Karl May
Der Schut
Karl May

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An der Verräter-Spalte

Als wir aus dem Hause traten, bemerkten wir, daß die Menschenmenge vor demselben sich verringert hatte. Der ehrwürdige Alte hatte bis jetzt zu den Leuten gesprochen, aber es war ihm sichtlich nicht gelungen, den Eindruck zu verwischen, welchen die vorhergehende Hetzrede des Kiaja auf sie gemacht hatte. Sie bildeten zwei in ihren Ansichten verschiedene Trupps, von denen der eine es mit uns, der andere aber mit dem Perser hielt.

»Onu getirler – sie bringen ihn!« rief eine Stimme aus dem einen Haufen. »Kara Nirwan sudschuzdir; ona azadlykü werinis – Kara Nirwan ist unschuldig; gebt ihm die Freiheit!«

»Jok, jok; katildir – nein, nein; – er ist ein Mörder!« ertönte es von der andern Seite. »Ölmeli, schimdi, mutlak – er muß sterben, sofort, unbedingt!«

Beide Haufen drängten herbei; ich redete dem einen bittend, dem andern drohend zu und versprach, daß die Sache eine streng gerechte Untersuchung finden werde. Daran schloß ich die ernste Warnung vor einer zu großen Annäherung an uns, da wir Jeden niederschießen würden, der es wagte, uns lästig zu fallen. Das half. Wir hielten die Waffen in den Händen. Man murrte zwar, ließ uns aber abmarschiren. Selbstverständlich folgten Alle hintendrein. Niemand dachte an seine Arbeit; heute war ein Tag, wie es in Rugova noch niemals einen gegeben hatte.

Die ›Väter des Ortes‹ hatten sich natürlich zu uns gesellt. Der Alte schritt voran, um uns den Weg zu zeigen. Die Andern wies ich an, hinter uns zu gehen. Sie sollten sich zwischen uns und dem aufrührerischen Mob befinden, dem nicht zu trauen war. So ging es in ein enges Gäßchen hinein und dann aus dem Dorf hinaus, den Berg empor.

Die Häuser schienen vollständig verlassen zu sein. Nicht einmal ein Kind war jetzt zu sehen. Die ganze Bewohnerschaft befand sich entweder hinter uns oder bereits vor uns auf dem Berg.

Der Perser leistete nicht den geringsten Widerstand. Er that gar nicht verlegen und hielt auch die Augen nicht mehr geschlossen. Er schickte seinen Blick überall hin. Vermuthlich erwartete er von irgend einem seiner Anhänger ein heimliches Zeichen. Deßhalb hielt ich meine Augen ebenso offen, wie er die seinigen.

Die erst vorhin angekommenen sechs Skipetaren befanden sich zu Pferd. Ich hatte das gewünscht, damit sie im Fall einer Feindseligkeit die Angreifenden gleich niederreiten konnten. Sie bildeten auf ihren schönen Rossen mit ihrer guten Bewaffnung und prächtigen Haltung einen herzerfreuenden Anblick. Es war ihnen anzusehen, daß sie sich nöthigenfalls nicht scheuen würden, es mit ganz Rugova aufzunehmen.

Hinter oder vielmehr über dem Dorfe gab es einige ärmliche Felder und dann Wald, in welchen der Hohlweg, dem wir folgen mußten, tief einschnitt. Hier und da traten die Bäume zurück, um einer kleinen Alpenwiese Platz zu machen, auf welcher einige Pferde, Rinder, Ziegen und Schafe friedlich beisammen weideten. Das hinter uns liegende stille Dorf und diese Wiesen mit den Thieren hatten ein so idyllisches Aussehen, welches keineswegs mit dem Zweck unsers Hierseins und mit dem Umstand harmonirte, daß Rugova der Ausgangspunkt so vieler Verbrechen gewesen war.

Es begegnete uns kein Mensch, und das, was der Schut erwartet hatte, schien nicht einzutreffen, bis endlich, als wir fast die Höhe erreicht hatten, eine Stimme über uns vom Rand des Hohlweges laut ertönte:

»Ima mi uprawo dwadeszet i cschetiri godije!«

Das war serbisch und heißt auf deutsch: »Ich bin grad vierundzwanzig Jahre alt,« oder vielmehr wörtlich: »Es gibt mir vierundzwanzig Jahre.« Ehe ich noch zu denken vermochte, was dies zu bedeuten habe, rief die Stimme weiter:

»Wrlo je lepo wreme!«

Das heißt: »Es ist sehr schönes Wetter.« Und darauf folgten die Worte:

»Koje-li je doba?« Worauf eine andere Stimme antwortete: »Bacsh je szad isbilo cschetiri!«

In's Deutsche übertragen, lautet das: »Wie viel ist's an der Zeit? Eben jetzt hat es vier geschlagen.«

Diese lauten Zurufe galten natürlich dem Schut. Ich legte den Stutzen an und sandte zwei Kugeln nach der Stelle empor, an welcher, dem Schall der Stimmen nach, die beiden Rufer sich befinden mußten.

»Ah sa boga, jaoj meni – ach Gott, wehe mir!« schrie es oben.

Ich hatte getroffen. Niemand setzte ein Wort dazu; aber der Schut drehte sich nach mir um und warf mir einen lodernden Blick des Hasses zu. Als er das Gesicht wieder gewendet hatte, ging ich raschen Schrittes nach vorn. Ich wollte jetzt seine Miene sehen, welche zu verstellen er sich wohl keine Mühe gab, weil er sich unbeachtet wähnte. Indem ich an ihm vorüber kam, sah ich ein Lächeln der Befriedigung bis hinauf zu seinen Augen spielen. Als er mich erblickte, verschwand es sofort.

Es war klar, daß die Zurufe die Bestimmung gehabt hatten, ihn über seine Lage zu beruhigen. Was aber bedeuteten sie eigentlich? Daß sehr schönes Wetter sei, hatte jedenfalls nichts Anderes zu sagen, als daß die Angelegenheit für ihn gut stehe. Was aber war mit dem Alter von vier und zwanzig Jahren gemeint? Bedeutete diese Zahl vielleicht Menschen, welche zu seiner Befreiung bereit seien? Wahrscheinlich! Ich konnte keine andere Erklärung finden. Und daß es vier Uhr geschlagen habe – was sollte diese Vier, auf die es ganz allein ankam, sagen? Ich fragte die Gefährten über ihre Ansicht, natürlich leise, daß der Schut es nicht hörte; aber ihr Scharfsinn erwies sich als ebenso unzureichend wie der meinige. Wir konnten nichts Anderes thun, als überaus vorsichtig sein.

Bald nach diesem Zwischenfall senkten sich die Seiten des Hohlweges, und wir kamen auf ebenes Terrain. Eigentlich hatte ich Lust, den Zug halten zu lassen und mich nun einmal zu der Stelle zu begeben, nach welcher ich gezielt hatte; aber ich mußte mir sagen, daß ich Niemanden dort antreffen würde, da der Unverwundete ganz gewiß den Verwundeten fortgeschafft oder wenigstens versteckt hätte, und es schien mir auch nicht räthlich zu sein, mich zu entfernen, da meine Abwesenheit leicht von den uns feindlich Gesinnten zu einem Streich gegen uns benutzt werden konnte. Wir zogen also weiter.

Nach einiger Zeit, als wir uns rechts gewendet hatten und uns noch immer im Wald befanden, mündete ein schmaler Pfad in unsern Weg. An dieser Stelle standen mehrere Männer, welche auf unser Kommen gewartet zu haben schienen.

»Wohin führt dieser Steig?« fragte ich sie.

»Nach dem Karaul, Herr,« lautete die Antwort.

»Waret Ihr dort?«

»Ja.«

»Befinden sich jetzt noch andere Leute dort?«

»Viele. Sie untersuchen das Gestein.«

»Nun, was ist denn dort zu sehen?«

»Herr, der Thurm ist vollständig eingestürzt.«

»Ist nicht irgend eine Spur von dem alten Schacht zu sehen?«

»O ja! Hart an dem Platz, an welchem der Thurm stand, hat sich die Erde tief eingesenkt, und es ist ein großes Loch entstanden, welches die Gestalt eines Chuni hat. Niemand aber wagt es, hinabzusteigen, weil das Gestein noch fortwährend nachbröckelt. Die Stelle könnte leicht noch tiefer einsinken.«

Der Schut trat einige Schritte zur Seite, als ob er in den Pfad einbiegen wollte. Er erwartete dort am Karaul wohl Hülfe. Ich aber sagte:

»Gehen wir nicht hin! Es ist für uns dort gar nichts zu finden. Wir wollen direkt nach dem Khan.«

Als wir uns dann wieder in Bewegung gesetzt hatten, verschwanden die Männer zwischen den Bäumen, und wir hörten den lauten Ruf:

»Natrat! Idu nami kutschi – zurück! Sie gehen hinter uns nach Hause!«

War das etwa ein Zeichen für die vierundzwanzig Männer, welche wir zu fürchten hatten? Die Worte mußten ihnen von Weitem zugerufen werden, da sie keine Zeit hatten, auf eine persönliche Botschaft zu warten, denn sie mußten auf alle Fälle schon vor uns in dem Khan eintreffen. Gern hätte ich einige der Reiter vorausgesandt, aber ich konnte sie nicht entbehren und hielt es überdies für gefährlich für sie, sie von uns fortzulassen.

Bald endete der Wald. Der Weg führte nur noch durch dichtes Buschwerk. Dann sahen wir Felder, welche durch Reihen von Sträuchern von einander abgegrenzt waren. Diese Letzteren machten es unmöglich, einen freien Blick zu haben. Darum konnten wir diejenigen nicht sehen, welche sehr wahrscheinlich von dem Karaul her nach dem Khan eilten.

»Wo liegt das Haus des Persers?« fragte ich den Alten, welcher uns führte.

»Nur fünf Minuten noch, dann wirst Du es sehen,« antwortete er.

Als diese Zeit vergangen war, erreichten wir den für die weite Umgegend so verhängnißvollen Ort. Der Weg, auf welchem wir gekommen waren, bildete die nach Prisrendi führende Straße, auf welcher Ranko mit seinen fünf Begleitern vorhin von Norden her Rugova erreicht hatte. Hart an dieser Straße lagen die Gebäude eng bei einander, welche den Kara-Nirwan-Khan bildeten, nach dem wir so lange gesucht hatten und welchen wir nun endlich vor uns sahen.

Das Hauptgebäude stand links an der Straße, die Nebengebäude befanden sich rechts. Letztere bildeten einen sehr großen Hof, in welchen ein breites, steinernes Thor führte. Dieses Thor war verschlossen. Vor demselben und vor dem Eingang des Hauptgebäudes standen wohl vier bis fünf Dutzend Menschen beiderlei Geschlechtes. Es schien, daß man ihnen verwehrt habe, einzutreten. Sie empfingen uns still. Ich hörte kein Wort sprechen. Die Gesichter waren zwar nicht drohend, aber auch nicht freundlich: auf allen war der Ausdruck großer Spannung deutlich zu lesen.

Wir wendeten uns links nach dem Wohnhause, dessen Thüre uns trotz unseres Klopfens nicht geöffnet wurde. Halef ging nach der hinteren Seite und meldete uns nach seiner Rückkehr, daß auch dort die Thüre von innen verriegelt sei.

»Befiehl, daß uns geöffnet werde!« gebot ich dem Schut. »Sonst öffnen wir uns selbst.«

»Ich habe Dich nicht zu mir eingeladen,« antwortete er. »Ich verbiete Euch, in mein Haus zu treten.«

Da nahm ich den Bärentödter her. Einige Hiebe mit dem eisenbeschlagenen Kolben desselben, und die Thüre ging in Stücke. Der Schut stieß einen Fluch aus. Die Menge drängte herbei, um mit uns in das Haus zu kommen. Ich aber bat Ranko, mit seinen fünf Reitern hier zurückzubleiben und dafür zu sorgen, daß kein Unberechtigter eintrete. Dann begaben wir uns in das Innere des Gebäudes.

Der Flur war leer. Wir sahen keinen Menschen. Es gab hier nicht verstellbare geflochtene Wände, sondern feste Ziegelmauern. Rechts und links lagen je zwei Stuben, welche nicht verschlossen waren. Auch sie waren leer. Ihrer Einrichtung nach mußte ich annehmen, daß die beiden vorderen Stuben zur Aufnahme der Gäste bestimmt seien. Links hinten wohnte wahrscheinlich die Familie des Schut; rechts hielt sich wohl das Gesinde auf. Als ich die Hinterthüre öffnete, sah ich, daß dieselbe direkt auf freies Brachland führte. In ihrer Nähe führte innerhalb des Flures eine schmale Holztreppe nach oben. Ich stieg ganz allein hinauf in den Dachraum, welcher aus drei Abtheilungen bestand. Die mittlere derselben, in welche die Treppe mündete, enthielt allerlei Gerümpel. Von den Dachbalken hingen dichte Reihen getrockneter Maiskolben und Zwiebeln herab. Die beiden anderen Abtheilungen wurden von Giebelstuben gebildet, welche durch dünne Bretterwände von der Mitte getrennt waren. Ich klopfte an die eine Thüre, erhielt aber keine Antwort. Da nahm ich abermals den Gewehrkolben zu Hülfe und stieß ein Brett ein. Nun sah ich, daß die Kammer leer war. Auch drüben an der andern Seite wurde auf mein Klopfen nicht geantwortet. Durch ein Astloch schauend, gewahrte ich eine Frau, welche auf einer Kiste saß.

»Macht auf, sonst schlage ich die Thüre ein!« drohte ich.

Da auch dieser Zuruf nicht beachtet wurde, so stieß ich ein Brett ein, griff durch die Öffnung und schob den Thürriegel zurück. Ich wurde durch ein mehrstimmiges Gekreisch empfangen. Die Frau, welche ich gesehen hatte, war vielleicht fünfunddreißig Jahre alt. Bei ihr befanden sich zwei alte Weiber. Alle Drei waren gut gekleidet. Ich war überzeugt, die Frau des Schut, die Schuta, vor mir zu haben. Sie hatte sich von ihrem Sitz erhoben und in die Ecke geflüchtet. Von den beiden Andern flankirt, rief sie mir zornig-trotzig entgegen:

»Was fällt Dir ein! Wie darfst Du es wagen, auf diese Weise bei uns einzudringen!«

»Weil es auf eine andere Weise nicht möglich war,« antwortete ich. »Ich habe noch nie einen Khan gesehen, welchen man am hellen Tag vor den Gästen verschließt.«

»Du bist kein Gast.«

»Woher weißt Du das?«

»Ich weiß, was geschehen ist. Man hat es mir berichtet, und übrigens sah ich Euch kommen.«

Sie deutete nach der runden Maueröffnung in der Giebelwand. Da diese nach dem Dorf gerichtet war, hatte man uns also sehr gut bemerken können.

»Für wen hältst Du mich denn?« fragte ich weiter.

»Du bist der größte, der schlimmste Feind meines Mannes.«

»Deines Mannes? Wer ist das?«

»Der Wirth.«

»Also bist Du die Wirthin! Aus welchem Grund hältst Du mich denn für Euern Feind?«

»Weil Du meinen Mann gefangen genommen hast, weil Du ihn überhaupt seit langer Zeit verfolgst.«

»Das alles weißt Du bereits? So wirst Du Dich jedenfalls auf meinen Besuch vorbereitet haben. Sage mir einmal: bist Du nicht mit dem Wirth Deselim in Ismilan bekannt?«

»Sogar verwandt bin ich mit ihm,« rief sie mir wüthend entgegen. »Er war mein Bruder, und Du hast ihn ermordet. Allah verfluche Dich!«

Ich setzte mich gemächlich auf die Ecke der Kiste und betrachtete mir die Drei. Die Schuta war noch immer eine schöne Frau. Sie besaß wohl einen sehr leidenschaftlichen Charakter und war jedenfalls mehr oder weniger die Vertraute ihres Mannes. Die beiden Andern waren alte Frauen, wie man eben dort tausend alte Weiber findet, durch nichts als durch ihre Häßlichkeit ausgezeichnet. Als ich fragte, wer sie seien, antwortete die Wirthin:

»Es ist meine Mutter und deren Schwester. Sie haben Dich außerordentlich lieb, weil Du der Mörder meines Bruders bist!«

»Ich verzichte auf ihre Liebe, und ihr Haß ist mir gleichgültig. Ich habe Deselim nicht ermordet. Er stahl mir mein Pferd. Er war ein schlechter Reiter, wurde abgeworfen und brach den Hals dabei. Habe ich ihn also ermordet?«

»Ja, denn Du verfolgtest ihn. Hättest Du das nicht gethan, so wäre er nicht gezwungen gewesen, über das Wasser zu setzen und dabei vom Pferde zu stürzen!«

»Höre, Du entwickelst da eine merkwürdig spaßhafte Ansicht. Wenn mir ein Dieb ein kostbares Pferd stiehlt, so wirst Du mir wohl gütigst den Versuch erlauben, es wieder zu bekommen. Daß Du gar wünschest, Allah möge mich dafür verfluchen, klingt nicht gut aus dem Mund eines zarten Weibes und ist außerdem eine große Unvorsichtigkeit von Dir. Wie die Sachen stehen, solltest Du Dich sehr hüten, mich zu beleidigen. Ich habe die Macht, Dich dafür zu bestrafen.«

»Und wir haben die Macht, uns dann zu rächen!« drohte sie in energischem Ton.

»So? Du scheinst über Eure Kräfte sehr genau unterrichtet zu sein. Wahrscheinlich hat Dein Mann Dir kein geringes Vertrauen geschenkt.«

Ich sagte das, um sie zu einer Unvorsichtigkeit zu verleiten, in sehr spöttischem Ton, und wirklich fuhr sie auf:

»Ja, ich besitze sein volles Vertrauen. Er sagt mir Alles, und so weiß ich auch ganz genau, daß Du verloren bist!«

»Ja, ich konnte mir freilich denken, daß die Schuta Alles wissen werde und – –«

»Die Schuta?« unterbrach sie mich. »Die bin ich nicht!«

»Pah! Leugne nicht! Kara Nirwan hat gestanden, daß er der Schut ist.«

»Das ist nicht wahr!« fuhr sie angstvoll auf.

»Ich lüge nicht. Er hat es in der Versammlung der Ältesten zugegeben, als ich ihm sagte, daß er zu feig sei, es einzugestehen.«

»O Allah! Ja, so ist er! Den Vorwurf der Feigheit läßt er nicht auf sich liegen. Lieber bringt er sich und uns in das Verderben!«

»Mit diesen Worten schließest Du Dich seinem Geständniß an. Eigentlich habe ich mit Euch Frauen nichts zu schaffen; aber Du bist seine Vertraute und also seine Mitschuldige und wirst sein Schicksal theilen müssen, wenn Du uns nicht Veranlassung gibst, Dich mit Milde zu behandeln.«

»Herr, ich habe nichts mit dieser Sache zu schaffen!«

»Sehr viel sogar! Du warst jahrelang die Genossin des Verbrechens und mußt auch die Strafe erleiden. Der Schut wird jedenfalls hingerichtet werden.«

»O Allah! Ich auch?«

»Ganz sicher!«

Die drei Weiber schrien laut auf vor Angst.

»Jetzt könnt Ihr heulen,« fuhr ich fort. »Hättet Ihr doch früher über Euch selbst geschrien! Oder habt Ihr wirklich geglaubt, daß Allah Eure Missethaten nicht an das Licht des Tages bringen würde? Ich sage Euch, daß alle Eure Verbündeten verloren sind, und daß Mancher von ihnen das Leben lassen wird.«

Die beiden Alten rangen die Hände. Die Schuta starrte eine Weile vor sich hin und fragte dann:

»Du sprachst vorhin von Milde. Wie meintest Du das?«

»Ich meinte, daß man Dich nachsichtiger beurtheilen werde, wenn Du die Veranlassung dazu gibst.«

»Und worin soll diese Veranlassung bestehen?«

»In einem offenen Geständniß.«

»Das hat mein Mann bereits abgelegt. Ihr braucht also nur ihn zu fragen, wenn Ihr noch mehr wissen wollt.«

»Ganz recht. Ich habe auch gar nicht die Absicht, ein Verhör mit Euch anzustellen und Euch irgend welche Geständnisse zu erpressen. Die Untersuchung wird in Prisrendi geführt werden, und ich bin dabei nur als Zeuge betheiligt. Aber auf meine Aussage wird sehr viel ankommen, und Du kannst es dahin bringen, daß ich ein gutes Wort für Dich einlege.«

»So sage mir, was ich thun soll!«

»Nun, ich will aufrichtig mit Dir sein. Ich und meine Gefährten, wir sind aus fremden Ländern. Wir werden in dieselben zurückkehren und nie wieder hierher kommen. Darum ist es uns ziemlich gleichgültig, wer durch Euch hier beschädigt wurde und ob Ihr dafür bestraft werdet. Weniger gleichgültig freilich ist uns Alles, was Ihr gegen uns unternommen habt. Da wir aber glücklicher Weise mit dem Leben davongekommen sind, so fühlen wir uns zur Nachsicht geneigt, falls uns der Schaden ersetzt wird, welchen wir erlitten haben. Du kannst das Deinige beitragen, daß dieses geschehe.«

»So viel ich weiß, hast Du keinen Schaden gehabt.«

»Du scheinst wirklich ganz genau unterrichtet zu sein. Ja, den indirekten Schaden will ich nicht rechnen. Aber Ihr habt den Engländer und auch den Kaufmann Galingré ausgeraubt. Ich hoffe, es ist noch Alles vorhanden, was Ihr ihnen abgenommen habt?«

Sie blickte, ohne zu antworten, nachdenklich vor sich nieder. Ihre Züge bewegten sich lebhaft. Es war ihr anzusehen, daß ein Kampf sich ihres Innern bemächtigt hatte. Aber ich traute ihr nicht zu, den für mich vortheilhaften Entschluß zu fassen. Auch hatte ich keine Zeit, mit vielen Worten in sie zu dringen, und wiederholte darum meine letzte Frage in dringendem Ton.

Da erhob sie langsam den Blick, sah mich auf eine ganz eigenthümliche, mir räthselhafte Weise an und antwortete:

»Ja, Herr, ich glaube, es ist noch Alles vorhanden.«

»Aber wo?«

»Im Jazlyk meines Mannes.«

»Halt ein!« rief ihre Mutter erschrocken. »Willst Du wirklich Deinen Mann verrathen? Willst Du Alles hergeben, was nun Euer Eigenthum geworden ist?«

»Sei still! Ich weiß, was ich thue,« antwortete die Tochter. »Dieser Mann hat Recht. Wir haben Unrecht gethan und müssen unsere Strafe leiden; aber diese Strafe wird um so geringer werden, je früher wir das Geschehene gut zu machen versuchen.«

Das war ja eine außerordentlich eilige Bekehrung! Konnte ich an dieselbe glauben? Unmöglich! Zumal mir das Gesicht, welches die Frau während ihrer Worte machte, gar nicht gefallen wollte. Sie nickte den beiden Alten beruhigend zu und blinzelte dabei mit den Augen.

»Wo befindet sich das Jazlyk?« fragte ich.

»Drüben im Hof. Du wirst es an der Inschrift über der Thüre erkennen.«

»Und natürlich sind die Sachen und das Geld dort nicht nur aufgehoben, sondern verborgen?«

»Ja. Solche Beute legt man doch nicht in den Geldkasten.«

»Beschreibe mir das Versteck.«

»Du wirst den Sandyk an der Wand hängen sehen. Nimm ihn herab, so befindet sich hinter demselben ein Loch in der Mauer, in welchem Du alle Gegenstände sehen wirst, welche dem Engländer und dem Kaufmann abgenommen worden sind.«

»Wenn Du mich täuschen solltest, so würdest Du Deine Lage nur verschlimmern. Übrigens weiß ich, daß sich vierundzwanzig Männer hier befinden, welche uns unschädlich machen sollen.«

Sie erbleichte. Mutter und Tante ließen Ausrufe des Schreckens hören. Die Wirthin warf ihnen einen zornigen Blick zu und sagte:

»Herr, man hat Dich belogen!«

»Nein. Niemand hat es mir gesagt, also kann ich nicht belogen worden sein. Ich habe es selbst beobachtet.«

»So hast Du Dich geirrt.«

»Nein, ich weiß ganz genau, daß sie sich hier befinden.«

»Und doch ist dies nicht der Fall. Ja, ich will eingestehen, daß ungefähr so viele Männer bereit waren, Euch entgegen zu gehen, aber nicht hier, sondern draußen am Karaul.«

»Befinden sie sich noch dort?«

»Ja. Sie dachten, Ihr würdet erst dorthin gehen, bevor Ihr hierher in den Khan kämet.«

»Sind sie zu Pferde?«

»Nein. Was könnten ihnen die Pferde im Kampfe gegen Euch nützen?«

»Gut. Und wo sind Eure Knechte?«

»Eben bei diesen Leuten. Wir haben zwölf Knechte, weil wir so viele zu den Pferden haben müssen, welche bei uns stets zum Verkauf stehen.«

»Und die andern Zwölf?«

»Sind Leute von hier.«

»Welche Deinem Mann als dem Schut unterthänig sind?«

»Ja.«

Sie sagte diese Antworten schnell, ohne sich zu besinnen und im Ton und mit der Miene größter Aufrichtigkeit. Aber ich konnte und durfte Ihr nicht trauen. Ich sah wohl ein, daß es vergeblich gewesen wäre, noch Weiteres aus ihr zu erforschen. Ich mußte ja annehmen, daß sie mir auch bis jetzt nicht die Wahrheit gesagt habe. Darum erhob ich mich von der Kiste und sagte:

»Aus Deiner Aufrichtigkeit ersehe ich, daß ich Dich den Richtern zur Milde empfehlen kann. Ich gehe jetzt hinab. Ihr werdet diesen Raum nicht verlassen. Finde ich die Verhältnisse nicht so, wie Du mir gesagt hast, so dürft Ihr auf Gnade keinen Anspruch machen.«

»O Herr, ich bin überzeugt, Du findest sie so, daß Ihr mir die Strafe vielleicht gar erlassen werdet.«

Das klang so ehrlich und treuherzig! Diese Frau konnte sich außerordentlich verstellen. Vielleicht war sie mir an Schlauheit überlegen.

Als ich hinabkam, standen die Andern noch im Flur. Der Schut warf einen besorgt forschenden Blick auf mich, ohne jedoch aus meinem Gesicht Etwas lesen zu können. Ich sagte, daß wir uns hinüber nach dem Hof begeben wollten.

Draußen saßen die Skipetaren noch auf ihren Pferden. Man hatte sich nicht feindselig gegen sie verhalten. Als wir bei dem Hofthore anlangten und an dasselbe klopften, wurde wieder nicht geöffnet. Ich gebot dem Schut, aufmachen zu lassen; aber er weigerte sich abermals. Da fiel mir das Stichwort ein, welches ich von dem Fährmann in Ostromdscha gehört hatte. Ich klopfte abermals und rief:

»Atschyniz, bir Syrdasch – öffnet, ein Vertrauter!«

»Bir azdan – sogleich!« antwortete es hinter dem Thor. Der Innenriegel wurde weggeschoben und das Thor geöffnet. Ein Knecht stand da, welcher uns, als er uns erblickte, erschrocken anstarrte.

»Budala – Dummkopf!« raunte ihm der Schut zornig zu.

Wir drangen ein, mit uns aber auch ein großer Theil des Volkes. Ich gebot den Leuten, draußen zu bleiben; vergeblich. Sie drängten herein, so breit das Thor war. Das konnte uns gefährlich werden; darum gab ich den sechs Skipetaren einen Wink, welche nun ihre Pferde zwischen die Leute hineintrieben und die bereits im Hof Befindlichen von den noch draußen Stehenden abschlossen.

Laute Rufe des Unmuthes erschallten von draußen und von innen; wir verriegelten aber das Thor, und dann sagte ich den Leuten, daß sie hier, wo sie sich befanden, stehen zu bleiben hätten. Damit es ihnen nicht einfiele, das Thor zu öffnen, mußten die Skipetaren an demselben bleiben. Wir Andern gingen weiter. Die Seiten des Hofes bestanden aus einem langen, niedrigen Gebäude, welches die ganze vordere Linie des Quadrates einnahm; dann aus einem eben solchen Gebäude als zweite Linie; die dritte und vierte Linie wurde aus hohen Mauern gebildet. Von der dritten Linie, uns gegenüber, gingen sechs Bauwerke – lang, schmal und niedrig – parallel zu einander wie die Zähne eines Kammes aus. Es schienen Stallungen zu sein. Sie standen mit den Giebeln nach uns zu, während sie die andern Giebelseiten an die Mauer lehnten. An einem dieser Giebel las ich das Wort ›Jazlyk‹, und über demselben stand ein türkisches Dal. Was dieser Buchstabe zu bedeuten habe, wußte ich nicht. Jazlyk war Comptoir. In demselben sollte sich der erwähnte Kassenschrank befinden.

Zunächst schickte ich Halef, Omar und Osco aus, das Innere all dieser Gebäude zu untersuchen. Ich blieb bei den ›Vätern des Ortes‹ und bei dem Schut zurück; denn diesen durfte ich nicht aus den Augen lassen.

Nach einer halben Stunde kehrten die Gefährten zurück, und Halef meldete:

»Sihdi, es ist Alles sicher, kein einziger Mensch ist vorhanden.«

»Was befindet sich in den Häusern?«

»Häuser sind keine da. Diese beiden Gebäude« – er deutete dabei auf die erste und zweite Seite des Hofvierecks – »sind Vorrathsräume, welche nur nach dem Hof hin offen sind. Die sechs niedrigen Bauwerke, uns gegenüber, sind Stallungen, worin viele Pferde stehen.«

»Und Niemand ist dort? Kein einziger Knecht?«

»Keiner.«

»Sind alle diese Ställe gleich gebaut?«

»Nein. Derjenige, über welchem das Wort Jazlyk steht, hat vorn, nach uns zu, ein Stübchen, in welchem ein Tisch und einige Stühle sind. Auf dem Tisch lagen allerhand Schreibereien.«

»Gut, so wollen wir uns zunächst dieses Stübchen einmal ansehen. Der Perser geht mit mir, und der Lord und Monsieur Galingré begleiten uns.«

»Ich nicht?« fragte Halef.

»Nein. Du mußt hier bleiben, um an meiner Stelle zu kommandiren. Dulde vor allen Dingen nicht, daß das Thor geöffnet werde, und verlaß diese Stelle unter keinem Umstand. Ihr steht hier mit dem Rücken gegen das Vorrathsgebäude und habt prächtige Deckung, wobei Ihr den ganzen Hof übersehen könnt. Kommt Ihr während meiner Abwesenheit in irgend eine Gefahr, so gebraucht Ihr Eure Waffen. Ich bin sehr bald wieder da.«

Wir drei – Galingré, Lindsay und ich – führten den Schut nach dem erwähnten Stall. Die Thüre desselben befand sich in der Mitte des Gebäudes. Als wir eintraten, sah ich zwei Reihen von Pferden. Im hintern Giebel befand sich eine Thüre, und vorn führte auch eine nach dem sogenannten Comptoir. Eine Decke gab es nicht; das Dach war aus Stroh hergestellt. Es gab also hier im Stall kein Plätzchen, welches einem Feind als Versteck hätte dienen können. Der Schut war waffenlos und an den Händen gebunden. Wir brauchten also wohl keine Sorge zu haben.

Trotzdem, und um keine Vorsichtsmaßregel zu versäumen, ging ich nach der hintern Thüre, welche von innen verriegelt war. Ich öffnete sie und blickte hinaus. Da gab es hinter der Mauer, an welche die sechs Ställe im rechten Winkel stießen, noch eine zweite Außenmauer. Zwischen beiden zog sich ein schmaler Raum hin, welcher als Düngerstelle benutzt wurde. Da ich auch da Niemanden erblickte, fühlte ich mich vollständig beruhigt, zumal ich ja die Thüre von innen verriegeln konnte. Dies that ich und kehrte zu den Dreien zurück.

Jetzt traten wir in das Comptoir. Es wurde nur von einer sehr kleinen Fensteröffnung erhellt. Dem Eingang gegenüber sah ich ein Schränkchen hängen – etwas über eine Elle breit und gegen zwei Ellen hoch. Da auch hier sich kein Mensch außer uns befand, so war jede Besorgniß wohl überflüssig. Dennoch war das gelbe Gesicht des Schut um einen Ton bleicher geworden. Sein Blick irrte ruhelos hin und her. Er mußte sich in einem Zustand der größten Aufregung befinden.

Ich schob ihn an die Wand, unseliger Weise so, daß er nach der Thüre sehen konnte, während wir derselben die Rücken zukehrten, und sagte:

»So bleibst Du stehen und beantwortest mir meine Fragen! Wo pflegst Du das Geld aufzuheben, welches Du geraubt hast?«

Er ließ ein höhnisches Lachen hören und antwortete:

»Das möchtest Du wohl gern wissen?«

»Allerdings.«

»Wirst es aber doch nicht erfahren!«

»Vielleicht weiß ich es bereits.«

»Dann müßte es Dir der Scheïtan verrathen haben!«

»Wenn der Teufel es war, so hatte er wenigstens eine Gestalt, welche nicht zum Erschrecken war. Er sah Deiner Frau sehr ähnlich.«

»Was?« fuhr er auf. »Sollte sie es Dir gesagt haben?«

»Ja, wenigstens gab der Teufel sich für Deine Frau aus, als ich ihn oben auf dem Boden traf. Sie sagte mir, das geraubte Gut befinde sich da hinter dem Schrank.«

»Diese alberne, ver- –«

Er hielt inne; seine Augen leuchteten, neben mir hinwegblickend, und er schrie:

»Weg mit den Messern! Tödtet die Hunde nicht! Ich will sie lebendig haben.«

Zugleich versetzte er mir einen Fußtritt an den Unterleib, welcher mich taumeln machte, und ich wurde, bevor ich mich umdrehen konnte, von hinten gepackt. Es waren vier oder sechs Arme, die mich umschlangen.

Zum Glück hing mir der Stutzen am Riemen von der Schulter herab. Sie hatten das Gewehr mit umschlungen und vermochten also nicht, mir den rechten Arm so fest wie den linken an den Leib zu drücken.

Jetzt galt es. Ein Glück, daß die Angreifer die Waffen nicht gebrauchen sollten! Der Lord schrie auf, Galingré ebenfalls. Auch sie waren ergriffen worden.

Ich gab mir einen Schwung, um mit dem Gesicht gegen meine Bedränger zu kommen; es gelang. Da standen in der kleinen Stube wohl zwölf bis vierzehn Menschen, genug um uns zu erdrücken. Und draußen im Stall standen ihrer noch mehrere. Hier wäre Schonung nur unser eigenes Verderben gewesen. Ich wollte die Drei, welche mich gefaßt hielten, abschütteln; es wäre mir wohl auch gelungen, wenn ich Spielraum dazu gehabt hätte.

Einige von den Bedrängern rissen den Schut durch das Gedränge hinaus, um ihn dort von seinen Fesseln zu befreien. Da griff ich mit der rechten Hand in den Gürtel und zog den Revolver. Ich konnte aber den Arm nicht emporheben und hielt die Waffe gegen die Leiber der Feinde. Drei Schüsse, und ich war frei. Was ich nun that, kann ich nicht bis in's Einzelne beschreiben, denn es ist mir unmöglich, mich darauf zu besinnen. Mit den drei noch übrigen Schüssen machte ich dem Lord und Galingré Luft, gab mir aber Mühe, die Betreffenden nicht zu tödten, sondern nur kampfunfähig zu machen.

Sobald der Lord sich frei fühlte, stieß er ein Brüllen aus wie ein Löwe, der sich auf seine Beute stürzt. Er erfaßte einen schweren Hammer, welcher auf dem Tisch lag, und warf sich mit demselben, ohne daran zu denken, daß er Waffen bei sich trug, auf die Feinde. Galingré entriß einem der Verwundeten das Messer und stürzte vorwärts. Ich hatte den Revolver wieder eingesteckt und den Stutzen in die Hand genommen. Schießen wollte ich nicht; zum Gebrauch des Kolbens war derselbe zu schwach – ich hätte ihn leicht zerbrechen können; darum führte ich meine Stöße gegen die Feinde mit dem Lauf aus.

Das ging Alles so schnell, daß vom Erscheinen dieser Menschen bis jetzt nicht eine einzige Minute vergangen war. Sie waren überzeugt gewesen, uns zu überrumpeln und augenblicklich unschädlich machen zu können. Daß es ganz anders kam, und zwar so außerordentlich schnell, das verblüffte sie. Es war, als ob sie gar keine Hände und Waffen zur Gegenwehr hätten. Einer drängte den Andern hinaus. Alle kehrten uns den Rücken zu. Es hatte sie geradezu ein panischer Schreck erfaßt.

»Dur, dur, kalyn – akyn – sokyn – halt, halt, bleibt stehen: schießt, stecht!« ertönte draußen die zornige Stimme des Schut.

Vorhin hatte er verboten, die Waffen zu gebrauchen. Jetzt kam sein Befehl zu spät. Wir hatten die Kerls vor uns auf der Flucht und durften ihnen nicht Zeit lassen, sich festzusetzen oder um zuwenden.

Der Engländer schrie bei jedem Hieb mit seinem Hammer: »Schlagt sie todt! Haut sie nieder! Well!«

»Hajde, sa-usch, dyschary – fort, weiter, hinaus!« schrieen die Kerls, von denen Einer den Andern vorwärts drängte. »Kurtulyniz, geldirler, geldirler – rettet Euch; sie kommen, sie kommen!«

Es war beinahe zum Lachen. Diese fürchterlichen Leute des Schut, wenn auch mit ihm nur noch neunzehn an der Zahl, rissen vor uns Dreien aus. Alles schrie, die Pferde wurden scheu, wieherten und schlugen aus; es waren Augenblicke der größten Verwirrung.

Ich aber dachte nur an Einen, an den Schut. Sollte er mir abermals entkommen? Die Mauer war so hoch, daß er sie nicht ersteigen konnte. Er mußte zwischen den Stallgebäuden in den Hof zurück, um durch das Thor zu entfliehen. Das war der einzige Weg, wie ich dachte, und dort hielten ja nicht nur die berittenen Skipetaren strenge Wache, sondern auch Halef stand in der Nähe. Der Hadschi schoß ihn jedenfalls lieber nieder, als daß er ihn durch das Thor ließ.

Aber ebenso standen dort, innerhalb und außerhalb des Thores, die Leute von Rugova. Nahmen diese sich des Persers an, so bekamen wir einen harten Stand.

Diese Gedanken flogen mir durch den Kopf, indem ich mit dem Lauf des Gewehres auf die Fliehenden einstieß. Ich bin überzeugt, daß jeder dieser Stöße noch nach Monaten zu fühlen war. Da schlug von der linken Seite her ein Pferd aus. Der hochgeschleuderte Huf traf zwar nicht voll auf, aber er strich mir doch so kräftig an der Schulter vorüber, daß ich niederstürzte.

Ich raffte mich auf und wollte weiter, da aber ertönte hinter mir die helle Stimme des Hadschi:

»Sihdi, was ist los, was gibt es? Ich hörte die Schüsse Deines Revolvers und dann das Schreien. Sag', was es gegeben hat!«

Eben waren die Fliehenden durch die Hinterthüre verschwunden, Lindsay und Galingré mit ihnen. Halef sah sie nicht mehr, sondern mich allein.

»Wir wurden überfallen,« antwortete ich hastig. »Der Schut ist wieder frei. Ich treibe ihn Dir in die Hände. Suche Dir hier schleunigst das beste Pferd aus und reite ihn nieder, wenn ich ihn Dir zujage. Schnell, schnell! Ich darf mich nicht aufhalten, sonst kommt der Kampf zum Stehen, und das könnte sehr schlimm für uns werden.«

Ich lief fort, durch die hintere Thüre hinaus und auf die lang zwischen den beiden Mauern sich hinziehende Düngerstelle. Ich hatte richtig vermuthet. Die Fliehenden machten Miene, sich zur Wehr zu setzen.

»Immer drauf, Sir!« rief ich dem Lord englisch zu. »Wir dürfen sie nicht zum Stehen kommen lassen.«

Da erhob er seine Stimme und seine beiden Arme und sprang mitten unter die Feinde hinein. Dann kam ich dazu. Galingré hielt sich wie ein Held. Sie wandten sich wieder um und eilten davon, wir hinter ihnen her, am nächsten Stall vorüber, welcher No. 5 hatte, dann an No. 6 vorbei – der Schut und die Vordersten waren nicht zu sehen gewesen.

Als wir um die Ecke des sechsten Stalles bogen und nun an die zweite Seite des Hofvierecks kamen, an welchem das zweite Vorrathshaus stand, sah ich hart am Giebel desselben eine offene Pforte. Sie war nicht zwanzig Schritte von uns entfernt, und die Fliehenden rannten auf dieselbe zu.

Sollte der Schut bereits da hinaus sein? Dann war guter Rath theuer. Ich that einige Sprünge, welche mich mitten in die Flüchtigen hinein brachte, stieß sie aus einander, schnellte auf die Pforte zu und durch dieselbe hinaus. Ja, es war so! Da links rannten sie über das Feld, und rechts jagte der Schut auf einem Pferd von dannen. Das Pferd war ein Rappe. Trotz des Zornes, welcher mich erfüllte, und trotz der Aufregung, in welcher ich mich befand, hing mein Auge bewundernd an dem Thier – breite, feste Sehnen, hohe, schlanke Gliedmaßen, stark ausgebildete Hinterhand, tiefe Brust, dünner Leib, langer, wagerecht getragener Hals, sehr kleiner Kopf – alle Wetter, das war ein englisches Vollblut! Wie kam ein solches Thier hierher nach Rugova!

Ich war voll Bewunderung über die Eleganz und Schnelligkeit, mit welcher es dahinflog. Ich dachte kaum an den Reiter – an den Reiter, ah! Er durfte nicht fort. Ich riß den Stutzen an die Wange, um scharf zu zielen. Würde ich ihn noch treffen? Er war für die Kugel des Stutzens bereits zu weit.

Da blitzte etwas vor meinen Augen empor. Es war ein Messer, mit welchem einer der an mir vorüber eilenden Feinde ausholte, um mich niederzustechen. Ich hatte nur noch Zeit, zur Seite zu springen; er aber erhielt an Stelle des Schut meine Kugel, und zwar in die rechte Schulter.

»Zurück auf den Hof!« rief ich dem Engländer zu. Er und Galingré sprangen mir, ohne auf die Feinde noch zu achten, nach, zur Pforte wieder hinein, zwischen dem Vorrathshause und dem sechsten Stalle hindurch nach dem Hof. Dort hielt Halef auf ungesatteltem Pferde.

»Der Schut entflieht, auf einem Rappen, nach dem Dorfe zu,« antwortete ich athemlos. »Eile ihm nach, daß er nicht etwa am Konak absteigt und unsern Rih stiehlt. Suche zu erfahren, welche Richtung er von Rugova aus eingeschlagen hat! Jedenfalls reitet er gegen Skutari hin, um Hamd el Amasat zu erreichen und der Frau Galingré ihr Geld abzunehmen, denn hier darf er sich nicht mehr sehen lassen.«

»Allah ist groß, und Ihr seid dumm gewesen!« meinte der Kleine. »Wie weit soll ich dem Halunken folgen?«

»Nur so weit, bis Du genau weißt, welchen Weg er eingeschlagen hat. Dann kehrst Du um. Das Übrige ist dann meine Sache. Laß Dich aber nicht zu Übereilungen verleiten!«

Er drängte sein Pferd zur Seite und jagte auf das Thor zu und schrie schon von weitem:

»Macht auf!«

Ranko sah an meinem Winken, daß auch ich dasselbe verlangte, und riß den Riegel zurück und das Thor auf. Im nächsten Augenblick brauste der Hadschi hinaus – nicht mitten unter die draußen stehenden Leute hinein, wie ich geglaubt hatte; denn sie standen nicht mehr da.

Ich war ihm nach gesprungen. Als ich am Thor ankam, sah ich, daß die Leute nach dem Dorf rannten. Sie hatten den Schut hinter der Mauer hervorkommen sehen; sie wußten also, daß er frei sei, und eilten hinter ihm her. Ich selbst konnte ihn nicht mehr sehen, da ihn die Buschreihen verdeckten, welche die Felder abgrenzten. Aber Halef verschwand auch schon hinter diesen Sträuchern.

»Effendi,« fragte Osco, »Ist der Schut entkommen?«

»Ja; aber wir erwischen ihn wieder. Kommt herein! Wir dürfen uns nicht lange hier aufhalten. Das, was wir noch zu thun haben, muß schnell geschehen.«

Die ›Väter des Dorfes‹ waren nicht mitgelaufen. Ich erzählte ihnen den Vorfall, und sie sagten nichts dazu. Es schien ihnen sehr lieb zu sein, daß der Schut entkommen war. Selbst der ehrwürdige Alte athmete wie erleichtert auf und fragte:

»Herr, was wirst Du nun thun?«

»Den Schut fangen,« antwortete ich.

»Und dabei stehst Du so ruhig? Wer einen Andern fangen will, der muß doch eilen!«

»Ich eile bereits, nur nicht in der Weise, in welcher Du es meinst.«

»Er muß Dir doch entkommen, da sein Vorsprung schon ein so großer ist.«

»Habe keine Sorge! Ich hole ihn noch ein.«

»Und dann bringst Du ihn hierher zurück?«

»Nein. Dazu habe ich keine Zeit.«

»Aber Du mußt doch als Ankläger oder Zeuge gegen ihn auftreten!«

»Dazu sind Andere da. Das kann ich überhaupt Euch überlassen. Ihr wißt, daß der Perser der Schut ist. Er hat es in Eurer Gegenwart eingestanden. Nun ist es an Euch, ihn bei seiner Rückkehr zu bestrafen. Und wenn Ihr es nicht thut, wird Stojko es an Eurer Stelle thun.«

»Ja, das werde ich ganz gewiß,« sagte der Genannte. »Sobald er sich hier wieder sehen läßt, gehört er mir.«

»So lange warte ich nicht,« sagte sein Neffe. »Der Effendi will ihn fangen, und wir begleiten ihn.«

»Darüber sprechen wir noch,« antwortete ich. »Jetzt folgt mir einmal nach dem Jazlyk.«

Wir begaben uns dahin. Dort ließ ich den Schrank von dem eisernen Haken nehmen, an welchem derselbe hing. Wirklich, hinter demselben war eine Vertiefung in der Mauer, welche nicht ganz die Größe des Schrankes hatte. Dort fand sich Alles vor, was dem Engländer und Galingré abgenommen worden; aber auch weiter gar nichts. Frühere Raubfrüchte hatten bereits einen andern Ort erhalten. Ich war mit diesem Ergebniß auch zufrieden. Der Lord schmunzelte vergnügt, als er sogar seinen Hut erblickte, und Galingré jubelte, als er sein Geld wieder in den Händen hielt.

Dann machten wir einen Rundgang durch die sechs Ställe. Da waren Pferde von allen Sorten und Farben und Preisen. Die besten Pferde aber standen in dem Stall, welcher an das Comptoir stieß. Einen prächtigen Braunen hatte ich gesehen, als ich mit dem Schut eingetreten war. Halef hatte ganz denselben Geschmack wie ich, denn er hatte sich diesen Braunen trotz der großen Eile, in welcher dies geschehen mußte, ausgesucht. Ein fast ebenso werthvolles Pferd wählte ich für Galingré und auch eins für den Engländer aus. Es galt, uns möglichst gut beritten zu machen. Für die gemiethete Dienerschaft des Lords war nicht zu sorgen, da dieselbe das Weite gesucht hatte.

Dann zog sich Stojko auch mehrere ausgezeichnete Thiere in den Hof. Der Kiaja wollte das freilich nicht dulden, aber der Skipetar fuhr ihn an:

»Schweig! Können alle diese Pferde mir den Tod meines Sohnes ungeschehen machen? Können sie mir den Verlust meines Kindes ersetzen? Ich weiß sehr wohl, daß Ihr Euch in das Eigenthum des Schut theilen werdet, wenn er nicht zurückkehrt. Und da sollen wenigstens auch diejenigen Etwas erhalten, welche durch ihn geschädigt worden sind. Übrigens seid Ihr im Stande, ihn, wenn er zurückkehren sollte und wir nicht mehr da sind, grad so aufzunehmen, als ob gar nichts vorgefallen sei. Ich kenne Euch, werde aber dafür sorgen, daß es ihm nicht so wohl werden kann.«

Die andern Gegner waren ebenso verschwunden, wie der Schut. Sogar die im Comptoir Verwundeten waren fort. Und jetzt wußte ich's: der Buchstabe Dal bedeutete 4. –

Der Geldschrank sollte verschlossen bleiben, bis von Prisrendi ein Beamter angekommen sei. Ein Bote war freilich noch nicht dahin abgesandt worden. Ich gebot dem Kiaja, dies schleunigst zu thun und überhaupt dafür zu sorgen, daß die Verwaltung des Kara-Nirwan-Khans in treue Hände käme. Dann stiegen wir zu Pferd und ritten nach Rugova zurück, ohne uns darum zu kümmern, ob die ›Väter des Ortes‹ uns folgten oder nicht.

Im Konak wartete Halef bereits auf uns mit der Meldung, daß er noch zur rechten Zeit gekommen sei, um die Wegnahme Rih's durch den Schut zu verhindern. »Er war mir weit voran,« erzählte der Hadschi, »da er einen bedeutenden Vorsprung hatte, und ich konnte in dem abschüssigen und holperigen Hohlweg mein Pferd nicht recht zwischen die Hände nehmen, da ich kein richtiges Zügelwerk, sondern nur die Halfter hatte. Ich wußte also nicht, wo er war, ritt aber, als ich hier anlangte, in den Hof. Und siehe, da hielt er, und die Knechte waren eben damit beschäftigt, ihm den Rappen aus dem Stall zu ziehen.«

»Wie kamen sie dazu, das zu thun?«

»Er hatte zu ihnen gesagt, seine Unschuld habe sich herausgestellt und er sei beauftragt, Dir Dein Pferd zu holen. Die Leute von Rugova haben einen so heillosen Respekt vor ihm, daß man es nicht wagt, ihm zu widersprechen.«

»War er denn bewaffnet? So viel ich weiß, hat er bei seiner Befreiung keine Zeit gehabt, sich mit Waffen zu versehen.«

»Ich habe nichts dergleichen bemerkt. Natürlich erhob ich Einspruch und gebot, Rih sofort wieder in den Stall zurück zu bringen.«

»Und dann?«

»Nun, dann machte er sich schleunigst davon.«

»Wohin?«

»Hier über die Brücke hinüber. Aber er ritt nicht den gebahnten Weg, welcher immer dem Ufer des Flusses folgt, sondern querfeldein, nach dem Wald drüben im Westen. Es ging immer im Galopp, und ich folgte ihm, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war.«

Nachdem ich dem Hadschi zu seiner tiefsten Zerknirschung erklärt hatte, daß er nebst Osco und Omar versäumt hätte, hinter die Ställe zu sehen, wo die Leute des Schut versteckt waren, versammelten wir uns in der Wirthsstube, und ich hob an:

»Die Zeit drängt. Der Schut ist entflohen und wir müssen ihn wieder haben. Er hat hier Alles verlassen müssen, um einstweilen nur sich zu retten. In diesem Augenblick ist er ein armer Mann, er hat kein Geld. Um solches zu bekommen, reitet er Hamd el Amasat entgegen, welcher die Familie Galingré bringt. Diesen Leuten soll Alles, was sie bei sich führen, abgenommen werden. Wenn das gelingt, so hat der Schut wieder Geld und kann später, wenn wir von hier fort sind, möglicher Weise hierher zurückkehren und Alles leugnen. Ich und meine Gefährten sind dann nicht mehr da, und die übrigen Zeugen kann er auf irgend eine Weise unschädlich machen. Ich halte es unter den hiesigen Verhältnissen gar nicht für unmöglich, daß es ihm gelingt, seine Unschuld glaubhaft zu machen.«

»Um Gottes willen!« rief Galingré. »Meine Frau, meine Tochter und mein Schwiegersohn befinden sich in größter Gefahr. Herr, säumen Sie nicht. Wir müssen sogleich aufbrechen, sogleich!«

»Haben Sie Geduld!« mahnte ich. »Wir dürfen uns nicht überstürzen. Vor Allem müssen wir wissen, wohin der Weg führt, welchen er eingeschlagen hat.«

»Das kann ich Dir sagen,« antwortete Ranko, der Neffe Stojko's. »Ich weiß, welche Absicht er hat. Die Verwandten dieses Herrn kommen von Skutari. Die Straße von dorther geht über Skala, Gori, Pacha, Spassa und endlich Rugova. Von Pacha aus wendet sie sich nordwärts nach Spassa und von dort aus wieder nach Südost gen Rugova. Sie bildet also einen bedeutenden Winkel, welcher einen großen Umweg bedingt. Der Schut weiß das. Er reitet gar nicht nach Spassa, sondern direkt westwärts nach Pacha. Der Weg dorthin ist zwar nicht befahren und ist sehr schlecht, aber man vermeidet, wenn man ihn benutzt, den ungeheuren Bogen und kommt anstatt in sieben Stunden in der halben Zeit in Pacha an. Er hat die Absicht, uns sehr weit voran zu kommen.«

»Sollte er annehmen, daß wir ihm folgen? Jedenfalls. Nun, wir können ja denselben Weg einschlagen. Hoffentlich finden wir hier einen Mann, welcher das Amt des Führers übernehmen kann.«

»Wir brauchen keinen Führer. Ich selbst kenne diesen Weg sehr genau. Vor allen Dingen gilt es, den Schut zu bekommen. Wir reiten Alle mit Dir. Dann kehren wir hierher zurück und werden mit dem Köhler und seinen Genossen Abrechnung halten.«

»Ich muß Dir davon abrathen, denn Ihr werdet mit Sehnsucht bei der Höhle erwartet. Wenn Ihr zu kommen zögert, so ist es möglich, daß die Mörder, an welchen Du den Tod Deines Vetters rächen willst, aus ihrem Gewahrsam entkommen.«

»Erkläre mir das!«

Ich war jetzt gezwungen, abermals unsere Erlebnisse zu erzählen. Ich machte alsdann die Skipetaren darauf aufmerksam, daß der Dolmetscher und die beiden Steinbrucharbeiter doch nicht so zuverlässig seien, daß man ihnen die Bewachung der Höhle auf längere Zeit anvertrauen könne. Und da gaben sie mir Recht.

»Das ist richtig, Herr,« sagte Stojko. »Nicht der Schut ist der Mörder meines Sohnes, sondern die Köhler sind es. Den Schut überlasse ich Dir; die Andern aber nehme ich auf mich. Ich werde, obgleich ich noch schwach bin, schleunigst aufbrechen. Ich kenne den Weg, und übrigens sind wir Skipetaren und können uns auf unsere Augen und unsere Pferde verlassen.«

»Nun denn, so vergiß ja nicht, daß das Vermögen des Köhlers, das heißt der Ertrag seiner Räubereien und Mordthaten, sich unter dem Herd seines Schwagers, des Kohlenhändlers, befindet.«

»Ich werde hinreiten und es holen. Wem soll ich es geben?«

»Es gehört den Verwandten derjenigen, denen er es abgenommen hat. Kannst Du diese Leute nicht ausfindig machen, so vertheile es unter die Armen und Bedürftigen Deines Stammes. Keinesfalls aber laß es in die Hände des Gerichtes kommen; da würden es weder die Berechtigten, noch die Armen erhalten.«

»Es soll genau so geschehen, wie Du es sagst, und diejenigen, welche es erhalten, sollen Eure Namen erfahren, denn Ihr seid es, denen sie es zu verdanken haben. Nun aber wollen wir uns zum Aufbruch anschicken.«

Da nahm Ranko nochmals das Wort:

»Ich bleibe dabei, daß ich noch nicht nach der Höhle reite. Mein Oheim und meine fünf Begleiter werden den Tod meines Vetters Ljubinko rächen. Aber der Schut hat meinen Oheim über zwei Wochen lang eingesperrt und wollte ihn tödten. Auch das erfordert Rache. Es genügt mir nicht, daß der Effendi diesen Menschen verfolgt; ich selbst muß dabei sein und darum werde ich mit ihm reiten. Versucht es nicht, mich davon abzubringen. Ich bleibe dabei. Übrigens könnt Ihr Euch meiner als Führer bedienen, denn ich kenne die Gegend, durch welche wir reiten müssen.«

»Ich will nicht gegen Deinen Entschluß sprechen,« sagte sein Oheim. »Du hast Recht, und ich weiß, daß Du von einem Entschluß nie zurücktrittst. Aber Ihr braucht gute Pferde. Ich werde Dir meinen Goldfuchs geben; Ersatz für ihn ist ja vorhanden. Also das ist abgemacht, und ich werde aufbrechen. Aber was wirst Du mit dem Schut machen, wenn Du ihn ergreifst?« fragte er mich.

»Das kann ich jetzt unmöglich sagen. Es kommt auf die Verhältnisse an, unter denen ich mit ihm zusammentreffe. Gelingt es mir, seiner ohne Blutvergießen habhaft zu werden, so werde ich ihn Ranko übergeben, welcher ihn hierher schaffen mag. Was dann mit ihm geschieht, das ist Eure Sache.«

Es handelte sich nun noch um die Pferde. Ich hatte meinen unvergleichlichen Rih. Osco und Omar ritten die Schecken der Aladschy; Ranko bekam den Goldfuchs; für Halef, den Engländer und Galingré wurden die drei besten vom Kara-Nirwan-Khan mitgebrachten Pferde ausgesucht. Die anderen Thiere, auch dasjenige, welches Halef bisher geritten hatte, erhielten die Skipetaren mit Ausnahme eines einzigen, welches mit einem Packsattel uns begleiten sollte, um die Speise- und Futtervorräthe zu tragen, welche wir mitnehmen mußten, da wir wohl keine Zeit fanden, die Thiere weiden zu lassen. Diese Vorräthe kauften wir von dem Wirth, welchem es sehr leid that, daß wir sein Haus so bald wieder verließen. Er zeigte sich höchst dankbar gesinnt dafür, daß wir ihn von einem so übermächtigen Concurrenten befreit hatten.

Der Abschied von Stojko und den Seinen war ein äußerst herzlicher. Er rief uns noch seine Segenswünsche zu, als er über die Brücke hinüber war und dann links nach der Richtung einlenkte, aus welcher wir gekommen waren.

Jedenfalls ist er mit seinen Skipetaren glücklich in das Thal des Köhlers gekommen. Wie es dann demselben und seiner Rotte ergangen ist, das weiß ich nicht und – – – mag es auch nicht wissen. Blut um Blut, Leben um Leben! – –

Kurze Zeit später brachen auch wir auf. Die Sonne hatte den größten Theil ihres Nachmittagbogens zurück gelegt, als wir Rugova verließen. Seine Bewohner blickten uns nach; wir aber sahen nicht nach ihnen zurück, denn wir hatten durchaus nicht unsere Herzen zurückgelassen. Aber als wir im sausenden Galopp über die ebene Brache dahinflogen, schaute ich noch einmal nach der Felsenhöhe zurück, auf welcher der Karaul gestanden hatte. Er war nicht mehr da. Vielleicht erzählt man noch in später Zeit von ihm, von dem Schacht und von den fremden Männern, wegen deren der ehrwürdige Thurm verschwinden mußte.

Wir waren sieben Reiter und besaßen Pferde, wie sie in der weiten, weiten Umgegend wohl nicht gleich abermals zusammengebracht werden konnten, und darum erschien es mir gar nicht als zweifelhaft, daß wir den Schut einholen würden. Von Rugova bis zum Wald hätte ein Fußgänger sicher drei gute Viertelstunden gebraucht. Wir erreichten ihn bereits nach fünf Minuten.

Das eigentliche Gebirge lag hinter uns. Im Südwesten ragten die Höhen des Fandigebirges empor. Wir hatten nur die nördlichen Ausläufer desselben zu überwinden, und zwar eine Hochebene, welche sich zwischen Rugova und Pacha bis an den Drin und dessen Nebenfluß Joska erstreckte und dort die senkrechten, stellenweise über tausend Fuß hohen Ufer dieser beiden Wasserläufe bildete.

Sobald wir unter den Bäumen angelangt waren, ging es steil an, wohl drei Viertelstunden lang. Als wir uns dann aber oben auf der Ebene befanden, hörte der Wald auf, und es gab eine weite Planfläche, auf welcher duftige Gräser und staudenartige Gewächse wuchsen. Hier in den hohen Pflanzen war die Fährte des Schut so deutlich zu sehen, daß sie wie eine dunkle Linie vor uns hinlief. Wir ließen die Pferde wieder ausgreifen. Es war ihnen eine Lust, über die Fläche dahinzufliegen.

Durch den Wald herauf hatten wir einzeln reiten müssen. Jetzt erlaubte es das Terrain, daß sich Einer zum Andern gesellte. Neben mir ritt Halef. Sein Brauner war ein prächtiges Thier und hielt ohne Anstrengung Schritt mit meinem Rih. Ich blickte zurück und gab Galingré einen Wink, herbei zu kommen. Wir nahmen ihn in die Mitte.

»Hast Du mir Etwas zu sagen, Effendi?« fragte er mich französisch, weil Halef dabei war, welcher nicht französisch verstand.

»Ja, ich möchte gern wissen, wie es diesem sogenannten Hamd el Nassr gelungen ist, sich in Dein Geschäft einzuschleichen.«

»Er wurde mir von Stambul aus dringend empfohlen und hat sich auch stets sehr brauchbar und treu erwiesen.«

»Aus Berechnung natürlich. Ist Dein Geschäft wirklich verkauft?«

»Ja, und ein neues ward in Uskub dafür angekauft. Dieses ist aber noch nicht bezahlt. Meine Frau wird das Geld und die Wechsel bei sich haben.«

»Welch eine Unvorsichtigkeit von einer Frau, ein solches Vermögen von Skutari nach Uskub schleppen zu wollen!«

»Du darfst nicht vergessen, daß dies gegen meinen Willen und nur auf Veranstaltung Hamd el Nassr's geschieht!«

»Das ist richtig. Darf ich vielleicht erfahren, aus welcher Stadt Frankreich's Du eigentlich stammst?«

»Aus Marseille. Die regen Beziehungen, in denen mein Haus zu der Levante stand, veranlaßten mich später, nach der Türkei zu gehen. Wir hatten eine Filiale in Algier, welche mein Bruder eines drohenden Verlustes wegen persönlich besuchen mußte. Er war der Chef des Marseiller Hauses. Die Ausgleichung der Differenz war nur unter Mitwirkung seines Sohnes möglich, und er ließ denselben nachkommen. Nach einiger Zeit erhielt ich die Schreckensnachricht, daß mein Bruder in Blidah ermordet worden sei.«

»Von wem?«

»Des Mordes verdächtig war ein armenischer Händler, welcher aber vergeblich verfolgt wurde. Paul, so hieß mein Neffe, brach selbst auf, um diesen Menschen aufzusuchen, ist aber nie zurückgekehrt.«

»Was wurde aus dem Geschäft in Marseille?«

»Mein Bruder hatte damals eine verheirathete Tochter, wie jetzt ich; auf deren Mann ging das Geschäft über.«

»Und Du hast nie wieder von Deinem Neffen Paul und von dem Mörder Deines Bruders gehört?«

»Nein. Wir haben Briefe über Briefe geschrieben, der Schwiegersohn meines Bruders ist selbst nach Algerien, nach Blidah gereist, aber alle Mühen sind vergeblich gewesen.«

»Was würdest Du thun, wenn Du den Mörder träfest und er Dich nun um eine Stelle in Deinem Comptoir bäte?«

»So würde er eine Stelle bekommen, aber in der Hölle. Doch, warum fragst Du mich so eigenthümlich?«

»Weil ich Dir Etwas zeigen will.«

Ich nahm meine Brieftasche heraus und zog jene drei Zeitungspapiere hervor, welche ich damals mit Halef an der Leiche in der Sahara gefunden hatte, und reichte sie ihm hin.

»Zeitungsblätter, sehr alte?« sagte er. »Woher hast Du sie?«

»Es ist je ein Blatt der »Vigie algérienne«, des »L'Indépendant« und der »Mahouna«. Das erstere Blatt erscheint in Algier, das zweite in Constantine und das dritte in Guelma. Lies nur die Artikel, welche ich angestrichen habe.«

Diese Blätter enthielten, wie bereits früherDeutscher Hausschatz, Jahrgang VII, pag. 269 erwähnt, den fast gleichlautenden Bericht über die Ermordung des französischen Kaufmannes Galingré in Blidah. Er las sie durch, und sein Angesicht wurde bleich.

»Effendi,« rief er aus, indem er die Hände mit den Blättern auf den Sattel sinken ließ, »woher hast Du diese Zeitungen?«

»Sage mir vorher, ob Dein Neffe Paul unverheirathet war.«

»Er war erst vor kurzer Zeit verheirathet, und die junge Frau hat sich über sein Verschwinden zu Tode gegrämt.«

»Wie war ihr Mädchenname? Fing er mit den beiden Buchstaben E. P. an?«

»Ja, Herr, ja. Sie hieß Emilie Pouillet. Aber woher kennst Du die Anfangsbuchstaben ihres Namens?«

»Sie ist gewiß nicht so alt gewesen, wie es nach der Jahreszahl erscheint, welche sich hier im Innern dieses Ringes befindet.«

Ich zog den Ring, welchen ich damals an der Hand des Todten gefunden hatte, von meinem kleinen Finger, an welchem ich ihn von jenem Tage an bisher getragen hatte, und reichte ihm denselben hin. Er sah die eingegrabene Schrift ›E.P. 15. juillet 1830‹ und sagte fast athemlos:

»Der Trauring meines Neffen Paul, meines verschwundenen Neffen! Ich weiß es ganz genau.«

»Aber wie stimmt das mit der Jahreszahl 1830?«

»Dieser Ring ist der Trauring der Mutter seiner Braut gewesen, deren Mädchenname Emilie Palangeur war. Da die Buchstaben stimmten, hat die Tochter sich des Ringes ihrer verstorbenen Mutter bedient, aus Pietät natürlich, nicht aus Sparsamkeit. Aber, Effendi, sage mir um aller Welt willen, wie dieser Ring in Deine Hände kommt!«

»Auf die einfachste Weise: ich habe ihn gefunden, und zwar in der Wüste Sahara, unter schaurigen Umständen. Dein Bruder wurde von dem armenischen Händler ermordet. Paul, Dein Neffe, entdeckte die Spur des Missethäters und folgte ihm in die Wüste. Er traf mit ihm zusammen und wurde von ihm getödtet und ausgeraubt. Kurze Zeit später kam ich zur betreffenden Stelle und fand die Leiche. An der Hand derselben steckte dieser Ring, den ich zu mir nahm, und unweit davon lagen diese Zeitungsblätter. Den Ring hatte der Mörder nicht gesehen, sonst hätte er ihn an sich genommen; das Papier aber hatte er als werthlos weggeworfen.«

»Mein Gott, mein Gott! Endlich erhalte ich Klarheit, aber welche! Bist Du denn dem Mörder nicht nachgefolgt?«

»Ja, und ich traf ihn auf dem Schott, wo wir über die grausige, entsetzliche Salzhaut des See's ritten. Da erschoß er auch unsern Führer, den Vater Omar's, der jetzt mit uns reitet, um seinen Vater an dem Mörder zu rächen. Und dann trafen wir ihn noch einmal; es gelang ihm aber, uns zu entkommen, was ihm jetzt nicht wieder gelingen wird.«

»Jetzt, jetzt? Ist er denn hier?«

»Natürlich! Es ist jener Hamd el Nassr, eigentlich Hamd el Amasat.«

»O Himmel! Ist das möglich? Hamd el Amasat ist der Mörder meines Bruders und dessen Sohnes?«

»Ja. Halef war dabei und hat Alles gesehen. Er mag es Dir erzählen.«

Darauf hatte der Hadschi gewartet. Er erzählte gar so gern. Darum drängte ich mein Pferd vorwärts zu Ranko und ließ die Beiden allein. Bald hörte ich Halef's laute, pathetische Stimme erschallen. Er erzählte natürlich in seiner Weise jenes Erlebniß, über welches in diesen Blättern in dem Capitel ›Abu el Nassr‹ berichtete worden ist.

Mittlerweile waren wir immer im Galopp über die Hochebene hinweg gefegt und gelangten zwischen bewaldete Höhen, wo wir wieder langsamer reiten mußten. Als ich mich umschaute, sah ich Halef, Galingré und Omar beisammen, welche das unheilvolle Thema weiter besprachen. Ich hielt mich voran, denn ich hatte keine Lust, an ihren Racheplänen Theil zu nehmen.

Es begann zu dämmern, als der Wald sich wieder abwärts senkte, und es war dunkel, als wir in das steile Thal der Joska ritten und die Lichter von Pacha vor uns sahen.

Das erste Haus war kein Haus. Es wäre sogar eine Überschwenglichkeit gewesen, es eine Hütte zu nennen. Aus dem offenen Loch, welches ein Fenster bedeuten sollte, leuchtete die Flamme des Herdes. Ich ritt hin und rief hinein. Auf diesen Ruf erschien etwas Rundes, Dickes vor dem Loch. Ich hätte es am liebsten für einen Werg- oder Heubündel gehalten, wenn nicht aus der Mitte dieses Gewirres eine menschliche Stimme erklungen wäre:

»Wer ist draußen?«

Das vermeintliche Werg oder Heu war die reizende Haarfrisur des Sprechenden.

»Ich bin ein Fremder und möchte Dir eine Frage vorlegen,« antwortete ich. »Wenn Du Dir fünf Piaster verdienen willst, so komm einmal heraus!«

»Fü – fü – fünf Piaster!« schrie der Mann, ganz entzückt über diese außerordentliche Summe. »Ich komme gleich, gleich! Warte! Laufe mir ja nicht fort!«

Dann erschien er unter der Thüre – ein kleiner, dünner, säbelbeiniger Cretin mit einem ungeheuren Kopf.

»Du bist nicht allein?« fragte er. »Ihr werdet mir doch nichts thun! Ich bin ein armer, ein blutarmer Mann, der Hirte des Dorfes.«

»Habe keine Sorge! Wenn Du uns gute Auskunft gibst, sollst Du sogar zehn Piaster bekommen.«

»Zeh – zeh – zeh – zehn Piaster!« rief er erstaunt. »O Himmel! Zehn Piaster gibt mir der Wirth für das ganze Jahr, und auch noch Schläge dazu.«

»Wofür?«

»Daß ich ihm seine Schafe weide.«

»Er ist also wohl kein guter und auch kein freigebiger Mann?«

»Nein, gar nicht. Er greift viel lieber zur Peitsche als zum Beutel, und wenn er mir Essen gibt, erhalte ich nur das, was Andere nicht wollen.«

Ich fragte nach dem Wirth, weil ich mir denken konnte, daß der Schut bei ihm eingekehrt sei. Der Hirte war keineswegs ein junger Mensch, aber er schien mir geistesschwach oder wenigstens kindisch zu sein. Vielleicht war eben deßhalb bei ihm mehr zu erfahren, als bei einem Andern.

»Du weidest wohl die Schafe des ganzen Dorfes?« erkundigte ich mich weiter.

»Ja, und Jeder gibt mir für einen Tag das Essen, mir und meiner Schwester, die drin am Feuer sitzt.«

»So seid Ihr stets hier im Dorf und kommt nirgends hin?«

»O, ich komme schon fort, oft weit, wenn ich die Schafe forttreiben muß, welche verkauft worden sind. Vor einiger Zeit war ich in Rugova und sogar nach Gori bin ich gekommen.«

Nach Gori mußten wir reiten. Das war mir also interessant.

»In Rugova?« fragte ich. »Bei wem denn?«

»Im Kara-Nirwan-Khan.«

»Kennst Du den Wirth desselben?«

»O, den kennt Jeder! Ich habe ihn sogar heute gesehen, und meine Schwester auch, die drin am Feuer sitzt.«

»Ah, so war er hier in Pacha?«

»Ja; er wollte noch weiter. Er ließ sich vom Wirth Waffen geben, weil er keine bei sich hatte.«

»Woher weißt Du das?«

»Ich habe es ja gesehen.«

»Aber was er mit dem Wirth gesprochen hat, das hast Du nicht gehört.«

»Oho! Alles habe ich gehört, Alles! Grad weil ich es nicht hören sollte, habe ich gelauscht. Ich bin nämlich klug, sehr klug, und meine Schwester auch, die drin am Feuer sitzt.«

»Darf ich sie einmal sehen?«

»Nein.«

»Warum denn nicht?«

»Weil sie sich vor Fremden fürchtet. Sie reißt vor ihnen aus.«

»Vor mir braucht sie nicht auszureißen. Wenn ich sie einmal sehen darf, gebe ich Dir fünfzehn Piaster.«

»Fünf – – zehn – – Pi – – aster!« wiederholte er. »Ich werde sie gleich rufen und – –«

»Nein, nicht rufen! Ich komme hinein.«

Dieser eigenthümliche Kerl wußte vielleicht grad das, was ich erfahren wollte. Ich sprang schnell, um ihm keine Zeit zu lassen, sich anders zu besinnen, aus dem Sattel und schob ihn zur Thüre hinein. Dann folgte ich nach.

Welch ein Loch hatte ich betreten! Die Hütte war nur aus Lehm und Stroh errichtet, und aus Stroh bestand auch das halbe Dach. Die andere Hälfte desselben bestand – aus dem Himmel, welcher von oben frei hereinblickte. Das Dachstroh war verfault und hing in feuchten Fetzen herab. Zwei Steine bildeten den Herd, auf welchem das Feuer brannte. Über demselben stand auf einem dritten Stein ein großer Tontopf, von welchem aber die obere Hälfte fehlte. Das Wasser kochte, und aus demselben sahen zwei nackte Beine hervor. Beine von einem Thier. Ein Mädchen stand dabei und rührte mit dem Stiel einer zerbrochenen Peitsche in dem Topf herum. Zwei Lagerstätten, wieder aus verfaultem Stroh, bildeten das einzige Hausgeräth.

Und die Insassen erst! Der Hirte war wirklich eine Art Cretin. Sein dürrer Leib steckte in einer Hose, von welcher ein Bein ganz und das andere halb fehlte. Um den Unterleib hatte er ein Tuch gebunden. Der Oberleib war unbedeckt, das heißt, wenn man den Schmutz, welcher eine dicke Kruste bildete, nicht mit zur Kleidung rechnet. Sein übergroßer Kopf hatte ein wunderbar kleines Erbsennäschen, einen meilenbreiten Mund, blaue Wangen und ein Paar ganz unbeschreibliche Äuglein. Die Krone, welche dieses Haupt schmückte, bestand aus einer Haarwildniß, welche jeder Beschreibung spottete.

Ihm ganz ähnlich sah sein Schwesterlein aus, deren Kleidung ebenso unzureichend war, wie die seinige. Der einzige Unterschied zwischen ihm und ihr bestand darin, daß sie einen sehr mißlungenen Versuch gemacht hatte, ihre Haarsträhnen in einen Zopf zusammenzuwürgen.

Als sie mich erblickte, schrie sie laut auf, warf den Peitschenstiel fort, eilte nach dem einen Lager und kroch so tief unter das faule Stroh desselben hinein, daß nur noch die kohlschwarzen Füße aus demselben hervorsahen.

Das Herz that mir wehe. Das waren nun auch Menschen!

»Reiß doch nicht aus, Jaschka!« sagte ihr Bruder. »Dieser Herr gibt uns fünfzehn Piaster.«

»Es ist nicht wahr!« antwortete sie unter dem Stroh hervor.

»Freilich ist's wahr.«

»Laß Dir sie nur geben, aber gleich!«

»Ja, Herr, gib mir sie!« sagte er zu mir.

»Wenn Jaschka hervorkommt, so gebe ich Euch sogar zwanzig.«

»Zwa – zwa – zwanzig! Jaschka, komm heraus!«

»Er mag sie nur erst geben! Ich glaub' es nicht. Bis zwanzig kann gar Keiner zählen; er auch nicht!«

Ich griff in die Tasche und gab ihm die genannte Summe in die Hand. Er that einen Freudensprung, stieß einen Ruf des Entzückens aus, packte seine Schwester und zog sie bis zu mir hin. Dort gab er ihr das Geld in die Hände. Sie sah es an, sprang auf, ergriff meine Hand, küßte dieselbe und – – suchte dann ihren Peitschenstiel, um mit demselben wieder im Topf herumzurühren.

»Was kocht Ihr denn da?« fragte ich.

Hätte nicht die Hälfte des Daches gefehlt, so wäre es in der Hütte nicht auszuhalten gewesen, zumal der Inhalt des Topfes einen Gestank verbreitete, welcher zum Entsetzen war.

»Aw,« antwortete er, indem er wie ein Gourmand mit der Zunge schnalzte.

»Aw? Was für ein Thier?«

»Kipr, ein Kipr ist's, den ich vorgestern gefangen habe.«

»Und den esset Ihr?«

»Freilich! Kipr ist ja die größte Nazika, die es nur geben kann. Sieh Dir ihn einmal an! Wenn Du ein Stück haben willst, so sollst Du es gern bekommen, denn Du hast uns so unmenschlich viel Geld gegeben. Ja, ich gebe es Dir sehr gern, und meine Schwester auch, die da am Feuer steht.«

Ich ergriff das »Wildbret« beim Bein und zog es empor. Hurrrr! Die lieben Leute hatten dem Thier zwar die Stachelhaut abgezogen, es aber nicht aufgebrochen und ausgenommen. Es kochte also sammt dem ganzen Leibesinhalt!

Ich ging hinaus zum Packpferd und holte Brod und Fleisch herein, welches ich dem Hirten gab.

»Das soll unser sein?« schrie er verwundert, und nun gab es einen unendlichen Jubel. Als dieser sich gelegt hatte, mußte Jaschka die zwanzig Piaster in der Ecke vergraben, und ihr Bruder sagte:

»Wir heben uns alles Geld auf, das wir verdienen. Wenn wir einmal reich sind, kaufe ich mir ein Lamm und eine Ziege. Das gibt Wolle und auch Milch. Nun aber kannst Du wieder von dem Wirth des Kara-Nirwan-Khan sprechen, Herr. Ich werde Dir Alles sagen. Du bist so gut, wie noch kein Mensch gegen mich gewesen ist, und auch gegen meine Schwester, die da am Feuer steht.«

»So hast Du diesen Mann also kommen sehen?«

»Ja, er ritt das schwarze Pferd, welches er von dem Pascha von Köprili gekauft hat, weil er es vorher krank gemacht hatte. Er ritt mitten in meine Heerde hinein und hat mir zwei Schafe, welche dem Wirth gehörten, todt geritten. Darum ließ ich meine Schwester, die da am Feuer steht, bei der Heerde und rannte zum Wirth, um ihm das zu sagen. Als ich hinkam, hielt der Mann aus Rugova vor dem Hause und gab mir vom Pferd herab einen Schlag an den Kopf. Er sagte, ich solle mich schnell davon machen und nicht anhören, was hier gesprochen werde. Mein Wirth stand bei ihm. Aber weil er mich geschlagen und zwei Schafe zu Schanden gemacht hatte, ging ich in die Stube und stellte mich an das Fenster, um Alles zu hören, was ich nicht hören sollte.«

»Nun, was sprachen sie?«

»Kara Nirwan fragte, ob vielleicht Leute mit Wagen vorüber gekommen seien.«

»War das geschehen?«

»Nein. Sodann sagte er, daß Reiter kommen würden, Einer auf einem schwarzen, arabischen Hengst. Dieser werde nach ihm fragen; der Wirth solle sagen, daß Kara Nirwan nach Dibri geritten sei, nicht aber auf der Straße nach Gori hin.«

»Er ist aber wohl nach Gori hin?«

»Freilich; ich habe es gesehen. Ich habe ganz genau aufgepaßt.«

»Wie weit ist es bis Gori?«

»Wenn man ein gutes Pferd hat, muß man wohl an die zwölf Stunden reiten. Aber Kara Nirwan will nicht ganz bis Gori, sondern nur bis zum Khan, welcher Newera-Khan heißt.«

Newera ist serbisch und bedeutet ›Verräther‹.

»Warum führt der Khan diesen Namen?«

»Weil er an dem Felsen liegt, der so heißt.«

»Und warum heißt derselbe so?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was will der Mann aus Rugova dort?«

»Er will auf die Leute warten, welche mit dem Wagen kommen.«

»Welche Orte liegen zwischen hier und diesem Newera-Khan?«

»Zwei Dörfer, dann kommt der Khan. Man muß von jetzt an bis zum Morgengrauen reiten, bevor man hinkommt, denn es ist wohl an die acht Pferdestunden weit.«

»Liegt er einsam, oder ist ein Ort dabei?«

»Einsam. Ich bin dort gewesen.«

»An welcher Seite der Straße?«

»Rechts.«

»Kennst Du den Wirth?«

»Ja, er ist zuweilen hier und heißt Dragojlo. Niemand kann ihn leiden. Man sagt, er habe sein Vermögen zusammengestohlen.«

»Hast Du noch mehr gehört?«

»Nein, denn der Wirth kam in die Stube, um seine Waffen zu holen: eine Flinte, eine Pistole und auch ein Messer. Der Mann aus Rugova hatte die seinigen nicht bei sich. Dann ritt er schnell fort.«

»Wie lange ist das her?«

»Ja, Herr, das kann ich Dir nicht sagen, denn ich habe kein Kojun saaty wie der Padischah. Aber ich denke, daß über zwei Stunden vergangen sein werden.«

»So sage mir nun nur noch, ob die Straße nach Gori leicht zu finden ist.«

»Ja, sie kommt jenseits der Joska, über welche Ihr reiten müßt, von Spassa her und geht dann links weiter. Ich werde Euch hinführen bis über das Dorf hinaus.«

»Schön, thue das! Aber es ist Nacht. Kann man da diese Straße nicht leicht verlieren?«

»Das ist wohl möglich, wenn man sie nicht kennt. Aber bis zum ersten Dorf kann man gar nicht irren, und wenn Ihr da den Tschoban weckt und ihm fünf Piaster gebt, führt er Euch sehr gern so weit, bis Ihr nicht mehr irren könnt.«

»So weiß ich Alles. Ich bin mit Dir zufrieden. Wieviel kostet denn hier ein Schaf?«

»Zwanzig Piaster ein einjähriges.«

»Und eine Ziege?«

»Die ist viel, viel theurer. Die kostet wohl, wenn sie bereits Milch gibt, über dreißig Piaster.«

»Könntest Du denn solche Thiere ernähren?«

»Ja; es gibt hier Land des Großherrn, auf welchem alle Leute weiden dürfen.«

»Nun, so sollst Du mehr als ein Schaf und eine Ziege haben. Siehe diese Silberstücke! Sie geben zusammen zweihundert Piaster. Davon kannst Du Dir wenigstens vier Schafe und vier Ziegen kaufen, wenn Du Dir das Geld nicht von schlechten Menschen nehmen lässest.«

»Nehmen lassen? Da sollte mir Einer kommen! Ich würde zum Papaz gehen, welcher mir helfen würde. Aber Du machst nur Scherz. Da wären wir doch steinreiche Leute, ich und meine Schwester, die da am Feuer steht.«

»So habt Ihr einen Papaz hier?«

»Ja, und einen sehr guten, der mir oft zu essen gibt. Ich bin ein Christ.«

Er sagte dies mit wirklichem Stolz. Ich zog mein Notizbuch heraus, riß ein Blatt los und schrieb einige Zeilen darauf, die ich ihm mit der Bemerkung gab:

»Wenn Jemand sagen sollte, daß Du die zweihundert und zwanzig Piaster nicht ehrlich erworben habest; wenn man Dir also das Geld nehmen will, so gibst Du dem Papaz diesen Zettel. Er enthält die Bescheinigung und meine Unterschrift, daß ich es Dir geschenkt habe.«

Bevor ich schrieb, hatte ich ihm das Geld in die Hände gegeben. Er stand ganz steif da, die Hände weit von sich gestreckt, mich ungläubig anstarrend. Ich legte den Zettel auf das Geld, wendete mich um, ging hinaus und stieg auf's Pferd. Da kam er nachgesprungen und schrie jubelnd:

»Soll das wirklich mein sein?«

»Ja, gewiß!«

»Mein und meiner Schwester, die drin am Feuer steht?«

»Natürlich! Aber schrei' nicht so! Du hast uns versprochen, uns nach der Straße zu bringen, und wir haben keine Zeit zu warten.«

»Gleich, gleich, ich komme ja schon, ich komme!«

Er hielt das Geld und den Zettel noch immer in den Händen. Er trug es hinein zu der ›Lieblichsten der Töchter‹, um mit Halef zu reden, die ›dort am Feuer stand‹, und kehrte dann zurück. Er wollte seinem Entzücken durch viele Worte Luft machen; aber ich verbot es ihm, und so schritt er denn still vor uns her. Wir hatten mit einer kleinen Gabe zwei Menschen glücklich gemacht.

Nachdem wir an zwei oder drei kleinen Gebäuden vorübergekommen waren, ging es auf einer hölzernen Bockbrücke über die Joska. Dann kam das eigentliche Dorf. Es begegneten uns einige dunkle Gestalten, welche erstaunt stehen blieben; angesprochen wurden wir nicht. So kamen wir an das Ende des Dorfes, wo wir die Straße erreichten und uns von unserm Beschützer verabschiedeten. Als wir ein Stück fort waren, so daß ich es ihm nicht verbieten konnte, rief er uns noch nach:

»Bin defa schükr weririz, ben we kyz kardaschim, odada ateschda durmak olan – wir danken Euch tausendmal, ich und meine Schwester, welche drin am Feuer steht!«

Jetzt hatten wir finstere Nacht vor uns. Ich kannte die andern Pferde noch nicht genau, aber auf Rih konnte ich mich verlassen. Er wich sicher nicht von dem Weg ab, wenn ich ihm die Zügel ließ. Darum setzte ich mich an die Spitze unseres Trupps, legte die Zügel auf den Sattelknopf und ließ meinen Schwarzen laufen.

Es ging bergan, dann eben fort und dann wieder bergab, immer durch Gebüsch oder Wald. Hätte der Schut hier auf uns gelauert, so hätte er Einige von uns aus dem Sattel schießen können. Ich dachte daran und strengte Augen und Ohren an, glücklicher Weise ohne Grund.

Nach mehr als zwei Stunden erreichten wir das erste Dorf. Es war doch jedenfalls besser, einen Führer zu haben. Ranko hatte zwar behauptet, die Gegend zu kennen, aber, wie ich vermuthete, mehr aus dem Grund, überhaupt mitreiten zu dürfen. Überdies war es so finster, und der Mond ging erst später auf. Wenn wir uns verirrten, konnte der Schut seinen Zweck erreichen, bevor wir den rechten Weg fanden. Ich fragte also einen uns begegnenden Menschen, ob wir einen Führer haben könnten, gegen gute Bezahlung natürlich. An den Schäfer wollte ich mich nicht wenden. Der Mann bot sich uns selbst an. Er sagte, daß er uns für zehn Piaster bis zum Newera-Khan führen werde, falls wir so lange Zeit hätten, zu warten, bis er sein Pferd geholt habe. Wir sagten zu, und es währte nur einige Minuten, bis er sich wieder bei uns einstellte.

Freilich mußten wir vorsichtig sein, denn wir kannten den Menschen nicht. Er konnte von dem Schut beauftragt sein, den Dorfweg auf und ab zu patrouilliren, um uns zu erwarten und falsch zu führen. Darum nahmen wir ihn in die Mitte, und ich versprach ihm zwanzig Piaster, wenn er ehrlich sei, und eine Kugel in den Kopf, falls er uns täusche.

Wieder durch Wald und Gebüsch reitend, gelangten wir nach fast drei Stunden in das zweite Dorf. Erst hinter demselben gab es Feld, dann wieder Wald. Zuweilen hörten wir zur linken Hand Wasser rauschen. Das war ein Nebenfluß des vereinigten Drin. Den Namen habe ich vergessen.

Nun kam der Mond herauf, und wir konnten ziemlich gut sehen. Wir befanden uns in einer wilden Gebirgslandschaft. Felsenwände und Zacken überall, drohende Baumriesen, feuchte Luft und hohles Rauschen der Wipfel, deren Schatten der Mond uns in den phantastischsten Gestalten über den Weg warf.

Und was war das für ein Weg! Da sollten Wagen fahren können! Unsere Pferde stolperten jeden Augenblick über große Steine oder traten in jähe Löcher hinein. So ging es weiter und immer weiter, bis es kälter wurde und der Morgenwind sich aus seinem Bette erhob. Wir erfuhren von dem Führer, daß wir uns mitten in den Kerubibergen, einer sehr berüchtigten Gegend, befanden. In einer Stunde sollte der Newera-Khan zu erreichen sein.

Auf meine Frage, warum die dortige Gegend den Namen Newera, Verräther, trage, erhielt ich die Auskunft, daß sich in dem ebenen Gestein oft sehr lange und sehr tiefe Risse zeigen. Ein Reiter dürfe dort sein Pferd ja nicht in Galopp fallen lassen, weil das Thier nicht schnell genug anzuhalten vermöge, wenn sich plötzlich vor seinen Hufen ein solcher Spalt öffne. Viele Menschen seien dadurch um das Leben gekommen. Überdies gehe die Sage, daß es in jener Gegend Leute gebe, welche ihre Opfer in solche Schlünde zu stürzen pflegen. Das war keine beruhigende Mittheilung.

Nach einer halben Stunde begann der Morgen zu grauen. Ich überlegte mir, daß unser Führer uns in Newera-Khan vielleicht nur hinderlich sein könne, und bot ihm dreißig Piaster anstatt der versprochenen zwanzig, falls er gleich umkehre. Er war einverstanden und ritt schnell davon, als er das Geld empfangen hatte. Es mochte ihm in unserer Gesellschaft nicht allzu wohl gewesen sein. Wir hatten fast gar nicht gesprochen und ihn mit sehr merklichem Mißtrauen behandelt.

Plötzlich hörte der Wald auf. Weit, weithin Ebene, welche nur aus hartem Felsen zu bestehen schien, der mit schlüpfrigem Moos bekleidet war. Ein Baum war gar nicht, ein Busch oder Strauch nur selten zu sehen. In der Ferne lag ein dunkler Punkt. Durch das Fernrohr erkannte ich ihn als einen Gebäude-Complex. Das war jedenfalls der gesuchte Khan.

Unser Weg erschien als dunkle Linie, die durch das Grün des Felsenmooses gezogen war. Dann gelangten wir an eine Stelle, wo eine Spur nach links abzweigte. Ich stieg ab und untersuchte sie. Es war da ein von mehreren Reitern begleiteter Wagen gefahren. Die Flechten, welche von den Hufen und Rädern niedergedrückt worden, lagen noch fest am Boden. Sie hatten noch nicht Zeit gefunden, sich wieder aufzurichten. Der Wagen konnte erst vor wenigen Minuten da gefahren sein. Aber zu sehen war er nicht, denn grad die Richtung, die er eingeschlagen hatte, wurde uns durch eine dünne Reihe von Büschen verdeckt.

Es stieg eine Angst in mir auf, von der ich mir aber nichts merken ließ. Ich sprang in den Sattel und jagte dem Khan zu, gefolgt von meinen Begleitern, welche sich mein Benehmen nicht erklären konnten. Als wir bei demselben anlangten, sahen wir, daß er aus mehreren Gebäuden bestand, deren Aussehen keineswegs einladend war. Vor der Thüre des Wohnhauses standen zwei schwere, beladene und mit Plahen überdeckte Ochsenwagen. Ein dritter Wagen hatte auch dagestanden, war aber jetzt fort.

»Halef geht mit herein,« sagte ich. »Die Andern bleiben da. Seht nach, ob Eure Sattelgurten fest angezogen sind. Vielleicht gibt es einen Gewaltritt.«

»Sollten das die Wagen sein, mit denen meine Frau fährt?« fragte Galingré.

Ich antwortete ihm nicht und trat mit Halef durch die offene Thüre. Da dieselbe nicht verriegelt war, mußten die Bewohner bereits wach sein. In der Stube saßen zwei kräftige Kerle an einem Tisch beim Schnaps. An einem andern Tisch befand sich eine ganze Familie vor einer vollen Suppenschüssel. Die Familie bestand aus einem langen, starken Mann, zwei Burschen, einer Frau und vermuthlich einer Magd. Der Mann stand aufrecht, als wir eintraten; es schien, als sei er vor Schreck vom Sitz aufgefahren, als er uns draußen gesehen hatte. Ich wendete mich in barschem Ton an ihn:

»Dieses Haus ist der Newera-Khan?«

»Ja,« antwortete er.

»Wem gehören die beiden Wagen, welche draußen stehen?«

»Leuten aus Skutari.«

»Wie heißen sie?«

»Ich habe es mir nicht gemerkt. Es ist ein fremder Name.«

»Ist Hamd el Nassr bei ihnen?«

Ich sah es ihm an, daß er mit Nein antworten wollte, aber ich warf ihm einen Blick zu, vor welchem er erschrack. Darum ließ er ein zögerndes Ja hören.

»Wo ist er jetzt?«

»Fort.«

»Wohin?«

»Nach Pacha und weiter.«

»Allein?«

»Nein. Die Fremden sind mit ihm gefahren.«

»Wie viele waren es?«

»Ein Mann, eine alte und eine junge Frau und der Fuhrmann.«

»Wie lange sind sie fort?«

»Noch keine Viertelstunde. Dort sitzen die Fuhrleute für die beiden übrigen Wagen, welche nachfolgen sollen.«

Er deutete auf die beiden ersterwähnten Männer.

»Hattest Du noch andere Gäste?«

»Nein.«

»Keinen aus Rugova?«

»Nein.«

»Du lügst, Mann! Kara Nirwan ist dagewesen und mit Hamd el Nassr und dem Wagen fortgeritten. Er ist erst in der Nacht angekommen!«

Ich sah, welche Angst er empfand. Er war wohl mit dem Schut einverstanden und antwortete verlegen:

»Ich kenne keinen Kara Nirwan. Ein Reiter kam allerdings vor zwei Stunden, aber nicht aus Rugova, sondern aus der entgegengesetzten Gegend, nämlich aus Alessio. Er hatte es sehr eilig, und da die Fremden denselben Weg nahmen, wie er, so schloß er sich ihnen an.«

»Richtig! Er hatte es so eilig und ist doch mit einem Ochsenwagen geritten! Da kommt er freilich schnell vorwärts. Dieser Wagen ist aber nicht nach Pacha gefahren; wir kommen von dort und hätten ihm begegnen müssen. Ich kenne Dich; ich weiß auch, was hier vorgehen soll. Wir werden wiederkommen und weiter mit Dir sprechen. Nimm Dich in Acht! Wir werden dafür sorgen, daß diese Leute nicht in einer Spalte der Newera-Felsen verunglücken.«

Und mich an die Fuhrleute wendend, fügte ich hinzu:

»Wir gehören zu der Familie, deren Sachen Ihr fahrt. Ihr verlaßt diesen Khan nicht eher, als bis wir zurückgekehrt sind. Ich lasse unser Packpferd draußen stehen; führt es in den Stall und gebt ihm Futter und Wasser!«

Die beiden Kerle erhoben sich schweigend, um diesem Befehl nachzukommen. Ich ging mit Halef wieder hinaus und stieg in den Sattel.

»Wir reiten zurück. Es ist eine Teufelei los. Man will Galingré's Familie in eine Felsenspalte stürzen,« meldete ich.

Galingré schrie erschrocken auf; ich hörte es kaum, denn mein Pferd befand sich bereits im Galopp und fiel im nächsten Augenblick in Carrière. Die Andern brausten hinter mir drein.

Ranko trieb seinen Goldfuchs an meine Seite und fragte:

»Ist der Schut dabei?«

»Ja.«

»Allah sei Dank! So haben wir ihn!«

Weiter wurde kein Wort gesprochen. Wir erreichten die Stelle, an welcher ich die Wagenspur untersucht hatte, und lenkten in dieselbe ein. Die Pferde schienen zu merken, daß man die größte Schnelligkeit von ihnen fordere. Wir brauchten sie gar nicht anzutreiben. Die beiden Schecken der Aladschy flogen nur so hin – sie machten ihrer Berühmtheit alle Ehre. Auch die andern Rosse thaten ihre Schuldigkeit wie spielend. Nach meinem Rih aber war doch der Goldfuchs das beste Thier, das bemerkte ich jetzt.

»Sihdi,« rief Omar hinter mir, »sage mir nur das Eine, ob ich Hamd el Amasat zu sehen bekomme!«

»Ja, er ist da!«

»So möge sich die Hölle öffnen, denn ich werde ihr eine Speise geben!«

Jetzt brausten wir durch die erwähnte Buschreihe hindurch. Ein freier, weiter Blick öffnete sich uns. Weit, weit vor uns, fast ganz am Horizont sah ich einen weißen Punkt, nicht größer als eine Muschelschale. Das mußte der Wagen sein – die weiße Plahe leuchtete.

»Schneller, schneller!« rief ich. »Wir müssen ihnen möglichst nahe kommen, bevor sie uns bemerken.«

Ich hatte meinen Rappen bisher weder mit den Sporen noch anderswie angetrieben. Jetzt rief ich ihm nur das altgewohnte ›Kawahm‹ zu, und da war es, als ob er bisher nur Schritt gelaufen sei. Er flog.

»Maschallah! Welch ein Pferd!« rief Ranko.

Er war der Einzige, dem es gelang, an meiner Seite zu bleiben, aber er mußte die Peitsche brauchen. Ich saß so ruhig im Sattel wie auf einem Stuhl; ich hätte dabei schreiben können, so gleichmäßig schoß Rih dahin.

Der weiße Punkt wurde größer. Ich zog mein Fernrohr aus und blickte hindurch. Der Wagen bewegte sich vorwärts. Drei Reiter begleiteten ihn. Gott sei Dank! Wir kamen nicht zu spät. Wollte der Schut sein Vorhaben ausführen, so mußte er den Wagen halten lassen. Daß dieser sich noch in Bewegung befand, war ein Beweis, daß den Leuten noch nichts geschehen war. Die drei Reiter waren jedenfalls der Perser, Hamd el Amasat und der Schwiegersohn Galingré's. Die beiden Frauen saßen im Wagen.

Schon war es mir möglich, den englischen Rappen des Schut mit bloßem Auge zu erkennen. Da aber drehte er sich um und sah uns kommen. Wir waren wohl noch eine viertel Wegstunde von ihnen entfernt. Ich sah, daß er sein Pferd anhielt. Hamd el Amasat that dasselbe. Einige Sekunden lang blickten sie nach uns her; dann aber galoppirten sie, den Wagen im Stich lassend, von dannen, aber nicht mit einander in einer und derselben Richtung. Sie wollten uns theilen. Der Schut ritt gradaus; der Andere jagte nach links hin von dannen.

Ich hatte befürchtet, daß sie bei unserm Anblick aus Wuth den Schwiegersohn und die Frauen erschießen würden. Daß sie es nicht thaten, war ein großes Glück.

Indem ich jetzt zurückblickte, sah ich die Andern weit hinter mir; aber meine Stimme konnte sie doch erreichen. Nach links hinüber deutend, rief ich ihnen zu:

»Nehmt den da drüben! Es ist Hamd el Amasat. Den Schut nehmen wir Beide!«

»Schneller, schneller, Ranko!« forderte ich dann den Skipetaren auf.

Er gab seinem Goldfuchs die Sporen und schlug mit der Peitsche auf ihn ein. Dies und wohl noch mehr der Ehrgeiz des Pferdes trieb dasselbe zur Anstrengung aller seiner Kräfte; er schoß meinem Hengst voraus. Dieser hatte es aber kaum gesehen, so that er, nicht von mir angetrieben, einige Sätze und überholte den Fuchs. Rih duldete kein Pferd vor sich.

Jetzt erreichten wir den Wagen. Der Schwiegersohn hielt bei demselben; er wußte nicht, woran er war. Er konnte sich nicht erklären, weßhalb er von seinen beiden Begleitern so plötzlich verlassen worden.

»Das waren Mörder!« rief ich ihm zu, indem wir an ihm vorüberschossen.

Was diese Worte für einen Eindruck auf ihn machten, konnte ich nicht sehen, denn kaum hatte ich sie ausgesprochen, so waren wir schon weit über ihn hinaus. Mich abermals umdrehend, sah ich, daß die Gefährten mich verstanden hatten und Hamd el Amasat folgten: die beiden Schecken Allen voraus.

Nur Galingré hatte die ursprüngliche Richtung beibehalten, was ihm freilich nicht zu verübeln war. Ihm lag vor allen Dingen daran, sich zu überzeugen, wie sich die Glieder seiner Familie befanden. Übrigens brauchten wir ihn gar nicht.

Bis jetzt hatte der Schut seinen Vorsprung beibehalten; wir waren ihm nicht näher gekommen, obgleich Ranko seinen Goldfuchs fortwährend antrieb.

»Effendi, wir bekommen ihn nicht!« rief er mir zu. »Sein Engländer ist uns überlegen.«

»Oho! Paß einmal auf! Du kennst meinen Schwarzen noch nicht.«

Ich erhob mich in den Bügeln. Weiter that ich nichts, denn das ›Geheimniß‹ in Anwendung zu bringen, dazu gab es noch keine Veranlassung. Aber diese einzige Bewegung genügte. Rih merkte, daß ich ihm die Last erleichtern wollte. Das beleidigte sein Selbstgefühl, und er griff noch weiter, viel weiter aus.

Es war, als ob der Boden hinter uns nur so verschwände. Wer da kein sehr guter Reiter war, dem konnte schwindelig werden. Der Hengst schoß nicht etwa in bemerkbaren Absätzen oder Intervallen vorwärts; nein, man fühlte gar nicht, daß er die Beine bewegte. Sein Leib beschrieb eine schnurgrade Linie, die kaum einen halben Zoll breit auf und nieder schwankte. Und doch war dies noch nicht das Höchste, was er leisten konnte.

Ranko blieb weit hinter mir zurück, und ich sah, daß ich jeden Augenblick dem Schut näher kam. Erst war er über einen halben Kilometer vor mir gewesen; jetzt war es nur noch die Hälfte davon, dann zweihundert Meter – hundertfünfzig – hundert Meter. Er sah sich nach mir um und stieß einen Schrei des Schreckens aus. Er begann, sein Pferd mit Kolbenstößen anzufeuern. Es that Alles, was es leisten konnte, das brave Thier. Den Kopf wagrecht vorstreckend, schoß es in sichtbaren Sprüngen weiter. Der Schaum troff ihm vom Maul, und die Haut begann, schweißig zu glänzen. Das war kein gutes Zeichen für den Schut. Sein Rappe war dem meinen bei Weitem nicht gewachsen. Bei Rih war keine Spur von Schaum oder Schweiß zu bemerken. Ich hätte noch eine Viertelstunde in dieser Weise mit ihm jagen können, ohne daß er zu schwitzen oder zu schäumen begonnen hätte. Aber freilich war ich gewöhnt, auf sein Wohlbefinden noch mehr zu sehen, als auf das meinige.

Jetzt ging ich mit mir zu Rathe, was ich thun sollte. Schießen? Das war das Schnellste und Sicherste. Mein Bärentödter trug ja weit über den Schut hinaus, und bei dem ruhigen Gang meines Pferdes hatte ich ein so sicheres Zielen, daß es mir ein Leichtes gewesen wäre, den Perser aus dem Sattel zu holen. Aber ich wollte ihn nicht tödten. Oder sollte ich seinem Pferd eine Kugel geben? Dann mußte er aus dem Sattel fliegen und war mir verfallen. Das schöne, brave Thier that mir leid. Nein, es gab ja ein sehr gutes Mittel, ihn mir zu holen, ohne ihn oder sein Pferd zu tödten. Ich hatte ja den Lasso bei mir. Ich wand denselben los.

Eben als ich damit beschäftigt war, hörte ich ihn einen schrillen Schrei ausstoßen. Er nahm sein Pferd hoch, und es that einen weiten Satz. Es hatte eine jener Spalten überwunden, von denen mir der Führer erzählt hatte. Einige Sekunden später schoß mein Rih über dieselbe weg. Sie war höchstens vier Ellen breit.

Jetzt sah der Schut wieder nach mir um. Ich war ihm wieder näher gekommen. Da legte er, nach mir zurück gewendet, die Flinte auf mich an. Hatte er wirklich gelernt, wie die Beduinen im Sattel nach rückwärts schießen? Ich durfte seinen Schuß nicht abwarten. Im Nu waren die Hähne meines Bärentödters gespannt und die beiden Schüsse krachten schnell nach einander los. Ich hatte das Gewehr nicht etwa angelegt, um nach dem Schut zu zielen; nein, ich wollte nur sein Pferd erschrecken und erreichte meine Absicht ausgezeichnet, denn der Engländer fuhr zusammen, that einen Seitensprung und schoß dann in unregelmäßigen Sätzen wieder vorwärts. Der Schut hatte sich im Abdrücken befunden. Sein Schuß ging los, traf mich aber nicht.

Nun warf ich den Riemen der Büchse über die Schulter und wickelte mir den Lasso um den Ellbogen und Vorderarm, um laufende Schlingen zu erhalten. Ich hatte mich zu beeilen, denn vorn tauchte ein dunkler Waldstreifen auf. Gelang es dem Schut, diesen zu erreichen, so war er gerettet.

Er hatte Mühe gehabt, sich im Sattel zu erhalten, als sein Pferd zur Seite sprang, und war nun bemüht, festen Sitz zu bekommen. Jetzt galt es. Ich mußte das ›Geheimniß‹ anwenden. Darum legte ich meinem Rappen die Hand zwischen die Ohren und rief seinen Namen ›Rih!‹ Einen Augenblick lang war es, als ob der Hengst starr in der Luft hängen bleibe; dann ließ er ein lautes Wiehern hören und – – nun, es ist eben nicht zu beschreiben, welche rapide Schnelligkeit ein solches Pferd bei Anwendung des Geheimnisses entwickelt. Ein Anderer als ich, der ich mein Thier gewöhnt war, hätte die Augen schließen müssen, um nicht aus dem Sattel zu taumeln.

Sechzig Meter hatte ich den Schut vor mir gehabt; es wurden fünfzig, vierzig, dreißig, jetzt zwanzig Meter. Er hörte den Hufschlag meines Pferdes so nahe hinter sich, drehte sich um und schrie entsetzt:

»Allah seni dschehenneme hükm etsin ej köpek – Allah verdamme Dich in die Hölle, Du Hund!«

Er zog sein Pistol und feuerte es auf mich ab, doch ohne zu treffen. Dann schlug er den Schaft desselben dem Pferd auf den Kopf, daß es mit Anstrengung seiner letzten Kräfte wie rasend dahinflog. Vergeblich! Ich war fünfzehn Meter hinter ihm, nun nur noch zehn, jetzt sechs.

»Paß auf, Schut, jetzt hole ich Dich!« rief ich ihm zu. »Kein Mensch und kein Teufel kann Dich retten!«

Er antwortete mit einem überlauten Schrei, der fast ein Gebrüll zu nennen war. Ich glaubte, dies habe er vor Wuth gethan, und schwang die Schlingen des Lasso um den Kopf. Aber da sah ich, daß er sein Pferd zur Seite reißen wollte. Es gelang ihm nicht. Das Thier befand sich einmal im Schuß und war durch die Schläge auf den Kopf wie toll geworden. Ein zweiter Schrei, wie ihn ein Mensch nur in der höchsten Noth, im größten Entsetzen auszustoßen vermag! Was war das? Das war nicht Wuth, sondern Todesangst!

Ich nahm mein Pferd ein wenig seitwärts, um neben dem Schut, welcher grad vor mir war, hinweg sehen zu können. Gott im Himmel! Ein langer, langer und breiter dunkler Streifen zog sich quer über unsere Richtung, nicht mehr als dreißig Meter von uns entfernt – ein Spalt, ein entsetzlicher, breiter Spalt, dessen jenseitige Kante wohl zwei Ellen höher war als die diesseitige!

Vielleicht wäre es mir gelungen, mein Pferd noch abzulenken, aber bei der unsagbaren Schnelligkeit, mit welcher es dahinflog, war das Gelingen doch zweifelhaft. Grad drauf los! Das war die beste Chance.

Ich ließ die Arme mit dem Lasso sinken, nahm den Kopf des Rappen hoch, legte ihm die linke Hand abermals zwischen die Ohren und schrie, nein, ich brüllte:

»Rih, Rihti, Rihti et taijib, natt, natt, natt – Rih, mein Rih, mein guter Rih, springen, springen, springen!«

Ich war überzeugt, daß das Pferd diese in der Sprache seines Heimatlandes gesprochenen Worte verstand. Wenigstens wußte es, daß ›natt‹ springen bedeute; es war darauf abgerichtet. Es öffnete das Maul, ließ einen tiefen, grunzenden Ton hören, von dem ich wußte, daß er ein Ausdruck der Begeisterung sei, knirschte in den Stahl des Gebisses und flog in weiten, sehnenkräftigen Bogen an dem Schut vorüber und auf die Spalte zu.

Der Schut und ich, wir hatten keine Zeit, auf einander zu achten. Jeder hatte mit sich und seinem Pferd zu thun. Aber er brüllte mir, als ich an ihm vorbeischoß, einen Fluch zu. Nun war der Spalt da. Straff die Zügel, legte ich mich weit nach vorn nieder.

»Rih, hallak, 'ali, 'ali – Rih, jetzt, hoch, hoch!« rief ich.

Mein Auge war in starrer Angst nach der gegenüberliegenden Felsenkante gerichtet. Wie breit der Spalt war, das sah ich nicht; ich fixirte nur den gegenüberliegenden Punkt, welchen ich erreichen wollte, und der über einen Meter höher lag, als derjenige, an welchem ich mich hüben befand.

Das brave, unvergleichliche Thier setzte an und schoß hoch empor. Einen halben Augenblick lang befand ich mich über der grauenhaften Tiefe. Ich ließ die Zügel schießen und warf mich nach hinten, so gefährlich und unsinnig dies auch erscheinen mag. Ich mußte das thun, um das Vordertheil des Pferdes zu entlasten und nicht abgeworfen zu werden. Hätte ich mich nicht nach hinten geworfen, so wäre ich verloren gewesen; denn trotz der Unvergleichlichkeit des Rappen und trotz der Kraft, mit welcher er sich über den Abgrund schnellte, gelang der Sprung nicht vollständig. Rih faßte nur mit den Vorderhufen das Gestein.

»'ali, 'ali!« schrie ich abermals und warf mich nach vorn, dem Pferde den Lasso, welchen ich noch in der einen Hand hielt, nach hinten unter den Bauch und zwischen die Beine schlagend. Dadurch wurde die Hinterhand entlastet. Rih hatte noch nie einen Schlag von mir erhalten. Als er den Lassohieb an dem empfindlichsten Theil seines Körpers fühlte, warf er die Hinterhufe hoch an den Bauch herauf, krümmte sich zusammen, daß der Sattelgurt zerplatzte, und – – faßte nun auch hinten Fuß. Ein gewaltiger Sprung – ich stürzte mit dem Sattel herab, und das Pferd schoß noch eine Strecke vorwärts, um dann stehen zu bleiben.

Das Alles hatte natürlich nur eine, nur zwei Sekunden gedauert. Ich raffte mich auf und blickte zurück. Da setzte eben der Rappe des Schut an. Er erreichte die diesseitige Kante nicht einmal. Ein Schrei, ein bluterstarrender Schrei, und Roß und Reiter stürzten in die Tiefe.

Mein ganzer Körper war wie Eis. Ich trat an den Spalt heran. Himmel! Er war wenigstens fünf Meter breit! So schätzte ich ihn, doch ist es bekanntlich nicht leicht, die Breite eines Wassers oder eines tiefen Risses genau abzuschätzen. Man irrt da sehr leicht. Und seine Tiefe war so bedeutend, daß ich den Grund gar nicht sehen konnte. Es lag eine dichte, schwarze Finsterniß da unten.

Das war ein gerechtes Gericht! Er hatte genau denselben Tod gefunden, welchen er Andern bereiten wollte. Denn todt war er – er und sein Pferd. Es war gar keine Möglichkeit, daß Beide lebendig in dieser Tiefe angekommen sein konnten. Dennoch lauschte ich einige Zeit und rief auch hinab; aber es war keine Antwort, kein Laut zu hören.

Nun ging ich zu Rih. Er war umgekehrt und dorthin gelaufen, wo der Sattel lag. Ich legte ihm die Arme um den Hals und drückte sein Köpfchen an mich. Er rieb das Maul an meiner Schulter und leckte mir dann die Hand und die Wange. Es war, als ob er sehr genau wisse, daß wir einander das Leben gerettet hatten.

Nun bekümmerte ich mich um meine Genossen. Ranko kam auf seinem Goldfuchs herbei gejagt. Er sah die Spalte nicht, und ich rief und winkte ihm zu, langsam zu reiten.

Zur rechten Hand von mir, der ich mich jetzt nach der Gegend, aus welcher ich gekommen war, umgedreht hatte, jagten die Andern noch immer hinter Hamd el Amasat her. Er befolgte, indem er nicht eine und dieselbe Richtung einhielt, eine Taktik, welche den Zweck hatte, die größere Schnelligkeit ihrer Pferde auszugleichen. Sie ließen sich täuschen und folgten ihm im Zickzack. Nur Einer war klüger als die Andern, nämlich der listige Hadschi. Er hatte die Taktik des Gegners begriffen und war bemüht, derselben zu begegnen.

Hamd el Amasat war nämlich erst nach Osten geritten, wo er den dort liegenden Wald zu erreichen trachtete. Da er aber bald bemerkte, daß sein Pferd es mit denen seiner Gegner nicht aufzunehmen vermöge, so schlug er Zickzacklinien ein, auf denen sie ihm folgten: Allen voran Omar, welchem es darum zu thun war, den Mörder seines Vaters zuerst zu erwischen. Halef aber dachte nicht daran, sich irre leiten zu lassen. Er ritt immer scharf ostwärts und hielt dann sein Pferd an, um den Gegner zu erwarten.

Dieser bemerkte es. Er sah, daß er da nicht hindurch kommen könne, und wendete sich nun südwärts in derselben Richtung, welche der Schut vorher eingeschlagen hatte. Dabei benutzte er sehr schlau und geschickt die wenigen einzelnen Büsche, welche es da gab, als Deckung. Das war der einzige Vortheil, welchen er vor seinen Verfolgern voraus hatte. Aber auf diese Weise mußte er den gefährlichen Spalt erreichen, den er allerdings noch nicht gesehen hatte. Er stand jedenfalls eine bedeutende Angst aus, was ihm sehr zu gönnen war. Was ihn eigentlich erwartete, das wußte er freilich nicht. Bis jetzt glaubte er nur, er werde wegen seines Verhaltens gegen Galingré und dessen Familie verfolgt.

Da, wo der Wagen bei unserm Vorüberkommen gehalten hatte, stand er noch; Galingré und sein Schwiegersohn waren bei demselben. Ranko war jetzt an den Spalt gekommen, blickte schaudernd hinab und rief:

»Der ist todt, zerschmettert, Effendi! Allah, wie war es Dir möglich, da hinüber zu kommen!«

»Davon später! Bleibe da, wo Du jetzt bist, damit Hamd el Amasat nicht hier vorüber kann. Ich werde ihm entgegen reiten.«

»Du kannst ja nicht. Dein Gurt ist geplatzt.«

»Ich habe einen Bedel kolani in der Satteltasche. In zwei Minuten ist der Schaden geheilt.«

»Aber Du kannst nicht herüber zu Hamd el Amasat!«

»Vielleicht finde ich eine schmalere Stelle des Risses, und wenn nicht, so wird meine Kugel hinübergehen.«

So ein Nothgurt ist sehr praktisch; er besteht aus einem kurzen Gurtstück, dessen Enden mit je einer sehr fest greifenden Schnalle versehen sind. Man schnallt ihn über die zerrissene Stelle des Sattelgurtes, und dieser ist dann so brauchbar wie vorher.

In kurzer Zeit hatte ich wieder gesattelt und stieg auf, um am diesseitigen Rand der Spalte ostwärts zu reiten, während Ranko an der andern Seite halten blieb. Er ließ hier im Westen Hamd el Amasat nicht durch. Im Osten glänzte Halef's Kettenpanzer. Von Norden her wurde der Feind von den Andern gejagt, und nun befand ich mich im Süden, um ihn zu empfangen. er war eingeschlossen. Übrigens hätte ihm auch schon die Spalte das Entkommen nach Süden verwehrt.

Eben jetzt sah ich, daß er anhielt und sein Gewehr auf Omar richtete. Dieser trieb sein Pferd zu einem Seitensprung an und wurde in Folge dessen nicht getroffen. Dann aber jagte er auf Hamd el Amasat zu, die Flinte hoch erhoben, um ihn niederzuschlagen. Er wollte ihn lebendig haben, ihn nur betäuben. Hamd el Amasat floh nicht; er blieb halten. Aber als sein Gegner nahe genug war, zog er schnell sein Pistol und feuerte es auf ihn ab. Das Pferd bäumte und überschlug sich. Hamd el Amasat jagte weiter, der Spalte zu.

Als er sie erblickte, stutzte er und wendete sich nach Westen, wo ich hielt. Ich ritt ihm entgegen und gelangte an eine Stelle, an welcher die Spalte nur drei Meter breit war. Das war zu überwinden, zumal mein Ufer höher lag, als das anderseitige. Ich trieb mein Pferd eine Strecke zurück, um genügenden Anlauf zu haben.

Jetzt kam er. Er sah, daß ich keine Waffe in der Hand hatte und daß der Riß sich zwischen ihm und mir befand. Freilich – er hätte es nicht wagen dürfen, ihn zu überspringen.

»Komm herüber!« höhnte er. »Dir gebe ich mich gefangen!«

»Sogleich!« antwortete ich.

Ein Zuruf an Rih – er flog auf den Riß zu und in einem weiten, eleganten Sprung hinüber. Hamd el Amasat schrie vor Entsetzen auf und jagte fort, auf Ranko zu, ich hinter ihm her.

Jetzt war der Lasso gut. Ich legte die Schlinge und warf, riß mein Pferd herum – ein Ruck, und Hamd el Amasat flog aus dem Sattel. Im nächsten Augenblick stand ich bei ihm.

Der Wurf war gut gelungen. Die Schlinge hatte sich ihm fest um die Arme gelegt, so daß er dieselben nicht bewegen konnte. Ich kniete nieder und legte ihm den Riemen noch mehrere Male um den Leib.

Der Sturz vom Pferde hatte ihn halb betäubt. Er starrte mich mit großen Augen an, sagte aber nichts. Da kam Omar gejagt und sprang aus dem Sattel.

»Wie?« rief ich ihm erfreut zu. »Ich sah Dich stürzen und dachte, Du seist getroffen!«

»Der Kerl hat schlecht geschossen,« antwortete er. »Die Kugel hat mir den Zügel zerrissen; darum kam mein Pferd zu Fall. Endlich, endlich haben wir ihn! Und nun soll – –«

»Still!« bat ich. »Überlaß es zunächst mir, mit ihm zu sprechen.«

»Gut! Aber er gehört mir!«

Ich antwortete ihm nicht, denn jetzt kam Ranko; bald darauf stellten sich auch die Andern ein, Halef als der Letzte, welcher zu weit entfernt gewesen war.

Zunächst wurde natürlich der Tod des Schut besprochen und mein Sprung über den Riß. Die Gefährten suchten die betreffende Stelle auf und konnten sich nicht genug wundern, daß es mir gelungen war, hinüber zu kommen. Rih erntete Lorbeeren und wurde von Allen liebkost, wobei er freudig wieherte.

Des Schut wurde nur mit kurzen Worten erwähnt. Es war das Beste, uns nicht weiter mit ihm zu beschäftigen. Was Hamd el Amasat betraf, so bat ich, ihm jetzt noch nicht zu sagen, wer wir seien. Er sollte erst nach unserer Ankunft im Newera-Khan gerichtet werden. Er war wieder bei voller Besinnung und wurde auf sein Pferd gebunden. Osco und Halef nahmen ihn zwischen sich, um ihn nach dem Khan zu bringen. Omar bot sich dazu an; aber ich sagte ihm aufrichtig, daß ich ihm nicht ganz traue. Wenn er den Gefangenen begleitete, so stand zu befürchten, daß er, ohne unsere Einwilligung, seine Rache sättigen würde.

Während diese Drei in schräger Richtung direkt nach dem Khan ritten, kehrten wir Andern zu dem Wagen zurück. Dieser hatte zu entfernt gestanden, als daß Galingré und die Seinen den Verlauf unserer Hetzjagd genau hätten verfolgen können. Die beiden Frauen und der Schwiegersohn hatten nicht geahnt, mit welch einem gefährlichen Individuum sie es zu thun hatten. Mit dem größten Vertrauen waren sie allen seinen Anweisungen gefolgt, von denen sie natürlich überzeugt gewesen waren, daß sie von Galingré selbst ausgegangen seien. Sie waren überzeugt gewesen, daß der Letztere sich bereits in Uskub befinde und seinen Untergebenen Hamd el Amasat mit vollständiger Vollmacht ausgestattet habe. Als dieser vorhin so plötzlich die Flucht ergriff, hatten sie nicht gewußt, was sie über dieses Verhalten denken sollten. Erst dann, als Galingré zu ihrem freudigen Schreck bei ihnen erschienen war, hatten sie erfahren, in welcher Gefahr sie sich befunden hatten; denn er hatte ihnen natürlich Alles erzählt, wenn auch nicht so ausführlich, wie dies später geschehen konnte.

Wir wurden den Damen vorgestellt. Sie waren aus dem Wagen gestiegen, um uns zu empfangen. Es sollte an ein Erzählen gehen, ich aber bat, dies für später aufzuheben. Nur wollte ich wissen, ob der Wirth des Newera-Khan im Einverständniß mit dem Schut gestanden habe.

»Gewiß!« antwortete der Schwiegersohn. »Die Drei sprachen heimlich zusammen, und dann rieth der Wirth uns sehr angelegentlich, jetzt gleich aufzubrechen und die beiden andern Wagen nachkommen zu lassen.«

»War denn für Euch ein Grund vorhanden, nicht zu warten, bis die andern Wagen auch mitfahren konnten?«

»Nun, meine Frau fühlte sich unwohl. Die Fahrt hierher hatte sie angegriffen, und eine Besserung war auch dann nicht zu erwarten, wenn wir in dem schmutzigen Khan eine Ruhepause von einem Tag gemacht hätten. Da sagte derjenige, welchen Ihr den Schut nennt, daß er auf dem nächsten Dorf eine verheirathete Schwester habe, welche unsere Frauen sehr gern willkommen heißen werde. Er stellte uns das so vortheilhaft vor, daß wir endlich geneigt wurden, seinem Rath zu folgen und uns von ihm zu dieser Schwester bringen zu lassen. Die andern Wagen mit den Effecten konnten gemächlich nachkommen, da wir einen ganzen Tag dort verweilen wollten.«

»Ah so! Er wollte Euch tödten und sich dann auch des Gepäckes bemächtigen. Aber wie konntet Ihr so unvorsichtig sein, ihm auch dann noch zu folgen, als er so auffälliger Weise von dem Weg ablenkte?«

»Uns war dies gar nicht auffällig, denn er sagte, daß wir in dieser Richtung viel eher ankommen würden. Über diese Ebene zu fahren, sei überhaupt viel bequemer, als die Benutzung des Fahrweges, welcher sich im allerschlechtesten Zustand befinde.«

»Nun, er hätte Euch an die erste Spalte kommen lassen, wo der Wagen nicht weiter konnte. Dort wäret Ihr erschossen, ausgeraubt und in den tiefen Riß geworfen worden.«

»Mein Gott, wer hätte das gedacht!« rief die ältere Dame. »Wir schenkten Amasat unser ganzes Vertrauen, und auch dieser Schut gab sich ganz so, daß wir ihn für den besten und gefälligsten Menschen halten mußten. Welch eine Gnade Gottes, daß Ihr gekommen seid, grad noch im letzten Augenblick, um uns zu retten!«

»Ja, wir haben diesen Männern viel, sehr viel zu verdanken!« stimmte ihr Mann bei. »Sie haben uns Alle vom Tod gerettet und mich aus einer entsetzlichen Gefangenschaft befreit. Einen bedeutenden Theil meines Vermögens habe ich bereits zurückerhalten, und was Ihr bei Euch führt, unsere ganze übrige Habe, dürfen wir erst jetzt wieder als unser betrachten. Worte sind kein Dank, und da sich das Leben nicht bezahlen läßt, so müssen wir für immer ihre Schuldner bleiben.«

So sagte er jetzt. Dann aber, als wir den Wagen umgedreht hatten und den langsam schreitenden Zugochsen ebenso langsam folgten, gesellte er sich zu mir, drängte mich von den Andern ab und sagte so, daß es von sonst Niemand gehört werden konnte:

»Herr, ich habe erst jetzt gesehen, wie groß die Gefahr war, in welcher sich meine Familie befand. Sie haben viel, sehr viel an mir gethan. Zunächst haben Sie mir die lang ersehnte Nachricht von meinem verschollenen Neffen gebracht. Dann befreiten Sie mich aus dem Schacht und gaben mir das mir abgenommene Geld zurück, eine Summe, deren Höhe Sie gar nicht kennen, weil Sie wegtraten, als ich nachzählte, um zu sehen, ob noch Alles vorhanden sei. Dann haben Sie die übrigen drei Personen jetzt von einem grausamen Tod erlöst. Und von dem Eigenthum, welches mir dadurch erhalten wurde, muß ich doch auch sprechen. Meine Frau hat alle Beträge bei sich, welche flüssig gemacht werden konnten, eine große Unvorsichtigkeit, ja, und zugleich ein unverzeihlicher Geschäftsfehler. Aber Hamd el Amasat hatte gesagt, es sei mein Befehl, daß in dieser Weise verfahren werden solle. Das Alles haben wir Ihnen zu danken. Soll ich eine so erdrückende Last der Verpflichtung auf mir ruhen lassen und sie durch das ganze Leben tragen? Ich hoffe, daß Sie das nicht wollen. Ich hoffe sogar, daß Sie mir erlauben werden, in irgend einer Weise für Ihr Glück zu wirken. Haben Sie Familie?«

»Eltern und Geschwister.«

»Sind dieselben reich?«

»Nein, sehr arm. Ich arbeite für sie und hoffe, daß ihre Verhältnisse sich nach und nach besser gestalten.«

»So bedürfen Sie natürlich des Geldes!«

»Allerdings. Aber das verdiene ich mir durch meinen Beruf. Ich schreibe über meine Reisen und erhalte dafür leidliche Honorare, mit deren Hülfe ich die Meinen unterstütze.«

»So muß ich Sie dringend ersuchen, meinen Theil zu dieser Unterstützung beitragen zu dürfen.«

»Ich danke! Sie meinen es herzlich gut; aber ich darf mir nicht das Glück verkümmern, welches in dem Bewußtsein liegt, die Erfüllung meiner Pflichten nur mir allein zu verdanken zu haben. Ich treibe nicht Menschenrettung gegen Honorar. Und was die Hauptsache ist: Sie haben mir gar nichts zu verdanken. Nennen Sie es Glück, Zufall, Schickung oder Gottes Wille, daß wir Sie getroffen haben; ich aber bin es nicht, der diese Ereignisse dirigirt hat. Wir sahen Sie in Noth; es lag in unsrer Macht, Sie aus derselben zu befreien, und so haben wir es gethan. Die Freude und die Genugthuung, welche wir darüber empfinden, daß es uns gelungen ist, die Werkzeuge eines höheren Willens zu sein, ist uns eine mehr als reichliche Belohnung, wenn hier überhaupt von Etwas gesprochen werden darf, worauf das Wort Belohnung Anwendung finden kann.«

»Aber, Monsieur, ich bin reich, sehr reich, reicher noch, als Sie zu denken scheinen!«

»Das freut mich, denn ich gönne meinem Nebenmenschen von Herzen gern Alles, was er hat. Wenn Sie reich sind, so können Sie viel Gutes thun. Ihr Gläubiger bin nicht ich, sondern Gott ist es. Das Kapital können Sie ihm nie zurückerstatten, aber zahlen Sie ihm die Zinsen dadurch aus, daß Sie seinen weniger begüterten Kindern ein Wohlthäter sind, welcher stets ein offenes Herz und eine offene Hand für sie hat.«

»Das werde ich, ja, das werde ich!« sagte er tief gerührt. »Aber Sie sind doch auch weniger begütert, als ich!«

»Es gibt der Güter verschiedene und auch viele Arten des Reichthums. Ich habe weder Gold noch Silber, aber ich bin dennoch ebenso reich wie Sie und möchte wohl schwerlich mit Ihnen tauschen.«

»Herr, das ist ein stolzes Wort, welches mich zum Schweigen zwingt, wenigstens was Ihre Person betrifft. Aber wenn ich das, was Sie anzunehmen sich weigern, Ihren Gefährten gebe, so werden Sie mir doch diese Freude nicht verderben. Nein, das dürfen Sie nicht thun!«

»Was das betrifft, so sind diese Leute vollständig ihre eigenen Herren. Ich habe ihnen nichts zu befehlen; sie können thun und lassen, was ihnen beliebt.«

»Das freut mich. Sie werden ihnen also nicht abrathen, mir zu erlauben, dankbar zu sein?«

»Nein. Ich weiß, daß die Zurückweisung eines dankbaren Herzens dasselbe beleidigt und mit einer schweren Last bedrückt. Handeln Sie also ganz nach Belieben! Ich bin überzeugt, daß Sie dabei die richtige Art und Weise finden werden; denn grad meine Gefährten haben Eigenheiten, unter denen ein ausgebildetes Ehrgefühl nicht die letzte und geringste ist.«

»So bitte ich herzlich, mir zu sagen, wie ich an jedem Einzelnen am besten meine Schuld abzutragen vermag. Der Engländer – –«

»Kommt hier gar nicht in Betracht,« fiel ich ein. »Er ist Lord und mehrfacher Millionär. Ein aufrichtig gemeinter Händedruck ist ihm lieber als die kostbarste Gabe. Übrigens ist er nicht Ihr Gläubiger. Er selbst wurde ja gerettet!«

»So will ich Osco nennen?«

»Dessen Tochter ist an den Sohn eines steinreichen Großhändlers in Stambul verheirathet. Er kehrt dorthin zurück und wird alle seine Bedürfnisse auf das Reichlichste befriedigt sehen. Ich weiß übrigens, daß er, bevor wir Edreneh verließen, von seinem Schwiegersohn mit reichlichen Mitteln für unsern Ritt versehen worden ist. Diese Summe ist gar nicht angegriffen worden. Sie sehen also, daß er keines Geldes bedarf. Er ist ein Montenegriner; eine Gabe an Geld würde er vielleicht gar als Almosen betrachten und sich dadurch beleidigt fühlen.«

»Wie steht es mit Halef?«

»Der ist arm. Sein junges Weib ist die Enkeltochter eines arabischen Scheiks, der aber nie ein Rothschild gewesen ist.«

»So meinen Sie, daß ich ihn mit etwas Geld erfreuen könnte?«

»Ja. Wenn Sie es ihm nicht direkt bieten, sondern als Zeichen der Ehrerbietung für die ›Herrlichste der Frauen und Töchter‹, so werden Sie es ihm ermöglichen, mit Stolz in seine Heimat zurückzukehren und dann Ihrer zu gedenken.«

»Und Omar?«

»Ist noch ärmer. Er war, wie sein Vater, Führer über die Salzdecke des Schott Dscherid, ein fürchterlich waghalsiges Geschäft, wie ich selbst erfahren und auch erlebt habe. Sein Vater wurde, während er uns über den Schott führte, von Hamd el Amasat erschossen, und Omar verließ, vollständig mittellos, seine Heimat, um den Mörder zu suchen und die Blutthat zu rächen. Er ist von da aus, denken Sie sich, vom südlichen Tunesien aus, durch die Sahara, Ägypten und so weiter bis nach Constantinopel und dann mit uns bis hierher gereist, ohne alles Geld, ein Meisterstück sonder Gleichen. Wenn er sich gerächt hat und nun von mir scheiden muß, steht er hülflos da in der Fremde und weiß nicht, wie er seine ferne Heimat erreichen soll. Zwar kann ich ihm wohl so viel bieten, als er nöthig hat, seinen Hunger zu stillen, aber – – hm!«

Ich hatte mit Absicht die Lage Omar's ein wenig ungünstiger geschildert, als sie in Wirklichkeit war. Dieser reiche Franzose konnte für den armen Araber schon ein wenig tiefer in den Beutel greifen. Er sagte auch gleich:

»Nun, so soll es mir ein großes Vergnügen machen, für ihn sorgen zu dürfen. Aber Osco darf ich also nichts anbieten?«

»Geld nicht. Ein kleines Andenken würde er nicht ablehnen.«

»Schön! Sie halten es also nicht für eine Beleidigung, wenn man irgend einen an sich nicht werthvollen Gegenstand als Souvenir angeboten bekommt?«

»Ganz und gar nicht.«

»Nun, so hoffe ich, auch Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich Sie hiermit dringend ersuche, sich mit Hülfe dieses kleinen Cachet zuweilen meiner zu erinnern. Ich habe es nur als Berloque getragen und meinen Namen noch nicht eingraviren lassen; der Ihrige kann also leicht angebracht werden. Der Schut hatte mir natürlich auch die Uhr abgenommen, und ich bin nur durch Sie wieder in ihren Besitz gelangt. Wenn ich eine arme Berloque für Sie von der Kette löse, so kann dies hoffentlich keine Gabe sein, durch deren Größe Sie sich beleidigt fühlen.«

Bei diesen Worten nestelte der Kaufmann das kleine Petschaft von der Uhrkette und reichte es mir hin. Er nannte es eine arme Gabe. Nun, so arm war sie denn doch nicht. Die Berloque bildete eine kleine, achtseitige Pyramide, welche aus einem sehr schönen, fleischfarbenen Topas bestand, fein in Gold gefaßt war und oben auf der Spitze eine Saphirkugel trug, immerhin ein Geschenk von einigen hundert Mark. Ich konnte es natürlich nicht zurückweisen, und er freute sich wirklich aufrichtig, als ich erklärte, es annehmen zu wollen.

Jetzt schlossen wir uns den Andern wieder an. Der Lord befand sich in einem sehr angeregten Gespräch mit den Damen. Er freute sich, da sie Französisch verstanden, seine Zunge wieder einmal in Bewegung bringen zu können, was ihm bei seiner mangelhaften Sprachkenntniß unter Türken und Arnauten nicht gut möglich gewesen war.

Er schilderte ihnen den miserablen Weg von hier bis Rugova und knüpfte daran die Versicherung, daß von dort aus die Straße nach Uskub von Ort zu Ort immer schlechter werde. Er erwähnte die Entbehrungen und Unbequemlichkeiten, welche sie während einer so langsamen Ochsenwagenreise zu erdulden haben würden, und bat sie am Schluß, doch wieder nach Skutari umzukehren und mit ihm nach Antivari zu reisen, wo der französische Dampfer sicherlich noch vor Anker liege und sie zur See und viel bequemer nach Saloniki bringen werde, von wo aus sie mit der Bahn nach Uskub fahren könnten.

Um meinen Rath gefragt, mußte ich ihm leider Unrecht geben, was er mir nicht wenig übel zu nehmen schien. Der liebe Lord hatte Geld und Zeit genug, sich erlauben zu können, eine unter den Skipetaren gefundene Familie mittels Schiff nach Saloniki und auch noch weiter zu bringen. Er war in dieser Beziehung der ächte, richtige Englishman, welcher die Erde als sein Eigenthum betrachtet und gern überall seine Noblesse glänzen läßt.

So erreichten wir endlich den Newera-Khan. Die Damen stiegen aus, und wir begaben uns in die Stube. Dort hatte Halef bereits den Herrn und Gebieter gespielt, wie mir gleich der erste Blick sagte, welchen ich umher warf. Hinten am Tisch saß der Wirth mit all den Seinen. Es waren ihrer noch Mehrere, als ich vorher beisammen gesehen hatte. Einige schmutzige Burschen, welche Knechte zu sein schienen, waren dazu gekommen. Am vordern Tisch saßen die beiden Ochsenfuhrleute. Allen sah man es an, daß sie unter dem Zwang litten, welchen der Kleine ihnen aufgelegt hatte – sie waren seine Gefangenen.

Wie er es angefangen hatte, sich so in Respekt zu setzen, das fragte ich ihn nicht. Ich kannte ja seine Art und Weise. Er ging mit gravitätischen Schritten auf und ab, während Osco bei den Fuhrleuten saß. Dieser hatte die gespannten Pistolen vor sich liegen. In ihnen lag die Macht, welche die Beiden ausgeübt hatten.

Hart an der Wand lag Hamd el Amasat auf der Lehmdiele, noch immer so fest gebunden wie vorher. Er sah uns mit herausfordernden, trotzigen Blicken an.

Die Fuhrleute mußten Platz für die Frauen machen. Alle setzten sich, wo sie Platz fanden; nur ich blieb bei Halef stehen und fragte ihn leise:

»Hat Amasat Dich erkannt?«

»Schwerlich! Wenigstens habe ich es ihm nicht angesehen, oder er hat es sich nicht merken lassen.«

»Du hast ihm nichts gesagt?«

»Kein Wort. Ich habe gar nicht mit ihm gesprochen. Desto mehr aber habe ich mit dem Wirth reden müssen. Er wollte sich nicht fügen, bis ich ihm die Pistole vor die Nase hielt.«

»Wozu?«

»Nun, ich mußte doch die ganze Gesellschaft gefangen nehmen!«

»Das hatte ich Dir nicht befohlen.«

»War auch gar nicht nöthig. Ich weiß auch, ohne daß es mir geboten wird, was gethan werden muß. Wenn ich den Wirth mit seinen Knechten frei hätte umherlaufen lassen, so wäre er vielleicht gar auf den Gedanken gekommen, Hamd el Amasat mit Gewalt der Waffen zu befreien.«

Da hatte er freilich nicht ganz Unrecht.

»Hast Du dem Wirth gesagt, daß der Schut todt ist?«

»Nein. Da er Hamd el Amasat gebunden sieht, kann er sich wohl denken, wie die Sache steht.«

Ich hatte dem Hadschi diese Schweigsamkeit nicht zugetraut. Er ergriff doch sonst jede Gelegenheit, von großen Heldenthaten zu sprechen.

Da alle auf mich blickten, gebot ich Halef, dem Gefangenen den Lasso abzunehmen und ihm nur die Hände auf den Rücken zu binden, damit er sich aufrecht setzen könne. Das geschah. Anstatt mir für diese Erleichterung dankbar zu sein oder sich wenigstens ruhig zu verhalten, fuhr er mich an:

»Warum bindet man mich? Ich verlange, daß ich frei gelassen werde!«

»Warte noch ein wenig,« antwortete ich. »Und sprich in einem andern Ton, sonst wird Dir mit Hülfe der Peitsche Ehrerbietung beigebracht! Mit Dieben, Betrügern und Mördern verkehrt man nicht so, wie mit ehrlichen Leuten.«

»Ich bin kein Dieb!«

»Nicht? Und doch hast Du Deinen Prinzipal dem Schut zugeführt, der ihm Alles abnehmen mußte!«

»Ich kenne keinen Schut!«

»Lüge nicht! Damit kommst Du bei uns nicht weit. Du kannst gar nicht leugnen, daß Du im Kara-Nirwan-Khan zu Hause bist.«

»Ich bin nur ein einziges Mal dort gewesen, als ich Galingré begleitete.«

»Und dann bist Du nach Skutari zurückgekehrt und hast den Angehörigen Deines Prinzipals Befehle vorgeschwindelt, von denen er gar nichts weiß! Übrigens hast Du Dich mit anderen Untergebenen des Schut nach dem Kara-Nirwan-Khan bestellt.«

»Das ist nicht wahr!«

»Hast Du einen Bruder?«

»Nein.«

»So kennst Du keinen Mann, welcher Barud el Amasat heißt?«

»Nein!«

»Und dessen Sohn den Namen Ali Manach Ben Barud el Amasat führte?«

»Auch nicht.«

»Und doch hast Du an diesen Barud geschrieben!«

»Beweise es!«

»So kennst Du wirklich nicht einen Zettel, dessen Inhalt lautet: In pripeh beste la karanirwana chan ali sa panajir menelikde?«

Jetzt ging es wie ein Schreck über sein Gesicht, und er sagte weniger trotzig:

»Du sprichst von Dingen, welche mir völlig unbekannt sind. Ich bin mir keiner Schuld bewußt und werde meine unschuld beweisen. Darum verlange ich, daß man mich frei lasse!«

»Warum bist Du denn entflohen, als Ihr uns kommen sahet?«

»Weil der Andere floh.«

»Ah so? Kanntest Du ihn?«

»Natürlich! Ich bin ja mit Galingré bei ihm gewesen. Er war der Wirth von Rugova.«

»Und dennoch stimmtest Du ihm bei, als er sich für einen Andern ausgab, um diese Leute hier in die Felsenspalte zu führen?«

Er schwieg.

»Mir gegenüber hattest Du die Kühnheit, mich aufzufordern, Dich gefangen zu nehmen. Dieser Hohn ist Dir schlecht bekommen. Ich konnte besser reiten, als Du dachtest, und werde Dir nachher beweisen, daß Du mich bereits früher als einen guten Reiter kennen gelernt hast.«

»Ich kenne Dich nicht.«

Es war ihm anzusehen, daß er mit diesen Worten die Wahrheit sagte. Der Mann mußte seit jenem entsetzlichen Ereigniß auf dem Schott Dscherid sehr viel erlebt haben, da er sich an uns nicht mehr erinnerte. Personen, welchen man unter solchen Verhältnissen begegnet, behält man unter gewöhnlichen Umständen lebenslang im Gedächtniß.

»Du kennst nicht nur mich, sondern auch noch einige Andere von uns,« sagte ich ihm. »Du mußt in letzterer Zeit so viele Verbrechen begangen haben, daß es Dir unmöglich ist, Dich auf Einzelnes zu besinnen. Zunächst aber will ich Dir sagen, daß es für Dich gut ist, daß Du keinen Bruder und auch keinen Brudersohn hast, denn Barud el Amasat und sein Sohn sind todt.«

Er machte eine Bewegung, als hätte er aufspringen wollen. Ich aber fuhr fort:

»Ali Manach wurde in Edreneh erschossen. Das wird Dir unbekannt sein?«

»Es geht mich nichts an.«

»Und sieh Dir einmal den Mann an, welcher an der Ecke des Tisches sitzt. Er heißt Osco und hat Deinen Bruder Barud von dem Teufelsfelsen gestürzt, weil ihm derselbe seine Tochter Senitza geraubt hatte. Von dieser That Deines Bruders weißt Du wohl auch nichts?«

Er biß die Zähne fest zusammen und schwieg eine Weile. Sein Gesicht war dunkelroth geworden. Dann schrie er mich wüthend an:

»Was erzählst Du mir Sachen, die mich gar nichts angehen, von Personen, welche ich gar nicht kenne! Wenn Du mit mir sprechen willst, so sprich mit mir. Sage mir die Gründe, warum Ihr mich wie einen Dieb und Mörder behandelt!«

»Gut; sprechen wir von Dir. Wir behandeln Dich ganz genau als denjenigen, der Du bist. Du bist ein Mörder.«

»Schweig'!«

»Ich will davon absehen, daß Galingré in dem Schacht von Rugova ermordet werden sollte; auch davon, daß Ihr die Seinen hier tödten wolltet. Ich will nur von den Mordthaten sprechen, welche Du wirklich vollbracht hast.«

»Du mußt verrückt sein, denn nur der Wahnsinn kann Dir solche Albernheiten vorspiegeln!«

»Nimm Dich in Acht! Sprich noch eine solche Beleidigung aus, so erhältst Du die Peitsche! Hast Du vielleicht von Deinem Prinzipal, Monsieur Galingré, erfahren, daß er einen Bruder hatte, welcher drüben in Algerien, in Blidah, ermordet worden ist?«

»Ja. Er hat es mir erzählt.«

»Und der Sohn des Ermordeten verschwand auf eine ganz räthselhafte Weise?«

»Auch das sagte er mir.«

»Hast Du vielleicht diesen Bruder oder dessen Sohn gekannt?«

Bei dieser Frage erbleichte er. Das sah man ganz genau, da er jetzt nicht mehr den Bart trug, welchen er in der Sahara gehabt hatte.

»Wie soll ich Einen von ihnen gekannt haben,« antwortete er, »da ich nie in Blidah gewesen bin! Ich kenne weder Algerien, noch die dortigen Länder oder die Wüste. Ich bin ein Armenier und von meinem Vaterland aus nur nach Stambul und hierher gekommen.«

»Ein Armenier bist Du? Sonderbar! Grad ein Armenier sollte es sein, welcher Galingré ermordet hatte!«

»Das geht mich nichts an. Es gibt Hunderttausende von Armeniern.«

»Ja, das ist richtig; aber Viele von ihnen verleugnen ihre Abstammung. So z. B. kenne ich einen, der sich für einen Angehörigen der Uëlad Hamalek ausgegeben hat.«

Er nagte an der Unterlippe. Aus seinen Augen schoß ein Blick auf mich, als ob er mich mit denselben durchbohren wollte. Es mochte ihm die Ahnung kommen, daß seine Vergangenheit mir genauer bekannt sei, als er geglaubt hatte. Er sann sichtlich darüber nach, wo er mir bereits begegnet sei, kam aber wohl nicht zur Klarheit, denn er rief zornig:

»Sprich doch von Sachen und Personen, die ich kenne. Der Stamm der Uëlad Hamalek ist mir unbekannt. Auch kann ich keinen Bruder haben, welcher Barud el Amasat heißt, denn mein Name ist Hamd el Nassr.«

»Nicht Hamd el Amasat?«

»Nein.«

»So! Also Hamd el Nassr heißest Du. Da besinne ich mich auf einen Menschen, welcher sich Abu el Nassr nannte. Hast Du den Mann nicht gekannt?«

Jetzt öffnete er den Mund und stierte mich aus großen Augen erschrocken an.

»Nun, antworte!«

Aber er antwortete nicht. Das Weiße seiner Augen färbte sich roth, und die Adern seiner Stirne schwollen dick an. Er schluckte und schluckte und brachte kein Wort hervor. Ich fuhr fort:

»Dieser Abu el Nassr führte seinen Namen ›Vater des Sieges‹ deßhalb, weil er einmal dem Wekil der Oase Kbilli einen Dienst geleistet hatte, welcher einige Tapferkeit erforderte. Besinne Dich!«

Die Züge seines Gesichtes schienen steif geworden zu sein. Er lallte einige Worte, welche Niemand verstehen konnte.

»Dieser Abu el Nassr war der Mörder Galingré's. Er ermordete dann auch dessen Sohn in der Wüste. Er ermordete ferner den Führer Sadek auf dem Schott Dscherid. Ich traf auf die Leiche des jungen Galingré und – –«

Da unterbrach er mich. Er stieß einen kreischenden, unartikulirten Schrei aus und schnellte sich, obgleich ihm die Hände gebunden waren, aus der sitzenden Stellung auf die Füße empor.

»Uskut, el kelb el dschirbahn – verstumme, Du räudiger Hund!« brüllte er mich an, und sonderbarer Weise im Arabisch jener Gegend, in welcher ich damals mit ihm zusammengetroffen war. »Jetzt weiß ich, wer Du bist! Jetzt erkenne ich Dich! Du bist jener stinkende Deutsche, welcher mich bis Kbilli verfolgte! Deine Väter und Urväter sollen verflucht sein, und an Deinen Kindern und Kindeskindern sollen alle Übel des Leibes und der Seele haften! Jede Stunde muß Dir ein neues Unglück bringen und – –«

»Und dieser Augenblick Dir die Peitsche!« unterbrach ihn Halef, indem er herbeisprang und aus allen Kräften auf ihn losschlug. »Erkennst Du nicht auch mich, Du Sohn einer Hündin und Du Enkel einer verfaulten Hyäne? Ich bin jener kleine Hadschi Halef Omar, der bei diesem Effendi war, als er Dich traf!«

Hamd el Amasat bewegte sich nicht. Er nahm die Streiche hin, ohne den Fuß von der Stelle zu rühren. Er starrte den Kleinen an und schien die Hiebe gar nicht zu fühlen, welche er bekam.

»Und erkennst Du nicht auch mich?« fragte Omar, indem er langsam herbeitrat und Halef auf die Seite schob. »Ich bin Omar, der Sohn Sadek's, den Du auf dem See Dscherid ermordet hast, so daß er nun unter dem Salz im fließenden Sand begraben liegt und Niemand die Stelle besuchen kann, um an ihr zu Allah und dem Propheten zu beten. Ich bin Dir gefolgt von Kbilli aus. Allah hat nicht gewollt, daß ich Dich fand. Er hat Dir Zeit geben wollen zur Reue und Buße. Da Du es aber ärger getrieben hast, als vorher, so hat er Dich nun endlich in meine Gewalt gegeben. Mache Dich bereit! Die Stunde der Rache ist da! Du entkommst mir nicht wieder, und unter Deinen Füßen öffnet sich bereits die Dschehenna, um Deine Seele zu empfangen, welche verflucht und verdammt ist für alle Ewigkeit!«

Welch ein Unterschied zwischen diesen Beiden! Omar stand ruhig, stolz und hochaufgerichtet da. In seinem Gesicht war nicht die Spur einer Leidenschaft, des Hasses, der Rache zu sehen. Nur kalte, finstere Entschlossenheit lag über demselben ausgebreitet. Hamd el Amasat zitterte, nicht vor Angst, sondern vor Grimm. Seine Züge verzerrten sich zur Fratze. Seine Brust wogte, und sein Athem flog.

»Ja mlahjiki, ja schijatin,« zischte er, »laisch ana jasihr – o ihr Engel, o ihr Teufel, warum bin ich gefangen! Hätte ich meine Hände frei, so würde ich Euch erwürgen, Euch Alle, Alle!«

»Du sollst Deinen Willen haben,« antwortete Omar. »Du hast Dir Dein Urtheil selbst gesprochen. Du sollst erwürgt werden ohne Gnade und ohne Barmherzigkeit. Effendi, hast Du noch mit ihm zu sprechen?«

Die Frage war an mich gerichtet.

»Nein,« antwortete ich. »Er hat nicht geleugnet. Ich bin fertig mit ihm.«

»So fordere ich, daß Du ihn mir überlässest!«

»Es sind noch Andere da, welche Anspruch auf ihn machen können.«

»Aber mein Anspruch ist der größte und älteste. Wer will sich melden, um ihn mir zu entreißen?«

Er sah sich im Kreise um. Niemand antwortete. Was sollte ich machen? Ich wußte, daß weder eine Bitte, noch Drohung, noch ein Befehl beachtet worden wäre. Doch fragte ich:

»Willst Du ihn feig ermorden? Willst Du – –«

»Nein, nein!« fiel er mir in die Rede. »Osco hat den Bruder dieses Menschen nicht ermordet, sondern ehrlich und stolz mit ihm gekämpft. Das werde auch ich thun. Ich bin kein Henker. Bindet ihn los! Ich lege meine Waffen ab. Er will mich erwürgen; nun, er mag kommen! Gelingt es ihm, mich zu tödten, so mag er frei sein und gehen können, wohin er will.«

Also ein Duell! Ein schauriges zwar, aber doch ein – Duell. Meine Ansicht über das Duell, welches ich allerdings verwerfe, war hier gleichgültig. Wenn die höchststehenden Vertreter der Civilisation sich wegen eines schnellen Wortes nach dem Leben trachten und es für eine Ehrlosigkeit halten, dies nicht zu thun, durfte ich da diesen ungebildeten Araber verdammen, wenn er Genugthuung vom Mörder seines Vaters verlangte? Ich sagte nichts und trat zurück.

»Ja, nehmt mir die Fessel ab!« schrie Hamd el Amasat. »Ich werde den Schurken erwürgen, daß seine Seele nicht aus dem Leib und zur Hölle fahren kann!«

Omar entledigte sich seiner Waffen und stellte sich in die Mitte der Stube. Alle an den Tischen Sitzenden standen auf und zogen sich in die Ecken zurück. Die Damen Galingré versteckten sich so, daß sie nichts sehen konnten. Ich stellte mich an die Thüre, um Hamd el Amasat den Ausgang zu verwehren, falls er sich dem Kampf durch die Flucht entziehen wollte. Aber das schien ihm gar nicht einzufallen. Er keuchte förmlich vor Verlangen, frei zu werden und sich auf den Gegner zu werfen.

Halef band ihm die Arme los, und nun standen sich die Beiden gegenüber, einander mit den Augen messend.

Niemand sagte ein Wort. Hamd el Amasat war länger und sehniger als Omar. Dieser hatte eine größere Geschmeidigkeit vor jenem voraus, und die Ruhe, welche er bewahrte, ließ hoffen, daß er Sieger sein werde. Wunden konnte es nicht geben, da nur mit den Händen gekämpft wurde.

»So komm heran!« schrie Hamd el Amasat, indem er drohend die jetzt freien Fäuste ausstreckte, anstatt sich, wie ich geglaubt hatte, auf Omar zu werfen.

Die Ruhe desselben schien ihm doch zu imponiren. Es war aber auch wirklich überraschend, daß sich nicht die Spur der leisesten Erregung bei dem Sohn Sadek's zeigte. Er hatte die Miene und Haltung eines Mannes, welcher ganz genau weiß, daß er Sieger sein wird.

»Komm Du zu mir, wenn Du Muth hast!« antwortete er. »Aber blicke vorher hinaus! Dort drüben erscheint die Sonne über dem Wald. Schau sie Dir noch einmal an, denn Du wirst sie nie wieder sehen, sondern in Nacht und Grauen versinken. Hier hast Du meinen Hals, um mich zu erwürgen. Ich werde Dich nicht hindern, Deine Hände um denselben zu legen.«

Das war sonderbar. Welche Absicht hatte er doch? Er trat dem Gegner um zwei Schritte näher, hob das Kinn empor, so daß sein Hals leichter zu fassen war, und legte die Hände auf den Rücken. Hamd el Amasat ließ sich diese vortreffliche Gelegenheit nicht entgehen. Er that einen Sprung auf ihn zu und krallte ihm die beiden Hände um die Gurgel.

Kaum war das geschehen, so warf Omar seine beiden Arme nach vorn und legte dem Feind die Hände an den Kopf, so daß die vier Finger jeder Hand auf die Ohren und nach hinten, die beiden Daumen aber nach vorn, auf die Augen zu liegen kamen.

»Hund, Dich habe ich!« knirschte Hamd el Amasat in satanischer Freude. »Mit Dir ist es vorbei!«

Er drückte Omars Hals so fest zusammen, daß dieser blauroth im Gesicht wurde. Aber ich sah, was der Araber beabsichtigt hatte. Er verschmähte es, noch eine Antwort zu geben. Eine kleine Bewegung seiner Daumen, ein kräftiger Druck derselben, und Hamd el Amasat stieß ein Geheul aus, wie ein verwundeter Panther, und ließ die Hände von dem Hals seines Gegners los, denn dieser hatte ihm – – beide Augen ausgedrückt.

Der Verletzte fuhr sich mit den Händen nach den Augen und hielt nicht inne mit seinem Gebrüll. Er war verloren, denn nun konnte Omar ihn bequem erwürgen. Die Scene, welche nun folgen mußte, war zu entsetzlich; ich wendete mich und ging zur Thüre hinaus. Meine ganze Seele wollte sich gegen dieses Geschehniß aufbäumen. Dieses Blenden und dann Abwürgen des Feindes kam mir geradezu diabolisch vor; aber konnte man Mitleid mit einem Menschen wie Hamd el Amasat haben, welcher schlimmer als ein Teufel gehandelt hatte? Gibt es nicht irgendwo ein hochcivilisirtes Volk, bei welchem es das eifrige Bestreben der Preisboxer ist, einander die Augen auszustoßen, und die Lords, Gentlemen und Ladies kommen gelaufen und zahlen – fünfzig, hundert und noch mehr Dollars oder Guineen, um sich dieses herrliche Schauspiel anzusehen und auf den Ausgang des Kampfes um den Gesammtbetrag von Hunderttausenden zu wetten!

Draußen stand die Sonne hell und strahlend über dem Horizont. Ich dachte an die Worte des heimatlichen Dichters:

»Herrlich tritt die Sonn' auf ihre Wolke,
Doch den Wahn, der Menschen noch betört,
Strahlt sie nicht hinweg von diesem Volke,
Welches ewig, ewig sich zerstört.«

Drin in der Stube war es ruhig geworden. Das Brüllen hatte aufgehört. War Hamd el Amasat nun todt? Da ging die Thüre auf, und Omar kam heraus.

»Ist's zu Ende?« fragte ich schaudernd.

Er hatte das Messer und die Pistolen wieder im Gürtel stecken. Der Kampf mußte also vorbei sein.

»Ja,« antwortete er. »Die Rache ist vollendet, und die Seele meines Vaters wird befriedigt auf mich niederblicken. Ich darf nun meinen Bart scheeren und in die Moschee zum Gebet gehen, denn das Gelübde, welches ich auf dem Schott that, ist nun erfüllt.«

»So schafft die Leiche fort! Ich mag sie nicht sehen.«

»Diese Leiche brauchen wir nicht fort zu schaffen. Sie wird gehen, wohin es ihr beliebt.«

»Wie? Er ist nicht todt? Er lebt noch?«

»Ja, Sihdi. Ich dachte an Dich und daran, daß Du die Tödtung eines Menschen verabscheust. Ich habe Hamd el Amasat nur geblendet. Als er dann hülflos vor mir stand, konnte ich es nicht über mich gewinnen, ihn zu tödten. Er mag sein dunkles Leben langsam zum Grab schleppen. Er hat das Licht seiner Augen verloren und wird nun keinem Menschen mehr schaden können. Und jetzt ist ihm noch eine Zeit gegeben, sich seiner Thaten zu erinnern und sie zu bereuen. Habe ich recht gehandelt?«

Was sollte ich antworten? Ich erinnerte mich daran, daß hochstehende christliche Rechtslehrer die Forderung stellten, die Verbrecher zu blenden, weil man sie dadurch, ohne sie zu tödten, für die menschliche Gesellschaft unschädlich mache. Ich nickte stumm und kehrte in die Stube zurück.

Unter der Thüre begegnete mir der Wirth, welcher mit Hülfe eines Knechtes Hamd el Amasat herausführte, um ihn am Brunnen mit Wasser zu kühlen.

»Es ist vorüber, Herr!« rief Halef mir entgegen, »und wir sind einverstanden, daß der zehnfache Mörder nicht getödtet worden ist. Das Leben wird für ihn schlimmer sein, als der Tod. Was aber soll nun mit den Bewohnern dieses Newera-Khan geschehen? Sie sind mit dem Schut einverstanden gewesen.«

»Laßt sie laufen! Sie gehen uns nichts an. Es ist mehr als genug geschehen. Mir graut vor diesem Lande. Beeilen wir uns, es zu verlassen! Ich mag es niemals wiedersehen.«

»Du hast Recht, Herr. Auch ich habe nicht Lust, länger an diesem Ort zu bleiben. Unsere Pferde stehen draußen. Reiten wir weiter!«

So schnell ging das freilich nicht. Galingré ritt nicht weiter mit uns, er kehrte um; ebenso Ranko, welcher die Wagen bis Rugova begleiten wollte. Da gab es noch Vieles zu besprechen. Und dann wollte Keiner der Erste sein, welcher das Wort des Abschiedes in den Mund nahm.

Ich ging indessen hinaus zum Brunnen. Es erschien mir nicht menschlich, Hamd el Amasat den unkundigen Händen des Wirthes zu überlassen. Aber kaum hörte der Verletzte meine Stimme, so schleuderte er mir Flüche und Verwünschungen entgegen, welche mich augenblicklich umkehren ließen. Ich wanderte eine Strecke in die lautlose Morgenstille hinein. Kein Vogel ließ sich hören, kein Geräusch gab es rings umher. Das war der geeignete Ort zum Insichschauen; aber je tiefer dieser Blick nach innen dringt, desto mehr sieht man ein, daß der Mensch nichts ist, als ein zerbrechliches Gefäß, mit Schwächen, Fehlern und – – Hochmuth gefüllt!

Als ich dann zurück kam, wurde von der Familie Galingré und von Ranko Abschied genommen. Diesem Letzteren gaben wir das Packpferd wieder mit. Wir brauchten es nicht. Nachdem sich die Wagen in Bewegung gesetzt hatten, standen wir und blickten ihnen nach, bis sie im Osten verschwanden. Dann stiegen wir auf. Weder der Wirth, noch einer seiner Leute ließ sich sehen. Sie waren froh, uns aufbrechen zu sehen, und hüteten sich wohl, ein Ade zu erhalten, welches jedenfalls nichts weniger als freundlich geklungen hätte.

So verließen wir denn still den Ort, welcher das letzte Ereigniß unserer langen, langen Reise gesehen hatte. Nach einer Viertelstunde ging die kahle Ebene zu Ende, und der Wald umfing uns wieder mit seinen grünen Armen. Halef, Omar und Osco machten sehr freundliche, zufriedene Gesichter. Der Hadschi blickte mich oft von der Seite an, als ob er mir etwas Freudiges mitzutheilen habe. Osco hatte sein mit silbernen Borden verbrämtes Mindan vorn weit offen stehen, was ganz gegen seine Gewohnheit war. Ich bemerkte sehr bald den Grund. Er wollte die breite, goldene Kette sehen lassen, welche an seiner Weste hing. Er hatte also die Uhr Galingré's zum Geschenk erhalten.

Als er den Blick bemerkte, welchen ich auf die Kette warf, schilderte er mir seine Freude, ein so werthvolles Andenken erhalten zu haben. Das öffnete dem Kleinen endlich den Mund.

»Ja, Sihdi,« sagte er, »der Franzose muß sehr reich sein, denn er hat uns mit Papieren bedacht, auf welchen Wappen und Ziffern zu lesen sind.«

Er meinte wohl Banknoten.

»Was sind es für Papiere?« fragte ich. »Wohl Rechnungen, welche Ihr aus Euren Taschen für ihn bezahlen sollt?«

»Was denkst Du von ihm! Er wird seine Schulden von uns bezahlen lassen! So ein Mann, wie er, ist überhaupt keinem Menschen Etwas schuldig. Nein, was wir erhalten haben, das sind Geldzettel, wie man sie im Abendland anstatt des Goldes und Silbers hat. Ich habe mehrere solcher Zettel, und er hat sie mir für Hanneh, der Schönsten und Freundlichsten unter den Frauen und Töchtern gegeben.«

»Und Du willst sie ihr mitnehmen?«

»Natürlich!«

»Das wäre nicht klug von Dir, Halef. Im Land der Schammar und Haddedihn kannst Du sie nicht in Gold oder Silber umwechseln. Das mußt Du hier in Skutari thun.«

»Aber wird man mich da nicht betrügen? Ich weiß nicht, welchen Werth diese Zettel besitzen.«

»Das kann ich Dir gleich sagen; auch werde ich mit Dir zum Geldwechsler gehen. Zeige sie mir einmal!«

Er zog schmunzelnd seinen Beutel hervor, öffnete ihn und reichte mir die ›Geldzettel‹ hin. Es waren englische Banknoten. Galingré hatte ihm wirklich ein sehr nobles Geschenk gemacht.

»Nun?« fragte Halef. »Sind es hundert Piaster?«

»Viel, viel mehr, mein Lieber! Du kannst die Summe gar nicht errathen. Diese Banknoten haben einen Werth von mehr als zwölftausend Piaster. Du würdest dreitausend Franken dafür bekommen, wenn Du französisches Geld haben wolltest. Ich rathe Dir aber, lieber Maria-Theresienthaler zu nehmen, wenn Du sie bekommen kannst, denn diese gelten dort, wo Hanneh, die prächtigste der Blumen, duftet.«

Er sah mich wortlos an und schüttelte den Kopf. Ein solches Geschenk ging über seinen kleinen finanziellen Horizont. Omar zog schnell auch seinen Beutel hervor. Er hatte mehr erhalten. Als Franzose hatte Galingré zwar englisches Geld gegeben, aber nach französischen Werthen gerechnet, wie ich wohl bemerkte. Omar hatte fünftausend Franken erhalten, eine ungeheure Summe für diese beiden anspruchslosen Leute! Das waren fürstliche Geschenke! Aber Galingré war von der sehr richtigen Überzeugung ausgegangen, daß er und die Seinen ohne uns nicht mehr leben würden, und was waren schließlich achttausend Francs für einen Mann, der ein solches Vermögen besaß.

Natürlich ergingen sich die Beiden in Ausrufungen des größten Glückes.

»Welch ein Reichthum!« rief Halef. »Hanneh, die Geliebte meiner Seele, ist von diesem Augenblick das vornehmste Weib unter allen Frauen und Enkelinnen der Ateïbeh und Haddedihn. Sie kann fragen, was die Heerden sämmtlicher Stämme der Schammar kosten, und sich mit Seide aus Hindistan bekleiden und ihr schönes Haar mit Perlen und Edelsteinen schmücken. Ihre Gestalt wird in den Wohlgerüchen Persien's schwimmen, und mit ihren Füßchen wird sie einhergehen in den Pantoffeln der Prinzessinnen. Ich aber werde den besten Latakia rauchen, und meine Masu'ra wird aus einem Rohr vom besten Rosenholz, und die Bizz min kahrubah soll so groß sein, daß ich sie gar nicht in den Mund bringen kann!«

Diese überschwengliche Vorstellung von der Größe seines Vermögens konnte ihn leicht zur Verschwendung treiben. Ich erklärte ihm also durch verschiedene Aufzählungen, daß sein Besitz nicht im Entferntesten so bedeutend sei, wie er denke.

Omar's Freude war eine stillere. Er lächelte glücklich vor sich hin und sagte:

»Galingré hat mir das gegeben, wonach ich mich so sehr sehne: ich kann mir nun eine Heimat erwerben. Ich werde mit Halef zu den Haddedihn gehen und mir ein Kameel, einige Rinder und eine Heerde Schafe kaufen. Dann finde ich wohl auch eine liebliche Tochter des Stammes, welche mein Weib werden will. Hamdulillah! Allah sei Dank! Ich weiß nun, daß ich leben kann.«

Der Lord hatte, wenn nicht Alles, aber doch die Hauptsache verstanden. Er brummte:

»Unsinn! Galingré! Kaufmann! Ich bin ein Lord von Altengland und kann auch Geschenke geben. Muß aber nicht gleich sein! Was sagt Ihr dazu, Master, daß diese Beiden nach den Weideplätzen der Haddedihn wollen? Wie kommen sie hin? Welchen Weg schlagen sie ein? Würde es nicht am besten sein, wenn sie per Schiff nach Jaffa führen und von da aus quer durch Palästina nach Bosra im Dschebel Hauran ritten? Sie würden da den Weg erreichen, auf welchem Ihr damals aus dem Land der Haddedihn gekommen seid.«

»Das wäre freilich das Allerbeste. Aber wo bekommen sie ein Schiff nach Jaffa? Und bedenkt das Geld, welches sie bezahlen müssen!«

»Pshaw! Habe ich nicht den Franzosen unten im Hafen liegen? Er bringt uns hin. Zahle Alles! Können auch sämmtliche Pferde mit an Bord nehmen und sie dann, wenn wir landen, den Beiden schenken. Wir gehen mit bis nach Jerusalem.«

»Wir? Wen meint Ihr da?«

»Euch und mich natürlich!«

»Oho! Ich muß heim.«

»Unsinn! Habe mich genug geärgert, daß wir auf unserm Ritt von Damaskus nach dem Meer Jerusalem zur Seite liegen lassen mußten. Können das nachholen. Auf einige Wochen kann es Euch nicht ankommen. Schlagt ein! Wie gesagt, ich bezahle Alles.«

Er hielt mir die Hand hin.

»Muß es mir erst überlegen, Sir,« antwortete ich.

»So überlegt es schnell, sonst schwimme ich nach Jaffa, bevor Euch der richtige Gedanke gekommen ist. Well!«

So war er! Sein Gedanke gefiel mir sehr, und im Stillen redete ich selbst mir zu, auf denselben einzugehen.

Indessen hatten wir Gori erreicht, kamen nach nicht ganz zwei Stunden nach Skala und ritten dann von der Höhe nach Skutari hinab, dem Endpunkt unserer Reise durch das Land der Skipetaren.

Lindsay hatte Halef und Omar seinen Plan mitgetheilt; derselbe wurde mit Entzücken aufgenommen, und die Beiden drangen so stürmisch in mich, daß ich schließlich nachgeben mußte, was, offen gestanden, gar nicht so ungern geschah. Es ging mir jetzt wie immer: ich war länger von der Heimat entfernt, als es in meiner ursprünglichen Absicht gelegen hatte.

Wir stiegen im Gasthof des Anastasio Popanico ab, welcher allerdings nur zwei Fremdenzimmer hatte, die glücklicher Weise nicht besetzt waren. Hier konnten wir uns gründlich restauriren und das Gefühl, halbwilde Menschen geworden zu sein, von uns werfen.

Der Lord schickte also sofort einen Expressen nach Antivari, um dem Kapitän seinen neuen Reiseplan mitzutheilen, und ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als zu einem Barbier zu gehen und mich dann mit einem neuen Anzug und frischer Wäsche zu versorgen. Daß wir Alle ein sehr gründliches Bad nehmen mußten, verstand sich ganz von selbst.

Dann spielten wir die Herren und ließen uns auf dem Skutarisee, von welchem aus die Stadt einen wunderschönen Anblick bietet, spazieren fahren. Als wir nach Hause kamen, wartete ein Polizeibeamter, bei welchem sich drei roth gekleidete Khawassen befanden, auf uns; der Wirth hatte uns angemeldet. Als der Mann meine Pässe sah, zog er sich unter den ehrerbietigsten Verbeugungen zurück, wozu wohl das reiche Bakschisch, welches der Lord ihm gab, das Meiste beigetragen hatte.

Skutari trägt, obgleich es am adriatischen Meer liegt, einen durchaus orientalischen Charakter. Es liegt theils in einer fruchtbaren Ebene, theils auf einer Hügelgruppe, welche diese Ebene begrenzt und auf ihrem höchsten Punkt ein verfallenes Kastell trägt. Diese Stadt besteht eigentlich aus mehreren Dörfern, welche mit einander verbunden und deren Häuser fast ausschließlich aus Holz gebaut sind.

Osco blieb einen Tag lang da; dann verabschiedete er sich von uns, um hinauf nach Allia und von da über Plavnicza nach Rieka zu reiten, wo er früher gewohnt hatte. Eine Fahrt über den See hätte ihn viel schneller hingebracht. Aber er glaubte, seinen Schecken, auf den er sehr stolz war, nicht den trügerischen Wellen anvertrauen zu dürfen.

Die Trennung wurde ihm und uns schwer. Er versprach, bei seiner Rückkehr nach Edreneh und Stambul seine Verwandten von uns zu grüßen und sie zu veranlassen, einmal an mich zu schreiben. Wir gaben ihm eine Strecke weit das Geleit.

Der von dem Lord nach Antivari gesandte Bote kam erst am zweiten Tag zurück, denn man hat elf bis zwölf Stunden zu reiten, um von der einen Stadt nach der andern zu gelangen. Er meldete, daß der Kapitän an der Riva von Antivari liege, zu jeder Stunde bereit, uns aufzunehmen. Da uns nichts hier in Skutari hielt, brachen wir am nächsten Morgen sehr zeitig auf.

Wir fühlten uns bald sehr froh, so gute Pferde zu besitzen, denn der Weg ist ein ungemein schlechter. Trinkbares Wasser für uns und die Pferde war nur an einer einzigen Stelle zu bekommen, welche wir um die Mittagszeit erreichten. Sie lag hoch oben auf dem Gebirgsrücken, welcher sich zwischen den beiden Städten bis an das Meer hinzieht.

Der jenseitige Abfall des Berges war so steil, daß wir aus dem Sattel steigen mußten, um die Pferde zu schonen. Von da aus blitzte uns aus der Tiefe das Meer entgegen, welches uns auf seinem dienstbereiten, oft aber auch widerstrebenden Rücken davontragen sollte. Erst eine Stunde vor der Stadt wurde das Terrain so eben, daß wir wieder reiten konnten.

Die Stadt Antivari, welche mit der Festung auf einem niedrigen Ausläufer des Gebirges liegt, wurde von uns nicht berührt, da wir gleich direkt an die Riva wollten. Dort waren vier Häuser an den Strand gebaut, ein Contumaz-Gebäude, das Agenturhaus des österreichischen Lloyd, ein Zollhaus und ein Wirthshaus. In letzterem kehrten wir ein. Es war fünf Uhr Nachmittags, als wir da anlangten.

Die folgende Nacht blieben wir im Wirthshause; am andern Morgen schifften wir uns mit den Pferden ein, und dann entschwand die Küste des Skipetarenlandes sehr bald unsern Blicken.

Wie wir nach Jaffa und el Kudsischscharif gekommen sind, davon vielleicht ein anderes Mal. Für jetzt ist nur noch zu erwähnen, daß der Lord den Hadschi und Omar auch sehr reich beschenkte, und daß ich meinen ›Freund und Beschützer‹ bat, mir einmal zu schreiben. Er möge den Brief nach Mossul senden, von wo aus er wohl an mich gelangen werde. Zu diesem Zweck nahm er Papier mit, und ich schrieb auf ein Couvert meine Adresse in türkischer und französischer Sprache.

Zwei Monate nach meiner Heimkehr langte denn auch dieses Schreiben bei mir an. Halef hatte geglaubt, weil die Adresse türkisch sei, müsse auch der Inhalt in dieser Sprache gehalten sein. Sein Türkisch war gar wunderbar mit Arabisch vermengt, und seine zwar der Waffe, aber nicht der Feder gewohnte Hand hatte gar manchen muntern Schreibepudel fertig gebracht; aber der Brief war ebenso kurz, wie gut gemeint, und verursachte mir große Freude. Hier sein Inhalt, natürlich aber in Transskription:

»Sewgülü sihdim!

En ni' mi es sallam Allahdan! Geltik ben we Omar ben Sadek. Surur we bacht her tarafda. El massahri! Ez zerh! Iftichahr, esch scharaf, ez zewk! Kara Ben Nemsi Emir el baraki, el muhab'bi, lilistizkar, es sallah! Hanneh el mu sajira, Bint Amschah Bint Malek el Ateïbeh sahlim kwaijisa, hejrana. Kara Ben Hadschi Halef oghul ewladim bir kahreman; arb' in tamrin fard marra jutar; ja Allah, ja Sama!!! Omar Ben Sadek Sahama Bint Hadschi Schukar esch Schamain Ben Mudal Hakuram Ibn Saduk Wesilegh esch Schammar awret almar; bir maldar we güzel kyz. Allah sahna pek eji hawa bakschischlar we gyzel hawanyn kejfijeti. Rih el husahn pek kemterin we terbijeli sallam werir. Omar Ben Sadek wahid eß Ssiwan el kwaijis ile bir hamat el musajira. Daha jakynda awret al! Allah seni arka olsun! Dajma choschmud ol, tazirleme! Seni sewilim! Möhüri feramusch et! Chaten we lök benim jok! Daima hünerli ol, kahabat we günah sawul! Gel baharin! Daima uslu, edebli, mürüwetli, we serschoschluk sakin!

Düz dolu ittibar, tekrim, tewazu we ybadet yrzehli sadyk achbabin, himajetdschin we ajal pederi

Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

Und dieser hochinteressante Schreibebrief lautet, in's Deutsche übersetzt, wörtlich:

»Mein lieber Sihdi!

Gnade und Gruß Gottes! Wir sind angekommen, ich und Omar. Freude und Glück überall! Geld! Panzer! Ruhm, Ehre, Wonne! Kara Ben Nemsi Emir sei Segen, Liebe, Andenken, Gebet! Hanneh, die Liebenswürdige, die Tochter Amscha's, der Tochter Malek's, des Ateïbeh, ist gesund, schön und entzückend. Kara Ben Hadschi Halef, mein Sohn, ist ein Held. Vierzig getrocknete Datteln verschlingt er in einem Athem; o Gott, o Himmel! Omar Ben Sadek wird heirathen Sahama, die Tochter von Hadschi Schukar esch Schamain Ben Mudal Hakuram Ibn Saduk Wesilegh esch Schammar, ein reiches und schönes Mädchen. Allah schenke Dir sehr gutes Wetter und schöne Witterung! Rih, der Hengst, grüßt sehr ergebenst und höflich. Omar Ben Sadek hat ein gutes Zelt und eine liebenswürdige Schwiegermutter. Heirathe auch bald! Allah beschütze Dich! Sei stets zufrieden und murre nicht! Ich liebe Dich! Vergiß das Siegel; ich habe weder ein Petschaft, noch Siegellack! Sei immer tugendhaft und meide die Sünde und das Verbrechen! Komme im Frühjahre! Sei immer mäßig, bescheiden, zuvorkommend, und fliehe die Betrunkenheit!

Voller Hochachtung, Ehrerbietung, Demuth und Anbetung Dein ehrlicher und treuer Freund, Beschützer und Familienvater

Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«


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