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Zwischen den bereits von mir angegebenen Längen- und Breitengraden liegt jene Inselgruppe, welche im Jahre 1606 von Quiros entdeckt und von dem berühmten Cook, der sie 1769 zuerst gründlich erforschte, zu Ehren der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaft zu London »Gesellschaftsinseln« genannt wurde.
Sie zerfallen in zwei Abteilungen: die Windwards- und die Leewardsgruppe, welche durch eine breite Straße getrennt werden. Zu der ersteren gehören Tahiti oder Otaheiti, welches die bedeutendste Insel des Archipels ist, Maitea, auch Osnabruc genannt, und Eumeo oder Moörea. Die Lewardsinseln sind Huahine, Raiatea, Taha, Borabora und Maurua oder Maupiti.
Diese ganze Inselgruppe ist vulkanischen Ursprungs, doch arbeiten die kleinen, fast mikroskopischen ›Baumeister des Meeres‹, die Pflanzentiere der Polypen, unausgesetzt an deren Vergrößerung, umgeben jede einzelne Insel mit scharfen, spitzen Korallenringen, an die sich neues Land ansetzen kann, und machen dadurch die Schiffahrt auf den Wasserstraßen, welche die Eilande trennen, zu einer sehr gefährlichen.
Der Gesamtflächenraum der Gesellschaftsinseln beträgt ungefähr vierunddreißig Quadratmeilen; das Land hat viele schöne Häfen, welche aber wegen den Korallenbarrieren und der dadurch entstehenden Brandung nur sehr schwer zugänglich sind. Der Boden der Inseln ist durchgehends reich und fruchtbar. Die Gebirge sind mit dichten Waldungen bedeckt und die Küstenebenen durch Bäche wohl bewässert, so daß die Vegetation eine außerordentlich üppige genannt werden muß und eine Fülle von Zucker- und Bambusrohr, Brotfruchtbäumen, Palmen, Bananen, Pisang, Platanen, Bataten, Getreide, Yams- und Arumswurzeln und anderen südländischen Gewächsen erzeugt.
Die Bewohner sind malaiisch-polynesischen Ursprunges, dunkel kupferfarbig (die Frauen meist etwas heller), gut und kräftig gebaut, gesellig, gastfrei und gutmütig. Sie leben in Monogamie, halten ihre Weiber in ziemlicher Eingezogenheit und lieben Musik, Tanz, Fechten und Wettfahrten auf ihren schnellen Booten leidenschaftlich.
Ursprünglich hingen sie einer polytheistischen Religionsform an, bei deren Ausübung selbst Menschenopfer nichts Ungewöhnliches waren. Ihre Priester, welche zugleich Aerzte und Wahrsager waren, übten einen ungemeinen Einfluß auf sie aus, dem allerdings schon zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts die von den Engländern hier gegründeten Missionen entgegenarbeiteten. Später sandte das katholische Frankreich seine Sendboten herüber, die unter Mühen und Beschwerden mit den Vorurteilen rangen, welche der Götzendienst dem sonst hochbegabten Menschenschlage eingeimpft hatte.
Die heilige Religion Christi wird oft unrechterweise angeklagt. Man sagt: »Die Gesittung hat ihren Barbarismus, das Licht seinen Schatten, die Liebe ihren Egoismus, und von dem Orte der ewigen Seligkeit aus kann man, wie das Gleichnis von dem reichen Manne und dem armen Lazarus lehrt, hinunter in die Hölle blicken, um die Qualen der Verdammten zu beobachten. Christi Liebe, Milde und Erbarmung predigende Lehre ist, vom unduldsamen Zelotismus auf die Spitzen der Schwerter gehoben und von einer schlau berechnenden Eroberungslust in das Panier genommen, über den größten Teil des weiten Erdenkreises gegangen; ganze Rassen und Völker sind verschwunden oder liegen noch jetzt in den letzten, wilden Todeszuckungen; die Geschichte hat durch solche Verluste für ihre zukünftige Entwickelung eine ganze Reihe wichtiger kulturhistorischer Kräfte und Momente verloren, und der Seelenhirt, welcher in die wilde Fremde geht, um die sogenannten Heiden zu bekehren, beachtet nicht, daß die letzteren nach ihren Bedürfnissen glücklicher sind als wir, und daß unter den korrumpierten Schichten der heimatlichen Nationen sein Wirken notwendiger wäre als unter den Andersgläubigen, die oft in paradiesischen Verhältnissen leben!« – Das ist ein gewaltiger Vorwurf, und es wäre allerdings mehr als beklagenswert, wenn er auf Wahrheit beruhte. Aber ist nicht die Rasse, die Nation, das Volk ebenso ein Individuum wie der einzelne Mensch, welcher geboren wird, sich entwickelt und wieder aus dem Leben tritt, wenn er seine Aufgabe gelöst hat? Schon der Neugeborene trägt die Vorbedingungen des einstigen Todes in allen Teilen seiner Konstitution und seines Organismus. Ebenso die gesellschaftliche Gesamtheit, sie mag heißen, wie sie will. Nicht die Bibel ist schuld, daß der Mensch sterben muß, ebensowenig wie der Koran oder die Wedas der Indier, und ebensowenig vermag es das Christentum, die Auflösung der Nationen zu verhindern. Die heilige Lehre von der Liebe und Vergebung wurde uns gegeben, den Tod zu überwinden durch die Vorbereitung und die Zuversicht auf eine bessere, höhere und ewige Zukunft, und gerade darum, weil der Tod und die Auflösung aller warten, die auf Erden wohnen, hat diese Lehre die hohe und berechtigte Aufgabe, »hinaus in alle Welt zu gehen« und die ganze Erde zu erlösen von der Furcht vor einem Ende, welchem kein neuer Anfang innewohnt. Nicht die Religion hat sich auf die Spitzen der Schwerter gestellt, sondern die Politik der Eroberer ist es gewesen, welche Blut säte, um – stets wieder Blut zu ernten. Die Kirche zählt zu ihren Gläubigen die starken Völker, welche die Vorsehung bestimmt hat, siegreich über den Erdkreis zu schreiten; aber die Kirche veranlaßt sie nicht zu diesem Triumphzuge, sondern sie folgt dem Zuge mit ihren Tröstungen, um den Haß in Liebe, den Schmerz in Freude zu verwandeln und den Fluch, welchen der Besiegte auf den Lippen trägt, in Segen umzukehren.
Es ist in dieser Beziehung viel über die Gesellschaftsinseln gesprochen und geschrieben worden. Als dieser Archipel entdeckt wurde, fand man in seinen Bewohnern ein kindlich naives und beinahe wunschloses Volk, dem eine reiche Natur alle zu einem zufriedenen und sorgenfreien Leben notwendigen Erfordernisse in verschwenderischer Weise verliehen hatte. Die Fremdlinge wurden mit freudiger Gastlichkeit aufgenommen, fast als Götter verehrt und erhielten alles, was ihr Herz begehrte. Sie brachten die Kunde davon in die Heimat, wo unter den Abenteurern der Wunsch nach gleichen Genüssen rege wurde. Es wurden Schiffe ausgerüstet; die Handelspolitik begann, ihre Pläne zu spinnen – – die Tahiter erhielten für ihre Gastfreundlichkeit die Laster und Krankheiten des Abendlandes zugeschickt und haben mehr die schlechten als die guten Eigenschaften derer angenommen, welche sich Christen nannten, ohne es ihrer Herzensgesinnung nach zu sein. Dieser letztere Umstand ist außerordentlich beherzigenswert. Allerdings muß die betrübende Tatsache zugestanden werden, daß die Tugenden der Tahiter seit ihrer Bekanntschaft mit den Europäern schwer gelitten haben; aber das Christentum der Schuld daran zu zeihen, heißt eine der schwersten Sünden begehen. Es ist nicht richtig, die heilige Kirche mit denen zu identifizieren, welche sich Christen nennen; die Christenheit zählt ihre größten Feinde in ihrer eigenen Mitte, und es ist tief zu beklagen, daß die Mission neben ihrer eigentlichen Aufgabe noch die traurige Arbeit zu übernehmen hat, dem unmoralischen Erbe entgegenzuwirken, welches in den Spuren der bloßen Namenchristen zurückzubleiben pflegt. – – – –
Tahiti, die ›Perle der Südsee‹, lag unter einem herrlichen, tief blauen Himmel; die Sonne glühte auf die blitzenden Wogen des Meeres und die bewaldeten Spitzen des Orohenaberges nieder oder funkelte in den Bächen und schmalen Kaskaden, welche von den malerisch aufstrebenden Klippen herabsprangen; aber ihre Glut erreichte nicht die freundlichen Ansiedlungen, welche im Schatten der Palmen und zahllosen Fruchtbäume lagen und von der frischen Seebrise angenehme Kühlung zugefächelt erhielten.
In dem linden, milden Luftzuge rauschten die langen gefiederten Wedel der Kokospalmen und raschelten die breiten, vom Winde ausgerissenen Blätter der Bananen zur Erde nieder; die abgeblühten Blumen der Orangen, deren Zweige aber trotzdem schon mit goldgelben Früchten bedeckt waren, tropften, wonnige Düfte verbreitend, von dem sich wiegenden Geäste herab. Es war einer jener zauberisch schönen, wunderbaren Tage, wie sie in so reicher Pracht und Herrlichkeit nur in den Tropen zu finden sind.
Und während das Land in all seiner paradiesischen Schönheit so jung und frisch, als sei es eben erst aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, dalag, donnerte draußen an den Korallenriffen die Brandung ihr tiefes, nicht endendes und nicht wechselndes Lied. Die Zeiten sind anders geworden, und mit ihnen die Menschen; die unendliche, stets wechselnde und doch sich immer gleichbleibende See ist noch dieselbe und schleudert noch heute wie vor Jahrtausenden ihre bald kristallenen, bald dunkel drohenden und mit weißem Gischte gekrönten Wogenmassen gegen die scharfen Dämme. Die von blitzenden Reflexen durch- und überschossenen Fluten hoben und senkten sich, als blickten Tausende von Najaden hinüber, wo über dem Schaume der Wellen immergrüne, wehende Wipfel sich erheben, unter denen ein dem allmählichen Untergange geweihtes Völkchen die letzten Pulsschläge seines individuellen Lebens zu zählen vermag, ohne die Widerstandskraft zu besitzen, welche die Todeszuckungen der amerikanischen Rasse dem weißen Manne so furchtbar und gefährlich macht.
Dort am Strande lag Papeete, die Hauptstadt Tahitis, und eine bunt bewegte Schar von Menschen wogte in weißen, roten, blauen, gestreiften, karierten oder geblümten langen Gewändern hin und her. Wie prachtvoll hatten sich die jungen, bildhübschen Mädchen das schwarze, lockige und seidenweiche Haar mit Blumen und dem künstlich geflochtenen, schneeweißen wehenden Bast des Arrowroot geschmückt; wie gewandt und stolz waren die Bewegungen der eingeborenen Stutzer, welche den bunten Parau oder die faltige Marra kokett um die Lenden geschlungen und darüber die Tebuta, das Schultertuch, malerisch über die Achsel geworfen hatten und so zwischen den Schönen umherstolzierten! Sie hatten die langen, fettglänzenden Locken mit Streifen ineinander geflochtener weißer Tapa und roten Flanells umwunden, was ihnen zu dem Teint ihrer bronzefarbenen Gesichter gar nicht so übel stand.
Da auf einmal drängte sich alles zu dem Ufer hin. Der Insel näherte sich ein Kanoe, in dessen weißes Segel sich die Brise voll gelegt hatte, so daß die beiden Darinsitzenden des Ruders nur bedurften, um das Fahrzeug in dem richtigen Kurse zu erhalten.
Das Kanoe war eines der hier gebräuchlichen, einfach aus einem Stamm gehauenen und mit einem runden Boden versehenen Boote. Durch diese Bauart vermag ein solcher Kahn rascher zu segeln, würde aber auch sehr leicht umschlagen, wenn er nicht durch einen sogenannten Outrigger (Ausleger) davor beschützt würde.
Diese Ausleger bestehen aus zwei quer und fest über das Kanoe befestigten Stangen oder Hölzern, die nach rechts hinaus einen leichten, kufenartig geschnittenen Balken, welcher parallel mit dem Kahne auf den Hölzern liegt, halten. Dieser schwimmt also, etwa vier Fuß von dem Rechtsborde des Kahnes entfernt, auf dem Wasser und ist mit einer Bastbandage fest an die Querhölzer geschnürt. Ein Umschlagen des Fahrzeuges, ja selbst ein Schaukeln wird dadurch zur Unmöglichkeit gemacht, denn dasselbe kann nicht nach links hinüber, weil es dann den ganzen, nahezu zwei Ellen abstehenden Balken aus dem Wasser heben müßte, und nach rechts ebensowenig, da sich der aus leichtem Holz bestehende Balken mit den Stangen und auf diese Entfernung hin nicht unter Wasser drücken läßt. Diese Kanoes fahren daher selbst bei unruhiger See außerordentlich sicher und zuverlässig. Freilich würde man sich ohne die Ausleger nur äußerst vorsichtig darin bewegen müssen, da der runde Boden der geringsten Neigung des Körpers folgt und man bei der kleinsten Schwankung nicht nur Gefahr liefe, umzukentern und ein unfreiwilliges nasses Bad zu erhalten, sondern diesen an und für sich kleinen Unfall mit dem Leben bezahlen könnte, da die Buchten und sonstigen Wasser dieser Inseln von Haien wimmeln, welche zu der gefräßigsten Art dieses unheilvollen Fisches gehören.
Die beiden Männer im Boote waren Potomba und ich.
Der Ehri hatte wirklich Wort gehalten, denn wir langten nach zwei nicht ganz vollen Tagen in Tahiti an, obgleich wir zu einem nicht unbedeutenden Umwege gezwungen gewesen waren. Der stetig wehende starke Passat hatte uns trefflichen Vorschub geleistet; Potomba verstand es ausgezeichnet, jede einzelne Woge zu benutzen, und da wir nicht ermüdeten, weil wir uns im Rudern ablösen konnten, so war unsere Fahrt eine ungewöhnlich rasche gewesen.
Jetzt nun lag die herrliche Insel vor uns, über welche ich so viel Wahres und so viel Unverständiges gelesen hatte; Papeete hob sich immer mehr hervor, je näher wir kamen, und endlich erkannten wir deutlich jeden einzelnen unter der Menge des Volkes, welches sich an den Strand drängte, um unser Fahrzeug zu beobachten.
Es fiel mir auf, daß eine solche Aufmerksamkeit sich auf unsern kleinen, unbedeutenden Kahn richtete, während es in dem Hafen doch noch ganz andere Objekte des Interesses gab. Ich ließ das Segel fliegen, um von der Brise nicht an die Korallen getrieben zu werden, denen wir uns näherten, und fragte:
»Siehst du die Leute, Potomba?«
»Ja, Sahib,« nickte er.
»Wie kommt es, daß man grad uns so beobachtet, während es doch viele Boote gibt, welche die Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten?«
»Die Männer und Frauen kennen mein Boot, und Potomba ist ein Ehri, berühmt unter den Leuten seines Volkes. Sitze still und halte dich fest, Sahib, denn wir stoßen jetzt in die Brandung!«
Wir näherten uns einer Seitenluke des Polypenringes, durch welche nur so kleine und schmale Fahrzeuge, wie das unserige, Eingang finden konnten. Ein Ruderschlag brachte uns in die Brandung; ihr kochender Wall riß uns empor, hielt uns einen Augenblick lang fest, so daß es schien, als schwebten wir in freier Luft, und schnellte uns dann in das ruhige Binnenwasser hinab.
Rechts von uns lag eine Reihe von Seeschiffen, welche durch die breitere Einfahrt Zugang gefunden hatten. Der Bau des einen kam mir bekannt vor, obgleich der Rumpf allein zu sehen und alles Segelwerk beschlagen war. Droben in den Wanten hing ein Mann, der diesen hohen Punkt gewählt zu haben schien, um besser nach der Stadt lugen zu können. Er trug einen mexikanischen Sombrero auf dem Kopfe, und dieser Rohrfaserhut hatte eine breite Krempe von so außerordentlicher Breite, als ob eine ganze Familie wimmelnder Peccaris darunter Schutz zu suchen hätte. Eine so ungeheuere Krempe wurde sicherlich nur auf besondere Bestellung hergestellt, und zu einer solchen Bestellung war nur ein einziger fähig, nämlich der sehr wackere und ehrenwerte Master Frick Turnerstick, mit dessen Barke ich vor etwelcher Zeit von Galvestone nach Buenos Aires gefahren war.
»Halte hinüber nach diesem Schiffe, Potomba!«
»Warum, Sahib?«
»Der Kapitän desselben muß ein Bekannter von mir sein.«
»So willst du mich schon jetzt verlassen und zu ihm gehen?«
»Ja, wenn ich den Mann dort nicht etwa verwechsele.«
»Sahib, das Schiff gehört den Yanki, die ich nicht liebe. Suche dir lieber ein Schiff der Franki oder der Germani aus!«
»Der Mann ist mein Freund!«
»Aber ich werde dich dennoch nicht zu ihm bringen.«
»Warum?«
»Du hast zu Potomba gesagt: ›Ich habe dich lieb!‹ Hast du die Wahrheit gesprochen?«
»Ich sage dir keine Lüge.«
»So bitte ich dich, mit nach Papeete in mein Haus zu gehen, um bis morgen auszuruhen. Du müßtest lange bei mir bleiben, viele Tage, viele Wochen, aber du hast den Deinen versprochen, schnell zurückzukehren, und darum darf ich dich nur bis morgen früh behalten.«
»Ich würde bei dir bleiben, solange es mir meine Zeit erlaubt, Potomba; aber wenn der Kapitän dort sich bereit finden läßt, die Meinen zu holen, und gleich absegeln kann, so muß ich mit ihm gehen.«
»Er kann nicht eher fort als morgen. Die Flut hat jetzt begonnen; er muß die Ebbe abwarten, welche erst am Abend kommt, wo es so dunkel ist, daß er sich nicht durch die Klippen wagen darf.«
»Das ist wahr; er müßte also die zweite Ebbe erwarten, könnte sich aber auch während der Flut von einem Dampfer hinausbringen lassen.«
»Du vergissest, daß ein so großes Schiff vieler Zeit und Arbeit bedarf, um für die See fertig zu werden!«
»Und du weißt nicht, wie schnell die Yanki sind, diese Arbeit zu vollbringen!«
»Und doch wird Zeit vorhanden sein, daß du wenigstens nur eine Stunde mit mir kommen kannst!«
»Das ist allerdings sehr wahrscheinlich.«
»So versprich mir wenigstens, mich nicht allein nach Papeete zu lassen!«
»Ich verspreche es!«
»Ich danke dir, Sahib! Potai, mein Bruder, wird sich freuen, daß ich einen Freund gefunden habe, der ein Germani ist.«
Wir hielten seitwärts nach dem Stern der Barke zu, und als wir näher kamen, bemerkte ich, daß ich mich allerdings nicht geirrt hatte. Ich erkannte die dort in großen, deutlichen Buchstaben angebrachte Inschrift › The wind‹. Der Mann in den Wanten kehrte uns den Rücken zu und bemerkte also unser Nahen nicht. Als wir das Steuerbord des Schiffes beinahe erreicht hatten, legte ich die Hände an den Mund:
»Schiff ahoi – ih!«
Er drehte sich herum und fixierte uns.
»Ahoi – ih – –! Was – wo – ? Huzza! Wer ist denn das? Legt an, legt an das Tau!«
Er kletterte zum Deck mit einer Geschwindigkeit nieder, welche mich überzeugte, daß er mich erkannt hatte. Wir befestigten das Boot an das Tau, welches an der Seite des Schiffes niederhing. Ich ergriff dasselbe und schwang mich empor. Kaum hatte ich mich über die Regeling Schiffsgeländer, auch Reling genannt. geschwungen, so warf der Kapitän seine beiden Arme um mich und drückte mich mit einer Gewalt an seine teerduftende Jacke, daß mir der Atem schwinden wollte.
»Charley, old friend, Ihr hier zwischen diesen Inselklexen? Wie kommt Ihr nach Australien? Wie kommt Ihr nach Tahiti und Papeete? Ich denke, Ihr seid noch immer drüben in Amerika!«
»Zu Schiffe, zu Schiffe komme ich her,« lachte ich; »anders ist es ja nicht gut möglich, mein lieber Master Turnerstick. Aber bitte, nehmt doch einmal Eure Pranken von meinem Leibe, wenn Ihr es nicht geradezu darauf abgesehen habt, mir die Seele aus der Haut zu drücken!«
» Well,ganz wie Ihr wollt, Charley! Der Passat würde sie mit fortnehmen und nach China oder Japan treiben, wo man gar nicht wüßte, was man mit ihr machen sollte. Behaltet sie also lieber und sagt mir nun endlich, was Ihr eigentlich in diesen Breiten wollt!«
»Land und Leute kennenlernen, wie gewöhnlich!«
»Wie gewöhnlich? Hm, mir scheint das doch mehr ungewöhnlich. Da dampft, fährt, reitet, läuft, hetzt und springt dieser Mensch in der Welt herum, weil er Land und Leute kennenlernen will! Land und Leute! Eine freie, offene See ist mir lieber als alles Land, was Ihr zu sehen bekommt, und die Leute, na, meine paar Jungens hier sind mehr wert als alle die Schlingels, die Ihr ›Leute‹ zu nennen beliebt. Bleibt bei mir an Bord und fahrt mit meinem guten ›Wind‹ hinüber nach Hongkong und Kanton!«
»Nach Hongkong geht Ihr? Das ist prächtig! Ich gehe mit!«
»Wirklich? Hier meine Hand; schlagt ein!«
»Topp! Doch mache ich eine Bedingung!«
»Oho! Bei mir an Bord gibt es keine Bedingungen, das wißt Ihr wohl!«
»So steige ich wieder in mein Boot, Kapt'n.«
»Das wäre der albernste Streich, den Ihr in Eurem Leben begangen hättet, und vor dem ich Euch bewahren muß. Sagt also Eure Bedingung! Ich hoffe, daß ich sie erfüllen kann.«
»Ihr müßt meine Kameraden mitnehmen.«
»Welche Kameraden?«
»Den Kapitän Roberts vom ›Poseidon‹ mit seinen Mannen.«
»Roberts? Poseidon? Ist das Schiff und der Mann nicht von New York?«
»Ja. Wir wollten von Valparaiso nach Hongkong, litten aber auf einer der ›gefährlichen Inseln‹ Schiffbruch. Roberts hat mich nach Tahiti geschickt, um einen Kapitän zu suchen, welcher bereit ist, uns an Bord zu nehmen.«
»Das wird jeder brave Kapitän tun, Charley, und ich freue mich, daß Ihr zuerst zu mir gekommen seid! Ich kenne diesen Roberts; er ist ein ganz passabler Mann, doch scheint er mir in diesen schwierigen Gewässern nicht sehr befahren zu sein. Ein Sturm hier hat schon etwas mehr zu bedeuten als anderswo, aber wenn er das Steuer mit einem guten Troß Ein dickes Tau fest angesorrt hätte, so wäre es ihm möglich gewesen, etwas weiter nach Nord über die Nukahiwa-Inseln zu halten, und von einem Schiffbruche wäre keine Rede gewesen. Wo seid Ihr denn gestrandet?«
»Die Insel ist uns unbekannt. Sie liegt auf dem zweihundertneununddreißigsten Grad im Osten von Ferro und auf dem zweiundzwanzigsten Grade südlicher Breite.«
»Schön; wird wohl zu finden sein! Ist das Schiff sehr wrack?«
»Es ist nicht von den Klippen zu bringen. Wenn Ihr hinkommt, hat die Brandung es vielleicht bereits verschlungen.«
»Hattet Ihr viele Seegasten?« Passagiere
»Ich war der einzige.«
»Wie viele Marsgasten Matrose sind gerettet?«
»Alle.«
»Hm, dann wird es notwendig sein, mehr Proviant einzunehmen. Wurde etwas von der Ladung geborgen?«
»Der größte Teil. Es sind meist wollene und baumwollene Zeuge und ein ziemliches Lager von Stahl- und Eisenwaren.«
»Dann ist es ein Glück, daß ich hier löschte, ohne bis jetzt etwas Neues einzunehmen. Kapitän Roberts wird es natürlich sehr eilig haben, aber vor der Morgenebbe können wir unmöglich fort. Wer ist der Bursche hier?«
Er deutete auf Potomba, welcher mir bis an Deck gefolgt war und aus der Entfernung unsere Unterredung beobachtete.
»Ein Ehri von Tahiti. Er wohnt in Papeete und heißt Potomba.«
»Alle Wetter, ein Fürst! Wie kommt Ihr zu dem Manne?«
»Er kam, verfolgt von einer ganzen feindlichen Flottille nach unserer Insel und gab mir einen Platz in seinem Boote.«
»Also ein förmliches Abenteuer! Wer waren seine Feinde?«
»Ihr Anführer ist ein heidnischer Priester aus Eimeo; Potomba heiratete dessen Tochter und ließ sich von einem katholischen Missionär taufen.«
»Ah! Ihr habt doch die Schlingel tüchtig heimgeleuchtet? Das versteht Ihr ja aus dem Fundamente, Charley!«
»Sie sind uns alle entkommen. Mein Feldzugsplan scheiterte an dem Ungeschick des Steuermanns. Also Ihr seid bereit, uns Euern ›Wind‹ zur Verfügung zu stellen?«
»Natürlich! Morgen früh mit der Ebbe stechen wir in See. Jetzt aber kommt zur Kajüte; wir müssen doch einmal sehen, wie sich meine Flaschen unter der Linie gehalten haben!«
»Einen Trunk zum Willkommen darf ich Euch natürlich nicht abschlagen, aber feststauen kann ich mich noch nicht. Ich habe Potomba versprochen, mit ihm an das Land zu gehen, und er wird ungeduldig sein, sein Weib und seinen Bruder wiederzusehen.«
»Dann trinkt er mit, und Ihr erlaubt mir, Euch zu begleiten. Ich habe am Lande Geschäfte.«
Potomba mußte mit zur Kajüte, wo uns der gute Master Frick Turnerstick mit seiner besten Sorte regalierte. Dann stiegen wir zu dreien in ein Boot der Barke, welches das Kanoe des Ehri in das Schlepptau nahm, und ruderten an das Land.
Je näher wir demselben kamen, desto aufmerksamer wurden die Züge Potombas. Er schien etwas zu bemerken, was seine Achtsamkeit im höchsten Grade in Anspruch nahm. Er sah meinen fragenden Blick und streckte den Arm aus.
»Siehst du die Kähne dort, Sahib?«
Grad vor uns lag eine große Anzahl geschmückter Boote, eines neben dem andern, an dem Ufer. Das mittelste von ihnen zeichnete sich durch buntes Wimpelwerk und allerlei Blumen und Blätterzierde vor den übrigen aus.
»Ja,« antwortete ich. »Was ist mit ihnen?«
»Siehst du auch das Boot mit den Fahnen und Girlanden?«
»Allerdings. Warum fragst du?«
»Zu beiden Seiten seiner scharfen Brust sind die Worte › Mata ori‹ Zu deutsch: »Auge des Tages« (die Sonne) eingeschrieben. So nannte ich Pareyma, als ich sie lieben lernte, und so nannte ich auch das Boot, welches ich ihr zu Tamai auf Eimeo bauen ließ, damit mich Anoui mit demselben abholen könne an dem Tage, an welchem ich sie zum Weibe nahm, um sie in mein Palmenhaus zu führen. Ich kenne das Boot genau; sein Ausleger ist nicht mit Bast, sondern mit eisernen Stocknägeln befestigt, und heut ist es geschmückt grad wie damals, als ich es als Bräutigam betrat. Es muß auf Eimeo eine Hochzeit sein, und Anoui hat es dem Vater des Mädchens geliehen, damit der Bräutigam in demselben abgeholt werde.«
Es spiegelte sich in seinen schönen, offenen Zügen eine Unruhe ab, für welche ich kein Verständnis hatte. Die Erinnerung hätte ihn ja beglücken, nicht aber beunruhigen sollen.
»Und siehst du den Mann im Boote?« fuhr er fort. »Es ist Ombi.«
»Wer ist Ombi?«
»Der Diener des Priesters; doch liebt er mich mehr als ihn. Er hat Pareyma auf den Armen getragen, als sie noch ein Kind war, und sie behütet, seit ihre Mutter gestorben ist.«
Der Diener, welcher uns beobachtete, schien Potomba zu erkennen, denn er erhob sich mit freudiger Miene, setzte sich aber sofort wieder nieder und legte die Hände vor das Gesicht.
Der Sand des Ufers knirschte unter dem Kiele unsers Bootes, und wir sprangen an das Land. Potomba trat zu der › Mata ori‹.
»Ombi!« redete er den Diener an.
Der Diener regte sich nicht.
»Ombi!«
Als auch jetzt noch keine Antwort erfolgte, sprang er in das Boot und ergriff den greisen Polynesier bei der Schulter.
»Ombi, warum antwortest du nicht?«
Der Diener nahm die Hände vom Gesichte und blickte ihn an. In seinen Augen glänzten zwei Tränen.
»Hat der Schmerz Worte, Potomba?« fragte er.
»Welcher Schmerz?«
»Daß du abgefallen bist von Atua, dem Gott alles Guten, und hingegangen zu dem Mitonare.«
»Das schmerzt dich jetzt? Hast du mir nicht oft gestanden, wenn ich dir heimlich von dem Messia erzählte, der das Lamm Gottes ist, daß dir der höchste Sahib Jesu lieber sei als Atua, der Gott von Tahiti, der niemals gekommen ist, um Kranke zu heilen, Tote zu erwecken und für unsere Sünden zu sterben?«
»Das habe ich gesagt, Potomba, und das sage ich auch noch jetzt. Aber ich bin der Diener eines Priesters, dem ich gehorchen muß, und darf nicht sagen, was ich denke.«
»Du darfst sagen, was du denkst und glaubst. Verlaß den Priester des falschen Gottes, und komme zu mir! Du liebst Jesu, den Nazari; du liebst auch mich und Pareyma. Warum willst du nicht bei uns sein? Warum weinst du, wenn du mich erblickst? Du hast es doch bisher noch nie getan!«
»Ich weine, weil ich gerne bei dir sein möchte und es doch nicht kann.«
»Warum kannst du es nicht?«
»Weil ich Pareyma nicht verlassen mag, die meiner bedarf.«
»Pareyma? Wenn du zu mir kommst, bist du ja bei ihr!«
»Nein!«
Ich sah den Schreck, der die dunklen Züge Potombas jäh erbleichte. Er stockte und ließ seinen angstvollen Blick über die Umgebung gleiten. Die am Strande Spazierenden waren herbeigekommen und beobachteten ihn mit teilnahmsvollen Augen aus der Ferne. Er mußte dies bemerken und noch mehr ahnen als ich, daß ihn während seiner Abwesenheit etwas Schweres betroffen habe. Unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem scharfen Kris Dolch, welcher in seiner Schärpe stak, und zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor fragte er beinahe zischend:
»Wo ist Pareyma?«
»Gehe heim, und frage. Ich darf es dir nicht sagen!«
Potomba trat einen Schritt zurück. Seine Augen funkelten, und seine Lippen zuckten.
»Ombi, wo ist Pareyma? Hörst du, ich frage dich!«
Der Diener senkte traurig das Haupt und wiederholte:
»Gehe nach Hause, und frage!«
»Ombi, du schweigst noch immer? Gut, ich werde gehen, aber wer Pareyma ein Leid getan hat, der ist verloren!«
Er ging. Wir beide folgten ihm. Die versammelte Menge machte ihm ehrerbietig und teilnahmsvoll Platz. Er sprach kein Wort; er blickte sich nur ein einziges Mal um, um zu sehen, ob wir noch bei ihm seien. Der Weg führte eine Strecke um Papeete herum, bis wir ein Gebäude erreichten, welches sich durch seine Größe und den Umfang der zu ihm gehörigen Brotfruchtbaumpflanzungen auszeichnete.
»Kommt!« sagte er kurz und trat ein.
In dem vorderen Raume des Hauses saß auf einer Matte ein junger Mann, welchen wir infolge seiner Aehnlichkeit mit Potomba sofort als dessen Bruder erkannten.
»Potai!«
»Potomba!«
Der Sitzende sprang auf und streckte die Arme aus, als wolle er den Kommenden umfangen, trat aber wieder zurück und ließ die Arme sinken.
»Was ist mit dir, Potai? Bin ich nicht dein Bruder?«
Der Gefragte deutete nieder, wo neben der Matte in der Erde ein Dolch stak.
»Ich habe den Kris in die Erde versenkt, bis du kommst, Potomba; ich habe geschworen, dich nicht zu berühren, bis der Tod der Mutter gerächt ist!«
»Der Tod der Mutter? Sprich, Potai, sprich schnell, schnell! Wo ist Pareyma?«
»Fort.«
»Fort! Wohin?«
»Nach Eimeo zu ihrem Vater, dem Priester der Heiden.«
»Freiwillig?«
»Freiwillig! Ich fuhr hinüber nach Maitea, und als ich zurückkehrte, war sie fort. Die Mutter hat sie halten wollen und mit ihr gekämpft. Potomba, dein Weib ist zu den Götzen zurückgekehrt und hat deine Mutter getötet!«
»Womit?«
»Mit ihrem Kris. Ich zog ihn aus dem Herzen der Mutter; er war noch blutig; hier steckt er in der Erde!«
Der Ehri bückte sich nieder und zog den Dolch heraus.
»Das ist nicht Pareymas Messer; das ist der Dolch des Priesters Anoui!« stieß er hervor.
»So hat er sie geholt, und er ist der Mörder.«
»Und wirklich freiwillig ist sie mit ihm gegangen?«
»Ich habe keine Spur eines Kampfes zwischen ihr und ihrem Vater bemerkt. Sahst du die Kähne und dein mata ori?«
»Ja. Was hat die Flotte zu bedeuten?«
»Und kennst du auch Matemba, deinen Todfeind?«
»Du fragst, als sei ich ein kleiner Knabe!«
»Du kehrst zur rechten Zeit zurück. Anoui, der Priester und Vater deines untreuen Weibes, ist gekommen, um Matemba abzuholen. Es ist Hochzeit in Tamai, und Matemba wird heute der Mann deiner Frau!«
Potomba trat an die Oeffnung, welche als Fenster diente. Er mußte Luft haben, wenn er nicht ersticken sollte. Die beiden Brüder hatten sich bisher gar nicht um uns gekümmert. Der Kapitän flüsterte mir zu:
»Ihr scheint die Sprache dieser Leute zu verstehen. Was geht hier vor? Es scheint nichts Gutes zu sein.«
»Es ist fürchterlich!« antwortete ich. »Man hat die Mutter des Ehri getötet, und sein Weib wird heute mit einem heidnischen Manne getraut.«
»Zum Henker! Das gibt Mord und Totschlag!«
»Diese beiden Männer sind Christen!«
» Pshaw! Auch unter den christlichen Polynesiern erbt die Blutrache fort. Ihr werdet es erfahren!«
Jetzt wandte sich Potomba wieder zurück. Seine Züge waren wie versteint, und in seinen Augen glühte ein düsteres Feuer.
»Potai, was hast du bisher getan?«
Der Ehri nickte zustimmend; er schien den Plan seines Bruders sofort zu erraten.
»Auch die Boote, welche ich dir von den Tubuai-Inseln sandte, als mich Anoui verfolgte?«
»Ja. Wir gehen nach den Ländern Samoa.«
»Du hast recht getan. Bist du bereit?«
»Ich wartete nur auf dich!«
Potomba wandte sich zu mir:
»Das Schiff dieses Sahib holt deine Freunde?«
»Ja.«
»Wohin fährt es dann?«
»Nach dem Lande der Chinesi.«
»So geht euer Weg an den Ländern Samoa vorüber, die ihr die Schifferinseln nennt. Dorthin wollen wir. Dürfen wir mit euch fahren?«
Ich verdolmetschte diese Frage dem Kapitän.
»Ich bin bereit, sie mitzunehmen. Also verkauft haben sie alles?« antwortete er. »Es scheint doch, daß Ihr recht habt, Charley; das Christentum hat aus den Tigern Lämmer gemacht, welche die Flucht ergreifen, statt sich zu rächen!«
»Oh, Kapt'n, blickt diese Leute an! Sehen sie aus wie Lämmer?« – Ich gab Potomba die erwünschte Auskunft: »Ihr könnt mitfahren.«
»Wann geht das Schiff aus dem Hafen?«
»Bei Beginn der Ebbe, nächste Nacht.«
»Darf mein Bruder hingehen, um unsere Habe hinzubringen?«
Auch hierzu gab der Kapitän seine Erlaubnis.
»Potai, du bist der Jüngere; du wirst mir gehorchen?« fragte der Ehri.
Der Gefragte nickte.
»Du wirst alles, was unser ist, auf das Schiff bringen, welches ich dir zeige!«
»Drei Matten voll besitzen wir.«
»Du bleibst gleich dort, bis ich zurückkehre!«
»Nein, Potomba. Habe ich nicht auch einen Kris?«
»Erst kommt mein Kris, und nur erst dann, wenn ich sterben sollte, der deinige. Du kannst mich dann rächen, anstatt mit zu sterben!«
»Ich gehorche dir!«
»So komm, Sahib! Ich wollte euch Gastfreundschaft erweisen, aber ich bin ohne Haus geworden.«
Wir kehren an den Strand zurück. Potomba zeigte seinem Bruder die Barke, und dieser entfernte sich, ohne ein Wort zu sprechen.
»Was willst du tun, Potomba?« fragte ich.
»Glaubst du, daß Pareyma mir untreu ist?«
»Ich weiß es nicht, denn ich habe sie nicht gekannt.«
»Aber ich kenne sie. Sie hat ihren Dolch; sie ist mutig und tapfer; sie wird sterben, aber nicht mit Matemba gehen. Ich werde sie von ihm und von dem Tode erretten!«
»Du willst Anoui töten?«
»Ja.«
»Er ist der Vater deines Weibes!«
»Er ist der Mörder meiner Mutter!«
»Du bist ein Christ!«
»Er ist ein Heide!«
»Weißt du, was der höchste Sahib Christus befiehlt? Vergebet, auf daß auch euch vergeben werde!«
»Ich gehorche ihm, denn ich werde Anoui vergeben, nachdem ich ihn getötet habe.«
»Das ist nicht der rechte Gehorsam, Potomba. Ich meine, daß – – –«
Er unterbrach mich mit einer ungestümen Handbewegung.
»Du bist Christ, seit du lebst, Sahib, ich aber bin es erst seit kurzer Zeit. Später werde ich auch sein wie du. Wolltest du nicht meine Verfolger töten, wenn sie nicht entflohen wären, sondern mich angegriffen hätten?«
»Ich hätte sie getötet, weil du keine andere Hilfe hattest!«
»Nun wohl! Sie haben den Tod verdient, und ich habe auch hier in Papeete keine Hilfe. Oder soll ein Ehri um Gerechtigkeit bei den Ingli und Frankli bitten? Geh mit deinem Freunde; ich komme auf das Schiff, wenn es den Hafen verläßt. Und wenn ich dann noch nicht zurück bin, so mag mein Bruder an das Land zurückkehren und mich rächen!«
»Willst du nicht das Grab deiner Mutter besuchen, ehe du gehst?« fragte ich, vielleicht um Zeit zu gewinnen, vielleicht auch aus Teilnahme für sein Geschick.
»Weißt du nicht, daß das Grab eines Menschen tabu Heilig, gefeit, unberührbar ist? Darf ich ihr Grab sehen, ohne ihrem Geiste sagen zu können, daß ihr Mörder zu seinem Oro, den wir Christen Teufel nennen, gegangen ist? Pareyma ist mein Weib; sie wollte sich nicht noch einmal von dem Mitonare mit mir trauen lassen, um ihren Vater nicht zu erzürnen; sie ist seinetwegen eine Heidin geblieben, obgleich sie im Herzen an den guten Bapa im Himmel glaubt. Darum hat Anoui noch Macht über sie. Er ist zu ihr gekommen, und sie hat ihm folgen müssen; ich aber werde sie mir wieder holen, Joranna Lebe wohl, Sahib, joranna!«
»Ich sage nicht joranna, sondern ich gehe mit dir!«
»Du willst mich hindern?«
»Nein, ich will deine Gefahr teilen!«
»So hast du mich wirklich lieb, Sahib! Komm!«
Ich gab dem Kapitän die nötige Aufklärung. Der in allen Abenteuern zu Lande höchst behutsame und vorsichtige Master Frick Turnerstick riet mir ernstlich ab; mir aber war es unmöglich, Potomba zu verlassen; meine Nähe konnte ihm doch vielleicht von Nutzen sein. Der Seemann ging zur Stadt, und ich schritt mit dem Ehri am Strande hin. Sein Auge suchte unter den hier befindlichen Booten, bis er eines gefunden hatte, welches größer war als das seinige. Es vermochte wohl vier Personen zu fassen.
Draußen am westlichen Horizonte erglänzten die weißen Segel der Hochzeitsflottille, welche seinen Todfeind nach Eimeo trug. Als sie verschwunden waren, stieg er ein, nachdem er in dem Sande ein Zeichen gemacht hatte, welches wohl dem Besitzer des Bootes gelten sollte. Ich sprang ihm nach, legte die Gewehre weg und griff nun zum Ruder. Er hißte das Segel; die Brise legte sich sofort kräftig ein, und wir flogen über das ruhige Wasser des Hafens hin, verfolgt von den Blicken derer, welche an dem Ufer standen.
Wir folgten der Flottille nicht direkt, sondern fuhren, als wir über die Korallen hinaus waren, erst an der Küste von Tahiti hin und nahmen dann geraden Kurs auf Eimeo hin. Ich mußte natürlich Potomba die Leitung des Bootes überlassen. Er landete an einer einsamen Stelle, wo sich ein wildes Pisanggestrüpp bis hart an das Wasser erstreckte. Hier legten wir die Segelstange um und zogen das Boot mit allerdings nicht geringer Anstrengung unter ein Blätterversteck. Dann drang Potomba durch das Gestrüpp vorwärts, und ich folgte ihm.
Wir erreichten eine Brotfruchtpflanzung, die uns gute Deckung gewährte, und bald gelangten wir zu einer Anhöhe, von welcher aus wir das ganz nahe gelegene Tamai überblicken konnten. Wir bemerkten sogleich, daß sich der Ort in außerordentlicher Bewegung befand. Am Strande des Meeres lagen die Boote der vor uns angekommenen Flottille; vor einem durch seine Größe sich auszeichnenden Hause, bis an dessen hintere Wand sich ein Bambusfeld zog, bewegte sich eine große Menge Menschen, und nicht weit von uns, grad unter der Berglehne, an welcher wir lagen, stand ein mit Palmenblättern und Blumen geschmückter Altar, dessen Hintergrund zwei Götzenbilder, jedenfalls den Atua und den Oro bedeutend, einnahmen und an welchem vermutlich die Zeremonie vor sich gehen sollte.
»Was wirst du tun, Potomba?« fragte ich den Ehri.
»Ich werde warten, bis sie am Altare stehen, und mir dann Pareyma holen.«
»Das wird dir nicht gelingen.«
»So hole ich sie vom Boote, wenn Matemba mit ihr nach Hause fährt.«
»Wann wird dies geschehen?«
»Heut grad um Mitternacht; so gebietet es die Lehre der Götzendiener.«
»Wem gehört das große Haus da drüben?«
»Es ist das Eigentum des Priesters.«
»Welche Gemächer bewohnen die Frauen?«
»Pareyma war stets hinten nach der See zu.«
»Hat sie noch die Mutter oder Schwestern?«
»Nein. Ihre Mutter ist längst tot; sie ist das einzige Kind des Priesters.«
»Man wird sie zur Hochzeit schmücken?«
»Ja, und dann läßt man die Braut allein, damit sie mit den Göttern sprechen soll.«
»Der Priester weiß, daß du heut zurückgekehrt bist!«
»Niemand. Siehst du nicht den Mann, welcher zwischen dem Hause und dem Bambus auf und ab geht? Er hat eine Keule in der Hand und soll dein Weib bewachen. Das ist ein Zeichen, daß sie gezwungen worden ist und nicht freiwillig nach Eimeo ging.«
»Ich wußte es! Der Ehri von Tahiti fürchtet die Leute von Eimeo nicht; er wird sein Weib öffentlich zurückverlangen!«
Ich kannte die hiesigen Verhältnisse nicht und hielt es also für das beste, ihn seinen eignen Entschlüssen folgen zu lassen, doch nahm ich mir vor, ein wenig zu rekognoszieren. Der Präriejäger regte sich in mir; ich legte meine Gewehre neben Potomba hin, benachrichtigte ihn von meinem Vorhaben und schlich mich an der Seite des Berges hinab bis an das Bambusfeld. Hunde oder andere Vierfüßler hatten schmale Bahnen durch dasselbe getreten. An der Erde fortkriechend, bewegte ich mich auf einem solchen Pfad vorwärts und gelangte so ganz unbemerkt in die nächste Nähe des Hauses. Da ertönte eine halblaute, liebliche Frauenstimme:
»
Te uwa to te malema,
Te uwa to hinarro – –«
Das Wölkchen in dem Monde, Das Wölkchen liebe ich –«
Es war jene rührende Liebesklage, welche ich früher von den Frauen und Mädchen der Pelew-Inseln hatte singen hören, und es ahnte mir, daß die Sängerin keine andere sei als Pareyma. Sofort regte sich das Verlangen in mir, mit ihr zu sprechen. Dieses Wagnis konnte zwar unangenehm für mich ausfallen, aber ich hatte mein Messer und die Revolver bei mir, und für den braven Ehri konnte man sich schon einer kleinen Gefahr aussetzen.
Ich schob mich also vollends bis an den Rand des Feldes. Der Posten kam herbei und ging, ohne mich zu bemerken, obgleich es am hellen Tage war, an mir vorüber. Im Nu stand ich hinter ihm und schlug ihm die Faust so auf den unbedeckten Schädel, daß er besinnungslos zur Erde sank. Jetzt trat ich an die Bambuswand des Hauses, hinter welcher die Stimme erscholl. Ich mußte einige Minuten lang suchen, ehe ich eine kleine defekte Stelle bemerkte, durch welche ich in das Gemach blicken konnte.
Wenn das junge Weib, welches ich erblickte, wirklich Pareyma war, so konnte ich die Liebe begreifen, welche Potomba für sie hegte. Sie stand jetzt nach beendetem Gesange mitten in dem Raume, und ein unaufhaltsamer Tränenstrom floß ihr über die Wangen. Sie war eine schlanke, edle Gestalt, noch voll Jugendfrische, wie man trotz des Herzeleides sah, welches ihren Körper erbeben machte. Ihre schönen, dunklen Augen waren umflort, ihre scharf geschnittenen Brauen fest zusammengezogen und ihre feinen Lippen geschlossen. Nicht eine einzige Blume oder irgendein Tand war in ihren Haaren oder an ihrer Gestalt zu bemerken; ja, sie schien sogar die Kleidung und die Stoffe verschmäht zu haben, welche man den Europäern ablauscht und abtauscht, um die äußere Erscheinung vermeintlich zu verschönern. Ein Parau von weicher, gelbbrauner Tapa, der ihr nur wenig über die Knie herabreichte, umschloß ihre Hüften, und ein Tehei von demselben Stoffe verhüllte als Ueberwurf ihre Schultern samt dem Oberkörper. Ihr rabenschwarzes Haar hing ihr voll, lang und lockig am Nacken hernieder, mit keiner Blüte besteckt und von keiner wehenden Faser Arrowroot gehalten. Sie war ja selbst eine Blume, welche man hinweggerissen hatte von dem Orte, an welchem sie am schönsten hatte blühen dürfen.
Ich bemerkte, daß sie den Eingang durch einen Baststreifen fest verschlossen hatte, trat zwei Schritte von der Wand zurück und rief halblaut:
»Pareyma!«
Das Schluchzen verstummte; sie hatte mich gehört.
» Mata ori, erschrick nicht; Potomba ist in der Nähe!«
Ein halb unterdrückter Jubellaut ertönte von innen.
»Wer bist du?« hörte ich dann fragen.
»Ein Freund des Ehri. Willst du Matembas Weib werden?«
»Nein. Ich habe meinen Dolch und werde mich töten, wenn ich keine Rettung finde.«
»So bist du Potomba treu geblieben?«
»Ja. Der Vater kam und zwang mich, mit ihm zu gehen.«
»Wer hat die Mutter des Ehri erstochen?«
»Der Vater; sie wehrte sich gegen ihn.«
»Liebst du ihn.«
»Nein. Ich habe ihn geliebt; jetzt liebe ich ihn nicht mehr!«
»Du wirst gerettet werden. Tue alles, was dein Vater von dir verlangt. Wenn es uns nicht eher gelingt, so retten wir dich auf der Heimfahrt nach Tahiti.«
Da erscholl auf der andern Seite des Hauses ein Tamtam; ich trat zu dem Bewußtlosen und legte einen Stein neben seinen Kopf. Steine von ähnlicher Größe lagen auf dem Dache, um dasselbe vor dem Wind zu schützen; es konnte einer derselben herabgerollt sein und den Wächter getroffen haben. Dann kehrte ich auf dem angegebenen Wege wieder zu Potomba zurück.
Er hatte von der Anhöhe aus jede meiner Bewegungen beobachten können und erwartete mich mit sichtlichem Verlangen. Ich erstattete ihm ausführlichen Bericht und wurde beinahe selbst hingerissen von dem Entzücken, welches derselbe in ihm hervorrief.
Jetzt mischten sich in den Klang der Trommel die Töne zahlreicher Flöten; jedenfalls sollte die Zeremonie beginnen. Pareyma wurde aus dem Hause gebracht, und hinter ihr setzte sich ein langer Zug in Bewegung.
»Siehst du Matemba an ihrer Seite, Sahib?« fragte Potomba.
»Ich sehe ihn.«
»Er war mit unter meinen Verfolgern. Ori wird ihn heute nacht verschlingen. Ich werde hier niemanden ein Leid tun, aber während du mit meinem Weibe sprachst, habe ich hier beschlossen, wie ich Pareyma wieder erhalte. Ich bin ein Christ, du hast recht, und dieser Kris soll von keinem andern Blute gerötet sein als von dem Blute meiner Mutter; dennoch sollen sie sterben, aber nicht von meiner Hand!«
Der Zug kam bei dem Altare an, welchen Anoui, der Priester, bestieg, um seine Rede zu beginnen; da verließ mich Potomba und verschwand seitwärts in den Sträuchern. Ich schob mich nun durch dieselben so weit wie möglich vor, um den unter mir liegenden Hang bequem beherrschen zu können. Vor dem Priester standen Matemba und Pareyma; die Tamtams und Pfeifen machten einen ohrenzerreißendem Lärm, welcher auf ein Zeichen des Priesters schwieg. Seine Rede bestand in Schmähungen gegen das Christentum, für welche ich ihm am liebsten eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte; dann kamen Verwünschungen des abtrünnig gewordenen Ehri, und endlich griff er hinter sich und nahm von dem Altare einige Schädelknochen, welche er Matemba entgegenhielt.
»Lege deine Hand auf diese Schädel, welche den Köpfen deiner Voreltern angehörten, und schwöre: Eita anei oe a faarue i ta oe vatrina?« »Willst du niemals dein Weib verlassen?« Dies ist die heidnische Formel, auf welche der Bräutigam mit » Eita« (nein!) zu antworten hat. Ist dies geschehen, so gilt die Ehe für geschlossen.
Noch hatte Matemba nicht sein › Eita!‹ gesprochen, als sich Potomba durch die Menge der Zuhörer drängte und vor dem Altare erschien.
»Sei gegrüßt, Anoui, du Vater meines Weibes!« rief er aus. »Sie ist, als ich nicht daheim war, zu dir gekommen, und ich folge ihr nach, um sie mir wieder zu holen.«
Es entstand eine lautlose Stille. Der Priester streckte abwehrend beide Arme aus und rief:
»Diese Stätte ist heilig; weiche von ihr und uns, Verräter!«
Potomba blieb ruhig. Er legte die Hand auf die Schulter Pareymas und antwortete:
»Ja, diese Stätte ist heilig, weil ich, ein Christ, auf ihr erscheine. Ich werde gehen, doch gib mir vorerst mein Weib!«
»Entweiche, sonst faßt dich der Tod!«
»Der Tod?« erwiderte Potomba lächelnd. »Hat er mich gefaßt, als du mich verfolgtest, um mir mein Leben und mein Eigentum zu rauben? Ihr Hunderte von Heiden seid nicht stark genug, mir, einem einzigen Christen, den Tod zu geben. Ihr könnt nur Frauen töten. Hier an diesem Dolche klebt das Blut meiner Mutter. Du hast sie getötet, Anoui, und ich fordere noch heut ihr Leben oder das deinige von dir!«
»So stirb du selbst!« antwortete Anoui und griff nach ihm.
Potomba wich einen Schritt zurück und rief so laut, daß man es weithin hörte:
»Ich sterben, ich, der Ehri von Papeete? Ich stehe unter dem Schutze meines Gottes; ihr aber werdet untergehen, wie ich jetzt eure Götter vernichte!«
Mit einem raschen Sprunge stand er auf dem Altare. Er erfaßte erst das eine und dann das andere der beiden aus Ton gebrannten Götzenbilder und schleuderte sie zur Erde herab, daß sie in Stücke zerbarsten. Dann schwang er den Kris hoch in der Luft und rief:
»Und noch heut werde ich mein Weib von euch holen!«
Ein einziger, fürchterlicher Schrei der Wut erscholl aus allen Kehlen. Alle stürzten zum Altare, um den Mutigen zu erfassen; er aber war hinter den ersteren herabgesprungen und klimmte so schnell wie möglich zu mir empor. Es war ein Glück, daß kein einziger der Anwesenden eine Waffe zu der friedlichen Zeremonie mitgebracht hatte, sonst wäre er verloren gewesen. Kein einziger? Stand nicht hart am Altare einer, der soeben seinen Bogen spannte, und da drüben unter der Banane ein zweiter? Sie wollten auf Potomba schießen, und es war vorauszusehen, daß sie ihn treffen würden. Das mußte ich verhüten. Ich legte schnell meinen Stutzen an, zielte und drückte zweimal nacheinander ab; die beiden Heiden stürzten zu Boden.
Jetzt hatte mich Potomba erreicht; seine Verfolger kamen schreiend teils den Hang heran, teils suchten sie in eiligem Laufe die Höhe an beiden Seiten zu umgehen.
»Ich danke dir, Sahib, daß du mir halfst; die Pfeile hätten mich getroffen. Nun schnell mit dem Boote! Kannst du gut laufen?« sagte er eilig.
Ich antwortete nicht, denn dazu war keine Zeit. Eigentlich war es mir nicht konvenient, vor diesen Menschen davonzulaufen, aber ich wußte, daß unsere Rettung nur von unseren Beinen abhing. Trotz meiner schweren Stiefel hielt ich gleichen Schritt mit dem Ehri, der eine ganz respektable Lunge und prachtvolle Sehnen haben mußte, denn unsere Feinde blieben weit hinter uns zurück; als wir das Boot erreichten, blieb uns gerade genug Zeit, es in das Wasser zu reißen, hineinzuspringen und einen genügsamen Vorsprung zu gewinnen, so daß uns kein Pfeil erreichen konnte.
Jetzt erst durchbrachen die Polynesier das Dickicht des Strandes, reckten, als sie uns in Sicherheit sahen, die Arme in die Luft und schnitten uns boshafte Grimassen.
Wir griffen zu den Doppelrudern und arbeiteten uns gegen den Passat nach Tahiti hinüber. Wir ließen uns dann, ohne dort zu landen, von der Strömung und dem Winde wieder nach Eimeo zurücktreiben und landeten in Alfareaita, einem kleinen Orte, welcher Papeete gerade gegenüberliegt.
Hier blieben wir bis zu der bald hereinbrechenden Dunkelheit. Potomba teilte mir nichts mit über das, was er vorhatte, und da diese Schweigsamkeit ihre guten Gründe haben mußte, so unterbrach ich sie mit keiner Frage.
Es war wohl gegen elf Uhr nachts, als wir wieder aufbrachen. Der Ehri hatte sich vorher eine ziemliche Menge großer und kleiner Fische gekauft und diese mit in das Boot gebracht. Was er mit ihnen bezweckte, konnte ich nicht ersehen, mußte es aber ja jedenfalls erfahren. Wir ruderten uns bis zur Mitte der Straße, welche die beiden Inseln trennt, und blieben hier.
Es wurde dunkler über dem Wasser; aber vom Himmel leuchteten Tausende von Sternen, und die Wogen lagen um das Kanoe wie flüssiger, durchsichtiger Kristall. Da griff der Ehri nach einem der Fische, band ihn an einen Streifen Bast und hing ihn in das Wasser. Schon nach kurzer Zeit erfolgte ein scharfer Ruck. Ein Haifisch hatte sich die Lockspeise geholt. Nach einiger Zeit warf Potomba einen zweiten, dann einen dritten Fisch aus und fuhr so fort, bis sich mehr als ein halbes Dutzend Haie um unser Boot tummelte.
Ich hatte eine leise Ahnung von dem, was er bezweckte. Jedenfalls versammelte er die Hyänen des Meeres um sein Boot, um sich ihrer gegen seine Feinde zu bedienen, aber in welcher Weise dies geschehen sollte, das war mir sehr unklar. Auf alle Fälle jedoch war mir die Nachbarschaft dieser liebenswürdigen Geschöpfe so ziemlich fatal; er zwar hatte sich auf unserer Insel den ›Herrn des Haies‹ genannt, ich jedoch fühlte, trotzdem ich mich einen leidlichen Schwimmer nennen muß, keineswegs eine besondere Sympathie für seine menschenhungrigen Untertanen; und ich will offen gestehen, daß ich mich auf dem ›Wind‹ meines guten Master Frick Turnerstick behaglicher gefühlt hätte als in dem schmalen Boote, von dessen niederem Bord aus man die Haie mit der Hand zu berühren vermochte.
Ein Schauspiel, aber ein grausiges, hatte ich allerdings dabei. Das Wasser schien trotz der Dunkelheit der Nacht weißflüssiges Gold zu sein und stieg in immer tieferen, dunkleren Tinten in den Grund hinab. Jede Bewegung in ihm war zu erkennen, und wenn der Ehri einen neuen Fisch auswarf, so nahten sich sechs bis acht fürchterliche Rachen dem Stern des Bootes, um sich die Beute streitig zu machen, und es begann ein Kampf, bei dem sich die Haare während des Gedankens sträuben konnten, daß nur eine dünne Schicht Holzes zwischen ihnen und dem Menschen liege.
Was den Ehri betrifft, so schien er sich um mein unangenehm berührtes Gefühlsleben nicht im mindesten zu kümmern. Er warf von Zeit zu Zeit einen Fisch aus und forschte dann immer wieder nach der Richtung, aus welcher die Hochzeitsflottille mit dem Brautpaare kommen mußte. Mir war es nicht ganz wahrscheinlich, daß die Trauung nach dem durch uns hervorgebrachten Auftritte noch geschehen sei; er jedoch schien seiner Sache sicher zu sein und stand, als sich am Horizonte ein nebeliger Lichtschein bemerken ließ, im Boote auf, um besser Ausguck halten zu können.
Der Schein kam näher und wurde mit jeder Sekunde heller. Bald erkannte ich, daß er von der Flottille hervorgebracht wurde, da jeder Kahn an seinem Buge mit einer Fackel versehen war.
»Sie kommen,« bemerkte Potomba kaltblütig, »und jetzt wird Pareyma wieder mein!«
Er warf die rot und weiß gestreifte Tebuta von den Schultern und griff mit der Rechten nach dem Kris, während er mit der Linken wieder einen Fisch auswarf.
»Diene mir nur zwei Minuten, Sahib, so will ich dir gehorchen, so lange, als du willst!«
Ich griff zum Ruder.
Er tat dasselbe, und auf seine Anweisung hin beschrieben wir den Kommenden entgegen einen Bogen, lenkten dann auf sie zu und schossen zuletzt, nun mit ihnen parallel, auf das erste Boot der Flotte zu. In demselben saßen drei Personen, die ich deutlich erkennen konnte: Matemba, Anoui und Pareyma. Mit gewaltigem Ruderdrucke an der rechten Seite des Zuges hinstreichend, erreichten wir das Boot, so daß unser linker Bord hart mit dem Ausleger zusammentraf. Die Haie waren uns bis hierher gefolgt. Ich saß an den Rudern, und Potomba stand jetzt wieder aufrecht im Boote, den Kris in der Faust.
»Pareyma, herüber!« rief er.
Die Gerufene erhob sich und schnellte über den Ausleger zu uns in das Boot. Der Ehri empfing sie mit dem linken Arme und ließ sie niedergleiten, dann bog er sich über Bord und zerschnitt mit zwei raschen Zügen die Baststricke, welche den Ausleger des Hochzeitsbootes mit den Querstangen verband.
Ein fürchterlicher Doppelschrei erschallte; das Boot kenterte; Matemba und der Priester stürzten in das Wasser und wurden augenblicklich von den Haien verschlungen.
Pareyma schlug die Hände vor das Gesicht, Potomba aber ergriff das andere Ruderpaar und legte sich ein. Wir flogen wie vom Bogen geschnellt davon, während die Flottille einen wirren Knäuel bildete, aus welchem sich nur ein einziges Boot löste, um uns zu folgen. Ich griff zur Büchse und sagte:
»Ich werde dem Manne eine Kugel geben!«
»Halt, Sahib! Es ist kein Feind, der uns folgt, sondern ein Freund. So rudert nur Ombi, der Diener meines Weibes; ihm und Potomba, dem Ehri, kommt keiner gleich. Laß ihn herbei; er wird mit uns gehen!«
Hinter uns heulten jetzt die wütenden Insassen der Flottille und versuchten, uns einzuholen. Es gelang ihnen nicht; in fünf Minuten hatten wir den ›Wind‹ erreicht, welcher sein Fallreep herniederließ, um uns aufzunehmen.
Jetzt erst nahm Pareyma die Hände von dem Angesichte.
»Potomba, du hast den Vater getötet!« stöhnte sie.
Ombi, der alte Graukopf, sprang aus seinem Boote in das unserige herüber.
»Sage deinem Herzen, daß es ruhig sei, Pareyma« bat er. »Dein Leid sei mein Leid, und dein Glück auch mein Glück. Die Götzen sind heute gefallen, und nun wird bei uns sein der gute Bapa des Himmels mit seinem Sohne, der auf die Erde kam, um alles Unglück in Freude zu verkehren!«
Wir stiegen empor.
»Schnell, Charley!« rief der Kapitän. »Dort kommen die Kerls mit ihren Fackelbooten, um euch zu suchen. Herauf, herauf! Löscht die Lichter aus, Jungens!« gebot er seinen Leuten, »und holt rasch die beiden Boote an das Deck, daß dort die Schlingels nichts merken. Sie müssen denken, daß auf unserm guten ›Winde‹ alles im Schlafe liegt. So, so, die Taue nieder! Zieht, Jungens, zieht! Stopp! Herein mit den Nußschalen! Prächtig, so ist's gut! Nun nehmt die Handspeichen, und wenn es jemand wagen sollte, die Nase heraufzustecken, dem gebt einen tüchtigen Klaps!«
Eine solche Maßregel war nicht notwendig. Die Verfolger schienen anzunehmen, daß wir auf das Land zugehalten hätten, und ruderten der Küste entgegen, wo noch lange Zeit der Schein ihrer Fackeln zu bemerken war.
Potai empfing seinen Bruder und die Schwägerin mit Jubel. Dem Kapitän mußte, als wir in der Kajüte versammelt waren, natürlich alles ausführlich erzählt werden. Als ich damit zu Ende war, reichte mir Pareyma ihr zartes, braunes Händchen entgegen.
»Ich danke dir, Sahib! Du hast mich vom Tode errettet, denn ich wäre an meinem Messer gestorben, ehe ich mit Matemba das Haus verlassen hätte.«–
Am Morgen stachen wir in See. Fünf Tage später befand sich Kapitän Roberts mit seinen Marsgasten und allem geretteten Gute bei uns an Bord; dann segelte der ›Wind‹ nach Nord bei West, um den Samoa-Archipel zu erreichen.
Dort, auf der Insel Upolu, und zwar in Saluafata, wohnt noch heut ein reicher, polynesischer Handelsmann, der sich Potomba nennt.
Zuweilen, wenn die Sonne ihr glühendes Gewand in den Fluten badet, um zur Ruhe zu gehen, rudert der Greis Ombi ein Auslegerkanoe hinaus auf die Höhe. Darin sitzt Potomba mit Pareyma, und wenn Ombi lauschen möchte, so würde er hören, wie der dunkelfarbige Mann seinem Weibe zuflüstert: » Mata ori, du Auge des Tages, du Licht meines Lebens!«
Vielleicht daß in solchen einsamen Stunden das schöne Paar auch der Vergangenheit gedenkt, des Glückes und der darauf folgenden Trübsal auf Tahiti, des Hochzeitstages aus Eimeo, der Fahrt nach den Pomotu- und Samoa-Inseln, des alten, braven Master Frick Turnerstick und – vielleicht auch des Germani mit den großen Seemannsstiefeln, dem heute, wo er dieses niederschreibt, noch die klagenden Worte im Ohre nachtönen:
»
Te uwa to te malema,
Te uwa to hinarro – –.«