kleinen roten Kerls von oben herab vor die Füße flogen. Ich ließ sie leider laufen, weil ich glaubte, daß sie uns sicher seien. Nun sind sie uns wieder entkommen!«

»Schadet nichts. Ich freue mich jetzt, daß wir sie nicht getötet haben.«

»Warum?«

»Weil sie doch vielleicht das sind, wofür sie sich ausgeben. So oft wir sie trafen, haben sie sich so kindisch albern benommen, daß es mir heute unmöglich ist, noch zu glauben, daß der eine Oberst Glotino sein soll.«

»Je länger ich mir den Kerl und seine Streiche vergegenwärtige, desto mehr kommt es auch mir so vor, als ob wir uns geirrt hätten. Wir haben uns durch eine Ähnlichkeit täuschen lassen. Glotino würde niemals und aus keinem Grunde selbst nach dem Chaco gehen, sondern einen tüchtigen Offizier schicken. Wenn mir diese beiden Roten wieder über den Weg laufen sollten, so wird es mir gar nicht einfallen, sie als voll zu behandeln. Ich bedrohe keineswegs mehr ihr Leben. Was sie von mir zu befürchten haben, das sind einige derbe Ohrfeigen, die ich ihnen dafür geben werde, daß sie es wagen, mir wieder und immer wieder wie Ungeziefer über den Weg zu laufen. Dann werden sie sich wohl fern von mir halten. Jetzt aber haben wir keine Zeit, von diesen Knirpsen zu sprechen. Da schau einmal, wie gut wir es getroffen haben!«

Er deutete nach dem Innern des Thales, wo beim Scheine der Feuer alle dort befindlichen Personen leidlich zu erkennen waren.

»Schau da nach links hinüber! Kennst du ihn?« fuhr er fort.

»Der Vater Jaguar!«

»Ja. Wenn ich diesem Hunde eine Kugel geben könnte!«

Er hob sein Gewehr empor, als ob er es anlegen wolle. Der andre fiel ihm in den Arm und warnte heftig:

»Schieße nicht, schieße nicht; du würdest uns verraten!«

Der Gambusino ließ das Gewehr wieder sinken und antwortete:

»Hattest du wirklich Angst, daß ich schießen würde? Fällt mir nicht ein! Meine Kugel würde ihn nicht einmal erreichen, und wir müßten augenblicklich fliehen, während wir uns doch zwei Pferde holen wollen. Sie laufen ja in Masse hier herum.«

Dieses letztere war allerdings richtig. Wie bereits erwähnt hatten die Cambas ihre Pferde unter der Aufsicht einiger Männer am Bache draußen vor dem Thale gelassen. Jetzt war es da draußen dunkel, und da der Kampf vorüber war, hatte man die Pferde in das Thal gelassen, wo sie sich nach allen Richtungen frei herumtrieben. Der Vater Jaguar hatte das gestattet, weil er überzeugt war, daß vorn am Eingange ein Doppelposten stehe. Hätte er geahnt, wer an Stelle desselben jetzt dort anwesend war!

Während die beiden Lauscher ihre Augen auf die Pferde richteten, welche in ihrer Nähe weideten, meinte Antonio Perillo:

»Wir haben doch schießen hören, und doch hat es allen Anschein, als ob gar kein Kampf stattgefunden habe.«

»Wieso? Es ist sogar ein furchtbares Feuer gewesen, welches man auf die Abipones eröffnet hat. Siehst du denn nicht die Menge von Leichen, welche dort am See liegen?«

»Aber wo sind die andern Abipones hin?«

»Entflohen natürlich.«

»Unmöglich! Der Vater Jaguar hatte doch da draußen einen Hinterhalt gestellt, welcher wohl an die hundert Mann zählte. Es gelang uns nur mit Not, diesen Leuten zu entgehen. Sie haben den Eingang besetzt. Wie konnten da die Abipones entkommen?«

»Hm! Was du da vorbringst, hat guten Grund. Sollten sie wirklich alle aufgerieben worden sein? Dann müßte man doch viel mehr Leichen sehen.«

»Man wird sie in das Wasser geworfen haben.«

»Denke das ja nicht! Es wird den Cambas nicht im Traume einfallen, sich dadurch dieses kostbare Wasser zu verderben, denn – – –«

Er hielt inne, beschattete seine Augen mit der Hand, blickte scharf nach einem der Feuer und fuhr dann in heftigem Tone fort:

»Demonio! Ich habe mir bis jetzt noch keine Mühe gegeben, die Gesichtszüge zu erkennen. Jetzt aber sehe ich, daß Abipones mit den Cambas zusammen an den Feuern sitzen.«

»Ist das möglich?«

»Nicht möglich, sondern wirklich. Sieh nur scharf hin.«

Antonio Perillo überzeugte sich, daß der Gambusino recht hatte, und fragte:

»Wie kann so etwas geschehen? Man sollte es nicht glauben!«

»Es ist leicht zu begreifen. Die Abipones waren umzingelt. Sie hätten selbst den letzten Mann verloren. Um ihr Leben zu retten, haben sie um Gnade flehen müssen.«

»Gnade? Das sieht keinesweges so aus. Sie sind ja nicht gefesselt; sie essen mit und bewegen sich wie freie Leute.«

»Tempesta! Das ist wahr! Daran ist dieser Schurke, der Vater Jaguar, schuld. Er hat Frieden zwischen den Abipones und den Cambas geschlossen.«

»Den aber die Abipones jedenfalls teuer bezahlen müssen!«

»Glaube dies ja nicht! Dieser Mensch ist klug. Durch eine schwere Kontribution würde er die Rachgier erwecken und die Feindschaft vergrößern. Ich wette, daß den Abipones alles geschenkt und vergeben worden ist. Man wird ihnen gesagt haben, daß sie durch ihre Verluste hart genug gestraft worden seien.«

»Eine solche Milde kann ich mir nicht als möglich denken.«

»Aber ich, da ich die Schlauheit dieses Vater Jaguar kenne. Er will dadurch die Todfeinde zu Verbündeten machen, und ich glaube es nicht nur, sondern ich sehe es hier mit diesen meinen eigenen Augen, daß ihm dies gelungen ist. Die Abipones sind gewonnen und werden als Freunde behandelt. Wir können von heute an nicht mehr im Trüben fischen. Mit dem geplanten Pronunciamiento ist's vorüber, und es ist nur gut, daß wir beide ein neues Ziel und einen neuen Zweck haben. Wir wollen auch sofort darauf hin arbeiten, indem wir uns mit Pferden versorgen und dann die Gegend verlassen, welche für mich so unglückbringend geworden ist, wie kaum eine zweite. Da haben wir zwei Tiere ganz nahe; sie scheinen nicht schlecht zu sein. Nehmen wir sie, ich das rechts und du das links; aber vorsichtig! Bücke dich zum Boden nieder!«

Sie legten sich in das Gras und krochen auf die beiden Pferde zu, welche zwar keine Sättel, aber doch die Zäume trugen. Bei ihnen angekommen, richteten sie sich auf, zogen die festgeknüpften Zügel aus den Backenriemen, nahmen die Enden derselben in die Hände, bückten sich wieder nieder und krochen zurück, die Pferde langsam hinter sich herziehend. Draußen vor dem Felsenthore angekommen, sagte der Gambusino, indem er froh aufatmete:

»Siehst du nun, daß es sehr leicht gegangen ist! Dadurch, daß wir uns beritten gemacht haben, ersparen wir eine Fußwanderung von vielen Tagen. Jetzt holen wir uns die Sättel; dann umreiten wir diesen undurchdringlichen Wald, der uns so außerordentlich unbequem liegt, und hernach, wenn wir ihn hinter uns haben, geht's hinüber nach Tucuman, wo wir mit der Diligence bis Salta fahren. Das geht schneller als im Sattel, weil an jeder Station die Pferde gewechselt werden.«

»Und von Salta aus?«

»Nehmen wir Maultiere, da in den Bergen wegen der dünnen Luft nicht mit Pferden auszukommen ist.«

»Das weiß ich gar wohl; aber woher nehmen wir das Geld für die Maultiere? Bei dem Zwecke, welchen wir verfolgen, können wir uns keine mieten, sondern müssen welche kaufen, und ich sage dir, daß ich nicht genug bei mir habe, einen alten Ziegenbock, geschweige denn ein gutes Maultier zu kaufen.«

»Da laß dir ja nicht bange sein. Ich bin zwar auch nicht bei vollen Taschen, aber ich habe in Salta einen Freund, welcher mich sehr gern mit allem Nötigen versehen wird.«

»Wer ist das? Vielleicht kenne ich ihn auch.«

»Er heißt Rodrigo Sereno.«

»Meinst du etwa den Spediteur draußen vor der Stadt, an der Straße, welche nach Injuy führt?«

»Ja. Er hat zugleich ein großes Gasthaus, verleiht Pferde und Maultiere und treibt noch zehn oder zwanzig andre Geschäfte.«

»Den kenne ich allerdings. Wenn er dein Freund ist, brauchen wir freilich nicht bange zu sein.«

»Ich sage ja, er wird mir geben, was ich brauche. Jetzt laß uns aufsteigen. Wir haben in dieser Nacht einen weiten Ritt.«

Sie schwangen sich auf die Pferde und galoppierten fort, in der Richtung nach ihren erschossenen Pferden, um sich die Sättel derselben zu holen.

Später kamen zwei Cambas nach dem Eingange, um den Doppelposten abzulösen. Als sie die beiden untreuen Wächter nicht sahen, nahmen sie zwar deren Stelle ein, kamen aber nicht auf den Gedanken, dem Vater Jaguar zu melden, daß das Felsenthor eine ganze Zeit lang unbeaufsichtigt gewesen sei. Als er dann später kam, den Posten zu inspizieren, fand er alles in Ordnung und ahnte nicht, daß etwas geschehen war, wodurch seine ganze Berechnung zu nichte gemacht werden mußte. Man entdeckte nicht einmal, daß zwei Pferde fehlten, da dieselben den Abipones gehört hatten und also von den Cambas nicht vermißt wurden.

Die letzteren blieben bis weit über Mitternacht munter. Die Freude, einem so grauenhaften Überfalle entgangen zu sein, ließ sie nicht schlafen. Und die Weißen, denen sie ihre Rettung zu verdanken hatten, mußten mit ihnen munter bleiben.

Von den letzteren war niemand so grämlicher Laune als Doktor Morgenstern und sein Fritze. Sie saßen abseits im Dunkeln und sprachen, nur mit ihrem Ärger beschäftigt, nur selten ein Wort miteinander. Warum? Das konnte man eben jetzt hören, als Fritze seinem Herrn zuraunte:

»Inwiefern könnte es denn eine so jroße Dummheit jewesen sind?«

»Weiß ich's?« antwortete Morgenstern. »In Jüterbogk im Gesangvereine werde ich anders anerkannt.«

»Dat mag die Möglichkeit sind; aber hier im Gran Chaco wird mehr verlangt als nur eine jute, wohljefällige Baritonstimme. Da muß man vor allem Haare auf die Zähne haben und ein jehörijes Quantum Tapferkeit besitzen.«

»Sind wir denn nicht tapfer gewesen?«

»Nein.«

»Nicht? Wir haben uns doch nicht nur in die vorderste Reihe gestellt, sondern sind sogar auf den Felsen gestiegen, um den Feind aus erster Hand zu haben. Ist das nicht tapfer?«

»Hm! Soll ik aufrichtig sind?«

»Natürlich!«

»Jut! lk denke foljendermaßen: Ik mag mich's nach rechts oder nach links überlejen, so kommt es mich jetzt vor, als ob wir nicht tapfer, sondern voreilig gewesen wären.«

»Voreilig, lateinisch praeproperus genannt? Wieso denn, mein Lieber?«

»Weil wir so rasch nach vorn jeeilt sind; dat ist doch voreilig, zumal wir keine Erlaubnis dazu hatten.«

»Erlaubnis brauche ich nicht. Ich bin ein freier Mann!«

»Ik auch. Dennoch aber habe ik mir herbeijelassen, Ihr Diener zu sind und Ihre Befehle zu erfüllen. Es kommt auf jewisse Verhältnisse an. Im Gran Chaco muß man sich anders benehmen als in Stralau am Rummelsburjer See. Dort bin ik dem Vater Jaguar über; hier aber ist er mich über, und darum finde ik es jeraten, mir nach seine Weisung zu verhalten.«

»Aber du bist es ja doch gewesen, welcher den Vorschlag gemacht hat, von den Pferden fort und in das Thal zu gehen!«

»Es fällt mir jar nicht ein, dies fälschlicherweise zu leugnen. Meine Absichten sind die besten und tapfersten jewesen. Ik wollte mir hervorthun und auch Sie Jelegenheit jeben, Ihnen Ruhm und Ehre zu erwerben. Aber konnte ik wissen, daß der Felsen hier so locker und so mürbe ist wie ein Eierkuchen? Konnte ik ahnen, daß er mir so verräterisch hinunterschicken würde, bis jerade vor die Fußzehen dieses Jambusino? Wäre dat nicht jewesen, so wäre er nicht aufmerksam jeworden, sondern in dat Thal jekommen, und jefangen jenommen worden. Da muß ik dem Vater Jaguar vollständig recht jeben.«

»Wenn du die Sache so darstellst, kann ich dir nicht widersprechen. Wir sind wirklich blamiert!«

»Ja, wir sind blamiert, trotz die schönen Knüppels, welche wir uns abjeschnitten hatten. Sie sind eben liejen jeblieben, während wir hinunterjekollert sind. Umjekehrt wärs besser jewesen. Wir konnten oben bleiben und die Prügel hinunterschicken. Aber da es jeschehen, ist's nicht mehr zu ändern.«

»Zu ändern freilich nicht. Aber es geht mir doch zu Herzen. Könnten wir die Blamage nicht von uns abwaschen? Könnten wir es nicht wieder gut oder wett machen? Könnten wir nicht eine tapfere That begehen, welche unsre befleckte Ehre, lateinisch Dignitas oder Honor geheißen, wieder zu reinigen vermag? Ich schäme mich beinahe vor den andern.«

»Und ik schäme mir vor mir selber, die andern jehen mir nichts an. Also Ihre Ehre wollen Sie reinigen? Womit? Mit eine tapfere That? Wollen Sie eine Prüjelei mit dem Monde anfangen?«

»Scherze nicht in dieser Weise! Es ist mir vollständig ernst. Man hat ein Vorurteil gegen die Gelehrten. Man behauptet, sie seien zwar in ihren Büchern, aber nicht im Leben zu Hause. Durch mein Pech habe ich Veranlassung gegeben, zu glauben, daß dieses Vor- ein richtiges und begründetes Urteil sei. Darum möchte ich beweisen, daß ich gar wohl in das Leben und sogar in den gefährlichen Gran Chaco passe. Nenne mir eine kühne That, Fritze, und ich führe sie sofort aus!«

»Und ik helfe Sie dabei. Aber es wäre unnötig, darüber nachzudenken; wir würden doch nichts Passendes finden. Hier in diese Jejend fliejen die Thaten in der Luft herum; sie kommen von selbst. Nehmen wir die erste beste, die wir treffen, fest, um sie aus- und durchzuführen! Dann wird man wieder Respekt vor uns haben.«

»Gut, ich bin dabei. Also die erste kühne That, welche uns in den Weg kommt, wird ausgeführt. Hier ist meine Hand. Schlage ein, Fritze!«

»Ja, ik schlage ein; sie wird ausjeführt und sollten wir dabei eine Gigantochelonia versäumen.«

»Nein,« fiel Morgenstern schnell ein. »So weit würde ich mich von meiner Tapferkeit doch nicht hinreißen lassen. Ein vorweltliches Riesentier geht mir über alles.«

»Selbst über die heutige Blamage?«

»Ja, selbst über diese. Übrigens werden wir bald zu einem solchen freudigen Ziele gelangen. Du weißt doch, daß der Häuptling mir ein Riesentier versprochen hat.«

»Ob er es halten wird?«

»Jedenfalls. Wo nicht, so würde ich ihn zum Kampfe auf Leben und Tod herausfordern, und dies würde zugleich die tapfere That sein, mit welcher ich meine verwundete Ehre herstellen könnte.«

»Wenn ik an Ihre Stelle wäre, würde ik den Häuptling noch einmal fragen, zumal er soeben hier vorüberjehen wird.«

Es paßte wirklich so, daß der »harte Schädel« jetzt auf die beiden zugeschritten kam. Sie standen auf, und Morgenstern fragte ihn, ob er sich seines Versprechens noch erinnere.

»Ja,« antwortete er. »Ich habe noch nie einem Freunde eine Lüge gesagt.«

»So gibt es also wirklich ein solches Riesentier?«

»Ja. Es liegt einen Tagesritt hinter dem Dorfe des klaren Baches. Ich schwöre es Ihnen zu.«

»Und Sie wollen es mir verkaufen?«

»Nicht verkaufen, sondern schenken, Señor. Ihre Kameraden haben uns einen großen Dienst erwiesen und vielen von uns das Leben und das Eigentum gerettet. Wie könnte ich da Bezahlung für die Knochen verlangen. Der Transport derselben wird Ihnen so schon ein großes und vieles Geld kosten.«

»Und wann werden Sie mir das Tier zeigen, Señor?«

»Morgen noch nicht, weil es da noch viel zu ordnen gibt; aber übermorgen bin ich gern bereit, mit Ihnen nach der Stelle zu reiten.«

»Was ist's für ein Tier? Ein Glyptodon, ein Megatherium oder vielleicht ein Mastodon?«

»Darauf kann ich nicht antworten, denn ich habe diese Namen noch nie vernommen. Sie werden es sehen und dann wissen, wie Sie es zu nennen haben.«

Nach diesen Worten entfernte er sich, um sich bei dem Vater Jaguar niederzusetzen. Dieser fragte ihn, was er mit dem kleinen Manne verhandelt habe, und als er es erfuhr, sagte er, indem ein unternehmendes Lächeln über sein Gesicht glitt:

»Dieser Doktor lebt und stirbt für seine Riesentiere. Er ist ein guter Mensch, und obgleich er mir schon manchen schlimmen Dienst erwiesen hat, möchte ich ihm eine frohe Überraschung bereiten. Wie weit habt ihr das Tier ausgegraben?«

»So weit, daß man den Kopf und die Knochen des Rückens bis zu denen des Schwanzes sah. Dann deckten wir es wieder

ZU.«

»Sehr fest, so daß es nur schwer auszugraben ist?«

»Nein, sondern leicht, weil wir es verkaufen wollten.«

»Wie lange würde man zubringen, um das Gerippe vollständig freizulegen?«

»Wenn acht oder zehn Männer daran arbeiten, ist es in einigen Stunden geschehen, obgleich das Tier im harten Kalkboden steckt.«

»Habt ihr Werkzeuge dazu?«

»Ja, Werkzeuge nach unsrer, wenn auch nicht nach eurer Art; aber sie sind fast ebenso gut, wie die eurigen.«

»Und übermorgen willst du ihn an die betreffende Stelle führen?«

»Ja.«

»Gut! Willst du mir morgen zehn Männer mit den nötigen Werkzeugen mitgeben? Ich möchte hinreiten und dafür sorgen, daß er das Tier ganz ausgegraben findet. Aber er darf vorher nichts davon wissen. Es soll eben eine Überraschung für ihn werden.«

»Sie sollen haben, was Sie brauchen. Auch einen Führer, der die Stellen genau kennt, ebenso Riemen, um die einzelnen Knochen zusammenzubinden. Stützen, um das Gerippe an Ort und Stelle aufzurichten, können Sie sich dort abschneiden. Es wächst da Bambus und hohes Gebüsch in Menge.«

Das Versprechen, daß er übermorgen das Riesentier zu sehen bekommen solle, ließ den Doktor nicht schlafen. Er war übrigens nicht der einzige, welcher wachte. Die Abipones schliefen auch nicht, teils aus Aufregung über die erlittene Niederlage, teils wegen den Schmerzen, welche ihre Wunden ihnen bereiteten. Es starben während der Nacht noch mehrere von ihnen.

Am andern Morgen erteilte der Vater Jaguar seinem Geronimo die nötigen Verhaltungsmaßregeln und ritt dann mit zehn Cambas fort, ohne zu sagen, wohin er zu gehen beabsichtige und wann er wiederkehren werde. Er glaubte sich im Thale entbehrlich, da er in Geronimo einen zuverlässigen Vertreter hatte.

Zunächst war über die Frage zu entscheiden, wo und wie die Leichen beerdigt werden sollten. Es waren ihrer so viele, daß zum Vergraben derselben außerordentlich viele Arbeitskräfte und auch eine lange Zeit gehörte. Darum kam man auf Geronimos Vorschlag darin überein, daß sie draußen vor dem Thale verbrannt werden sollten. Man schaffte die Toten hinaus und errichtete aus ihren Körpern und dürrem Holze hohe Scheiterhaufen, welche in Brand gesteckt wurden. Als das vorüber war, war der Mittag vergangen, und die gesunden und leichtverwundeten Abipones mußten abziehen. Sie wären zwar gern noch bei ihren Schwerverwundeten zurückgeblieben, aber man traute ihnen denn doch nicht so recht, obgleich sie entwaffnet worden waren. Sie erhielten das Versprechen, daß man ihre Zurückgelassenen gut verpflegen werde, und marschierten dann ab, denn ihre Pferde waren ganz selbstverständlich als Beute zurückbehalten worden. Ihre Messer hatte man ihnen mitgegeben, da sie dieselben unterwegs unmöglich entbehren konnten.

Nun wollten die Cambas nach vollendetem Kriegszuge nach ihren verschiedenen Dörfern und Wohnsitzen zurückkehren. Dabei mußte man der verwundeten Abipones gedenken, welche nicht transportabel waren. Es wurde beschlossen, daß eine Anzahl von Cambas aus dem Hauptdorfe mit ihnen im Thale des ausgetrockneten Sees bleiben sollten, um sie da zu pflegen, bis sie stark genug seien, das Thal zu verlassen. Zu diesem Zwecke sollten Hütten aus Laub und Zweigen errichtet werden. Mit all diesen Auseinandersetzungen und Vorbereitungen war man nach Verlauf der ersten Nachmittagsstunden fertig. Dann wurde zum allgemeinen Aufbruche geschritten, an welchem sich nur die Kranken und deren Wärter nicht beteiligten. Die Folge dieses späten Aufbruches war, daß der Zug erst nach angebrochener Dunkelheit das Cambasdorf am klaren Bache erreichte. Die Krieger zogen dort als Sieger ein und wurden als solche empfangen und gefeiert. Es verstand sich ganz von selbst, daß man vor allen Dingen die Weißen ehrte, denen man ja doch die Rettung aus so großer Gefahr zu verdanken hatte.

Die Feier des Sieges bestand auch hier wieder in einem Schmause, welcher bis tief in die Nacht hinein währte. Am nächsten Morgen forderte der Häuptling den Doktor zu dem versprochenen Ritte auf. Die Weißen beteiligten sich ohne Ausnahme an demselben, und auch mehrere Cambas ritten mit. Natürlich nahm Morgenstern seine Werkzeuge an sich, und der Häuptling verhinderte ihn nicht daran, weil er ihm doch nicht sagen konnte, daß dieselben unnütz seien.

Der Weg führte nach Norden, durch Wälder und Wüsten, bis man gegen Abend einen Salzsee erreichte, welcher in einer thonigen Ebene lag, und von Wald und Gebüsch umgeben war.

»Ist es hier?« fragte Morgenstern, welcher vor Aufregung beinahe fieberte, den Häuptling.

»Ja, in der Nähe,« antwortete dieser.

»So führen Sie mich hin, schnell, schnell!«

»Haben Sie Geduld! Es ist für heute zu spät. Die Sonne ist schon hinter den Bäumen verschwunden, und in wenigen Minuten wird es dunkel sein. Da können Sie doch nicht graben. Wir müssen bis morgen warten.«

»Ist dies der Fall, so vergehe ich vor Aufregung. Wissen Sie, daß ich eigentlich das Recht habe, heute, gerade heute die betreffende Stelle zu sehen, wenn ich auch keine Zeit zum Nachgraben finde?«

»Warum?«

»Weil heute mein Geburtstag ist, lateinisch Natalis genannt.«

»Ihr Geburtstag? Wer hat das gewußt! Doch, da es so steht, Señor, will ich ein übriges thun und Ihnen die Stelle zeigen. Aber nicht jetzt sogleich, denn wir brauchen alle Hände, um noch vor der Dunkelheit genug Holz zum Feuer zu sammeln. Dann, wenn wir für alles gesorgt haben, sollen Sie den Ort beim Scheine einer Fackel sehen, damit ich Ihnen eine Geburtstagsfreude bereite.«

Man begann Holz zu sammeln, und zwar sehr langsam, denn man war heute eingeweiht in das, was geschehen solle. Der Häuptling hatte es allen außer Morgenstern und Fritze gesagt. Es galt, die völlige Dunkelheit abzuwarten, um die Überraschung vorzunehmen.

Morgenstern suchte mit allem Eifer nach dürrem Holze, damit der ersehnte Augenblick baldigst eintrete. Dabei bemerkte er nicht, daß es in der Umgebung des Lagerplatzes Huf- und Fußspuren gab, welche unmöglich von ihm und seinen Gefährten herrühren konnten. Ebensowenig beobachtete er, daß der Häuptling mit Geronimo auf längere Zeit verschwunden war. Sie hatten sich zum Vaterjaguar begeben, um diesem mitzuteilen, daß heute ganz zufälligerweise der Geburtstag des kleinen Vorsündflutlers sei, eine Kunde, welche gar nicht besser zu ihrem Vorhaben passen konnte.

Endlich war Holz genug vorhanden und es wurde ein Feuer angezündet. Erst jetzt bemerkte Morgenstern, daß die beiden Personen fehlten.

»Es ist doch grad, als ob man sich gegen mich verschworen hätte,« klagte er gegen seinen Diener. »Nun, da alles in Ordnung ist, fehlt der Häuptling, und doch weiß er, daß ich unmöglich länger warten kann.«

»Fassen Sie Ihnen in Jeduld!« tröstete Fritz. »Wat lange währt, wird jut. Dat heißt mit andern Worten: je länger Sie warten, desto jrößer wird dat Tier, welches aus der Unterwelt vor Ihre Augen kommen soll. Sehen Sie, da kommen die beiden und die Besichtijung wird losjehen. Ik werde mir übrijens an derselben nicht beteiligen.«

»Warum nicht?«

»Weil die Kreatur erst morjen ausjegraben wird. Wat ist da heut zu sehen? Ein Stück Erdboden und so 'ne Rarität habe ik schon oft jesehen.«

Der Häuptling kam allerdings mit Geronimo zurück, aber die Neu- oder Wißbegierde des Kleinen wurde trotzdem noch nicht befriedigt, da die beiden behaupteten, daß man vorher erst essen müsse, eine Zumutung, welche Morgenstern mit Entsetzen erfüllte. Er ahnte nicht, daß seines Geburtstages wegen noch erst eine Vorbereitung zu treffen sei. Man aß; er aber brachte keinen Bissen über die Lippen. Da krachte aus nicht zu großer Entfernung ein Schuß. Morgenstern sprang erschrocken auf und rief:

»Was war das? Wer schießt da? Sollten etwa wieder Abipones in der Nähe sein?«

»Nein, Señor,« antwortete Geronimo. »Dieser Schuß ist das Zeichen, daß die Zeit gekommen ist, in welcher Sie die Stelle sehen sollen, welche Sie zu betrachten wünschen. Geben Sie mir Ihren Arm! Ich werde Sie führen.«

Er ergriff ihn beim Arme und ging mit ihm voran; die andern folgten paarweise. Den Arm Fritzens hatte der Häuptling in den seinigen genommen. So ging es mit würdevollen, ja feierlichen Schritten zwischen mehreren Buschgruppen hindurch, bis man sich vor einem Dunkel befand, wo Geronimo stehen blieb und mit lauter Stimme sagte:

»Señor, heute an Ihrem Geburtstage befinden Sie sich an einem Orte, an welchem Ihr Liebling sich vor vielen tausend Jahren an seinem Sterbetage niederlegte, um in Ihren zärtlichen Armen zu neuem Leben zu erwachen. La enhora buena, la enhora buena!«

»La enhora buena – wir gratulieren!« stimmten alle andern ein.

Zu gleicher Zeit sah man vorn ein kleines Flämmchen leuchten. Es huschte hin und her und auf und nieder; andre Flämmchen erschienen, bei deren Schein man ein breites und wohl vier Ellen hohes Bambusgestell bemerkte, an welchem die aus dürren Bambusstücken gefertigten Buchstaben und Worte befestigt waren: »Zum Geburtstage!« Die Buchstaben wurden entzündet und brannten einige Minuten, so daß man die Worte deutlich lesen konnte.

»Welche Überraschung, Fritze!« rief der Doktor aus, indem er sich zu seinem Diener umwendete. »Hier im Gran Chaco bereitet man mir zum Geburtstage ein Feuerwerk. Aber das Riesentier wäre mir doch noch lieber.«

»Hm!« brummte Fritze mißtrauisch. »Wenn dat nur kein Ulk ist, der damit ein Ende nimmt, daß man Sie Ihre eigene werte Persönlichkeit als Riesentier bezeichnet. Ik habe sonen Animus. Ach, wat ist dat?«

Die Buchstaben waren verbrannt und der Bambusrahmen verschwand. Dann leuchteten rechts und links wieder kleine Lichtpünktchen auf, welche sich schnell vergrößerten und zu hohen Flammen anwuchsen. Es brannten ungefähr sechzehn Schritt voneinander zwei riesige Feuer und zwischen denselben sah man das weiße, vollständige Gerippe eines riesigen Tieres stehen, welches von starken Bambusschößlingen gestützt wurde. Seitwärts stand lächelnd der Vater Jaguar mit den zehn Cambas, welche ihm geholfen hatten, dieses Werk zu vollenden. Morgenstern aber sah weder diesen noch jene; sein Auge hing starr an dem Skelette; seine Brust rang nach Atem; er streckte beide Arme aus; er wollte sprechen, rufen, brachte aber kein Wort hervor, bis er endlich mit Aufbietung aller seiner Kräfte in gellendem Tone und silbenweise schrie:

»Ein Me-ga-the-ri-um! – Ein-Rie-sen-faul-tier!« –

Die beiden Worte waren heraus und nun schien der Bann, welcher auf ihm lastete, gebrochen zu sein. Er sprang auf das Gerippe zu, umarmte die starken Schenkel und küßte die andern Knochen; er streichelte den Schädel wie den Kopf eines lieben Kindes und bückte sich zur Erde nieder, um die an den Zehen befindlichen, ungeheuren Sichelkrallen zu liebkosen und rief und schwatzte dabei allerhand Zeug durcheinander, daß man hätte glauben mögen, er sei verrückt geworden. Die andern ließen ihn ruhig gewähren; Fritze aber bekam Angst, trat zu ihm hin, schüttelte ihn am Arme und rief ihm zu:

»Besinnen Sie Ihnen l Nehmen Sie Ihnen zusammen! Wegen so eines Riesentheriums braucht man den Verstand noch nicht zu verlieren!«

Da schlug der Doktor die Arme um ihn, drückte ihn an sich und antwortete:

»Mein lieber, lieber Fritze, ich bin wahrhaftig nicht verrückt, sondern glücklich, und endlich glücklich. Du hast keine Ahnung, was so ein Faultier zu bedeuten hat!«

»Na, wat dat betrifft, so kann es mich grad als Faultier nicht sehr imponieren, weil ik mein Lebtag für Faulheit nicht sehr einjenommen jewesen bin.«

»Sieh nur diesen schönen, runden Schädel!« rief der Doktor entzückt, ohne auf das unfreundliche Urteil seines Untergebenen zu achten.

»Ja, rund und dick ist er, aber viel zu klein für die andre Jestalt. Dat ist ein Kindskopf auf dem Leibe eines Riesen.«

»Die schönen, zylindrischen Backzähne!«

»Es sind ihrer zu wenig. Da habe ik ja mehr!«

»Ein Megatherium darf nur so wenige haben. Es hat auch keine Eck- und Schneidezähne.«

»Da hat man zu jener Zeit wohl janz anders jekocht als heutzutage? Bei unsrer Küche könnte dat riesigste Faultier ohne diese Zähne nicht bestehen.«

»Die kurzen, breiten Füße!«

»Dat sollen Füße sind? Ziehen Sie ihm doch seidene Strümpfe an!«

»Die herrlichen, langen Sichelkrallen!«

»Ja, wenn ik mich solche wachsen ließ, würde man mir auch sehr bald als Riesenfaultier betrachten.«

»Diese Länge! Sie beträgt wenigstens vier und einen halben Meter bei einer Höhe von dritthalb Meter. Ist das nicht erstaunlich?«

»Erstaunlich ist bloß, daß Sie es bei diese Höhe und Länge dennoch ein Riesenfaultier nennen. Ein Faultier ist viel zu träge, um so lang zu wachsen.«

Diese drastischen Bemerkungen erreichten ihren Zweck: Sie ernüchterten den Paläontologen so, daß er jetzt zornig ausrief:

»Du hast nicht das mindeste Verständnis für solche Verhältnisse und Schönheiten!«

»Nein, dat besitze ik wirklich nicht. Unter Schönheit verstehe ik einen janz andern Jedanken oder Begriff. Die Schönheit hat für mir eine andre Form und Jestalt. Ik kann eine Rose für schön halten, aber ein Riesenfaultier, wenn es noch dazu bloß aus seinem eijenen Jerippe besteht, dat kann ik niemals schön nennen.«

»Vor der Sündflut war es schön, verstanden! Und denke dir, daß nicht das kleinste Knöchelchen fehlt, während kein einziges Museum bis jetzt ein vollständiges Megatherium besessen hat!«

»Auch diese Vollständigkeit kann mir nicht bejeistern, denn sie kommt auch bei andern Jeschöpfen vor. Da sehen Sie doch einmal mir jenauer an! Bei mich fehlt auch nichts; selbst dat kleinste Knöchelchen ist da, und noch dazu mit Fleisch und schöner Haut überzogen!«

»Fritze, du bist ein Idiot. Dir kann man das Herrlichste bieten, ohne daß du Geschmack daran findest. Du bist für die Wissenschaft verloren.«

»Wenn sie von weiter nichts als von Riesenfaultieren handelt, so kann sie mich allerdings oft und manchmal jestohlen werden. Wat werden Sie denn nun mit diesem toten Monstrum anfangen?«

»Welche Frage! Ich schaffe es fort.«

»Wohin?«

»Heim, nach Hause.«

»Auch jut. Wenn dat die Sündflut jewußt hätte, so konnte sie dat Jerippe gleich dazumal nach Jüterbogk schwemmen. Damit hätte sie uns viele Mühen und Kosten erspart. Wollen Sie es vor Jeld sehen lassen?«

»Nein. Ich werde es einer Universität, einem berühmten Museum schenken, wo man seinem Namen dann den meinigen hinzufügen wird.«

»Da haben Sie aber ja die Jüte, zu bitten, daß nicht etwa auch der meinige mit anjehängt wird. Mit so'nen Riesenfaultier will Fritze Kiesewetter auf keinen Fall verewigt werden. Wenn Sie dat Vieh mit heim nehmen wollen, muß dies per Schiff jeschehen. Wie aber wollen Sie es bis an die See bringen? ja, wenn es noch laufen könnte!«

»Es wird auseinander genommen und jeder Knochen sorgfältig einzeln verpackt. Dabei mußt du natürlich helfen.«

»Sehr jern. Nur wenn Sie mir auseinandernehmen wollten, würde ik mir weigern, behilflich zu sind. Wann soll diese Arbeit losjehen?«

»Am liebsten sofort, aber das ist leider unmöglich, da es vorher sehr vieles zu beschaffen gilt. Man muß das aus der nächsten Stadt besorgen.«

»Das würde Tucuman sein,« sagte der Vater Jaguar, indem er herbeitrat. »Ich stelle mich Ihnen dabei zur Verfügung, Herr Doktor.«

»Wieso, Herr Hammer?« fragte der Kleine.

»Wir reiten übermorgen nach Tucuman. Dort kann ich Ihnen alles Nötige besorgen. Einige Cambas, welche wir mitnehmen, können Ihnen dann die Sachen bringen.«

»Verstehen Sie sich denn auf solche Einkäufe?«

»Ich denke wohl,« lächelte der Vater Jaguar. »Sehen Sie sich dieses Megatherium genau an! Besitzt irgend ein Teil oder auch das kleinste Teilchen eine falsche, unrichtige Lage?«

»Nein. Es ist alles so genau am Platze, als ob die Sündflut erst gestern gewesen wäre.«

»So sage ich Ihnen, daß dieses Gerippe, als wir es ausgruben, einen wirren Haufen von Knochen bildete.«

»Wie? Sie haben es ausgegraben?«

»Ausgegraben und zusammengestellt. Sie meinen doch nicht etwa, daß es seit der Sündflut hier zwischen den Büschen gestanden hat?«

»Dann – sind – Sie ja – ein ganz ausgezeichneter Geolog und Paläontolog!« rief der Kleine aus, indem er zwischen den Wörtern Pausen des Erstaunens machte.

»Wenn auch das nicht; aber wenn ich ein Megatherium fehlerlos zusammenzusetzen verstehe, bin ich wahrscheinlich auch im stande, Ihnen in Tucuman alles einzukaufen und zu senden, was zum Präservieren und Verpacken dieser Knochen gehört.«

»Davon bin ich vollständig überzeugt. Also Sie reisen von hier ab? Schon übermorgen?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Hinauf nach der Barranca del Homicidio.«

»Wie gern möchte ich mit! Aber Sie sehen ein, daß mir dies nun vollständig unmöglich ist. Meine Anwesenheit ist hier ungeheuer notwendig, und auch Fritze muß hier bleiben.«

»Ich begreife es und werde Sie den Cambas empfehlen, auf deren Freundschaft Sie sich verlassen können.«

Nach diesen Worten entfernte er sich und gab auch den andern einen Wink, den Gelehrten und seinen Diener jetzt bei dem Skelette allein zu lassen.

Es fiel Morgenstern gar nicht ein, sich zu bedanken oder auch nur zu fragen, wie der Vater Jaguar denn eigentlich auf den Gedanken gekommen sei, das Megatherium für ihn auszugraben. Er war so sehr mit seinem wertvollen Funde und dessen Einzelheiten beschäftigt, daß er zunächst für etwas andres gar keine Gedanken hatte. Er betrachtete und betastete die einzelnen Knochen zum zehnten- und zum hundertstenmal und sprach dabei unaufhörlich erklärend auf Fritze ein, welcher die Feuer immerfort schüren mußte, damit das Faultier ja im hellsten Lichte strahle.

Der Vater Jaguar aber sagte zu Geronimo, als sie mit den andern nach dem Lagerplatz zurückgekehrt waren und sich dort niederließen:

»Ich habe meinen Zweck erreicht. Dieser Gelehrte wird uns mit seinem Diener keinen Schaden mehr machen. Die beiden bleiben hier fest kleben. Ich glaube, sie ließen sich von zehn Pferden nicht fortziehen. Wir können also ruhig hinauf in die Berge, ohne befürchten zu müssen, daß sie uns wieder einen ihrer Eulenspiegelstreiche spielen.«

»Und du willst nicht direkt nach Salta, sondern über Tucuman?«

»Ja. Über Salta müßten wir reiten; der weite Weg würde die Pferde ermüden, wodurch wir nur langsam vorwärts kämen. In Tucuman aber verkaufen wir die Pferde und fahren mit der Diligence weiter. Das geht wie ein Wetter, weil die Pferde oft gewechselt werden. In Salta aber nehmen wir Maultiere, welche in den Bergen unvermeidlich sind.«

»Von wem?«

»Von Rodrigo Sereno, welcher stets die gutgepflegtesten Tiere hat. Auf diese Weise kommen wir mit einem solchen Vorsprunge vor dem Gambusino in die Berge, daß wir genug Zeit finden, alle unsre Vorbereitungen so zu treffen, daß weder er noch Antonio Perillo uns entgehen kann.«

»Nimmst du auch Cambas mit?«

»Fällt mir nicht ein. Aber der alte Anciano und Hauka werden dabei sein.«

»Eigentlich sollte doch die Hälfte von uns im Chaco bleiben, um da Thee zu sammeln!«

»Das können diese Leute später nachholen. Jetzt brauche ich sie, um die beiden größten Halunken, welche die Erde trägt, zu fangen.«

»Und Don Parmesan, der Chirurg?«

»Diesen Menschen können wir nicht gebrauchen. Ich werde es so einzurichten wissen, daß er hier bei Morgenstern und Fritze bleibt.«

So waren also die Rollen verteilt, und man legte sich nieder, um zu schlafen, da frühzeitig nach dem Dorfe zurückgekehrt werden sollte. Morgenstern hätte gewiß vor freudiger Aufregung nicht geschlafen; aber da er schon gestern kein Auge zugethan hatte, fand er heute doch für einige Stunden Ruhe. Die Sonne war jedoch noch nicht aufgegangen, so stand er schon wieder bei seinem Megatherium, um die einzelnen Dimensionen desselben auszumessen und sorgfältig in sein Notizbuch einzutragen.

Er erschrak förmlich, als er hörte, daß aufgebrochen werden sollte. Am liebsten wäre er hier geblieben, aber da dies denn doch nicht möglich war, mußte er sich von *seinem Schatze trennen. Aber er brachte es doch so weit, daß vorher über dem Skelette ein Schutzdach aus Bambus und Schilf errichtet wurde, damit es nicht durch Wind und Regen leiden möge. Dann begann man den Rückweg nach dem Dorfe am klaren Bache, welches am Abende erreicht wurde.

jetzt, da Morgenstern das Megatherium nicht mehr vor sich sah, war er im stande, sich auch mit andern Dingen zu beschäftigen. Er konnte nun auch daran denken, daß es ein sehr reiches Geschenk seitens der Cambas an ihn sei, und daß er dem Vater Jaguar eine sehr schöne und freudige Überraschung zu verdanken habe. Er holte also das Versäumte ein, indem er sich bei diesem und dem Häuptlinge auf das herzlichste bedankte, und erhielt von dem letzteren die Versicherung, daß die Cambas gern nach Kräften bereit sein würden, das Riesenfaultier nach einem Orte zu bringen, von welchem aus der Transport desselben nach einem Hafenorte leicht zu ermöglichen sei. Als davon gesprochen wurde, daß der Vater Jaguar mit seiner Gesellschaft morgen früh nach den Cordilleras aufbrechen werde, hatte derselbe gar nicht nötig, Don Parmesan einen Wink zu geben, daß er ihn nicht gern bei sich sehe, denn der Chirurg kam zu Morgenstern und fragte:

»Señor, Sie reiten morgen nicht mit den andern?«

»Nein.«

»Sie bleiben also hier, um mit Ihrem vorweltlichen Tiere nach gebildeten Gegenden aufzubrechen?«

»Ja.«

»Ich habe eingesehen, daß meine Kunst im Chaco und in den Bergen weit weniger geachtet wird als in den Städten und in der Pampa. Sie wissen, ich bin ein berühmter Chirurg und verstehe jeden Bruch und jede Verletzung zu heilen; ich säble alles herunter; aber wenn man sich meiner Hilfe nicht bedient, so ist alle meine Wissenschaft und Fertigkeit ohne Nutzen. Darum habe ich mich entschlossen, dem Vaterjaguar für diesmal meine Gesellschaft zu entziehen. Ich bleibe auch hier, um dann mit Ihnen nach Gegenden zurückzukehren, in denen Menschen wohnen, welche die Wissenschaft und ihre jünger zu würdigen verstehen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Jawohl. Ihre Gesellschaft ist mir sehr angenehm, peramoenus oder pergratus, wie der Lateiner sagt.«

Don Parmesan meldete seinen Entschluß dem Vater Jaguar. Dieser sprach einige Worte des Bedauerns aus, daß er auf einen solchen Gefährten verzichten müsse, war aber innerlich froh, daß es ganz ohne sein Zuthun so gekommen war.

Als die Gesellschaft am andern Morgen aufbrach, waren alle Bewohner des Dorfes versammelt, um sich nochmals für die Rettung zu bedanken und von den Scheidenden Abschied zu nehmen. Eine Abteilung von Kriegern gab ihnen unter der Führung des Häuptlings eine Strecke weit das Ehrengeleit, und zwei Cambas ritten ganz mit bis Tucuman, um die Gegenstände zu bringen, welche der Vater Jaguar dort für Morgenstern kaufen sollte. Der letztere hatte dem ersteren alles auf einem Zettel bezeichnet und ihm auch das Geld dafür eingehändigt.

Gegen Mittag kam das Ehrengeleit zurück, und dann ritt der Häuptling nach dem Thale des ausgetrockneten Sees, um dort die verwundeten Abipones und deren Pfleger zu besuchen. Er nahm einige seiner Leute mit, und da Morgenstern nichts zu thun und also Langeweile hatte, bat er, sich mit Fritze anschließen zu dürfen, was ihnen auch sehr gern gewährt wurde. Sie fanden alles im besten Zustande; seit ihrer Abwesenheit war nichts geschehen, was die am See Zurückgebliebenen hätte beunruhigen können. Nur einen Umstand gab es, welcher das Bedenken des Cambas erregte, der den Befehl über die andern führte. Er erkundigte sich nämlich bei dem Häuptlinge, wieviel Pferde von den Abipones und den Weißen erbeutet worden seien, und sagte, als er die Zahl erfuhr:

»Da fehlen zwei. Es sind nur fünfzig Reiter gewesen, welche fünfundfünfzig Pferde gehabt haben. Diejenigen des Gambusino und von Perillo sind erschossen worden, also müßten wir dreiundfünfzig erbeutete Pferde haben; du sagst aber, daß es nur einundfünfzig seien. Wo sind die beiden fehlenden?«

»Es wird auf einem einfachen Irrtum beruhen,« meinte der Häuptling.

»Nein, denn es sind dreiundfünfzig Sättel dagewesen. Es fehlen zwei Pferde, welche des Abends oder des Nachts abhanden gekommen sind.«

»Wohin sollten sie sein!«

»Der Gambusino hat sie geholt.«

»Sage nicht das!« rief der ›harte Schädel‹ erschrocken aus.

»Wie wäre er in das Thal gekommen, da am Eingange desselben stets ein Doppelposten gestanden hat?«

»Frage diese Posten, ob sie ihre Pflicht gethan oder etwa mit bei den Feuern gesessen haben! Mir fällt etwas auf, was ich mir nur dadurch erklären kann, daß der Gambusino die beiden Pferde heimlich entführt hat.«

»Was?«

»Da ich wußte, daß die Leiche des erschossenen Hauptmanns Pellejo draußen auf dem Campo lag, so ritt ich, als ihr fort wart, hinaus, um zu überlegen, ob ich sie unter die Erde bringen oder nur mit Zweigen überdecken solle. Ich fand sie und scharrte sie im Sande ein. Eine Strecke weiter lagen die Pferde des Gambusino und Perillos, welche der Vater Jaguar erschossen hatte. Ich sah, daß ihnen die Sättel fehlten. Ist das nicht auffällig zu nennen?«

»Nein, denn Perillo und der Gambusino haben sie ihnen jedenfalls abgeschnallt und dann mitgenommen, um sie zu brauchen, sobald sie zu neuen Pferden kommen werden.«

»Dann hätten sie doch auch das Zaumzeug mitgenommen!«

»War dies denn noch da?«

»Ja, und zwar bei beiden Pferden.«

»Das ist freilich unbegreiflich, denn wer den Sattel braucht, der braucht den Zaum noch notwendiger; ja, man kann ohne Sattel eher reiten als ohne Zügel.«

»Ich finde es nicht unbegreiflich, sondern leicht erklärlich. Die Pferde, welche wir erbeuteten, trugen die Zäume und Zügel noch. Es fehlen zwei von ihnen. Der Gambusino hat sie geholt, und weil sie Zäume hatten, so brauchte er dann den erschossenen Pferden nur die Sättel abzunehmen.«

»Wie aber kann er in das Thal gekommen sein, da der Eingang desselben von zweien unsrer Krieger besetzt war!«

»Diese Wächter haben ihren Posten verlassen gehabt. Erkundige dich nur, denn ich habe dir etwas noch wichtigeres zu sagen. Als ich nach der Leiche ritt, sah ich verschiedene Spuren im Grase. Ich fand die Fährte, welche die beiden Flüchtlinge und ihre Verfolger zurückgelassen hatten. Ich fand auch die Spur des Vater Jaguar und des alten Anciano, welche sie bei ihrer Rückkehr gemacht hatten; sie führte nahe am Walde hin. Dann aber sah ich die Fährte zweier Fußgänger, welche da begann, wo sich die Flüchtlinge versteckt hatten, eine Strecke hinaus in den Campo führte und dann nach dem Thale zeigte. Hierauf gab es noch zwei Pferdespuren, welche aus dem Thale kamen und, von den andern Fährten etwas entfernt, nach der Stelle führten, wo die toten Pferde lagen. Dort war angehalten worden und abgestiegen, worauf diese Doppelspur dann immer am Walde entlang nach Norden weiter lief. Diese Reiter haben den Wald umreiten wollen. Was sagst du dazu?«

jetzt machte der Häuptling ein sehr bedenkliches Gesicht. Er schüttelte den Kopf, sann eine Weile nach und meinte dann:

»Wenn das so ist, dann ist der Gambusino mit Antonio Perillo Im Thale gewesen, um dort die beiden Pferde zu holen.«

»Das sage ich auch. Und noch eins behaupte ich, nämlich daß der Vater Jaguar in großer Gefahr schwebt, denn der Gambusino wird ihm nun zuvorkommen. Wann ist der Jaguar fort?«

»Heute früh.«

»So hat der Gambusino einen Vorsprung von drei Tagen, ein Vorsprung, welcher gar nicht eingeholt werden kann.«

»Vielleicht doch, denn der Vater Jaguar ist nach Tucuman, um von dort aus mit der Diligence zu fahren, während der Gambusino jedenfalls durch die Wälder und Wüsten nach Salta ist.«

»O, auch er ist klug. Wie nun, wenn er auch nach Tucuman geritten ist?«

An diesem Falle schwebt der Jaguar freilich in größter Gefahr. Ich muß ihm einen Boten nachsenden. Vorher aber will ich mich erkundigen, wer die Posten gewesen sind, welche am Thaleingange Wache gestanden haben.«

Er stieg auf sein Pferd, um schnell davonzureiten; seine roten Begleiter thaten dasselbe, und Morgenstern folgte mit Fritze diesem Beispiele. Man mußte durch den Wald langsam reiten; aber dann, als er zu Ende war, wurden die Pferde angetrieben, daß sie wie Pfeile über die Ebene flogen. Wenn dem Vater Jaguar ein Bote nachgeschickt werden sollte, so hatte man keine Zeit zu verlieren.

Der Häuptling sprengte mit seinen Indianern voran; die beiden Deutschen folgten hinterdrein. Das, was sie gehört hatten, ging ihnen im Kopfe herum. Während sie eng nebeneinander dahinritten, sagte Morgenstern:

»Fritze, wie lange meinst du wohl, daß mein Megatherium unter dem Schutzdache stehen kann, bevor es Schaden leidet?«

»Jedenfalls monate-, vielleicht auch sogar jahrelang.«

»Wirklich?«

»Janz jewiß! Warum fragen Sie?«

»Weil ich einen Gedanken habe, den ich nicht wieder loswerden kann.«

»Welchen?«

»Den Gedanken an die Gelegenheit zu einer tapfern That. Weißt du, wir sprachen davon!«

»Ik entsinne mir. Sobald sich die Jelejenheit zu eine solche That zeigt, wollten wir sie ausführen, um unsre Ehre wiederherzustellen.«

»Nun, die Gelegenheit ist da.«

»Welche?«

»Der Vater Jaguar befindet sich in einer großen Gefahr, lateinisch Periculum genannt.«

»Dat habe ik jehört, aber wat haben wir damit zu thun?«

Der schlaue Fritze zeigte sich jetzt so schwerhörig, weil er sich nicht wieder sagen lassen wollte, daß er seinen Herrn verleitet habe.

»Das kannst du mich fragen!« wunderte sich Morgenstern. »Wir haben ihm viel, sehr viel, sogar unser Leben zu verdanken, und jetzt fragst du, was wir mit der Gefahr zu thun haben, in welche er geraten wird? Ich kenne dich nicht mehr!«

»Dafür aber kenne ik mir. Meinen Sie etwa, daß wir ihn befreien?«

»Ja.«

»Da müßten wir ihm nachreiten?«

»Allerdings.«

»Aber der Häuptling will ihm doch einen Boten nachsenden. Da sind wir doch überflüssig.«

»Nein. Wie nun, wenn der Bote ihn nicht mehr in Tucuman antrifft? Er wird umkehren, weil er meint, seine Pflicht gethan zu haben.«

»Wir aber würden dem Vater Jaguar nachreisen?«

»Ganz selbstverständlich. Wir würden nicht ruhen, bis wir ihn gefunden und aus den Händen des Gambusino befreit hätten. Meinst du nicht auch?«

»Ja. Wenigstens ik würde nicht eher ruhen.«

»Ich auch nicht. Oder denkst du, daß du tapfrer und aushaltender bist als ich?«

»Nein, dat habe ik noch nie jedacht und denke es auch in diesem Momente nicht.«

»So sag, ob du einverstanden bist!«

»Hm! Ik möchte wohl, wenn nur eins nicht wäre.«

»Was?«

»Dat Megatherium.«

»Das geht dich nichts an; das ist meine Sache. Wenn ich es einstweilen stehen lasse, brauchst du dich nicht zu grämen; es bleibt uns ja gewiß.«

»Ja, fortlaufen wird es nicht. Thun Sie, wat Sie wollen. Ik richte mir janz nach Sie.«

»So ist es ausgemacht: Wir reiten nach Tucuman.«

»Wird der Häuptling uns fortlassen?«

»Kann er uns halten? Hat er uns etwas zu befehlen?«

»Nein, aber er kann leicht einen Grund haben, uns festzuhalten.«

»Das dulde ich nicht.«

»Ik auch nicht. Aber es ist iar nicht nötig, widerspenstig zu sein und Jewalt zu jebrauchen. Wir erreichen unsern Zweck mit List viel eher und leichter.«

»Wieso?«

»Wir brauchen nur zu sagen, daß Sie verjessen haben, dem Vaterjaguar verschiedenes zu sagen, wat Sie noch für dat Megatherium brauchen. Darum wollen wir mit dem Boten jern nach Tucuman reiten, um es zu holen. Dajejen kann ja kein Mensch wat haben.«

»Das ist wahr. Du bist ein Schlaukopf. Also es ist sicher: wir reiten nach Tucuman.«

»Ja, wenn es sich herausstellt, daß die Jeschichte von der Jefahr, in welcher der Jaguar schwebt, wirklich wahr ist.«

Leider stellte es sich heraus, daß der Indianer im Thale des ausgetrockneten Sees sich nicht geirrt oder verrechnet hatte. Die beiden Posten wurden ermittelt und gaben zu, daß sie den Eingang verlassen und ihre zwei Stunden am Feuer in der Gesellschaft der andern zugebracht hatten. Der Häuptling hatte keinen Grund, die beiden Deutschen von dem Ritte abzuhalten, und so jagten die drei Reiter noch vor Mitternacht zum Dorfe hinaus, der Richtung nach Tucuman zu. – – –


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