Karl May
Durchs wilde Kurdistan
Karl May

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Am andern Morgen weckte uns der Bey in eigener Person mit den Worten:

»Emir, erhebet Euch, wenn Ihr wirklich mit nach Mia wollt! Wir werden sehr bald aufbrechen.«

Da wir nach dortiger Gewohnheit in unsern Kleidern geschlafen hatten, so konnten wir ihm fast augenblicklich folgen. Wir erhielten Kaffee und kalte Bratenstücke, und dann setzte man sich zu Pferde. Der Weg nach Mia führte durch mehrere kurdische Dörfer, welche von gut bewässerten Gärten umgeben waren. Kurz vor dem Dorfe erhebt sich das Terrain bedeutend, und wir hatten einen Paß zu überschreiten, an welchem wir von einigen Männern erwartet wurden. Dies schien dem Bey aufzufallen, denn er frug sie, warum sie nicht in Mia geblieben seien.

»Herr, es ist seit gestern Vieles geschehen, was wir Dir berichten müssen,« antwortete Einer von ihnen. »Daß die Nestorah das untere Dorf verlassen haben, wird Dir Dohub gesagt haben. Heute in der Nacht nun ist Einer von ihnen in dem oberen Dorfe gewesen und hat einem Manne, dem er Dank schuldet, dringend gerathen, schnell aus Mia fort zu gehen, wenn er sein Leben retten wolle.«

»Und da fürchtet Ihr Euch?« frug der Bey.

»Nein, denn wir sind stark und tapfer genug, es mit diesen Giaurs aufzunehmen. Aber wir haben in der Frühe erfahren, daß die Christen bereits moslemitische Einwohner von Zawitha, Minijanisch, Murghi und Lizan getödtet haben, und hier in der Nähe von Seraruh sind einige Häuser weggebrannt worden. Wir ritten Dir entgegen, damit Du diese Kunde so bald wie möglich empfangen solltest.«

»So kommt. Wir wollen sehen, was davon zu glauben ist!«

Wir ritten im scharfen Tempo die Höhe hinunter und kamen bald an die Stelle, wo der Weg sich nach dem obern und dem untern Dorfe zu theilt. Wir schlugen die erstere Richtung ein, da der Bey in dem oberen Dorfe ein Haus besaß. Er wurde an demselben von einer Schaar Kurden erwartet, welche mit langen Lanzen und vielen kurzen Wurfspießen bewaffnet waren. Es war die Jagdgesellschaft.

Wir stiegen ab, und der Aufseher des Hauses brachte uns Speise und Trank herbei. Während wir uns labten, hielt der Bey draußen vor dem Hause ein Verhör bezüglich der Unruhen der Nestorianer. Das Ergebniß desselben schien ein sehr befriedigendes zu sein, denn als er bei uns eintrat, lächelte er wie ein Mann, der unnöthigerweise belästigt worden ist.

»Ist Gefahr vorhanden?« frug ich ihn.

»Gar nicht. Diese Nestorah haben uns verlassen, um hinfort keine Dscherum mehr bezahlen zu müssen, und da drüben bei Seraruh ist ein altes Haus verbrannt. Nun reden diese Memmen von Aufstand und Blutvergießen, während die Giaurs doch froh sind, wenn wir sie ungeschoren lassen. Kommt; ich habe Befehl zum Aufbruch gegeben. Wir reiten nach Seraruh zu, und da haben wir sogleich Gelegenheit, zu erfahren, daß die Männer von Mia zu ängstlich gewesen sind.«

»Werden wir uns theilen?« frug ich nun.

»Warum?« erwiderte er, einigermaßen erstaunt.

»Du sprachst von zwei Bärenfamilien.«

»Wir werden beisammen bleiben und erst die eine und dann die andere Familie vernichten.«

»Ist es weit von hier?«

»Meine Männer haben die Spuren verfolgt. Sie sagten mir, daß wir nur eine halbe Stunde zu reiten haben. Willst Du wirklich mit uns gegen die Bären kämpfen?«

Ich bejahte, und er sagte dann:

»So will ich Dir einige Wurfspieße geben.«

»Wozu?«

»Weißt Du nicht, daß keine Kugel einen Bären tödtet? Er stirbt erst dann, wenn viele Spieße in ihm stecken.«

Das brachte mir keinen guten Begriff von den Kurden und ihren Waffen bei. Entweder waren die Ersteren feig oder die Letzteren schlecht.

»Du magst Deine Spieße immerhin behalten; es reicht eine Kugel vollständig hin, um einen Bären zu tödten.«

»Thue, was Du willst,« meinte er überlegen, »aber bleibe stets in meiner Nähe, damit ich Dich beschützen kann.«

»Allah erhalte Dich, so wie Du mich erhalten willst!«

Wir ritten zum Dorfe hinaus. Der ganze Reitertrupp hatte das Aussehen, als ob wir auf die Gazellenjagd auszögen, so wenig gediegen erschien mir Alles. Es ging erst in das Thal hinab und dann drüben wieder empor über Berge, durch Schluchten und Wälder, bis wir endlich in einem Buchenwalde halten blieben, in welchem es viel Unterholz gab.

»Wo ist das Lager der Thiere?« frug ich den Bey.

Er deutete nur so vor sich hin, ohne einen bestimmten Punkt anzugeben.

»Man hat die Spuren gefunden?«

»Ja, auf der andern Seite.«

»Ah! Du lässest das Lager umstellen?«

»Ja, die Thiere werden auf uns zugetrieben. Du sollst zu meiner Rechten bleiben, und dieser Emir aus dem Abendlande, der auch keinen Wurfspieß haben will, zu meiner Linken, damit ich Euch beschützen kann.«

»Sind die Bären alle drin?« frug ich wieder.

»Wo sollen sie sein? Sie gehen nur des Nachts stehlen.«

Es war eine wunderbare Anordnung, welche jetzt getroffen wurde. Wir waren sämmtlich zu Pferde und bildeten einen Halbkreis, dessen einzelne Glieder beim Beginne des Treibens etwa vierzig Schritte von einander halten sollten.

»Sollen wir schießen, wenn der Bär kommt?« frug ich ungeduldig.

»Ihr könnt es thun, aber Ihr werdet ihn nicht tödten; dann jedoch flieht sofort!«

»Und was thust Du?«

»Wenn der Bär kommt, so wirft ihm der Nächste den Dscherid in den Leib und flieht so schnell, als das Pferd laufen kann. Der Bär setzt ihm nach, und der nächste Jäger verfolgt den Bären. Er wirft ihm auch seinen Dscherid in den Leib und flieht. Nun wendet sich der Bär, und der erste Jäger auch. Es kommen Mehrere herbei. Wer seinen Spieß geworfen hat, der wendet sich rasch zur Flucht, und der Bär wird von den Andern abgehalten. Er bekommt so viele Spieße in den Leib, daß er sich endlich verbluten muß.«

Ich übersetzte das dem Engländer.

»Feige Jagd!« räsonnirte er. »Schade um den Pelz! Wollen wir einen Handel machen, Sir?«

»Welchen?«

»Will Euch den Bären abkaufen.«

»Wenn es mir gelingt, ihn zu erlegen.«

»Pshaw! Wenn er noch lebendig ist.«

»Das wäre kurios!«

»Meinetwegen! Wie viel wollt Ihr haben?«

»Ich kann doch den Bären nicht verkaufen, wenn ich ihn noch gar nicht habe!«

»Sollt ihn eben gar nicht haben! Wenn er ja hier herauskommt, so werdet Ihr mir ihn wegschießen. Aber ich selbst will ihn schießen, und darum werde ich ihn Euch abkaufen.«

»Wie viel gebt Ihr?«

»Fünfzig Pfund, Sir. Ists genug?«

»Mehr als genug. Aber ich wollte nur sehen, wie viel Ihr bietet. Ich verkaufe ihn nämlich nicht.«

Er machte mir ein sehr grimmiges Gesicht.

»Warum nicht, Sir? Bin ich nicht Euer Freund?«

»Ich schenke ihn Euch. Seht, wie Ihr mit ihm fertig werdet!«

Er zog das gewohnte Parallelogramm seines Mundes so in die Breite, nämlich vor Vergnügen, daß es schien, als ob sich unter der Riesennase ein Bewässerungsgraben von einem Ohre zum anderen befinde.

»Sollt die fünfzig Pfund dennoch haben, Master!« sagte er.

»Nehme sie nicht!«

»So werden wir auf andere Weise quitt! Yes!«

»Ich stehe bereits weit höher in Eurer Schuld. Aber eine Bedingung muß ich dennoch stellen. Ich bin begierig, die Art und Weise kennen zu lernen, wie diese Kurden den Bären jagen, und darum wünsche ich nicht, daß Ihr sofort schießt. Laßt ihm erst einige Speere geben! Nicht?«

»Werde Euch den Gefallen thun.«

»Aber nehmt Euch wohl in Acht! Schießt ihm in das Auge oder grad in das Herz, sobald er sich erhebt. Die hiesigen Bären sind zwar nicht sehr schlimm, aber man kann doch immerhin Gefahr laufen.«

»Ha! Wollt Ihr mir einen Gefallen thun?«

»Recht gern, wenn ich kann.«

»Tretet mir für diese Weile Eure Büchse ab. Sie ist viel besser als die meinige. Tauscht Ihr mit mir so lange?«

»Wenn Ihr mir versprecht, daß sie dem Bären nicht zwischen die Tatzen kommen soll!«

»Werde sie in meinen eigenen Tatzen behalten!«

»So gebt her!«

Wir tauschten die Gewehre. Der Engländer war ein guter Schütze, aber ich war doch neugierig, wie er sich einem Bären gegenüber verhalten werde.

Die Schaar der Kurden löste sich auf. Die Hälfte derselben ritt mit den Hunden fort, um als Treiber zu dienen, und wir Andern blieben zurück, um die bezeichnete Linie zu bilden. Halef und die beiden Araber hatten Wurfspieße angenommen und wurden in die Zwischenräume eingereiht; ich aber mußte mit dem Engländer bei dem Bey halten bleiben. Meinen Hund hatte ich nicht zum Treiben hergegeben; er blieb an meiner Seite.

»Eure Hunde holen den Bären nicht, sondern sie treiben ihn?« frug ich den Bey.

»Sie können ihn nicht holen oder stellen, denn er flieht vor ihnen.«

»So ist er feig!«

»Du wirst ihn kennen lernen.«

Es dauerte eine geraume Weile, ehe wir an dem Lärmen merkten, daß sich die Treiber in Bewegung gesetzt hatten. Dann erscholl lautes Bellen und Halla-Rufen. Das Bellen näherte sich schnell, das Rufen etwas langsamer. Nach einigen Minuten verkündete uns ein lautes Geheul, daß einer der Hunde verwundet worden sei. Nun krachten Schüsse, und die Meute fiel mit verdoppelter Stärke ein.

»Paß auf, Emir!« warnte der Bey. »Jetzt wird der Bär kommen.«

Er hatte richtig vermuthet. Es knackte in dem nahen Unterholze, und ein schwarzer Bär erschien. Es war kein Goliath; ein guter Schuß mußte ihn tödten. Bei unserm Anblick blieb er stehen, um sich gemächlich zu überlegen, was unter so mißlichen Umständen zu thun sei. Ein halblautes Brummen verrieth seinen Verdruß, und seine Äuglein blitzten mißmuthig zu uns herüber. Der Bey ließ ihm keine Zeit. Da wo wir hielten, standen die Bäume lichter, so daß man sich zu Pferde genügend bewegen konnte. Er ritt auf das Thier zu, schwang einen seiner Spieße und warf ihn dem Bären in den Pelz, wo er stecken blieb. Dann aber riß er sein aus Furcht vor dem Bären zitterndes Pferd herum.

»Fliehe, Emir!« rief er mir noch zu, dann sauste er zwischen mir und dem Engländer hindurch.

Der Bär stieß ein lautes schmerzliches Brummen aus, suchte den Spieß von sich abzuschütteln, und da ihm dies nicht gelang, so rannte er dem Bey nach. Sofort brachen die beiden nächsten Nachbarn von uns hinter ihm her und warfen bereits von Weitem ihre Spieße, von denen nur einer traf, aber ohne stecken zu bleiben. Sofort wandte sich der Bär nach ihnen. Der Bey merkte dies, kehrte um, ritt wieder auf ihn zu und warf den zweiten Spieß, welcher noch tiefer eindrang, als der erste. Das jetzt wüthende Thier erhob sich und versuchte, den Schaft abzubrechen, während die beiden anderen Reiter von Neuem auf dasselbe eindrangen.

»Soll ich jetzt, Sir?« rief mir Lindsay zu.

»Ja, macht der Qual ein Ende!«

»So haltet mein Pferd.«

Er ritt, da wir dem Bären ausgewichen und dabei aus einander gekommen waren, wieder auf mich zu, stieg ab und übergab mir das Pferd. Schon wollte er sich abwenden, da prasselten die Zweige nieder und es erschien ein zweiter Bär. Es war die Bärin, welche nur langsam zwischen den Büschen hervortrat, weil ein schutzbedürftiges Junges bei ihr war. Sie war größer als das Männchen, und ihr zorniges Brummen konnte schon mehr ein Brüllen genannt werden. Es war ein nicht ungefährlicher Augenblick: dort der Bär, hier die Bärin, und wir zwischen ihnen. Aber die Kaltblütigkeit meines Master Fowling-bull kam nicht aus der Fassung.

»Die Bärin, Sir?« frug er mich.

»Gewiß!«

»Well! Werde galant sein. Die Dame hat den Vorzug!«

Er nickte vergnügt, schob sich den Turban aus der Stirn und schritt mit angelegter Büchse auf die Bärin zu. Diese sah den Feind kommen, zog das Junge zwischen ihre Hinterbeine und erhob sich, um den Nahenden mit ihren Vorderpranken zu empfangen. Dieser trat bis auf drei Schritte zu ihr heran, hielt ihr die Mündung des Gewehres so ruhig, als ob er auf ein Bild schieße, vor den Kopf und drückte ab.

»Zurück!« warnte ich ihn.

Es war unnöthig, denn er war sofort auf die Seite gesprungen und hielt das Gewehr für den zweiten Schuß bereit. Dieser war nicht nöthig. Die Bärin schlug die Tatzen in die Luft, drehte sich langsam und zitternd herum und stürzte zu Boden.

»Ist sie todt?« frug Lindsay.

»Ja, aber wartet noch, ehe Ihr sie berührt.«

»Well! Wo ist der Andere?«

»Da drüben!«

»Bleibt hier. Werde ihm die zweite Kugel geben.«

»Gebt die Büchse her! Ich will zuvor den leeren Lauf laden.«

»Dauert mir zu lange!«

Er schritt dem Platze zu, wo sich der verwundete Bär noch immer mit seinen Verfolgern abmühte. Eben wollte der Bey dem Thiere einen neuen Spieß geben, als er den Engländer sah und erschrocken inne hielt. Er hielt ihn für verloren. Lindsay aber blieb ruhig stehen, als er sah, daß der Bär auf ihn losrannte. Er ließ ihn herankommen, wartete, bis er sich zur tödlichen Umarmung erhob, und drückte los. Der zweite Schuß hatte denselben Erfolg wie der erste: – das Thier war todt.

Es erhob sich ein lauter Jubel, der nur von dem Geheul der Hunde übertönt wurde, die mit Mühe von den todten Bären abzuhalten waren. Der Engländer aber kehrte sehr gleichmüthig zu seinem Pferde zurück und übergab mir die Büchse.

»Jetzt könnt Ihr wieder laden, Sir! Yes!«

»Da, nehmt Euer Pferd!«

»Wie habe ich die Sache gemacht?«

»Sehr gut!«

»Well! Freut mich! Ist schön in Kurdistan, wunderschön!«

Die Kurden kamen aus dem Erstaunen nicht heraus; es war ihnen unerhört, daß ein Fußgänger mit nur einem Gewehre mit zwei Bären fertig zu werden vermochte. Allerdings hatte sich Master Lindsay mehr als musterhaft benommen. Ein größeres Räthsel noch war es mir, die Bärenfamilie beisammen zu finden, da das Junge bereits ziemlich erwachsen war. Die Kurden hatten sehr große Mühe, es zu überwältigen und zu binden, da der Bey es lebendig in Gumri zu haben wünschte.

Nun wurde das Lager der Thiere aufgesucht. Es befand sich im dichtesten Gestrüpp, und die vorhandenen Spuren zeigten, daß die Familie nur aus den Alten mit diesem einen Jungen bestanden hatte. Einer der Hunde war todt, und zwei waren verwundet. Wir konnten mit dieser Jagd zufrieden sein.

»Herr,« sagte der Bey zu mir, »dieser Emir aus dem Abendlande ist ein sehr tapferer Mann!«

»Das ist er.«

»Ich wundere mich nicht mehr, daß Euch die Berwari gestern nicht überwältigen konnten, bis sie Euch zu schnell überraschten.«

»Auch da hätten sie uns nicht überwältigt; aber ich gebot den Gefährten, sich nicht zu wehren. Ich bin Dein Freund und wollte Deine Leute nicht tödten lassen.«

»Wie ist es möglich, alle beiden Bären in das Auge zu treffen?«

»Ich habe einen Seïdvar gekannt, der jedes Wild und jeden Feind in das Auge traf. Er war ein guter Schütze und hatte ein sehr gutes Tufank, welches niemals versagte.«

»Schießest Du auch so?«

»Nein. Ich habe sehr viel geschossen, aber nur in schlimmen Fällen auf das Auge gezielt. Wo ist der zweite Jagdplatz?«

»Nach Osten, näher nach Seraruh hinüber. Wir wollen aufbrechen.«

Es wurden einige Männer mit den erbeuteten Thieren zurückgelassen; wir Andern ritten weiter. Wir verließen den Wald und kamen in eine Schlucht hinab, in welcher ein Bach floß, dessen Ufern wir zu folgen hatten. Der Bey ritt mit den beiden Haddedihn bei den Führern an der Spitze des Zuges; Halef befand sich im dichtesten Haufen der Kurden, mit denen er sich mittels Geberden zu unterhalten suchte, und ich ritt mit dem Engländer hinterher. Wir waren im Gespräche über irgend einen Gegenstand vertieft und merkten nicht, daß wir soweit zurückgeblieben waren, daß wir die Kurden nicht mehr sehen konnten. Da fiel ein Schuß vor uns.

»Was ist das?« frug der Engländer. »Sind wir schon bei den Bären, Sir?«

»Wohl nicht.«

»Wer schießt aber?«

»Werden es sehen; kommt!«

Da krachte eine ganze Salve, als ob der Schuß vorher nur als Signal gegolten habe. Wir setzten unsere Pferde in Galopp. Mein Rappe flog wie ein Pfeil über den schmierigen Boden, aber – da blieb er mit dem Hufe an einer Schlingwurzel hangen; ich hatte sie gesehen und wollte ihn emporreißen, aber es war bereits zu spät. Er überschlug sich, und ich wurde weit aus dem Sattel geschleudert. Das war in zwei Tagen zum zweiten Male; aber ich fiel jetzt nicht so glücklich, wie gestern. Ich mußte mit dem Kopfe aufgefallen sein, oder ich hatte mir den Büchsenkolben an die Schläfe geschlagen – ich blieb völlig besinnungslos liegen.

Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich eine Erschütterung, die mir den ganzen Körper schmerzen machte. Ich öffnete die Augen und sah mich zwischen zwei Pferden hangen. Man hatte Stangen an die Sättel befestigt und mich darauf gebunden. Vor und hinter mir ritten gegen dreißig kriegerische Gestalten, von denen mehrere verwundet zu sein schienen, und unter ihnen befand sich – Master Lindsay, aber gefesselt. Der Anführer der Schaar ritt meinen Hengst und trug auch meine Waffen. Mir hatte man nur Giömlek und Donn gelassen, während Lindsay außer diesen beiden nothwendigen Kleidungsstücken auch noch seinen schönen Turban behalten durfte. Wir waren vollständig ausgeraubt und gefangen.

Da wendete einer der Reiter den Kopf und sah, daß ich die Augen geöffnet hatte.

»Halt!« rief er. »Er lebt!«

Sofort stockte der Zug. Alle hielten an und bildeten einen Kreis um mich. Der Anführer drängte meinen Hengst heran und frug mich: »Kannst Du reden?«

Schweigen konnte zu nichts führen; ich antwortete daher mit einem Ja.

»Du bist der Bey von Gumri?« begann er das Verhör.

»Nein.«

»Lüge nicht.«

»Ich rede die Wahrheit.«

»Du bist der Bey!«

»Ich bin es nicht!«

»Wer bist Du sonst?«

»Ein Fremder.«

»Woher?«

»Aus dem Abendlande.«

Er lachte höhnisch.

»Hört Ihr's? Er ist ein Fremdling aus dem Abendlande, geht mit den Leuten von Gumri und Mia auf die Bärenjagd und spricht die Sprache dieses Landes!«

»Ich war ein Gast des Bey, und daß ich Eure Sprache nicht gut spreche, das müßt Ihr hören. Seid Ihr Nestorah?«

»So nennen uns die Moslemim.«

»Auch ich bin ein Christ!«

»Du?« Er lachte wieder. »Du bist ein Hadschi; Du hattest den Kuran am Halse hängen; Du trägst die Kleidung eines Moslem; Du willst uns betrügen.«

»Ich sage die Wahrheit!«

»Sage uns, ob Sidna Marryam die Mutter Gottes ist!«

»Sie ist es.«

»Sage uns, ob ein Priester ein Weib nehmen soll!«

»Er soll unvermählt bleiben.«

»Sage mir, ob es mehr oder weniger als drei Sakramente gibt!«

»Es gibt mehr.«

Es fiel mir trotz der Gefahr, in welcher ich schwebte, nicht ein, meinen Glauben zu verleugnen. Die Folge bekam ich sofort zu hören:

»So wisse, daß Sidna Marryam nur einen Menschen geboren hat, daß ein Priester sich verheirathen darf, und daß es nur drei Sakramente gibt, nämlich das Abendmahl, die Taufe und die Ordination. Du bist ein Moslem, und wenn Du ja ein Christ bist, so bist Du ein falscher Christ und gehörst zu Jenen, welche ihre Priester senden, um die Kurden, Türken und Perser gegen uns aufzuhetzen, und das ist noch schlimmer, als wenn Du ein Anhänger des falschen Propheten wärest. Deine Leute haben Einige von uns verwundet; Du wirst diese Schuld mit Deinem Blute bezahlen.«

»Ihr wollt Christen sein und dürstet nach Blut! Was haben wir Beide Euch gethan? Wir wissen nicht einmal, ob Ihr den Bey angefallen habt, oder ob Ihr von ihm angefallen worden seid.«

»Er wurde von uns erwartet, denn wir wußten, daß er in die Schlucht auf die Jagd kommen würde; aber er ist uns mit all den Seinen entkommen. Das wollen wir Dir sagen.«

»Wohin führt Ihr uns?«

»Das wirst Du erfahren, wenn wir dort sind.«

»So befreit mich wenigstens aus dieser Lage, und laßt mich auf einem Pferde sitzen.«

»Das ist auch uns lieber. Aber wir werden Dich anbinden müssen, damit Du uns nicht entkommen kannst.«

»Thut es immerhin!«

»Wer ist Dein Gefährte? Er hat zwei Männer von uns verwundet und ein Pferd erschossen und redet in einer Sprache, die wir nicht verstehen.«

»Er ist ein Engländer.«

»Ein Engländer? Er trug ja kurdische Kleidung!«

»Weil sie in diesem Lande die bequemste ist.«

»Ist er ein Missionar?«

»Das ist er nicht.«

»Was will er hier?«

»Wir reisen in Kurdistan, um zu sehen, was es hier für Menschen, Thiere und Pflanzen, für Städte und Dörfer gibt.«

»Das ist sehr schlimm für Euch, denn dann seid Ihr Spione. Was habt Ihr Euch um dieses Land zu kümmern! Wir kommen auch nicht in das Eurige, um Eure Menschen, Städte und Dörfer auszukundschaften. – Setzt ihn auf das Pferd und bindet ihn mit dem Manne zusammen, der ein Engländer sein soll. Auch ihre beiden Thiere hängt Ihr an einander!«

Diesem Befehle wurde Folge geleistet. Diese Leute führten so viele Stricke und Riemen bei sich, daß sie sicher auf einen viel größeren Fang ausgegangen waren, als sie mit uns gemacht hatten. Es wurden Stricke zwischen mir und Lindsay herüber und hinüber gezogen, so daß die Flucht eines Einzelnen von uns gar nicht möglich war. Der Engländer sah diese Veranstaltungen mit einem unbeschreiblichen Blick über sich ergehen; dann wandte er sich mit einem Gesichte zu mir, an welchem alle bitteren Gefühle der Welt herumzerrten. Der fest zusammengekniffene Mund bildete einen Halbkreis, dessen Enden das Kinn abknüpfen wollten, und die Nase hing farblos nieder, wie eine eingeschneite und steif gefrorene Trauerflagge.

»Nun, Sir?« frug ich.

Er nickte sehr langsam zwei- oder dreimal und sagte dann: »Yes!«

Er brauchte nicht mehr zu sagen, als dieses eine Wort, denn in dem Tone desselben lag eine ganze Welt voll Ausrufezeichen.

»Wir sind gefangen,« hob ich an.

»Yes!«

»Und halb nackt.«

»Yes!«

»Wie ist das gekommen?«

»Yes!«

»Geht zum Kuckuck mit Eurem Yes! Ich habe gefragt, wie es gekommen ist, daß wir gefangen werden konnten.«

»Wie heißt Schelm oder Spitzbube auf Kurdisch?«

»Schelm heißt Heilebaz, und Spitzbube Herambaz.«

»So fragt diese Heile- und Herambazes, wie es ihnen gelungen ist, uns weg zu fischen!«

Der Anführer mußte die kurdischen Ausdrücke vernommen haben. Er drehte sich um und frug: »Was habt Ihr zu reden?«

»Ich lasse mir von meinem Gefährten erzählen, wie wir in Eure Hände gerathen sind,« erwiderte ich.

»So redet kurdisch, damit wir es auch hören!«

»Er versteht ja das Kurdische nicht!«

»So redet ja nicht etwa Dinge, die wir nicht erlauben können!«

Er drehte sich wieder hinum, wohl in der Überzeugung, uns einen guten Befehl gegeben zu haben. Ich war jedoch sehr froh, daß er uns das Sprechen nicht überhaupt verboten hatte. Ein Kurde hätte dies sicherlich gethan. Auch waren unsere Fesseln keineswegs beschwerlicher Art. Unsere Füße waren so zusammengebunden, daß der Strick unter dem Bauche des Pferdes hinweglief, und von meinem linken Arme und Beine führte je eine Leine zu den genannten rechten Gliedmaßen des Engländers. Außerdem waren unsere Pferde zusammengekoppelt; die Hände aber hatten wir frei – man ließ uns die Zügel führen. Unsere jetzigen Herren hätten in einem Cursus bei den wilden Indianern sehr viel lernen können.

»Also, erzählt, Sir!« bat ich Lindsay.

»Well! Ihr schlugt einen Purzelbaum, grad wie gestern. Scheint überhaupt seit neuester Zeit in dieser Motion etwas zu leisten! Ich ritt hinter Euch. Versteht Ihr wohl!«

»Verstehe sehr gut; fahrt fort!«

»Mein Pferd stürzte über Euren Rappen, der jetzt diesem Gentleman gehört, und ich – – hm! Yes!«

»Aha! Ihr schlugt auch einen Purzelbaum?«

»Well! Aber der meinige gelang besser als der Eurige –«

»Vielleicht habt Ihr in dieser Motion eine größere Übung als ich!«

»Sir, was heißt Schnabel auf Kurdisch?«

»Nekul.«

»Schön! Gebt also auf Euren Nekul besser Acht, Master!«

»Danke für die Warnung, Sir! Eure Ausdrucksweise scheint sich, seit Ihr Euch mit dem Kurdischen beschäftigt, sehr verästhetisirt zu haben. Nicht?«

»Ist auch kein Wunder bei diesem Ärger! Also ich kam zur Erde zu liegen und konnte nur langsam wieder auf. Es mußte sich etwas in mir verbogen haben. Die Büchse war weit fortgeschleudert und der Gürtel aufgegangen; alle Waffen lagen an der Erde. Da kamen diese Herambaz und machten sich über mich her.«

»Ihr wehrtet Euch?«

»Natürlich! Ich konnte aber nur das Messer und eine der Pistolen erwischen; darum gelang es ihnen, mich zu entwaffnen und zu binden.«

»Wo blieb der Bey mit seinen Leuten?«

»Habe Keinen von ihnen zu sehen bekommen, hörte aber weiter vor uns noch schießen.«

»Sie werden zwischen zwei Abtheilungen dieser Leute hier gerathen gewesen sein.«

»Wahrscheinlich. Als man mit mir fertig war, machte man sich an Euch. Ich dachte schon, daß Ihr todt wäret. Man hat Beispiele, daß selbst ein schlechter Reiter einmal den Hals entzweifällt; nicht, Sir?«

»Möglich!«

»Ihr wurdet zwischen die zwei Mähren gebunden; dann ging es fort, nachdem man unsere beiden Pferde annectirt hatte.«

»Hat man Euch verhört?«

»Sehr! Habe auch geantwortet! Und wie! Yes!«

»Wir müssen zunächst aufmerken, in welcher Richtung wir transportirt werden. Wo liegt die Schlucht, in der uns das Unglück passirte?«

»Grad hinter uns.«

»Dort steht die Sonne; wir reiten also Ostsüdost. Gefällt es Euch noch so in Kurdistan wie vorhin, als Ihr die Bären getroffen hattet?«

»Hm! Ein miserables Land zuweilen! Wer sind diese Leute?«

»Es sind Nestorianer.«

»Vortreffliche christliche Sekte! Nicht, Sir?«

»Sie sind von den Kurden oft mit einer solchen unmenschlichen Grausamkeit behandelt worden, daß man sich nicht wundern darf, wenn sie einmal Vergeltung üben.«

»Konnten aber damit warten bis zu einer andern Zeit! Was ist nun zu thun, Sir?«

»Nichts, wenigstens jetzt.«

»Nicht fliehen?«

»In dem Zustande, in welchem wir uns befinden?«

»Hm! War ein schöner Anzug! Wunderschön! Nun ist er fort! In Gumri werden wir andere Kleider erhalten.«

»Das wäre das Wenigste. Aber ohne mein Pferd und meine Waffen fliehe ich nicht. Wie steht es mit Eurem Gelde?« frug ich.

»Fort! Und das Eurige?«

»Fort! Es war übrigens nicht sehr viel,« lautete meine Antwort.

»Schöne Wirthschaft, Sir! Was glaubt Ihr, daß sie mit uns thun werden?«

»In Lebensgefahr befinden wir uns nicht. Sie werden uns früher oder später entlassen. Aber ob wir unser Eigenthum zurückerhalten, das ist sehr zu bezweifeln.«

»Laßt Ihr Eure Waffen im Stich?«

»Nie, und müßte ich sie einzeln in Kurdistan wieder zusammensuchen!«

»Well! Ich suche mit!«

Wir ritten durch ein breites Thal, welches zwei Höhenzüge trennte, die sich von Nordwest nach Südost erstreckten; dann ging es links zwischen den Bergen empor, bis wir auf eine Hochebene gelangten, von welcher aus man im Osten die Häuser mehrerer Ortschaften und einen Fluß erblickte, in welchen sich mehrere Bäche ergossen. In dieser Gegend mußten Murghi und Lizan liegen, denn nach meiner Ansicht waren wir bereits über Seraruh hinaus.

Hier oben wurde unter Eichen Halt gemacht. Die Reiter stiegen von den Pferden. Auch wir durften herab, wurden aber mit einander an den Stamm eines Baumes gebunden. Ein Jeder holte hervor, was er an Eßwaren bei sich hatte, und wir erhielten die Erlaubniß, zuzusehen. Lindsay räusperte sich verdrießlich und knurrte:

»Wißt Ihr, worauf ich mich gefreut hatte, Sir?«

»Nun auf was?«

»Auf Bärenschinken und Bärentatzen.«

»Dieses Gelüste laßt Euch vergehen! Habt Ihr Hunger?«

»Nein, bin satt vor Ärger! Schaut den Kerl! Kann sich mit den Revolvern nicht zurechtfinden!«

Die Leute konnten jetzt mit Ruhe Alles betrachten, was sie uns abgenommen hatten. Wir sahen unser Eigenthum durch alle Hände wandern, und nächst dem Gelde, welches aber sehr sorgfältig wieder aufgehoben wurde, erregten besonders unsere Waffen die Aufmerksamkeit der neuen Inhaber. Der Anführer hielt meine beiden Revolver in der Hand. Er konnte über sie nicht klug werden, drehte sie hin und her und wandte sich endlich an mich mit den Worten: »Das sind Waffen?«

»Ja.«

»Zum Schießen?«

»Ja.«

»Wie macht man es?«

»Das kann man nicht sagen, sondern man muß es zeigen.«

»Zeige es uns!«

Dem Manne kam es nicht in den Sinn daran zu denken, daß das kleine Ding ihm gefährlich werden könne.

»Du würdest es nicht begreifen,« sagte ich.

»Warum nicht?«

»Weil Du zuvor den Bau und die Behandlung des anderen Gewehres begriffen haben müßtest.«

»Welches Gewehr meinst Du?«

»Das zu Deiner Rechten liegt.«

Es war der Henrystutzen, den ich meinte. Er war ebenso wie die Revolver mit einer Sicherung versehen, welche der Mann nicht zu behandeln verstand.

»So erkläre es mir!« sagte er.

»Ich habe Dir ja bereits gesagt, daß man dies nur zeigen muß!«

»Hier hast Du das Gewehr!«

Er reichte es mir, und sobald ich es in meiner Hand fühlte, war es mir, als ob ich nichts mehr zu befürchten brauche.

»Gib mir ein Messer, damit ich den Hahn öffnen kann,« sagte ich nun.

Er gab mir ein Messer, und ich nahm es, schob die Sicherung mit der Spitze desselben zurück, obgleich ich dies mit dem leisesten Druck meines Fingers hätte thun können, und behielt das Messer dann noch in der Hand.

»Sage mir, was ich Dir schießen soll?« hob ich nun an.

Er blickte sich um und sagte dann: »Bist Du ein guter Schütze?«

»Ich bin's!«

»So schieße mir einen jener Galläpfel herab!«

»Ich werde Dir fünf herunterschießen und doch nur einmal laden.«

»Das ist unmöglich!«

»Ich sage die Wahrheit. Soll ich laden?«

»Lade!«

»So mußt Du mir den Beutel geben, der an meinem Gürtel hing. Du hast ihn da an Deinen eigenen Gürtel befestigt.«

Das Gewehr war vollständig geladen, aber es war mir um meine Patronen zu thun.

»Was sind das für kleine Dinger, welche sich darin befinden?« frug er.

»Das werde ich Dir zeigen. Wer so ein Ding hat, braucht weder Pulver noch Kugel, um schießen zu können.«

»Ich sehe, daß Du kein Kurde bist; denn Du hast Sachen, die es noch nie in diesem Lande gegeben hat. Bist Du wirklich ein Christ?«

»Ein guter Christ.«

»Sage mir das Vater unser!«

»Ich spreche nicht gut das Kurdische, aber Du wirst es mir verzeihen, wenn ich einige kleine Fehler mache.«

Ich gab mir Mühe, die Aufgabe zu lösen. Er fiel zwar einige Male verbessernd ein, weil ich die Worte ›Versuchung‹ und ›Ewigkeit‹ nicht kannte, meinte aber dann doch befriedigt: »Du bist wirklich kein Moslem, denn ein solcher würde das Gebet der Christen niemals sagen. Du wirst das Gewehr nicht mißbrauchen, und darum will ich Dir den Beutel geben.«

Seine Gefährten schienen sein Verfahren nicht anstößig und unvorsichtig zu finden. Sie gehörten alle einer Bevölkerungsklasse an, der durch die Gewalt ihrer Unterdrücker eine lange Zeit die Waffen aus der Hand gerungen gewesen waren, und verstanden darum den Werth derselben in den Händen eines entschlossenen Mannes kaum zu schätzen. Und übrigens waren Alle wohl neugierig auf die Unterweisung, welche ich geben sollte.

Ich nahm eine der Patronen heraus und that, als ob ich lud. Dann zielte ich in die Höhe und gab den Zweig an, von welchem fünf Galläpfel verschwinden sollten. Ich drückte fünfmal los, und die Äpfel waren fort. Das Erstaunen dieser einfachen Leute war grenzenlos.

»Wie vielmal kannst Du mit diesem Gewehre schießen?« frug mich der Anführer.

»So vielmal, als ich will.«

»Und hier mit diesen kleinen Gewehren?«

»Auch sehr vielmal. Soll ich sie Dir erklären?«

»Thue es!«

»Zeige sie einmal her!«

Ich legte den Stutzen neben mich und langte nach den beiden Revolvern, welche er mir gab. Lindsay beobachtete eine jede meiner Bewegungen mit der größten Spannung.

»Ich habe Euch gesagt, daß ich ein Christ aus dem Abendlande bin. Wir tödten niemals ungezwungen einen Menschen, aber wenn wir angegriffen werden, so kann man uns nie besiegen; denn wir haben wunderbare Waffen, gegen die es keine Rettung gibt. Ihr seid über dreißig tapfere Krieger; aber wenn wir Zwei nicht an diesen Baum gebunden wären und Euch tödten wollten, so würden wir mit diesen drei Gewehren in drei Minuten damit fertig sein. Glaubst Du das?«

»Wir haben auch Waffen!« antwortete er mit einem leisen Anflug von Besorgniß.

»Ihr würdet sie nicht brauchen können, denn der Erste, der nach seiner Flinte, nach seiner Lanze oder nach seinem Messer griffe, wäre auch der Erste, welcher sterben müßte. Versuchtet Ihr aber keine Gegenwehr, so würden wir Euch nichts zu Leide thun, sondern in Frieden mit Euch reden.«

»Das Alles könnt Ihr nicht, denn Ihr seid an den Baum gebunden.«

»Du hast Recht: aber wenn wir wollten, würden wir bald frei sein,« antwortete ich in einem ruhigen, erklärenden Tone. »Dieser Strick geht nur um unsern Leib und um den Baum. Ich würde meinem Gefährten diese kleinen Gewehre geben, so wie ich jetzt thue; dann nähme ich Dein Messer, und ein einziger Schnitt mit demselben zertrennt den Strick, und wir sind frei. Siehest Du wohl?«

Grad so, wie ich gesprochen, hatte ich es auch gethan. Ich stand aufrecht am Baume mit dem Stutzen, Lindsay neben mir mit den Revolvern. Er nickte mir mit seinem breitesten Lächeln zu, gespannt auf Alles, was ich that, da er meine Worte nicht verstehen konnte.

»Du bist ein kluger Mann,« sagte der Anführer; »aber diesen Strick brauchtest Du uns nicht zu ruiniren. Setze Dich wieder nieder, und erkläre uns auch die beiden kleinen Gewehre!«

»Ich habe Dir bereits zweimal gesagt, daß man das nicht erklären, sondern zeigen muß. Und zeigen werde ich es Euch, wenn Ihr nicht das thut, was ich von Euch verlange.«

Jetzt endlich begann ihm klar zu werden, daß ich Ernst machte. Er stand auf, und auch die Andern erhoben sich, nach ihren Waffen greifend.

»Was verlangst Du?« frug er drohend.

»Höre mich ruhig an! Wir sind keine gewöhnlichen Krieger, sondern Emire, denen man Achtung schuldig ist, selbst wenn sie in Gefangenschaft gerathen. Ihr aber habt uns beraubt und gefesselt, als ob wir Diebe und Räuber seien. Wir verlangen, daß Ihr uns Alles zurückgebt, was Ihr uns genommen habt!«

»Das werden wir nicht thun!«

»So werde ich Deinen Wunsch erfüllen und Dir den Gebrauch unserer Waffen zeigen. Merke wohl auf: der Erste, der auf uns schießen oder stechen will, wird auch der Erste sein, der sterben muß! Es ist besser, wir sprechen in Frieden mit einander, als daß wir Euch tödten.«

»Ihr werdet auch fallen!«

»Aber die Meisten von Euch vorher!«

»Wir müssen Euch binden, denn wir müssen Euch zu unserm Melek bringen.«

»Ihr bringt uns nicht zu Eurem Melek, wenn Ihr uns fesseln wollt; denn wir werden uns wehren. Aber wenn Ihr uns Alles wiedergebt, was uns gehört, so werden wir Euch freiwillig folgen; denn wir können dann als Emire vor ihm erscheinen.«

Diese guten Leute waren gar nicht blutgierig und hatten eine große Angst vor unsern Waffen. Sie blickten einander an, flüsterten leise, und endlich frug der Anführer:

»Was verlangst Du zurück?«

»Die Kleider alle.«

»Die sollst Du haben.«

»Das Geld und Alles, was in unsern Taschen war.«

»Das müssen wir behalten, um es dem Melek zu geben.«

»Und die Waffen.«

»Auch sie müssen wir behalten, sonst gebraucht Ihr sie gegen uns.«

»Und endlich verlangen wir unsere Pferde.«

»Du verlangst das Unmögliche!«

»Nun gut; so habt Ihr allein die Schuld, wenn wir uns selbst nehmen, was uns gehört. Du bist der Anführer und hast unser Eigenthum eingesteckt. Ich muß Dich tödten, um es wieder zu bekommen.«

Ich erhob das Gewehr. Lindsay hielt seine beiden Läufe vor.

»Halt, schieße nicht!« gebot der Mann. »Folgest Du uns wirklich, wenn wir Euch Alles geben?«

»Ja,« erwiderte ich.

»Schwöre es uns!«

»Ich sage es. Das gilt wie ein Schwur!«

»Und wirst auch Deine Waffen nicht gebrauchen?«

»Nein; es sei denn aus Nothwehr.«

»So sollst Du Alles haben.«

Er sprach wieder leise mit den Seinen. Es schien, als ob er ihnen erkläre, daß unser Eigenthum ihnen ja sicher bleibe. Endlich wurde uns Alles hingelegt, so daß wir nicht den geringsten Gegenstand zu vermissen hatten. Wir zogen unsere Kleider an, und während dieser Beschäftigung forderte mich Lindsay auf, ihm das Ergebniß meiner Verhandlung mitzutheilen. Als ich seiner Aufforderung nachgekommen war, legte sich sein Gesicht in sehr bedenkliche Falten.

»Was habt Ihr gethan, Sir! Hatten unsere Freiheit so schön in den Händen!«

»Glaubt Ihr? Es hätte auf alle Fälle einen Kampf gegeben.«

»Hätten sie Alle erschossen!«

»Fünf oder Zehn, dann aber wäre es aus mit uns gewesen. Seid froh, daß wir unsere Sachen wieder haben; das Weitere wird sich dann auch noch finden!«

»Wohin führen sie uns?«

»Das werden wir erst noch erfahren. Übrigens könnt Ihr versichert sein, Sir, daß uns unsere Freunde nicht verlassen werden. Von Halef weiß ich es ganz genau, daß er Alles in Bewegung setzen wird, um uns nützlich zu sein.«

»Glaube es auch. Braver Kerl!«

Als wir Alles zu uns genommen hatten, stiegen wir auf und setzten unsern Ritt fort. Es hätte mich jetzt nur einen Schenkeldruck gekostet, um wieder frei zu sein; aber ich hatte mein Wort gegeben, und das mußte ich halten. Ich ritt an der Seite des Anführers, der seine besorgten Blicke nicht von uns wendete.

»Ich frage Dich abermals, wohin Du uns führst?« hob ich an.

»Das wird der Melek entscheiden.«

»Wo befindet er sich?«

»Wir werden am Abhange des Gebirges auf ihn warten.«

»Welcher Melek ist es?«

»Von Lizan.«

»So ist er jetzt in Lizan und wird später kommen?«

»Er ist dem Bey von Gumri nachgejagt.«

»Ah! Und warum habt Ihr Euch von ihm getrennt?«

»Er bedurfte unserer Hilfe nicht, weil er sah, daß der Bey so wenige Leute bei sich hatte, und als wir umkehrten, trafen wir auf Euch.«

Nun war das Räthsel gelöst. Der Feind war so zahlreich gewesen, daß es unsern Freunden nicht möglich geworden war, sich durchzuschlagen und zu uns zu kommen.

Unser Weg führte uns sehr bald wieder bergab, und wir sahen das Thal des Zab in einer Länge von vielen Stunden vor uns liegen. Nach Verlauf von vielleicht zwei Stunden gelangten wir an einen einsamen Weiler, der nur aus vier Gebäuden bestand, von denen drei aus Lehm aufgeführt waren, während das vierte starke Steinmauern besaß. Es hatte ein Stockwerk über dem Erdgeschoß und einen ziemlich großen Garten an seiner hinteren Seite.

»Hier bleiben wir,« meinte der Anführer.

»Wem gehört dieses Haus?«

»Dem Bruder des Melek. Ich werde Dich zu ihm führen.«

Wir hielten vor dem Gebäude still, und eben als ich am Absteigen war, vernahmen wir ein lautes, heulendes Schnaufen. Wir drehten uns um und sahen einen Hund, der in gewaltigen Sätzen den Abhang herabgesprungen kam. Es war mein Dojan, den ich kurz vor dem Überfall der Obhut Halef's übergeben hatte. Die Schnur, an welcher ihn der Diener geführt hatte, war zerrissen, und sein Instinct hatte das brave Thier auf meine Spur geführt. Er sprang laut jauchzend an mir empor, und ich hatte alle Mühe, ihn zur Ruhe zu bringen. Ich gab ihm die Zügel meines Pferdes zwischen die Zähne und war nun sicher, daß Niemand es mir unbemerkt entführen könne. Dann wurden wir in das Haus gewiesen. Der Anführer stieg mit uns eine Treppe empor und bedeutete uns, in einem Zimmerchen auf ihn zu warten. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er zurückkehrte.

»Ihr sollt kommen,« meinte er. »Aber legt vorher die Waffen ab.«

»Warum diese Zumuthung?«

»Der Bruder des Melek ist ein Priester.«

»Bei dem Du selbst Deine Waffen getragen hast!«

»Ich bin sein Freund.«

»Ah! Er fürchtet sich vor uns?«

»So ist es.«

»Du kannst ruhig sein. Wenn er es ehrlich meint, wird er sich bei uns in keiner Gefahr befinden.«

Der Mann führte uns durch eine Thüre in ein Gemach, in welchem der Besitzer des Hauses sich befand. Es war ein schwacher, ältlicher Mann, dessen blatternarbiges Gesicht auf mich keinen sehr angenehmen Eindruck machte. Er winkte, und der Führer entfernte sich.

»Wer seid Ihr?« frug er, ohne uns zu begrüßen.

»Wer bist Du?« frug ich in ganz demselben kurzen Tone wie er.

Er runzelte die Stirn.

»Ich bin der Bruder des Melek von Lizan.«

»Und wir sind Gefangene des Melek von Lizan.«

»Dein Benehmen ist nicht so, als ob Du ein Gefangener seist.«

»Weil ich freiwillig ein Gefangener bin und sehr genau weiß, daß ich es nicht lange bleiben werde.«

»Freiwillig? Man hat Dich doch gefangen genommen!«

»Und wir haben uns wieder frei gemacht und sind Euern Männern aus freiem Willen gefolgt, um nicht gezwungen zu sein, ihnen das Leben zu nehmen. Ist das Dir nicht erzählt worden?«

»Ich glaube es nicht.«

»Du wirst es glauben lernen.«

»Du bist bei dem Bey von Gumri gewesen!« fuhr er fort. »Wie kommst Du zu diesem?«

»Ich hatte ihm Grüße von einem Verwandten auszurichten.«

»So bist Du nicht ein Vasall von ihm?«

»Nein. Ich bin ein Fremdling in diesem Lande.«

»Ein Christ, wie ich hörte?«

»Du hast die Wahrheit gehört.«

»Aber ein Christ, der an die falsche Lehre glaubt!«

»Ich bin überzeugt, daß sie die wahre ist.«

»Du bist kein Missionar?«

»Nein. Bist Du ein Priester?« frug ich dagegen.

»Ich wollte einst ein solcher werden,« antwortete er.

»Wann wird der Melek hier ankommen?«

»Noch heute; die Stunde aber ist unbestimmt.«

»Ich soll bis dahin in Deinem Hause bleiben?«

Er nickte, und ich frug weiter:

»Aber als was?«

»Als das, was Du bist, als Gefangener.«

»Und wer wird mich festhalten?«

»Meine Leute und Dein Wort.«

»Deine Leute können mich nicht halten, und mein Versprechen habe ich bereits erfüllt. Ich sagte, daß ich ihnen folgen würde; das habe ich gethan.«

Er schien zu überlegen.

»Du magst Recht haben. So sollst Du also nicht mein Gefangener, sondern mein Gast sein.«

Er klatschte in die Hände. Ein altes Weib erschien.

»Bringe Kaffee, Pfeifen und Matten!« gebot er Ihr.

Die Matten wurden zuerst gebracht, und wir mußten zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein Priester genannt wurde, weil er einst gewillt gewesen war, ein solcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher, und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden, hatte er sogar die Herablassung, sie uns selbst anzubrennen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältnissen der nestorianischen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge, bei deren Erzählung Einem sich die Haare sträuben konnten.

Die Krieger hatten sich um das Haus gelagert; es waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, also unangesehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und anderen Bevölkerungsklassen, welche das Handwerk des Krieges treiben. Sie kannten den Gebrauch der Waffen nicht, und einige unbewachte Andeutungen unseres Wirthes brachten mich zu der Überzeugung, daß von zehn ihrer Luntenflinten kaum fünf losgegangen wären.

»Nun aber werdet Ihr ermüdet sein,« meinte er, als auch der Kaffee eingenommen war. »Erlaubt, daß ich Euch ein Zimmer anweise, welches das Eurige sein soll!«

Er erhob sich und öffnete eine Thüre. Scheinbar aus Höflichkeit stellte er sich zur Seite, um uns zuerst eintreten zu lassen; kaum aber hatten wir die Schwelle überschritten, so warf er die Thüre zu und schob den Riegel vor.

»Ah! Was ist das?« frug Lindsay.

»Heimtücke. Was weiter!«

»Habt Euch übertölpeln lassen!«

»Nein. Ich ahnte so etwas.«

»Warum tratet Ihr ein, wenn Ihr es ahntet?«

»Weil ich mich ausruhen wollte. Mir thun die Glieder noch weh von dem Sturze.«

»Das konnten wir wo anders thun und nicht hier als Gefangene!«

»Wir sind nicht gefangen. Seht Euch diese Thüre an, die ich mir bereits während der Unterhaltung betrachtet habe. Einige Fußtritte oder ein guter Kolbenstoß reichen hin, sie zu zertrümmern.«

»Wollen das sofort thun!«

»Wir befinden uns in keiner Gefahr.«

»Wollt Ihr warten, bis noch mehr Leute kommen? Jetzt fällt es uns nicht schwer, aufzusitzen und fortzureiten.«

»Mich reizt dieses Abenteuer. Wir haben jetzt die beste Gelegenheit, die Verhältnisse dieser christlichen Sektirer kennen zu lernen.«

»Bin nicht sehr neugierig darauf; die Freiheit ist mir lieber!«

Da hörte ich meinen Hund zornig knurren und dann in jener bestimmten Weise anschlagen, die mir sagte, daß er sich gegen einen Angreifer zu wehren habe. Die einzige Fensteröffnung, welche es in dem Raume gab, und die so klein war, daß man den Kopf nicht hindurchstecken konnte, befand sich an der andern Seite. Ich konnte also nicht sehen, was es gab. Da hörte ich ein kurzes Bellen und bald darauf einen Schrei. Unter diesen Umständen war hier oben meines Bleibens nicht.

»Kommt, Sir!«

Ich stemmte mich mit der Achsel gegen die Thüre – sie gab nur wenig nach.

»Nehmt den Kolben!« meinte Lindsay, indem er zugleich seine eigene Büchse ergriff.

Einige Schläge genügten, die Thüre zu zertrümmern. In dem Raume, wo wir vorhin gesessen hatten, standen vier Männer, welche jedenfalls die Aufgabe hatten, uns zu bewachen; denn sie traten uns mit erhobenem Gewehr entgegen, hatten aber gar nicht das Aussehen, als ob sie Ernst machen würden.

»Halt! Bleibt hier!« meinte der Eine sehr freundlich.

»Thut dies einstweilen an unserer Stelle!«

Ich schob ihn bei Seite und eilte hinab, wo die Anwesenden einen weiten Kreis um unsere Pferde geschlossen hatten. Bei denselben lag der gastfreundliche Wirth an der Erde und der Hund auf ihm.

»Fort, Sir?« frug Lindsay.

»Ja.«

Im nächsten Augenblicke saßen wir auf.

»Halt! Wir schießen!« riefen mehrere Stimmen.

Es richteten sich allerdings mehrere Gewehre gegen uns, aber wir achteten nicht darauf.

»Dojan, geri!«

Der Hund sprang auf. Ich nahm die Büchse in die Hand, wirbelte sie um den Kopf; Lindsay that dasselbe, und unsere Pferde schnellten durch den Kreis hindurch. Zwei einzelne Schüsse fielen hinter uns: sie schadeten uns nicht. Aber sämmtliche Nestorah stiegen unter lautem Geschrei zu Pferde, um uns zu verfolgen. Das Abenteuer hatte seit dem Augenblick unserer Gefangennehmung einen beinahe komischen Verlauf genommen; es bildete einen sehr überzeugenden Beleg dazu, daß die Tyrannei imstande ist, ein Volk zu entnerven. Was wären wir Zwei gegen diese Übermacht gewesen, wenn die Nestorianer noch einiges Mark besessen hätten!

Wir achteten gar nicht weiter auf sie und ritten so schnell wie möglich den Weg zurück, auf welchem wir gekommen waren. Als wir die Höhe erreicht hatten, waren die Verfolger weit hinter uns geblieben.

»Vor diesen sind wir sicher!« meinte Lindsay.

»Aber vor den Andern nicht.«

»Warum nicht?«

»Sie können uns begegnen.«

»So weichen wir ihnen aus!«

»Das ist nicht an jeder Stelle möglich.«

»So hauen wir uns durch! Well!«

»Sir, das würde uns wohl schwerlich gelingen. Ich habe nämlich die Ahnung, daß unsere Nestorianer in der Schaar des Melek nur der überflüssige, muthlose und schlecht bewaffnete Troß gewesen sind, den er zurückgeschickt hat, um nicht gehindert zu sein. An uns haben sie sich gewagt, da wir nur zu Zweien waren und uns in keiner vertheidigungsfähigen Lage befanden.«

»Lasse mich aber nicht wieder fangen! Yes!«

»Ich habe auch nicht Lust dazu, aber der Mensch kann nicht wissen, was ihm begegnet.«

Wir kamen schnell über die Hochebene zurück, auf welcher wir vorher Rast gehalten hatten. An dem diesseitigen Rande derselben hielten wir an, und ich zog das Fernrohr aus der Satteltasche, um die unter uns liegenden Thäler und Abhänge zu betrachten. Ich konnte nichts Besorgniß Erregendes bemerken, und so setzten wir unsern Weg thalabwärts fort. Endlich gelangten wir nach langem Ritt auch an die Stelle, an welcher wir gefangen genommen worden waren. Lindsay wollte nach rechts abbiegen, weil dorthin Mia und unser Jagdplatz lag, aber ich hielt zaudernd an.

»Wollen wir nicht einmal hier links hinab, Sir?« frug ich. »Dort sind die Unserigen überfallen worden. Es ist beinahe nothwendig, sich den Kampfplatz anzusehen.«

»Wir werden alle in Mia oder Gumri treffen!« entgegnete er.

»Gumri liegt nach links. Kommt!«

»Ihr werdet Euch in neue Gefahr begeben, Sir!«

Ich schwenkte ohne weitere Antwort links ab, und er folgte mir ein wenig verdrossen.

Hier sah ich die Wurzel, über welche mein Pferd gestrauchelt war, und vielleicht achthundert Schritte weiter abwärts fanden wir ein getödtetes Pferd da liegen, dem man Sattel und Zaum abgenommen hatte. Der spärliche Graswuchs und das niedrige Gestrüpp war zertreten; auch das mit Blut bespritzte Gestein zeigte, daß hier ein Kampf stattgefunden habe. Die Spuren desselben führten abwärts: die Kurden waren geflohen und die Nestorianer ihnen gefolgt. Das regte den Engländer auf. Er dachte nicht mehr an seine vorige Warnung und setzte sein Pferd in Trab.

»Kommt, Sir! Müssen sehen, wie es gegangen ist!« rief er mir zu.

»Vorsichtig!« warnte ich. »Das Thal ist breit und offen. Wenn der Feind grad jetzt zurückkehrt, wird er uns bemerken; dann ist es aus mit uns.«

»Geht mich nichts an! Müssen den Unserigen helfen!«

»Sie werden uns jetzt nicht mehr brauchen!«

Er aber ließ sich nicht halten, und ich war gezwungen, ihm auf dem offenen Terrain zu folgen, während ich mich lieber unter den Schutz der Bäume zurückgezogen hätte.

Weit unten machte das Thal eine Krümmung. Die innere Ecke derselben stieß beinahe bis an das Ufer des Baches heran und hinderte uns, weiter zu sehen. Unweit davon lag ein nackter Leichnam. Es war ein todter Kurde; das sah man an dem Haarbüschel. Wir bogen um die Ecke. Kaum aber hatten wir hundert Schritte gemacht, so raschelte es in den Bäumen und Sträuchern der Thalwand, und wir sahen uns augenblicklich von einer Menge bewaffneter Gestalten umringt. Zwei von ihnen hielten die Zügel meines Pferdes, und Mehrere faßten mich an den Beinen und am Arme, um mich an der Gegenwehr zu verhindern. So ging es auch dem Engländer, der in einem solchen Knäuel von Feinden stack, daß sein Pferd sich kaum zu bewegen vermochte. Er wurde angerufen, konnte aber nichts verstehen und deutete auf mich.

»Wer seid Ihr?« frug mich Einer.

»Wir sind Freunde der Nestorah. Was wollt Ihr von uns?«

»Wir sind keine Nestorah. So nennen uns nur unsere Feinde und Bedrücker. Wir sind Chaldäer. Aber Ihr seid Kurden?«

»Wir Beide sind weder Kurden, noch Türken, noch Araber. Wir tragen nur die Tracht dieses Landes. Wir sind Feringhis

»Woher seid Ihr?«

»Ich bin ein Nemtsche, und mein Gefährte ist ein Inglis.«

»Die Nemtsche kenne ich nicht, aber die Inglis sind böse Menschen. Ich werde Euch zum Melek führen, der über Euch urtheilen mag.«

»Wo ist er?«

»Weiter unten. Wir sind die Vorhut und sahen Euch kommen.«

»Wir werden Euch folgen. Laßt mich los!«

»Steige ab!«

»Erlaube mir, daß ich sitzen bleibe! Ich habe einen Fall gethan und kann nicht gut gehen.«

»So mögt Ihr reiten, und wir werden Eure Pferde führen. Aber sobald Ihr versucht, zu fliehen oder Eure Waffen zu gebrauchen, werdet Ihr erschossen!«

Das klang sehr bestimmt und kriegerisch. Diese Männer machten allerdings einen ganz andern Eindruck als diejenigen, welche uns vorher gefangen genommen hatten. Wir wurden thalabwärts geführt. Mein Hund schritt, die Augen immer auf mich gerichtet haltend, neben mir her; er hatte keinen der Feinde angegriffen, weil ich mich ruhig verhalten hatte.

Ein kleines Nebenwasser floß von rechts her in den Bach. Es kam aus einem Seitenthale, welches bei seiner Mündung in das Hauptthal eine ziemlich breite Einbuchtung bildete. Hier lagerten wohl gegen sechshundert Krieger in vielen Gruppen bei einander, während ihre Pferde in der Umgebung weideten. Unser Erscheinen erregte Aufsehen; aber Niemand rief uns an.

Wir wurden zu einer der größten Gruppen geführt, in deren Mitte ein kräftig gebauter Mann saß, welcher unsern Begleitern zunickte.

»Ihr bringt sie?« sagte er zu ihnen. »Kehrt wieder auf Euren Posten zurück!«

Man hatte ihm also unser Kommen bereits gemeldet, als wir im Begriffe waren, ihnen ahnungslos in die Hände zu laufen. Der Melek hatte einige Ähnlichkeit mit seinem Bruder, aber meine Augen richteten sich von ihm ab und auf eine andere Gruppe. Dort saßen der Bey von Gumri, Amad el Ghandur und Halef nebst mehreren Kurden unbewaffnet und rings von Wächtern umgeben; aber Keiner von ihnen war gebunden. Sie hatten die Geistesgegenwart, sich bei unserm Anblick ruhig zu verhalten.

Der Melek winkte uns, abzusteigen.

»Kommt näher!« gebot er.

Ich trat in den Kreis und setzte mich ungenirt neben ihm nieder. Auch der Engländer that so. Der Anführer blickte uns etwas überrascht an, sagte aber nichts über unser dreistes Benehmen.

»Habt Ihr Euch bei Eurem Ergreifen gewehrt?« frug er.

»Nein,« antwortete ich kurz.

»Ihr tragt doch Waffen!«

»Warum sollen wir die Chaldäer tödten, da wir ihre Freunde sind? Sie sind Christen, wie wir.«

Er horchte auf und frug dann:

»Ihr seid Christen? – Aus welcher Stadt?«

»Die Stadt, aus der wir stammen, kennst Du nicht. Sie liegt weit von hier im Abendlande, wohin noch kein Kurde gekommen ist.«

»So seid Ihr Franken? Vielleicht aus Inglistan?«

»Mein Gefährte stammt aus Inglistan. Ich aber bin ein Nemtsche.«

»Ich habe noch keinen Nemtsche gesehen. Wohnen sie mit den Inglis in einem Lande?«

»Nein; es liegt ein Meer zwischen ihnen.«

»Das hast Du wohl von Andern gehört, denn ein Nemtsche bist Du nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich sehe, daß Du einen Kuran trägst, wie ihn die Hadschi tragen.«

»Ich kaufte ihn nur, um zu sehen, was die Moslemim für einen Glauben und für eine Lehre haben.«

»So handelst Du sehr unrecht. Ein Christ darf keine andre Lehre kennen lernen, als nur die seinige. Aber wenn Ihr Franken seid, warum kommt Ihr in unser Land?«

»Wir wollen sehen, ob wir mit Euch Handel treiben können.«

»Welche Waaren habt Ihr mitgebracht?«

»Wir haben noch nichts mitgebracht. Wir wollen erst sehen, was Ihr braucht, und es dann unsern Kaufleuten erzählen.«

»Warum tragt Ihr so viele Waffen, da Ihr doch nur des Handels wegen zu uns kommt?«

»Die Waffe ist das Recht des freien Mannes; wer ohne Waffen reist, der wird für einen Knecht gehalten.«

»So sagt Euren Kaufleuten, daß sie uns Waffen senden sollen; denn hier gibt es sehr viele Männer, welche frei werden wollen. Ihr müßt sehr muthige Männer sein, daß Ihr Euch in so ferne Länder wagt. Habt Ihr Jemand, der Euch hier beschützt?«

»Ja. Ich habe ein Bu-djeruldi des Großherrn bei mir.«

»Zeige es her!«

Ich gab ihm den Paß, und ich sah, daß er lesen konnte. Dieser Melek war also ein unterrichteter Mann. Er gab mir das Schreiben wieder.

»Du stehest unter einem Schutze, welcher Dir hier nichts helfen kann; aber ich sehe, daß Ihr keine gewöhnlichen Krieger seid, und das ist gut für Euch. Warum redest Du allein und warum spricht nicht auch Dein Gefährte?«

»Er versteht nur die Sprache seiner Heimat.«

»Was thut Ihr hier in dieser entlegenen Gegend?«

»Wir sahen die Spuren des Kampfes und sind ihnen gefolgt.«

»Wo habt Ihr die letzte Nacht geschlafen?«

»In Gumri,« antwortete ich ohne Zögern.

Er erhob den Kopf mit einem überraschten, scharfen Blick.

»Das wagst Du, mir zu sagen?«

»Ja, denn es ist die Wahrheit.«

»So bist Du ein Freund des Bey! Wie kam es, daß Du nicht an seiner Seite kämpftest?«

»Ich war zurückgeblieben und konnte ihn in der Gefahr nicht mehr ereilen, denn Deine Männer kamen zwischen ihn und uns.«

»Sie griffen Euch an?«

»Das thaten sie.«

»Ihr habt Euch gewehrt?«

»Wenig. Wir Beide waren in dem Augenblick, als sie kamen, mit unsern Pferden gestürzt; ich lag ganz ohne Besinnung, und mein Gefährte hatte die Waffen verloren. Es wurde ein Pferd getödtet, und zwei Männer sind verwundet.«

»Was geschah dann?«

»Wir wurden ausgezogen bis auf die Unterkleider, auf die Pferde gebunden und zu Deinem Bruder geführt.«

»Und jetzt seid Ihr wieder hier! Wie ist das gekommen?«

Ich erzählte ihm Alles genau vom ersten Augenblick unserer Gefangenschaft an bis zur gegenwärtigen Minute. Seine Augen wurden immer größer, und zuletzt brach er in einen Ausruf des größten Erstaunens aus:

»Katera Aïsa. – Um Jesu willen, Herr, das Alles sagst Du mir? Entweder bist Du ein großer Scheri oder ein sehr leichtsinniger Mann, oder Du suchst den Tod!«

»Es ist keines von diesen Dreien der Fall. Ich sagte Dir Alles, weil ein Christ nicht lügen soll und weil mir Dein Angesicht gefällt. Du bist kein Räuber und kein Tyrann, vor dem man zittern soll, sondern ein redlicher Fürst der Deinen, welcher die Wahrheit liebt und sie auch hören will.«

»Chodih, Du hast Recht, und daß Du so handelst, wie Du gethan hast, das ist Dein Glück. Hättest Du die Unwahrheit gesprochen, so wärest Du verloren gewesen, wie diese Andern verloren sind!«

Er deutete dabei auf die Gruppe der Gefangenen.

»Woher hättest Du gewußt, daß ich die Unwahrheit rede?«

»Ich kenne Dich. Bist Du nicht der Mann, der mit den Haddedihn gegen ihre Feinde kämpfte?«

»Ich bin es!«

»Bist Du nicht der Mann, der mit den Dschesidi gegen den Mutessarif von Mossul kämpfte?«

»Du sagst die Wahrheit!«

»Bist Du nicht der Mann, der Amad el Ghandur aus dem Gefängnisse von Amadijah befreite?«

»Das that ich!«

»Und der auch die Befreiung zweier Kurden von Gumri bei dem Mutesselim erzwang?«

»Es ist so!«

Ich ward immer mehr erstaunt.

Woher hatte dieser nestorianische Anführer diese Kenntniß über meine Person?

»Woher weißt Du dies Alles, Melek?« frug ich jetzt.

»Hast Du nicht ein Mädchen in Amadijah gesund gemacht, welches Gift gegessen hatte?«

»Ja. Auch das weißt Du?«

»Ihre Ahne heißt Marah Durimeh?«

»Das ist ihr Name. Kennst Du sie?«

»Sie war bei mir und hat mir viel von Dir erzählt, was sie mit den Ihrigen von Deinem Diener erfahren hat, der dort sich unter den Gefangenen befindet. Sie wußte, daß Du vielleicht in unsere Gegend kommen würdest, und hat mich gebeten, dann Dein Freund zu sein.«

»Wie kannst Du wissen, daß g'rade ich dieser Mann bin?«

»Hast Du nicht gestern in Gumri von Euch erzählt? Wir haben einen Freund dort, der uns Alles berichtet. Darum wußten wir auch von der heutigen Jagd, und daß Du dabei sein würdest. Und darum sandte ich auch, als ich im Hinterhalte lag und bemerkte, daß Du zurückgeblieben seist, eine Abtheilung der Meinigen, die Dich gefangen nehmen und fortführen sollten, damit Dir im Kampfe kein Leid geschehe.«

Das klang ja so abenteuerlich, daß es kaum zu glauben war. Und nun konnte ich auch das Verhalten der Männer, welche uns gefangen genommen hatten, begreifen, obgleich sie mit der Wegnahme unserer Kleidungsstücke zu weit gegangen waren.

»Was wirst Du nun thun?« frug ich den Melek.

»Ich werde Dich mit nach Lizan nehmen, damit Du mein Gast seist.«

»Und meine Freunde?«

»Dein Diener und Amad el Ghandur werden frei sein.«

»Aber der Bey?«

»Er ist mein Gefangener. Unsere Versammlung wird über ihn beschließen.«

»Werdet Ihr ihn tödten?«

»Das ist möglich.«

»So kann ich nicht mit Dir gehen!«

»Warum nicht?«

»Ich bin der Gast des Bey; sein Schicksal ist auch das meinige. Ich werde mit ihm kämpfen, mit ihm siegen oder unterliegen.«

»Marah Durimeh hat mir gesagt, daß Du ein Emir bist, also ein tapferer Krieger. Aber bedenke, daß die Tapferkeit sehr oft in das Verderben führt, wenn sie nicht auch besonnen ist. Dein Gefährte hat nicht verstanden, was wir sprechen. Rede mit ihm und frage ihn, was Du beschließen sollst!«

Diese Aufforderung kam mir ungemein erwünscht, denn sie gab mir Gelegenheit, mich mit dem Engländer zu verständigen.

Ich wandte mich also zu diesem:

»Sir, wir haben einen Empfang gefunden, wie ich ihn mir nicht träumen lassen konnte!«

»So! Schlimm?«

»Nein, freundlich. Der Melek kennt uns. Die alte Christin, deren Enkelkind ich in Amadijah heilte, hat ihm von uns erzählt. Wir sollen als seine Gastfreunde mit nach Lizan gehen.«

»Well! Sehr gut! Vortrefflich!«

»Aber dann handeln wir, so zu sagen, undankbar an dem Bey; denn er bleibt gefangen und wird vielleicht getödtet.«

»Hm! Unangenehm! Ist ein guter Kerl!«

»Freilich! Vielleicht wäre es möglich, mit ihm von hier zu entkommen.«

»Wie so?«

»Die Gefangenen sind nicht gefesselt. Jeder von ihnen bedarf nur ein Pferd. Wenn sie schnell aufspringen, sich auf die Gäule werfen, die ganz in ihrer Nähe grasen, und augenblicklich forteilen, so könnte ich ihnen vielleicht den Rückzug decken, da ich Grund habe, zu glauben, daß die Nestorianer nicht auf mich schießen werden.«

»Hm! Schöner Coup! Ausgezeichnet!«

»Müßte aber schnell geschehen. Seid Ihr dabei?«

»Yes! Wird interessant!«

»Aber wir schießen nicht, Sir!«

»Warum nicht?«

»Das wäre undankbar gegen den Melek.«

»Aber dann werden sie uns fangen!«

»Ich glaube nicht. Mein Pferd ist gut, das Eurige auch, und wenn die andern Klepper schlecht sind, so entweicht man in die Büsche. Also seid Ihr bereit?«

»O, yes!«

»So paßt auf!«

Ich drehte mich wieder zu dem Melek.

»Was habt Ihr beschlossen?« frug er.

»Wir bleiben dem Bey treu.«

»So lehnt Ihr meine Freundschaft ab?«

»Nein. Aber Du wirst uns erlauben, unsere Pflicht zu thun. Wir werden jetzt gehen, doch ich sage Dir aufrichtig, daß wir Alles aufbieten werden, um ihn zu befreien.«

Er lächelte und sagte:

»Und wenn Ihr geht und alle seine Krieger ruft, so werden sie dennoch zu spät kommen, weil wir dann bereits fort sind. Aber Ihr werdet gar nicht gehen, denn wenn Ihr ihm helfen wollt, so muß ich Euch zurückbehalten.«

Ich hatte mich erhoben, und Lindsay stand bereits bei seinem Pferde.

»Zurückbehalten?« frug ich, aber nur um Zeit zu gewinnen; denn ich hatte Halef einen Wink gegeben und dabei auf die in der Nähe grasenden Thiere und nach dem Ausgange des Thales zu genickt. »Ich denke, ich soll nicht Dein Gefangener sein?«

»Du zwingst mich, obgleich Du Dir sagen könntest, daß alle Deine Bemühungen erfolglos sein werden.«

Ich sah, daß Halef mich verstanden hatte; denn er flüsterte mit den Andern, die ihm zunickten, und sah dann bedeutungsvoll zu mir herüber.

»Melek, ich will Dir etwas sagen,« meinte ich, indem ich zu ihm trat und ihm die Hand auf die Achsel legte; denn ich sah, daß der Augenblick gekommen war. »Blicke einmal hier das Thal hinauf!«

Er drehte sich um, so daß er den Gefangenen den Rücken zuwandte, und sagte: »Warum?«

»Während Du nach dieser Seite blickst,« erwiderte ich, »wird sich hinter Deinem Rücken das begeben, was Du für unmöglich hältst!«

»Was meinst Du?« fragte er verwundert. Ich antwortete ihm nicht sogleich.

Wirklich waren in diesem Moment die Gefangenen auf- und zu den Pferden gesprungen. Sie hatten dieselben bestiegen, noch ehe der erste Alarmruf erscholl. Auch der Engländer saß auf und folgte ihnen in der Weise, daß er eine Anzahl von Männern, die sich zur Verfolgung erhoben hatten, über den Haufen ritt.

»Deine Gefangenen entfliehen,« antwortete ich jetzt gemächlich.

Es war eine sehr kindliche List gewesen, die ich anwandte, um seine Augen und auch diejenigen der Umsitzenden in dem entscheidenden Moment von den Gefangenen abzulenken; aber sie war gelungen. Er fuhr herum.

»Ihnen nach!« rief er und sprang zu seinem Pferde. Es war ein kurdischer Falbenhengst von ausgezeichneter Bauart. Mit diesem Thiere wären die Flüchtlinge sehr bald eingeholt gewesen. Ich mußte das verhindern, sprang ihm nach und zog den Dolch. Eben wollte er zum Zügel greifen, als ich das Thier in den hintern Oberschenkel stach und ihm einen derben Schlag versetzte. Es schlug wiehernd mit allen Vieren aus und sprang davon.

»Verräther!« rief der Melek und drang auf mich ein.

Ich schleuderte ihn zurück, war mit einigen Sprüngen bei meinem Rappen, schwang mich hinauf und sauste davon.

Die Flüchtigen wußten, daß aufwärts im Thale ein Vortrupp stand, und hatten sich deßhalb nach rechts abwärts gewandt. Ich eilte an den Vordersten der Verfolger vorüber, bis ein Zwischenraum zwischen mir und ihnen lag; dann hielt ich an und legte das Gewehr an den Backen.

»Haltet an! Ich schieße!«

Sie hörten nicht; ich drückte also zweimal ab und schoß die beiden ersten Pferde nieder. Die andern Reiter stutzten und blieben halten; aber die Hinteren drängten, und so gab ich noch drei Schüsse ab. Der dadurch verursachte Aufenthalt hatte aber doch den Flüchtigen Zeit gegeben, uns aus dem Gesichte zu kommen. Jetzt erschien der Melek auf seinem Falben, den er sich wieder eingefangen hatte. Er überblickte die Szene und riß sein Pistol heraus.

»Schießt ihn nieder!« rief er zornig und ritt auf mich ein.

Jetzt wandte ich mein Pferd und floh. Es kam Alles auf die Schnelligkeit des Rappen an. Ich legte ihm die Hand zwischen die Ohren.

»Rih – –!«

Da bog er sich lang und flog dahin, als sei er von einer Sehne geschnellt. Seine lange Mähne wehte mir wie eine Fahne um das Knie. In einer Minute konnte mich der Melek mit keinem Gewehr mehr erreichen. Jetzt am hellen Tage war es noch ein ganz anderes Jagen als damals in dunkler Nacht vom Thale der Stufen nach dem Lager der Haddedihn zurück. Ich erreichte die erste Krümmung des Thales, als eben die Meinigen hinter der zweiten verschwanden. Da kam mir ein Gedanke. Ich machte mich so leicht wie möglich in dem Sattel, und der Hengst schoß dahin, daß sogar der Windhund weit dahinter blieb. In drei Minuten hatte ich die Gefährten erreicht, die ihre Pferde auf das Möglichste anstrengten.

»Reitet schneller!« rief ich. »Nur kurze Zeit noch schneller. Ich werde den Melek irre führen.«

»Wie so?« frug der Bey.

»Das kümmert Euch nicht. Habe keine Zeit, es zu erklären. Aber heut abend treffen wir uns in Gumri.«

Ich hielt mein Pferd an, während sie fortgaloppirten. Bald waren sie hinter einer neuen Krümmung verschwunden. Ich ritt zur vorigen zurück und sah die Verfolger weit oben, den Melek ihnen Allen voran. Ich rechnete mir den Augenblick, in welchem sie meinen jetzigen Standort erreichen mußten, auf's Ungefähre aus und kehrte langsam wieder um, setzte mein Pferd in Trab und dann abermals in Galopp. Der Windhund erreichte mich wieder, und bald erschienen auch die Verfolger, welche mich erblickten und natürlich glaubten, daß ich die Gefährten noch gar nicht erreicht habe, aber genau den Weg einschlagen werde, auf dem sie fortgeritten waren.

Wieder kam ein kleines Wasser aus einem Seitenthale hervor, und ich bog in dieses Thal ein. Es war sehr steinig und hatte sehr wenig Pflanzenwuchs. Ich mußte hier langsamer reiten und sah sehr bald, daß der Melek mir folgte. Jedenfalls ritten auch die Seinen ihm nach, und die Kurden waren gerettet.

Nun aber mußte ich sehr bald eine Bemerkung machen, die mir nicht angenehm sein konnte. Der Falbe des Melek war nämlich ein besserer Bergsteiger noch als mein Rappe. Diesen mußte ich immer mehr anstrengen, und dennoch verkleinerte sich die Distanz zwischen mir und dem Verfolger. Am beschwerlichsten war der obere Theil der Schlucht, wo es eine ziemliche Steilung zu überwinden gab, die aus losem Gestein bestand, welches unter den Hufen des Pferdes nachgab. Ich streichelte und liebkoste das Thier; es stöhnte und schnaufte und that sein Möglichstes – endlich waren wir oben.

Da aber krachte hinter mir auch schon der Schuß des Melek; glücklicher Weise traf er nicht.

Nun galt es vor allen Dingen, das Terrain zu überblicken. Ich sah nichts als unbewaldete, kahle Höhen, zwischen denen es keinen Pfad zu geben schien. Am gangbarsten hielt ich eine Bergwand, welche mir zur Rechten lag, und lenkte auf sie zu. Die Kuppe, auf welcher ich mich befand, war eine ziemliche Strecke lang beinahe eben; darum gewann ich wieder etwas Vorsprung.

Jetzt ging es bergab, wo sich mir eine natürliche Felsenbahn zeigte, die einem Wege glich. Ich erreichte denselben und ritt auf ihm rasch vorwärts.

Über mir ertönte ein lauter Schrei. Der Melek hatte ihn ausgestoßen. War es ein Ruf des Ärgers, mich entkommen zu sehen? Fast klang es aber wie ein Warnungsruf. Ich ritt vorwärts und sah den Melek mir vorsichtig folgen. Die Terrain-Verhältnisse wurden immer schwieriger. Zu meiner Rechten stieg der Fels steil in die Höhe, und zu meiner Linken fiel er beinahe lothrecht zur Tiefe hinab, und dabei wurde der Pfad immer schmaler. Mein Pferd war von den Schammarbergen her wohl solche Tiefen gewöhnt; es scheute nicht und schritt vorsichtig und langsam weiter, obgleich der Pfad eine Breite von nicht über zwei Fuß mehr hatte. Stellenweise allerdings war er breiter, und ich hoffte, als ich eine Krümmung des Berges vor mir sah, daß sich der Fels hinter derselben wieder gangbar zeigen werde. Dort angelangt, blieb das Pferd stehen, ohne daß ich es anzuhalten brauchte. Wir blickten, Roß und Reiter, in eine Tiefe von mehreren hundert Fuß hinab.

Ich befand mich in einer geradezu schauderhaften Lage. Vorwärts konnte ich nicht, umwenden auch nicht, und da hinten sah ich den Melek an der Felsenkante lehnen. Vielleicht hatte er diese Gegend gekannt, denn er war abgestiegen und mir zu Fuße gefolgt. Hinter ihm sah ich mehrere seiner Leute ankommen.

Ich konnte allerdings hinter meinem Pferde herabrutschen und zurückkehren; aber dann war mein herrlicher Rappe verloren. Darum beschloß ich, Alles zu wagen. Ich redete ihm freundlich zu und ließ ihn rückwärts gehen. Er gehorchte und tastete sich mit ungeheurer Vorsicht, aber schnaubend und zitternd zurück. Wenn ihn nur ein kleiner Schwindel überfiel, so waren wir verloren. Aber der beruhigende und ermuthigende Ton meiner Stimme schien ihm doppelten Scharfsinn zu verleihen. Wenn es auch langsam ging, so gelangten wir doch Schritt um Schritt weiter und endlich an eine Stelle, wo der Platz mehr als doppelt so breit war, als bisher.

Hier ließ ich das Pferd ausruhen. Der Melek erhob sein Gewehr.

»Bleib dort, sonst schieße ich!« rief er mir zu.

Sollte ich es zum Schusse kommen lassen? Wenn mein Pferd erschrack, konnte es mit mir in die Tiefe springen. Oder es konnte sich eine Partie des Gesteines ablösen und uns zerschmettern. Aber bleiben konnte ich nicht. Daher beschloß ich, selbst zu schießen; denn wenn der Rappe die Vorbereitung dazu bemerkte, so erschrack er wahrscheinlich nicht.

Übrigens war die Entfernung zwischen mir und dem Melek immerhin so bedeutend, daß ich seine Kugel nicht zu fürchten brauchte. Erreichte sie uns aber dennoch, so brauchte sie nur das Pferd zu ritzen, um es scheu zu machen. Ich drehte mich also im Sattel um, legte die Büchse an und rief:

»Geh fort, sonst bin ich es, welcher schießt!«

Er lachte und erwiederte:

»Du machst wohl auch nur Spaß. So weit her trifft Niemand.«

»Ich werde Dir ein Loch in den Turban machen!«

Ich schwenkte die Büchse noch einmal weit in die Luft und ließ den Hahn laut knacken, damit der Rappe vorbereitet sei. Dann zielte ich, drückte ab und wandte mich sofort wieder um. Diese letztere Vorsicht war unnöthig, denn das Pferd stand still. Hinter mir aber erscholl ein Ruf, und als ich mich wieder umdrehte, war der Melek verschwunden. Schon fürchtete ich, ihn erschossen zu haben; aber ich bemerkte bald, daß er sich nur in sichere Entfernung zurückgezogen hatte.

Ich lud den abgeschossenen Lauf wieder und ließ dann das Pferd abermals rückwärts gehen. Der Hund verhielt sich während dieser Zeit außerordentlich still. Er blieb stets in ziemlicher Entfernung von dem Pferde; es war, als ob er wisse, daß er dasselbe durch keinen Laut und keine Bewegung stören dürfe.

Jetzt dauerte es sehr lange, ehe wir wieder eine Ruhestelle erreichten. Sie war vielleicht fünf Ellen lang und vier Fuß breit.

Sollte ich es wagen? Es war wohl besser, Alles auf einen Augenblick zu setzen, als uns noch Stunden lang zu quälen. Ich drängte den Rappen hart an den Felsen hinan, damit er rückwärts die Platte überblicken könne. – Dann – gnädiger Gott, hilf! – gab ich dem Thiere die Schenkel, zog es empor und riß es herum.

Einen Augenblick schwebten seine Vorderhufe über der Tiefe, dann faßten sie festen Fuß; die gefährliche Wendung war geglückt. Aber das Thier zitterte am ganzen Leib, und es dauerte einige Zeit, ehe ich es ohne Besorgniß weitergehen lassen konnte.

Nun aber war uns geholfen – Gott sei Dank! Wir legten den gefährlichen Pfad schnell zurück, dann jedoch sah ich mich gezwungen, halten zu bleiben. In geringer Entfernung von mir stand der Melek mit vielleicht zwanzig seiner Leute. Alle hatten die Gewehre angelegt.

»Halt!« gebot er mir. »Sobald Du eine Waffe ergreifest, werde ich schießen!«

Hier wäre Widerstand ein Frevel gewesen.

»Was willst Du?« frug ich.

»Steige ab!« lautete seine Antwort.

Ich that es.

»Lege Deine Waffen ab!« gebot er weiter.

»Das thue ich nicht.«

»So schießen wir Dich nieder!«

»Schießt!«

Sie thaten es doch nicht, sondern besprachen sich leise. Dann sagte der Melek:

»Emir, Du hast mein Leben geschont, ich möchte Dich auch nicht tödten. Willst Du uns freiwillig folgen?«

»Wohin?«

»Nach Lizan.«

»Ja, aber nur dann, wenn Du mir Alles läßt, was ich besitze.«

»Du sollst Alles behalten.«

»Du schwörst es mir?«

»Ich schwöre!«

Ich ritt nun auf sie zu, nahm aber den Revolver in die Hand, um auf eine etwaige Hinterlist gefaßt zu sein. Aber der Melek reichte mir seine Hand entgegen und sagte:

»Emir, war das nicht entsetzlich?«

»Ja, in der That.«

»Und Du hast den Muth nicht verloren?«

»Dann wäre auch ich verloren gewesen. Gott hat mich beschützt!«

»Ich bin Dein Freund!«

»Und ich der Deinige.«

»Aber dennoch mußt Du mein Gefangener sein, denn Du hast als Feind an mir gehandelt.«

»Aber doch hoffentlich mit Offenheit! Was wirst Du in Lizan mit mir thun? Mich einsperren?«

»Ja. Aber wenn Du mir versprichst, nicht zu fliehen, so kannst Du als mein Gast bei mir wohnen.«

»Ich kann jetzt noch nichts versprechen. Erlaube, daß ich es mir noch überlege!«

»Du hast Zeit dazu!«

»Wo sind Deine andern Krieger?«

Er lächelte überlegen und erwiederte:

»Chodih, die Gedanken Deines Kopfes waren klug, aber ich habe sie dennoch errathen.«

»Welche Gedanken?«

»Glaubst Du, daß ich denken kann, der Bey von Gumri werde zu Pferde in diese Berge fliehen, die er ebenso gut kennt, wie ich? Er weiß, daß er hier nicht entkommen könnte.«

»Was hat dies mit mir zu thun?«

»Du wolltest mich irre leiten. Ich folgte Dir, weil ich des Bey sicher bin und auch Dich zugleich wieder haben wollte. Diese wenigen Männer kamen mit mir; die andern aber haben sich getheilt und werden die Flüchtlinge sehr bald in ihre Gewalt bekommen.«

»Sie werden sich wehren!« warf ich ein.

»Sie haben keine Waffen.«

»Sie werden zu Fuß durch den Wald entkommen!«

»Der Bey ist zu stolz, ein Pferd zu verlassen, welches noch laufen kann! Du hast umsonst Dich in Gefahr begeben und umsonst unsere Thiere getödtet und verwundet. Komm!«

Wir machten denselben Weg wieder zurück, den wir gekommen waren. Da, wo ich aus dem Hauptthale in die Seitenschlucht eingelenkt hatte, hielten einige Reiter.

»Wie ging es?« frug sie der Melek.

»Wir haben nicht Alle wieder.«

»Wen habt Ihr?«

»Den Bey, den Haddedihn, den Diener dieses Chodih und noch zwei Kurden.«

»Das ist genug. Haben sie sich gewehrt?«

»Nein. Es hätte ihnen nichts geholfen, denn sie wurden umzingelt; aber einige der Kurden entschlüpften in die Büsche.«

»Wir haben den Anführer, und das ist genug!«

Nun kehrten wir nach dem Orte zurück, an welchem ich die Gefangenen zuerst getroffen hatte. Wunderbar war es mir, daß man den Engländer nicht erwischt hatte. Wie war er entkommen, und wohin hatte er sich gewendet? Er verstand kein Kurdisch. Was mußte da aus ihm werden!

Als wir den Lagerplatz erreichten, saßen die Gefangenen bereits wieder an ihrem vorigen Platze, waren aber jetzt gebunden.

»Willst Du zu ihnen oder zu mir?« frug mich der Melek.

»Zunächst zu ihnen.«

»So werde ich Dich ersuchen, Deine Waffen vorher abzulegen!«

»So bitte ich Dich, mich und die Gefangenen bei Dir sein zu lassen. In diesem Falle verspreche ich Dir, bis wir nach Lizan kommen, keinen Gebrauch von meinen Waffen zu machen und auch nicht zu fliehen.«

»Aber Du wirst den Andern zur Flucht verhelfen!«

»Nein. Ich hafte auch für sie, stelle aber die Bedingung, daß sie ihr Eigenthum behalten und nicht gefesselt werden.«

»So sei es!«

Wir nahmen bei einander Platz, die Meisten wohl, das gestehe ich, mit einem Gefühle der Beschämung; denn wir hatten uns alle wieder einfangen lassen. Da aber erscholl ein Ruf des Erstaunens: – es erschien ein Reiter, den man zu erblicken wohl nicht erwartet hätte: Master Lindsay.

Er blickte sich um, sah uns und kam auf uns zugeritten.

»Ah, Sir! Auch wieder da?« frug er erstaunt.

»Ja. Good day, Master Lindsay!«

»Wie kommt Ihr wieder her? Waret ja über alle Berge.«

»Wenigstens nicht so freiwillig wie Ihr.«

»Freiwillig? Mußte ja!«

»Warum?«

»He! Schauderhafte Lage! Weiß nur, was Esel heißt und Maulschelle im Kurdischen, und soll ganz allein durch dieses Land reiten! Sah, daß Alles wieder gefangen wurde, und bin langsam hinter her geritten.«

»Wo habt Ihr gesteckt, als man die Andern erwischte?«

»War ein wenig voran gekommen, weil mein Pferd besser laufen konnte, als die andern. Aber wohin waret Ihr verschwunden?«

»Sir, ich habe heute eine der gefährlichsten Stunden meines Lebens gehabt; das könnt Ihr mir glauben. Steigt ab. Ich werde es Euch erzählen!«

Er ließ sein Pferd laufen und setzte sich zu uns. Ich erzählte ihm meinen Ritt über den Felsensteig.

»Master,« meinte er, als ich fertig war, »das ist heut ein schlimmer Tag, ein sehr schlimmer! Well! Habe keine Lust, gleich wieder auf die Bärenjagd zu gehen! Yes!«

Auch zwischen mir und dem Bey nebst Halef und Amad el Ghandur gab es viel zu erzählen. Der Erstere hoffte, daß Mohammed Emin nach Gumri geeilt sei, um Hilfe zu holen, und freute sich bereits darauf, daß die Nestorah noch hier im Lager überfallen würden; aber seine Erwartungen erfüllten sich nicht.

Es wurde bald, nachdem wir einen frugalen Imbiß von unsern Besiegern erhalten hatten, aufgebrochen. Man nahm uns in die Mitte, und der Zug setzte sich in Bewegung, um ganz dieselben Wege zu passiren, die ich mit dem Engländer bereits zweimal zurückgelegt hatte. Durch die Beerdigung der liegen gebliebenen Kurden trat eine Verzögerung ein, dann aber ging es so schnell vorwärts, daß wir noch vor Einbruch der Nacht den Weiler erreichten, in welchem der Bruder des Melek wohnte.

Dort wurden wir auf eine nicht sehr freundliche Weise empfangen. Die Nestorah, denen wir hier entkommen waren, hatten sich nach einer kurzen und erfolglosen Verfolgung in dieses Haus zurückbegeben. Sie empfingen ihre Kameraden mit großem Jubel, uns aber mit drohenden Worten und Blicken. Der Bruder des Melek stand an der Thüre, um denselben zu begrüßen.

»Hast Du den großen Helden wiedergefangen, der so tapfer ist, daß er am liebsten flüchtet? Er ist rückwärts gelaufen wie ein Keftschinik, der nur unreines Fleisch verzehrt. Binde ihm die Hände und Füße, damit er nicht nochmals entlaufen kann!«

So frug höhnisch der Bruder des Melek.

Das durfte ich mir allerdings nicht bieten lassen. Nahm ich eine solche Beleidigung ruhig hin, so war es ganz sicher um den Respekt geschehen, dessen wir so nothwendig bedurften. Darum gab ich Halef die Zügel meines Pferdes und trat hart an den Sprecher heran:

»Mann, Du hast zu schweigen! Wie kann ein Lügner und Verräther es wagen, ehrliche Leute zu beschimpfen!«

»Was wagest Du!« schrie er mich an. »Einen Verräther nennst Du mich? Sage noch einmal dieses Wort, so schlage ich Dich zu Boden!«

Ich antwortete kühl, aber ernst:

»Versuche doch einmal, ob Du dies zu Stande bringst! Ich habe Dich einen Lügner und Verräther genannt, und das bist Du auch. Du nanntest uns Deine Gäste, um uns sicher zu machen, und nahmst uns dann gefangen, um mein Pferd zu stehlen. Du bist nicht nur ein Lügner und Verräther, sondern auch ein Dieb, der seine Gäste betrügt.«

Da erhob er die Faust; aber noch ehe er zu schlagen vermochte, lag er am Boden, ohne daß ich ihn angerührt hatte. Mein Hund war jeder seiner Bewegungen gefolgt und hatte ihn niedergerissen. Er stand über ihm und legte seine Zähne so fühlbar an die Gurgel des Mannes, daß dieser weder einen Laut noch eine Bewegung wagte.

»Rufe den Hund zurück, sonst steche ich ihn nieder!« befahl mir der Melek.

»Versuche es!« antwortete ich. »Ehe Du den Chantscher erhebst, ist Dein Bruder zerrissen, und Du liegst an seiner Stelle an der Erde. Dieser Hund ist ein Slogi von der reinsten Rasse. Siehst Du, daß er Dich bereits im Auge hat?«

»Ich gebiete Dir, ihn wegzurufen!«

»Gebieten? Pah! Ich habe Dir gesagt, daß wir Dir nach Lizan folgen wollen, ohne Gebrauch von unsern Waffen zu machen; aber ich habe Dir nicht erlaubt, Dich als unsern Herrn und Gebieter zu betrachten. Dein Bruder hat bereits einmal unter diesem tapfern Hunde gelegen, und ich gab ihm seine Freiheit wieder. Jetzt werde ich dies nicht mehr thun, als bis ich die Überzeugung habe, daß er fortan Frieden hält.«

»Er wird es thun.«

»Gibst Du mir Dein Wort darauf?«

»Ich gebe es!«

»Ich halte es fest und warne Dich, es nicht zu brechen!«

Auf ein Wort von mir ließ Dojan von dem Chaldäer ab. Dieser erhob sich, um sich eiligst zurückzuziehen; aber ehe er unter der Thüre verschwand, hob er die geballte Rechte drohend gegen mich empor. Ich hatte einen schlimmen Feind an ihm bekommen.

Auch auf den Melek schien der unangenehme Vorgang einen für uns nicht vortheilhaften Eindruck hervorgebracht zu haben. Seine Miene war strenger und sein Auge finsterer geworden, als vorher.

»Tretet ein!« gebot er, auf die Thüre des Hauses deutend.

»Erlaube, daß wir im Freien bleiben!« sagte ich.

»Ihr werdet in dem Hause sicherer und auch besser schlafen,« antwortete er in sehr entschiedenem Tone.

»Wenn es Dir auf unsere Sicherheit ankommt, so glaube mir, daß wir hier besser aufgehoben sind, als unter diesem Dache, unter welchem ich bereits einmal betrogen und verrathen wurde.«

»Es wird nicht wieder geschehen. Komm!«

Er nahm mich bei dem Arme; ich aber zog denselben zurück und trat zur Seite.

»Wir bleiben hier!« sagte ich sehr bestimmt. »Wir sind nicht gewohnt, uns von unsern Pferden zu trennen. Hier wächst Gras genug für sie zum Futter und für uns zum Lager.«

»Ganz wie Du willst, Chodih,« antwortete er. »Aber ich sage Dir, daß ich Euch sehr scharf bewachen lassen werde.«

»Thue es!«

»Sollte Einer von Euch zu entfliehen versuchen, so lasse ich ihn erschießen.«

»Thue auch das!«

»Du siehst, daß ich Dir Deinen Willen lasse; aber Einer muß mir doch in das Haus folgen.«

»Welcher?«

»Der Bey.«

»Warum dieser?«

»Ihr seid nicht eigentlich meine Gefangenen; er aber ist ein solcher.«

»Er wird dennoch bei mir bleiben, denn ich gebe Dir mein Wort, daß er nicht entfliehen wird. Und dieses Wort ist sicherer als die Mauern, zwischen denen Du ihn einschließen willst.«

»Du bürgst für ihn?«

»Mit meinem Leben!«

»Nun wohl, so geschehe, wie Du willst. Aber ich sage Dir, daß ich Dein Leben wirklich von Dir fordern werde, wenn er sich entfernt! Ich werde Dir Matten schicken zum Lager, Holz zum Feuer und Speise und Trank für Dich und die Andern. Suche Dir eine Stelle, welche Dir passend erscheint!«

Unweit des Gebäudes gab es einen weichen Rasen, auf welchen wir uns niederließen. Die Pferde wurden nach Art der Indianer ›angehobbelt‹, so daß sie zwar grasen, sich aber nicht weit entfernen konnten, und wir machten uns ein mächtiges Feuer, um welches wir auf den uns zur Verfügung gestellten Matten einen Kreis schlossen. Bald erhielten wir auch ein soeben erst geschlachtetes Schaf mit der Weisung, es uns selbst zu braten. Dies geschah, indem wir es an einen starken Ast befestigten, den wir als Bratspieß gebrauchten.

An eine Flucht war nicht zu denken, denn die ganze Schaar der Nestorianer hatte sich an vielen Feuern um uns her gelagert. Sie brieten sich ihre Hammel und Lämmer ganz in derselben Weise, wie wir, und waren voll des Jubels über den Sieg, welchen sie heute errungen hatten.

»Wie ist Euch zu Muthe, Master?« frug mich Lindsay, welcher zu meiner Linken saß.

»Wie einem, der Hunger hat, Sir.«

»Well! Habt Recht!«

Er wandte sich von mir ab und nach Halef hin, welcher jetzt den Braten vom Feuer nahm, um ihn zu zerlegen. Der Master Lindsay war zu hungrig, um dies ruhig erwarten zu können; er zog sein Messer, schnitt sich schleunigst einen riesigen Appetitsbissen ab und öffnete seinen Mund in der Weise, daß die Lippen zwei Hypotenusen und vier Katheten bildeten, zwischen denen der Bissen seiner irdischen Auflösung entgegen gehen sollte.

In diesem Momente blickte ich ganz zufälliger Weise nach dem Hause hin. Dasselbe war von den zahlreichen Feuern ziemlich hell erleuchtet, und so war es mir möglich, einen menschlichen Kopf zu erkennen, welcher sich langsam vom Dache erhob. Dem Kopfe folgte ein Hals, diesem zwei Schultern, und dann gewahrte ich den langen Lauf einer Flinte, welcher sich grad nach unserem Feuer richtete. Im Nu hatte ich auch meine Büchse ergriffen und angelegt; droben blitzte ein Schuß, und fast zu gleicher Zeit krachte auch unten der meinige; droben erscholl ein Schrei, und unten wurde ein zweiter ausgestoßen. Dieser letztere Schrei kam zwischen den Hypotenusen und Katheten des Engländers hervor, welchem die Kugel des heimtückischen Schützen das Messer sammt dem Bissen vor dem Munde aus der Hand gerissen hatte.

»Zounds!« rief er. »Wer war der Halunke, he?«

Das Alles war so ungemein schnell geschehen, daß Niemand den Schuß auf dem Dache hatte aufblitzen sehen. Einer der nahe lagernden Nestorianer, welcher vielleicht den Rang eines Unteranführers begleitete, trat herbei.

»Warum schießest Du, Chodih?« frug er.

»Weil ich mich vertheidigen muß.«

»Wer greift Dich an? Ich sehe ja keinen Feind.«

»Aber ich habe ihn gesehen,« antwortete ich. »Er lag dort oben auf dem Dache und schoß nach mir.«

»Du irrst, Chodih!«

»Ich irre nicht. Es wird der Bruder des Melek sein, und weil er sich nicht warnen läßt, so habe ich ihn bestraft.«

»Du hast ihn erschossen?« frug der Mann erschrocken.

»Nein. Ich zielte auf seinen rechten Ellbogen und bin sicher, ihn dort getroffen zu haben.«

»Herr, das ist schlimm für Dich! Ich werde sofort nachsehen.«

Die sämmtlichen Nestorianer hatten sich von ihren Plätzen erhoben und zu den Waffen gegriffen. Ganz dasselbe thaten auch wir. Nur allein der Englishman saß noch am Boden. Sein Mund klappte in allen möglichen geometrischen Figuren auf und zu, und seine Nase war von einer so außerordentlichen Bestürzung ergriffen, daß sie matt und hoffnungslos hernieder hing.

»Seid Ihr perplex, Sir?« frug ich ihn.

Er holte tief Athem, nahm sein Gewehr und stand langsam auf.

»Master, bald hätte mich der Schlag gerührt!« gestand er aufrichtig.

»Eines Schusses wegen? Pah!«

»Oh, nicht dieses Schusses wegen!«

»Weßhalb sonst?«

»Des Hiebes wegen, den ich erhalten habe. Mein Messer ist in alle Welt gefahren, und dieses Stück Fleisch vom Schafe flog mir in das Gesicht mit einer Gewalt, als hätte ich von dem Obersteuermann eines Orlogschiffes eine riesige Ohrfeige erhalten. Da, seht meine Wange, und hier liegt das Fleisch im Grase!«

»Sihdi, kommt es zum Kampfe?« frug Halef, indem er seine Pistolen im Gürtel lockerte.

»Ich glaube es nicht.«

»Und wenn auch; wir fürchten uns nicht!«

Der kleine, wackere Mann warf einen verächtlichen Blick auf die Chaldäer, welche allerdings noch keine feindseligen Bewegungen machten, sondern ruhig abwarteten, was der Unteranführer für eine Botschaft bringen werde.

Er kam sehr bald zurück, und zwar in Begleitung des Melek, welcher mit drohender Miene zu unserm Feuer trat.

»Wer hat hier geschossen?« erkundigte er sich.

»Ich,« antwortete ich. »Weil auf mich geschossen wurde.«

»Es ist nicht wahr! Nur Dein Hund sollte erschossen werden.«

»Wer hat dies befohlen? Etwa Du selbst?«

»Nein. Ich wußte nichts davon. Aber, Chodih, nun seid Ihr alle verloren. Du hast eines Hundes wegen auf meinen Bruder geschossen!«

»Ich habe das Recht, einen Jeden niederzuschießen, der meinen Hund tödten will, und von diesem Rechte werde ich auch ferner Gebrauch machen; das merke Dir. Wie aber will Dein Bruder beweisen, daß er nicht mich, sondern meinen Hund tödten wollte?«

»Er sagt es.«

»So ist er ein sehr schlechter Schütze, denn er hat nicht den Hund, sondern diesen Emir aus Inglistan getroffen.«

»Er hat wirklich nur den Hund gemeint. Es gibt keinen Menschen, der des Abends seiner Kugel sicher ist.«

»Das ist keine Entschuldigung für eine so heimtückische That. Die Kugel ist vier Schritte entfernt an dem Thiere vorübergegangen; eine Handbreit höher, so wäre dieser Emir eine Leiche gewesen. Übrigens gibt es Leute, welche auch des Nachts sicher schießen; das werde ich Dir beweisen. Ich habe nach dem rechten Ellbogen Deines Bruders gezielt, und sicher habe ich ihm denselben zerschmettert, obgleich ich weniger Zeit zum Zielen hatte, als er selbst.«

Er nickte grimmig.

»Du hast ihm den Arm genommen; Du wirst's mit Deinem Leben bezahlen!«

»Höre, Melek, und sei froh, daß ich nicht nach seinem Kopfe zielte, welcher viel leichter als der Arm zu treffen war! Ich sehne mich nicht nach Menschenblut, denn ich bin ein Christ; aber wer es wagt, mich oder die Meinen anzugreifen, der wird uns und unsere Waffen kennen lernen.«

»Wir fürchten sie nicht, denn wir sind Euch überlegen.«

»So lange mein Wort uns bindet; sonst aber nicht.«

»Ihr werdet uns sofort Eure Gewehre geben müssen, damit Ihr nicht ferneren Schaden damit anrichtet.«

»Und was wird dann geschehen?«

»Ich will über die Andern zu Gerichte sitzen; Dich aber werde ich meinem Bruder überlassen. Du hast sein Blut vergossen; also gehört das Deinige nun ihm.«

»Sind die Chaldani Christen oder Barbaren?«

»Das geht Dich nichts an! Gib Deine Waffen ab!«

Seine ganze Schaar hatte einen weiten Kreis um uns geschlossen, und es war jedes Wort zu hören, welches von uns beiden gesprochen wurde. Bei seinem letzten Befehle griff er nach meiner Büchse.

Ich warf Sir Lindsay einige englische und den Andern einige arabische Worte zu, und dann fuhr ich gegen den Melek fort:

»So betrachtest Du uns von jetzt an als Gefangene?«

Als er bejahte, erwiderte ich:

»Du Unvorsichtiger! Glaubst Du wirklich, daß wir Euch fürchten müssen? Wer die Hand gegen einen Emir aus Germanistan erhebt, der erhebt sie doch nur gegen sich selbst. Wisse: nicht ich bin Dein Gefangener, sondern Du bist der meinige!«

Bei diesen Worten faßte ich ihn mit der Linken beim Genick und drückte ihm den Hals so fest zusammen, daß ihm sofort die Arme schlaff herniederhingen, und zugleich bildeten die Gefährten mit nach auswärts gerichteten schußfertigen Waffen einen Kreis um mich. Dies geschah so schnell und unerwartet, daß die Nestorianer ganz sprachlos auf uns starrten. Ich benutzte diese jedenfalls nur kurze Pause und rief ihnen zu:

»Seht Ihr den Melek hier an meinem Arme hangen? Es bedarf nur noch eines einzigen Druckes, so ist er eine Leiche, und dann wird die Hälfte von Euch durch unsere verzauberten Kugeln sterben. Kehrt Ihr aber ruhig an Eure Feuer zurück, so lasse ich ihm das Leben und werde mit ihm und Euch in Güte verhandeln. Merkt auf! Ich zähle bis drei. Steht dann noch ein Einziger an seiner jetzigen Stelle, so ist der Melek verloren! – Je –, du –, seh –, eins –, zwei –, drei – – –«

Ich hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, so saßen die Chaldäer alle an den Feuern auf ihren früheren Plätzen. Das Leben ihres Anführers hatte demnach einen großen Werth für sie. Wären Kurden an ihrer Stelle gewesen, so wäre mir das gefährliche Experiment ganz sicher nicht so wohl gelungen. Nun aber ließ ich den Melek los. Er fiel mit matten Gliedern und krampfhaft verzerrtem Angesicht zu Boden, und es dauerte einige Zeit, ehe er sich wieder vollständig bei Athem befand. Er hatte das Haus verlassen, ohne eine einzige Waffe zu sich zu nehmen, und nun stand ich vor ihm und richtete den Revolver scharf nach seinem Herzen.

»Wage es nicht, Dich zu erheben!« gebot ich ihm. »Sobald Du es ohne meine Erlaubniß thust, wird Dich meine Kugel treffen.«

»Chodih, Du hast mich belogen!« stöhnte er, indem er mit beiden Händen seinen Hals untersuchte.

»Ich weiß nichts von einer Lüge,« antwortete ich ihm.

»Du hast mir versprochen, Deine Waffen nicht zu gebrauchen!«

»Das ist wahr; aber ich habe dabei vorausgesetzt, daß wir nicht feindlich behandelt würden.«

»Du hast mir auch versprochen, daß Du nicht fliehen willst!«

»Wer hat Dir gesagt, daß wir fliehen wollen? Verhaltet Euch als Freunde, so wird es uns bei Euch ganz wohl gefallen.«

»Du selbst hast ja die Feindseligkeiten begonnen!«

»Melek, Du nennst mich einen Lügner und sagst doch soeben selbst eine Lüge. Ihr selbst habt uns und die Kurden von Gumri überfallen. Und als wir im Frieden hier am Feuer lagen, hat Dein Bruder auf uns geschossen. Wer also hat die Feindseligkeit begonnen, wir oder Ihr?«

»Es galt nur Deinem Hund!«

»Deine Gedanken sind ganz kurz, Melek! Mein Hund sollte getödtet werden, damit er nicht mehr im Stande sei, uns zu schützen. Er hat für mich einen größeren Werth als das Leben von hundert Chaldani. Wer ihm ein Haar krümmt, oder wer nur einen Zipfel unseres Gewandes beschädigt, der wird von uns behandelt, wie der Vorsichtige einen Kutschiki-har behandelt, den man, um sich zu retten, tödten muß. Oder ist ein Quamsi besser als ein solcher Kutschiki-har? Das Leben Deines Bruders stand in meiner Hand; ich habe ihm nur eine Kugel in den Arm gegeben, damit er sein Gewehr nicht wieder meuchlings erheben kann. Auch das Deinige gehörte mir, und ich habe es Dir gelassen. Was wirst Du über uns beschließen?«

»Nichts Anderes, als was ich Dir bereits sagte. Oder weißt Du nicht, was die Blutrache bedeutet?«

»Habe ich Deinen Bruder getödtet?«

»Sein Blut ist geflossen!«

»Er selbst trägt die Schuld daran! Was überhaupt geht denn Dich seine Rache an?«

»Ich bin sein Bruder und Erbe!«

»Jetzt lebt er noch und kann sich selbst rächen. Oder ist er ein Kind, daß Du schon vor seinem Tode für ihn handeln mußt? Du nennst Dich einen Christen und sprichst von Blutrache! Von wem hast Du dieses Christenthum erhalten? Ihr habt einen Katolihka, einen Mutran, einen Khalfa; Ihr habt Arkidjakoni, Keschihschi, Schammaschi, Huhpodjakoni und viele Karuhji. Ist denn unter diesen Vielen nicht ein Einziger gewesen, der Euch gesagt hat, was der Sohn der Mutter Gottes lehrte?«

»Es gibt keine Mutter Gottes. Marrya war nur die Mutter des Menschen Aïssa!«

»Ich will nicht mit Dir streiten, denn ich bin weder ein Priester noch ein Missionär. Aber Du glaubst doch, daß dieser Mensch Aïssa zugleich wahrer Gott gewesen ist?«

»Das glaube ich.«

»So wisse, daß er uns und Euch geboten hat: Liebet Eure Feinde; segnet die, welche Euch fluchen; thut wohl denen, die Euch hassen, und bittet für die, welche Euch beleidigen und verfolgen; dann seid Ihr Kinder Eures Vaters im Himmel!«

»Ich weiß, daß er diese Worte gesagt hat.«

»Warum aber gehorchst Du ihnen nicht? Warum redest Du von Blutrache? Soll ich, wenn ich in mein Land zurückkehre, erzählen, daß Ihr keine Christen, sondern Heiden seid?«

»Du wirst nicht zurückkehren!«

»Ich werde zurückkehren, und Du am allerwenigsten wirst mich halten können. Siehe dieses Holz, welches ich in das Feuer werfe! Ehe es verbrannt ist, bist Du eine Leiche, oder Du hast mir versprochen, uns als Deine Gastfreunde zu behandeln, deren Mißachtung die größte Schande Deines Hauses und Deines Stammes sein würde.«

»Du würdest mich tödten?«

»Ich würde sofort aufbrechen und Dich als Geisel mit mir nehmen; ich müßte Dich aber tödten, wenn man mich am Weggehen hinderte.«

»Dann bist auch Du kein Christ!«

»Mein Glaube gebietet mir nicht, mich feig und unnütz abschlachten zu lassen, sondern er erlaubt mir, das Leben zu vertheidigen, welches mir Gott gegeben hat, um den Brüdern nützlich zu sein und mich auf die Ewigkeit vorzubereiten. Wer mir diese kostbare Zeit gewaltsam verkürzen will, gegen den werde ich mich vertheidigen, so weit es meine Kraft gestattet. Und daß diese Kraft nicht die eines Kindes ist, das hast Du wohl erfahren!«

»Chodi, Du bist ein gefährlicher Mensch!«

»Du irrst. Ich bin ein friedfertiger Mensch, aber ein gefährlicher Feind. Blicke in das Feuer! Das Holz ist beinahe verbrannt.«

»Gib mir Zeit, mit meinem Bruder zu sprechen!«

»Nicht einen Augenblick!«

»Er verlangt Dein Leben!«

»Er mag es sich holen!«

»Ich kann Dich nicht freigeben.«

»Warum nicht?«

»Weil Du gesagt hast, daß Du den Bey nicht verlassen willst.«

»Dieses Wort werde ich halten.«

»Und ihn darf ich nicht entlassen. Er ist der Feind der Chaldani, und die Kurden von Berwari werden sicher kommen, um uns anzugreifen.«

»Hättet Ihr sie ihres Weges ziehen lassen! Ich erinnere Dich zum letztenmal, daß dieses Holz bereits in Asche zerfällt.«

»Nun wohl, Herr; ich muß Dir gehorchen, denn Du bist im Stande, Deine Drohung wahr zu machen. Ihr sollt meine Gäste sein!«

»Auch der Bey?«

»Auch er. Aber auch Ihr müßt mir versprechen, Lizan nicht ohne meine Erlaubniß zu verlassen!«

»Ich verspreche es.«

»Für Dich und alle Anderen?«

»Ja. Doch stelle ich einige Bedingungen.«

»Welche?«

»Wir dürfen Alles behalten, was uns gehört?«

»Zugestanden!«

»Und sobald man sich feindselig gegen uns verhält, bin ich meines Versprechens entbunden?«

»So sei es!«

»Nun bin ich zufrieden. Reiche uns Deine Hand, und dann magst Du zu dem Verwundeten zurückkehren. Soll ich ihn verbinden?«

»Nein, Herr! Dein Anblick würde ihn zur größten Wuth entflammen, und es wird wohl andere Hülfe geben. Ich zürne Dir, denn Du hast mich besiegt. Ich fürchte mich vor Dir, aber ich habe Dich dennoch lieb. Eßt Euer Lamm, und schlaft dann in Frieden. Es wird Euch Niemand ein Leid thun!«

Er reichte uns allen die Hand und kehrte dann in das Haus zurück. Dieser Mann war mir nicht mehr gefährlich. Und auch den Mienen der Anderen sah man es an, daß unser Verhalten nicht ohne tiefen Eindruck geblieben sei. Dem Muthigen gehört die Welt, und Kurdistan gehört ja auch zu derselben.

Jetzt konnten wir ohne Besorgniß dem Spießbraten zusprechen, und während des Essens mußte ich den Gefährten meine mit dem Melek geführte Verhandlung verdolmetschen. Der Engländer schüttelte bedenklich den Kopf; die vereinbarten Friedensbedingungen gefielen ihm nicht.

»Habt doch eine Dummheit begangen, Sir!« sagte er.

»In wie ferne?«

»Ha! Konntet den Kerl ein Bißchen fester drücken. Mit den Andern wären wir auch noch fertig geworden.«

»Seid nicht unverständig, Sir David! Es sind der Leute zu viel gegen uns.«

»Wir schlagen uns durch; yes!«

»Einer oder Zwei von uns kämen vielleicht durch; die Andern aber wären verloren.«

»Pshaw! Seid Ihr feig geworden?«

»Ich glaube nicht. Wenigstens rührt mich nicht gleich der Schlag, wenn mir ein Fleischbissen noch hart vor dem Mund abhanden kommt.«

»Danke für diese Erinnerung! Werden also dort in Lizan bleiben? Was für ein Nest? Stadt oder Dorf?«

»Residenz mit achtmalhunderttausend Einwohnern, Pferdebahn, Theater, Viktoria-Salon und Skating-Ring«

»Away! Hole Euch der Kuckuck, wenn Ihr keine bessern Witze fertig bringt! Wird gewiß ein schönes Nest sein, dieses Lizan.«

»Nun, es liegt sehr schön an den Ufern des Zab; aber da es wiederholt von den Kurden zerstört wurde, so wird man es nicht gerade mit London oder Peking vergleichen können.«

»Zerstört! Vieles zu Grunde gegangen?«

»Jedenfalls.«

»Herrlich! Werde nachgraben. Fowling-bulls finden. Nach London schicken. Yes!«

»Habe nichts dagegen, Sir!«

»Werdet mithelfen, Master. Auch diese Nestorianer. Bezahle gut, sehr gut! Well!«

»Verrechnet Euch nicht!«

»Inwiefern? Gibt es keine Fowling-bulls dort?«

»Gewiß nicht!«

»Warum aber schleppt Ihr mich so unnütz in diesem verwünschten Lande herum?«

»Thue ich das wirklich? Oder seid Ihr mir nicht von Mossul aus ganz gegen meinen Willen nachgefolgt?«

»Yes! Habt Recht! War zu einsam dort. Wollte ein Abenteuer haben.«

»Nun, das habt Ihr ja gehabt, und auch noch einige dazu. Also gebt Euch zufrieden und laßt das Räsonniren sein, sonst lasse ich Euch hier sitzen, und Ihr geht so zu Grunde, daß man Euch später als Fowling-bull auffinden und nach London senden wird.«

»Fie! Noch viel schlechter, dieser Witz! Habe genug! Mag keinen mehr hören!«.

Er wandte sich ab und gab so dem Bey von Gumri Gelegenheit, einige Bemerkungen zu machen. Dieser hatte sich sehr finster und schweigsam verhalten; jetzt aber sagte er mir aufrichtig:

»Chodih, die Bedingungen, auf welche Du eingegangen bist, gefallen mir nicht.«

»Warum nicht?«

»Sie sind zu gefährlich für mich.«

»Es war nicht möglich, bessere zu erhalten. Hätten wir Dich verlassen wollen, so befänden wir Übrigen uns wohler, Du aber wärst Gefangener gewesen.«

»Das weiß ich, Herr, und darum danke ich Dir. Du hast Dich als ein treuer Freund erwiesen; aber ich werde doch nichts als ein Gefangener sein.«

»Du wirst Lizan nicht verlassen dürfen; das ist Alles.«

»Aber dies ist schon genug. Wo wird Mohammed Emin sich jetzt befinden?«

»Ich hoffe, daß er nach Gumri gegangen ist.«

»Was meinst Du, daß er dort thun wird?«

»Er wird Deine Krieger herbeiholen, um Dich und uns zu befreien.«

»Dies wollte ich von Dir hören. Es wird also einen Kampf, einen sehr schlimmen Kampf geben, und Du glaubst dennoch, daß der Melek uns als Gäste behandeln wird?«

»Ja, ich glaube es.«

»Euch, aber nicht mich!«

»So bricht er sein Wort, und wir können dann nach unserm Belieben handeln.«

»Auch mußt Du bedenken, daß es gegen die Ehre ist, wenn ich unthätig in Lizan sitze, während die Meinen ihr Blut für mich vergießen. Hättest Du doch den Melek getödtet! Diese Nestorah waren so erschrocken, daß wir entkommen wären, ohne einen Schuß von ihnen zu erhalten.«

»Die Ansicht eines kurdischen Kriegers ist verschieden von der Meinung eines christlichen Emirs. Ich habe dem Melek mein Wort gegeben, und ich werde es halten, so lange er an das seinige denkt.«

Mit diesem Bescheide mußte der Bey sich zufrieden geben. Unser einfaches Mahl war verzehrt, und so streckten wir uns zum Schlafe auf die Matten aus, nachdem wir zuvor die Reihenfolge der Wachen bestimmt hatten. Ich traute dem Melek vollständig, wenigstens für heute, aber doch war Vorsicht nicht überflüssig, und so hatte stets Einer von uns die Augen offen zu halten.

Die Nacht verging ohne jede Störung, und am Morgen erhielten wir abermals ein Lamm, welches wie dasjenige am vorigen Abend zubereitet wurde. Dann kam der Melek herbei, um uns zum Aufbruch aufzufordern. Schon während der Nacht waren einige Gruppen der Chaldäer aufgebrochen, und so war unsere Begleitung nicht so zahlreich wie am vorigen Tage.

Wir ritten vom Abhange des Gebirges in das hier sehr breite Thal des Zab hernieder. Fruchtfelder gab es hier gar nicht. Höchstens sah man in der Nähe eines einsamen Weilers ein wenig Gerste ihren Halm erheben. Der Boden ist außerordentlich fruchtbar, aber die ewige Unsicherheit benimmt den Bewohnern die Lust, eine Ernte für ihre Feinde heranzuziehen.

Dagegen kamen wir an prächtigen Eichen- und Walnußwäldern vorüber, die hier in einer Kraft und Frische gediehen, wie sie sonst nicht häufig anzutreffen ist.

Wir hatten eine Vor- und Nachhut und wurden von dem Haupttrupp ringsum eingeschlossen. Mir zur Rechten ritt der Bey, und zur Linken der Melek. Dieser aber sprach nur wenig; er hielt sich bei uns jedenfalls nur des Bey's wegen auf, welcher ein sehr kostbarer Fang für ihn war, und den er nicht aus dem Auge lassen wollte.

Höchstens eine halbe Stunde hatten wir noch bis Lizan zu reiten, als uns ein Mann entgegenkam, dessen Gestalt sofort in die Augen fallen mußte. Er war von einem wirklich riesigen Körperbau, und auch sein kurdisches Pferd gehörte zu den stärksten, welchee ich jemals gesehen hatte. Bekleidet war er nur mit weiten Kattunhosen und einer Jacke aus demselben leichten Stoffe. Ein Tuch bedeckte anstatt des Turbans oder der Mütze seinen Kopf, und als Waffe diente ihm eine alte Büchse, welche jedenfalls nicht orientalischen Ursprunges war. Hinter ihm ritten in ehrerbietiger Entfernung zwei Männer, die im dienstlichen Verhältnisse zu ihm zu stehen schienen.

Er ließ die Vorhut an sich vorüber und hielt dann bei dem Melek an.

»Sabbah'l ker – guten Morgen!« grüßte er mit volltönender Baßstimme.

»Sabbah'l ker!« antwortete ihm auch der Melek.

»Deine Boten,« fuhr der Ankömmling fort, »sagten mir, daß Ihr einen großen Sieg errungen habt.«

»Katera Chodeh – Gott sei Dank, es ist so!«

»Wo sind Deine Gefangenen?«

Der Melek deutete auf uns, und der Andere musterte uns mit finstern Blicken. Dann frug er:

»Welcher ist der Bey von Gumri?«

»Dieser.«

»So!« sagte gedehnt der Riese. »Also dieser Mann ist der Sohn des Würgers unserer Leute, der sich Abd-el-Summit-Bey nannte? Gott sei Dank, daß Du ihn gefangen hast! Er wird die Sünden seines Vaters zu tragen haben.«

Der Bey hörte diese Worte, ohne sie einer Entgegnung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für gerathen, diesem Manne eine falsche Vorstellung von uns zu lassen.

Nun wandte ich mich an den Anführer mit der Frage:

»Melek, wer ist dieser Bekannte von Dir?«

»Es ist der Raïs von Schuhrd.«

»Und wie heißt er?«

»Nedschir-Bey.«

Das Kurmangdschi-Wort Nedschir bedeutet: ›tapferer Jäger‹, und da sich der Riese zugleich den für einen Chaldäer so ungewöhnlichen Titel ›Bey‹ zugelegt hatte, so war sehr leicht zu errathen, daß er keinen gewöhnlichen Einfluß besitzen müsse. Dennoch aber sagte ich ihm:

»Nedschir-Bey, der Melek hat Dir die Wahrheit nicht vollständig gesagt. Wir sind – –«

»Hund!« unterbrach er mich drohend. »Wer redet mit Dir? Schweige, bis Du gefragt wirst!«

Ich lächelte ihm sehr freundlich in die Augen, zog aber dabei mein Messer recht auffällig aus dem Gürtel.

»Wer gibt Dir die Erlaubniß, die Gäste des Melek Hunde zu nennen?« frug ich ihn.

»Gäste?« sagte er verächtlich. »Hat der Melek nicht so eben Euch seine Gefangenen genannt?«

»Eben darum wollte ich Dir sagen, daß er Dir die Wahrheit nicht vollständig mitgetheilt hat. Frage ihn, ob wir seine Gäste oder seine Gefangenen sind.«

»Seid, was Ihr wollt; gefangen hat er Euch dennoch. Aber stecke Dein Messer in den Gürtel, sonst schlage ich Dich vom Pferde!«

»Nedschir-Bey, Du bist ein sehr spaßhafter Mann; ich aber bin sehr ernst gestimmt. Sei in Zukunft höflich gegen uns, sonst wird es sich zeigen, wer den Andern vom Pferde schlägt!«

»Hund und abermals Hund! Da hast Du es!«

Bei diesen Worten erhob er die Faust und versuchte, sein Pferd an das meinige zu drängen; aber der Melek hielt ihn bei dem Arme fest und rief:

»Beim heiligen Jesujabos, halte ein, sonst bist Du verloren!«

»Ich?« rief der Riese ganz verdutzt.

»Ja, Du!«

»Warum?«

»Dieser fremde Krieger ist kein Kurde, sondern ein Emir aus dem Abendlande. Er hat die Kraft des Bären in der Faust und er trägt Waffen bei sich, denen Niemand widerstehen kann. Er ist mein Gast; sei fortan freundlich mit ihm und den Seinigen!«

Der Raïs schüttelte den Kopf.

»Ich fürchte keinen Kurden und keinen Abendländer. Weil er Dein Gast ist, so will ich ihm verzeihen; aber er mag sich in Acht nehmen vor mir, sonst erfährt er, wer der Starke ist: er oder ich. Laß uns weiterziehen; ich kam nur, um Dir Willkommen zu sagen.«

Dieser Mann war mir ganz sicher an Körperstärke weit überlegen; aber es war nur eine rohe, ungeschulte Kraft, die mir keineswegs bange machen konnte. Daher erwiederte ich zwar kein einziges Wort auf seine ›Verzeihung‹, fühlte aber auch nicht etwa einen übermäßigen Respekt vor ihm. Dabei hatte ich eine gewisse Ahnung, daß ich mit ihm doch auf irgend eine Weise näher zusammengerathen werde.

Wir setzten den unterbrochenen Ritt weiter fort und gelangten bald an den Ort unserer Bestimmung.

Die elenden Häuser und Hütten, aus denen Lizan besteht, liegen zu beiden Seiten des Zab, der hier sehr reißend ist. In seinem Bette liegen zahlreiche Felsblöcke, die das Flössen und Schwimmen außerordentlich erschweren, und die Brücke, welche ihn überspannt, ist aus rohem Flechtwerk gefertigt und mittels großer schwerer Steine über einige Pfeiler befestigt. Dieses Flechtwerk gibt bei jedem Schritte nach, so daß mein Pferd nur sehr ängstlich die Brücke passirte; doch kamen wir wohlbehalten alle an dem linken Ufer an.

Bereits drüben auf der andern Seite war unser Zug von Frauen und Kindern mit Jubelgeschrei empfangen worden. Die wenigen Häuser, welche ich erblickte, waren jedenfalls als Wohnort so Vieler viel zu eng, und so vermuthete ich, daß unter den Anwesenden auch zahlreiche Bewohner benachbarter Orte zu finden seien.

Das Haus des Melek, wo wir absteigen wollten, lag auf dem linken Ufer des Zab. Es war ganz nach kurdischer Art, aber halb in das Wasser des Flusses hineingebaut, wo der kühlende und stärkere Luftzug die Mücken verscheuchte, an denen diese Gegenden leiden. Das obere Stockwerk des Gebäudes hatte keine Mauern; es bestand einfach aus dem Dach, welches an den vier Ecken von je einem Backsteinpfeiler getragen wurde. Dieser luftige Raum bildete das Staatsgemach, in welches uns der Melek führte, nachdem wir abgestiegen waren und ich mein Pferd Halef übergeben hatte. Es lag da eine Menge zierlich geflochtener Matten, auf welchen wir es uns leidlich bequem machen konnten.

Der Melek hatte natürlich jetzt nicht viel Zeit für uns übrig; wir waren uns selbst überlassen. Bald aber trat eine Frau herein, die einen starken, breiten, aus Bast geflochtenen Teller trug, der mit allerlei Früchten und Eßwaaren belegt war. Ihr folgten zwei Mädchen, im Alter von ungefähr zehn und dreizehn Jahren, und trugen ähnliche, aber kleinere Präsentirbretter in den Händen.

Alle drei grüßten sehr demüthig, und dann stellten sie die Speisen vor uns nieder. Die Kinder entfernten sich, die Frau aber blieb noch stehen und musterte uns mit verlegener Miene.

»Hast Du einen Wunsch?« frug ich sie.

»Ja, Herr,« antwortete sie.

»Sage ihn!«

»Welcher von Euch ist der Emir aus dem Abendlande?«

»Es sind zwei solcher Emire hier: ich und dieser da.«

Bei den letzten Worten deutete ich auf den Engländer.

»Ich meine denjenigen, welcher nicht nur ein Krieger, sondern auch ein Arzt ist.«

»Da werde wohl ich gemeint sein,« lautete meine Antwort.

»Bist Du es, der in Amadijah ein vergiftetes Mädchen gesund gemacht hat?«

Ich bejahte, und sie sagte darauf:

»Herr, die Mutter meines Mannes wünscht sehnlich, einmal Dein Angesicht zu sehen und mit Dir zu sprechen.«

»Wo befindet sie sich? Ich werde gleich zu ihr gehen.«

»O nein, Chodih. Du bist ein großer Emir; wir aber sind nur Frauen. Erlaube, daß sie zu Dir kommt!«

»Ich erlaube es.«

»Aber sie ist alt und schwach und kann nicht lange stehen – –!«

»Sie wird sich setzen.«

»Weißt Du, daß in unserm Lande sich die Frau in Gegenwart solcher Herren nicht setzen darf?«

»Ich weiß es, aber ich werde es ihr dennoch erlauben.«

Sie ging. Nach einiger Zeit kam sie wieder herauf und führte eine Frau am Arme, deren Gestalt vom Alter weit vornüber gebeugt war. Ihr Gesicht hatte tiefe Runzeln, aber ihre Augen blickten noch mit jugendlicher Schärfe umher.

»Gesegnet sei Euer Eingang in das Haus meines Sohnes!« grüßte sie. »Welcher ist der Emir, den ich suche?«

»Ich bin es. Komm und laß Dich nieder!«

Sie erhob abwehrend die Hand, als ich auf die Matte deutete, die in meiner Nähe lag.

»Nein, Chodih; es ziemt mir nicht, in Deiner Nähe zu sitzen. Erlaube, daß ich mich in einer Ecke niederlasse!«

»Nein, das erlaube ich nicht,« antwortete ich ihr. »Bist Du eine Christin?«

»Ja, Herr.«

»Auch ich bin ein Christ. Meine Religion sagt mir, daß wir vor Gott alle gleich sind, ob arm oder reich, vornehm oder niedrig, alt oder jung. Ich bin Dein Bruder, und Du bist meine Schwester; aber Deiner Jahre sind viel mehr als der meinigen; daher gebührt Dir der Platz zu meiner rechten Seite. Komm und laß Dich nieder!«

»Nur dann, wenn Du es befiehlst.«

»Ich befehle es!«

»So gehorche ich, Herr.«

Sie ließ sich zu mir führen und setzte sich an meiner Seite nieder; dann verließ ihre Schwiegertochter das Gemach. Die Alte blickte mir lange forschend in das Gesicht; dann sagte sie:

»Chodih, Du bist wirklich so, wie Du mir beschrieben wurdest. – Kennst Du Menschen, bei deren Eintritt sich der Raum zu verfinstern scheint?«

»Ich habe viele solche Leute kennen gelernt.«

»Kennst Du auch solche Menschen, welche das Licht der Sonne mitzubringen scheinen? Wohin sie nur immer kommen, da wird es warm und hell. Gott hat ihnen die größte Gnade gegeben: ein freundliches Herz und ein fröhliches Angesicht.«

»Auch Solche kenne ich; aber es gibt ihrer wenig.«

»Du hast Recht; aber Du selbst gehörst zu ihnen.«

»Du willst mir eine Höflichkeit sagen!«

»Nein, Herr. Ich bin ein altes Weib, welches ruhig nimmt, was Gott sendet; ich werde Niemand eine Unwahrheit sagen. Ich habe gehört, daß Du ein großer Krieger bist; aber ich glaube, daß Du Deine besten Siege durch das Licht Deines Angesichtes erringst. Ein solches Angesicht liebt man, auch wenn es häßlich ist, und Alle, mit denen Du zusammentriffst, werden Dich lieb gewinnen.«

»O, ich habe sehr viele Feinde!«

»Dann sind es böse Menschen. Ich habe Dich noch nie gesehen, aber ich habe viel an Dich gedacht, und meine Liebe hat Dir gehört, noch ehe Dich mein Auge erblickte.«

»Wie ist dies möglich?«

»Meine Freundin erzählte mir von Dir.«

»Wer ist diese Freundin?«

»Marah Durimeh.«

»Marah Durimeh!« rief ich überrascht. »Du kennst sie?«

»Ich kenne sie.«

»Wo wohnt sie? Wo ist sie zu finden?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber wenn sie Deine Freundin ist, mußt Du doch wissen, wo sie sich befindet.«

»Sie ist bald hier, bald dort; sie gleicht dem Teïr, welcher bald auf diesem, bald auf jenem Zweige wohnt.«

»Kommt sie oft zu Dir?«

»Sie kommt nicht wie die Sonne, regelmäßig zur bestimmten Stunde, sondern sie kommt wie der erquickende Regen, bald hier, bald dort, bald spät und bald früh.«

»Wann erwartest Du sie wieder?«

»Sie kann noch heute in Lizan sein; sie kann aber auch erst nach Monden kommen. Vielleicht erscheint sie niemals wieder, denn auf ihrem Rücken lasten viel mehr Jahre, als auf dem meinigen.«

Das klang alles so wunderbar, so geheimnißvoll, und ich mußte unwillkürlich an Ruh 'i Kulian, den ›Geist der Höhle‹ denken, von welchem die alte Marah Durimeh in ebenso geheimnißvoller Weise zu mir gesprochen hatte.

»So hat sie Dich besucht, als sie von Amadijah kam?« frug ich.

»Ja. Sie hat mir von Dir erzählt; sie sagte, daß Du vielleicht nach Lizan kommen würdest, und bat mich, für Dich zu sorgen, als ob Du mein eigener Sohn seist. Willst Du mir dies erlauben?«

»Gern; nur mußt Du auch meine Gefährten mit in Deine Fürsorge einschließen.«

»Ich werde thun, was in meinen Kräften steht. Ich bin die Mutter des Melek, und sein Ohr hört gern auf meine Stimme; aber es ist Einer unter Euch, dem meine Fürbitte nicht viel helfen wird.«

»Wen meinst Du?«

»Den Bey von Gumri. Welcher ist es?«

»Der Mann dort auf der vierten Matte. Er hört und versteht ein jedes Deiner Worte; die Andern aber reden nicht die Sprache Deines Landes.«

»Er mag hören und verstehen, was ich sage,« antwortete sie. »Hast Du gehört von dem, was unser Land gelitten hat?«

»Man hat mir Vieles erzählt.«

»Hast Du gehört von Beder-Khan-Bey, von Zeinel-Bey, von Nur-Ullah-Bey und von Abd-el-Summit-Bey, den vier Mördern der Christen? Sie fielen von allen Seiten über uns her, diese kurdischen Ungeheuer. Sie zerstörten unsere Häuser, verbrannten unsere Gärten, vernichteten unsere Ernten, entweihten unsere Gotteshäuser, mordeten unsere Männer und Jünglinge, zerfleischten unsere Knaben und Mädchen und hetzten unsere Frauen und Jungfrauen, bis sie sterbend niederstürzten, noch in den letzten Athemzügen von den Ungeheuern bedroht. Die Wasser des Zab waren gefärbt von dem Blute der unschuldigen Opfer, und die Höhen und Tiefen des Landes waren erleuchtet von den Feuersbrünsten, welche unsere Dörfer und Flecken verzehrten. Ein einziger, fürchterlicher Schrei tönte durch das ganze Land. Es war der Todesschrei von vielen tausend Christen. Der Pascha von Mossul hörte diesen Schrei, aber er sandte keine Hülfe, weil er den Raub mit den Räubern theilen wollte.«

»Ich weiß es; es muß gräßlich gewesen sein!«

»Gräßlich? O, Chodih, dieses Wort sagt viel zu wenig. Ich könnte Dir Dinge erzählen, bei denen Dir das Herz brechen müßte. Siehst Du die Brücke, auf welcher Du über den Berdizabi gekommen bist? Über diese Brücke wurden unsere Jungfrauen geschleppt, um nach Tkhoma und Baz geführt zu werden; sie aber sprangen hinab in das Wasser, um lieber zu sterben. Keine Einzige blieb zurück. Siehst Du den Berg mit seiner Felsenmauer dort zur Rechten? Dort hinauf hatten sich die Leute von Lizan gerettet, weil sie sich dort sicher glaubten, denn sie konnten von unten gar nicht angegriffen werden. Aber sie hatten nur wenig Speise und Wasser bei sich. Um nicht zu verhungern, mußten sie sich Beder-Khan-Bey ergeben. Er versprach ihnen, mit seinem heiligsten Eid, die Freiheit und das Leben; nur die Waffen sollten sie abliefern. Dies geschah; er aber brach seinen Schwur und ließ sie mit Säbel und Messer ermorden. Und als den Kurden von dieser blutigen Arbeit die Arme weh thaten, da machten sie es sich leichter; sie stürzten die Christen von der neunhundert Fuß hohen Felsenwand herab: Greise, Männer, Frauen und Kinder. Von mehr als tausend Chaldani entkam nur ein Einziger, um zu erzählen, was da oben geschehen war. Soll ich Dir noch mehr erzählen, Chodih?«

»Halte ein!« wehrte ich schaudernd ab.

»Und nun sitzt der Sohn eines dieser Ungeheuer hier im Hause des Melek von Lizan. Glaubst Du, daß er Gnade finden wird?«

Wie mußte es bei diesen Worten dem Bey von Gumri zu Muthe sein! Er zuckte mit keiner Wimper; er war zu stolz, um sich zu vertheidigen. Ich aber antwortete:

»Er wird Gnade finden!«

»Glaubst Du dies wirklich?«

»Ja. Er trägt nicht die Schuld von dem, was Andere thaten. Der Melek hat ihm Gastfreundschaft versprochen, und ich selbst werde nur dann Lizan verlassen, wenn er sich in Sicherheit an meiner Seite befindet.«

Die Alte senkte nachdenklich den ergrauten Kopf. Dann frug sie:

»So ist er Dein Freund?«

»Ja. Ich bin sein Gast.«

»Herr, das ist schlimm für Dich!«

»Warum? Denkst Du, daß der Melek sein Wort brechen wird?«

»Er bricht es nie,« antwortete sie stolz. »Aber der Bey wird bis an seinen Tod hier gefangen bleiben, und da Du ihn nicht verlassen willst, so wirst Du Deine Heimat niemals wiedersehen.«

»Das steht in Gottes Hand. Weißt Du, was der Melek über uns beschlossen hat? Sind wir nur auf dieses Haus beschränkt?«

»Du allein nicht, aber die Andern sämmtlich.«

»So darf ich frei umhergehen?«

»Ja, wenn Du Dir einen Begleiter gefallen lässest. Du sollst nicht Gastfreundschaft wie sie, sondern Gastfreiheit erhalten.«

»So werde ich jetzt einmal mit dem Melek sprechen. Darf ich Dich geleiten?«

»O Herr, Dein Herz ist voller Güte. Ja, führe mich, damit ich rühmen kann, daß mir noch niemals solche Gnade widerfahren ist!«

Sie erhob sich mit mir und hing sich an meinen Arm. Wir verließen das luftige Gemach und stiegen die Treppe nieder, die in das untere Geschoß führte. Hier trennte sich die Alte von mir, und ich trat hinaus auf den freien Raum vor dem Hause, wo eine große Anzahl der Chaldäer versammelt war. Nedschir-Bey stand bei ihnen. Als er mich erblickte, trat er auf mich zu.

»Wen suchest Du hier?« frug er mich in rohem Tone.

»Den Melek,« antwortete ich ruhig.

»Er hat keine Zeit für Dich; gehe wieder hinauf!«

»Ich bin gewöhnt, zu thun, was mir beliebt. Befiehl Deinen Knechten, nicht aber einem freien Mann, dem Du nichts zu gebieten hast!«

Da trat er näher an mich heran und streckte seine mächtigen Glieder. In seinen Augen funkelte ein Licht, das mir sagte, daß der erwartete Zusammenstoß jetzt geschehen werde. So viel stand sicher: wenn ich ihn nicht gleich auf der Stelle unschädlich machte, so war es um mich geschehen.

»Wirst Du gehorchen?« drohte er.

»Knabe, mache Dich nicht lächerlich!« entgegnete ich lachend.

»Knabe!« brüllte er. »Hier nimm den Lohn!«

Er schlug nach meinem Kopfe; ich parirte mit dem linken Arme den Hieb und ließ dann meine rechte Faust mit solcher Gewalt an seine Schläfe sausen, daß ich glaubte, sämmtliche Finger seien mir zerbrochen. Er stürzte lautlos zusammen und lag steif wie ein Klotz.

Die Umstehenden wichen scheu zurück; Einer aber rief:

»Er hat ihn erschlagen!«

»Ich habe ihn betäubt,« antwortete ich. »Werft ihn in das Wasser, so wird er die Besinnung bald wieder finden.«

»Chodih, was hast Du gethan!« erscholl es hinter mir.

Ich wandte mich um und erblickte den Melek, welcher soeben aus der Thür getreten war.

»Ich?« frug ich. »Hast Du diesen Mann nicht vor mir gewarnt? Er schlug dennoch nach mir. Sage ihm, er soll es ja nicht wieder thun, sonst werden seine Töchter weinen, seine Söhne klagen und seine Freunde trauern.«

»Ist er nicht todt?«

»Nein. Beim nächsten Male aber wird er todt sein.«

»Herr, Du bereitest Deinen Feinden Ärger und Deinen Freunden Sorge. Wie soll ich Dich schützen, wenn Du Dich nach immerwährendem Kampfe sehnst?«

»Sage dies dem Raïs, denn es ist sehr wahrscheinlich, daß Du zu schwach bist, ihn vor meinem Arme zu beschützen. Erlaubst Du ihm, mich zu beleidigen, so gib nicht mir die Schuld, wenn ich ihn Anstand lehre.«

»Herr, gehe fort; er kommt jetzt wieder zu sich!«

»Soll ich vor einem Manne fliehen, den ich niedergeschlagen habe?«

»Er wird Dich tödten!«

»Pah! Ich werde keine Hand zu rühren brauchen. Passe auf!«

Meine Gefährten hatten von ihrer offenen Wohnung aus den ganzen Vorgang mit angesehen. Ich winkte ihnen mit dem Auge, und sie wußten, was ich von ihnen begehrte.

Man hatte den Kopf des Raïs mit Wasser gewaschen. Jetzt richtete er sich langsam empor. Auf einen Faustkampf durfte ich es nicht ankommen lassen, denn sowohl mein Arm, mit welchem ich seinen Hieb parirt hatte, als auch meine rechte Hand war in den wenigen Augenblicken ganz beträchtlich angeschwollen; ich mußte froh sein, daß mir dieser Goliath nicht den Arm zerschmettert hatte. – Jetzt erblickte er mich, und mit einem heiseren Wuthschrei stürzte er auf mich zu. Der Melek suchte ihn zu halten; auch einige Andere griffen zu, aber er war stärker als sie und rang sich los. Jetzt wandte ich das Gesicht nach dem Hause hin und rief ihm zu:

»Nedschir-Bey, blicke da hinauf!«

Er folgte der Richtung meiner Augen und sah die Gewehre aller meiner Gefährten auf sich gerichtet. Er hatte doch genug Besinnung, um diese Sprache zu verstehen. Er blieb halten und erhob die Faust.

»Mann, Du begegnest mir wieder!« drohte er.

Ich zuckte nur die Achsel, und er ging davon.

»Chodih,« meinte der noch vor Anstrengung keuchende Melek, »Du befandest Dich in einer großen Gefahr!«

»Sie war sehr klein. Ein einziger Blick hinauf nach meinen Leuten hat diesen Mann unschädlich gemacht.«

»Hüte Dich vor ihm!«

»Ich bin Dein Gast. Sorge dafür, daß er mich nicht beleidigt!«

»Man sagte mir, daß Du mich suchest?«

»Ja. Ich wollte Dich fragen, ob ich frei in Lizan umhergehen kann.«

»Du kannst es.«

»Aber Du wirst mir eine Begleitung geben?«

»Nur zu Deiner Sicherheit.«

»Ich verstehe Dich und füge mich darein. Wer wird mein Aufseher sein?«

»Nicht Aufseher, sondern Beschützer, Chodih. Ich gebe einen Karuhja an Deine Seite.«

Also einen Vorleser, einen Geistlichen! Das war mir ganz lieb und recht.

»Wo ist er?« frug ich.

»Hier im Hause wohnt er bei mir. Ich werde ihn Dir senden.«

Er trat in das Innere des Gebäudes, und bald darauf kam ein Mann heraus, welcher in den mittleren Jahren stand. Er trug zwar die gewöhnliche Kleidung dieser Gegend, aber in seinem Wesen hatte er etwas an sich, was auf seinen Beruf schließen ließ. Er grüßte mich sehr höflich und frug nach meinem Begehr.

»Du sollst mich auf meinem Weg begleiten!« sagte ich.

»Ja, Herr. Der Melek will es so.«

»Ich wünsche vor allen Dingen, mir Lizan anzusehen. Willst Du mich führen?«

»Ich weiß nicht, ob ich darf, Chodih. Wir erwarten jeden Augenblick die Nachricht von dem Eintreffen der Berwarikurden, welche kommen werden, um Euch und ihren Bey zu befreien.«

»Ich habe versprochen, Lizan nicht ohne den Willen des Melek zu verlassen. Ist Dir dies genug?«

»Ich will Dir trauen, obgleich ich verantwortlich bin für Alles, was Du während meiner Gegenwart unternimmst. Was willst Du zunächst sehen?«

»Ich möchte den Berg besteigen, von welchem Beder-Khan-Bey die Chaldani herabstürzen ließ.«

»Es ist sehr schwer, emporzukommen. Kannst Du gut klettern?«

»Sei ohne Sorge!«

»So komm und folge mir!«

Während wir gingen, beschloß ich, den Karuhja nach seinen Religionsverhältnissen zu fragen. Ich war mit denselben so wenig vertraut, daß mir eine Aufklärung nur lieb sein konnte. Er kam mir mit einer Frage recht glücklich entgegen:

»Bist Du ein Moslem, Chodih?«

»Hat Dir der Melek nicht gesagt, daß ich ein Christ bin?«

»Nein; aber ein Chaldani bist Du nicht. Gehörst Du vielleicht zu dem Glauben, welchen die Missionare aus Inglistan predigen?«

Ich verneinte, und er sagte:

»Das freut mich sehr, Herr!«

»Warum?« frug ich.

»Ich mag von ihrem Glauben nichts wissen, weil ich von ihnen selbst nichts wissen mag.«

Mit diesen wenigen Worten hatte dieser einfache Mann Alles gesagt, was sich überhaupt über diese Leute sagen läßt.

»Bist Du mit Einem von ihnen zusammengetroffen?« frug ich.

»Mit Mehreren; aber ich habe den Staub von meinen Füßen geschüttelt und bin wieder fortgegangen. Kennst Du die Lehren unsers Glaubens?«

»Nicht genau.«

»Du möchtest sie wohl auch nicht kennen lernen?«

»O doch, sehr gern. Habt Ihr ein Glaubensbekenntniß?«

»Jawohl, und ein jeder Chaldani muß es täglich zweimal beten.«

»Bitte, sage es mir!«

»Wir glauben an einen einzigen Gott, den allmächtigen Schöpfer und Vater aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Wir glauben an den Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, der da der einzig geborene Sohn seines Vaters ist vor aller Welt, der nicht geschaffen wurde, sondern der da ist der wahre Gott des wahren Gottes; der da ist von demselben Wesen mit dem Vater, durch dessen Hände die Welt gemacht und alle Dinge geschaffen wurden; der für uns Menschen und zu unserer Seligkeit vom Himmel herabgestiegen ist, durch den heiligen Geist Fleisch ward und Mensch wurde, empfangen und geboren von der Jungfrau Maria; der da litt und gekreuzigt wurde zur Zeit des Pontius Pilatus, und starb und wurde begraben; der da am dritten Tage wieder auferstand, wie in der Schrift verkündigt war, und fuhr gen Himmel, um zu sitzen zur Rechten seines Vaters und wiederzukommen, um zu richten die Lebendigen und die Todten. Und wir glauben an einen heiligen Geist, den Geist der Wahrheit, welcher ausging von dem Vater, den Geist, der da erleuchtet. Und an eine heilige, allgemeine Kirche. Wir erkennen zur Erlassung der Sünden eine heilige Taufe an und eine Auferstehung des Leibes und ein ewiges Leben!«

Nach einer Pause frug ich:

»Haltet Ihr auch die Fasten?«

»Sehr streng,« antwortete er. »Wir dürfen während hundertzweiundfünfzig Tagen keine Nahrung aus dem Thierreiche, auch keinen Fisch essen, und der Patriarch genießt überhaupt nur Nahrung aus dem Pflanzenreiche.«

»Wie viele Sakramente habt Ihr?«

Er wollte mir eben antworten; aber unsere für mich so interessante Unterhaltung wurde von zwei Reitern unterbrochen, die im Galopp auf uns zugesprengt kamen.

»Was gibt es?« frug er sie.

»Die Kurden kommen,« ertönte die Antwort.

»Wo sind sie?«

»Sie haben bereits die Berge überschritten und kommen in das Thal hernieder.«

»Wie viel sind ihrer?«

»Viele Hunderte.«

Dann ritten sie weiter. Der Karuhja blieb halten.

»Chodih, laß uns umkehren!«

»Warum?«

»Ich habe es dem Melek versprochen, falls die Berwari kommen sollten. Du wirst nicht wollen, daß ich mein Wort breche!«

»Du mußt es halten. Komm!«

Als wir den Platz vor dem Hause des Melek erreichten, herrschte dort eine außerordentliche Aufregung; aber ein planvolles Handeln gab es nicht. Der Melek stand mit einigen Unteranführern beisammen; auch der Raïs war bei ihnen.

Ich wollte still vorübergehen und in das Haus eintreten; aber der Melek rief mir zu:

»Chodih, komm her zu uns!«

»Was soll er hier?« zürnte der riesige Raïs. »Er ist ein Fremder, ein Feind; er gehört nicht zu uns!«

»Schweig!« gebot ihm der Melek; dann wandte er sich zu mir: »Herr, ich weiß, was Du im Thale Deradsch und bei den Dschesidi erfahren hast. Willst Du uns einen Rath geben?«

Diese Frage kam mir natürlich sehr willkommen, dennoch aber antwortete ich:

»Dazu wird es bereits zu spät sein.«

»Warum?«

»Du hättest schon gestern handeln sollen.«

»Wie meinst Du dies?«

»Es ist leichter, eine Gefahr zu verhüten, als sie zu bekämpfen, wenn sie schon eingetreten ist. Hättest Du die Kurden nicht angegriffen, so brauchtest Du Dich heute nicht gegen sie zu vertheidigen.«

»Das will ich nicht hören.«

»Aber ich wollte es Dir dennoch sagen. Wußtest Du, daß heute die Kurden kommen würden?«

»Wir alle haben es gewußt.«

»Warum hast Du nicht die jenseitigen Pässe besetzt? Du hättest feste Stellungen erhalten, die gar nicht einzunehmen waren. Nun aber haben die Kurden das Gebirge bereits hinter sich und sind Dir überlegen.«

»Wir werden kämpfen!«

»Hier?«

»Nein, in der Ebene von Lizan.«

»Dort also willst Du sie empfangen?« frug ich verwundert.

»Ja,« antwortete er zögernd.

»Und Du stehst noch hier mit Deinen Leuten?«

»Wir müssen ja erst unser Hab und Gut und die Unsrigen retten, ehe wir fort können!«

»O Melek, was seid Ihr Chaldini für große Krieger! Seit gestern wußtet Ihr, daß die Kurden kommen würden, und habt nichts gethan, um Euch zu sichern. Ihr wollt mit ihnen kämpfen und sprecht doch davon, die Euren und Euer Eigenthum zu flüchten. Ehe Ihr damit fertig seid, ist der Feind bereits in Lizan. Gestern habt Ihr die Kurden überrascht, und darum wurden sie besiegt; heut aber greifen sie selbst Euch an und werden Euch verderben!«

»Herr, das mögen wir nicht hören!«

»So werdet Ihr es erfahren. Lebwohl, und thue, was Du willst!«

Ich machte Miene, in das Haus zu treten; er aber hielt mich am Arme zurück.

»Chodih, rathe uns!«

»Ich kann Euch nicht rathen; Ihr habt mich vorher auch nicht um Rath gefragt.«

»Wir werden Dir dankbar sein!«

»Das ist nicht nothwendig; Ihr sollt nur vernünftig sein. Wie kann ich Euch beistehen, diejenigen Männer zu besiegen, welche herbeigekommen sind, um mich und meine Gefährten zu befreien?«

»Ihr seid ja nur meine Gäste, nicht aber meine Gefangenen!«

»Auch der Bey von Gumri?«

»Herr, dränge mich nicht!«

»Nun wohl, ich will nachgiebiger sein, als Ihr es verdient. Eilt dem Feinde entgegen und nehmt eine Stellung, an welcher er nicht vorüber kann. Die Kurden werden nicht angreifen, sondern einen Boten senden, der sich zuvor nach uns erkundigen soll. Diesen Boten bringt hierher, und dann will ich Euch meinen Rath ertheilen.«

»Gehe lieber mit, Chodih!«

»Das werde ich gern thun, wenn Ihr mir erlaubt, meinen Diener Halef mitzunehmen, der dort hinter der Mauer bei den Pferden ist.«

»Ich erlaube es,« sagte der Melek.

»Aber ich erlaube es nicht,« entgegnete der Raïs.

Es entspann sich jetzt ein kurzer, aber heftiger Streit, in welchem schließlich der Melek Recht behielt, da die Andern alle auf seiner Seite standen. Der Raïs warf mir einen wüthenden Blick zu, sprang auf sein Pferd und ritt davon.

»Wo willst Du hin?« rief ihm der Melek nach.

»Das geht Dich nichts an!« scholl es zurück.

»Eilt ihm nach, und beschwichtigt ihn,« bat der Melek die Andern, während ich Halef rief, mein Pferd und das seinige bereit zu machen.

Dann stieg ich in unsern Raum hinauf, um die Gefährten zu instruiren.

»Was ist los?« frug der Engländer.

»Die Kurden von Gumri kommen, um uns zu befreien,« antwortete ich.

»Sehr gut! Yes! Brave Kerls! Meine Flinte her! Werde mit dreinschlagen! Well!«

»Halt, Sir David! Für's Erste werdet Ihr noch ein wenig hier bleiben und meine Rückkehr erwarten.«

»Warum? Wo wollt Ihr hin?«

»Hinaus, um zu unterhandeln und die Sache vielleicht im Guten beilegen zu helfen.«

»Pshaw! Sie werden wenig Kram mit Euch machen. Sie werden Euch erschießen! Yes!«

»Das ist höchst unwahrscheinlich.«

»Darf ich nicht mit?«

»Nein. Nur ich und Halef.«

»So geht! Aber wenn Ihr nicht wiederkommt, schlage ich ganz Lizan in Grund und Boden! Well!«

Auch die Andern fügten sich. Nur der Bey machte eine Bedingung:

»Chodih, Du wirst nichts ohne meinen Willen thun?«

»Nein. Ich werde entweder selbst kommen oder Dich holen lassen.«

Damit nahm ich meine Waffen, stieg hinab und sprang in den Sattel. Der Platz vor dem Hause war leer geworden. Nur der Melek wartete auf mich, und einige Bewaffnete waren geblieben, um die gefangenen ›Gäste‹ zu bewachen.

Wir mußten die gebrechliche Brücke wieder passiren. Drüben auf der andern Seite des Stromes ging es wirr zu. Landesvertheidiger zu Fuß und zu Roß ritten und liefen bunt durch einander. Der Eine hatte eine alte Flinte, der Andere eine Keule. Ein Jeder wollte commandiren, aber nicht gehorchen. Dazu war das Terrain mit Felsen, Bäumen und Büschen besetzt, und bei jedem Schritte hörte man eine andere Neuigkeit von den Kurden. Zuletzt kam gar die Kunde, daß der Raïs von Schuhrd mit seinen Leuten davongezogen sei, weil sich der Melek mit ihm gestritten hatte.

»Herr, was thue ich?« frug der Melek in nicht geringer Sorge.

»Suche zu erfahren, wo sich die Kurden befinden.«

»Das habe ich ja bereits gethan, aber ein Jeder bringt mir eine andere Kunde. Und siehe meine Leute an! Wie soll ich mit ihnen zum Kampfe ziehen?«

Der Mann dauerte mich wirklich. Es war sehr leicht zu erkennen, daß er sich auf seine Leute nicht verlassen könne. Der so lange auf ihnen lastende Druck hatte sie entmannt. Zu einem hinterlistigen Überfall hatten sie gestern den Muth gehabt; heute aber, wo es nun galt, die Folgen davon zu tragen, mangelte es ihnen an der nöthigen Thatkraft. Es war nicht eine Spur von militärischer Zucht zu bemerken; sie glichen einer Heerde von Schafen, welche gedankenlos den Wölfen entgegen rennen.

Auch der Melek selbst machte nicht den Eindruck eines Mannes, welcher die jetzt so nöthige Willenskraft und Widerstandsfähigkeit besaß. Es war mehr als Sorge, es war fast Angst, die sich auf seinem Angesicht abspiegelte, und vielleicht wäre es von Nutzen für ihn gewesen, wenn Nedschir-Bey sich noch an seiner Seite befunden hätte. Es war mir sehr klar, daß die Chaldäer gegen die Berwari-Kurden den Kürzeren ziehen würden. Daher antwortete ich auf die Klage des Melek:

»Willst Du meinen Rath hören?«

»Sage mir ihn!«

»Die Kurden sind Euch überlegen. Es gibt nur zwei Wege, die Du jetzt einschlagen kannst. Du ziehst Dich mit den Deinen schleunigst auf das andere Ufer des Flusses zurück und vertheidigst den Übergang. Dadurch gewinnst Du Zeit, Verstärkungen an Dich zu ziehen.«

»Dann aber muß ich ihnen Alles opfern, was am rechten Ufer liegt.«

»Sie werden dies ohnehin nehmen.«

»Welches ist der zweite Weg?«

»Du unterhandelst mit ihnen.«

»Durch wen?«

»Durch mich.«

»Durch Dich? Chodih, willst Du mir entfliehen?«

»Das fällt mir gar nicht ein, denn ich habe Dir ja mein Wort gegeben.«

»Werden sich diese Kurden auf Unterhandlungen einlassen, nachdem wir sie gestern überfallen haben?«

»Ist nicht ihr Anführer Dein Gefangener? Das gibt Dir eine große Macht über sie.«

»Du bist ihr Gastfreund: Du wirst so mit ihnen verhandeln, daß sie den Nutzen, wir aber den Schaden haben.«

»Ich bin auch Dein Gastfreund; ich werde so mit ihnen reden, daß beide Theile zufrieden sein können.«

»Sie werden Dich festhalten; sie werden Dich nicht wieder zu mir zurückkehren lassen.«

»Ich lasse mich nicht halten. Sieh mein Pferd an! Ist es nicht zehnmal mehr werth, als das Deinige?«

»Fünfzigmal, nein, hundertmal mehr, Herr!«

»Glaubst Du, daß ein Krieger so ein Thier im Stiche läßt?«

»Niemals!«

»Nun wohl! Laß uns einstweilen tauschen! Ich lasse Dir meinen Rapphengst als Pfand zurück, daß ich wiederkomme.«

»Ist dies Dein Ernst?«

»Mein vollständiger. Vertraust Du mir nun?«

»Ich glaube und vertraue Dir. Willst Du Deinen Diener auch mitnehmen?«

»Nein, er wird bei Dir bleiben: denn Du kennst mein Pferd nicht genau. Es muß jemand bei Dir sein, der den Hengst richtig zu behandeln versteht.«

»Hat es ein Geheimniß, Herr?«

»In der That.«

»Chodih, dann ist es für mich gefährlich, das Roß zu reiten. Dein Diener mag es besteigen, und Du nimmst das seinige, während er bei mir zurückbleibt.«

Das war es ja eben, was ich wünschte. Mein Pferd war in den Händen des kleinen Hadschi Halef Omar jedenfalls besser aufgehoben, als in denen des Melek, der nur ein gewöhnlicher Reiter war. Darum antwortete ich:

»Ich füge mich in Deinen Willen. Erlaube, daß ich sofort die Thiere wechsele!«

»Sogleich, Herr?«

»Allerdings. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Wirst Du die Kurden wirklich finden?«

»Sie werden schon dafür sorgen, daß sie gar zu bald gefunden werden. Aber, könnten wir nicht meine beiden Vorschläge vereinigen? Wenn Deine Leute mit den Berwari in's Handgemenge kommen, ehe man mich gehört hat, so ist Alles verloren. Gehe mit ihnen über den Fluß zurück, so habe ich mehr Hoffnung auf Erfolg!«

»Aber wir geben uns da in ihre Hände!«

»Nein, Ihr entkommt ihnen und gewinnt Zeit. Wie wollen sie Euch angreifen, wenn Ihr die Brücke besetzt?«

»Du hast Recht, Herr, und ich werde sofort das Zeichen geben.«

Während ich vom Pferde sprang und Halef's Thier bestieg, setzte der Melek eine Muschel an den Mund, welche an seiner Seite gehangen hatte. Der dumpfe, aber kräftige Ton war weithin vernehmbar. Die Chaldani kamen von allen Seiten zurückgeeilt, denn diese Richtung behagte ihnen weit mehr als diejenige eines gefährlichen Angriffes auf die tapfern und wohlbewaffneten Kurden. Ich hingegen ritt vorwärts, nachdem ich Halef einige Verhaltungsmaßregeln ertheilt hatte, und befand mich bald ganz allein, da auch Dojan zurückgeblieben war.


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