Karl May
Old Surehand III
Karl May

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Schahko Matto

Wie oft sind mir von den Gefährten meiner Erlebnisse und später von den Lesern meiner Bücher Vorwürfe darüber gemacht worden, daß ich schlechte Menschen, welche uns nichts als Feindschaft erwiesen und nichts als Schaden bereiteten, dann, wenn sie in unsere Hände gerieten und wir uns also rächen konnten, zu mild und nachsichtig behandelt habe! Ich bin objektiv genug gewesen, diese Vorwürfe in jedem einzelnen Falle auch von der Seite aus zu betrachten, von welcher aus sie berechtigt zu sein schienen, habe aber stets gefunden und finde auch heute noch, daß mein Verhalten das richtige gewesen ist. Es ist ein großer Unterschied zwischen Rache und Strafe. Ein rachsüchtiger Mensch ist kein guter Mensch; er handelt nicht nur unedel, sondern verwerflich; er greift, ohne irgend ein Recht dazu zu besitzen, der göttlichen und der menschlichen Gerechtigkeit vor und läßt dadurch, daß er seinem Egoismus, seiner Leidenschaft die Zügel überwirft, nur merken, wie verächtlich schwach er ist. Ganz anders steht es um die Strafe. Sie ist eine ebenso natürliche wie unausbleibliche Folge jeder That, die von den Gesetzen und von der Stimme des Gewissens verurteilt wird. Nur darf nicht jedermann, auch nicht einmal derjenige, an dem sie begangen wurde, denken, daß er zum Richter berufen sei. Sie kann in dem einen Falle unerlaubt sein, in dem andern leicht den Charakter eines ebenso verwerflichen Racheaktes annehmen. Welcher Mensch ist so rein, so frei von Schuld und sittlich so erhaben, daß er sich, ohne von der Staatsgewalt dazu berufen zu sein, zum Richter über die Thaten seines Nächsten aufwerfen darf?

Dazu kommt, daß man sich wohl hüten soll, denjenigen, der einen Fehler, eine Sünde, ein Verbrechen begeht, für den allein Schuldigen zu halten. Man forsche nach der Vorgeschichte jeder solchen That! Sind nur körperliche und geistige Mängel angeboren? Können nicht auch sittliche es sein? Sodann bedenke man wohl, welche Macht in der Erziehung liegt! Ich meine da die Erziehung im weiteren Sinne, nicht bloß die Einwirkung der Eltern, Lehrer und Verwandten. Es sind die tausend und abertausend Verhältnisse des Lebens, welche oft tiefer und nachhaltiger auf den Menschen wirken als das Thun oder Lassen derjenigen Personen, welche nach landläufiger Ansicht seine Erzieher sind. Ein einziger Abend im Theater, das Lesen eines einzigen schlechten Buches, die Betrachtung eines einzigen unsittlichen Bildes kann alle Früchte einer guten, elterlichen Erziehung in Fäulnis übergehen lassen. Welche Menge, ja Masse von Sünden hat die millionenköpfige Hydra, welche wir Gesellschaft nennen, auf dem Gewissen! Und gerade diese Gesellschaft ist es, welche mit wahrer Wonne zu Gerichte sitzt, wenn der Krebs, an dem sie leidet, an einem einzelnen ihrer Glieder zum Ausbruche kommt! Mit welch' frommem Augenaufschlage, mit welchem abweisenden Nasenrümpfen, mit welcher Angst vor fernerer Berührung zieht man sich da von dem armen Teufel zurück, der das Unglück hatte, daß die allgemeine Blutentmischung grad an seinem Körper zur Entzündung und zur Eiterung führte!

Wenn ich da von den Verhältnissen der »civilisierten« Gesellschaft spreche, so muß meine Ansicht in Beziehung auf die sogenannten halb und ganz wilden Völker noch viel milder sein. Der wilde oder verwilderte Mensch, der nie einen rechten, sittlichen Maßstab für sein Thun besaß oder dem dieser Maßstab abhanden gekommen ist, kann für seine Gebrechen natürlich noch viel weniger verantwortlich gemacht werden als derjenige Sünder, welcher ins Straucheln kam und fiel, obgleich ihm alle moralischen Stützen unserer vielgerühmten Gesittung zur Verfügung standen. Ein von den Weißen abgehetzter Indianer, der zur Verteidigungswaffe greift, ist des Mitleides aber nicht der Peitsche wert. Ein wegen irgend eines Vergehens von der very moral and virtuous society für immer ausgestoßener Mensch, der nur im »wilden Westen« Aufnahme findet und dort immer tiefer sinkt, weil es ihm da an allem Halt gebricht, steht als Westläufer zwar unter den strengen, blutigen Gesetzen der Prairie, ist aber in meinen Augen der Nachsicht und Entschuldigung bedürftig. Auch Winnetou, der stets groß- und edelmütige, versagte so einem Entarteten die Schonung nie, wenn ich ihn darum bat. Ja, es kam sogar vor, daß er sie aus eigenem Antriebe und Entschlusse übte, ohne meine Bitte erst abzuwarten.

Diese Milde hat uns zuweilen in spätere Verlegenheiten gebracht; das gebe ich wohl zu; aber die Vorteile, welche wir indirekt durch sie erreichten, wogen das reichlich wieder auf. Wäre es auch nur gewesen, um andern ein Beispiel zu geben, so hätten wir viele und erfreuliche Erfolge zu verzeichnen. Wer sich uns anschließen wollte, mußte auf die Grausamkeiten und Härten des Westens verzichten und wurde, ohne es eigentlich zu wissen und zu wollen, dann wenn nicht in Worten, so doch in Thaten ein Lehrer und Verbreiter der Humanität, welche er bei uns, sozusagen, eingeatmet hatte.

Old Wabble war auch einer jener Entarteten, dem wir mehr Nachsicht schenkten, als er an uns verdient hatte. Hieran war neben der von uns grundsätzlich und allgemein geübten Milde der erste Eindruck, den seine ungewöhnliche Persönlichkeit besonders auf mich gemacht hatte, schuld. Sein hohes Alter trug auch dazu bei, und zudem hatte ich in seiner Gegenwart stets ein ganz eigenartiges Gefühl, welches mich abhielt, ihn nach seinen Thaten und seiner so frech gezeigten Gottlosigkeit zu behandeln. Es war, als ob ich nach einem von mir unabhängigen und doch in mir wohnenden Willen handeln müsse, welcher mir verbot, mich an ihm zu vergreifen, weil er, wenn er sich nicht bekehre, für ein ganz besonderes göttliches Strafgericht aufgehoben sei. Darum hatte ich ihn auch am Morgen nach dem versuchten Morde und Pferdediebstahle auf Fenners Farm wieder freigelassen und damit, wie es schien, auch ganz nach dem Willen Winnetous gehandelt. Dick Hammerdull und Pitt Holbers waren freilich nicht damit einverstanden und Treskow als Polizist noch weniger als sie. Doch wurden mir von diesen dreien wenigstens nicht die Vorwürfe gemacht, welche ich von dem Besitzer der Farm zu hören bekam, der gar nicht begreifen konnte, daß ein Mensch, vor dessen Kugel mich nur die scharfen Augen des Apatschen errettet hatten, ohne alle Strafe von uns entlassen worden war. Eine solche Dummheit, wie er es nannte, war ihm in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen, und er schwur, daß er die Rache in seine Hände nehmen und Old Wabble wie einen Hund niederschießen werde, wenn der Alte es wagen sollte, sich noch einmal auf der Farm sehen zu lassen. Im übrigen aber zeigte Fenner uns auch heut, wie willkommen ihm unser Besuch gewesen war; er versah uns so reichlich mit Proviant, daß wir, als wir von ihm Abschied nahmen, dies mit der Überzeugung thun konnten, daß wir wenigstens für fünf Tage zu essen hatten und also ebensolange davon befreit waren, unsere Zeit auf das Fleischmachen durch die Jagd zu verwenden. Was das zu bedeuten hat, merkt man erst dann, wenn man wegen der Nähe roter oder weißer Feinde nicht schießen darf und also entweder hungern muß oder Gefahr läuft, sich zu verraten. Der Umstand, daß wir mit Speisevorrat versehen waren, kam uns auch schon deshalb gelegen, weil wir, ohne uns aufhalten zu müssen, schnell reiten konnten, um Old Surehand einzuholen.

Eigentlich hätten wir gleich nach dem Aufbruche von der Farm nach der Spur Old Wabbles suchen müssen. Er hatte uns gezeigt, was von ihm für uns, besonders aber für mich, zu erwarten war, und wenn man einen Feind in der Nähe weiß, dem man den Kopf zum Ziele für seine Kugel bieten soll, so ist es immer vorteilhaft, zu wissen, wo man ihn zu suchen hat. Aber wir wollten Old Surehand so schnell wie möglich einholen, denn wir hatten den »General‹, und Toby Spencer vor uns, die mit ihren Leuten auch hinauf nach Colorado ritten, und so mußte uns der alte »König der Cowboys« jetzt eine Person untergeordneterer Bedeutung sein.

Da der Republikan-River hinter Fenners Farm einen großen Bogen beschreibt, den wir abschneiden wollten, verließen wir seine Nähe und ritten grad in die Rolling-Prairie hinein, um ihn später wieder zu erreichen. Wir sahen da die Spuren der Cow-boys, welche während der letzten Nacht nach Old Wabble und seinen Begleitern gesucht hatten, ohne sie zu finden. Später hörten diese Fährten auf, und wir fanden bis gegen Abend keine Spur eines menschlichen Wesens mehr.

Um diese Zeit mußten wir auf das andere Ufer des Flusses hinüber, und obgleich der Republikan-River, wie alle Flüsse von Kansas, breit und seicht ist und also fast überall unschwer übersetzt werden kann, so hatte uns Winnetou doch nach einer Furth gelenkt, welche er von früher her kannte. Sie war so seicht, daß ihr Wasser in seiner ganzen Breite den Pferden nicht bis an die Leiber reichte.

Am andern Ufer angekommen, durchquerten wir den Saum des Gebüsches, welches sich am Flusse hinzog, und gelangten dann wieder auf die offene Prairie. Kaum hatten wir das Gesträuch hinter uns, so erblickten wir eine Fährte, welche sich in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Schritten in zu dem Flusse paralleler Richtung hinzog. Dick Hammerdull deutete mit dem Finger auf sie hin und sagte zu seinem hagern Freunde:

»Siehst du den dunkeln Strich da drüben in dem Grase, Pitt Holbers, altes Coon? Was meinst du, was das ist? Bloß ein Gedankenstrich oder eine menschliche Fährte?«

»Wenn du meinst, daß es eine Fährte ist, so habe ich nichts dagegen, lieber Dick,« antwortete der Gefragte in seiner trockenen Weise.

»Ja, es ist eine Spur. Wir müssen hin, um zu sehen, aus welcher Richtung sie kommt und nach welcher sie führt.«

Er glaubte, daß wir derselben Ansicht seien und hinreiten würden; aber Winnetou lenkte, ohne ein Wort zu sagen, nach rechts und führte uns, ohne sich um die Spur zu kümmern, dem nahen Ufer entlang. Hammerdull konnte das nicht begreifen und wendete sich deshalb an mich:

»Warum wollt ihr denn nicht hin, Mr. Shatterhand? Wenn man im wilden Westen eine unbekannte Fährte sieht, muß man sie doch lesen; die Sicherheit gebietet das!«

»Allerdings,« nickte ich zustimmend.

»Also! Wir müssen unbedingt erfahren, welche Richtung sie hat!«

»Von Ost nach West natürlich.«

»Wieso von Ost nach West? Das kann kein Mensch wissen, bevor er sie genau untersucht hat. Sie kann auch von West nach Ost gehen.«

»Wenn kein Mensch das wissen kann, so sind wir beide, Winnetou und ich, keine Menschen, denn wir wissen es.«

»Unmöglich, Sir!«

»Pshaw! Wir haben jetzt einige Tage lang den Wind aus West gehabt, und ihr könnt euch überzeugen, daß infolgedessen alles Gras mit den Spitzen nach Osten liegt. Jeder gute Westmann weiß, daß eine Fährte mit diesem Striche nicht so deutlich ist als eine solche gegen denselben. Die Spur da drüben ist wenigstens fünfhundert Schritte entfernt; daß wir sie trotz dieser weiten Entfernung sehen, ist ein Beweis, daß sie gegen den Strich, also von Osten nach Westen geritten ist.«

»All devils, ist das scharf gedacht! Darauf wäre ich nicht gekommen! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, daß ich dich für dumm genug halte, nicht auf diesen pfiffigen Gedanken zu verfallen, so hast du recht« nickte Holbers.

»Recht oder nicht, das bleibt sich gleich. Jedenfalls hast du die Klugheit auch nicht schockweise von den Bäumen geschüttelt; das merke dir! Aber, Mr. Shatterhand, wir müssen die Fährte dennoch untersuchen, denn es gilt, zu erfahren, von wem und von wie viel Personen sie kommt.«

»Warum deshalb fünfhundert Schritte weit aus unserer Richtung abweichen? Ihr seht doch, daß wir sehr bald mit ihr zusammentreffen werden!«

»Richtig! Auch daran habe ich nicht gedacht. Da hat man sich so viele Jahre lang für einen guten Westmann gehalten und muß nun hier am alten Republikan-River einsehen, daß man noch viel zu lernen hat! Ist das nicht wahr, Mr. Shatterhand?«

»Lobenswerte Selbsterkenntnis! Aber wer seine Fehler und Mängel erkennt, befindet sich schon auf dem Wege der Besserung; das ist ein Trost für jeden Menschen, der sich sagt, daß er noch fern vom Meister stehe.«

Wir hatten uns noch nicht weit von der Furt entfernt, so machte der Fluß einen scharfen Winkel nach Norden und gab die Prairie nach Westen frei. Ein grüner Streifen, welcher aus dieser letzteren Richtung kam und im Norden auf den Buschsaum des Republikan-River stieß, ließ einen kleinen Wasserlauf vermuten, der sich rechts, weit von uns, mit dem Flusse vereinigte. Dieser Bach wand sich in vielen Krümmungen seinem Ende zu. Der äußerste Punkt des letzten Bogens, den er schlug, war durch ein Wäldchen bezeichnet, welches, vielleicht eine englische Meile weit, uns gegenüber lag. Wir hielten an, denn die Fährte, von welcher wir gesprochen hatten, kam plötzlich von links herüber an die Ecke des Flusses, an welcher wir uns befanden. Es war die Spur eines einzelnen Reiters, welcher hier eine kurze Zeit gehalten hatte. Er war nicht abgestiegen. Die Stapfen der Vorderhufe seines Pferdes bildeten einen Halbkreis, auf dessen Mittelpunkte die Hinterhufe gestanden hatten. Daraus war zu schließen, daß der aus Osten gekommene Mann sich nach den drei andern Himmelsrichtungen umgesehen, also wohl irgend etwas gesucht hatte. Hierauf war er in schnurgeradem Galoppe nach dem vorhin erwähnten Wäldchen geritten. Folglich mußte dieses der Ort sein, den er gesucht hatte. Dieser Gedanke lenkte unsere Blicke in die angegebene Richtung. Wenn ich sage »unsere Blicke«, so meine ich Winnetou und mich, denn unsere drei Gefährten dachten nicht so scharf wie wir.

Eigentlich konnte es uns sehr gleichgültig sein, wer der Reiter gewesen war, und zunächst bot das Wäldchen auch gar keinen Grund zur besondern Aufmerksamkeit; aber die Fährte war kaum eine halbe Stunde alt, und das war für uns Grund genug, die gebotene Vor- oder vielmehr Umsicht walten zu lassen.

»Uff! Wo-uh-ke-za!« ließ sich da der Apatsche hören, indem er den Arm hob, um mir einen ganz bestimmten Punkt des Wäldchens zu bezeichnen.

»Wo-uh-ke-za« ist ein Dakota-Wort und bedeutet eine Lanze. Warum bediente sich Winnetou nicht des betreffenden Apatschenwortes? Ich sollte den Grund sehr bald erfahren und da wieder einmal, wie schon oft, bemerken, was für scharfe Augen er besaß. Der Richtung seines ausgestreckten Armes folgend, bemerkte ich am Rande des Wäldchens einen Baum, welcher einen seiner Äste weit vorstreckte; auf diesen Ast war senkrecht eine Lanze befestigt; das sah auch ich, obgleich weder Hammerdull noch Holbers oder Treskow sie erkennen konnten. So weit von uns entfernt, glich sie einem Bleistiftstriche am von der untergehenden Sonne rot gefärbten Himmel. Wären wir nicht durch die Fährte auf das Wäldchen aufmerksam gemacht worden, so hätte keiner von uns diese Lanze bemerkt. Sie mußte jedem entgehen, der nicht ganz nahe am Wäldchen vorüberkam. Als, Dick Hammerdull von ihr hörte, sagte er:

»Ich kann sie nicht sehen; aber wenn es wirklich so ein Spieß ist, wie ihr denkt, so weiß jedermann, daß Lanzen nicht auf Bäumen wachsen. Es muß also ein Zeichen sein!«

»Das Zeichen eines Dakota,« nickte Winnetou.

»So ist es eine Dakota-Lanze?« fragte der Dicke im höchsten Grade erstaunt.

»Ja; nur weiß ich noch nicht, von welchem Volke der Dakota.«

»Ob Volk oder nicht, das bleibt sich ganz egal! Es ist schon überhaupt ein staunenswertes Wunder, daß es Augen giebt, die auf eine Meile hin diese Lanze als Spieß erkennen können. Die Hauptsache ist die Frage, ob wir etwas mit ihr zu schaffen haben.«

Da diese Worte an mich gerichtet waren, so antwortete ich:

»Sie kann uns natürlich nicht gleichgültig sein. Es giebt außer den Osagen hier keine Dakota, und weil wir wissen, daß die Osagen jetzt die Kriegsbeile ausgegraben haben und diese Lanze ein Zeichen für irgend jemand bildet, so versteht es sich ganz von selbst, daß wir die Bedeutung dieses Zeichens kennen lernen müssen.«

»So reiten wir hinüber?«

»Ja.«

»So kommt!«

Er wollte seine alte Stute in Bewegung setzen; ich griff ihm aber in die Zügel und warnte:

»Wollt Ihr Eure Haut zu Markte tragen? Die Lanze hat als Zeichen sehr wahrscheinlich zu bedeuten, daß Osagen da drüben stecken und auf irgend jemand warten oder vielmehr gewartet haben, denn der Reiter, dessen Spuren wir hier sehen, ist zu ihnen hinübergeritten und scheint sich vorher nach der Lanze umgeschaut zu haben. Wenn wir ihm direkt auf seiner Fährte folgen, müssen wir gesehen werden. Hoffentlich seht Ihr das ein, Dick Hammerdull!«

»Hm! Ob ich es einsehe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber richtig ists, was Ihr da sagt, Mr. Shatterhand. Meint Ihr denn, daß sie uns noch nicht gesehen haben?«

»Ja, das meine ich. Wir stechen von dem Gesträuch, an dem wir uns hier befinden, nicht im geringsten ab und können also noch nicht bemerkt worden sein. Dennoch müssen wir schleunigst von hier fort. Kommt also; Ihr seht, das Winnetou diese Stelle schon verlassen hat!«

Der Apatsche, wie stets ein Mann der That, hatte nicht auf unsere Rede geachtet und war, sich vorsichtigerweise nordwärts wendend, fortgeritten. Wir folgten ihm, bis wir das Wäldchen aus den Augen verloren hatten, und wendeten uns dann nach Westen, um den Bach zu erreichen. Als wir bei ihm angekommen waren, brauchten wir ihm nur aufwärts zu folgen, um im Schutze der Büsche von Norden her an das Wäldchen zu kommen. Da hielt Winnetou an, stieg vom Pferde, gab mir seine Silberbüchse aufzuheben und sagte:

»Meine Brüder werden hier warten, bis ich wiederkomme und ihnen sage, wen ich am Baume der Lanze gesehen habe!«

Er hatte also vor, als Kundschafter nach dem Wäldchen zu gehen, und kroch in das Gesträuch, um die Lösung seiner nicht leichten Aufgabe anzutreten. Er nahm dergleichen Obliegenheiten am liebsten in seine eigene Hand, und man hatte auch allen Grund, sie ihm zu überlassen, da er im Anschleichen und Kundschaften ein geradezu unerreichbarer Meister war. Wir trieben unsere Pferde, nachdem wir abgestiegen waren, in das Gebüsch bis an den Bach, wo sie trinken konnten, und setzten uns da nieder, um auf die Rückkehr des Apatschen zu warten. Seine Abwesenheit konnte, falls wirklich Osagen in dem Wäldchen waren, mehrere Stunden dauern; doch war höchstens eine halbe vergangen, als er wieder bei uns erschien und uns meldete:

»Ein Bleichgesicht sitzt unter dem Baume der Lanze und wartet auf die Rückkehr eines roten Kriegers, welcher einen halben Tag lang dort gewesen und dann fortgeritten ist, um Fleisch zu machen.«

Mir genügten diese Angaben, welche den großen Scharfsinn des Apatschen bestätigten, vollständig. Dick Hammerdull aber, dem sie nicht ausführlich genug erschienen, erkundigte sich:

»Ist der Häuptling der Apatschen mitten drin im Wäldchen gewesen?«

Winnetou nickte. Der Dicke fuhr fort:

»Er hat also keinen Indianer gesehen?«

Winnetou schüttelte den Kopf.

»Wer mag wohl der Weiße sein, welcher unter dem Baume sitzt?«

»Old Wabble,« antwortete der Apatsche kurz.

»Donner und Doria! Was mag der alte Cowboy dort wollen?«

Winnetou zuckte die Achsel; dann fragte Hammerdull weiter:

»Was für ein Indianer ist es wohl, auf den Old Wabble wartet?«

»Schahko Matto, der Kriegshäuptling der Osagen.«

»Schahko Matto? Kenne den Kerl nicht. Habe noch nie von ihm gehört. Kennt ihn der Häuptling der Apatschen?«

Winnetou nickte wieder. Er ließ sich nie gern in dieser Weise ausfragen, und ich wartete mit stillem Vergnügen auf den Zeitpunkt, an welchem seine Geduld zu Ende gehen würde. Der kleine Dicke aber setzte seine Erkundigungen neugierig fort:

»Ist der Rote ein tapferer oder feiger Kerl?«

Diese Frage war höchst überflüssig. Schahko Matto heißt »sieben Bären«; es sind da Grizzlies gemeint. Auch pflegt ein feiger Indianer nicht auf Kundschaft zu gehen. Wer sieben graue Bären erlegt hat und ohne alte Begleitung den Kriegspfad betritt, muß Mut besitzen. Darum beantwortete Winnetou diese Frage nicht, und dies war für Hammerdull Grund, sie zu wiederholen. Als er auch hierauf keine Antwort bekam, sagte er:

»Warum spricht Winnetou nicht weiter? Es ist doch höchst vorteilhaft, zu wissen, ob man es mit einem feigen oder tapfern Mann zu thun hat. Darum habe ich meine Frage zweimal ausgesprochen.«

Da wendete Winnetou, welcher bisher vor sich hingeblickt hatte, ihm sein Gesicht voll zu und entgegnete in jenem milden und doch so ungeheuer abweisenden Tone, den ich nur bei ihm gehört und gefunden habe:

»Warum hat mein Bruder Old Shatterhand mich nicht gefragt? Warum ist er still gewesen? Man soll erst denken und dann sprechen, denn es ist eine Verschwendung der Zeit, sich nach Dingen zu erkundigen, die man sich so leicht denken kann. Zum Denken gehört nur ein Mann, zum Sprechen aber sind wenigstens zwei nötig. Warum sollen sich zwei mit Sprechen befassen, wenn einer dieselbe Sache durch Nachdenken erledigen kann? Mein weißer Bruder Hammerdull muß sehr viel Gehirn besitzen und ein guter Denker sein; wenigstens ist er dick genug dazu!«

Ich sah, daß der Zurechtgewiesene zunächst zornig auffahren wollte; aber die Hochachtung, welche er Winnetou widmete, veranlaßte ihn, sich zu beherrschen, und so antwortete er in ruhigem Tone:

»Ob dick genug oder nicht, das bleibt sich nicht nur gleich, sondern das ist sogar ganz und gar egal; nur muß ich so frei sein, zu bemerken, daß ich nicht mit dem Bauche denken kann, weil das Gehirn bekanntlich nicht im Leibe, sondern im Kopfe zu suchen ist. Habe ich da nicht recht, Pitt Holbers, altes Coon? Sag mir das doch!«

»Nein,« antwortete der Gefragte in seiner kurzen Weise.

Es geschah nicht oft, daß der Dünne dem Dicken einmal unrecht gab; darum rief Dick Hammerdull sehr verwundert aus:

»Nicht? Ich habe nicht recht? Warum nicht?«

»Weil du Fragen ausgesprochen hast, welche vermuten lassen, daß du das Gehirn allerdings nicht im Kopfe, sondern in derjenigen Körpergegend hast, wo bei andern, richtig gebauten Leuten die Milz oder die Leber liegt.«

»Was? Du willst mich foppen? Höre, Pitt Holbers, altes Coon, wenn du dich auf diese schlechte Seite legst, so kann es leicht – –«

Ich unterbrach ihn durch einen Wink meiner Hand, welcher ihm Schweigen gebot, denn Winnetou hatte seine Silberbüchse genommen und den Zügel seines Pferdes ergriffen, um die Stelle zu verlassen, an welcher wir uns befanden. Er sah es gar nicht ungern, wenn Dick und Pitt sich halb scherz- und halb ernsthaft miteinander stritten; aber jetzt gab es wichtigeres zu thun. Wir nahmen auch unsere Pferde und folgten ihm hinaus an den Rand des Gebüsches. Er führte uns, ohne in den Sattel zu steigen, lang an demselben hin, bis wir in die Nähe des Wäldchens gelangt waren, dort wieder in das Gesträuch hin und sagte, seine Stimme dämpfend:

»Old Shatterhand wird mit mir gehen. Die andern weißen Brüder bleiben hier, bis ein Pfiff dreimal erschallt. Dann kommen sie nach dem Baume der Lanze geritten, wo sie uns mit zwei Gefangenen finden werden, und bringen unsere Pferde mit!«

Das war mit solcher Bestimmtheit gesagt, als ob er allwissend sei und das, was geschehen würde, ganz genau vorher bestimmen könne. Er legte seine Büchse ab, ich meine beiden Gewehre auch, und dann folgten wir, ohne das Buschwerk wieder zu verlassen, dem Bache, welcher uns, seinem Laufe aufwärts, nach dem Wäldchen führen sollte.

Die Dämmerung brach herein, und da wir uns im Dikkicht befanden, war es um uns dunkler als draußen auf der Prairie; dennoch braucht eigentlich gar nicht gesagt zu werden, daß unser Vordringen ohne das geringste Geräusch vor sich ging. Wir erreichten die Stelle, wo die Ufer des Baches sich nach rechts wendeten und wir das Wäldchen vor uns hatten, wo es kein Unterholz gab und das Anschleichen also bequemer war. Von Stamm zu Stamm schlüpfend, näherten wir uns dem Baume, auf dessen Ast wir die Lanze gesehen hatten. Da er am Rande des Gehölzes stand, wo es wieder Büsche gab, war es dort heller als bei uns unter dem dichten Wipfeldache, und so konnten wir, ohne selbst bemerkt zu werden, sehen, wer sich an dem oft erwähnten Signalbaume befand.

Dort gab es einen alten, verlassenen Kaninchenbau, welcher einen kleinen, aber doch über meterhohen Hügel bildete, an welchem der einstige »König der Cowboys« saß. Sein Pferd weidete draußen auf der Prairie, ein Beweis, daß Old Wabble sich hier an diesem Orte sicher fühlte, denn wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte er sein Tier innen im Gehölz versteckt, wo wir ein zweites Pferd erblickten, welches mit den Zügeln an einem Baume angebunden war. Es war indianisch aufgezäumt und, so viel wir bei der zunehmenden Dunkelheit sehen konnten, ein vorzüglich gebauter dunkelbrauner Hengst. Zwischen Haut und Sattel lag – eine Seltenheit für ein Indianerpferd – eine dunkle Lederdecke mit ausgeschnittenen Figuren, welche, durch untergelegtes weißes Leder hervorgehoben, sieben Bären darstellten. Das war der Grund, daß Winnetou mit solcher Bestimmtheit hatte sagen können, daß Old Wabble auf Schahko Matto warte, denn nur diesem, dessen Namen »sieben Bären« bedeutete, konnte der Hengst gehören.

Die gegenwärtigen Umstände machten es zweifellos, daß der Häuptling nur fortgegangen war, um irgend ein Wild zu beschleichen; der Proviant war ihm ausgegangen. Daß er das wertvolle Pferd zurückgelassen hatte, deutete darauf, daß auch er diese Gegend und das Wäldchen für vollständig sicher hielt. Bei Winnetou und mir aber wäre eine solche Sorglosigkeit vollständig unmöglich gewesen. Daß Old Wabble hierher gekommen war und nun so ruhig auf ihn wartete, ließ auf ein ganz besonderes Einvernehmen zwischen beiden schließen, und welcher Art dasselbe war, das läßt sich leicht erraten. Old Wabble hatte in früheren Zeiten den Beinamen »Indianerschinder« getragen und war als solcher von allen Roten gehaßt und gefürchtet worden; der Häuptling eines roten Stammes konnte trotz dieses Hasses nur dann mit ihm in Verbindung treten, wenn er große Vorteile davon erwartete, und da die Osagen sich jetzt auf dem Kriegsfuße befanden, so konnte es sich nur um irgend eine Teufelei handeln, welche sehr wahrscheinlich gegen Weiße gerichtet war. Es verstand sich dabei ganz von selbst, daß dies nicht das erste Zusammentreffen in dieser Angelegenheit zwischen Schahko Matto und dem Alten war, und ich hielt es für sehr wahrscheinlich, daß Old Wabble sich von den Osagen als Spion benutzen ließ. So eine Infamie war ihm schon zuzutrauen.

Wenn Winnetou mit solcher Bestimmtheit vorhergesagt hatte, daß unsere Gefährten zwei Gefangene bei uns finden würden, so war er überzeugt gewesen, daß der Osage uns nicht lange auf seine Rückkehr warten lassen werde. Dies war auch meine Ansicht, weil von der Erlegung eines Wildes nach eingebrochener Dunkelheit nicht mehr die Rede sein konnte. Als ob er die Richtigkeit dieser Ansicht zu beweisen habe, sahen wir, zwischen den Stämmen hindurch und hinaus auf die Prairie blickend, beim letzten Dämmerlichte einen Indianer, welcher so sorglos und grad auf das Wäldchen zugeschritten kam, daß er ganz gewiß nicht den Gedanken hegte, es könne sich ein ihm feindliches Wesen hier befinden.

Je mehr er sich in dem eigentümlichen Gange, welcher eine Folge der dünnen, absatzlosen Mokassins ist, uns näherte, desto deutlicher konnten wir ihn erkennen. Er war nicht groß, aber ungemein breit gebaut und machte trotz der ungewöhnlichen Krümmung seiner Beine und seines Alters – er mochte über fünfzig zählen – den Eindruck eines körperlich außerordentlich kräftigen Menschen. In der einen Hand trug er das Gewehr, in der andern ein erlegtes Prairiehuhn. Als er das Wäldchen fast erreicht hatte, mußte er trotz des jetzt herrschenden Dreivierteldunkels die Fährte des Alten sehen. Er blieb stehen und rief, gegen das Gehölz gerichtet, in leidlich gutem Englisch:

»Wer ist der Mann, der diese Spur machte und sich jetzt unter den Bäumen befindet?«

Winnetou legte mir die Hand auf den Arm, ihn leise drükkend, ein Ersatz des mitleidigen Lächelns, welches ich nicht sehen konnte, ihm abgelockt durch das unbegreiflich thörichte Verhalten des Osagen, dessen Frage vollständig überflüssig war. Entweder befand sich sein Verbündeter im Wäldchen, welches er in diesem Falle getrost betreten konnte, oder es war ein Feind darin versteckt, vor dessen Anschlägen ihn die Frage unmöglich schützen konnte. Was er erwartet hatte, das geschah: der alte Cowboy antwortete mit lauter Stimme:

»Ich, Old Wabble, bin es; komm herein!«

»Sind noch andere Bleichgesichter bei dir?«

»Nein. Du mußt doch an meiner Spur sehen, daß ich allein gekommen bin!«

Das war nicht richtig. Er konnte auch Gefährten haben, die sich vorher von ihm getrennt und dann von einer entfernten Stelle aus, gerad so wie wir, nach dem Gehölz begeben hatten. Wir wußten, daß Old Wabble sich nicht allein am Republikan-River befand. Wo waren jetzt seine Begleiter? Durften sie von seiner Zusammenkunft mit dem Osagen nichts wissen, oder hatte er sie aus einem andern vielleicht uns betreffenden Grund zurückgelassen? Ich hoffte, das zu erfahren.

Schahko Matto kam herein, ging mit tastenden Schritten zu ihm hin, setzte sich bei ihm nieder und fragte:

»Wann ist Old Wabble hier angekommen?«

»Vor fast zwei Stunden,« antwortete der Alte.

»Hat er das Zeichen, welches wir verabredeten, sofort bemerkt?«

»Nicht gleich. Ich sah mich drüben an der Flußecke um und dachte, daß das Wäldchen hier ein guter Versteck sein müsse. Darum ritt ich her und sah, als ich näher gekommen war, dann auch die Lanze stecken. Du hast diesen Ort sehr gut gewählt.«

»Wir sind hier sicher, denn ich weiß, daß sich außer mir und dir kein Mensch im weiten Umkreis befindet. Ich bin schon seit gestern hier. Das war der Tag, an dem du kommen wolltest. Weil ich bis heut auf dich warten mußte, ist mein Fleisch zu Ende gegangen, und ich war gezwungen, fortzugehen, um diesen Vogel zu schießen.«

Das klang wie ein Vorwurf. Old Wabble antwortete:

»Der Häuptling der Osagen wird mir nicht zürnen, daß er warten mußte. Ich werde ihm dann sagen, weshalb ich später gekommen bin, und hege die Überzeugung, daß diese Nachricht ihm große Freude bereiten wird; th'is clear

»Ist Old Wabble auf Fenners Farm gewesen?«

»Ja. Wir kamen gestern kurz vor Mittag dort an. Der Besuch der andern drei Farmen, die ihr auch überfallen wollt, hat uns länger aufgehalten, als wir dachten. Du hättest trotzdem nur bis heute nacht auf uns zu warten gehabt. Daran, daß ich nun erst vorhin kommen konnte, trägt ein großer und sehr wichtiger Fang die Schuld, welchen du machen kannst, wenn du auf die Vorschläge eingehst, welche ich dir machen werden.«

»Was für einen Fang meint Old Wabble?«

»Davon später. Zunächst will ich dir berichten, wie ich die vier Farmen, auf welche ihr es abgesehen habt, gefunden habe.«

Wir hatten uns leise bis an die andere Seite des Kaninchenbaues vorgeschoben und hörten jedes Wort, zumal die beiden unvorsichtigen Männer gar nicht auf den Gedanken kamen, leise zu sprechen. Aus dem, was wir belauschten, bekam ich zunächst die Gewißheit, daß ich recht gehabt hatte, als ich annahm, daß Old Wabble den Spion der Osagen mache. Es handelte sich um den Überfall und die Beraubung von vier großen Farmen, Fenners Besitztum eingerechnet. Es war die alte leider immer wiederkehrende Geschichte: Die Osagen waren von den Weißen in Beziehung auf die ihnen zukommenden Lieferungen betrogen worden und hatten, um sich einigermaßen zu entschädigen und das nötige Fleisch zu haben, die Rinder einer Farm weggetrieben. Man hatte sie verfolgt und eine Anzahl ihrer Krieger getötet. Nach ihren Anschauungen forderte das ihre Rache heraus, und so wurde am Beratungsfeuer der Kampf gegen die Bleichgesichter beschlossen. Zunächst sollten die vier größten Farmen am Republikan-River überfallen werden. Da auf diesen aber eine ansehnliche Zahl von Cowboys bedienstet waren und die Roten diese halbwilden und verwegenen Kerls mehr als alle andern Gegner fürchten, mußten Kundschafter ausgesandt werden, die zu erfahren suchen sollten, mit wieviel Cowboys ungefähr man es zu thun haben werde. Die Klugheit verbot, Indianern, wenigstens Kriegern des eigenen Stammes, diese Aufgabe zu erteilen. Schon richtete Schahko Matto sein Augenmerk auf einige Mischlinge, von denen er wußte, daß sie in Beziehung auf den Unterschied zwischen gut und böse gar nicht wählerisch seien, wenn sie nur ihren Vorteil dabei fänden, da führte der Zufall ihm Old Wabble und seine Begleiter zu. Er schien mit ihm schon früher einmal in einer ähnlichen Verbindung gestanden zu haben; das Gespräch brachte zwar nichts Bestimmtes darüber, doch mußte es so sein, denn sonst hätte der Osage dem Alten einen solchen Vorschlag, auf den sofort eingegangen wurde, nicht gemacht. Das Übereinkommen lautete sehr einfach dahin, daß die Osagen die Skalpe, Waffen und Herden der Überfallenen bekommen sollten, während Old Wabble für sich und seine Leute alles übrige in Anspruch nahm. Natürlich war es seinerseits nur auf Geld und sonstige Gegenstände abgesehen, welche leicht verkauft werden konnten. Wer von beiden, Schahko Matto oder Old Wabble, der eigentliche Halunke war, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Wir bemerkten, daß der Häuptling den »König der Cowboys« nicht ein einziges Mal »mein weißer Bruder«, sondern stets nur bei seinem Namen nannte, ein Beweis, daß derartige Subjekte bei den Indsmen auch nicht mehr Achtung besitzen als bei den civilisierten Bleichgesichtern.

Als Old Wabble seinen Spionenritt begann, waren die Osagen noch nicht mit ihrer »Mobilmachung« zu Ende, und da die Erkundung der Verteidigungsverhältnisse der vier Farmen von größter Wichtigkeit für das Gelingen war, so hatte sich der Häuptling selbst und allein aufgemacht, um den Bericht des Alten an der Biegung des Republikan-River entgegenzunehmen. Die Lanze sollte die Stelle bezeichnen, an welcher Schahko Matto zu treffen sei.

Nun hatten sie sich hier im Wäldchen zusammengefunden, und Old Wabble erstattete seinen Bericht dahin, daß die Farmen mit nur geringem Verluste an roten Kriegern wegzunehmen seien. Er machte Vorschläge, welche ich übergehen kann, weil infolge unsers heutigen Einschreitens die geplanten Überfälle aufgegeben werden mußten. Der Häuptling ging teilweise auf dieselben ein und kam dann auf den »wichtigen Fang« zurück, den Old Wabble ihm beim Beginne des Gespräches in Aussicht gestellt hatte. Der alte Cowboy antwortete in seiner schlauen, wohlberechnenden Weise:

»Der Häuptling der Osagen muß mir einige Fragen beantworten, ehe ich ihm sagen kann, um was es sich handelt. Kennst du den Apatschenhäuptling Winnetou?«

»Diesen Hund? Ich kenne ihn.«

»Du nennst ihn einen Hund. Hat er sich dir gegenüber etwa einmal feindlich gezeigt?«

»Mehr als einmal! Wir hatten vor drei Sommern die Kriegsbeile gegen die Cheyennes ausgegraben und in mehreren Kämpfen schon viele ihrer Krieger getötet; da kam der Apatsche und stellte sich neben ihrem Häuptling an ihre Spitze. Er ist feig wie ein Coyote, aber schlau wie tausend alte Weiber. Er that, als ob er mit uns kämpfen wolle, zog sich aber zurück und war, als wir ihm folgten, plötzlich jenseits des Arkansas verschwunden. Während wir ihn und die entflohenen Kröten der Cheyennes dort suchten, ritt er mit größter Eile zu unsern Wigwams, nahm unsere Herden weg und alles, was daheim geblieben war, gefangen. Als wir dann ankamen, hatte er aus unsern Lagerplätzen Festungen gemacht, in denen unsere zurückgebliebenen Krieger, Greise, Frauen und Kinder steckten und in denen er mit den Cheyennes stand, uns zu einem Frieden zu zwingen, der ihm keinen Tropfen Blutes, uns aber allen Ruhm unserer Tapferkeit gekostet hat. Wolle doch der große Geist es geben, daß dieser räudige Pimo einmal in meine Hände gerät!«

Die Kriegsthat, von welcher der Häuptling jetzt erzählte, war ein wahres Meisterstück meines Winnetou gewesen. Ich hatte mich zu jener Zeit leider nicht bei ihm befunden, kannte aber aus seinem Munde alle Einzelheiten dieses hochinteressanten Schachzuges, durch welchen er die uns befreundeten Cheyennes nicht nur vom gewissen Untergange errettet, sondern sie, obgleich sie viel schwächer als ihre Feinde gewesen waren, zum vollständigen Siege über dieselben geführt hatte, und zwar ohne daß ein einziger Tropfen Blutes dabei vergossen worden war. Der Grimm, welchen Schahko Matto gegen ihn hegte, war wohl zu begreifen.

»Warum habt ihr euch noch nicht an ihm gerächt?« fragte Old Wabble. »Es ist doch so leicht, ihn zu ergreifen? Er befindet sich nur selten in den Wigwams seiner Apatschen, sondern wird vom bösen Geiste immer fortgetrieben, über die Savannen und Gebirge. Er liebt es nicht, Begleiter bei sich zu haben; also braucht man da bloß zuzugreifen, wenn man ihn haben will.«

»Du redest, ohne über deine Worte nachgedacht zu haben. Eben weil er sich unablässig unterwegs befindet, kann man ihn nicht fassen. Das Gerücht hat uns schon oft den Ort bezeichnet, an welchem er gesehen worden war; aber wenn wir dann hinkamen, war er stets schon wieder fort. Er gleicht dem Ringer, den man nicht fassen und nicht halten kann, weil er seinen Körper eingefettet hat. Und wenn man einmal glaubt, ihn ganz sicher zu haben, so befindet sich das Bleichgesicht, welches Old Shatterhand genannt wird, an seiner Seite. Dieser Weiße ist der größte Zauberer, den es giebt, und wenn er und der Apatsche bei einander sind, so besitzen hundert Osagen nicht Macht genug, sie anzugreifen oder gar sie festzunehmen.«

»Ich werde dir beweisen, daß dies ein Irrtum von dir ist. Du betrachtest diesen Old Shatterhand auch als euern Feind?«

»Uff! Wir hassen ihn noch viel, viel mehr als Winnetou. Der Häuptling der Apatschen ist doch wenigstens ein roter Krieger, der mit uns zur großen Nation der Indsmen gehört; Old Shatterhand aber ist ein Weißer, den wir schon deshalb hassen müssen. Er hat schon zweimal den Utahs gegen uns beigestanden; er ist der grimmigste Feind der Ogellallah, welche unsere Freunde und Brüder sind. Er hat mehrere unserer Krieger, als sie ihn festnehmen wollten, lahm geschossen, sodaß sie nun wie alte Weiber sind. Das ist schlimmer, als wenn er sie getötet hätte. Dieser Hund sagt nämlich, daß er seinen Feinden nur dann das Leben nehme, wenn er von ihnen dazu gezwungen werde; er giebt ihnen die Kugeln seines Zaubergewehres entweder in die Knie oder in die Hüfte und nimmt ihnen also für ihr ganzes Leben die Fähigkeit, zu den Männern, zu den Kriegern gerechnet zu werden. Das ist entsetzlicher als der langsamste Martertod. Wehe ihm, wenn er einmal in unsere Hände geraten sollte! Aber das wird wohl nie geschehen, denn er und Winnetou gleichen den großen Vögeln, die hoch über dem Meere schweben: sie kommen nie herunter, daß man sie fangen kann.«

»Du irrst abermals. Sie kommen sehr oft herunter; ich weiß sogar, daß sie grad jetzt wieder unten und leicht zu fassen sind.«

»Uff! Ist es die Wahrheit, die du sagst?«

»Ja.«

»Hast du sie gesehen?«

»Ich habe sogar mit ihnen gesprochen.«

»Wo, wo? Sag es mir schnell!«

Er stieß diese Aufforderung sehr rasch und eifrig hervor.

Wir hörten, wie begierig er darauf war, seinen heißen Wunsch, sich unser einmal bemächtigen zu können, in Erfüllung gehen zu sehen. Old Wabble antwortete um so ruhiger und bedächtiger:

»Ich kann dir behilflich sein, Winnetou, Old Shatterhand und noch drei andere Bleichgesichter zu ergreifen, denn ich weiß, wo sie zu finden sind; aber ich kann dir dieses Geheimnis nur unter einer Bedingung mitteilen.«

»So sag, was für eine Bedingung dies ist!«

»Wir nehmen sie alle fünf gefangen; Ihr bekommt die drei andern Weißen und überlaßt mir Old Shatterhand und den Häuptling der Apatschen.«

»Wer sind die drei andern Bleichgesichter?«

»Zwei Westmänner, welche Hammerdull und Holbers heißen, und ein Polizist, der sich Treskow nennt.«

»Die kenne ich nicht. Wir sollen diese fünf Männer fangen und nur die drei bekommen, die uns so gleichgültig sind, dir aber die zwei überlassen, an denen uns so viel gelegen ist? Wie kannst du das von mir verlangen!«

»Ich muß es fordern, weil ich gegen Winnetou und Old Shatterhand eine Rache habe, die so grimmig und unerbittlich ist, daß ich, um sie auszuführen, mein Leben geben würde!«

»Wir haben nicht geringeren Zorn gegen sie!«

»Das mag sein; aber ich bin es, der sie in der Falle hat, und so gebührt mir der Vorzug, die zu nehmen, die ich will.«

Der Häuptling dachte eine kleine Weile nach und sagte dann:

»Wo befinden sie sich?«

»Ganz in der Nähe; th'is very clear

»Uff, uff! Wer hätte das gedacht? Aber hast du sie schon sicher? Befinden sie sich schon in der Falle, von welcher du sprichst?«

»Ich brauche nur eine Anzahl deiner Krieger, um sie festzunehmen.«

»Krieger brauchst du von mir? Geht es nicht ohne das?«

»Nein.«

»So hast du sie auch noch nicht fest. Meine Krieger sollen dir zu der Falle behilflich sein, welche du diesen Hunden stellen willst; ohne meine Leute würde dir dieser Fang entgehen. Wie darfst du da eine so hohe Forderung stellen und grad diejenigen für dich verlangen, an denen uns am meisten gelegen ist!«

»Weil ihr gar nichts bekommt, wenn du mir nicht den Willen thust.«

»Uff! Und was bekommst denn du, wenn du keine Krieger der Osagen hast? Nichts, gar nichts! Du verlangst zu viel von mir!«

Sie stritten eine Weile hin und her. Schahko Matto war zu klug, sich übertölpeln zu lassen, und da Old Wabble einsah, daß er auf seine Rache sehr wahrscheinlich ganz verzichten müsse, wenn er nichts von seiner Forderung ablasse, so zog er es vor, in Beziehung auf eine Person zurückzutreten, um der andern desto sicherer zu sein, und erklärte:

»Nun gut! Damit du siehst, daß ich dir entgegenkomme, will ich euch zu den drei Weißen noch Winnetou überlassen; aber Old Shatterhand muß ich haben, unbedingt haben! Er ist es, dessen Rechnung bei mir höher, viel höher angelaufen ist als diejenige des Apatschen, und wenn du mir seine Person verweigerst, so lasse ich lieber alle fünf entkommen. Das ist mein letztes Wort. Nun thue, was du nicht lassen kannst!«

Der Osage zeigte keine große Lust, auf diese Forderung einzugehen; er wollte auch mich gern haben, sagte sich schließlich aber doch, daß es besser sei, sich mit dem, was ihm geboten wurde, zu begnügen, als die Gelegenheit, sich an Winnetou rächen zu können, unbenutzt vorübergehen zu lassen, und stimmte also mit den Worten bei:

»Old Wabble soll seinen Willen haben und Old Shatterhand bekommen. Nun will ich aber auch endlich wissen, wo die fünf Männer sich befinden und auf welche Weise wir sie fangen können.«

Der alte Cowboy sagte, daß er uns auf Fenners Farm getroffen hatte, hütete sich aber, von der unrühmlichen Lage zu sprechen, in welche er dabei gekommen war. Als er seine Erzählung beendet hatte, fügte er hinzu:

»Du weißt nun, daß ich nicht zur rechten Zeit hier bei dir eintreffen konnte. Ich mußte alles erfahren, was diese fünf Kerls betrifft, und durfte nichts versäumen, was geschehen mußte, wenn dieser Fang uns gelingen soll. Die Cowboys auf der Farm wußten nicht, wie ich mit Winnetou und Old Shatterhand stehe. Einer von ihnen hatte in dem Gebäude erfahren, weshalb diese beiden an den Republikan-River gekommen sind, und es den andern gesagt. Ich habe sie ausgehorcht und mich dann, als es dunkel war, an das Fenster geschlichen. Fenner saß mit ihnen in der Stube. Sie erzählten verschiedene ihrer Erlebnisse. Dazwischen fiel zuweilen eine Bemerkung über die Absichten, die sie jetzt verfolgen. Sie wollen nach Colorado hinauf, wohin ihnen ein anderer Weißer, der stets auch ein unerbittlicher Feind der roten Männer war, vorangeritten ist. Sie werden, ich konnte nicht hören, wo, mit ihm zusammentreffen und dann einen Trupp von Bleichgesichtern überfallen, die – –«

»Wer ist der Weiße, von dem du sprichst?« unterbrach ihn der Häuptling der Osagen.

»Er wird gewöhnlich Old Surehand genannt.«

»Old Surehand? Uff! Diesen Hund haben wir einmal drei Tage lang gejagt, ohne ihn erwischen zu können. Er hat uns dabei zwei Krieger und mehrere Pferde erschossen und ist seitdem nicht wieder in unser Gebiet gekommen. Er meidet diese Gegend, weil er Angst vor unserer Rache hat.«

»Da befindest du dich schon wieder im Irrtum. Er war vor einigen Tagen auf Fenners Farm, und weil er von da aus hinauf nach Colorado ist, muß er durch euer Gebiet geritten sein. Er scheint sich also nicht vor euch zu fürchten.«

»So muß er vom bösen Geiste die Gabe bekommen haben, sich unsichtbar zu machen! Dafür aber wird er, wenn er nicht über das große Gebirge geht, uns bei seiner Rückkehr in die Hände fallen. Er bleibt uns also sicher. Er muß aus Furcht vor uns nur bei Nacht geritten sein, sonst hätten wir ihn gesehen.«

»Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hättet ihr am Tage seine Spur sehen müssen. Furcht kennt dieser Kerl gar nicht. Wie wenig man sich überhaupt vor euch fürchtet, das könnt ihr wieder daraus erkennen, daß Winnetou und Old Shatterhand, eure Todfeinde, hierhergekommen sind, obgleich sie wissen müssen, daß ihr die Kriegsbeile ausgegraben habt.«

»Schweig! Das thun sie nicht aus Mangel an Furcht vor uns, sondern weil der große Geist sie verblendet hat, um sie uns in die Hände zu treiben. Die Hauptsache ist, zu wissen, wo sie sich befinden und welchen Weg sie einschlagen wollen.«

»Meinst du, daß ich zu dir komme, ohne dies erfahren zu haben? Ich habe meine Maßregeln so gut getroffen, daß sie uns nicht entgehen können. Wie lange sie auf Fenners Farm geblieben sind, das weiß ich allerdings nicht, denn ich mußte leider fort; sicher aber ist, daß sie heut dort aufgebrochen sind, weil sie Old Surehand einholen wollen. Sie werden selbstverständlich dem Flusse folgen, und weil sie an das andere Ufer übergehen müssen, habe ich an den Stellen, die sich besonders dazu eignen, einen meiner Begleiter als Wächter zurückgelassen. Dies ist auch der Grund, daß ich allein hier angekommen bin. Diese Wächter haben die Weisung, den Flußübergang der fünf Halunken abzuwarten, ihnen heimlich zu folgen und dann hierherzukommen, um uns zu melden, wohin die Kerls geritten sind. Sag, ob das nicht schlau von mir gewesen ist!«

»Old Wabble hat sehr klug gehandelt!« stimmte der Osage bei.

Wir beiden Lauscher waren da freilich anderer Meinung. Der alte »King of the cowboys« hatte ganz im Gegenteile, indem er annahm, daß wir dem Flusse folgen würden, einen großen Pudel geschossen. Wir hatten, wie bereits erwähnt, den Bogen, welchen der Republikan-River machte, in gerader Linie abgeschnitten und waren seinen Wächtern weit vorausgekommen. Jetzt konnten sie nun auf uns warten, so lange es ihnen beliebte, und an ihrer Stelle sollte Old Wabble uns zu sehen bekommen!

»Der Häuptling der Osagen,« fuhr er fort, »wird zugeben, daß ich alles gethan habe, was ich thun konnte. Nun ist nur noch nötig, daß deine Krieger zur Stelle sind, wenn sie gebraucht werden.«

»Ich werde sofort aufbrechen, sie zu holen,« sagte Schahko Matto.

»Wo befinden sie sich? Sind sie weit von hier?«

»Sie haben den Befehl, sich am Wara-tu zu versammeln, welches am großen Pfade der Büffel liegt. Dieser Ort ist von den Flüssen, denen die Bleichgesichter gern folgen, so weit entfernt, daß alle meine Krieger dort zusammenkommen können, ohne von einem Weißen gesehen zu werden. Also können die Bleichgesichter, welche zwar wissen, daß wir die Beile des Krieges ausgegraben haben, nicht ahnen, von welcher Stelle aus und in welcher Richtung sie unsern Angriff zu erwarten haben.«

»Ich weiß nicht, wo das Wara-tu liegt. Wie lange mußt du reiten, um hinzukommen?«

»Mein Pferd hat sich ausgeruht und ist der beste Renner der Osagen. Ich kann lange vor Tagesanbruch dort sein und dir bis Mittag so viel Krieger bringen, wie zur Gefangennahme der vier Weißen und des Apatschen nötig sind.«

»Wie viel werden das wohl sein?«

»Zwanzig sind mehr als genug.«

»Das glaube ja nicht. Ja, wenn der verdammte Henrystutzen Old Shatterhands nicht wäre, der von euch für eine Zauberflinte gehalten wird! Ich weiß zwar, daß von einem Zauber da keine Rede ist, aber dieser Stutzen in den Händen seines Besitzers hat wenigstens ganz denselben Wert wie zwanzig oder dreißig gewöhnliche Gewehre in den Händen gewöhnlicher Westmänner. Dir kann ich es sagen, daß ich Old Shatterhand den Stutzen einmal gestohlen habe; es ist mir aber nicht gelungen, einen einzigen Schuß daraus zu thun. Die Konstruktion ist eine so geheimnisvolle, daß ich mir damals vergeblich den Kopf damit zerbrochen habe. Es war keine Feder, keine Schraube in Bewegung zu setzen.«

»Uff, uff! Du hast ihm das Gewehr gestohlen und es nicht behalten?«

»Ja. Du magst dich zwar mit Recht darüber wundern, daß ich mich zwingen ließ, es wieder herzugeben; aber es war damals grad so, als ob alle Teufel gegen mich wären; th'is clear. Ich hätte es zerschlagen und zerbrechen sollen. Ich habe diesen Gedanken auch wirklich gehabt, aber der General wollte nicht. Dieser Schuft hatte die Absicht, das Gewehr für sich zu behalten, und so gab er es nicht zu, daß ich – –«

Er hielt mitten im Satze inne; es mochte ihm einfallen, daß es besser sei, von jener für ihn so schlecht abgelaufenen Begebenheit lieber zu schweigen. Darum fragte der Häuptling:

»Old Wabble spricht von einem Generale. Warum läßt er seine Rede so plötzlich zu Ende gehen?«

»Weil nichts dabei herauskommt. Es giebt Menschen, die man am liebsten gar nicht in den Mund nimmt; aber ich hoffe, daß dieser General mir vor meinem Tode noch einmal in die Hände läuft. Dann soll er zehnmal mehr Hiebe bekommen als damals in Helmers Home, wo er die Niederträchtigkeit beging, es zu verraten, daß ich – – – Pshaw! Es wurmt mich noch heut so sehr, als ob es erst gestern geschehen wäre; aber was nützt es, so viele Worte darüber zu verlieren; wir haben jetzt anderes und nötigeres zu besprechen! Also der Häuptling der Osagen will jetzt fortreiten, um zwanzig Krieger zu holen? Die genügen nicht, es müssen wenigstens fünfzig sein; th'is clear

Der Häuptling hatte vorhin von bloß zwanzig gesprochen, wohl nur, um nicht den Schein der Furchtsamkeit auf sich zu laden; jetzt stimmte er schnell bei.

»Old Wabble muß wissen, was er sagt. Wenn er denkt, daß wir fünfzig Krieger haben müssen, so soll er seinen Willen haben. Ich werde fortreiten, um sie zu holen.«

»Und. ich soll hier bleiben, bis du zurückkehrst?«

»Ja.«

»Wäre es nicht besser, wenn ich mit dir ritte?«

»Nein. Du mußt hier bleiben, um deine Leute zu empfangen. Sie kennen die Stelle, an welcher du dich befindest, nicht genau; darum ist es notwendig, daß du ein großes Feuer anzündest, welches weithin leuchtet.«

»Das darf ich nicht, denn Old Shatterhand und Winnetou würden es sehen, wenn sie kämen. Besser ist es, daß – –«

Er konnte nicht weitersprechen, denn er wurde in diesem Augenblicke von Winnetou mit beiden Händen am Halse gepackt. Schahko Matto war nämlich aufgestanden und zu seinem Pferde getreten, um es loszubinden; darum war die Zeit zum Handeln für uns gekommen. Während der Apatsche Old Wabble auf sich nahm, huschte ich hinter dem Häuptling her, richtete mich in seinem Rücken auf, nahm ihn mit der linken Hand beim Genick und versetzte ihm mit der rechten Hand den bekannten Jagdhieb, so daß er zusammenknickte und zu Boden fiel. Ich trug ihn nach der Stelle, wo er gesessen hatte und wo Winnetou eben mit Old Wabble fertig geworden war. Es dauerte nicht zwei Minuten, so waren sie gefesselt, und Winnetou ließ drei scharfe Pfiffe als das verabredete Zeichen hören. In kurzer Zeit kamen unsere drei Kameraden mit unsern Pferden und Gewehren; die beiden Gefangenen, welche sich noch im Zustande der Betäubung befanden, wurden quer über ihre Tiere gelegt und dort wie Säcke festgebunden. Dann verließen wir das Wäldchen, wo wir wegen der Begleiter Old Wabbles nicht bleiben durften. Wenn diese oder auch nur einer von ihnen sich zum »Baum der Lanze« fand, ohne daß wir es bemerkten, so konnten oder vielmehr mußten wir in die größte Gefahr geraten. Darum ritten wir zunächst einige Zeit am Bache aufwärts, überschritten ihn dann und hielten grad in die Prairie hinein, bis wir eine kleine isolierte Buschinsel erreichten, wo wir Halt machten. Der Boden war hier feucht und von den Büffeln ziemlich tief ausgewälzt, sodaß wir es wagen konnten, zwischen den Sträuchern auf dem Grunde der Vertiefung ein kleines Feuer anzubrennen, dessen Schein nicht hinaus auf die Prairie drang.

Als wir die beiden Gefangenen von den Pferden gebunden hatten und neben dem Feuer niederlegten, war die Betäubung längst von ihnen gewichen. Sie hatten unterwegs geschwiegen; als sie jetzt unsere Gesichter sahen, sagte zwar der Häuptling auch jetzt kein Wort, aber Old Wabble rief erschrocken aus, indem er, allerdings vergeblich, an seinen Fesseln zerrte:

»Donnerwetter, das sind die frommen Hirten wieder, die dieses Mal nicht ein, sondern zwei Lämmlein auf die Weide führen! Was fällt euch denn ein, mich wieder festzunehmen! Haben euch die feurigen Kohlen doch gereut, die ihr euch einbildet, mir aufs alte, graue Haupt gelegt zu haben?«

Winnetou war zu stolz, eine Antwort zu geben; ich folgte seinem Beispiele. Aber Dick Hammerdull wußte, was der Alte gegen uns geplant hatte, denn ich hatte zu ihm und den beiden anderen unterwegs davon gesprochen; er war voller Zorn auf Old Wabble, hielt es für feig, die höhnenden Worte desselben ruhig hinzunehmen, und antwortete deshalb:

»Laßt es euch doch nicht einfallen, euch Schäflein zu nennen! Ihr seid ärger als die schlimmsten Raubtiere, die nur töten, weil sie leben müssen! Da ein Feuer brennt, habe ich große Lust, Euch wirkliche glühende Kohlen auf Eure alte Perücke zu legen. Ihr braucht gar nicht viele Worte zu machen, so thue ich es; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

»Das würde der fromme Shatterhand nicht dulden!« lachte der Cowboy.

»Ob er es duldet oder nicht, das ist ganz egal. Wenn gestern Euer Maß noch nicht voll war, so ist es heut am Überlaufen, und wenn Ihr meint, Eure Lage durch Frechheit verbessern zu können, so befindet Ihr Euch in einem Irrtum, den ich Euch sofort beweisen werde, wenn Ihr noch ein Wort sagt, welches mir nicht paßt!«

»Wirklich? So laßt Euch wenigstens fragen, mit welchem Rechte Ihr uns als Gefangene betrachtet und behandelt!«

»Fragt nicht so dumm, alter Sünder! Old Shatterhand und Winnetou haben im Wäldchen hinter Euch gelegen und jedes Eurer Worte gehört. Wir wissen also ganz genau, was Ihr mit uns vorhattet, und denken, daß wir allen Grund haben, Euch unschädlich zu machen!«

Diese Mitteilung ließ den Mut des alten Wabble sinken. Wenn wir wußten, daß man uns hatte gefangennehmen wollen, um uns zu töten, so reichte selbst seine Frechheit nicht aus, der Angst vor unserer Rache die Wage zu halten. Zwar hatte ich ihm seinen Mordanschlag auf mich verziehen, und es war ja immerhin möglich, daß ich, falls es sich nur um mich selbst handelte, mich noch einmal zur Verzeihung geneigt zeigte; aber der heutige Plan war gegen uns alle gerichtet gewesen, und so sah der Cowboy gar wohl ein, daß es unmöglich war, ferner durch Hohn etwas zu erreichen. Er sprach also nicht weiter, und so mußte auch Dick Hammerdull schweigen.

Nun geschah etwas, was mir abermals bewies, wie geistesverwandt mir der Häuptling der Apatschen war und mit welcher wunderbaren Übereinstimmung sich unsere Gedanken zu begegnen pflegten. Gleich als wir das Wäldchen verließen, hatte ich an Fenner und an die andern Farmen gedacht, welche überfallen werden sollten. Die Besitzer waren ahnungslos; sie mußten gewarnt werden. Zwar war der Häuptling der Osagen in unsere Hände geraten, und wir konnten erwarten, daß dadurch die Ausführung seiner räuberischen Pläne einen Aufschub erleiden werde; aber wir waren so wenig Herren der gegenwärtigen Verhältnisse und auch unserer Zeit, daß allstündlich ein unvorhergesehenes Ereignis eintreten konnte, durch welches der Vorteil, den wir errungen hatten, uns wieder entrissen wurde. Der geplante Überfall war jetzt aufgeschoben, keineswegs aber ganz aufgehoben, und so mußte wenigstens Fenner, der die Warnung dann weiterschicken konnte, benachrichtigt werden. Aber durch wen? Durch Treskow keinesfalls. Hammerdull und Holbers waren zwar Westmänner, aber etwas so Wichtiges mochte ich doch keinem von ihnen anvertrauen; es handelte sich nicht nur um den glücklichen Hin-, sondern auch um den vielleicht noch schwierigern Wiederherritt. Also blieb nur Winnetou oder ich. Mir war es lieber, wenn der Apatsche die Botschaft Übernahm, denn er paßte weniger als ich zu den drei Gefährten, mit denen ohne meine Vermittelung zusammen zu sein er gezwungen gewesen wäre, wenn ich den Ritt nach Fenners Farm unternommen hätte. Ich sah, daß er das Pferd Schahko Mattos mit scharfen Kennerblicken nicht nur betrachtete, sondern, sozusagen, abwog und taxierte. Nun stand er auf, ging zu dem Tiere hin, griff in die Satteltaschen, warf alles heraus, was sie enthielten, steckte mehrere Stücke Fleisch hinein, warf seine Silberbüchse über und wendete sich dann mit der Frage an mich:

»Was sagt mein Bruder zu diesem Osagenhengste?«

»Seine Lunge ist gesund,« antwortete ich; »seine Sehnen dauern aus, und seine Beine gleichen den Läufen der Antilope. Der Rappe meines roten Bruders mag sich für den Ritt nach Colorado Kräfte sammeln; ich werde ihn unter meine besondere Aufsicht nehmen, und so mag Winnetou diesen Dunkelbraunen besteigen, der ihn schnell hin- und wiederbringen wird.«

»Uff! Mein Bruder Shatterhand weiß, wohin ich will?«

»Ja. Wir werden hier liegen bleiben und warten. Du kommst morgen wieder, ehe die Sonne untergeht.«

»Howgh! Meine Brüder leben wohl!«

Er schwang sich in den Sattel und ritt von dannen. Er wußte, daß er mir nichts weiter zu sagen brauchte, am allerwenigsten aber Verhaltungsmaßregeln zu erteilen hatte. Anders freilich stand es mit meinen drei Kameraden, welche mich, kaum daß er den Rücken gewendet hatte, nach dem Zwecke und dem Ziele seines nächtlichen Rittes fragten. Ich teilte ihnen das Nötige leise mit, denn die Gefangenen brauchten nicht zu erfahren, daß die Besitzer der bedrohten Farmen gewarnt werden sollten. Hierauf aßen wir, und dann verteilte ich die Wachen, und zwar so, daß ich bis nach Mitternacht schlafen konnte. Die Zeit zwischen da und dem Morgen ist im Prairieleben stets die kritische; da wollte ich munter sein, weil ich mir mehr traute als den Kameraden.

Nachdem ich meinen drei Genossen die größte Aufmerksamkeit in Beziehung auf die Gefangenen und auf das Feuer eingeschärft hatte, legte ich mich nieder und schlief augenblicklich ein. Es gab ja keine Sorge, welche mir den Schlaf hätte verscheuchen können, Ich schlief so lange, bis mich Dick Hammerdull weckte, welcher die dritte Wache hatte. Ich fand alles in Ordnung und stieg, während mein Vormann sich niederlegte, aus der Vertiefung heraus, um außerhalb der Büsche auf und ab zu schreiten. Dabei überlegte ich mir, was mit den beiden Gefangenen zu geschehen habe.

An das Leben wollte ich ihnen nicht, obgleich wir durch die Gesetze der Savanne vollberechtigt waren, sie dadurch, daß wir sie töteten, für uns und andere unschädlich zu machen. Aber durfte ihr Mordanschlag ganz ohne Ahndung bleiben? Und wenn nicht, welche Strafe sollten wir für sie wählen? Es kam mir der Gedanke, sie soweit mit uns hinauf nach Colorado zu nehmen, daß inzwischen die geeignete Zeit zum Überfalle der Farmen verstreichen mußte; aber es gab gewichtige Bedenken dagegen. Die Gegenwart zweier gefesselter Menschen mußte uns sehr aufhalten und in vielen Beziehungen unbequem werden, ganz abgesehen davon, daß wir sie grad dahin schleppten, wohin sich ihre Rachsucht dann richten mußte. Am besten war es, ich ließ diese Gedanken für einstweilen fallen und wartete, was Winnetou für eine Meinung äußern werde.

Den Ort, wo sich die Osagen jetzt befanden, kannte ich ganz genau; ich war mit Winnetou schon wiederholt dort gewesen. Die im Herbst nach Süden und im Frühjahre wieder nach Norden ziehenden Büffelherden pflegten immer genau dieselben Wege einzuhalten, Wege, welche stellenweise tief ausgetreten wurden und während des ganzen Jahres kenntlich blieben. An einem solchen Büffelpfade lag das Wara-tu, zu deutsch »Regenwasser«. Es war eine Stelle, ähnlich derjenigen, an welcher wir uns jetzt befanden, nur daß sie weit mehr Gebüsch und Graswuchs hatte und viel tiefer lag, so daß sich das Regenwasser sammeln konnte, ohne selbst in der heißen Jahreszeit ganz zu verdunsten. Winnetou hatte uns absichtlich nach dem Orte geführt, an welchem wir lagerten, denn dieser lag genau in der Richtung, welche von dem Wäldchen, in dem wir die Gefangenen gemacht hatten, nach dem Wara-tu führte. Er schien gewillt zu sein, das »Regenwasser« nach seiner Rückkehr einmal, wenn auch nur von weitem, in das Auge zu nehmen.

Die Nacht verging, und der Morgen brach an; ich weckte dennoch die Gefährten nicht, sondern ließ sie weiterschlafen. Wir hatten ja nichts vor und konnten die Kräfte, welche der Schlaf uns brachte, später wahrscheinlich gut gebrauchen. Als sie später erwachten, aßen wir als Morgenbrot ein Stückchen Fleisch. Die Gefangenen bekamen nichts; eine Hungerkur von einigen Tagen konnte solchen Menschen gar nichts schaden; ich hatte oft genug gehungert, ohne andern nach dem Leben getrachtet zu haben. Dann legte ich mich wieder zum Schlafen nieder, und so verging uns der Vor- und auch der Nachmittag unter abwechselndem Schlafen und Wachen, bis gegen Abend, wie ich gestern vorausgesetzt hatte, Winnetou zurückkehrte. Er war gegen zwanzig Stunden unterwegs gewesen, hatte keinen Augenblick geschlafen und sah doch so frisch und munter aus, als ob er sich ebenso ausgeschlafen und ausgeruht hätte wie wir. Auch der Dunkelbraune, den er geritten hatte, schien gar nicht überanstrengt zu sein, und ich sah, mit welchem befriedigten, ja stolzen Blicke sein bisheriger Besitzer, der Häuptling der Osagen, dies bemerkte. Ich hatte mir vorgenommen, diesen seinen Stolz in Wut zu verwandeln. Nach den Gesetzen der Savanne gehört der Gefangene nebst allem, was er bei sich hat, demjenigen, in dessen Hände er gefallen ist. Wir brauchten gute Pferde. Winnetous und mein Rappen waren vorzüglich. Dick Hammerdulls Stute war zwar grundhäßlich, aber stark und ausdauernd; er wäre auch nicht dazu zu bewegen gewesen, sich von ihr zu trennen. Treskows Pferd war unter denen, die uns zur Verfügung gestanden hatten, das beste gewesen, hatte sich aber schon in der kurzen Zeit bis heut als ungenügend erwiesen. Ganz dasselbe war mit dem Gaule von Pitt Holbers der Fall. Wir hatten das zwar noch nicht zu beklagen gehabt; aber wenn einmal, was kaum zu vermeiden war, der Fall eintreten sollte, daß die Erreichung eines wichtigen Zweckes oder gar unsere Rettung von der Schnelligkeit unserer Pferde abhing, so hatten wir in den beiden genannten Pferden zwei Hemmschuhe, die uns verderblich werden konnten. Schahko Matto sollte seinen Dunkelbraunen nicht wiederbekommen; das war bei mir eine fest beschlossene Sache und zugleich eine Strafe für ihn, die er jedenfalls verdient hatte.

Winnetou sprang vom Pferde, nickte uns grüßend zu und setzte sich neben mich. Wir wechselten die Blicke und wußten nun ohne Worte, woran wir waren: er hatte seine Warnung glücklich nach Fenners Farm gebracht, und hier bei uns war nichts Erwähnenswertes vorgekommen; dies hatten wir uns durch diesen Wechselblick gesagt, und Worte waren also unnötig. Treskow, Hammerdull und Holbers freilich sahen ihn erwartungsvoll an; sie waren enttäuscht, daß er nichts sagte, wagten aber doch nicht, ihn mit Fragen zu belästigen.

Wenn er über seinen soeben beendeten Ritt jedes Wort für überflüssig hielt, so kannte ich ihn doch gut genug, um zu wissen, daß in anderer Beziehung sein Schweigen nicht lange dauern würde. Wir mußten wissen, wie es mit den am »Regenwasser« lagernden Osagen stand, doch lag dieser Ort nicht in der Richtung, welche wir auf dem Wege nach Colorado einzuschlagen hatten. Auch konnten wir, wenn wir die Osagen beschleichen wollten, die beiden Gefangenen nicht mit bis in die Nähe dieser Roten nehmen, wo wir mit der Möglichkeit zu rechnen hatten, daß sie uns wieder abgenommen wurden. Diese Angelegenheit mußte Winnetou ebenso beschäftigen wie mich, und so war ich überzeugt, recht bald darüber eine Äußerung von ihm zu hören. Ich hatte mich da auch nicht geirrt, denn er saß noch keine fünf Minuten neben mir, so fragte er mich:

»Mein Bruder Scharlih hat gut ausgeruht. Ist er bereit, jetzt gleich nach dem Wara-tu zu reiten?«

»Ja,« antwortete ich natürlich.

»Wir nehmen die Gefangenen bis an die Grenze von Colorado mit, müssen aber wissen, wie es hinter uns mit den Kriegern der Osagen steht. Das wird mein Bruder zu erfahren wissen.«

»Reitet mein Bruder Winnetou mit ihnen von hier aus auf geradem Wege fort?«

»Ja.«

»Wann?«

»Sobald das hungrige Pferd des Osagen Gras gefressen hat.«

»Will Winnetou nicht lieber warten bis morgen früh? Er hat die ganze Nacht nicht schlafen können, und wir wissen nicht, ob die nächste Nacht uns Ruhe bringen wird.«

»Der Häuptling der Apatschen ist gewohnt, nur dann zu schlafen, wenn er Zeit hat. Mein Bruder Shatterhand hat auch so einen eisernen Körper; er weiß also, daß ich nicht müde bin.«

»Gut, wie du willst! Wo treffen wir uns?«

»Mein Bruder Scharlih kennt das große Loch, welches die Dakota Kih-pe-ta-kih nennen?«

»Ja. Es wird so genannt, weil es die Gestalt eines sitzenden alten Weibes hat. Willst du mich dort erwarten?«

»Ja. Da du einen Umweg machen mußt und auch Zeit zur Beobachtung der Osagen brauchst, werden wir eher dort ankommen als du und Hammerdull.«

»Hammerdull? Der soll mit? Ich soll nicht allein reiten?«

»Nein.«

»Denkt mein Bruder, daß diese Begleitung für mich nötig ist?«

»Ja, doch nicht der Zahl der Osagen wegen. Old Shatterhand würde sich nicht vor ihnen fürchten, wenn ihre Zahl zehnmal größer wäre, als sie ist; aber es ist leicht möglich, daß er einen Gehilfen braucht, und wenn es auch nur wäre, um sein Pferd zu bewachen, welches er doch nicht so weit, wie er sich vorwagen muß, mitnehmen kann. Giebt mir mein Bruder Scharlih recht?«

»Ja, obgleich ich sehr wohl weiß, daß mehr deine Liebe als deine Sorge mir diesen Begleiter an die Seite stellt.«

Er sah sich durchschaut und nickte lächelnd. Dann wendete er sich an den gefangenen Häuptling der Osagen, mit dem er bis zu diesem Augenblicke noch kein Wort gesprochen hatte:

»Schahko Matto mag meine Frage beantworten: Ihr habt vier Farmen der Bleichgesichter überfallen wollen?«

Der Osage antwortete nicht, und so wiederholte Winnetou die Frage. Als er auch hierauf keine Antwort bekam, sagte er:

»Der Häuptling der Osagen hat solche Angst vor dem Häuptling der Apatschen, daß ihm die Worte im Munde stecken bleiben.«

Er erreichte den Zweck, den diese Worte hatten, denn Schahko Matto fuhr ihn zornig an:

»Ich, der oberste Häuptling der Osagen, habe sieben graue Bären mit dieser meiner Hand getötet; mein Name sagt es jedem, der es hören will. Wie kann ich mich da vor einem Coyoten fürchten, der zum Volke der Pimo gehört?«

Das Wort Pimo war hier als Schimpfwort für Winnetou gebraucht; er blieb trotzdem ruhig und fuhr fort:

»Schahko Matto wird nicht zugeben, daß er beabsichtigt hat, die Farmen zu überfallen?«

»Nein. Ich gebe es nicht zu; es ist nicht wahr.«

»Wir wissen dennoch, daß es so ist, denn wir haben hinter euch gelegen, ehe du mit dem Prairiehuhne kamst, und dann jedes Wort vernommen. Deine Lanze ist auf dem Aste stecken geblieben. Sie soll denen, die sie später sehen, verkünden, wie dumm ein Mensch sein kann, der sich einen Häuptling nennt. Winnetou hat noch nie gehört, daß ein Mensch, der sich verstecken will, sein Versteck mit einem Zeichen versieht, welches jedem Menschen sagt, daß sich jemand hier verborgen hat. Du brauchst den Überfall der Farmen nicht einzugestehen, denn er wird nicht stattfinden können. Ich bin gestern abend fortgeritten und habe die Bleichgesichter gewarnt. Sie würden die Hunde der Osagen, wenn sie ja noch kämen, mit Peitschen erschlagen. Ich habe auch gesagt, daß Old Wabble dein Spion gewesen ist. Wenn er sich noch einmal sehen läßt, bekommt er keine Kugel, sondern einen Strick um den Hals, wie es sich für einen Spion geziemt.«

Der Osage antwortete nicht, doch sah man es ihm an, wie grimmig er darüber war, daß Winnetou seine Pläne verraten hatte. Der alte König der Cowboys aber rief:

»Ich ein Spion? Das ist die größte Lüge, die es giebt! Wenn Winnetou mich als Spion bezeichnet hat, so ist er der größte Schuft, den man auf Erden finden kann!«

Der Geschmähte antwortete nicht. Mir aber, dem Freunde des unvergleichlichen Apatschen, war diese Frechheit denn doch zu groß, als daß ich sie ungestraft hätte hingehen lassen können. Dieser Kerl verdiente Hiebe, solche Hiebe, daß ihm die Haut zerplatzen mußte! Ich gab aber Holbers einen andern Befehl:

»Pitt, schnürt ihm die Fesseln so fest um die Gelenke, daß er schreien muß, und macht sie nicht eher wieder lockerer, als bis er um Gnade wimmert!«

Pitt Holbers wollte gehorchen, doch Winnetou, der Edle, verbot es ihm mit den Worten:

»Es soll nicht geschehen! Dieser Mann kann mich nicht beleidigen. Seine Tage sind ihm nur noch spärlich zugezählt; er steht der Grube, die ihn verschlingen wird, viel näher, als er denkt, und einen Sterbenden soll niemand quälen!«

»Ah!« lachte der Alte höhnisch. ›Jetzt fängt sogar der Rote an, zu predigen! Und wenn die Grube sich jetzt hier vor mir öffnete, ich würde sie nicht fürchten, sondern lachen. Das Leben ist nichts; der Tod ist nichts, und euer jenseits ist der größte Schwindel, von klugen Pfaffen für Kinder und für alte Weiber ausgedacht! Ich habe es euch schon einmal gesagt, und ich denke, daß ihr euch meiner Worte noch erinnern werdet: Ich bin ins Leben hereingehinkt, ohne um Erlaubnis gefragt zu werden, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nun meinerseits beim Hinaushinken irgend wen um Erlaubnis frage! Ich brauche dazu weder Religion noch Gott!«

Ja, er hatte diese Worte, ganz dieselben Worte schon einmal gesagt; ich erinnerte mich genau an sie. Und wie es mir damals vor ihm förmlich gegraut hatte, so war es mir auch jetzt, wo ich sie wieder hören mußte, als ob mir mit einem Stücke Eis über den Rücken gestrichen würde. Konnte solche Lästerung ungeahndet bleiben? Nein, und abermals nein! Ich wendete mich ab und trat zu Dick Hammerdull, um ihm so leise, daß die Gefangenen es nicht hören konnten, mitzuteilen, daß er jetzt mit mir nach dem Wara-tu reiten solle. Er war sehr erfreut darüber, da er meine Aufforderung als ein Vertrauenszeugnis betrachtete. Wir versahen uns für einen Tag mit Fleisch und stiegen dann auf unsere Tiere, um, ohne daß wir es ahnten, einer Begegnung entgegenzureiten, die ich jetzt und hier in Kansas nicht für möglich gehalten hätte.

Als wir den Lagerplatz verließen, stand die Sonne bereits am Horizonte. In einer halben Stunde mußte es dunkel sein. Das konnte uns aber nicht stören; der Westmann ist es gewöhnt, keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht zu machen, und wenn er die nötige Übung besitzt, so dienen ihm selbst in mondloser Nacht die Sterne des Himmels als Wegweiser, die so untrüglich sind, daß er sich niemals irren kann. Wie der Mensch tausend und abertausend Gedanken denken könnte und denken sollte, die ihm niemals in den Sinn kommen, so habe ich niemals auch den Gedanken aussprechen hören, wie für uns wunderbar es ist, daß jene Millionen Himmelslichter, welche Körper bedeuten, gegen die unsere Erde nur ein winziges Stäublein ist, uns doch als nie irrende Führer durch die pfadlosesten Gegenden und durch die irdischen Nächte dienen. Genau so wahr und ohne Falschheit ist auch der Fingerzeig, mit welchem sie den Blick des Sterblichen nach dem jenseits lenken und die große, angstvolle Frage nach dem spätern Leben mit einem Glück und Ruhe bringenden ja beantworten.

Die Sonne sank; das Abendrot verglomm; die letzten matten Streifen der Dämmerung verschwanden wie sterbende Hoffnungen am Horizonte. Glücklicherweise giebt es einen Osten, der uns Licht und Hoffnung wiederbringt! Es trat die erste, tiefe Dunkelheit des Abends ein, welche, weil noch kein Stern am Himmel steht, finsterer als die Nacht selber ist. Ein Städtebewohner hätte vom Pferde steigen und auf die Sterne warten müssen, wollte er nicht den Hals riskieren. Wir aber flogen im Galopp über die hier nicht mehr »rollende«, sondern tischebene Prairie. Unsere geübten Augen waren scharf und diejenigen unserer Pferde noch schärfer. Einmal lief mein Rappe, ohne daß ich den Grund ersah, einen Bogen; ich ließ ihm den Willen, denn ich wußte wohl, daß er es nicht ohne Veranlassung that. Wahrscheinlich flogen wir an einer Kolonie von Prairiehunden vorüber. Diese Tiere wohnen oft zu Hunderten beisammen und unterhöhlen den Boden derart, daß jeder Reiter, welcher nicht will, daß sein Pferd die Beine bricht, einen Umweg machen muß. Der Klang der Hufe war ein harter; es gab kein Gras; wir befanden uns nun schon im westlichen Teile des Staates, welcher kahler, trockener und weniger fruchtbar als der östliche ist.

Es gab keinen Baum und keinen sonstigen Gegenstand, der als Merkmal dienen konnte, und wenn es so etwas gegeben hätte, wir hätten es in dieser Finsternis nicht sehen können. In solcher Lage muß man sich nach jenem Sinne richten, der nur Lieblingen der Wildnis angeboren ist und den noch kein Gelehrter zu definieren vermochte. »Ortssinn« ist nicht bezeichnend genug dafür; »Orientierungssinn« kommt dem Wesen vielleicht schon näher. Ist es Instinkt? Wohl jenes geheimnisvolle, innerliche Schauen, welches den Wandervogel den geradesten Weg von Schweden nach Ägypten finden läßt? Ich weiß es nicht; aber so oft ich mich auf dieses verborgene, unbegreifliche Auge verlassen habe, wurde ich von ihm genau an das Ziel geführt.

Dick Hammerdull verließ sich ganz auf mich. Er fragte mich einige Male, ob ich auch den richtigen Weg hier wisse; ich konnte ihm natürlich nichts anderes antworten, als daß es in dieser unbewohnten Gegend gar keine Wege gebe; also konnte ich weder auf dem richtigen, noch auf einem falschen sein. Er klagte in seiner drolligen Weise:

»Jagt doch nicht so, Mr. Shatterhand! Wollen langsamer reiten! Es ist doch grad, als ob wir durch eine umgestürzte, meilenlange Feueresse galoppierten. Mein Hals ist auch was wert, und wenn ich mit dem Pferde stürze und ihn mir zerbreche, so habe ich keinen zweiten. Haben wir denn gar so große Eile, Sir?«

»Allerdings.«

»Warum?«

»Weil wir noch lange vor dem Morgenlichte das Wara-tu erreichen müssen. Dieser Ort liegt nämlich in einer ziemlich weiten, offenen Ebene. Bei Tage würden die Osagen uns also kommen sehen.«

»Ob sie uns sehen oder nicht, das bleibt sich ganz egal; aber beeilen müssen wir uns da allerdings, denn wenn sie uns bemerken, so haben wir den weiten Ritt umsonst gemacht. Pitt Holbers, altes Coon, denkst du – –«

Ich lachte laut auf. Er hielt mitten in seinem Fragesatze inne und lachte mit. Er war es so gewöhnt, seinen alten Pitt zu Rate zu ziehen, daß er auch jetzt die bewußte Frage an den leider Abwesenden hatte richten wollen.

Später erschien ein Stern und noch einer; zu diesen zweien gesellten sich mehr und immer mehr, bis wir den schönsten Astralhimmel über uns hatten und also aus Dick Hammerdulls »meilenlanger Feueresse« herausgekommen waren. Nun ritt es sich freilich besser als vorher, und das war sehr gut, denn das Terrain war, ohne besondere Wellen zu zeigen, »faltig« geworden, wie der Militärausdruck lautet. Es gab zahlreiche Senkungen, welche so unregelmäßig verliefen, daß wir, immer die gerade Richtung einhaltend, ihnen bald folgen und bald sie durchqueren mußten. Das war natürlich anstrengend für unsere Tiere; aber sie hatten sich einen ganzen Tag lang ausgeruht; meinem Hatatitla war nichts anzumerken, und Hammerdulls Stute lief so beharrlich nebenher, als ob sie der Seitenschatten meines Hengstes sei. Natürlich ließen wir die Tiere auch zuweilen langsam gehen, und einmal, als wir an ein Wasser kamen, durften sie trinken, doch ritten wir durchschnittlich so schnell, daß Holbers und Treskows Pferde gewiß zurückgeblieben wären.

So ging Mitternacht vorüber, und die Sterne verschwanden, nicht weil es Zeit für sie gewesen wäre, unterzugehen, sondern weil sich der Himmel mit Wolken bedeckte, welche ihn ganz umzogen und immer dichter wurden. Es bereitete sich ein Gewitter vor.

»Das hat noch gefehlt!« zürnte Hammerdull. »Es wird wieder schwarz um uns, schwärzer als vorher. Ich schlage vor, hier anzuhalten und uns niederzusetzen!«

»Warum?«

»Nun, wird der Name Wara-tu nicht mit ›Regenwasser‹ übersetzt?«

»Allerdings.«

»Gut! Warum also weiterreiten? Wenn wir uns hier mitten in die alte Prairie setzen und einige Zeit warten, bekommen wir so viel Regenwasser, wie wir uns nur wünschen können.«

»Macht keine dummen Witze! Mögt Ihr über diesen Umschlag des Wetters raisonnieren, mir kommt er sehr gelegen.«

»Das begreife, wer da will!«

»Seht Ihr denn nicht ein, daß es uns bei dieser Finsternis viel leichter wird, an die Osagen zu kommen, als wenn es noch so sternenhell wie vorhin wäre?«

»Hm, ja; daran habe ich nicht gedacht. Ihr habt sehr recht, vorausgesetzt, daß Ihr Euch trotz der Dunkelheit zutraut, das Wara-tu überhaupt zu finden.«

»Noch eine gute halbe Stunde, so haben wir es.«

»Schon? Es muß doch weiter sein!«

»Warum?«

»Schahko Matto wollte doch am Abend fortreiten und seine Krieger erst am nächsten Mittag bringen.«

»Es stimmt dennoch. Die Stelle, wo wir lagerten, liegt von hier aus eine Stunde näher als der »Baum der Lanze«. Der Osage hätte nicht sofort nach seiner Ankunft bei dem Wara-tu wieder aufbrechen können; er mußte wenigstens eine halbe Stunde dort verweilen. Und sodann hätte er mit den schlechteren Pferden seiner Leute den Rückweg nicht so rasch zurücklegen können wie den Hinweg auf seinem schnellen Dunkelbraunen. Das alles hat er in Berechnung gezogen, als er Old Wabble sagte, wie lange er ausbleiben würde. Nehmt dazu, wie wir beide geritten oder vielmehr gejagt sind, so werdet Ihr Euch nicht wundern, wenn ich Euch sage, daß wir nur noch zwei Meilen haben, bis wir am Ziele sind.«

»Well – wenn wir es finden und bei dieser ägyptischen Sonnen-, Mond- und Sternenfinsternis nicht darüber hinausreiten!«

»Habt keine Sorge, lieber Dick! Ich kenne mich hier aus.«

»Ob Ihr Euch auskennt oder nicht, das ist ganz einerlei, das ist sogar ganz egal, wenn Ihr Euch nur zurechtfindet!«

Ich sprach zu ihm mit großer Sicherheit; es mußte sich bald zeigen, ob ich mir nicht zu viel zugetraut hatte. Es galt, ein langgestrecktes, breites, muldenförmiges Thal zu durchqueren; wenn wir nicht auf dasselbe trafen, hatten wir uns verritten. Schon wollte ein Zweifel in mir aufsteigen, da begann der Boden sich ziemlich rasch zu senken. Wir stiegen ab und führten, der Senkung folgend, unsere Pferde. Unten angekommen, setzten wir uns wieder auf, ritten quer über die Mulde und dann drüben die Lehne hinauf. Nun konnte ich in frohem Tone sagen:

»Wir sind so genau und richtig geritten, als ob wir den hellsten Sonnenschein hätten. Jetzt noch fünf Minuten lang Galopp über eine glatte, ununterbrochene Ebene, und wir stoßen mit der Nase grad an das Wara-tu.«

»Bitte, nehmt die Eurige dazu, Sir! Ich habe meine Nase zu ganz andern Zwecken im Gesicht. Übrigens freue auch ich mich unendlich, daß wir bei diesem Mangel aller Laternen nicht an den Nordpol geraten sind. Es giebt Gebüsch am Wara-tu?«

»Viel, und sogar einige Bäume.«

»Reiten wir ganz hinan?«

»Um diese Frage beantworten zu können, muß ich erst rekognoszieren. Wenn es nicht so finster wäre, hätte ich Euch mit den Pferden da hinter uns in der Thalmulde lassen und mich allein mühsam anschleichen müssen. Ihr seht, wie gut für uns das Gewitter ist, welches den Himmel ganz bedeckt hat und nun bald losbrechen wird. Es ist, als ob es sich bloß wegen uns zusammengezogen hätte. Reiten wir jetzt langsamer; wir müssen nun sehr vorsichtig sein!«

Wir zügelten unsere Pferde und waren dann kaum noch eine Minute weitergeritten, so zuckte grad vor uns ein Wetterleuchten über den Horizont, bei welchem wir ein scheinbar lang gezogenes Buschwerk sahen, dem wir uns auf vielleicht fünfhundert Schritte genähert hatten.

»Wir sind am Ziele,« sagte ich, indem ich aus dem Sattel stieg. »Die Pferde mögen sich legen. Ihr bleibt bei ihnen zurück und nehmt hier meine Gewehre.«

»Wollen wir ein Zeichen verabreden, oder werdet Ihr mich sicher finden, Sir?« erkundigte sich Hammerdull.

»Habe ich das Wara-tu gefunden, so finde ich Euch auch. Ihr seid ja dick genug!«

»Jetzt macht Ihr die schlechten Witze, Mr. Shatterhand. Nun habt Ihr das schöne Wara-tu vor Euch. Stoßt mit der Nase an!«

Ich gab meinem Pferde mit der Hand das Zeichen, sich zu legen; es gehorchte, ebenso die Stute Hammerdulls. Dann schritt ich vorsichtig auf die Büsche zu.

Man denke sich eine schüsselförmige, mit Wasser ziemlich gefüllte Vertiefung von vielleicht fünfzig Meter Durchmesser, rings von teils dicht, teils einzeln stehenden Sträuchern umgeben, aber zwischen dem Wasser und dem Gesträuch einen ziemlich breiten, buschfreien Ring, der sich aus lauter muschelartigen Eindrücken zusammensetzte, welche durch das Wälzen wilder Büffel entstanden waren. Diese Tiere pflegen sich instinktmäßig im weichen Boden zu wälzen, um sich mit einer schlammigen Kruste zu bedecken, die ihnen Schutz vor mancherlei Insekten bietet. Das war das Wara-tu, welches ich jetzt zu umschleichen hatte. Umschleichen? Nein; dazu sollte es gar nicht kommen.

Ich erreichte die ersten Büsche mit Leichtigkeit und – -roch und hörte zugleich links von mir Pferde. Mich niederduckend, wandte ich mich nach dieser Richtung, denn es ist in solchen Fällen stets geraten, sich auch um die Pferde der Feinde zu bekümmern. Sie waren alle angehobbelt, außer einem, welches an zwei in die Erde getriebenen Pflöcken hing. Hinter den Büschen brannten mehrere Feuer, deren Schein in der Weise durch eine Strauchöffnung drang, daß er dieses Pferd traf. Dies genügte, mir seinen Bau zu zeigen. Es war ein edler, sehr dunkler Rotschimmel, dessen prächtige Mähne so in Knoten und immer kleiner werdende Knötchen geknüpft war, wie ich es bei den Naiini-Komantschen gesehen hatte. Wie kamen die Osagen zu dieser Art und Weise einer Mähnenzierde? Doch war das jetzt Nebensache; wichtiger fand ich den Umstand, daß keine einzige Wache bei den Pferden war. Diese Indsmen mußten sich ungeheuer sicher fühlen! Ich kehrte, um dem Feuerscheine auszuweichen, einige Schritte zurück, legte mich auf die Erde nieder und schob mich dann in das Gebüsch hinein.

Es kommt zuweilen vor, daß einem etwas, was man für sehr schwierig gehalten hat und was auch wirklich schwierig ist, durch das Zusammentreffen günstiger Umstände sehr leicht gemacht wird. So war es heut hier am Wara-tu. Kaum in das Buschwerk eingedrungen, sah ich die ganze Scene bis auf das Kleinste deutlich vor mir liegen.

Von vier großen Feuern hell beleuchtet, hatten sich wohl über zweihundert Osagen auf dem erwähnten, freien Ring rund um das Wasser gelagert und sahen mit großer Spannung sechs Kriegern zu, welche soeben begonnen hatten, den Büffeltanz aufzuführen. Indem ich meine Augen rundum gleiten ließ, blieb es an einem der wenigen hier stehenden Bäume haften, an welchem ein nicht im Gesicht bemalter Indianer lehnte. Er war angebunden, also Gefangener. Sein Gesicht war hell beleuchtet; ich erschrak, als ich es sah, aber mehr in freudiger als in entgegengesetzter Weise. Dieses Gesicht kannte ich genau, sogar sehr genau; es war ein mir sehr lieb gewordenes. Und nun konnte ich mir auch die Anwesenheit des Pferdes mit der fremdgeknüpften

Mähne erklären: der Rotschimmel gehörte dem Gefangenen. Diese hohe, breite, volle Gestalt, dieser markige und doch so leichtbewegliche Gliederbau, dieses kaukasisch gemeißelte Gesicht mit der stolzen, selbstbewußten Ruhe in den Zügen, das konnte nur einer sein, den ich lange nicht gesehen, an den ich aber umso öfter gedacht hatte, nämlich Apanatschka, der junge, edle Häuptling der Naiini-Komantschen!

Was hatte ihn nach Kansas heraufgeführt? Wie war er in die Hände der Osagen gefallen? Osagen und Komantschen! Ich wußte, welche unerbittliche Feindschaft zwischen diesen beiden Völkern herrschte; er war verloren, wenn es mir nicht gelang, ihn zu retten! Retten? Pshaw, kinderleicht! Kein Mensch achtete jetzt auf ihn, denn aller Augen waren auf die Tänzer gerichtet. Zwei Büsche standen hinter dem Baum, an den er gebunden war, Deckung genug für mich, von hinten nahe an ihn zu kommen!

So schnell mir diese Gedanken kamen, so schnell wurden sie ausgeführt. Ich schob mich aus dem Gesträuch zurück, stand auf und eilte zu Hammerdull.

»Auf mit den Pferden!« gebot ich ihm. »Setzt Euch auf Eure Stute! Kommt!«

»Was ist los?« fragte er. »Müssen wir fort?«

»Die Osagen haben einen Gefangenen, den ich kenne und den ich befreien muß.«

»Heavens! Wer ist's, Mr. Shatterhand?«

»Das später; kommt nur, kommt!«

Mein Rappe sprang auf mein Zeichen auf, ich nahm ihn beim Zügel und zog ihn fort. Hammerdull hatte sich trotz seiner Dickheit schnell in den Sattel geschwungen und folgte mir. Ich führte ihn nicht dorthin, wo ich gewesen war, sondern genau nach dem Außenpunkte des Gebüsches, welcher hinter Apanatschkas Rücken lag.

»Wartet hier! Ich bringe noch ein Pferd.«

Mit diesen Worten schnellte ich mich wieder fort. Ich mußte mich beeilen, denn die Befreiung des Gefangenen hatte zu geschehen, noch ehe der Büffeltanz, welcher die ganze Aufmerksamkeit der Osagen in Anspruch nahm, zu Ende war. Ich lief nach der andern Seite zu dem Rotschimmel, löste ihn von den Pflöcken und wollte mit ihm fort. Er weigerte sich, blieb stehen und schnaubte laut. Das konnte mir und meinem Vorhaben gefährlich werden. Glücklicherweise wußte ich, was ich zu thun hatte, ihn mir willig zu machen.

»Eta, kavah, eta eta!« schmeichelte ich ihm, indem ich ihm den fischglatten Hals streichelte.

Als er die bekannten Laute hörte, gab er sofort den Widerstand auf und ging mit mir. Als ich mit ihm bei Hammerdull ankam, zuckte der erste Blitz über den Himmel und krachte der erste Donnerschlag. Nun aber schnell, sehr schnell, sonst wird der Tanz wegen des Gewitters eher beendet!

»Haltet auch dieses Pferd, welches der befreite Gefangene besteigen wird,« forderte ich den Dicken auf, »sobald ich komme, gebt Ihr mir meine Gewehre!«

»Well! Bringt ihn nur erst, und bleibt nicht selber stecken!« antwortete er.

Wieder leuchtete der Blitz, und wieder krachte der Donner. Ich drang so rasch und doch so leise wie möglich in das Gebüsch, warf mich zu Boden und schob mich unten an der Erde fort. Noch währte der Tanz, den jetzt alle Osagen mit einem lauten, in der Fistel gebildeten »Pe-teh, Pe-teh, Peteh!« begleiteten, wobei sie taktmäßig in die Hände klatschten. Da konnten sie das Rauschen der Zweige nicht hören; ich kam also sehr rasch vorwärts und viel schneller hinter den Gefangenen, als ich es für möglich gehalten hatte. Ich sah kein einziges Auge auf ihn gerichtet; auch er sah wahrscheinlich dem Tanze zu. Um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, berührte ich zunächst seinen Unterschenkel. Er zuckte leicht zusammen, doch nur für einen Augenblick.

»Go-oksch!« sagte ich so laut, daß er es trotz des Gesanges, sonst aber weiter niemand, hören konnte.

Er senkte den Kopf – ein nur mir bemerkbares Nicken, zum Zeichen, daß er meine Hand gefühlt und mein Wort verstanden habe. Er war mit drei Riemen an den Baum gefesselt; einer war um seine Fußgelenke und den Stamm, ein zweiter um seinen Hals und den Stamm geschlungen, während man ihm mit dem dritten die nach rückwärts um den Baum gezogenen Hände zusammengebunden hatte. Grad so wie jetzt hinter Apanatschka, hatte ich einst hinter Winnetou und seinem Vater Intschu tschuna gesteckt, um sie von den Bäumen loszuschneiden, an die sie von den Kiowas gebunden worden warenSiehe »Winnetou« Band I Pag. 218 etc.. Ich war überzeugt, daß Apanatschka sich nicht weniger klug verhalten werde wie damals die beiden Apatschen, und zog das Messer. Zwei Schnitte gnügten, den untern Riemen und dann auch die Handfessel zu durchschneiden; aber um an den Halsriemen zu kommen, mußte ich aufstehen, und das war gefährlich, weil ich da gesehen werden mußte, wenn in diesem Augenblicke auch nur ein einziger Osage nach dem Gefangenen schaute. Da kam mir der Zufall zu Hilfe. Einer der Tänzer war infolge seiner allzu lebhaften Bewegungen dem Wasser zu nahe gekommen; der weiche Uferrand wich unter seinem Fuße, und er fiel in den Tümpel. Ein allgemeines Gelächter erscholl, und alle Augen richteten sich auf den triefenden Büffelimitator. Das benutzte ich. Schnell in die Höhe – ein Schnitt – dann ebenso schnell wieder nieder! Niemand hatte mich gesehen.

»Beiteh, took ominu!« forderte ich ihn in demselben Tone wie vorher auf und kroch einige Schritte zurück.

Ihn scharf im Auge behaltend, sah ich, daß er noch eine kleine Weile stehen blieb; dann duckte er sich plötzlich nieder und huschte zu mir ins Gesträuch. Nun konnte es mir sehr gleichgültig sein, was jetzt geschah; erwischen sollten sie uns nicht! Ich nahm ihn bei der Hand und zog ihn, jetzt noch in niedergeduckter, kauernder Haltung, mit mir fort. Da erleuchtete der Blitz das ganze Gebüsch; ein schrecklicher Donner erdröhnte, und mit einem Male klatschte wie ein stürzender See der Regen vom Himmel herab. Mit dem Tanze war es aus; man mußte die Flucht des Komantschen bemerken. Ich richtete mich auf, riß ihn auch empor und zog ihn mit mir fort, durch die Büsche, hinaus zu Hammerdull. Hinter uns schrieen, riefen und brüllten hundert Stimmen. Der Dicke reichte mir meine Gewehre, die ich überhing. Apanatschka sah sein Pferd und sprang, ohne sich einen Augenblick darüber zu verwundern, sogleich in den Sattel. Ich war im Nu auch oben, und dann ritten wir fort, nicht etwa sehr eilig, denn das war nicht nötig, weil der laut aufschlagende Regen die Schritte unserer Pferde gar nicht vernehmlich werden ließ.

Wir ritten nicht nach der Richtung, aus welcher wir gekommen waren, sondern dahin, wo ich mit Winnetou zusammentreffen sollte, nämlich nach dem Kih-pe-ta-kih, bis wohin wir von dem Wara-tu ungefähr vier gute Reitstunden hatten. Wenn ich mir die Entfernungen genau berechnete und dabei in Betracht zog, daß Winnetou wohl keinen zwingenden Grund gehabt hatte, allzuzeitig von unserm gestrigen Lagerplatze aufzubrechen, erschien es mir als wahrscheinlich, daß wir eher als er an der »alten Frau« eintreffen würden. Er hatte angenommen, daß uns die Beschleichung der Osagen eine geraume Zeit kosten werde, und nun war alles so unerwartet schnell gegangen! Welchen Zweck hatte eigentlich unser Ritt nach dem Wara-tu gehabt? Zu erfahren, wie viel Osagen da versammelt waren, und wenn es ohne Gefahr für uns geschehen konnte, Fenners wegen sie wissen zu lassen, daß die Bleichgesichter vor dem Überfalle gewarnt worden seien. Und nun hatte sich uns ein Erfolg geboten, über den ich mich außerordentlich glücklich fühlte, und zwar nicht allein aus dem Grunde, daß ich Apanatschka da unten im Llano liebgewonnen hatte; es lag etwas in mir, eine Stimme oder eine Ahnung, welche mir einreden wollte, daß ich mich für diesen wackern, jungen Häuptling der Naiini-Komantschen noch mehr als bisher interessieren werde, daß mein Verhältnis zu ihm noch eine andere Gestalt anzunehmen habe. Solchen Stimmen pflege ich zu trauen; sie täuschen selten.

Er hatte mich nicht deutlich sehen können und wußte also noch nicht, wer sein Befreier war. Während ich jetzt mit Dick Hammerdull voranritt und er hinter uns her, strömte der Regen so dicht hernieder, daß er nur die Umrisse unserer Gestalten erkennen konnte und sich dicht hinter uns halten mußte, wenn er uns nicht verlieren wollte. Es machte mir Spaß, ihn auch jetzt noch über mich im unklaren zu lassen. Darum bog ich mich zu Hammerdull hinüber und sagte mit unterdrückter Stimme zu ihm:

»Wenn der Fremde fragt, so sagt ihm nicht, wer ich bin!«

»Wer ist er denn?«

»Ein Häuptling der Komantschen. Doch sagt ihm nicht, daß Ihr das wißt, sonst ahnt er, daß ich ihn kenne.«

»Darf er erfahren, daß wir zu Winnetou reiten?«

»Nein. Von dem Apatschen dürft Ihr gar nicht sprechen.«

»Well! Soll alles ganz richtig verschwiegen werden!«

Die Osagen hatten sich sehr wahrscheinlich schnell alle auf die Pferde geworfen und schwärmten nun trotz des Regens durch die ganze Umgegend des Wara-tu; eigentümlicherweise aber kam uns keiner von ihnen nahe, obgleich wir ziemlich langsam ritten. Es war in dieser geradezu vom Himmel stürzenden Wasserflut sehr schwer, nicht in eine falsche Richtung zu geraten. Die Finsternis war, wie man sich auszudrücken pflegt, mit den Händen zu greifen, und soviel und blendend hell es blitzte, war das für die Orientierung doch nicht günstig, sondern erschwerend, weil der plötzliche Wechsel zwischen tiefer Finsternis und grellem Lichte das Auge angreift und der Blitz dann die Gegenstände nicht wahr erscheinen läßt. Und dieser suppendicke Regen hielt über zwei Stunden an. Es war da ganz unmöglich, eine Unterhaltung zu führen; wir mußten uns auf die allernötigsten Zurufe beschränken.

Da brauchte ich freilich nicht zu befürchten, daß Apanatschka mich eher erkennen werde, als es in meiner Absicht lag, zumal ich einen ganz andern Anzug trug als zur Zeit, in welcher er mich kennen lernte, und die sehr breite Krempe meines Hutes so weit heruntergeschlagen hatte, daß ich ganz verstellt sein mußte.

Endlich, endlich hörte der Regen auf, aber die Wolken wichen noch nicht, und es blieb so dunkel wie vorher. Ich trieb mein Pferd an, um vorzeitigen Erkundigungen zu entgehen, und so kam es, daß Apanatschka sich an Dick Hammerdull machte. Sie unterhielten sich. Ich hatte nicht vor, auf ihre Reden zu achten, fing aber doch einige Ausdrücke des Dikken auf, welche mein Interesse erregten. Darum ließ ich meinen Schwarzen jetzt weniger ausgreifen und horchte hinter mich, doch ohne dies durch meine Haltung zu verraten. Apanatschka bediente sich des zwischen Weißen und Roten gebräuchlichen Idiomes, welches aus englischen, spanischen und indianischen Wörtern zusammengesetzt ist und von jedem guten Westmanne verstanden und gesprochen wird. Er schien eben erst gefragt zu haben, was ich sei, denn ich hörte den Dicken antworten:

»Ein Player, ist er, weiter nichts.«

»Was ist das, ein Player?«

»Ein Mann, der überall herumzieht und Bären- oder Büffeltänze tanzt, wie du vorhin von den Osagen gesehen hast.«

»Uff! Die Bleichgesichter sind doch sonderbare Leute. Die roten Männer sind zu stolz, für andere zu tanzen. Willst du mir sagen, wie sein Name ist?«

»Er heißt Kattapattamattafattagattalattarattascha.«

»Uff, uff, uff! Ich werde ihn sehr oft hören müssen, ehe ich ihn nachsprechen kann. Warum spricht das gute Bleichgesicht, welches mich gerettet hat, nicht mit uns?«

»Weil er nicht hören kann, was wir ihm sagen.«

»Ist er taub?«

»Vollständig taub!«

»Das thut meinem Herzen leid, weil er den Dank nicht hören kann, den Apanatschka ihm bringen möchte. Hat er eine Squaw, und hat er Kinder?«

»Er hat zwölf Squaws, denn jeder Player muß zwölf Frauen haben, und zweimal zwanzig Söhne und Töchter, die auch alle taub sind und nicht hören.«

»Uff, uff! So kann er mit seinen Frauen und Kindern nur durch Zeichen sprechen?«

»Ja.«

»So muß er zehnmal zehn und noch viel mehr verschiedene Zeichen haben! Wer soll sich diese alle merken! Er muß ein sehr mutiger Mann sein, daß er sich in die Wildnis wagt, ohne hören zu können, denn die Gefahren, welche es hier giebt, werden doppelt groß, wenn man sich nur auf seine Augen verlassen muß.«

Ob Dick Hammerdull, indem er mich für taub ausgab, irgend eine bestimmte, lustige Absicht hegte, oder ob ihm diese Behauptung ohne bestimmten Grund auf die Lippen gekommen war, das »blieb sich ganz egal«, wie er sich auszudrücken pflegte, denn es trat jetzt ein Umstand ein, durch welchen seine Unwahrheit offenbar wurde. Es kam mir nämlich trotz des Geräusches, welches durch die Schritte unserer Pferde verursacht wurde, So vor, als ob ich vor uns Hufschlag hörte. Ich hielt sofort an und gebot dem Dicken und Apanatschka, natürlich mit leiser Stimme, ihre Pferde auch zu zügeln. Ja, ich hatte recht gehört: Es gab einen Reiter, welcher sich uns näherte, doch ohne gerade und direkt auf uns zuzukommen. Da entstand die Frage, ob wir ihn vorüberlassen sollten oder nicht. Ich war aus naheliegenden Gründen geneigt, anzunehmen, daß es ein Osage sei. Wenn ich mich da nicht täuschte, so konnte er uns als Bote zwischen uns und seinen Kriegern nützlich sein, da diese doch erfahren mußten, daß wir ihren Häuptling ergriffen hatten, und so beschloß ich, ihn gefangen zu nehmen.

»Bleibt hier, und haltet mein Pferd und meine Gewehre,« raunte ich den beiden zu, indem ich abstieg und Apanatschka meinen Schwarzen und Hammerdull die Gewehre gab. Dann eilte ich nach links hinüber, wo ich, wenn mich mein Gehör nicht täuschte, auf den Nahenden treffen mußte. Er kam; ich duckte mich nieder, ließ ihn so weit vorüber, daß ich einen Anlauf nehmen konnte, holte aus und sprang von hinten auf sein Pferd. Ich hatte, als er an mir vorbeikam, gesehen, daß er ein Indianer war. Der ahnungslose Mann war, als er mich so plötzlich hinter sich fühlte, in der Weise überrascht, daß er nicht die geringste Bewegung zu seiner Verteidigung machte. Ich nahm ihn so fest bei der Kehle, daß er die Zügel fallen und die Arme sinken ließ. Leider verhielt sich sein Pferd weniger passiv als er. Es fühlte die plötzlich verdoppelte Last, stieg vorn empor und begann dann zu bocken und mit allen vieren auszuschlagen. Das war für mich keine Kleinigkeit. Ich saß hinter dem Sattel, hatte den Reiter festzuhalten und mußte versuchen, die Zügel zu erwischen. Am Tage wäre das leichter gewesen, aber in der jetzt herrschenden Dunkelheit konnte ich die Zügel nicht sehen und war nur darauf angewiesen, mich zu bemühen, ja nicht abgeworfen zu werden. Da tauchte an meiner Seite eine Gestalt auf, welche nach dem Maule des Indianerpferdes griff. Ich machte meine rechte Hand frei, langte mit derselben nach dem Revolver in meinem Gürtel und fragte:

»Wer ist das? Soll ich schießen?«

»Ich bin Apanatschka,« antwortete der Gefragte. »Old Shatterhand mag den Osagen herabwerfen!«

Er hatte aus dem Stampfen der Hufe gehört, in welcher Lage ich mich befand, war von seinem Pferde gesprungen, hatte Hammerdull die Zügel des meinigen gegeben und sich dann beeilt, mir zu Hilfe zu kommen. Es gelang ihm, den Zaum des Indianerpferdes zu erfassen und dieses zum Stehen zu bringen. Ich ließ den Gefangenen herabfallen und sprang nach, um ihn sofort wieder zu packen, da seine Bewegungslosigkeit nur eine Finte sein konnte, mit welcher er mich täuschen wollte. Er leistete aber auch jetzt keinen Widerstand. Er war nicht etwa besinnungslos; der Schreck schien ihm die Gewalt über sich genommen zu haben.

»Apanatschka hat mich erkannt?« fragte ich den Komantschen.

»Als du mir dein Pferd zum Halten gabst, glaubte ich, deinen Hatatitla zu sehen,« antwortete er. »Sodann bemerkte ich, daß dein Gefährte nicht ein sondern zwei Gewehre von dir empfing, und wenn ich dann noch im Zweifel war, so mußte ich, als ich dich hier hinter dem roten Krieger sitzen sah, endlich wissen, wer du bist. So einen Sprung pflegt, noch dazu des Nachts, nur Winnetou oder Old Shatterhand zu wagen, obgleich der letztere weiße Jäger leider nicht mehr hören kann! Was soll mit diesem Gefangenen, der jedenfalls ein Osage ist, geschehen?«

»Ich ahne, daß er ein Kundschafter ist, den wir mit uns nehmen müssen.«

Wir riefen Hammerdull herbei. Der Indianer bekam jetzt seine Beweglichkeit wieder; er versuchte, Widerstand zu leisten, der ganz unnütz war; er wurde auf sein Pferd gebunden, und dann setzten wir den unterbrochenen Ritt fort.

Man denke ja nicht, daß nun, wie es unter Weißen unvermeidlich gewesen wäre, zwischen mir und Apanatschka viel Worte gemacht wurden. Wenn sich zwei Freunde so lange nicht gesehen haben und unter Umständen, wie die heutigen, sich so unerwartet wiedersehen, so sollte man meinen, daß zunächst die Herzen in ihr Recht zu treten hätten. Das war ja auch der Fall, aber sie machten von diesem Rechte nicht durch überflüssige Worte Gebrauch. Als wir uns wieder in Bewegung gesetzt hatten, lenkte der Naiini-Komantsche sein Pferd dicht an das meinige heran, langte zu mir herüber, ergriff meine Hand und sagte im Tone innigster Freude:

»Apanatschka dankt dem großen, guten Manitou, daß er ihm erlaubt hat, den besten unter allen weißen Kriegern wiederzusehen. Old Shatterhand hat mich vom sichern Tode errettet!«

»Seit ich von meinem jungen Freunde, dem tapfern Häuptling der Naiini, scheiden mußte, hat meine Seele sich stets nach ihm gesehnt,« antwortete ich. »Der große Geist liebt seine Kinder und erfüllt ihre Wünsche grad dann, wenn sie es für unmöglich halten!«

Weiter wurde nichts gesprochen. Er hielt mich fest, und so ritten wir Hand in Hand eng nebeneinander, bis die Nacht dem grauenden Morgen wich und ich sehen konnte, daß ich auch auf diesem Ritte die rechte Richtung nicht verfehlt hatte. Das war mir sehr lieb, weil ich gern noch vor Winnetou am Ziele ankommen wollte.

Das Kih-pe-ta-kih liegt im Westen von Kansas, welcher bekanntlich zur Kreideformation gehört. Dort und im Südwesten wird in neuerer Zeit viel Salz gewonnen. Tritt an einer Stelle das Salz in größerer Menge auf und wird vom Regen- oder von irgend einem Quellwasser ausgelaugt, so können unterirdische Höhlungen entstehen, deren Decke nachstürzt, weil sie keinen festen Halt besitzt. Diese Einstürze haben gewöhnlich tiefe, senkrechte Wände und sehr scharfe Kanten; sind die Wände dicht, so bildet sich mit der Zeit ein See, welcher die ganze Vertiefung ausfüllt; sind sie aber porös, so sickert das Wasser durch, und nur der tief gelegene Boden hält eine Feuchtigkeit fest, welche das Entstehen und Gedeihen eines mehr oder minder kräftigen Pflanzenwuchses begünstigt. Hat diese Vegetation erst aus salzbegehrenden Pflanzen bestanden, so siedeln sich später in demselben Grade salzfeindliche Pflanzen an, als der Salzgehalt des Bodens verschwindet. Liegt eine solche Senkung in einer vollständig ebenen Gegend, so macht sie von weitem einen eigenartigen Eindruck, weil nur die Wipfel der Bäume zu sehen sind, welche unten im tief liegenden Grunde Wurzel geschlagen haben.

Eine solche Stelle war das Kih-pe-ta-kih, welcher Dakotaname ›alte Frau‹ bedeutet. Der von der unfruchtbaren Ebene scharf abgegrenzte, vegetationsreiche Ort zeigte nämlich in seinen Umrissen die Konturen einer am Boden hockenden Indianer-Squaw.

Die Sonne stieg eben hinter uns am Horizonte auf, als wir diese grüne Squaw vor uns erscheinen sahen. Wir erreichten die Stelle an der linken Hüfte der Figur, während Winnetou von rechts her zu erwarten war. Ich ließ aus Vorsicht halten und ging einmal um die ganze Frau herum. Es war keine Spur eines menschlichen Wesens zu sehen, und so führten wir unsere Pferde an einer weniger steilen Stelle auf den Grund hinab, wo wir den Gefangenen von seinem Gaule nahmen und an einen Stamm festbanden. Der Ausdruck Gaul war eigentlich eine Beleidigung für dieses Pferd, welches jedenfalls zu den besten der Osagen gehörte. Erwähnen muß ich, daß der Rote wirklich ein Osage war. Er hatte sich mit den Kriegsstreifen bemalt und ließ auf keine der an ihn gerichteten Fragen eine Antwort hören.

Ich hätte nun Zeit gehabt, Apanatschka nach seinen Erlebnissen zu fragen, welche zwischen unserer Trennung und dem jetzigen Wiedersehen lagen, zog es aber vor, lieber zu warten, bis er selbst anfangen würde, davon zu sprechen. Einem Charakter, wie er war, gegenüber durfte ich keine Neugierde verraten. Mein dicker Hammerdull war von weniger vornehmer Gesinnung. Er hatte sich kaum niedergesetzt, so wendete er sich mit der Frage an ihn:

»Ich höre, daß mein roter Bruder ein Häuptling der Komantschen ist. Wie konnte es geschehen, daß er in die Gefangenschaft der Osagen geriet?«

Der Gefragte deutete, indem ein leises Lächeln über sein Gesicht ging, mit der Hand nach seinen beiden Ohren.

»Hat ein Kampf zwischen dir und ihnen stattgefunden?« erkundigte sich der zudringliche Dick weiter.

Apanatschka antwortete mit derselben Gebärde. Da wendete sich Hammerdull an mich:

»Er scheint mir nicht antworten zu wollen; fragt Ihr ihn doch einmal, Mr. Shatterhand!«

»Das würde auch vergeblich sein,« erwiderte ich.

»Warum?«

»Versteht Ihr denn nicht, was er meint? Er kann nicht hören.«

Da ging dem Dicken ein Licht auf. Er zog den Mund breit, ließ ein lustiges Lachen hören und sagte:

»Well! So hat er wohl auch zwölf Frauen und zweimal zwanzig Söhne und Töchter wie Ihr?«

»Sehr wahrscheinlich!«

»Da will ich mich nur in acht nehmen, daß ich nicht auch noch taub werde, sonst hören wir alle drei nichts mehr! Es geht so schon still genug hier zu. Habt Ihr nichts für mich zu thun, Sir, damit mir die Zeit nicht gar so lange wird?«

»Doch. Steigt hinauf, und schaut nach Winnetou aus! Ich möchte es gern vorher wissen, wenn er kommt.«

»Ob Ihr es wißt oder nicht, das ist ganz egal; aber ich werde es Euch sagen.«

Er ging, und nun, als er sich entfernt hatte, schien Apanatschka wenigstens eine Bemerkung für nötig zu halten, um kein für ihn ungünstiges Urteil in mir aufkommen zu lassen. Er ließ einen verächtlichen Blick über den Gefangenen streifen und sagte:

»Die Söhne der Osagen sind keine Krieger; sie fürchten die Waffen tapferer Männer und fallen nur aber wehrlose Leute her.«

»Ist mein Bruder wehrlos gewesen?« fragte ich.

»Ja. Ich hatte nur ein Messer bei mir, weil mir jede weitere Waffe verboten war.«

»Ah! Mein Bruder war unterwegs, um sich den heiligen Yatkuan zu holen?«

»So ist es. Apanatschka wurde von dem Rate der Alten ausersehen, nach Norden zu reiten, um die heiligen Steinbrüche aufzusuchen. Mein Bruder Shatterhand weiß, daß, so lange es rote Männer giebt, kein Krieger, welcher von seinem Stamme nach dem Yatkuan ausgeschickt wird, eine andere Waffe als nur das Messer führen darf. Er hat keinen Pfeil und keinen Bogen, kein Gewehr und keinen Tomahawk nötig, weil er kein Fleisch, sondern nur Pflanzen essen darf und sich gegen keinen Feind zu verteidigen braucht, weil es verboten ist, einen Mann, der nach den heiligen Steinbrüchen reitet; unfriedlich zu behandeln. Apanatschka hat noch nie von einem Falle gehört, daß dieses Gesetz, welches bei allen Stämmen Geltung hat, übertreten worden ist. Die Hunde der Osagen aber haben die Schande auf sich geladen, mich zu überfallen, gefangen zu nehmen und zu fessseln, obgleich ich nur das Messer hatte und ihnen durch das Wampum des Kalumets bewies, daß ich mich auf dem Wege der großen Medizin befand.«

»Du hast ihnen das Wampum vorgezeigt?«

»Ja.«

»Ich sehe es nicht. Du hast es nicht mehr?«

»Nein. Sie haben es mir abgenommen und in das Feuer geworfen, von dem es verzehrt worden ist!«

»Unglaublich! So etwas ist allerdings noch niemals vorgekommen! Sie haben damit ihre Ehre in die Flammen geworfen und für alle Zeit vernichtet. Sie mußten dich, selbst wenn du ihr größter Feind gewesen wärst, als Gast behandeln!«

»Uff! Ich sollte sogar getötet werden!«

»Hast du dich gewehrt, als sie dich ergriffen?«

»Durfte ich das?«

»Nein.«

»Hätte ich mich gewehrt, so wäre das Blut vieler von ihnen geflossen; da ich mich aber auf mein Wampum und die uralten Gesetze verließ, die noch niemand zu übertreten wagte, bin ich ihnen willig wie ein Kind in ihr Lager gefolgt. Von nun an darf jedem Osagen, der einem ehrlichen Krieger begegnet, ins Gesicht gespieen werden und – –«

Er wurde unterbrochen, denn Dick Hammerdull kam und meldete, daß Winnetou zu sehen sei. Ich wollte den Apatschen mit dem Naiini-Komantschen überraschen, bat also Apanatschka, hier bei dem Gefangenen zu bleiben, und ging mit Dick Hammerdull nach der andern Seite des Kih-pe-takih, wo die Angemeldeten erscheinen mußten. Ich hatte natürlich erwartet, fünf Personen zu sehen, nämlich Winnetou, Treskow, Holbers, Old Wabble und Schahko Matto, bemerkte aber zu meiner Verwunderung, daß sich noch ein Indianer bei ihnen befand. Als sie näher gekommen waren, sah ich, daß dieser auch auf das Pferd gebunden war. Winnetou hatte also noch einen Gefangenen gemacht; die Kriegsfarben in seinem Gesichte zeigten, daß er auch ein Osage war.

Ich trat, damit der Apatsche nicht erst rekognoszieren solle, soweit vor das Gesträuch, daß er mich erkennen mußte. Er lenkte also gerade auf mich zu, hielt bei uns an und fragte:

»Befindet sich mein Bruder schon vor mir hier, weil ihm etwas Böses begegnet ist?«

»Nein, sondern weil alles schneller und besser ging, als ich denken konnte.«

»So geleite er uns zu seinen Pferden! Ich habe ihm sehr Wichtiges zu berichten.«

Schahko Matto hatte diese Worte gehört; ich fing einen triumphierenden Blick auf, den er auf mich warf, und ließ infolgedessen die Bemerkung hören:

»Die Pferde befinden sich auf der andern Seite; wir werden aber gleich hier unten lagern.«

Der scharfsinnige Winnetou ahnte sofort, daß es sich um eine Heimlichkeit handle; er warf einen kurzen Blick in mein Gesicht und ließ dann ein befriedigtes Lächeln um seine Lippen spielen. Der Häuptling der Osagen aber machte mir in barschem Tone die Bemerkung:

»Old Shatterhand wird erfahren, was geschehen ist, und mich in kurzer Zeit freilassen müssen!«

Ich antwortete nicht und stieg in die Vertiefung hinab. Die andern folgten mir, indem Hammerdull und Holbers die Pferde der beiden Indianer führten. Dabei hörte ich, daß der Dicke zu seinem langen Busenfreunde sagte:

»Also bei euch ist etwas sehr Wichtiges passiert, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, daß es wichtig ist, so hast du es erraten,« lautete die Antwort.

»Ob erraten oder nicht, das bleibt sich gleich. So wichtig ist es aber jedenfalls nicht wie das, was – –«

»Laßt das Plaudern!« unterbrach ich ihn. »Ehe die Reihe, zu reden, an Euch ist, sind vorher schon noch andere da!«

Er merkte, daß er im Begriffe gestanden hatte, einen Fehler zu begehen, und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Auf dem Grunde des Einsturzes angekommen, banden wir die Gefangenen von den Pferden, legten sie auf den Boden und setzten uns zu ihnen nieder. Winnetou, welcher nicht wissen konnte, womit ich hinter dem Berge hielt, warf mir heimlich einen fragenden Blick zu, worauf ich die Aufforderung an ihn richtete:

»Mein Bruder lasse mich das Wichtige wissen, was er mir mitzuteilen hat!«

»Soll ich mit offenem Munde sprechen?«

Er meinte damit, ob er ohne alle Rücksicht auf das, was ich noch zu verschweigen hatte, reden könne.

»Ja,« nickte ich. »Hoffentlich ist es nichts Unangenehmes, was geschehen ist!«

Was ich erwartet hatte, das geschah: Old Wabble fiel schnell und in höhnischem Tone ein:

»Sehr unangenehm sogar, höchst unangenehm für Euch! Wenn Ihr etwa glaubt, uns noch immer sehr fest und sicher in den Händen zu haben, so irrt Ihr Euch gewaltig!«

»Pshaw!« lachte ich. »Die Karten stehen für uns ja noch besser als vorher!«

»Wieso?«

»Wir haben heut einen Gefangenen mehr als gestern!«

»Und Ihr meint, das sei vorteilhaft für euch? Laßt Euch doch von Winnetou sagen, wie die Sachen stehen!«

Der Apatsche überwand in diesem Falle einmal seinen Stolz, indem er in wegwerfendem Tone sagte:

»Der alte Cowboy hat ein Gift auf seiner Zunge; ich will ihn nicht hindern, es über uns auszuspritzen.«

»Ja, es ist ein Gift, und zwar ein solches, an dem ihr alle zu Grunde gehen werdet, wenn ihr uns nicht sofort die Freiheit gebt; th'is clear

»Unnütze Redensart, um uns bange zu machen!« lachte ich.

»Lacht immerhin! Das Lachen wird euch gleich vergehen, wenn ihr hört, was während eurer glorreichen Abwesenheit geschehen ist.« Er deutete auf den neugefangenen Roten und fuhr fort: »Den Kriegern der Osagen dauerte die Rückkehr ihres Häuptlings zu lange; darum sandten sie diesen Mann zu ihm, um den Grund seines langen Bleibens zu erfahren. Er kam nach dem Wäldchen, wo ihr uns überfallen habt; wir waren fort; er folgte aber unserer Spur und entdeckte unsern gestrigen Lagerplatz. Merkt Ihr noch nichts?«

»Ich merke nur, daß er dabei ergriffen wurde.«

»Schön! Aber etwas wißt Ihr nicht, nämlich daß er nicht allein gewesen ist. Es war ein zweiter Osage bei ihm, welcher klüger und vorsichtiger war als er. Dieser entkam und ist nun zurückgeeilt, um einige hundert Verfolger zu holen, die Euch sicher jetzt schon auf den Fersen sind. Ich gebe Euch den Rat, uns augenblicklich freizulassen; das ist das beste, was Ihr thun könnt; denn wenn diese Menge von Osagen kommt und uns noch in euern Händen findet, so werden sie keine Schonung üben, sondern euch auslöschen, wie der Sturm schwache Zündhölzer auszublasen pflegt!«

»Ist das alles, was Ihr mir zu sagen habt?« fragte ich.

»Einstweilen ja; aber wenn Ihr so albern seid, meinen guten Rat nicht zu beachten, so kommt noch mehr!«

»Dann doch lieber gleich heraus mit diesem Mehr!«

»Nein. Erst will ich sehen, ob Old Shatterhand wenigstens einmal nur den hundertsten Teil der großen Klugheit besitzt, die man ihm irrtümlicherweise zuzuschreiben pflegt.«

»Soviel ist gar nicht notwendig, denn schon der zehntausendste Teil reicht für mich vollständig zu, Eure Drohung zu verlachen. Auch angenommen, daß alles ganz genau so ist, wie Ihr sagt, so befindet Ihr Euch noch in unserer Gewalt, und Eure Osagen sind noch nicht da. Was hindert uns, euch auszulöschen, so wie der Wind Zündhölzer ausbläst?«

»Pshaw! Das thut Ihr nicht, denn Ihr seid ein viel zu guter und viel zu liebevoller Christ dazu und sagt Euch ganz gewiß, daß die Osagen unsern Tod blutig rächen würden.«

»Diese paar Leute? Was sind die gegen Winnetou, von mir gar nicht zu reden!«

»Ja, Eure Einbildung ist groß genug, das weiß man schon! Aber ich ahne, was Euch solchen Mut einflößt!«

»Nun, was?«

»Ihr seid auch, wie Winnetou, auf Fenners Farm gewesen und habt dort um Hilfe gebeten. Wahrscheinlich sind nun einige arme Cow-boys unterwegs, mit denen Ihr uns schrecken wollt.«

»Pshaw! Wenn Ihr einigermaßen rechnen könntet, so müßtet Ihr wissen, daß ich von Fenners Farm jetzt noch nicht wieder hier sein könnte. Ich war an einem ganz, ganz anderen Orte und habe Euch zum Beweise, mit welcher Liebe ich dort an Euch dachte, jemand mitgebracht.«

»Möchte wissen, wer das ist. Laßt ihn doch sehen!«

»Sofort! Diese Freude kann ich Euch und Schahko Matto schon gern machen.«

Ich sagte Dick Hammerdull einige Worte in das Ohr. Er nickte lachend, stand auf und entfernte sich. Alle, selbst Winnetou, obgleich sich dieser gar nichts merken ließ, waren gespannt darauf, wen der Dicke bringen würde. Als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, führte er unsern gefangenen Osagen am Arme.

»Uff!« rief Schahko Matto erschrocken.

»All devils!« schrie Old Wabble. »Das ist ja der – –«

Er hielt es für geraten, mitten im Satze abzubrechen. Ich winkte Hammerdull, den Roten wieder fortzuführen, weil dieser durch ein Wort die Anwesenheit Apanatschkas verraten konnte, und fragte den alten Cowboy:

»Das war der Rote, welcher die Hunderte von Osagen holen sollte. Denkt ihr jetzt noch, daß sie kommen werden?«

»Der Teufel hole Euch!« zischte er mich an.

»Uff!« fiel Schahko Matto ein. »Old Wabble hat ja den Naiini ganz vergessen!«

»Das fällt mir gar nicht ein!« entgegnete dieser und fügte, zu mir gewendet, hinzu: »Ich habe schon bemerkt, daß ich noch eine Karte habe, die Ihr gewiß nicht übertrumpfen könnt, für so klug und weise Ihr Euch immer halten mögt!«

»Die möchte ich kennen lernen!«

»Werde Euch gleich behilflich dazu sein! Ihr werdet Euch sicher noch mit großem Vergnügen an den Llano erinnern, wo Ihr die Ehre hattet, von – – –«

»Von Euch bestohlen zu werden,« fiel ich ihm in die Rede.

»Auch richtig, doch wollte ich etwas anderes sagen,« lachte er. »Es gab dort einen jungen Naiini-Häuptling. Wie hieß er doch nur gleich?«

»Apanatschka,« antwortete ich, mich ganz ahnungslos stellend.

»Yes, Apanatschka! Ihr hattet ihn sehr lieb, nicht?«

»Ja.«

»Da Ihr Euch eines ausgezeichnet guten Herzens rühmt, vermute ich, daß diese Eure Liebe sich nicht verringert hat?«

»Sie ist im Gegenteile inzwischen noch gewachsen!«

Er sprach in überlegenem Tone, weil er glaubte, seiner Sache ganz sicher zu sein, und ich ging auf diesen Ton ein, weil ich bemerkte, daß Apanatschka mir in der Rolle, die ich ihm zugedacht hatte, entgegenkam. Hammerdull war, als er den Osagen fortgeführt hatte, nicht wiedergekommen; ich sah an seiner Stelle den Naiini-Häuptling im Gebüsch stehen. Er mochte vermutet haben, daß ich nun auch mit seiner Person eine Überraschung beabsichtige, und hatte sich herbeigeschlichen, ohne abzuwarten, bis ich ihn holen ließ. Ein Blick in Winnetous Gesicht verriet mir, daß die scharfen Augen des Apatschen ihn auch schon entdeckt hatten.

»Noch gewachsen?« wiederholte Old Wabble meine Worte. »Ihr wollt wahrscheinlich damit sagen, daß Ihr ihn noch heut wie damals als Euern Freund und Bruder betrachtet?«

»Ganz gewiß!«

»Für den Euch kein Opfer zu groß sein würde?«

»Ja. Ich will damit sagen, daß ich ihn in keiner Gefahr stecken lassen würde, und wenn ich mein Leben wagen sollte.«

»Schön! Ich kann Euch nun zufälligerweise sagen, daß er sich in der größten Gefahr befindet, die es für ihn geben kann.«

»Ah, wirklich?«

»Ja.«

»Welche wäre das?«

»Er ist Gefangener der Osagen.«

»Das glaube ich nicht.«

Old Wabble hatte mich angesehen, als ob er glaube, daß ich sehr erschrecken werde; als aber meine Antwort so schnell und in so gleichgültigem Tone erfolgte, versicherte er eifrig:

»Ihr denkt wahrscheinlich, ich mache Euch etwas vor; es ist aber wahr, wirklich wahr!«

»Unsinn!«

»Tragt den Osagen hier, den Winnetou gestern abend gefangen nahm! Er hat uns die Botschaft gebracht, über die wir uns grad so sehr gefreut haben, wie sie Euch ungelegen kommen muß.«

»Es ist dennoch Lüge, daß er gefangen ist!«

»Ich schwöre es Euch mit hundert Eiden zu!«

»Pshaw! Old Wabbles Eide gelten bei mir weniger als nichts! Aber sagt, ist die Gefangennahme Apanatschkas etwa die Karte, die ich nicht übertrumpfen kann?«

»Natürlich!«

»So ahne ich, was Ihr meint. Ihr seid der Ansicht, daß wir Euch gegen ihn auslösen werden?«

»Seht, wie klug Ihr werdet, wenn man Euch mit der Nase an die richtige Stelle stößt! Ihr habt es allerdings erraten.«

»So thut es mir um Euretwillen leid, daß es eine Stelle giebt, an welche ich nun Eure Nase stoßen muß.«

»Was für eine denn?«

»Der Busch, da rechts von Euch. Seid so gut, Eure Nase einmal dorthin zu richten!«

Er wendete den Kopf nach der angegebenen Seite. Apanatschka hatte jedes unserer Worte gehört und verstanden; er schob das Gezweig mit den Armen zur Seite und trat zu uns heraus. Wenn ein Blitz vor ihnen niedergefahren wäre, hätten Schahko Matto und Old Wabble nicht mehr erschrecken können, als sie jetzt beim Anblicke des Komantschenhäuptlings erschraken.

»Nun?« fragte ich. »Wer hat den größten Trumpf?«

Keiner antwortete. Da ertönte die Stimme eines, der nur dann zu sprechen pflegte, wenn sein Busenfreund Dick Hammerdull ihn fragte, nämlich die Stimme des langen Pitt Holbers:

»Heigh-day, ist das ein Gaudium! Niemand wird ein- und ausgelöst; Old Wabble hat verspielt!«

Der, dessen Name da genannt wurde, knirschte mit den Zähnen, daß wir es alle hörten, stieß einen gräßlichen Fluch aus und schrie mit vor Wut überschnappender Stimme zu mir herüber:

»Hund, tausendmal verfluchter, du stehst mit der Hölle und allen ihren Teufeln im Bunde! Du mußt ihr dein Leben und deine Seele verschrieben haben, sonst könnte dir nicht alles so nach Wunsch gelingen! Ich speie vor dir aus! Ich hasse dich mit einem Hasse, wie ihn noch nie ein Mensch empfunden hat, dich, hörst du, dich, verdammter Dutchman, du!«

»Und dich bedaure ich aus vollstem, tiefstem Herzen,« antwortete ich ruhig. »Ich habe viele, viele beklagenswerte Menschen kennen gelernt, der beklagenswerteste von allen diesen der bist du! Du ahnest und begreifst gar nicht, wie unbeschreiblich groß das Mitleid ist, welches du erwecken mußt. Möge Gott dereinst nur einen kleinen, kleinen Teil des Mitleids, des Erbarmens für dich haben, welches ich jetzt für dich hege! Das ist die Antwort, die ich dir auf deinen Fluch erteile, weil ein Fluch aus deinem Munde für jeden, gegen den du ihn richtest, zum Segen werden muß! Nun bin ich mit dir fertig. Du bist ein so armseliges Menschenkind, daß jedes Auge schmerzt, welches gezwungen ist, dich anzusehen. Mach dich aus dem Staube!«

Ich ging zu ihm hin, zerschnitt seine Fesseln und wendete mich ab. Wenn ich geglaubt hätte, daß er nun schnell aufspringen und davonlaufen werden, so wäre ich von einem Irrtume ergriffen gewesen; ich hörte nämlich, daß er sich langsam und gemächlich erhob; dann fühlte ich seine Hand auf meiner Schulter, und er sagte im Tone hellen Spottes:

»Also das Auge thut dir wehe, wenn du mich ansehen mußt? Darum giebst du mich frei? Bilde dir ja nur nicht ein, moralisch so unendlich hoch über mir zu stehen! Wenn der Gott wirklich lebt, an welchen du dich rühmst, so fest zu glauben, so stehe ich in seinen Augen ebenso hoch wie du, sonst wäre er ein noch schlechterer Kerl als so einer, für welchen du mich hältst! Er hat mich und dich geschaffen und in die Welt gesetzt, und wenn ich anders geraten bin als du, so bin nicht ich, sondern er ist schuld daran. An ihn hast du dich also mit deiner Entrüstung zu wenden, nicht an mich, und wenn es in Wirklichkeit ein ewiges Leben und ein jüngstes Gericht gäbe, über das ich aber lache, so hat, weil er mich mit meinen sogenannten Fehlern und Sünden ausstattete, nicht er über mich, sondern ich über ihn den Stab zu brechen. Du wirst also wohl endlich einsehen, was eure Frömmigkeit und Gottesfurcht für kindische, belachenswerte Dummheiten sind! Du glaubst wohl freilich, aus Güte zu handeln; im Grunde genommen aber treibt dich nichts als die Erkenntnis, die auch ich hege, nämlich daß kein Mensch gut und keiner böse ist, weil Gott, der Erfinder der Erbsünde, allein schuld daran wäre. Leb' also wohl, du Mann der Liebe und der Barmherzigkeit! Ich bin trotz deiner Albernheit heut wieder einmal sehr zufrieden mit dir. Aber denke deshalb ja nicht, daß ich, falls wir uns wiedersehen, anders als durch eine Kugel zu dir reden werde! Wir haben hier auf der Savanne nicht neben einander Platz; einer muß fort, und da du so große Scheu und Angst vor Menschenblut hast, so werde ich dir bei unserm nächsten Wiedersehen die Adern öffnen. Den andern gilt dasselbe Wort. Mesch'schurs, lebt wohl für nächste Tage! Ihr werdet bald von mir zu hören bekommen!«

Es waren den Gefangenen natürlich ihre Waffen abgenommen worden. Die Flinte Old Wabbles hing am Sattel seines Pferdes, und sein Messer hatte sich Dick Hammerdull in den Gürtel gesteckt. Der alte Cowboy trat zu dem Dicken und streckte die Hand aus, um sein Messer zu nehmen; dieser aber bog sich ab und fragte: »Was wollt Ihr da? In meinem Gürtel habt Ihr nichts zu suchen!«

»Ich will mein Messer haben.« erklärte Old Wabble trotzig.

»Das gehört jetzt uns, aber nicht mehr euch!«

»Oho! Ich habe es also mit Spitzbuben, mit Dieben zu thun?«

»Nimm dein loses Maul in acht, sonst springe ich dir ins Gesicht, alter Gauner! Du kennst die Gesetze der Prairie und weißt also, wem die Waffen eines Gefangenen gehören!«

»Ich bin jetzt nicht mehr Gefangener, sondern frei!«

»Ob frei oder nicht, das geht mich gar nichts an. Wenn Old Shatterhand dir die Freiheit wiedergegeben hat, so ist damit noch nicht gesagt, daß du auch deine Waffen wiederbekommen mußt.«

»Behalte es, und sei verdammt, dicker Mops! Ich werde bei den Osagen ein anderes bekommen!‹&

Er ging zu seinem Pferde, nahm das Gewehr vom Sattel, hing es sich über und wollte aufsteigen. Da stand Winnetou auf, streckte die Hand gegen ihn aus und befahl:

»Halt! Das Gewehr wieder hin!«

Es lag in der Haltung und dem Gesichte des Apatschen etwas so Unwiderstehliches, daß Old Wabble, seinem sonstigen Wesen ganz entgegen, gehorchte. Er hing die Rifle wieder an den Sattel, wendete sich dann aber zu mir um und protestierte:

»Was soll das heißen? Pferd und Gewehr gehören doch mir!«

»Nein,« entgegnete Winnetou. »Indem mein Bruder Shatterhand dir die Freiheit wiedergab, hat er dir nur den Ekel zeigen wollen, den jeder Mensch vor dir empfinden muß. Wir stimmen ihm alle bei, denn es graut uns, dich mit der Hand, dem Messer oder einer Kugel zu berühren. Wir überlassen dich nicht unserer Rache, sondern der Gerechtigkeit des großen Manitou. Du würdest auch dein Pferd und deine Waffen erhalten, aber da du gedroht hast, uns zur Ader lassen zu wollen, so bekommst du nichts als nur die Freiheit wieder. Du wirst jetzt augenblicklich gehen; bist du aber nach zehn Minuten noch hier in der Nähe zu sehen, so wird ein Riemen dir um den Hals und dann um den Ast eines dieser Bäume gelegt. Ich habe gesprochen. Howgh! Nun augenblicklich fort!«

Old Wabble lachte laut auf, verbeugte sich tief und antwortete:

»Ganz wie ein König gesprochen; nur schade, daß es in meinen Ohren wie Hundebellen klingt! Ich gehe; wir sehen uns aber wieder!«

Er drehte sich um, stieg den an dieser Stelle eingefallenen Rand der Senkung hinauf und verschwand. Als ich ihm der Vorsicht wegen in kurzer Zeit hinauffolgte, sah ich ihn in seiner schlotternden, wabbelnden Weise langsam über die Ebene schreiten. Ich hatte diesen Mann früher nicht nur wegen seines hohen Alters geachtet, sondern ihn dem Rufe gemäß, in dem er damals stand, auch für einen sehr tüchtigen Westmann gehalten; jetzt aber war meine Ansicht über ihn in beiden Beziehungen eine ganz andere geworden. Er wäre, selbst wenn man ihn für einen bessern Menschen hätte halten müssen, als »man of the west« doch für uns unbrauchbar gewesen. Daß ich ihn auch diesmal wieder straflos hatte gehen lassen, war weniger die Folge eines Überlegungsaktes als vielmehr einer augenblicklichen Regung oder Empfindung, eines Ekels gewesen, der es mir unmöglich gemacht hatte, noch ein Wort an ihn zu richten.

Winnetou hatte sich einverstanden mit diesem meinem Verhalten erklärt. Hammerdull und Holbers waren es nicht, das wußte ich; sie wagten nur nicht, mir Vorwürfe darüber zu machen. Treskow aber, dessen juristisches oder polizeiliches Fühlen durch meine wiederholte Milde beleidigt worden war, sagte, als ich wieder zu ihnen hinabgestiegen war, zu mir:

»Nehmt es mir nicht übel, Mr. Shatterhand, daß ich Euch unbedingt tadeln muß. Vom christlichen Standpunkte aus will ich gar nicht sprechen, obgleich Ihr auch da nicht korrekt gehandelt habt, denn auch das Christentum lehrt, daß jeder bösen That die Strafe zu folgen habe; aber versetzt Euch doch einmal an die Stelle eines Kriminalisten, eines Vertreters der weltlichen Gerechtigkeit! Was würde ein solcher sagen, daß Ihr einen Halunken von der Verdorbenheit und Unverbesserlichkeit dieses Fred Cutter immer und immer wieder entkommen laßt? Dieser Mensch hat in seinem Leben schon mehr als hundertmal den Tod verdient, auch selbst dann, wenn nur seine Thaten als »Indianertöter« in Betracht gezogen werden. Und wenn Ihr sagt, daß dies uns nichts angehe, so ist doch erwiesen, daß er Euch und uns wiederholt nach dem Leben getrachtet und auch jetzt wieder mit dem Tode bedroht hat. Was soll nun ein Jurist dazu sagen, daß Ihr Euch förmlich Mühe gebt, ihn der verdienten Strafe zu entziehen? Es ist mir ganz unmöglich, mich in die Gründe Eures Verhaltens hineinzudenken; ich kann Euch einfach nicht begreifen!«

»Bin ich Jurist, Mr. Treskow?« antwortete ich.

»Ich glaube nicht.«

»Oder gar Kriminalist?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Also! Es ist trotzdem gar nicht meine Absicht, ihn der wohlverdienten Strafe zu entziehen, nur will ich weder der Richter noch gar der Henker sein. Ich bin fest überzeugt, daß schon längst der verhängnisvolle, weiße Stab über seinem Haupte schwebt, um von einer ganz andern, mächtigern und höhern Hand gebrochen zu werden. Es hält mich ein Etwas in mir, dem ich nicht widerstehen kann, davon ab, dem gerechten Walten Gottes vorzugreifen, und wenn Ihr dieses mein Verhalten nicht verstehen könnt, so werdet Ihr doch wenigstens nicht bestreiten, daß es im Innern, in der Seele, im Herzen des Menschen Gesetze giebt, welche unübertretbarer, unerbittlicher und mächtiger als alle Eure geschriebenen Paragraphen sind.«

»Mag sein! Ich bin in dieser Beziehung nun einmal nicht so zartfühlend wie Ihr. Nur muß ich Euch auf die Präcedenzien aufmerksam machen, welche aus Eurem Gehorsam gegen diese geheimnisvollen und mir unverständlichen innerlichen Gesetze hervorgehen!«

»Wieso hervorgehen? Nennt mir einen solchen Fall!«

»Ihr habt Old Wabble begnadigt. Was thun wir nun mit dem Häuptling der Osagen, seinem Mitschuldigen? Soll der etwa auch ohne alle Strafe freigelassen werden?«

»Wenn es auf mich ankommt, ja.«

»Dann hole der Kuckuck alle eure sogenannten Gesetze der Savanne, die ihr nicht gelten laßt, obgleich ihr ihnen eine so beispiellose Strenge nachrühmt!«

»Ich bin erst in fünfter, sechster Stelle Westmann, in erster aber Christ. Die Osagen sind von den Weißen betrogen worden; sie haben sich durch den geplanten Überfall schadlos halten wollen; sie sind nach ihren Anschauungen vollständig berechtigt dazu. Sollen wir Schahko Matto nun für die bloße Absicht bestrafen, die noch gar nicht ausgeführt worden ist?«

»Gut, sehen wir von diesem Überfalle ab! Er hat uns aber nach dem Leben getrachtet, uns fangen und töten wollen!«

»Hat er diese Absicht ausgeführt?«

»Allerdings nicht; aber Ihr werdet wissen, daß schon der Versuch eines Verbrechens strafbar ist!«

»Hm, der Jurist, wie er im Buche steht!«

»Dazu bin ich berechtigt und verpflichtet, und ich bitte Euch, Euch auf denselben Standpunkt mit mir zu stellen!«

»Schön, das will ich thun! Also angenommen, daß schon der Versuch eines Verbrechens strafbar sei, ist die Absicht des Häuptlings der Osagen, die Farmen zu überfallen und uns zu töten, schon in das Stadium des Versuches getreten?«

Er zögerte mit der Antwort und brummte dann:

»Absicht – – Absicht – – Versuch – – vielleicht wenigstens der sogenannte entfernte Versuch – – hm, auch dieser nicht! Laßt mich doch mit solchen Haarspaltereien in Ruhe, Mr. Shatterhand!«

»Ah, Euer Standpunkt beginnt, zu wackeln! Sagt klar und bestimmt heraus: Ist die bloße Absicht strafbar?«

»Moralisch, ja, aber gerichtlich nicht.«

»Well! Ist also Schahko Matto zu bestrafen?«

Er wand sich hin und her und rief zornig aus:

»Ihr seid der schlimmste Advokat, mit dem es ein Richter zu thun haben kann! Ich mag von der Sache gar nichts mehr wissen!«

»Nur langsam, langsam, Mr. Treskow! Ich bin strenger, als Ihr glaubt. Wenn wir auch die Absicht nicht bestrafen können, so bin ich doch dafür, daß wir Präventivmaßregeln ergreifen, welche der Strafe geschwisterlich ähnlich sind.«

»Das läßt sich freilich hören! Was schlagt Ihr vor?«

»Jetzt noch nichts. ich bin nicht der einzige, der da zu sprechen hat!«

»Sehr richtig!« stimmte da Dick Hammerdull schnell bei.

»Irgend eine Belohnung muß der Rote bekommen; das versteht sich doch ganz von selbst! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Hm, wenn du denkst, daß er einen tüchtigen Klapps verdient hat, so sollst du recht haben, lieber Dick,« antwortete der Lange.

»So laßt uns beraten, was wir mit ihm thun!« schlug Treskow vor, indem er, seine strengste Miene zeigend, sich niedersetzte.

Hochinteressant war das Spiel der Gesichtszüge, mit welchem Schahko Matto unsern Meinungsaustausch verfolgt hatte. Es war ihm kein Wort entgangen, und so wußte er, in welcher Weise ich mich seiner angenommen hatte. Sein erst so finster blickendes Auge ruhte jetzt mit einem ganz andern, fast freundlichen Ausdrucke auf mir; es war klar, daß er Dankbarkeit gegen mich empfand. Mir konnte das freilich gleich sein, denn persönliche Gefühle hatten mich nicht geleitet, als ich seinetwegen mit Treskow in Konflikt geraten war. Als dieser uns jetzt in so ernstem Tone zur Beratung aufforderte, brach der Häuptling der Osagen sein Schweigen, indem er sich an mich wendete:

»Wird, nachdem die Bleichgesichter gesprochen haben, Old Shatterhand vielleicht bereit sein, auch mich zu hören?«

»Sprich!« forderte ich ihn auf.

»Ich habe Worte vernommen, welche ich nicht verstehen kann, weil sie mir fremd sind; um so deutlicher aber hörte ich, daß Old Shatterhand für mich gewesen ist, während das andere Bleichgesicht gegen mich war. Da Winnetou, der Häuptling der Apatschen, zu dem Streite geschwiegen hat, denke ich, daß er seinem Freunde und Bruder recht giebt. Beide sind zwar die Feinde der Osagen, aber alle roten und weißen Männer wissen, wie gerecht diese beiden berühmten Krieger denken und wie gerecht sie handeln, und so fordere ich sie auf, auch heut gerecht zu sein!«

Weil er jetzt eine Pause eintreten ließ und mich ansah, als ob er eine Antwort von mir erwarte, erklärte ich ihm:

»Der Häuptling der Osagen täuscht sich nicht in uns; er hat keine Ungerechtigkeit von uns zu erwarten. Ich mache ihn vor allen Dingen darauf aufmerksam, daß wir nicht Feinde der Osagen sind. Wir wünschen, mit allen roten und allen weißen Menschen in Frieden zu leben; wenn uns aber jemand in den Weg tritt, uns wohl gar nach dem Leben trachtet, sollen wir uns da nicht wehren? Und wenn wir dies thun und ihn besiegen, hat dieser Mann dann das Recht, zu behaupten, daß wir seine Feinde seien?«

»Mit diesem Manne hat Old Shatterhand wahrscheinlich mich gemeint. Wer aber ist es, der mit Recht von sich sagen kann, er sei angegriffen worden? Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, möchte fragen, wozu die Bleichgesichter Richter und Gerichte haben?«

»Kurz gesagt, um Recht zu sprechen, um Gerechtigkeit zu üben.«

»Wird dieses Recht gesprochen, diese Gerechtigkeit geübt?«

»Ja.«

»Glaubt Old Shatterhand, was er da sagt?«

»Ja. Zwar sind die Richter auch nur Menschen, welche sich irren können, und darum – –«

»Uff, uff!« fiel er mir schnell in die Rede – – »darum irren sich diese Richter stets dann, wenn es sich darum handelt, gegen die roten Männer gerecht zu sein! Old Shatterhand und Winnetou haben an tausend Lagerfeuern gesessen und zehnmal tausendmal die Klagen gehört, welche der rote gegen den weißen Mann zu erheben hat; ich will weder eine einzige dieser Klagen wiederholen, noch ihnen eine neue hinzufügen; aber ich bin der Häuptling meines Stammes und darf also davon sprechen, was das Volk der Osagen gelitten und auch jetzt wieder von neuem erfahren hat. Wie oft schon sind wir von den Bleichgesichtern betrogen worden, ohne einen Richter zu finden, der sich unsers guten Rechts erbarmte! Vor jetzt kaum einem Mond ist wieder ein großer Betrug an uns begangen worden, und als wir Gerechtigkeit verlangten, wurden wir verlacht. Was thut der weiße Mann, wenn ihm ein Richter die Hilfe versagt? Er wendet sich an ein höheres Gericht. Und wenn ihn auch dieses im Stiche läßt, so macht er seinen eigenen Richter, indem er seinen Gegner lyncht oder Vereinigungen von Leuten gründet, Komitees genannt, welche heimlich und gegen die Gesetze Hilfe schaffen, wenn öffentlich und durch die Gesetze keine zu finden ist. Warum soll nicht auch der rote Mann thun dürfen, was der weiße thut? Ihr sagt Lynch, wir sagen Rache; ihr sagt Komitee, wir sagen Beratung der Alten; es ist ganz dasselbe. Aber wenn ihr euch dann selbst geholfen habt, so nennt ihr das erzwungene Gerechtigkeit, und wenn wir uns selbst geholfen haben, so wird es von euch Raub und Plünderung genannt. Die richtige Wahrheit lautet folgendermaßen: Der Weiße ist der Ehrenmann, welcher den Roten unaufhörlich betrügt und bestiehlt, und der Rote ist der Dieb, der Räuber, welchem von dem Weißen stets das Fell über die Ohren gezogen wird. Dabei sprecht ihr ohne Unterlaß von Glaube und von Frömmigkeit, von Liebe und von Güte! Man hat uns kürzlich wieder um das Fleisch, das Pulver und um vieles andere betrogen, was wir zu bekommen hatten. Als wir zum Agenten kamen, ihn um seine Hilfe zu bitten, fanden wir nur höhnisch lachende Gesichter und drohend auf uns gerichtete Flintenläufe. Da holten wir uns Fleisch, Pulver und Blei, wo wir es fanden, denn wir brauchen es, wir können ohne es nicht leben. Man verfolgte uns und tötete viele unserer Krieger. Wenn wir nun jetzt ausgezogen sind, den Tod dieser Krieger zu rächen, wer ist schuld daran? Wer ist der Betrogene und wer der Betrüger? Wer ist der Beraubte und wer der Räuber? Wer ist der Angegriffene und wer der Feind? Old Shatterhand mag mir auf diese Fragen die richtige Antwort geben!«

Er richtete den Blick erwartungsvoll auf mich. Was sollte und was konnte ich ihm antworten, nämlich als ehrlicher Mann antworten? Winnetou entzog mich dieser heiklen Lage, indem er, der bis jetzt Schweigsame, das Wort ergriff:

»Winnetou ist der oberste Häuptling sämtlicher Stämme der Apatschen. Keinem Häuptlinge kann das Wohl seiner Leute mehr am Herzen liegen als mir das Glück meines Volkes. Was Schahko Matto jetzt sagte, ist mir nichts Neues; ich habe es selbst schon viele, viele Male gegen die Bleichgesichter vorgebracht – – ohne allen und jeden Erfolg! Aber muß denn jeder Fisch eines Gewässers, in dem es viele Raubfische giebt, vom Fleische anderer Fische leben? Muß jedes Tier eines Waldes, eines Gehölzes, in welchem Skunks hausen, notwendig auch ein Stinktier sein? Warum macht der Häuptling der Osagen keinen Unterschied? Er verlangt Gerechtigkeit und handelt doch selbst höchst ungerecht, indem er Personen befeindet, welche nicht die mindeste Schuld an der Ungerechtigkeit tragen, die an ihm und den Seinen verübt worden ist! Kann er uns nur einen Fall, einen einzigen Fall sagen, daß Old Shatterhand und ich die Gegner eines Menschen gewesen sind, ohne daß wir vorher von ihm angegriffen wurden? Hat er nicht im Gegenteile oft und oft erfahren und gehört, daß wir selbst unsere ärgsten Feinde so sehr und so viel schonen, wie uns irgend möglich ist? Und wenn er das bis heut noch nicht gewußt hätte, so wäre es ihm vorhin vor seinen Augen und Ohren gesagt und bewiesen worden, als mein Freund und Bruder Shatterhand für ihn sprach, obgleich er ihm nach dem Leben getrachtet hatte! Was uns der Häuptling der Osagen mitteilen will, das wissen wir schon längst und so gut, daß er kein Wort darüber zu verlieren braucht; aber was wir ihm zu sagen haben, das scheint er noch nicht zu wissen und noch nie gehört zu haben, nämlich daß man nicht Ungerechtigkeit geben darf, wenn man Gerechtigkeit haben will! Er hatte uns für den Marterpfahl bestimmt, und er weiß, daß wir ihm jetzt den Skalp und das Leben nehmen könnten; er soll beides behalten; er wird sogar seine Freiheit wiederbekommen, wenn auch nicht gleich am heutigen Tag. Wir werden seine Feindschaft mit Güte, seinen Blutdurst mit Schonung vergelten, und wenn er dann noch behauptet, daß wir Feinde der Osagen seien, so ist er nicht wert, daß sein Name von einem roten oder weißen Krieger jemals wieder auf die Lippen genommen wird. Schahko Matto hat vorhin eine lange Rede gehalten, und ich bin seinem Beispiele gefolgt, obgleich weder seine noch meine Worte nötig waren. Nun habe ich gesprochen. Howgh!«

Als er geendet hatte, trat eine lange, tiefe Stille ein. Nicht seine Rede allein, sondern noch vielmehr seine Person und seine Sprech- und Ausdrucksweise war es, welche diese Wirkung hervorbrachte. Ich war außer ihm wohl der einzige, welcher wußte, daß er nicht bloß zu dem Osagen gesprochen hatte. Seine Worte waren auch an die andern, besonders an Treskow gerichtet gewesen. Schahko Matto lag mit unbewegten Mienen da; ihm war nicht anzusehen, ob die Entgegnung des Apatschen überhaupt einen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Treskow hielt die Augen niedergeschlagen und den Blick wie in Verlegenheit zur Seite gerichtet. Endlich hob er ihn zu mir empor und sagte:

»Es ist eine ganz eigene Sache um Euch und Winnetou, Mr. Shatterhand. Man mag wollen oder nicht, so muß man schließlich doch so denken, wie Ihr denkt. Wenn Ihr den Häuptling der Osagen mit seinen beiden Kerls jetzt ebenso laufen lassen wollt, wie Ihr Old Wabble freigegeben habt, so bin ich jetzt derjenige, der nichts dagegen hat! Ich befürchte nur, daß er uns dann mit seinem Volke nachgeritten kommt, um uns, falls er Glück hat, schließlich doch noch festzunehmen.«

»Warten wir das ab! Wenn ich Euch recht verstehe, so haltet Ihr eine Beratung jetzt nicht mehr für notwendig?« fragte ich.

»Ist nicht nötig. Thut, was Ihr wollt!«

»Welk so mache ich es kurz! Hört also, was ich im Einvernehmen mit Winnetou bestimme! Schahko Matto reitet mit uns, bis wir annehmen, ihn freigeben zu dürfen; er wird zwar gefesselt sein, doch mit der Rücksicht behandelt werden, welcher jeder brave Westmann dem Häuptlinge eines tapfern Volkes schuldig ist. Seine beiden Krieger sind frei; sie mögen nach dem Wara-tu zurückkehren, um den Osagen zu erzählen, was geschehen ist. Sie mögen dort sagen, daß die Bleichgesichter gewarnt worden sind und daß, wenn der Überfall der Farmen trotzdem versucht werden sollte, der Häuptling von uns erschossen wird. Macht ihnen die Riemen auf!«

Diese Aufforderung war an Hammerdull und Holbers gerichtet, welche ihr bereitwillig nachkamen. Als die beiden Osagen sich frei fühlten, sprangen sie auf und wollten schnell zu ihren Pferden; dem aber wehrte ich ebenso schnell ab:

»Halt! Ihr werdet nach dem Wara-tu nicht reiten, sondern gehen. Eure Pferde und Gewehre nehmen wir mit. Ob ihr sie wiederbekommt, das hängt ganz von dem Verhalten Schahko Mattos ab. Also geht, und verkündet euern Brüdern, daß Old Shatterhand es gewesen ist, welcher gestern Apanatschka, den Häuptling der Naiini-Komantschen, befreit hat!«

Es wurde ihnen schwer, diesem Befehle Gehorsam zu leisten. Sie sahen ihren Häuptling fragend an; er forderte sie auf:

»Thut, was Old Shatterhand euch gesagt hat! Sollten die Krieger der Osagen dann im Zweifel darüber sein, wie sie sich zu verhalten haben, so mögen sie Honskeh Nonpeh fragen, dem ich den Befehl übergebe. Er wird das Richtige treffen!«

Als er diese Weisung erteilte, nahm ich sein Gesicht scharf in die Augen. Es war vollständig undurchdringlich; kein Zug desselben verriet, ob diese Abtretung des Kommandos an einen andern für uns später Kampf oder Frieden zu bedeuten haben werde. Die zwei Freigelassenen stiegen die Böschung hinan und entfernten sich in der Richtung, welche Old Wabble vorhin auch eingehalten hatte. Sie gingen auf seiner Spur, und es war vorauszusehen, daß sie ihn bald einholen würden.

Daß ich ihre Pferde zurückbehalten hatte, war nicht aus nur einem Grunde geschehen. Wären sie beritten gewesen, so hätten sie das Wara-tu viel schneller als zu Fuße erreicht, und die zu erwartende Verfolgung hätte einige Stunden eher beginnen können; wir gewannen also Zeit. Ferner waren sie als Boten, welche schnell und weit zu reiten hatten, mit sehr guten Pferden versehen gewesen, und grad solche Tiere konnten wir brauchen. Auch ihre Waffen konnten uns von Nutzen sein. Apanatschka, welcher, wie bereits erwähnt, nur mit einem Messer versehen gewesen war, bekam das Gewehr Schahko Mattos, welches mit nicht ganz schlechten Eigenschaften behaftet zu sein schien. Es verstand sich von selbst, daß er sein ursprüngliches Vorhaben, nach den heiligen Steinbrüchen zu reiten, einstweilen aufgab und sich dafür entschloß, uns hinauf nach Colorado zu begleiten. Da wir fast mit Sicherheit annehmen konnten, daß die Osagen, sobald die zwei Boten sie benachrichtigten, daß ihr Häuptling unser Gefangener sei, sofort nach dem Kih-pe-ta-kih kommen und uns von da aus folgen würden, um ihn zu befreien, konnte unsers Verweilens hier nicht länger sein. Schahko Matto wurde auf sein Pferd gebunden, doch in so schonender Weise, wie die Verhältnisse es uns erlaubten. Pitt Holbers und Treskow bestiegen die zwei Osagenpferde; die andern wurden als Packtiere benutzt, und so verließen wir die »alte Frau«, bei welcher uns nur eine so kurze Rast vergönnt war.

Der nun folgende Ritt mußte uns weit vom Republikan-River abbringen, weil dieser Fluß sich nun nordwärts nach Nebraska wendete. Wir hielten uns gradwestlich, um den Salmon-River zu erreichen. Dabei befanden wir uns zwischen zwei Übeln, von denen das eine vor und das andere hinter uns lag. Das vor uns liegende bestand aus der Truppe des »Generales«, von welcher wir bald eine Spur zu finden hofften, das hinter uns befindliche aus den Osagen, deren Kommen mehr als wahrscheinlich war. Keines von diesen beiden Übeln aber war geeignet, uns in große Unruhe zu versetzen. Daß es noch ein drittes, uns viel näherliegendes, geben könne, das ahnten wir nicht, obgleich wir ihm grad und genau entgegenritten.

Wir hätten, um die Osagen irre zu führen, uns für einige Zeit südlich wenden können; aber einesteils hatten wir vor diesen Indsmen keine Angst, und andernteils wäre durch einen solchen Umweg die Zeit unsers Zusammentreffens mit Old Surehand weiter, als wir wünschen durften, hinausgeschoben worden. Darum behielten wir die westliche Richtung bis zum Nachmittage des nächsten Tages bei, wo wir eine Begegnung hatten, welche uns veranlaßte, unserer ursprünglichen Absicht entgegen doch nach Süden einzubiegen.

Wir trafen nämlich auf drei Reiter, von denen wir erfuhren, daß eine sehr zahlreiche Bande von Tramps durch die ganze vor uns liegende Gegend schwärme. Die Männer waren einem Teile dieser Bande in die Hände gefallen und nicht nur vollständig ausgeraubt worden, sondern der eine von ihnen zeigte mir auch eine nicht ungefährliche Schußwunde, welche er bei dieser Gelegenheit in den Oberschenkel erhalten hatte. Wer von den Tramps gehört oder gar sie persönlich kennen gelernt hat, der wird es begreiflich finden, daß wir gar keine Lust hatten, solchen zügel- und gewissenlosen Menschen zu begegnen, vor denen jeder brave Westmann sich wie vor Ungeziefer hütet, weil er es für eine Schande hält, seine Kraft mit der ihrigen zu messen. Wie der geübteste und eleganteste Florettfechter unmöglich gegen die Düngergabel eines rüden Stallknechtes aufkommen kann, so hütet sich jeder ehrliche Prairieläufer, mit diesen von der Gesellschaft für immer Ausgestoßenen in Berührung zu kommen, nicht etwa aus Furcht oder gar Angst, sondern aus Abscheu vor der Gemeinheit ihres Auftretens.

So auch wir. Wir schwenkten kurz entschlossen nach Süden ab und gingen schon gegen Abend über den Nordarm des Salmon-River, an dessen rechtem Ufer wir für die Nacht Lager machten.

Hier war es, wo Apanatschka sein bisheriges Schweigen brach und mir erzählte, was er nach unserer Trennung im Llano estacado erlebt hatte. Es war nichts besonders Erwähnenswertes. Sein Ritt mit Old Surehand nach Fort Terrel war, wie bereits erwähnt, ohne Erfolg gewesen, da sie den dort gesuchten Dan Etters nicht gefunden hatten; es war dort überhaupt kein Mensch gewesen, der diesen Namen einmal gehört oder den Träger desselben gar persönlich gesehen hatte. Als Apanatschka dies erzählte, sagte ich:

»So ist meine damalige Voraussage also eingetroffen. Ich traute dem sogenannten ›Generale‹ nicht; es kam mir gleich so vor, als ob er Old Surehand über diesen Etters täuschen wolle. Er hatte irgend eine bestimmte Absicht dabei, welche ich leider nicht erraten konnte. Es schien mir, als ob er das Verhältnis Old Surehands zu Etters genauer kenne, als er merken lassen wollte; ich machte unsern Freund darauf aufmerksam; er wollte es aber nicht glauben. Hat er mit meinem roten Bruder Apanatschka vertraulich darüber gesprochen?«

»Nein.«

»Er hat gar keine, keine einzige Äußerung darüber fallen lassen, warum er so eifrig nach diesem Etters suchte?«

»Keine.«

»Und dann habt ihr euch am Rio Pecos getrennt und du bist zu deinem Stamme heimgekehrt?«

»Ja; ich bin nach dem Kaam-kulano geritten.«

»Wo deine Mutter dich gewiß mit Freude empfing?«

»Sie erkannte mich im ersten Augenblick und nahm mich liebreich auf, dann aber ging ihr Geist schnell wieder von ihr fort,« antwortete er, schnell trüb gestimmt, wie ich bemerkte.

Dennoch fragte ich, ohne auf diese seine Stimmung Rücksicht zu nehmen:

»Erinnerst du dich noch der Worte, die ich aus ihrem Munde gehört hatte?«

»Ich kenne sie. Sie sagt sie ja stets.«

»Und glaubst du noch heut so wie damals, daß diese Worte zur indianischen Medizin gehören?«

»Ja.«

»Ich habe es nie geglaubt und glaube es auch jetzt noch nicht. Es wohnen in ihrem Geiste Bilder von Personen und Ereignissen, welche nicht deutlich werden können. Hast du denn gar nicht einmal einen Augenblick bei ihr bemerkt, an welchem diese Bilder heller wurden?«

»Nie. Ich bin nicht oft mit ihr beisammen gewesen, denn ich mußte mich nach meiner Heimkehr bald von ihr trennen.«

»Warum?«

»Die Krieger der Naiini, und besonders Vupa Umugi, der Häuptling derselben, konnten es mir nicht verzeihen, daß mein weißer Bruder Shatterhand mich für würdig erachtet hatte, die Pfeife der Freundschaft und der Treue mit mir zu rauchen. Sie machten mit das Leben im ›Thal der Hasen‹ schwer, und so ging ich fort.«

»Wohin?«

»Zu dem Komantschenstamme der Kaneans.«

»Würde mein Bruder sofort von ihnen aufgenommen?«

»Uff! Wenn es nicht Old Shatterhand wäre, der mich so fragt, so würde ich lachen! Ich war zwar der jüngste Häuptling der Naiini gewesen, aber es hatte keinen Krieger gegeben, der mich besiegen konnte. Darum sprach keine einzige Stimme gegen mich, als die Männer der Kaneans über meine Aufnahme berieten. Jetzt bin ich der oberste Häuptling dieses Stammes.«

»Das höre ich gern; das macht mir Freude, denn ich liebe dich. Konntest du deine Mutter nicht von den Naiini weg und zu dir nehmen?«

»Ich wollte es thun, aber der Mann, dessen Squaw sie ist, gab es nicht zu.«

»Der Medizinmann? Du nennst ihn nicht deinen Vater, sondern den Mann, dessen Squaw sie ist. Es ist mir schon damals aufgefallen, daß du ihn nicht lieben kannst.«

»Ich konnte ihm mein Herz nicht geben, jetzt aber hasse ich ihn, denn er verweigert mir die Squaw, welche mich geboren hat.«

»Weißt du genau, daß sie deine Mutter ist?«

Er warf mir einen Blick der Überraschung zu und sagte:

»Warum fragst du so? Ich bin überzeugt, daß mein Bruder Shatterhand nie ein Wort sagt, zu welchem er keinen Grund hat; alles, was er thut oder spricht, ist vorher von ihm reiflich überlegt worden; darum wird er auch ganz gewiß eine Ursache haben, mir diese sonderbare Frage vorzulegen.«

»Die habe ich allerdings; aber sie ist nicht eine Frucht der Überlegung, sondern die Folge einer Stimme, welche ich schon früher in meinem Innern gehört habe und auch noch heute höre. Will mein Bruder Apanatschka mir Antwort geben?«

»Wenn Old Shatterhand fragt, werde ich antworten, auch ohne zu begreifen, warum er gesprochen hat. Die Squaw, von welcher wir reden, ist meine Mutter; ich habe das nie anders gewußt, und ich liebe sie.«

»Und ist sie wirklich die Squaw des Medizinmannes?«

Er erwiderte abermals im Tone der Verwunderung:

»Auch diese Frage verstehe ich nicht. Man hat beide, so lange ich es weiß, für Mann und Weib gehalten.«

»Auch du?«

»Ja.«

»Und du liebst ihn nicht?«

»Ich habe dir bereits gesagt, daß ich ihn hasse.«

»Und bist doch überzeugt, daß er dein Vater ist?«

»Man hat ihn stets meinen Vater genannt.«

»Er selbst auch? Denk genau darüber nach!«

Er senkte den Kopf, schwieg eine Weile, hob ihn dann mit einer raschen Bewegung und sagte:

»Uff! jetzt fällt es mir zum erstenmal auf, daß er mich niemals, kein einziges Mal Schi Yeh genannt hat.«

»Aber deine Mutter hat Se Tseh zu dir gesagt?«

»Auch nicht!«

Die Ausdrücke für »mein Sohn« sind nämlich bei den meisten Indianerstämmen verschieden, je ob sie von dem Vater oder der Mutter angewendet werden. In dem vorliegenden Falle wird Schi Yeh vom Vater, Se Tseh aber von der Mutter gebraucht. Apanatschka fuhr fort:

»Beide haben stets nur Omi zu mir gesagt, und nur die Mutter nannte mich allerdings zuweilen Se Tseh, aber nur dann, wenn sie mit andern von mir sprach.«

»Sonderbar, höchst sonderbar! Nun möchte ich nur noch wissen, ob er sie Ivo Uschingwa und sie ihn Iwuete zu nennen pflegt.«

»Du«.

Er sann wieder eine Weile nach und antwortete dann:

»Es ist mir, als ob sie, als ich noch jung, noch sehr jung war, sich so genannt hätten; seit jener Zeit aber habe ich diese Worte nicht wieder von ihren Lippen gehört.«

»So hat sie also seit jener Zeit stets nur die Namen Tibo taka und Tibo wete gebraucht?«

»Ja.«

»Und du hältst diese Worte für Medizinausdrücke?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil der Vater stets sagte, daß sie Medizin seien. Sie müssen es auch sein, denn es giebt keinen einzigen roten oder weißen Mann, welcher weiß, was das Wort Tibo zu bedeuten hat. Oder sollte mein Bruder Shatterhand es wissen?«

Ich wußte es allerdings auch nicht. Zwar mußte ich an die französischen Namen Thibaut und Thibault denken, aber es schien mir doch zu gewagt, das freilich fast gleichklingende Wort Tibo damit in Beziehung zu bringen. Ich wollte eine dieses sagende Antwort geben, kam aber nicht dazu, weil mir, und zwar zu gleicher Zeit und mit gleicher Eile, zwei Personen zuvorkamen, welche dem ersten Teile unseres Zwiegespräches keine Aufmerksamkeit geschenkt hatten, dann aber, sobald sie von mir die Namen Tibo taka und Tibo wete hörten, sich uns mit um so größerem Interesse zuwendeten.

Es wird noch erinnerlich sein, daß ich damals im Llano estacado Apanatschka versprechen mußte, die geheimnisvollen Worte keinem Menschen mitzuteilen; ich hatte mein Versprechen so treu gehalten, daß ich sogar gegen Winnetou verschwiegen gewesen war. Darum erregte es meine Verwunderung, als er uns jetzt in die Rede fiel:

»Tibo taka und Tibo wete? Diese Worte kenne ich!«

Und noch hatte er nicht ganz ausgesprochen, so rief auch der Häuptling der Osagen: »Tibo taka und Tibo wete kenne ich! Sie sind im Lager der Osagen gewesen und haben uns viele Felle und die besten Pferde gestohlen.«

Apanatschka war natürlich ebenso erstaunt wie ich. Er wendete sich zunächst an Winnetou:

»Woher kennt der Häuptling der Apatschen diese Worte? Ist er, ohne daß ich es erfahren habe, im Lager der Naiini gewesen?«

»Nein; aber Intschu tschuna, mein Vater, hat einen Mann und ein Weib getroffen, welche Tibo taka und Tibo wete hießen. Er war ein Bleichgesicht, sie eine Indianerin.«

»Wo hat er sie getroffen? Wo ist das gewesen?«

»Am Rande des Estacado. Sie und ihre Pferde waren dem Tode des Verschmachtens nahe, und die Frau hatte einen kleinen Knaben in ihr Tuch gewickelt. Mein Vater, der Häuptling der Apatschen, hat sich ihrer angenommen und sie zum nächsten Wasser geführt, um sie zu speisen und zu tränken, bis sie sich erholten. Dann wollte er sie zur nächsten Ansiedelung der Bleichgesichter bringen; sie aber baten ihn, ihnen lieber zu sagen, wo die Komantschen zu finden seien. Er ritt mit ihnen zwei Tage weit, bis er die Spuren der Komantschen entdeckte. Da diese seine Todfeinde waren, mußte er umkehren, gab ihnen aber Fleisch und einen Kürbis voll Wasser mit und erteilte ihnen eine so genaue Anweisung, daß sie die Komantschen finden mußten.«

»Wann hat sich das ereignet?«

»Vor langer Zeit, als ich noch ein kleiner Knabe war.«

»Was hat mein Bruder sonst noch über diese beiden Personen und ihr Kind erfahren?«

»Daß die Frau ihre Seele verloren hatte. Ihre Reden sind verworren gewesen, und wo es ein Gebüsch gab, da nahm sie einen Zweig, um ihn sich um den Kopf zu winden.«

»Weiter weiß Winnetou nichts von ihnen?«

»Weiter nichts; es ist das alles, was mein Vater mir über diese Begegnung erzählt hat.«

Der Apatsche bekräftigte durch eine Handbewegung, daß er nichts mehr zu sagen habe, und fiel dann in seine frühere Schweigsamkeit zurück. Da ergriff Schahko Matto eifrig das Wort:

»Aber ich kann noch mehr sagen; ich weiß mehr von. diesen Dieben, als Winnetou, der Häuptling der Apatschen, wissen kann!«

Apanatschka wollte weiter sprechen; ich winkte ihm aber, zu schweigen. Jedenfalls war er der kleine Knabe gewesen, und da der Mann und die Frau, welche als seine Eltern galten, von dem Osagen des Diebstahls geziehen wurden, wollte ich eine voraussichtliche direkte und große Beleidigung dadurch verhüten, daß ich an seiner Stelle das Wort ergriff:

»Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, mag uns erzählen, was wir über die Personen, welche wir meinen, von ihm hören können! Es wird wahrscheinlich nicht viel Gutes sein.«

»Old Shatterhand hat recht; es ist nichts Gutes,« nickte er. »Hat er vielleicht einen Mann gekannt, welcher Raller hieß und bei den Bleichgesichtern das war, was sie einen Offizier nennen?«

»Es ist mir kein Offizier dieses Namens bekannt.«

»Dann ist es so, wie ich mir später gedacht habe: er hat uns damals einen falschen Namen genannt und ist nur in der Absicht, uns zu betrügen, zu uns gekommen. Wir haben überall nach ihm geforscht; ich bin sogar in den Forts und auch in den großen Städten der Weißen gewesen, mich nach ihm zu erkundigen, aber nirgends hat es einen Offizier gegeben, welcher Raller hieß.«

»Es sind da wahrscheinlich zwei Fälle möglich: Entweder war er Offizier und hieß nicht Raller, oder er hieß so und war nicht Offizier. Was wollte er bei den Kriegern der Osagen?«

»Er kam ganz allein zu uns; er trug die Kleidung der Offiziere und sagte, daß er der Bote des großen, weißen Vaters in Washington sei. Es war ein neuer weißer Vater gewählt worden, der diesen Boten zu uns schickte, um uns sagen zu lassen, daß er die roten Männer liebe, daß er Frieden mit ihnen hegen und besser für sie sorgen wolle als die frühern weißen Väter, welche nicht gut und ehrlich gegen sie gewesen seien. Das gefiel den Kriegern der Osagen wohl, und sie nahmen den Boten als Freund und Bruder auf und behandelten ihn mit größerer Ehrfurcht und Aufmerksamkeit, als sie selbst ihrem größten und ältesten Häuptling zu erweisen gewohnt waren. Er schloß einen Vertrag mit ihnen ab; sie sollten ihm Felle und Häute liefern, wofür er ihnen schöne Waffen, Pulver, Blei, Messer, Tomahawks, fertige Anzüge und auch prächtige Kleider und Schmucksachen für die Squaws versprach. Er gab ihnen zwei Wochen Zeit, diesen Vertrag zu überlegen, und ritt fort. Er kehrte schon vor dieser Frist zurück und brachte einen weißen Mann, eine sehr schöne, junge, rote Squaw und einen kleinen Knaben mit. Der Weiße trug den Arm in der Binde; er war durch einen Schuß verwundet worden, doch zeigte die Untersuchung, daß die Wunde in guter Heilung stand. Das junge Weib war seine Squaw und der Knabe sein Sohn. Der schöne Körper der Squaw war leer, denn der Geist hatte ihn verlassen. Sie sprach von Tibo taka, von Tibo wete und wand sich Zweige um den Kopf. Auch von einem Wawa Derrick redete sie zuweilen. Wir wußten nicht, was sie damit meinte, und auch der Weiße, dessen Squaw sie war, sagte, daß er ihre Reden nicht verstehe. Sie wurden bei uns aufgenommen, als ob sie Bruder und Schwester der Osagen seien; dann ging Raller wieder fort.«

Schahko Matto machte hier eine Pause, welche ich benutzte, ihn zu fragen:

»Wie war das Verhalten der beiden Weißen zueinander? Ließ es auf Freundschaft oder nur auf gewöhnliche Bekanntschaft schließen? Es kommt wahrscheinlich sehr viel darauf an.«

»Sie waren Freunde, so lange sie glaubten, beobachtet zu sein; hielten sie sich aber für unbemerkt, so zankten sie sich.«

»Hatte der Mann der Squaw vielleicht ein Merk- oder Kennzeichen an seinem Körper?«

»Nein, aber der Offizier, welcher sich Raller nannte, hatte eins; es fehlten ihm zwei Zähne.«

»Wo?« fragte ich rasch.

»Oben vorn, rechts und links einer.«

»Ah! Etters!« rief ich aus.

»Uff! Das war Dan Etters!« ließ sich auch der sonst so stille Winnetou schnell hören.

»Etters?« fragte der Häuptling der Osagen. »Ich glaube nicht, diesen Namen je gehört zu haben. Hat der Mann so geheißen?«

»Ursprünglich wohl nicht. Er war oder ist ein großer Verbrecher, welcher viele falsche Namen getragen hat. Wie wurde denn der andere, der verwundete Weiße von ihm genannt? Raller muß doch einen Namen genannt haben, wenn er mit ihm sprach oder ihn gar rief.«

»Wenn sie einig waren, nannte er ihn Lo-teh; aber wenn sie glaubten, allein zu sein, und sich zankten, sagte er sehr oft zornig E-ka-mo-teh zu ihm.«

»Ist das kein Irrtum? Hat der Häuptling der Osagen sich diese beiden Namen gut gemerkt? Haben sie sich während der langen Zeit, welche inzwischen vergangen ist, vielleicht in deinem Gedächtnisse verändert?«

»Uff!« rief er aus. »Schahko Matto pflegt sich die Namen von Menschen, welche er haßt, so zu merken, daß sie bis zu seinem Tode ihm unverändert im Kopfe bleiben.«

Ich stemmte unwillkürlich den Ellbogen auf das Knie und legte den Kopf in die Hand. Es war mir ein Gedanke gekommen, so kühn und doch so naheliegend; ich zögerte, ihn auszusprechen. Winnetou sah mich an, ließ ein Lächeln um seine Lippen gleiten und sagte:

»Meine Brüder mögen Old Shatterhand genau betrachten! Grad so wie jetzt pflegt er auszusehen, wenn er eine wichtige Fährte entdeckt hat. Ich kenne ihn.«

Ich war mir gar nicht bewußt, ein besonders geistreiches Gesicht gemacht zu haben; ich weiß vielmehr, daß ich, wenn sich die Seele zum Nachdenken zurückzieht, eigentlich eine recht dumme Physiognomie zu zeigen pflege. Dies mochte Dick Hammerdull auch finden, denn er sagte zu Winnetous Bemerkung:

»Es scheint grad das Gegenteil der Fall zu sein. Mr. Shatterhand sieht aus, als#ob er eine wichtige Spur nicht gefunden, sondern sie soeben ganz und gar verloren hätte. Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Hm!« brummte der Lange, indem er in seiner trockenen Weise meine Partei ergriff; »wenn du denkst, daß dein Gesicht gescheiter aussieht als das seinige, so bist du der leibhaftige Hornfrosch, der sich für ein lebendiges Götterbild hält!«

»Schweig!« fuhr ihn der Dicke an. »Was verstehst denn du von den Göttern und ihren Bildern? Mich mit einem Hornfrosch zu vergleichen! Das ist eine Majestätsbeleidigung, für welche du wenigstens zehn Jahre Eastern penitentiary bekommen solltest!«

»Schweig du selbst!« entgegnete Pitt Holbers. »Die Majestätsbeleidigung wurde nicht von mir, sondern von dir begangen, indem du das Gesicht Old Shatterhands mit dem deinigen verwechseltest. Nicht er, sondern du siehst grad so aus, als ob du nicht nur eine Spur verloren, sondern überhaupt niemals eine gefunden hättest. Du bist zwar mein Freund, aber Mr. Shatterhand lasse ich auch von dir nicht ungestraft beleidigen!«

Es war ihm Ernst mit dieser Reprimande, sonst hätte er nicht ganz gegen seine Gewohnheit eine so lange Rede gehalten. Ich belohnte ihn mit einem dankenden Blicke, obgleich ich Dick Hammerdull nicht ernst genommen hatte, und sagte, zu Winnetou und Schahko Matto gewendet:

»Ich befinde mich wahrscheinlich im Irrtum, aber es ist mir ein Gedanke gekommen, den ich nicht so ohne alle Prüfung von mir weisen möchte. Ich glaube nämlich jetzt zu wissen, was das geheimnisvolle Wort Tibo bedeutet. Es kommt dabei nur darauf an, daß der Häuptling der Osagen die beiden Namen, welche er vorhin nannte, richtig behalten hat. Der erste hieß Lo-teh. Es ist eine Eigentümlichkeit der Sprache Schahko Mattos, daß er den ersten Laut dieses Wortes halb wie L und halb wie R aussprach. Wahrscheinlich hat er ›Lothaire‹ gemeint, ein Wort, welches ein französischer Vorname ist.«

»Ja, ja!« fiel der Osage ein. »So, grad so klang dieser Name, wenn er von Raller ausgesprochen wurde.«

»Gut! Dann bedeutet der zweite Name E-ka-mo-teh jedenfalls das auch französische Wort Escamoteur, welches einen Juggler, einen Taschenspieler bedeutet, der große Gewandheit darin besitzt, Gegenstände auf unbegreifliche Weise verschwinden und wieder erscheinen zu lassen.«

»Uff, uff, uff!« rief Schahko Matto aus. »Ich höre, daß Old Shatterhand sich auf der richtigen Spur befindet!«

»Wirklich?« fragte ich erfreut. »Hat der verwundete Weiße vielleicht die Dummheit begangen, damals die Osagen mit derartigen Künsten zu unterhalten?«

»Ja, das hat er gethan. Er ließ alles, alles kommen und verschwinden, wie es ihm gefiel. Wir haben ihn für einen so großen Zauberer gehalten, wie bei den roten Männern keiner gefunden werden konnte. Alle Männer und Frauen, alle Knaben und Mädchen haben ihm mit Erstaunen, oft mit Entsetzen zugesehen.«

»Gut! So will ich den Häuptling der Apatschen an einen Mann erinnern, von dem auch er erzählen hörte. Ich weiß, daß in seiner und meiner Gegenwart von einem einst hochberühmten und dann plötzlich verschollenen Escamoteur erzählt worden ist, von dessen Tricks man behauptete, daß sie nicht nur unvergleichlich, sondern geradezu unerreichbar seien. Er wurde, wie Winnetou sich erinnern wird, nicht anders als Mr. Lothaire, the king of the conjurers genannt.«

»Uff!« stimmte der Apatsche bei. »Von diesem haben wir wiederholt erzählen hören, in den Forts und an den Lagerfeuern.«

»Und weiß mein Bruder noch, weshalb dieser Mann verschwinden mußte?«

»Ja. Er hatte falsches Geld gemacht, sehr, sehr viel falsches Geld, und, als er arretiert werden sollte, zwei Polizisten niedergeschossen und einen verwundet.«

»Nicht bloß das!« fiel da Treskow ein. »Ich kenne, wenn auch nicht die Person, so doch den Fall genau; er wurde in Beamtenkreisen oft erwähnt, weil er höchst lehrreich für jeden Polizisten ist. Dieser Lothaire hat sich nämlich der Verfolgung wiederholt auf eine so raffinierte Weise entzogen und dabei noch weitere Mordthaten verübt, daß sein Fall uns als Unterrichtsgegenstand zur Belehrung dienen mußte. Er stammte, ich weiß nicht mehr, aus welcher französischen Kolonie, wo er sich auch nicht mehr sehen lassen durfte. Wenn ich mich nicht irre, war er ein Kreole aus Martinique und ist zuletzt in Bents Fort oben am Arkansas gesehen worden.«

»Das stimmt; das stimmt und wird noch besser stimmen lernen!« gab ich zu. »Lothaire war nur sein Vorname. Es kommt ja häufig vor, daß derartige Leute Ihren Vor- als Künstlernamen wählen. Sagt, Mr. Treskow, ist es Euch wohl möglich, Euch auf seinen vollständigen Namen zu besinnen?«

»Er hieß – – er hieß – – hm, wie hieß er nur? Es war auch ein echt französischer Name, und wenn – – ach, jetzt fällt er mir ein! Er hieß Lothaire Thibaut und – – – alle Wetter! Da haben wir ja das Tibo, welches, wie ich vorhin hörte, so lange vergeblich gesucht worden ist!«

»Ja, wir haben es; ganz sicher haben wir es! Taka ist der Mann und Wete die Frau; Thibaut Taka und Thibaut Wete sind Herr und Frau Thibaut. Die Frau des Medizinmannes sagte, wenn sie sich vollständig nannte: Tibo wete elen. Was hat dieses Elen zu bedeuten? Ich ahne es.«

»Sollte der Vorname Ellen gemeint sein?«

»Höchst wahrscheinlich. Wenn die Frau des Medizinmannes sich nicht in ihrem Wahnsinne mit einer andern verwechselt, sondern die wirkliche Thibaut Wete Ellen ist, so ist sie eine getaufte Indianerin vom Stamme der Moqui.«

»Warum der Moqui?«

»Weil sie auch von ihrem Wawa, d. i. Bruder Derrick spricht; Taka, Wete und Wawa aber sind Worte, welche der Moquisprache angehören. Thibaut Taka war ein berühmter Taschenspieler und verschwand bei den Indianern, weil er sich bei den Weißen nirgends mehr sehen lassen durfte. Ihm, dem geschickten Escamoteur, mußte es sehr leicht sein, Medizinmann der Roten zu werden und bei ihnen großes Ansehen zu gewinnen.«

»Aber die Farbe, die Indianerfarbe?«

»Pshaw! Für einen solchen Künstler eine Kleinigkeit! Ich bin jetzt beinahe überzeugt, daß Tibo taka und Tibo wete nicht Mann und Frau sind. Und sollten sie es dennoch sein, so möchte ich wenigstens behaupten, daß Apanatschka nicht der Sohn der beiden ist, wenigstens nicht der Sohn des Taschenspielers, von dem er auch nie als Sohn behandelt worden ist.«

Der, welcher jetzt genannt worden war, hatte unsern Folgerungen die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Es verstand sich ganz von selbst, daß ihm jedes Wort vom höchsten Interesse war. In seinem Gesichte wechselten die Ausdrücke der widersprechendsten Gefühle. Daß der Medizinmann nicht sein Vater, ja, daß dieser ein Verbrecher sein sollte, berührte ihn jedenfalls weniger, als daß ich ihm auch die Mutter rauben wollte; ich sah, daß es ihn drängte, mir da zu widersprechen, gab ihm aber einen wohlgemeinten Wink, zu schweigen, und wendete mich wieder an Schahko Matto:

»Wir haben den Häuptling der Osagen in seiner Erzählung unterbrochen und bitten ihn, jetzt fortzufahren. Der Weiße, welcher sich Raller nannte, hat den Vertrag, den er mit euch abschloß, natürlich nicht gehalten?«

»Nein, denn er war ein Betrüger wie alle Bleichgesichter, Old Shatterhand und nur noch einige ausgenommen. Die Krieger der Osagen aber hielten ihm ihr Wort. Sie suchten die Jagdgruben auf, in denen sie ihre Felle und Pelze aufbewahrt hatten, und brachten sie ihm in das Lager,« antwortete Schahko Matto.

»Wo befand es sich zu jener Zeit?«

»Am Flusse, den die Weißen den Arkansas nennen.«

»Ah! Und am Arkansas ist Thibaut zuletzt gesehen worden. Das stimmt auffällig. Waren es viele Häute?«

»Viele, sehr viele Pakete! Ein ganzer großer Kahn wurde voll.«

»Was? Raller hat einen Kahn, ein Boot gehabt?«

»Ein sehr großes sogar. Wir haben es ihm aus Holzstangen und Fellen gebaut. Nur an Dickschwanzhäuten waren es weit über zehnmal zehn Bündel, das Bündel zu zehn Dollars gerechnet, die andern Felle, welche zusammen noch viel mehr kosteten, gar nicht mit gezählt.«

»So eine Menge? Er hat sie doch unmöglich weit transportieren können, sondern bald verkaufen müssen. Wohin wollte er sie schaffen?«

»Nach Fort Mann.«

»Ah! Das lag am Arkansas, wo ihn die große und sehr belebte Cimarronstraße kreuzte. Da gab es reichen Verkehr, und es waren stets Pelzhändler mit bedeutenden Kapitalien da, welche solche Summen zu jeder Zeit bezahlen konnten. Aber es gab da auch eine zahlreiche Garnison. Daß er sich überhaupt und nun gar mit der Ausführung eines solchen Betruges dorthin wagte, war eine Frechheit, welche gradezu ihresgleichen sucht. Es war eine große Unvorsichtigkeit von euch, ihm diese Waren anzuvertrauen. Ich vermute, daß ihr ihn nicht fortgelassen habt, ohne ihm Begleitung mitzugeben?«

»Old Shatterhand hat es erraten. Da er ein Abgesandter des großen, weißen Vaters war, glaubten wir, nicht unvorsichtig zu sein, wenn wir ihm Vertrauen schenkten. Wir mußten ihm auch schon deshalb glauben und vertrauen, weil er uns selbst aufforderte, ihn nach Fort Mann zu begleiten, wo wir die Bezahlung in Waren ausgeliefert bekommen sollten.«

»Wieviel Osagen bekam er mit?«

»Sechs Mann; ich war selbst dabei.«

»Hatten soviel Personen in dem Boote Platz? Wohl schwerlich!«

»Er nahm zwei Mann zur Hilfe bei den Rudern mit in den Kahn. Die andern vier mußten zu Pferde dem Flusse folgen. Um gleichen Schritt mit dem schnellschwimmenden Fahrzeuge halten zu können, war es notwenig, die besten Pferde auszusuchen.«

»Wie gut, wie pfiffig ausgedacht! Ich bin nämlich überzeugt, daß er es auch auf diese eure Pferde abgesehen hatte.«

»Old Shatterhand hat auch hier das Richtige getroffen. Es war zur Zeit, in welcher der Fluß viel Wasser und gute Strömung hat; darum erreichte der Kahn das Fort einen Tag früher als wir mit den Pferden. Wir kamen abends so spät an, daß wir kurz vor Thorschluß das Fort betraten, nachdem wir zwei Männer bei den Pferden vor demselben gelassen hatten. Dann war das Thor zu, und wir durften nicht mehr heraus. Raller gab uns zu essen und dazu so viel Feuerwasser, wie wir haben wollten. Wir tranken, bis wir einschliefen. Als wir erwachten, war es schon Abend des nächsten Tages. Raller war fort; der andere Weiße mit seiner Squaw und dem Kinde war fort; unsere Pferde waren auch fort und mit ihnen die beiden Krieger, welche sie hatten bewachen sollen. Als wir uns erkundigten, hörten wir, daß Raller die Felle schon vor unserer Ankunft verkauft und bezahlt bekommen hatte. Sobald der Schlaf des Feuerwassers über uns gekommen war, hatte er für sich und das andere Bleichgesicht mit Squaw und Kind das Thor öffnen lassen und war dann nicht mehr gesehen worden. Nun war es wieder Nacht, so daß wir nicht nach seiner Fährte suchen konnten. Wir hatten bis zum Morgen zu warten. Wir waren sehr zornig und verlangten unsere Felle, welche sich noch in dem Kahne am Ufer befanden. Die Soldaten und andern Bleichgesichter lachten uns aus. Als wir hierauf noch mehr ergrimmten, wurden wir eingesperrt und erst nach drei Tagen, in denen wir weder Essen noch Wasser erhielten, wieder freigelassen. Die Spuren der Betrüger waren nun nicht mehr zu sehen. Wir suchten dennoch und fanden die Leichen der beiden Krieger, welche die Pferde beaufsichtigt hatten, im Gebüsch des Flusses liegen. Sie waren vor dem Fort erstochen und dann dorthin geschafft und versteckt worden.«

»Habt ihr diesen Mord im Fort gemeldet?«

»Wir thaten es, aber man ließ uns nicht hinein; man drohte, uns sofort wieder einzusperren, falls wir es wagen sollten, durch das Thor zu schreiten. Der Jagdertrag eines vollen Jahres und eines ganzen Stammes war verloren; wir hatten zwei Krieger und die Pferde eingebüßt. Anstatt uns die erbetene Hilfe zu leisten, wollte die Obrigkeit der Weißen uns gefangen nehmen. Raller, der Mörder und Betrüger, war kein Bote des weißen Vaters gewesen, und weil wir keine Pferde hatten und eingesperrt gewesen waren, konnten wir ihm nicht folgen, um ihn zu bestrafen. Das ist die Gerechtigkeit der Bleichgesichter, welche von Liebe, Güte, Frieden und Versöhnung reden und sich Christen, uns aber Heiden nennen! jetzt weiß Old Shatterhand, was ich über Tibo taka und Tibo wete zu sagen habe. Ich will ihn nicht fragen, ob er auch jetzt noch denkt, daß die Weißen bessere Menschen als wir Roten sind.«

Ich mußte mich als Weißer natürlich und leider jeden Urteiles über das, was er erzählt hatte, enthalten und konnte ihm nur die allgemeine, nichtssagende Antwort geben:

»Der Häuptling der Osagen hat bereits gehört, daß ich keine Rasse für besser als die andere halte; es giebt bei allen Völkern und in allen Ländern gute und auch böse Menschen. Hat Schahko Matto vielleicht später wieder eine Begegnung mit einem von diesen beiden Bleichgesichtern gehabt?«

»Nein.«

»Auch nichts von ihnen gehört?«

»Auch nicht. Seit jener Zeit habe ich heut zum erstenmal die Namen Tibo taka und Tibo wete wieder vernommen. Wir haben nach dem Manne mit den zwei Zahnlücken überall und unablässig gehorcht, doch alle Nachfragen und Erkundigungen sind bisher vergeblich gewesen. Es sind inzwischen weit über zwanzig Sommer und Winter vergangen, und so haben wir angenommen, daß er nicht mehr lebt. Sollte ihn aber der Tod noch nicht ergriffen haben, so bitte ich den großen und gerechten Manitou, ihn in unsere Hände zu führen, denn der große Manitou ist gütig und gerecht; die Bleichgesichter aber sind es nicht, obgleich sie sich seine Lieblingskinder nennen.«

Es trat eine lange Pause ein, denn keiner von uns Weißen fühlte das unerläßliche Material in sich, die Anklage des Osagen zu entkräften oder gar zu widerlegen. Habe ich mich jemals in Verlegenheit befunden, so war es dann, wenn ich gezwungen war, die Vorwürfe, welche der weißen Rasse von Angehörigen anderer Nationen gemacht wurden, schweigend hinzunehmen. Alles, was man dagegen sagen könnte, hat ja doch keinen Erfolg, wenigstens keinen augenblicklichen. Das Beste, was man dagegen thun kann, ist, in eigener Person und durch den eigenen Lebenswandel den Beweis zu führen, daß derartige Anschuldigungen wenigstens mich nicht treffen. Wollte das ein jeder thun, so würden sie gewiß und bald zum Schweigen kommen.

Das jetzt beendete Gespräch mußte von uns allen natürlich Apanatschka am meisten berührt haben. Er hatte höchst wahrscheinlich viele Fragen und Entgegnungen vorzubringen, war aber infolge meines Winkes so klug, zu schweigen. Es war Schahko Matto gegenüber nicht geraten, sein nahes Verhältnis zu Tibo taka noch näher und ausführlicher in Erwähnung zu bringen, als es schon geschehen war. Ich fühlte so schon große Befriedigung darüber, daß der Osage nicht auf den Gedanken gekommen war, sich nach der Identität zwischen Tibo taka und dem Medizinmanne der Komantschen zu erkundigen.

Was Raller, den angeblichen Abgesandten des »großen, weißen Vaters« betraf, so wollte sich in mir eine Idee oder eine Ahnung geltend machen, deren Berechtigung mir außerordentlich zweifelhaft erschien. Ich hütete mich also, ein Wort über sie zu verlieren, obgleich ich die Erfahrung gemacht hatte, daß ich mit derartigen, scheinbar grundlosen Vermutungen und unwillkürlichen Gedankenverbindungen meist das Richtige traf. Aber wenn ich darüber auch schwieg, diese Stimme in mir auch zum Schweigen zu bringen, das wollte mir nicht gelingen. Und je länger ich sie hörte, desto wahrscheinlicher kam es mir vor, daß sie mir nichts Falsches sage.

Als Schahko Matto davon sprach, daß Raller sich für einen Offizier ausgegeben hatte, war mir nämlich Douglas, der »General«, eingefallen. Es gab keinen einzigen stichhaltigen Grund, diese beiden Personen in so nahe Beziehung zu einander zu bringen; sie waren Verbrecher; sie hatten sich unberechtigterweise einen militärischen Grad beigelegt; das war alles, und lange noch nicht genug, um annehmen zu können, daß sie eine und dieselbe Person seien, und doch wurden sie in meinem Innern, in meiner Vorstellung nach und nach so zusammengeschoben, daß sie schließlich nicht mehr zwei Figuren sondern eine einzige bildeten. Das Seelenleben des Menschen ist so reich an geheimnisvollen Gesetzen, Kräften und Erscheinungen, deren Wirkungen wir achtlos an uns vorübergehen lassen; aber wer so viel bei seinen Büchern gesessen und getüftelt hat wie ich, wer so viel Nächte unter dem Dache des Urwaldes oder unter dem Himmel der Wüste, der Savanne lag und tiefe Einkehr in sich hielt, der lernt, auf die Regungen und Stimmen seines Innern aufmerksam zu sein, und schenkt ihnen gern das Vertrauen, welches sie verdienen.

Daß ich mit allen diesen Personen und Verhältnissen Old Surehand in Beziehung, und zwar in die engste Beziehung brachte, versteht sich ganz von selbst. Jedenfalls war er es, der im Mittelpunkte des Geheimnisses stand und der den Schlüssel zu demselben, jetzt noch ohne es zu wissen, in den Händen hielt. Darum nahm ich mir vor, meine Ahnungen noch für mich zu behalten und sie erst nach unserm Zusammentreffen mit ihm in Worte zu kleiden. Wir waren ja hinter ihm her und mußten ihn wahrscheinlich bald einholen.

Diesen Gedanken hing ich, als wir uns zur Ruhe gelegt hatten, noch lange nach, ehe ich einschlief. Früh dann, beim Aufbruche, waren sie fest in mir geworden, und ich legte mir nur noch die eine Frage vor, wer unter Wawa Derrick gemeint sein könne. Erraten konnte ich das nicht, weil es höchst wahrscheinlich eine Person war, welche ich nicht kannte.

Es war eine vollständig baum- und strauchlose Gegend, durch welche wir nun kamen. Wir befanden uns zwischen dem Nord- und Südarm des Salmon-River auf einer nur mit Büffelgras bewachsenen Prairie. Am Nachmittage kamen wir dem Südarme näher und sahen einen einzelnen Reiter, welcher weit vor uns quer über unsere Richtung aus Norden kam. Wir hielten sofort an und stiegen ab, um uns nicht von ihm sehen zu lassen; aber er hatte uns schon bemerkt und richtete den Lauf seines Pferdes auf uns zu. Darum setzten wir uns wieder auf und ritten ihm entgegen.

Als wir uns ihm so weit genähert hatten, daß wir ihn deutlich erkennen konnten, stellte es sich heraus, daß er ein Weißer war. Er stutze und hielt an, als er entdeckte, daß unser Trupp aus Leuten von zweierlei Farben bestand, denn das ist stets geeignet, Verdacht zu erwecken. Das Gewehr schußfertig in den Händen, sah er uns entgegen. Als wir uns ihm bis auf ungefähr dreißig Pferdelängen genähert hatten, hob er das Gewehr und forderte uns auf, zu halten, widrigenfalls er schießen werde. Diese Drohung war etwas für unsern dicken Hammerdull; er trieb trotz ihr seine Stute weiter und rief dabei dem Fremden lachend zu:

»Macht keine dummen Witze, Sir! Oder solltet Ihr Euch wirklich einbilden, daß wir uns vor Eurer Gartenspritze fürchten werden? Thut sie weg, und seid gemütlich, denn wir sind es auch!«

Das volle Gesicht des Kleinen strahlte allerdings eine Freundlichkeit aus, welcher der Reiter nicht widerstehen konnte wie ebensowenig sein Pferd, denn dieses ließ ein vergnügtes Wiehern hören, und er antwortete, indem er sein Gewehr sinken ließ:

»Diesen Gefallen kann ich Euch schon thun. Übrigens bilde ich mir über Euch vorläufig gar nichts ein, weder etwas Gutes noch etwas Böses, obgleich Ihr zugeben werdet, daß ich allen Grund habe, Verdacht gegen Euch zu hegen.«

»Verdacht? Warum?«

»Weiße und Rote gehören nicht zusammen, und wenn man sieht, daß diese zwei Farben sich einmal vertragen, hat man gewöhnlich die Kosten dieses Schauspieles zu bezahlen.«

»Vertragen? Seht Ihr denn nicht, daß einer der Indianer gefangen ist?«

»Um so schlimmer, daß Ihr dem andern nicht auch einige Riemen angelegt habt. Der Gefangene scheint eine Leimrute zu sein, an der man kleben bleiben soll!«

»Ob Ihr kleben bleibt oder nicht, das ist uns ganz egal; aber los kommt Ihr nicht. Wir wollen wissen, wer Ihr seid, und zu welchem Zwecke Ihr Euer Pferd hier in dieser alten Prairie spazieren reitet.«

»Spazieren? Danke! Es war kein angenehmer Ritt, den ich hinter mir habe.«

»Warum?«

»Ehe ich antworte, will ich erst wissen wer Ihr seid!«

»Ah so! Bin sofort bereit, Euch gehorsamst zu Diensten zu stehen!« Und mit der Hand der Reihe nach auf sich und uns zeigend, fuhr er fort:

»Ich bin der Kaiser von Brasilien, wie Ihr mir ja gleich angesehen haben werdet. Der ungefesselte Indianer hier ist einer von den heiligen drei Königen aus dem Morgenlande, von denen bekanntlich der erste weiß, der zweite rot und der dritte schwarz gewesen ist; dieser hier wird also wohl der zweite sein. Der Mann mit dem großen und dem kleinen Gewehre« – er deutete dabei auf mich – »ist Bileam, der Euch wohl bald zum Sprechen bringen wird. Der Weiße neben ihm« – er meinte Treskow – »ist ein verwunschener Prinz aus Marokko, an dessen Seite Ihr seinen Hofnarren seht –«

Da er bei dem Worte Hofnarr auf Pitt Holbers zeigte, fiel ihm dieser kräftig in die Rede:

»Halte den Schnabel, alte Spottdrossel! Du gebärdest dich doch, als ständest du vor einer Menagerie, deren Bestien du diesem Fremden zeigen müßtest!«

»Ob Bestien oder nicht Bestien, das bleibt sich ganz gleich. Meinst du etwa, Pitt Holbers, altes Coon, daß ich ihm eure Namen nenne soll? Da kennst du weder mich noch die Gesetze des Westens. Er ist allein; wir sind ein ganzer Trupp, also hat er zuerst zu antworten, aber nicht wir, und wenn er das nicht augenblicklich thut, renne ich ihm mein Gewehr in den Leib oder reite ihn einfach über den Haufen.«

Er meinte das natürlich nur im Scherze; mochte nun der Fremde dies so nehmen oder nicht, aber er warf einen verächtlichen Blick auf die alte, haarlose Stute Hammerdulls und rief, indem er ein lautes Lachen hören ließ, aus:

»Lack-a-day! Mit dieser Pfefferkuchenziege soll ich umgeritten werden? Die würde doch sofort aus allen Knochen fallen. Versucht es doch einmal! Come on

Der Dicke hielt so große Stücke auf sein Pferd, daß ihn nichts so schnell in Harnisch bringen konnte, als wenn man sich über das häßliche Äußere desselben lustig machte. So auch hier. Seine gute Laune war wie weggeblasen, und kaum hatte der Fremde die Aufforderung ausgesprochen, so ertönte die zornige Antwort:

»Sogleich, sogleich! Go on

Die Stute hörte das bekannte Wort; sie fühlte den Schenkeldruck und die Zügelhilfe und gehorchte augenblicklich. Sie rannte mit einem Satze, den ihr jeder, der sie nicht kannte, nie zugetraut hätte, das Pferd des Fremden an, welches zunächst in das Straucheln kam und nach einem zweiten Angriffssprunge der Stute sich hinten niedersetzte. Das geschah so rasch und unerwartet für den Reiter, daß er, ohne Zeit zum Parieren zu finden, die Bügel verlor und aus dem Sattel flog. Nun war die Reihe, zu lachen, an Dick Hammerdull. Er warf seine kurzen, dicken Arme triumphierend in die Luft und rief.

»Heigh-day! Da fliegt er hin, der Pfefferkuchenmann! Wenn er nur nicht zerbrochen ist! Hat das die alte Ziege nicht gut gemacht, Pitt Holbers, altes Coon?«

Der Lange antwortete in seinem gewöhnlichen Gleichmute:

»Wenn du denkst, daß sie dafür einen Sack voll Hafer verdient hat, so magst du recht haben, lieber Dick.«

»Ob Hafer oder nicht, daß bleibt sich gleich; es giebt hier leider nur Gras zu fressen!«

Der Fremde rappelte sich empor, hob sein Gewehr auf, welches ihm entfallen war, und stieg mißmutig wieder in den Sattel. Um aus dem derben Scherze nicht völlig Ernst werden zu lassen, richtete nun ich selbst das Wort an ihn:

»Ihr seht, daß es selbst dem besten Cow-boy einmal geschehen kann, daß er ein fremdes Pferd unter- und das seinige überschätzt. Ganz ebenso scheint Ihr Euch auch in den Reitern geirrt zu haben. Daß ein Roter unser Gefangener ist, giebt für Euch keinen Grund, uns für Leute zu halten, denen Ihr nicht trauen dürft. Wir sind ehrliche Westmänner, und da wir wissen, daß dort oben im Norden, woher Ihr kommt, sich Tramps herumtreiben, die wir vermeiden wollen, so möchten wir so ungefähr wissen, wer und was Ihr seid.«

Daß er ein Cow-boy war, sagte mir seine Kleidung und Ausrüstung. Er antwortete jetzt bereitwillig-

»Diese Tramps sind es eben, wegen denen ich euch mißtraute und eigentlich noch jetzt mißtrauen muß.«

»Hm, mag sein! Ich hoffe, Euer Vertrauen sogleich zu erlangen, falls Euch nämlich der Name Winnetou nicht unbekannt ist.«

»Winnetou? Wer sollte diesen Namen nicht kennen!«

»Wißt Ihr, wie er gewöhnlich gekleidet und bewaffnet ist?«

»Ja. Er geht in Leder, mit einer Sandillodecke um die Hüften, das Haar lang herab und die Silberbüchse an – –«

Er hielt inne, fixierte den Apatschen einen Augenblick, schlug sich dann mit der Hand an die Stirn und rief:

»Wo habe ich doch nur meine Augen gehabt! Das ist er ja selbst, der berühmte Häuptling der Apatschen! Da ist ja alles gut. Ihr andern mögt nun meinetwegen sein, wer ihr wollt. Wo Winnetou dabei ist, da giebt's nur Ehrlichkeit und keine Schelmerei. Jetzt weiß ich, daß ich Euch alles sagen darf, was Ihr wissen wollt.«

»Well! Ihr habt schon wiederholt gehört, daß wir erfahren möchten, wer Ihr seid.«

»Ich heiße Bell und bin bedienstet auf Harbours Farm.«

»Wo liegt diese Farm?«

»Zwei Meilen südwärts von hier am Flusse.«

»Die kann erst seit kurzem gegründet sein. Früher hat es keine da gegeben.«

»Das ist richtig. Harbour ist erst seit zwei Jahren hier.«

»Er muß ein mutiger Mann sein, daß er es gewagt hat, sich in dieser Einsamkeit niederzulassen.«

»Auch wieder richtig. Wir fürchten uns nicht. Mit den Indsmen sind wir bisher fertig geworden; die Tramps aber sind ernster zu nehmen. Als wir hörten, daß sich eine solche Schar oben am Nordfork herumtreibt, bin ich hingeritten, um zu erfahren, was sie vorhaben. Ich weiß jetzt, daß wir uns nicht zu sorgen brauchen, denn sie haben es auf Nebraska abgesehen. Wollt ihr heut noch weit, Mesch'schurs?«

»Wir reiten noch eine Stunde, ehe wir Lager machen.«

»Wo?«

»Wo wir eine passende Stelle dazu finden.«

»Darf ich da eine Frage aussprechen?«

»Welche?«

»Wollt Ihr nicht lieber auf unserer Farm einkehren, als daß Ihr im Freien bleibt?«

»Wir kennen den Besitzer nicht.«

»Ich sage Euch, der ist ein Gentleman durch und durch und dazu ein großer Verehrer von Winnetou, den er schon einigemal gesehen hat. Er erzählt oft von ihm und von Old Shatterhand, welche mit ihren beiden herrlichen Rappen – –«

Er hielt wieder inne, warf einen Blick auf mein Pferd, welches er noch gar nicht beachtet zu haben schien, und fuhr dann schnell und in freudigem Tone in seiner Rede fort:

»Da spreche ich von Old Shatterhand und sehe einen Rappen, der demjenigen von Winnetou wie ein Ei dem andern gleicht! Ihr habt zwei Gewehre, Sir. Ist das eine ein Bärentöter?«

»Ja.«

»Das andere ein Henrystutzen?«

»Ja.«

»Thunder-storm! So seid Ihr wohl gar Old Shatterhand?«

»Allerdings.«

»Dann, Sir, dann müßt Ihr meine Bitte erfüllen und mit mir zu Harbour kommen! Ihr glaubt gar nicht, was für eine große Freude Ihr ihm und seinen Leuten damit machen würdet! Ein Nachtlager in einer Farm ist doch jedenfalls angenehmer als eines auf offener Prairie und unter freiem Himmel. Eure Pferde finden ein gutes Futter, welches sie vielleicht nötig haben, und Ihr, na Ihr werdet auch ein besseres Essen haben, als Ihr da in der Savanne finden könnt.«

Der Mann bat so herzlich; seine Einladung war ehrlich gemeint. Er hatte recht. Unseren Pferden war ein kräftiges Körnerfutter zu gönnen, und uns bot die Farm Gelegenheit, unsern fast auf die Neige gegangenen Proviant zu erneuern. Konnten wir uns mit neuem Vorrate versehen, so war das, wie bereits einmal gesagt, besser, als wenn wir gezwungen waren, uns durch die Jagd zu ernähren und dabei eine Menge Zeit zu versäumen. Ich warf, um Winnetous Ansicht kennen zu lernen, diesem einen fragenden Blick zu; er antwortete mit einem Senken der Augenlider und indem er dann seinen Blick auf den Osagen richtete. Ich verstand diese stumme und doch so beredte Weisung und sagte zu dem Cow-boy:

»Ihr seht, daß wir einen Gefangenen haben. Es ist uns von großer Wichtigkeit, daß er uns nicht entkommt. Können wir darauf rechnen, daß man auf der Farm nichts unternehmen wird, ihn zu befreien?«

»Ich versichere Euch, Sir,« antwortete er, »daß, er Euch bei uns grad so sicher ist wie im tiefsten Verließe einer alten Ritterburg!«

»Well, so sollt Ihr Euren Willen haben. Wir werden mit zu Harbour reiten. Hoffentlich sind wir ihm so willkommen, wie Ihr uns versprochen habt.«

»Keine Sorge, Mr. Shatterhand! Eure Ankunft wird den heutigen Tag zum Festtag für ihn machen. Darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

Wir standen also im Begriff, die Stelle, an welcher wir gehalten hatten, wieder zu verlassen. Schahko Matto war mit den Füßen an sein Pferd gebunden, konnte es aber mit den Händen lenken, weil wir ihm die Arme freigelassen hatten. Er hielt es zurück und zögerte, uns zu folgen. Über den Grund zu diesem Verhalten befragt, erklärte er uns:

»Der Häuptling der Osagen wünscht, Old Shatterhand und Winnetou etwas zu sagen, bevor wir weiterreiten.«

»Er mag sprechen!« forderte ich ihn auf.

»Ich weiß, daß ihr mir nicht nach dem Leben trachtet, sondern mich freilassen werdet, sobald wir weit genug geritten sind, daß es mir unmöglich wird, schnell heimzukehren und euch mit meinen Kriegern zu verfolgen. Ich habe Honskeh Nonpeh den Befehl über die Söhne der Osagen erteilt, weil ich nicht wollte, daß sie euch folgen sollten. Er war gegen den Kampf und gegen den Überfall der Bleichgesichter, und daß ich grad ihm den Befehl überlassen habe und ihm dabei sagen ließ, er werde schon wissen, was er zu thun habe, wird ihm meinen Willen erraten lassen, daß er von allen Feindseligkeiten absehen soll. Werden Old Shatterhand und Winnetou mir diese meine Worte glauben?«

»Wir schenken dir weder Vertrauen noch Mißtrauen; wir werden dich prüfen. Ein Feind wird nicht so schnell zum Freunde!«

»So hört, was ich euch jetzt noch sage! Wenn ich jetzt die Freiheit von euch zurückerhielte, ich würde doch nicht von euch gehen.«

»Uff!« antwortete Winnetou.

»Der Häuptling der Apatschen mag sich wundern; es ist doch so, wie ich gesprochen habe: ich würde wirklich mit euch weiterreiten.«

»Aus welchem Grunde?« erkundigte ich mich.

»Wegen Tibo taka.«

»Wegen diesem? Diese Ursache will mir sehr unklar erscheinen.«

»Weil Old Shatterhand bisher angenommen hat, daß ich gestern abend etwas nicht beobachtet habe, was mir doch außerordentlich wichtig war.«

»Was meint der Häuptling der Osagen?«

»Es wurde gesagt, daß Tibo taka jetzt Medizinmann der Naiini sei. Ich habe dazu geschwiegen, um darüber nachzudenken. Heut bin ich zum Entschluß gekommen: Ich werde mit euch reiten, auch wenn ich frei geworden bin, denn ich will mir die Freundschaft von Apanatschka, dem Häuptling der Komantschen, erwerben.«

»Warum das?«

»Wenn er mein Freund geworden ist, wird er mir behilflich sein, den Medizinmann der Naiini-Komantschen in meine Hand zu bekommen.«

Da warf Apanatschka die Hand wie zum Schwure empor und rief aus:

»Nie werde ich das thun, niemals!«

Ich streckte meine Hand gegen ihn aus und rief in demselben Tone:

»Du wirst es thun!«

»Niemals!« behauptete er.

»Sehr gern sogar!« antwortete ich bestimmt.

»Lieber sterbe ich! Ich hasse ihn, aber er ist mein Vater!«

»Er ist es nicht.«

»So ist doch seine Squaw meine Mutter!«

»Auch sie ist das nicht!«

»Welch ein Wort Old Shatterhand da sagt! Kann er beweisen, was er jetzt behauptet hat?«

»Nein, aber ich fühle in meinem Innern, daß es die Wahrheit ist.«

»Hier bedarf es der Beweise, doch nicht der Gefühle!«

»Du bist ein geraubtes Kind. Tibo taka und Etters sind die Räuber; das steht bei mir fest. Tibo wete ist mitschuldig an dem Raube; das vermute ich jetzt nur; aber ich denke, es wird die Zeit kommen, in welcher du mir glauben wirst. Ich bin bereit, mit dir und dem Häuptling der Osagen zu den Naiini zu reiten, um den Medizinmann dieser Indianer zu entlarven. Jetzt wollen wir nicht mehr darüber sprechen, sondern lieber weiterreiten!«

Der Cow-boy setzte sich als Führer an unsere Spitze, und wir folgten ihm. Schon nach einer halben Stunde ersahen wir aus der kräftigeren Vegetation, daß wir uns dem Flusse näherten. Sträucher und Bäume traten auf, erst vereinzelt, dann in Gruppen, zwischen denen Rinder, Pferde und Schafe weideten. Wir erblickten sogar mehrere große Maisund andere Felder, und dann lag das Gebäude vor uns, welches uns heut beherbergen sollte.

Als ich es sah, wäre ich, einer unbestimmten Regung folgend, am liebsten umgekehrt. Es lag da, ganz ähnlich wie Fenners Farm, nur sehr viel westlicher und an einem andern Flusse. In Fenners Farm hatte mir der Tod gedroht, und hier durchfuhr mich ein, ich möchte sagen, warnendes Empfinden, welches, wenn ich ihm gehorchen wollte, mich am Betreten des Hauses hindern mußte. Ich schrieb die Schuld der gleichen Lage der Farmen zu. Wenn man an einem Orte etwas Unangenehmes erlebt oder gar eine Gefahr bestanden hat und man kommt dann an einen andern Ort, welcher dem ersteren ähnlich liegt und sieht, so ist es freilich begreiflich, wenn da infolge der bösen Erinnerung ein Gefühl aufsteigt, welches zur Umkehr mahnt.

Ich konnte auf diese Empfindung natürlich keine Rücksicht nehmen; ich durfte nicht einmal von ihr sprechen, wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen wollte, ausgelacht oder wenigstens mit Kopfschütteln bedacht zu werden. Bell, der Cow-boy, war uns eine Strecke vorausgeritten, um unsere Ankunft anzumelden. Darum fanden wir den Besitzer der Farm zu unserm Empfang bereit. Seine Familie bestand außer ihm und seiner Frau aus drei Söhnen und zwei Töchtern, lauter kräftigen, sehnigen Hinterwaldsgestalten, denen man es ansah, daß sie sich vor einigen Indianern nicht fürchteten und wohl auch nicht zu fürchten brauchten. Wir merkten es diesen sieben Personen an, daß wir ihnen wirklich willkommen waren. Ihre Freude war eine aufrichtige und hatte sich auch den Hands mitgeteilt, welche vor dem Hause standen, neugierig, den berühmten Häuptling der Apatschen kennen zu lernen. Er nickte ihnen stolz und leutselig wie ein König zu, der er ja auch in Beziehung auf seine Thaten und Gesinnungen war, wenigstens meiner Ansicht nach.

Die Farm glich mehr einer südlichen Hazienda, nur daß sie ganz aus Holzbau bestand, weil Steine am Salmon-River eine Seltenheit sind. Die weite, aus starken, hohen Planken bestehende Umzäunung schloß einen großen Raum ein, an dessen Nordseite das Wohnhaus stand. Die Südseite war mit einem Dache zum Schutze für das Vieh versehen. An den beiden andern Seiten lagen die einfachen Wirtschaftsbauten und die Aufenthaltsräume für das Gesinde und die gewöhnlichen Gäste. Außerhalb der Umzäunung gab es einige Korrals für die Pferde, Rinder und Schafe, dabei ein besonderer für die Reitpferde Harbours und seiner Familienglieder. In dieser letzterwähnten Umfriedung wurden auch unsere Pferde untergebracht und auf Winnetous und meinen Wunsch von zwei Peons bewacht. Wir wollten sie nicht der Gefahr, gestohlen zu werden, aussetzen, welcher sie auf Fenners Farm kaum entgangen waren. Das Wohnhaus bestand aus drei Räumen. Die eine, vordere Hälfte nahm, über die ganze Breite des Hauses, die Thür abgerechnet, gehend, das Wohnzimmer ein. Es hatte drei Fenster, welche mit Glasscheiben versehen waren. Das Meublement war mit eigener Hand einfach und durabel hergestellt. Jagdtrophäen und Waffen hingen rundum an den Wänden. Die hintere Breite des Hauses nahmen dann die Küche und die Schlafstube ein, welche an uns abgetreten werden sollte. Wir nahmen das aber nicht an und erklärten, uns später bei offenen Fenstern im Wohnzimmer niederlegen zu wollen.

Nachdem der herzliche Empfang vorüber war und die Peons unsere Pferde unter unsern Augen in dem erwähnten Korral untergebracht hatten, erforderte es unsere Sicherheit, zu fragen, ob außer den Bewohnern der Farm noch andere Leute anwesend seien. Der Besitzer gab die uns gar nicht beunruhigende Antwort:

»Es kam vor einer Stunde ein Arzt mit einer Kranken an, die er nach Fort Wallace zu begleiten hat.«

»Woher kommen sie?« erkundigte ich mich.

»Aus Cansas-City. Sie leidet an einem unheilbaren Übel und will zu ihren Anverwandten zurück.«

»Alt oder jung?«

»Das konnte ich nicht sehen. Ihre Krankheit ist eine krebsartige und hat das Gesicht so zerstört, daß sie einen dichten Schleier tragen muß. Sie kamen auf zwei Pferden mit einem Packpferde an.«

»Mit Begleitung?«

»Nein, ohne.«

»So ist der Arzt entweder ein sehr kühner oder ein sehr unvorsichtiger Mann. Ich bedaure die Dame, eine so lange Reise im Sattel zurücklegen zu müssen. Es giebt doch andere Gelegenheiten.«

»Das sagte ich dem Arzte auch, aber er antwortete mir ganz richtig, daß die häßliche und jeden Mitreisenden abstoßende Krankheit seiner Pflegbefohlenen ihn leider zu diesem einsamen Ritt gezwungen habe.«

»Dagegen giebt es freilich nichts zu sagen. Wann wollen sie fort?«

»Morgen früh. Sie waren beide sehr ermüdet, haben schnell etwas gegessen und sich dann in das Seitenhaus führen lassen, um zu schlafen. Ihre Pferde sind hinten im Hofe untergebracht worden.«

Die Anwesenheit einer krebskranken Lady mit ihrem ärztlichen Begleiter konnte uns, wie schon gesagt, nicht beunruhigen, sondern höchstens unsere Teilnahme erwecken. Wir hatten gar keinen Grund, unsere Gedanken mit diesen beiden Personen mehr als gewöhnlich zu beschäftigen. Wenn sie nicht schon geschlafen hätten, wäre ich vielleicht einmal hinausgegangen, um sie zu sehen, so aber konnte dieser sonst so selbstverständliche Wunsch gar nicht in mir rege werden.

Da vor dem Hause keine Sitze angebracht waren, gingen wir in die Stube, wo uns gern und schnell ein tüchtiges Essen aufgetragen wurde. Der Wirt nebst Frau und Kindern mußten sich zu uns setzen, und während wir aßen, kam bald eine Unterhaltung von der Art zu stande, welche man mit dem Worte Lagerfeuergespräch zu bezeichnen pflegt. Der Häuptling der Osagen saß mit bei uns, zwischen Winnetou und mir, und zwar als einstweilen freier Mann, denn wir hatten ihm alle Fesseln abgenommen. Er nahm das mit stolzem Danke als einen Beweis unseres Vertrauens hin, und ich war überzeugt, daß er uns keine Veranlassung geben werde, diese Maßregel, mit welcher wenigstens Treskow nicht einverstanden war, zu bereuen.

Als es draußen dunkel zu werden begann, wurde eine große Lampe angezündet, welche den ganzen, großen Raum erleuchtete. Und wie überall der trauliche Lampenschein die Lippen öffnet und die Zungen löst, so wurde auch unser Gespräch von Viertelstunde zu Viertelstunde immer animierter und interessanter. Es wurden Erlebnisse und Episoden erzählt, welche der geistreichste Schriftsteller sich nicht ersinnen könnte, denn das Leben ist und bleibt der phantasiereichste Litterat. Besonders war es wieder Dick Hammerdull, welcher durch seine drastische Darstellungsweise uns alle zum Lachen zwang; das konnte aber die eine, große Lücke nicht schließen, auf deren Ausfüllung der Farmer und seine Angehörigen vergeblich hofften: Sie wünschten, daß auch Winnetou aus seinem reichbewegten Leben etwas erzählen möge, doch wäre es dem schweigsamen Apatschen, selbst wenn er sich in einem viel, viel engern Bekanntenkreise befunden hätte, nicht eingefallen, zur bloßen Unterhaltung anderer die Rolle des Erzählers zu übernehmen. Er war ein Mann der That. Zwar war ihm auch die Gabe der Rede im höchsten Grade verliehen, aber er schöpfte nur dann aus diesem reichen Quell, wenn es die Notwendigkeit erforderte und es sich um eine Wirkung handelte, die außer ihm kein anderer zu erreichen vermochte. Dann war seine bilderreiche, gewaltige Rede mit einem mächtig dahinbrausenden Strome zu vergleichen, welcher jede andere Logik mit sich fortriß und endlich stets in segensreicher Weise die auf ihn wartenden Kanäle füllte, um die Dürre in Wachstum und die Öde in Fruchtbarkeit zu verwandeln.

Auch Harbour erzählte sehr interessant. Er war in früherer Zeit weit in den Staaten herumgekommen, hatte viel Seltsames erlebt und endlich nach langem Hoffen sein Glück durch eine gelungene und, wie ich besonders hinzufüge, ehrliche Spekulation gemacht. Hierauf war er so klug gewesen, das abenteuerliche Leben aufzugeben und sich zunächst versuchsweise anderwärts und vor zwei Jahren endgültig hier am Salmon-River ein festes Heim zu gründen.

Was mir am meisten an ihm gefiel, das war sein heiteres, festes Gottvertrauen, welches ihn überallhin begleitet hatte und nie von ihm gewichen war. Ebenso freute es mich von ihm, daß er nicht die hier landläufige Ansicht über die indianische Rasse hatte. Er brachte zahlreiche Beispiele von roten Männern, deren Charakter und Lebensführung jedem Weißen hätte als Muster dienen können. Und als Treskow dennoch behauptete, daß die Indianer unfähig zur Civilisation und zum Christentume seien, wurde er zornig und richtete die allerdings schwerwiegende Frage an ihn:

»Was versteht Ihr denn eigentlich unter Civilisation und Christentum? Kennt Ihr beide so genau, wie es den Anschein hat, so sagt mir doch einmal, was sie dem roten Manne gebracht haben! ›An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen‹, steht in der heiligen Schrift. Nun zeigt mir gefälligst die Früchte, welche die Indsmen von den so sehr civilisierten und christlichen weißen Gebern geschenkt bekommen haben! Geht mir mit einer Civilisation, die sich nur von Länderraub ernährt und nur im Blute watet! Wir wollen da gar nicht etwa nur von der roten Rasse reden, o nein. Schaut in alle Erdteile, mögen sie heißen, wie sie wollen! Wird da nicht überall und allerwärts grad von den Civilisiertesten der Civilisierten ein fortgesetzter Raub, ein gewaltthätiger Länderdiebstahl ausgeführt, durch welchen Reiche gestürzt, Nationen vernichtet und Millionen und Abermillionen von Menschen um ihre angestammten Rechte betrogen werden? Wenn Ihr ein guter Mensch Seid, und der wollt Ihr doch gewiß wohl sein, so dürft Ihr Euer Urteil nicht nach der Ansicht der Eroberer richten, sondern nach den Meinungen und Gefühlen der Besiegten, der Unterdrückten, Unterjochten. Und wenn Ihr mir da entgegnet, daß es Eroberer und Gründer von neuen Reichen gegeben habe, so lange die Erde Menschen trägt, so antworte ich: Das waren Macedonier, Griechen, Römer, Perser, Mongolen, Hunnen, also Heiden, die keinen Christus kannten, welcher als zweites, höchstes Gebot von uns verlangt: ›Du sollst deinen Nebenmenschen lieben wie dich selbst!‹ Haben diese Heiden ihre blutigen Schwerter als mordgierige Menschenschnitter über den Erdkreis getragen, so giebt es für uns Christen eine ganz andere Art der Eroberung. ›Ich bringe Euch den Frieden; ich lasse Euch meinen Frieden!‹ hat der Weltheiland gesagt; nun tragt als Christen diesen Frieden hin in alle Lande und hin zu allen Völkern! Steckt, wie Petrus, Eure Schwerter in die Scheide; Eure einzige Waffe soll nur die Liebe sein, und auf Eurem Banner darf man nur das Wort Versöhnung lesen. Wie es einen Menschen gab, welcher die erste Mordwaffe erfand, so wird es dereinst, so wahr ein Himmel über uns ist, auch einen Menschen geben, der die letzte Waffe zwischen seinen Fäusten zerbricht. Wie lange aber soll es währen, bis dies geschieht? Den Befehl dazu hat Christus schon vor nun fast zweitausend Jahren gegeben; sollen noch Jahrtausende verstreichen, ehe er in Erfüllung geht? Ich wiederhole es noch einmal: Sprecht mir ja nicht von Eurer Civilisation und von Eurem Christentum, so lange noch ein Tropfen Menschenblut durch Stahl und Eisen, durch Pulver und Blei vergossen wird!«

Der wackere Farmer lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schwieg. Niemand wagte es, auch nur eine Silbe der Entgegnung vorzubringen. Der erste, welcher die eingetretene Stille unterbrach, war mein sonst so zurückhaltender Winnetou. Er griff nach der Hand Harbours, um sie herzlich zu drücken, und sagte:

»Mein weißer Bruder hat genau die Worte gesprochen, welche in meiner Seele zu lesen sind. Seine Rede war wie die Rede eines wahren Priesters der Christen. Aus welcher Quelle hat er die Gedanken geschöpft, welche leider die Gedanken nur weniger Bleichgesichter sind? Ich bitte ihn, mir dies zu sagen!«

»Dieser Quell entsprang dem Herzen nicht eines weißen sondern eines roten Mannes, welcher allerdings ein Priester und Verkündiger des wahren Christentums war. Von allen weißen Lehrern und Rednern, die ich hörte, kann sich kein einziger mit ihm vergleichen. Ich traf ihn zum erstenmale jenseits der Mogollon-Berge am Rio Puerco. Die Navajos hatten mich gefangen genommen und für den Marterpfahl bestimmt; da erschien er unter ihnen und ergoß eine so gewaltige Rede über sie, daß sie mich freigaben, als seine letzten Worte noch kaum verklungen waren. Er war ein großer Geist und auch am Körper ein wahrer Goliath, der sich selbst vor dem grauen Bär nicht fürchtete.«

»Uff! Das ist kein anderer Mann als Ikwehtsi'pa gewesen!«

»Nein. Der Häuptling der Apatschen wird sich irren. Er wurde von den Navajos Sikis-sas genannt.«

»Das ist ganz derselbe Name. Er war ein Moqui, und die zwei Namen bedeuten in beiden Sprachen ganz dasselbe, nämlich ›Großer Freund‹. Von den Weißen in Neu-Mexiko und andern spanisch sprechenden Leuten wurde er Padre Diterico genannt.«

»Das stimmt; das stimmt! Also Winnetou hat ihn auch gekannt?«

»Ich habe ihn gesehen und ihn sprechen hören, als ich noch ein kleiner Knabe war. Seine Seele gehörte dem großen, guten Manitou, sein Herz der unterdrückten Menschheit und sein Arm jedem weißen oder roten Manne, der sich in Gefahr befand oder sonst der Hilfe bedurfte. Seine Augen strahlten nur Liebe; seinem Worte konnte kein Mensch widerstehen, und alle seine Gedanken waren nur darauf gerichtet, Glück und Heil um sich her zu verbreiten. Er war Christ geworden und hatte zwei Schwestern, die er auch zu Christinnen machte. Der gütige Manitou hatte diesen Schwestern große Schönheit verliehen, und viele, viele Krieger setzten ihr Leben daran, sich ihre Liebe zu erringen, doch war das stets vergeblich. Die ältere wurde Tehua und die jüngere Tokbela genannt. Sie waren einst, ohne daß jemand wußte, wohin, mit ihrem Bruder verschwunden, und kein Mensch hat sie jemals wieder gesehen.«

»Kein Mensch, wirklich keiner?« fragte der Farmer.

»Keiner!« antwortete Winnetou. »Mit dem ›Himmel‹ und der ›Sonne‹ gingen die Hoffnungen der roten Krieger verloren, und in Ikwehtsi'pa ist dem Christentum ein Prediger verschwunden, wie es von einem Meere bis zum andern keinen je gegeben hat. Er war ein Freund und Bruder, ein treuer Berater von Intschu tschuna, meinem Vater. Dieser hatte ihn tief in sein Herz geschlossen und hätte viel, sehr viel darum gegeben und gewiß gern sein Leben dafür gewagt, zu erfahren, was für ein Unfall die drei Geschwister hinweggerafft hat, denn nichts anderes als ein Unglück kann schuld daran sein, daß sie verschwunden und nicht wiedergekehrt sind.«

Der Farmer war den Worten Winnetous mit großer, ja mit auffälliger Aufmerksamkeit gefolgt; jetzt fragte er:

»Wenn der frühere Häuptling der Apatschen so große Opfer dafür gebracht hätte, würde auch der jetzige dazu bereit sein?«

»Ja, ich bin bereit im Namen und im Geiste meines Vaters zu handeln, dessen Seele den ›Großen Freund‹ liebte.«

»So ist es ein wunderbarer, glücklicher Zufall, welcher Euch heut zu mir führte. Ich bin nämlich im stande, Euch Auskunft zu erteilen.«

Um die große Wirkung dieser Worte zu bezeichnen, brauche ich nur zu sagen, daß Winnetou, dieses Muster von Ruhe und Beherrschung aller seiner Regungen, von seinem Stuhle nicht etwa aufstand, sondern gradezu aufschnellte, wie von einer Spannfeder emporgetrieben, und wie atemlos ausrief:

»Auskunft geben? Über Ikwehtsi'pa, über Padre Diterico, den wir alle verloren glaubten? Ist das wahr? Ist das möglich? Das kann nur auf einem Irrtum, einer Täuschung beruhen!«

»Es ist keine Täuschung, sondern Wirklichkeit. Ich kann sichere Auskunft erteilen; aber leider ist es keine so erfreuliche, wie ich wohl wünschte. Er lebt nicht mehr.«

»Uff! Er ist tot?«

»Ja.«

»Und seine Schwestern?«

»Von denen weiß ich nichts.«

»Wirklich nichts?«

»Nein, gar nichts. Auch von ihm weiß ich nichts von allem, was zwischen seinem Verschwinden und seinem Tode geschehen ist; ich kann nicht einmal sagen, wie er ermordet wurde und wer sein Mörder ist.«

Da gab sich Winnetou einen Ruck, daß sein hinten lang herabfallendes, prächtiges Haar nach vorn über seine Achseln flog und ihm wie ein Schleier das Gesicht bedeckte.

»Uff, uff!« ertönte es aus diesem Schleier heraus. »Ermordet ist er worden, ermordet! Ein Mörder hat uns um das kostbare Leben Ikwehtsi'pas gebracht! Ist das wahr? Sag es schnell, sehr schnell!«

»Es ist wahr!«

»Beweise es!«

Der Apatsche warf sein Haar jetzt mit beiden Händen nach hinten zurück. Seine Augen sprühten Blitze, und sein Mund War geöffnet, als ob er die Antwort des Farmers förmlich trinken wolle.

»Ich habe sein Grab gesehen,« sagte dieser.

»Wo? Wann?«

»Ich werde es erzählen, und bitte den Häuptling der Apatschen, sich wieder niederzusetzen und mir ruhig zuzuhören.«

Winnetou sank langsam in den Sessel zurück, holte laut und tief Atem und sprach, indem er sich mit der Hand über die Stirne strich:

»Mein weißer Bruder hat recht. Es ziemt sich keines Kriegers, zumal wenn er ein Häuptling ist, sich von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Ich bleibe ruhig, was ich auch hören werde.«

Harbour nahm einen Schluck aus der Theetasse, welche er vor sich stehen hatte, und erkundigte sich:

»Ist der Häuptling der Apatschen schon einmal oben in dem Park von San Louis gewesen?«

»Schon mehrere Male,« antwortete der Gefragte.

»Ist ihm die Gegend der Foam-Cascade bekannt?«

»Ja.«

»Kennt er den lebensgefährlichen Bergpfad, welcher von da aus nach dem Devils-Head führt?«

»Ich kenne weder den Weg noch den Devils-Head, werde aber beides gewiß finden. Howgh!«

»Dort oben war es, wo ich den Entschluß faßte, dem wilden Westen und dem wilden Leben zu entsagen. Ich war verheiratet und hatte schon meine beiden ältesten Boys hier, die damals freilich noch sehr unwichtig kleine Kerle waren. Auch hatten wir unser gutes Auskommen; aber wen das Leben des Westens einmal gepackt hat, den giebt es nicht leicht wieder her, und so kam es, daß ich Frau und Kinder verließ, Gott sei Dank, zum letztenmale! und mich einigen Männern anschloß, welche hinauf ins Colorado wollten, um dort nach Gold zu Prospekten. Wir kamen auch glücklich hinauf, aber je weiter, desto mehr sehnte ich mich nach Weib und Kindern zurück. Ich sah jetzt ein, daß es nicht dasselbe ist, ob man als lediger oder als verheirateter Mann dort im Gebirge herumklettert und sich auf hundert Gefahren gefaßt machen muß. Wir waren ursprünglich vier Mann gewesen, aber nur zu dritt hinaufgekommen, weil uns einer schon am Fuße der Mountains aus Kleinmut verlassen hatte. Ich will keine lange Geschichte erzählen, sondern mich ganz kurz fassen. Wir suchten unter unbeschreiblichen Anstrengungen und Entbehrungen über zwei Monate lang, ohne eine Spur von Gold zu finden; da stürzte derjenige von uns, welcher sich am besten aufs Prospekten verstand, von einem Felsen und brach den Hals. Nun waren wir nur noch zwei und dazu überzeugt, daß wir nun noch weniger finden würden als vorher, das heißt: früher nichts und jetzt wahrscheinlich gar nichts. Das traf auch richtig ein. Wir hatten kein Glück in der Jagd und hungerten darum viel. Unsere Anzüge zerrissen, und die Stiefel fielen von den Füßen. Es war ein Elend, wie es gar nicht schöner im Buche stehen kann. Ich wurde schwach, mein Kamerad noch viel schwächer und schließlich gar krank. Das war sehr schlimm für ihn, denn es kostete ihn das Leben. Es hatte mehrere Tage lang geregnet, und wir mußten über ein Wildwasser, welches bedenklich angeschwollen war. Ich wollte warten, bis es sich verlaufen hatte; er aber glaubte, glücklich hinüberzukommen, und so mußte ich ihm den Willen thun. Er wurde mit fortgerissen. Nach langem Suchen fand ich ihn ertrunken und zerschmettert in tiefem Grunde unten. Ich begrub ihn, wie wir den andern auch begraben hatten: drei Fuß tief, mit kalter Erde und einem warmen, gut gemeinten Gebete bedeckt. Dann war ich ganz allein und hatte natürlich keine andere Wahl, als die halb nackten, wund gelaufenen und aufgerissenen Füße heimwärts zu lenken. Aber das ging nicht so schnell, wie ich gedacht hatte. Ich kam mit meinen geschwächten Kräften nur sehr langsam vorwärts und war zum Sterben matt, als ich nach einigen Tagen den Devils-Head erreichte. Ich war zwar noch nie dagewesen, wußte aber, daß er es war. Der Felsen ist nämlich in seiner Form einem Teufelskopf so ähnlich, als ob an dieser Stelle der Satan einem Bildhauer als Modell gesessen hätte. Ich warf mich in das feuchte Moos nieder und hätte am liebsten weinen mögen. Wasser gab es ja, aber zu essen hatte ich nichts, denn mein Gewehrschloß war kaput; es war mir unmöglich, ein Wild zu erlegen, und so hatte ich schon seit zwei Tagen keinen Bissen über die Lippen gebracht. Die Mattigkeit überwältigte mich, und ich schloß die Augen, um zu schlafen und vielleicht nicht wieder aufzuwachen. Aber ich öffnete sie noch einmal, ganz ohne daß ich es eigentlich wollte. Ich hatte mich inzwischen auf die Seite gedreht, und so fiel mein müder Blick auf eine andere Stelle des Felsens. Es gab da Buchstaben, welche mit dem Messer oder einem ähnlichen Instrumente eingegraben worden waren. Das regte mich an. Es war mir, als ob ich plötzlich wieder Kräfte bekommen hätte; ich stand auf und ging hin, die Schrift zu lesen. Nun sah ich, daß es nicht nur Buchstaben, sondern auch Figuren gab. Von einigen wußte ich nicht, was sie zu bedeuten hatten, doch waren es menschliche Figuren, die über und rechts und links von einem in den Fels gemeißelten Kreuze standen. Unter diesem Kreuze war deutlich zu lesen: »An dieser Stelle wurde der Padre Diterico von J B. aus Rache an seinem Bruder E R ermordet.‹& Unter diesen Worten war eine Sonne zu sehen, von welcher links ein E und rechts ein B stand.«

Als der Erzähler bis hierher gekommen war, wurde er von Winnetou unterbrochen:

»Stand dieser Name wirklich am Fels zu lesen? Padre Diterico?«

»Ja.«

»Und der Mörder war mit J B. bezeichnet?«

»Ja.«

»Kennt mein Bruder Harbour vielleicht einen Menschen, dessen Namen mit dem Buchstaben J B. beginnt?«

»Solcher Leute wird es wahrscheinlich tausende geben; ich kenne keinen.«

»Und glaubt mein Bruder, daß dieses Grabmal keine Lüge sagt?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Es kann dennoch eine Lüge sein!«

»Wem sollte das einfallen, und welcher Grund könnte vorhanden sein, eine solche Unwahrheit in den Fels zu graben?«

»Wo war das Grab? Im harten Fels doch nicht?«

»Nein, sondern eng an demselben. Der Hügel war mit Moos bewachsen und schien gepflegt zu sein.«

»In der Einöde da oben? Uff!«

»Das ist noch gar nicht verwunderlich. Unbegreiflich aber ist, was mir dann passierte. Ihr könnt euch denken, Mesch'schurs, wie mir zu Mute wurde, als ich hier so unerwartet das Grab des Paters fand. Meine Schwäche kehrte verdoppelt zurück; ich stieß einen Schrei aus und fiel um. Als ich wieder erwachte, war fast ein ganzer Tag vergangen, denn es war der Vormittag des nächsten Tages. Ich konnte vor Mattigkeit und Hunger kaum aufstehen. Ich schleppte mich zur nahen Quelle und trank; dann kroch ich in das Gebüsch, wo ich zum Glück ein paar eßbare Mushrooms fand, die ich so verzehrte, wie sie waren; dann schlief ich wieder ein. Als ich abermals erwachte, war der Abend nahe; neben mir lag ein halbes, gebratenes Bighorn. Wer hatte es hingelegt? Das war gewiß eine nicht unwichtige Frage; aber ich legte sie mir nicht mehr als einmal vor, sondern griff zu und aß, aß, aß und aß, bis ich satt war und wieder ein- und bis zum nächsten Morgen schlief, wo ich gestärkt erwachte. Der Rest des Fleisches lag noch da. Ich versteckte es und machte mich auf, nach dem Geber zu suchen; aber ich fand keine Spur, und auch all mein Rufen war umsonst. Da kehrte ich zum Grab zurück, nahm das Fleisch aus dem Verstecke und machte mich auf den Weg, der hinunter nach der Foam-Cascade führt. Er ist sehr gefährlich; ich legte ihn aber glücklich zurück und fand am folgenden Tage, eben als mein Fleisch auf die Neige gegangen war, einen Jäger, der sich meiner annahm. Wie ich dann vom Park herunter und heim gekommen bin, das ist hier Nebensache. Die Hauptsache habe ich erzählt, und der Häuptling der Apatschen wird meiner Behauptung, daß der Padre Diterico ermordet worden ist und also nicht mehr lebt, Glauben schenken.«

Winnetou hielt den in die Hand gestützten Kopf tief gesenkt, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte; als er ihn dann hob, sah ich noch immer den Ausdruck des Zweifels in seinen Zügen liegen. Er richtete einen fragenden Blick auf mich, und ich antwortete auf diese stille Aufforderung:

»Meines Dafürhaltens unterliegt es keinem Zweifel, daß der Mord wirklich geschehen ist.«

»So glaubt mein Bruder Shatterhand an das Grab und an die Schrift?« fragte der Apatsche.

»Ja.«

»Ist es nicht möglich, daß es noch einen andern Padre Diterico gegeben hat?«

»Ja, das ist möglich.«

»So ist die Schrift kein Beweiß, das Ikwehtsi'pa in diesem Grabe liegt; es kann ein Padre gleichen Namens sein.«

»Es ist der, den du meinst!«

»So hat mein Bruder Shatterhand wohl noch andere Beweise?«

»Ja.«

»Winnetou sieht dir an, daß du wieder einmal nachdenkst und Berechnungen machst. Beziehen sie sich auf das Grab im Gebirge?«

»Ja. Unser gastfreundlicher Mr. Harbour hat mir mehr, weit mehr erzählt, als er ahnt. Ich habe endlich, endlich den so lange vergeblich gesuchten Wawa Derrick gefunden.«

»Uff, uff! Wer ist's?«

»Ikwehtsi'pa.«

»Uff!«

»Du wirst dich noch mehr wundern über das, was ich dir weiter sage. Tokbela, die jüngere Schwester des Padre, ist Tibo wete, die Squaw des Medizinmannes der Naiini-Komantschen.«

»Uff! Bist du allwissend?«

»Nein; ich denke nur nach. Infolge dieses Nachdenkens kann ich dir auch sagen, daß Tehua, die ältere Schwester des Padre, vielleicht auch noch lebt.«

»Deine Gedanken können Wunder thun; sie wecken Tote auf!«

»Du hast gehört, daß unter der Grabinschrift eine Sonne eingemeißelt war. Die ältere Schwester hieß Tehua, die Sonne; sie hat das Grab errichtet und das Mal hergestellt, also noch gelebt, als er ermordet worden war.«

»Uff! Dieser Gedanke ist so einfach und richtig, daß ich mich wundere, nicht selbst daraufgekommen zu sein! Aber wenn Tehua wirklich noch leben sollte, wo werden wir sie zu suchen haben?«

»Das weiß nur sie allein. Sie hält sich im Verborgenen; sie läßt es niemanden wissen oder darf es niemanden wissen lassen.«

»Woraus schließest du das?«

»Das halb gebratene Bighorn war von ihr.«

»Uff!«

Der sonst so scharfsinnige Winnetou kam heut gar nicht aus seinen Uffs der Verwunderung heraus; das war aber gar nicht etwa ein Beweis, daß ich ihm im folgerichtigen Denken und Schließen überlegen war, o nein! Ich hatte eben mehr Stoff zum Nachdenken über den vorliegenden Fall sammeln können als er. Hätte er an meiner Stelle diesen Stoff gehabt, so wäre er wahrscheinlich viel eher als ich zu meinem Resultate gekommen. Ich fuhr fort:

»Ich behaupte, daß das Fleisch von ihr war, und habe meine Gründe dazu, von denen ich heut und hier an dieser Stelle nur den einen sagen kann: jeder Geber des Fleisches, welcher nicht zu dem Grabe, also zu dem Morde, in Beziehung steht, hätte sich unbedenklich zeigen dürfen; dieser aber hat sich nicht sehen lassen, folglich steht er in irgend einem Verhältnisse zu der verbrecherischen That.«

»Man könnte doch auch annehmen, daß der Mörder es gewesen sei, denn dieser ist es, der sich am allerwenigsten am Schauplatze des Verbrechens zeigen darf,« warf der Apatsche ein. »Man weiß, daß ein Mörder immer wieder nach dem Orte seiner That gezogen wird.«

»Das gebe ich zu; aber der Spender oder die Spenderin des Fleisches verrät ein barmherziges Gemüt, ein mildthätiges Herz. Wie stimmt das mit den Eigenschaften überein, die man einem Mörder zuschreiben muß und die ganz entgegengesetzter Art sind?«

»So meint Old Shatterhand wirklich, daß es Tehua gewesen ist?«

»Ja«

»Welchen Grund hätte sie, so im Verborgenen zu leben, da sie doch weiß, wie viele Freunde sich in der fernen Heimat um sie grämen?«

»Das ist vielleicht ein Geheimnis, welches ich jetzt noch nicht ergründen kann. Es braucht aber nicht notwendig eins zu sein. Grad weil ein Mörder gewöhnlich zum Schauplatze seiner That zurückgezogen wird, bleibt sie an Ort und Stelle, um ihn da zu erwarten! Vielleicht auch ist sie nicht in die Heimat zurückgekehrt, weil sie von ihrer Familie zurückgehalten wird.«

»Familie? Meint mein Bruder, daß sie verheiratet sein könnte?«

»Warum nicht? Wenn die jüngere Schwester die Squaw eines Mannes ist, kann die ältere doch noch viel eher geheiratet haben! Nicht?«

»Ja; aber es giebt einen Umstand, welcher die Berechnungen meines Bruders Shatterhand zu schanden macht, so scharfsinnig sie auch sind.«

»Welcher ist das?«

»Unser weißer Bruder Harbour ist ein Freund des Padre gewesen; er hat auch seine Schwestern gekannt und sie ihn ebenso. Nicht?«

»Ja.«

»Er ist am Grabe vor Hunger umgesunken und hat aus einer unbekannten Hand Fleisch bekommen. Wenn Tehua, die Schwester des Padre, es gewesen wäre, die es ihm gegeben hat, so hätte sie sich vor ihm, ihrem Freunde, ganz gewiß nicht versteckt, sondern ihn im Gegenteil ganz gewiß persönlich in Schutz genommen und verpflegt.«

»Wenn sie ihn erkannt hätte, ja; aber hat sie ihn erkannt? Es sind, seit sie verschwunden ist, weit über zwanzig Jahre vergangen; sein Aussehen hat sich überhaupt verändert, und die Anstrengungen und Entbehrungen hatten ihn dann vollends unkenntlich gemacht.«

»Aber eine schwache Squaw wird doch nicht ein so einsames, beschwerliches und verlassenes Leben da oben in den Rocky Mountains führen!«

»Ist sie allein oben? Ist nicht grad in dieser Beziehung ein großer Unterschied zwischen einer abgehärteten Indianerin und einer weißen Frau?«

»Uff! Es gelingt meinem Bruder Shatterhand, heut alle meine Einwürfe zu widerlegen. Er hat für alle meine Entgegnungen eine Antwort, die ich gelten lassen muß. Mein Auge scheint heut mit Blindheit geschlagen zu sein!«

»O nein! Ich spreche weniger Behauptungen als vielmehr Vermutungen aus. Unser Ziel ist ja bis heut die Foam-Cascade gewesen. Kommen wir hinauf, so besuchen wir das Grab, und dann wird es sich höchst wahrscheinlich finden, welche meiner Gedanken richtig und welche falsch gewesen sind.«

»Ja, wir suchen das Grab auf. Wir müssen und werden Spuren des Mordes und des Mörders finden, selbst nach so langer Zeit. Wehe ihm, wenn wir ihn dann fassen! Ich habe meinem Bruder Shatterhand nie widersprochen, wenn er seinen milden Sinn walten ließ; hier aber kenne ich keine Gnade!«

Diese Worte zeigten wieder einmal, was für ein wunderbarer, unvergleichlicher Mensch Winnetou war. Er war überzeugt, noch nach mehr als zwanzig Jahren eine Spur des Mörders zu entdecken. Ich traute ihm das zu, obwohl tausend andere darüber lächeln mögen. Selbst wenn sich alle anderen Nachforschungen als vergeblich erwiesen, hätte man sich durch das Öffnen des Grabes einen Fingerzeig verschaffen können. Glücklicherweise war es mir möglich, seine Absichten schon jetzt durch einige weitere Bemerkungen zu unterstützen, indem ich, ihm beistimmend, erklärte:

»Auch ich bin in diesem Falle bereit, die größte Strenge walten zu lassen, und hege übrigens die feste Überzeugung, daß wir das Grab nicht vergeblich besuchen werden.«

»Hat mein Bruder einen Grund zu dieser Überzeugung?«

»Ja.«

»Welchen?«

»Glaubt Winnetou, daß es einen oder mehrere Mörder gegeben hat?«

»Nicht bloß einen.«

»Nun gut! Einer von ihnen ist schon auf dem Wege hinauf.«

»Uff! Wer ist das?«

»Douglas, der sogenannte General.«

»Uff, uff! Dieser Mann, dieser Mensch soll auch am Morde da oben beteiligt gewesen sein? Wie kommt Old Shatterhand auf diese Idee?«

Es wird noch in Erinnerung sein, daß der ›General‹ damals auf Helmers Farm einen Ring verloren hatte, der mir übergeben worden warSiehe »Old Surehand« Bd. I pag. 555. Ich hatte ihn an meinen Finger gesteckt und trug ihn noch heut daran. Jetzt zog ich ihn herunter und reichte ihn dem Apatschen mit den Worten hin:

»Mein Bruder wird diesen Ring noch von Helmers Home her kennen. Er mag die Buchstaben betrachten, welche auf der Innenseite desselben zu lesen sind.«

Er nahm den Ring in Augenschein und sah E. B. 5. VIII 1842. Dann gab er ihn dem Farmer und sagte:

»Damit unser Bruder Harbour erfahre, daß wir schon jetzt auf der Fährte der Mörder sind, mag er einmal diese Schrift mit derjenigen am Felsen des Grabes vergleichen!«

Der Angeredete folgte dieser Aufforderung und rief aus:

»All devils! Das ist ja ganz dasselbe E. B., welches ich dort an jenem Felsen sogar zweimal gefunden habe! Und der Name des Mörders hatte auch ein B., welches zwar noch einen – –«

Was er weiter sagte, hörte ich nicht; ich gab keine Achtung darauf, weil meine Aufmerksamkeit von etwas anderem in Anspruch genommen wurde. Der Farmer saß nämlich von mir aus grad gegen das eine Fenster; da meine Augen auf ihn gerichtet waren, kam auch dieses Fenster mit in meinen Gesichtskreis, und da erblickte ich das Gesicht eines Mannes, welcher draußen stand und hereinsah. Es war hell, wie das eines Weißen und wollte mir bekannt vorkommen. Diesen Mann hatte ich gewiß schon einmal gesehen, nur fiel mir nicht gleich ein, wo dies gewesen war. Eben wollte ich die Anwesenden auf den unberufenen Lauscher aufmerksam machen, als der neben mir sitzende Schahko Matto, der ihn in diesem Momente auch erblickte, in hastiger Eile den Arm ausstreckte und mit schallender Stimme schrie:

»Tibo taka! Da draußen am Fenster steht Tibo taka!«

Alle, welche diesen Namen kannten, sprangen auf. Ja, es war der Medizinmann der Naiini-Komantschen! Sein Gesicht sah heut nicht rotbraun sondern hell, wie das eines Weißen. Das war der Grund, daß ich ihn nicht sofort erkannt hatte. Ein solcher Feind am Fenster und wir hier in der Stube, alle hell beleuchtet! Der Schuß des alten Wabble auf Fenners Farm fiel mir ein, und ich rief:

»Das Licht schnell aus! Er könnte schießen!«

Noch hatte ich diese Warnung nicht ganz ausgesprochen, so klirrte die zerbrechende Fensterscheibe, und die Mündung eines Gewehres erschien. Mit einem Satze sprang ich nach der nächsten, mich schützenden Ecke an der Außenwand; da krachte aber auch schon der Schuß, der, wie alle Anwesenden später sagten und auch ich überzeugt war, mir gegolten hatte. Die Kugel schlug über meinen Stuhl hinweg in die Küchenwand. Das Gewehr war schnell wieder zurückgezogen worden; ich eilte zur Lampe und löschte sie aus, so daß die Thür ins Finstere zu liegen kam, schnellte mich zu ihr hin, öffnete sie, zog einen Revolver aus dem Gürtel und blickte hinaus. Es war zur Zeit noch kein Stern aufgegangen, draußen alles stockfinster und also niemand zu sehen. Hören konnte ich auch nichts, weil die Anwesenden einen unbeschreiblichen Lärm machten, den Winnetou vergeblich zum Schweigen bringen wollte. Er kam zu mir, warf einen einzigen, schnellen Blick in die dunkle Nacht hinaus und forderte mich dann auf:

»Nicht hier bleiben, sondern weiter, viel weiter hinaus!«

Wenn der Medizinmann ein gescheiter Kerl gewesen wäre, hätte er seinen Platz nicht verlassen sondern ruhig gewartet, bis ich an der Thür erschien, und dann den zweiten Schuß auf mich abgegeben. So aber war er gleich nach dem ersten vergeblichen Schusse ausgerissen. Als ich mit Winnetou mich in schnellstem Laufe so weit vom Hause entfernt hatte, daß uns der Lärm in demselben nicht mehr stören konnte, legten wir uns nieder, die Ohren auf die Erde, und horchten. Wir vernahmen ganz deutlich den schnellen Hufschlag dreier Pferde, welche sich von der Farm westwärts entfernten.

Drei Pferde? Der Medizinmann war also nicht allein hier auf der Farm gewesen? Wie hatte er es überhaupt ermöglichen können, von so weit südlich her durch das Gebiet feindlicher Indianerstämme hier herauf nach Kansas zu kommen? Welchen Grund, welchen Zweck hatte dieser ebenso weite wie beschwerliche Ritt?

Gewohnt, jedes Vorkommnis mit einem schnellen aber trotzdem gründlichen und keine Kleinigkeit übersehenden Blicke in seinem ganzen Umfange zu umfassen, um danach ohne das geringste Zaudern meine Bestimmungen treffen und etwaigen Gefahren im voraus erfolgreich begegnen zu können, ließ ich diese und noch andere Fragen rasch prüfend an mir vorübergehen, und Winnetou schien dasselbe zu thun. Er war ebenso schnell fertig wie ich, denn die Hufschläge waren noch nicht verklungen, zwischen Beginn und Ende unseres Nachdenkens also nur wenige Augenblicke vergangen, so sagte er:

»Tibo taka ist ein Bleichgesicht geworden, ein weißer Arzt, der ein krankes Krebsgesicht hinauf nach Fort Wallace bringen will. Was sagt mein Bruder Shatterhand dazu?«

»Daß du richtig geraten hast. Die kranke Lady ist Tibo wete, seine wenigstens körperlich gesunde Frau, die er für krank ausgibt, um ihr Gesicht mit einem Schleier verhüllen zu können, damit man nicht sehe, daß ein Weißer mit einer Roten reitet. Sie wollen natürlich nicht nach Fort Wallace, sondern mit dem ›General‹ hinauf nach Colorado. Wir werden die Mörder am Grabe des Ermordeten treffen. Komm herein, den Farmer zu fragen!«

Wir gingen nach dem Hause zurück; da kamen nun endlich erst alle, die in der Stube gewesen waren, mit ihren Waffen in den Händen heraus. Dick Hammerdull, der zwar unsere Gespräche, soweit sie sich auf den Namen Tibo bezogen, gehört aber nicht alles begriffen und verdaut hatte, rief mit lauter Stimme:

»Wenn es wirklich Tibo taka gewesen ist, so sind die Komantschen da, um die Farm zu überfallen. Wir befinden uns also in größter Gefahr. Mr. Harbour, ruft alle Eure Leute zusammen, damit wir uns verteidigen können!«

Ich war, während der Dicke diesen berühmten und hochwichtigen Armee- oder Tagesbefehl ausgab, nach dem Hause zur Seite abgewichen, um nach unseren Pferden zu sehen. Sie waren alle da, und das beruhigte mich. Dann hörte ich die kommandierende Stimme des Farmers, und als ich um die vordere Ecke des Gebäudes bog, war die ganze Heeresmacht, Honved und Landsturm und sogar das ewig Weibliche mit inbegriffen, vollständig versammelt. Nur Winnetou war nicht da, sondern in die Stube gegangen, um in aller Gemächlichkeit die Lampe wieder anzubrennen und sich dann auf seinen Stuhl zu setzen. Es ließen sich alle Stimmen vernehmen; jeder wollte einen Vorschlag machen, einen Rat erteilen; ich machte diesem Wirrwarr ein Ende, indem ich ihn überschrie:

»Still doch, ihr Leute! Warum regt ihr euch so auf?«

»Warum wir uns aufregen? Welche Frage!« antwortete Hammerdull. »Die Komantschen sind ja da!«

»Wo denn?«

»Wo anders als hier? Ihr Medizinmann hat doch schon geschossen!«

»Euch wahrscheinlich in den Kopf, lieber Dick, denn es scheint mit Euerm Verstande keine rechte Ordnung zu haben. Wie sollen denn die Komantschen hierher an den Salmon kommen?«

»Auf ihren Pferden natürlich!«

»Wahrscheinlich auch auf Affen und Kamelen! Denkt doch nur, durch welche Völkerschaften sie sich winden müßten! Die Kiowas, Cherokees, Choctaws, Creeks, Seminolen, Chickesaws, Quapaws, Senekas, Wyandottes, Peorias, Ottawas, Modocs, Miamis, Shawnees, Kuchaties, Pawnees, Arrapahoes, Cheyennes, Osagen und noch mehr andere Stämme! Nur ganz verrückte Menschen könnten einen solchen Kriegszug wagen! Wie kann ein sonst so kluger Kerl das doch nur für möglich halten!«

»Ob es möglich oder unmöglich ist, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz und gar egal, wenn es nur nicht geschehen kann. Habe ich da nicht recht, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Schafskopf!«

Der lange Pitt antwortete diesmal nur mit diesem einen, inhaltsschweren Worte; es genügte aber vollständig, seine Meinung in zarter Weise anzudeuten. Alles lachte; aber der Dicke fühlte sich durch diese zarte Anspielung an seiner Ehre benachteiligt und erwiderte zornig:

»Wirf nicht so mit Tierköpfen um dich, sonst mußt du deinen eigenen auch verschleudern! Ich habe euch vor den Komantschen warnen wollen und bin doch nicht schuld daran, daß sie nicht kommen können! Ist das nicht besser, als wenn ich nicht gewarnt hätte und sie kämen doch?«

Die beiden Toasts hatten sich also wieder einmal entzweit; wir wußten aber, daß sie bald wieder zusammenkommen würden.

Es erregte meine Befriedigung, daß Schahko Matto mit bei unserer Gruppe stand. Er hätte die Gelegenheit benutzen und entfliehen können; es hätte ihm sogar nicht schwer fallen können, sich von unseren Waffen die besten auszusuchen. Daß er das nicht gethan hatte, war ein sicherer Beweis, daß er es ernst mit seinem Vorhaben meine, mit uns freiwillig reiten zu wollen. Ich trat zu ihm und sagte:

»Von diesem Augenblicke an ist der Häuptling der Osagen frei; unsere Riemen werden seine Glieder nicht wieder berühren, und er kann nun gehen, wohin er will.«

»Ich bleibe bei euch!« antwortete er. »Apanatschka sollte mich zu Tibo taka führen; nun dieser selbst gekommen ist, kann er mir auf keinen Fall entgehen. Werdet Ihr ihm folgen?«

»Unbedingt! Du hast ihn sofort erkannt?«

»Ja. Ich würde ihn nach tausend Sonnen wieder erkennen. Was will er hier in Kansas? Warum kommt er des Nachts an diese Farm geschlichen?«

»Er ist nicht herangeschlichen, sondern er hat sich fortgeschlichen, allerdings mit einem lauten, glücklicherweise erfolglosen Knall. Ich werde dir das sofort beweisen.«

Um dies zu thun, wendete ich mich an den Farmer, welcher in meiner Nähe stand:

»Ist der Arzt mit dem kranken Weibe noch hier?«

»Nein,« antwortete er. »Bell, der Cow-boy, sagte, daß er fort sei.«

»Dieser Mann war kein Arzt, sondern ein Medizinmann der Naiini-Komantschen, und die Frau war seine Squaw. Hat jemand von euch mit diesem Weibe gesprochen?«

»Nein; aber ich habe sie sprechen hören.«

»Was?«

»Sie verlangte von dem angeblichen Arzte einen Myrtlewreath; da führte er sie schnell aus der Stube nach dem Hinterhaus.«

»Er hat doch erst morgen fortgewollt. Wie ist er auf den Gedanken gekommen, diesen Entschluß zu ändern?«

Da schob sich der Cow-boy herbei und sagte:

»Darüber kann ich Euch die beste Auskunft erteilen, Mr. Shatterhand. Der Fremde kam in den Hof, um nach seinen Pferden zu sehen. Er hörte das laute Lachen in der Stube, wo Mr. Hammerdull eben eine seiner lustigen Geschichten erzählte, und fragte mich, was für Leute sich drin befänden. Ich sagte es ihm natürlich und merkte trotz der Dunkelheit, daß er erschrak. Wir gingen miteinander nach der Vorderseite des Hauses, wo er von weitem durch das Fenster in die Stube sah. Dann teilte er mir, indem er mir einige Dollars schenkte, im Vertrauen mit, daß er hier nun sehr überflüssig sei, denn er habe Euch vor kurzem in Kansas-City einen schweren Geldprozeß abgewonnen, wegen dem von Euch ihm blutige Rache geschworen worden sei. Darum fühle er sich hier seines Lebens nicht sicher und wolle lieber heimlich fort. Ich solle Euch aber auch nach seiner Entfernung nicht sagen, daß er hier gewesen sei, weil Ihr Euch sonst auf seine Fährte setzen und ihn sicher einholen und erschießen würdet. Der arme Teufel hatte so große Angst; er that mir leid, und so half ich ihm dazu, heimlich aus dem Haus und Hof zu kommen. Ich öffnete ihm die hintere Fenz und ließ ihn und die Frau mit dem Packpferde hinaus. Er muß die drei Pferde dann in passender Entfernung angepflockt und sich zurückgeschlichen haben.«

»Anders nicht. Mr. Bell, Ihr habt einen großen Fehler begangen, könnt aber nichts dafür, denn Ihr wußtet nicht, daß er ein Schurke, ein großer Verbrecher ist. Hat er nur von mir gesprochen?«

»Ja.«

»Nicht auch von dem jungen, roten Krieger hier, den wir Apanatschka nennen?«

»Kein Wort!«

»Well! Ich möchte jetzt gern den Raum sehen, in welchem er sich mit der Frau aufgehalten hat.«

Der Cow-boy zündete eine Laterne an und führte mich durch den Hof in das betreffende, sehr niedrige Gebäude, welches nur aus den vier Mauern und dem platten Dache bestand, also ein einziges Gelaß enthielt. Ich glaubte nicht etwa, daß er in einer solchen Gefahr, wie ihm doch gedroht hatte, so unvorsichtig gewesen sei, etwas für uns Wichtiges liegen zu lassen oder zu verlieren; ich wollte nur in gewohnter Weise nichts von alledem unterlassen, was in solchen Fällen von der Vor- und Umsicht vorgeschrieben wird. Ein Schriftsteller, welcher nicht Erlebtes, sondern nur Romane schreibt, würde nun Old Shatterhand eine Tasche, einen Beutel, einen Brief oder sonst einen Gegenstand finden lassen, durch dessen Erlangung alles, was uns noch Geheimnis war, aufgeklärt wurde; ich kann aber leider meiner Feder nicht gestatten, mir eine solche Schicksalsgunst zu erweisen, und muß eingestehen, daß ich nichts, aber auch ganz und gar nichts fand. Doch hatte ich meine Schuldigkeit gethan und begab mich also befriedigt nach der Stube, in welcher die andern alle jetzt wieder, sich über das Intermezzo unterhaltend, beisammen saßen.

Wenn ich sage »befriedigt«, so hat das seinen guten Grund. Ich war, grad wie auf Fenners Farm, auch heut dem Tode wie durch ein Wunder entgangen. Die innere Stimme, welche mich bei unserer Ankunft hier gewarnt hatte, war ganz gewiß die Stimme meines Schutzengels gewesen. Ich hatte ihr nicht gefolgt und war dennoch von ihm gerettet worden, indem er im Augenblicke der Gefahr meinen Blick nach dem betreffenden Fenster lenkte. Die Ähnlichkeit des heutigen Ereignisses mit dem auf Fenners Farm war sonderbar. Nun fehlte nur noch ein Überfall auf unsere Pferde oder gar auf uns selbst; dann würden die beiden Abende einander ganz leidlich kongruent!

Schüttelt vielleicht jemand lächelnd den Kopf darüber, daß ich von meinem Schutzengel rede? Lieber Zweifler, ich schmeichle mir ganz und gar nicht, dich zu meiner Ansicht, zu meinem Glauben zu bekehren, aber du magst sagen, was du willst, den Schutzengel disputierst du mir doch nicht hinweg. Ich bin sogar felsenfest überzeugt, daß ich nicht nur einen, sondern mehrere habe, ja daß es Menschen giebt, welche sich im Schutze sehr vieler solcher himmlischer Hüter befinden. Der Zar von Rußland, dessen Thron auf Dynamitsäulen steht, die Beherrscher von Reichen und Völkern, von deren Entschließungen das Wohl von Millionen Menschen abhängt, der Seekapitän, bei dem die kleinste Nachlässigkeit, die geringste falsche Berechnung den Untergang des Schiffes und aller seiner Bewohner herbeiführen kann, der Diplomat, welcher mit Nationen spielt, der Feldherr, welcher Armeen bewegt, der Arzt, dem das Leben oder der Tod seiner Patienten aus der Feder fließt, sie alle bedürfen zu ihrem Schutze, ihrer Beratung, ihrer Warnung viel, viel mehr der Engel, als zum Beispiel ein fetter Rentner, welcher keine andere Arbeit kennt und keinen andern Beruf zu haben scheint, als Coupons abzuschneiden. Mag man mich immerhin auslachen; ich habe den Mut, es ruhig hinzunehmen; aber indem ich hier an meinem Tische sitze und diese Zeilen niederschreibe, bin ich vollständig überzeugt, daß meine Unsichtbaren mich umschweben und mir, schriftstellerisch ausgedrückt, die Feder in die Tinte tauchen. Und wenn, was sehr häufig der Fall ist, ein Leser, der in der Irre ging, durch eines meiner Bücher auf den richtigen Weg gewiesen wird, so kommt sein Schutzengel zu dem meinigen, und beide freuen sich über die glücklichen Erfolge ihres Einflusses, unter welchem ich schrieb und der andere las. Das sage ich nicht etwa in selbstgefälliger Überhebung, O nein! Wer da weiß, daß er sein Werk nur zum geringsten Teile sich selbst verdankt, der kann nicht anders als demütig und bescheiden sein, und ich trete mit dieser meiner Anschauung nur deshalb vor die Öffentlichkeit, weil in unserer materiellen Zeit, in unserem ideals- und glaubenslosen fin de siècle nur selten jemand wagt, zu sagen, daß er mit diesem Leugnen und Verneinen nichts zu schaffen habe.

Wie tröstlich und beruhigend, wie ermunternd und anspornend ist es doch, zu wissen, daß Gottes Boten stetig um uns sind! Und welch große sittliche Macht liegt in diesem Glauben! Wer überzeugt ist, daß unsichtbare Wesen ihn umgeben, welche jeden seiner Gedanken kennen, jedes seiner Worte hören und alle seine Werke sehen, der wird sich gewiß hüten, so viel er kann, das Mißfallen dieser Gesandten des Richters aller Welt auf sich zu ziehen. Ich gebe diesen sogenannten, in Mißkredit geratenen Kinder-, Ammen- und Märchenglauben nicht für alle Schätze dieser Erde hin!

»Schutzengel? Lächerlich!« sagte einst ein sehr gelehrter und weit gereister Herr zu mir, dessen Namen man in einigen Erdteilen kannte und auch heut noch kennt. »Haben Sie einen? Haben Sie ihn gesehen, ihn gehört, mit ihm gesprochen? Zeigen Sie ihn mir, dann will ich glauben, daß er existiert!« Ein Jahr später traf ich ihn in Tirol. Nach der kurzen, herzlichen Begrüßung war sein erstes, wie mir schien, ganz unmotiviertes Wort: »Es giebt weiche; ich weiß es jetzt; auch ich habe einen!« – »Was?« fragte ich erstaunt. – »Schutzengel meine ich. Sie besinnen sich wohl noch unsers letzten Gespräches?« – Er war in den Bergen gewesen und hatte sich, Steine klopfend und Pflanzen suchend, allzu eifrig bis an den höchsten und äußersten Rand eines tief und steil abfallenden Abhanges vorgewagt. Die dünne, lose Erdschicht war ins Gleiten gekommen und hatte ihn mit sich über die Kante gerissen. Mit der ganzen Wucht des hohen und jähen Falles an den Vorstößen, Rändern und Spitzen der Felsen aufschlagend, war er in die Tiefe gestürzt, dann aber plötzlich an dem Stumpfe einer Latsche hängen geblieben. Der Stumpf hatte sich nur in den Saum des Rockschoßes gebohrt; dieser dünne, schmale Halt konnte jeden Moment reißen, ja, es war überhaupt ein Wunder, wenn er nicht zerriß. Und das Wunder geschah: Der Saum hielt fest, weit über eine halbe Stunde lang, in so lebensgefährlicher Situation eine wahre Ewigkeit. Der Verunglückte schrie um Hilfe, doch vergeblich; ihm schwindelte vor der Tiefe; vor seinen Augen wurde es schwarz, und in den Ohren klang es wie Paukentöne. Seine Pulse schlugen; alle seine Glieder zitterten im Fieber; die Todesangst trat ein, und er begann, zu beten. Zunächst brachte er es nur zu einem krampfhaften »Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist!« Dann zog sein ganzes Leben, schnell wie im Traum und doch mit greller Deutlichkeit, an ihm vorüber; er lernte sich in diesen kurzen Augenblicken zum erstenmal richtig kennen. Er sah seine Fehlgriffe wie scharfe, schroffe Gletscher ragen und seine Unterlassungen wie bodenlose, hohle Abgründe gähnen; sein Unglaube kam ihm wie ein Krater vor, der ihn verschlingen wollte. Da diktierte ihm die Angst seiner Seele das richtige Gebet: »Vergieb mir, Herr, denn ich glaube nun an dich!« Seine Verneinung der Schutzengel fiel ihm ein, und da klammerte er sich mit der Inbrunst der Todesnot an den Gedanken, daß es ja doch welche gebe. Gott allein konnte retten, retten durch seine Himmelsboten. Der über der Tiefe Hängende betete und betete, bis es ruhiger und immer ruhiger in ihm wurde; es war ihm, als ob er eine Hand auf seiner Stirne fühle; die Angst verschwand und gab der immer fester werdenden Zuversicht Raum, daß die Rettung schon unterwegs sei. Er wußte, daß es keine Hallucination war: durch das Kleidungsstück, an welchem er hing, überkam ihn das Gefühl, als ob ein unsichtbares Wesen sich über ihm befinde und den Saum des Gewandes an dem Stumpfe der Knieholzkiefer festhalte. Da wich auch der Schwindel von ihm; er konnte frei unter sich blicken. Als er das that, sah er den Wirt des Gasthofes, in dem er für einige Tage wohnte, mit seinem Sohne kommen; beide waren vorzügliche Bergsteiger. Als sie ihn wahrnahmen, riefen sie ihm Mut zu. Der Sohn eilte zurück, um noch mehr Leute und Stricke zu holen, und der Vater kam heraufgestiegen, langsam zwar, aber mit tröstlicher Stetigkeit. Endlich grad über dem Verunglückten angelangt, warf er diesem die Schlinge eines Strickes zu, durch welche er die Arme zu strecken hatte. Das gab nun einen zuverlässigen Halt, welcher die völlige Ausführung der Rettung garantierte, die nach kurzer Zeit auch glücklich zustande kam. Unbegreiflich war, daß der Körper trotz des öftern Aufschlagens während des tiefen Sturzes außer einigen blauen Hautstellen keine Verletzung zeigte. Wahrhaft wunderbar aber mußte man es nennen, welche Ursache den Wirt zur Hilfe herbeigetrieben hatte. Sein jüngstes Kind nämlich, ein Mädchen von acht Jahren, war aus dem Garten zu ihm hereingekommen und hatte ihm gesagt, der Mann, der immer Blumen suche, sei von dem Berg gefallen und in der Mitte hängen geblieben. Die betreffende Seite des Berges lag aber vom Dorfe ab, so daß sie von da und von dem Garten aus gar nicht gesehen werden konnte, und weiter als in den Garten war das Kind nicht gekommen. Auf Befragen des Vaters hatte es gesagt, daß es den Mann habe um Hilfe rufen hören; die Entfernung war aber so groß, daß Hilferufe unvernehmbar blieben. Als der Vater die Bitte des Kindes nicht hatte erfüllen wollen, war dieses in ein so jämmerliches Schluchzen und Wehklagen ausgebrochen und hatte so lange fortgeweint, bis er, nur um es zu beruhigen, mit dem Sohne nach der Unglücksstelle aufgebrochen war. Der Gerettete ist noch heut fest überzeugt, daß er sein Leben zwei Schutzengeln zu verdanken habe; er behauptet, der eine habe ihn festgehalten und der andere das Kind zum Wirt geschickt.

Die Frage, ob ich meinen Schutzengel gesehen und gehört habe, kann mich nicht in Verlegenheit bringen. Ja, ich habe ihn gesehen, mit dem geistigen Auge; ich habe ihn gehört, in meinem Innern; ich habe seinen Einfluß gefühlt, und zwar unzählige Male. Bin ich etwa besonders veranlagt dazu? Gewiß nicht! Es ist wohl jedem Menschen gegeben, das Walten seines Schutzengels zu bemerken; die einzige Erfordernis dazu ist, daß man sich selbst genau kennt und sich selbst unter steter Kontrolle hält. Nur wer die richtige Selbstkenntnis besitzt und auf sie acht hat, kann unterscheiden, ob ein Gedanke ihm eingegeben wurde oder aus seinem eigenen Kopfe stammt, ob eine Empfindung, ein Entschluß in ihm selbst oder außerhalb seines geistigen Ichs entstand. Wieviel Menschen aber besitzen diese genaue Kenntnis ihrer selbst?

Wie oft bin ich zu einer bestimmten Handlung fest und unerschütterlich entschlossen gewesen und habe sie dennoch ohne jeden sichtbaren oder in mir liegenden Grund unterlassen. Wie oft habe ich im Gegenteile etwas gethan, was nicht im entferntesten in meinem Wollen lag. Wie oft ist mein Verhalten ganz plötzlich und ohne alle Absicht ganz anders geworden, als es in der Logik meines Wesens begründet gewesen wäre. Das war das Ergebnis eines Einflusses von außer mir her, der stets die besten Folgen hatte, sobald und so oft er sich geltend machte. Wie oft habe ich nach einem von mir selbst herbeigeführten Ereignisse dennoch voller Verwunderung dagestanden, wie oft nach einem von mir angestrebten Erfolge dennoch sagen müssen: »das habe nicht ich, sondern das hat Gott gethan!« Wie oft hat eine mir ganz fremdartige Idee meine Gedankenfolge unterbrochen und sie in eine mir bisher ganz unbekannte Richtung gelenkt. Wie oft bin ich vor Personen, welche mir sympathisch waren, und vor Verhältnissen und Lagen, die ich geradezu herbeigesehnt hatte, durch einen – ich will mich ausdrücken- -geistigen Anhauch gewarnt worden, der sich dann, wenn ich mich von ihm leiten ließ, als nur zu begründet erwies. Wie oft habe ich Situationen, an welche nach menschlichem Ermessen in meinem ganzen Leben nicht zu denken war, voraus empfunden, voraus durchlebt und dann, wenn sie sich genau nach diesem Seelenbild einstellten, zu meinem dankbaren Erstaunen einsehen müssen, daß mit diesem Vorausgefühle mein Vorteil, ja mein Heil bezweckt gewesen war.

Was für eine von meiner Individualität vollständig getrennte Intelligenz, für eine außer mir liegende Macht kann es aber wohl gewesen sein, welche so in, mit und über mir waltete, mich mahnte, warnte und als sogenanntes böses Gewissen strafte, wenn sie mich unaufmerksam oder gar ungehorsam gefunden hatte? Weder Instinkt noch Zufall kann es sein, sondern Gottes Engel ist es, der mir vom Herrn der Heerscharen beigegeben wurde, mein Führer, Mahner und Berater zu sein. Als ich in meiner Schülerzeit durch den vielgenannten »Zufall«, den es für mich nicht giebt, aus einer großen Gefahr errettet worden war, schrieb ich einige Zeilen in mein Tagebuch, welche noch unter dem Eindrucke der Todesangst entstanden und nicht dichterisch abgefeilt worden sind. Sie haben also nicht den geringsten poetischen Wert; da ich mich aber noch heut, wo ich von meinem Schutzengel spreche, zu ihnen bekenne, so will ich mich erkühnen, ihnen hier einen Platz zu geben:

Es giebt so wunderliebliche Geschichten,
Die bald von Engeln, bald von Feen berichten,
In deren Schutz wir Menschenkinder stehn.
Man will so gern den Worten Glauben schenken
Und tief in ihren Zauber sich versenken,
Denn Gottes Odem fühlt man daraus wehn.

So ist's in meiner Kindheit mir ergangen,
In welcher oft ich mit erregten Wangen
Auf solcherlei Erzählungen gelauscht,
Dann hat der Traum die magischen Gestalten
In stiller Nacht mir lebend vorgehalten,
Und ihre Flügel haben mich umrauscht.

Fragt auch der Zweifler, ob's im Erdenleben
Wohl könne körperlose Wesen geben,
Die für die Sinne unerreichbar sind,
Ich will die Jugendbilder mir erhalten
Und glaub an Gottes unerforschlich Walten
Wie ich's vertrauensvoll geglaubt als Kind.

Ich weiß, daß ich als Schriftsteller mit diesen achtzehn Zeilen eine große litterarische Sünde begehen würde; aber ich meine, in der letzten Viertelstunde nicht geschriftstellert, sondern als Mensch, als wohlmeinender Freund zu meinen Lesern gesprochen zu haben, und Reime aus der Knabenzeit eines Freundes pflegt man doch überall mit kritikloser Güte und mild lächelnder Nachsicht aufzunehmen. Ich bitte auch für mich um diese Schonung!

Also mein Schutzgeist hatte mich bei Harbour grad so wie auf Fenners Farm vom Tode errettet, und ich saß nun wieder auf dem Stuhle, auf welchem mich die Kugel des Medizinmannes hatte treffen sollen. Die Gemüter hatten sich noch nicht beruhigt, und der Zwischenfall wurde mit, ich möchte sagen, urwüchsiger Lebhaftigkeit besprochen. Das größte Interesse für das unerwartete Auftreten von Tibo taka und Tibo wete mußte natürlich Apanatschka haben, der beide für seine Eltern gehalten hatte und trotz meiner Widerlegung wohl auch jetzt noch hielt. Außer Winnetou und mir sprach man von allen Seiten auf ihn ein, doch ohne eine andere Antwort als ein stilles Kopfschütteln von ihm zu hören. Mir und dem Häuptling der Apatschen war das sehr verständlich. Was hätte er auch antworten oder sagen sollen! Wir waren alle auf das Tibo-Paar nicht gut gesinnt; er konnte sie weder verteidigen, noch lagen für ihn die nötigen Beweise vor, sich von ihnen loszusagen; also konnte er nichts anderes und besseres thun als schweigen, und das that er denn auch gründlich.

Die andern ergingen sich in hunderterlei Vermutungen über den Ritt des Medizinmannes und seiner Frau hierher nach Kansas. Sie tauschten ihre Meinungen aus über den Grund, den Zweck und das Ziel dieses Rittes; natürlich traf niemand das Richtige. Es machte Winnetou und mir Spaß, zu sehen und zu hören, wie sie ihren Scharfsinn anstrengten und sich miteinander stritten und dabei einer den andern auf den Irrweg führen wollte, auf dem er sich selbst befand. Wir hielten es nicht für notwendig, sie so weit aufzuklären, wie wir selbst es waren, und so mußten sie sich endlich mit unserer Versicherung begnügen, daß wir morgen dem Medizinmanne folgen und also bald Aufklärung bekommen würden über alles, was uns heut noch unklar sei.

Da wir frühzeitig fort wollten, wurden in der Stube die Lager für uns bereitet. Ich traute Tibo taka doch nicht recht; es war immerhin möglich, daß er auf den Gedanken kam, während der Nacht zurückzukehren und irgend etwas für uns Schädliches auszuführen. Darum wollte ich den Postendienst unter uns heute in derselben Weise ausgeführt wissen, wie er gebräuchlich war, wenn wir des Nachts im Freien kampierten; Harbour aber sträubte sich dagegen und sagte:

»Nein, Sir, das dulde ich nicht. Ihr seid unterwegs und wißt nicht, was Euch begegnen kann. Es kann sein, daß Ihr eine ganze Reihe von Nächten nicht ruhig schlafen könnt; schlaft Euch also heut hier bei mir tüchtig aus! Ich habe Cow-boys und Peons, welche den Wachtdienst sehr gern für die große Ehre, Euch gesehen zu haben, übernehmen werden.«

»Wir sind Euch natürlich sehr dankbar für dieses Anerbieten, Mr. Harbour,« antwortete ich. »Wir nehmen es an, doch unter der Voraussetzung, daß diese Leute ihrer Aufgabe nicht lässig, sondern so obliegen, wie unsere Lage es erfordert.«

»Das ist doch ganz selbstverständlich. Wir wohnen und leben hier in einer Art von Halbwildnis und sind es also gewohnt, aufmerksam zu sein. Übrigens handelt es sich ja nur um einen einzigen Menschen, der noch dazu aus Angst vor Euch heimlich ausgerissen ist; seine Squaw ist gar nicht zu rechnen; dem würden meine Leute, falls er so frech wäre, zurückzukehren, das Fell so ausbauen, daß kein Gerber noch Arbeit daran finden würde. Ihr könnt Euch also ruhig schlafen legen.«

Das thaten wir denn auch; vorher aber ging ich noch einmal hinaus nach dem Korral, um nach den Pferden zu sehen.

Der Farmer hatte ja wohl nicht unrecht; es handelte sich nur um den Medizinmann, der übrigens auch schon durch die Anwesenheit seiner Frau verhindert wurde, etwas gegen uns auszuführen; aber es lag eine Unruhe in mir, die mich am Einschlafen hinderte. Es drängte sich mir wieder und immer wieder der Vergleich des heutigen Tages mit dem Tage auf Fenners Farm auf, und ich kam dabei wieder und immer wieder auf den Gedanken: nun fehlt bloß noch ein Überfall!

So kam es, daß ich spät einschlief und dann von einem quälenden Traume, dessen Inhalt mir heut nicht mehr erinnerlich ist, so beängstigt wurde, daß ich froh war, als ich bald wieder aufwachte. Ich stand auf und ging leise, um keinen der Schläfer zu wecken, hinaus. Die Sterne schienen; man konnte ziemlich weit sehen. Ich ging wieder nach dem Korral, in welchem zwei Peons die Wache hatten.

»Ist alles in Ordnung?« fragte ich, als ich die Gatterthür hinter mir wieder zugezogen hatte.

»Ja,« wurde mit geantwortet.

»Hm! Mein und Winnetous Rappe pflegen des Nachts zu liegen; jetzt stehen sie; das gefällt mir nicht.«

»Sie sind eben erst aufgestanden, wohl weil Ihr gekommen seid.«

»Deshalb gewiß nicht. Wollen einmal sehen!«

Ich ging zu den beiden Pferden. Sie hielten die Köpfe nach dem Hause gerichtet; ihre Augen leuchteten beunruhigend, und nun sie mich kommen sahen, schnaubten beide. Das war eine Wirkung ihrer sorgfältigen Erziehung. Sie waren gewöhnt, sich in Abwesenheit ihrer Herren selbst beim Nahen einer Gefahr lautlos zu verhalten, waren ihre Herren aber da, diese Gefahr ihnen durch Schnauben anzuzeigen. Sie hatten eine Gefahr gewittert und waren aufgestanden, aber still gewesen, weil ich mich nicht bei ihnen befand; nun ich aber da war, warnten sie mich. Ich ging zu den Wächtern zurück und sagte:

»Es liegt etwas in der Luft; was, das weiß ich nicht. Nehmt euch in acht! Es sind Menschen in der Nähe des Hauses, ob Freunde oder Feinde, das wird sich zeigen. Man sieht sie nicht; sie haben sich versteckt; Freunde aber brauchen sich nicht zu verbergen. Entweder stecken sie dort hinter den Büschen, oder sie liegen schon näher im hohen Grase.«

»Teufel! Es werden doch nicht etwa die Tramps sein, wegen denen Bell nach dem Nord-River geritten ist?«

»Das wird sich zeigen. Es ist besser, selbst die erste Note zu spielen, anstatt zu warten, bis der Feind beginnt, den Bogen zu streichen. Ah, dort, grad der Hausthür gegenüber, hob sich jetzt etwas aus dem Grase; ich kann also nicht in die Stube, werde aber die Gefährten wecken. Habt ihr eure Gewehre?«

»Ja, dort lehnen sie.«

»Nehmt sie, um den Eingang zu verteidigen; schießt aber nicht eher, als bis ich es euch sage!«

Ich legte beide Hände hohl an den Mund und ließ dreimal den Schrei des Kriegsadlers erschallen, so laut, daß er gewiß eine halbe englische Meile weit zu hören war. Nur einige Sekunden später ertönte derselbe Schrei auch dreimal drin in der Stube. Das war die Antwort Winnetous, welcher die warnende Bedeutung meines Schreies sehr gut kannte. Ebenso kurze Zeit darauf sah ich viele, viele dunkle Gestalten aus dem Grase aufspringen, und die Luft erzitterte unter einem Geheul, in welchem ich das Angriffszeichen der Cheyenne-Indianer erkannte.

Was wollten diese hier? Warum waren sie aus dem Quellgebiet des Republican-River so weit herabgekommen? Sie wollten die Farm überfallen, hatten also ihre Kriegsbeile auch ausgegraben, grad wie die Osagen. Wir hatten sie nicht zu fürchten, denn wir standen nicht nur in Frieden mit ihnen, sondern waren sogar ihre Freunde. Man braucht sich nur daran zu erinnern, was Schahko Matto dem alten Wabble unter dem »Baume der Lanze« von Winnetou erzählte. Dieser hatte sich an die Spitze der Cheyennes gestellt und mit ihnen das Lager der Osagen erobert; sie waren ihm also großen Dank schuldig. Ich war zwar nicht mit dabei gewesen, aber es konnte doch kein Indianer Winnetous Freund und dabei der Feind Old Shatterhands sein. Also war ich sofort beruhigt, als ich aus dem Kriegsgeheul erkannte, daß die Angreifer Cheyennes seien.

Eigentümlich war es, daß sie nicht zunächst und vor allen Dingen nach Indianerart über die Pferde herfielen. Der Angriff schien einstweilen nur gegen das Haus gerichtet zu sein, was auf eine ganz besondere Ursache schließen ließ. Wir brauchten den Korral nicht zu verteidigen, denn kein einziger Roter kam herbei; ich sah sie alle vor dem Hause stehen. Sie hatten jedenfalls beabsichtigt, sich heimlich nach der Thür zu schleichen, diese einzuschlagen und dann in das Gebäude einzudringen, waren aber durch meinen Adlerschrei daran verhindert worden, weil die Bewohner durch denselben geweckt worden waren. Der Überfall war mißlungen.

Ich war höchst neugierig auf das, was nun geschehen würde. Sie konnten nicht in das Haus und waren so unvorsichtig, vor demselben stehen zu bleiben. Dachte denn keiner von ihnen daran, daß die drin befindlichen Männer durch das Fenster schießen würden? Sie bildeten, noch immer heulend und brüllend, vor der Front des Gebäudes einen Halbkreis, welcher von einer Ecke bis zur andern reichte. Als dies geschehen war, trat tiefe Stille ein. Wie ich meinen Winnetou kannte, war ich überzeugt, daß er jetzt sprechen würde. Und wirklich, es geschah. Er hatte die Thür geöffnet, war furchtlos in dieselbe getreten und rief mit seiner sonoren Stimme:

»Es ertönt das Kriegsgeschrei der Cheyennes. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen, der die Pfeife der Freundschaft und des Friedens mit ihnen geraucht hat. Wie heißt der Anführer der Krieger, welche ich vor mir sehe?«

Vom Halbierungspunkte des Halbkreises her antwortete eine Stimme:

»Hier ist Witsch Panahka, der Anführer der Cheyennes.«

»Winnetou kennt alle hervorragenden Krieger der Cheyennes, doch befindet sich darunter keiner, der Witsch Panahka heißt. Seit wann ist der, welcher sich so nennt, ein Häuptling der Seinen?«

»Das braucht er nur dann zu sagen, wenn es ihm beliebt!«

»Beliebt es ihm jetzt?«

»Nein.«

»Warum nicht? Hat er sich seines Namens, oder hat dieser Name sich seiner zu schämen? Warum kommen die Cheyennes unter Kriegsgeschrei an dieses Haus? Was wollen sie hier?«

»Wir wollen Schahko Matto, den Häuptling der Osagen, haben.«

»Uff! Woher wissen sie, daß dieser sich hier befindet?«

»Auch das brauchen sie nicht zu sagen.«

»Uff, uff! Die Cheyennes scheinen nur brüllen aber nicht reden zu können! Winnetou ist gewöhnt, Antwort zu bekommen, wenn er fragt. Gebt ihr ihm keine, so tritt er in das Haus zurück und wartet ruhig ab, was dann geschieht.«

»Wir werden das Haus erstürmen!«

»Versucht es! Wir haben Gewehre.«

»Wir werden es verbrennen!«

»Seht zu, daß es euch nicht zu heiß wird dabei!«

»Wir verlangen Schahko Matto, den Osagen. Gebt ihn heraus, so ziehen wir weiter!«

»Es wird für die Cheyennes besser sein, wenn sie gleich weiterziehen, ohne abzuwarten, ob sie ihn bekommen!«

»Wir gehen nicht eher fort, als bis wir ihn haben. Wir wissen, daß Winnetou und Old Shatterhand sich in diesem Hause befinden; auch ist ein junger Krieger drin, welcher Apanatschka heißt; er soll uns ausgeliefert werden.«

»Wollt ihr Schahko Matto töten?«

»Ja.«

»Und Apanatschka auch?«

»Nein; es wird ihm nichts geschehen. Es ist jemand hier, der mit ihm reden will. Dann kann er dahin gehen, wohin es ihm beliebt.«

»Er wird nicht kommen und Schahko Matto auch nicht.«

»So müssen wir Winnetou und Old Shatterhand als unsere Feinde betrachten und sie töten!«

»Versucht, ob ihr das fertig bringt!«

»Winnetou ist mit Blindheit geschlagen. Sieht er nicht, daß hier über achtmal zehn Krieger stehen? Was können alle, die sich in dem Hause befinden, gegen uns machen, wenn wir es erstürmen? Sie werden alle miteinander des Todes sein. Wir geben dem Häuptling der Apatschen eine Stunde Zeit, sich mit Old Shatterhand zu beraten; ist diese vergangen, ohne das Schahko Matto und Apanatschka uns ausgeliefert worden sind, so werdet ihr alle sterben müssen. Howgh!«

Ehe Winnetou hierauf antworten konnte, geschah etwas, was wohl weder er noch der Anführer der Cheyennes erwartet hatte, und das kam von mir. Die ganze Art und Weise der mißglückten Überrumpelung der Farm ließ erraten, daß wir es mit meist unerfahrenen Leuten zu thun hatten. Den Angriff nur gegen die Vorderfront des Hauses zu richten, ohne es ganz einzuschließen, sich dann in einem Bogen hinzustellen und unseren Kugelnauszusetzen, das waren Fehler, über welche man nur lächeln konnte. Daß diese achtzig Indianer auch dem Apatschen nicht imponierten, ersah ich daraus, daß er sie nur »Cheyennes«, nicht aber »Krieger der Cheyennes« nannte; ich kannte da meinen Winnetou nur zu gut. Sollten wir solche Leute so behandeln, wie man alte, erfahrene Krieger behandelt? Das fiel mir gar nicht ein. Es so kurz wie möglich machen, das war das beste; sie sollten sich nicht rühmen dürfen, von uns für vollgültig betrachtet und behandelt worden zu sein. Darum schlüpfte ich, von ihnen unbemerkt, aus der Pforte des Korrals, legte mich nieder und kroch im Rücken des Halbkreises so weit durch das Gras, bis ich mich hinter der Stelle befand, wo das »eiserne Messer« stand. Das konnte sehr schnell geschehen und wurde mir sehr leicht, weil die Roten jetzt alle nach dem Hause blickten und keine Obacht auf das hatten, was hinter ihnen vorging. Als der Anführer sein letztes Wort, das gebieterische »Howgh!« aussprach, stand ich auf, schnellte mich vorwärts, so daß ich den Halbkreis erreichte, brach durch die Reihe der Indianer und stand dann neben dem Anführer, ehe sie in ihrer Überraschung hatten daran denken können, es zu verhindern. Ehe Winnetou dort an der Thür das lächerliche Ultimatum verdientermaßen zurückweisen konnte, rief ich mit lauter Stimme:

»Zu hören, was wir beschließen, dazu bedarf es keiner Stunde Zeit; die Cheyennes sollen es gleich erfahren.«

Mein plötzliches Erscheinen im Innern des Halbkreises mitten unter ihnen rief selbstverständlich eine große Aufregung hervor; mich gar nicht um dieselbe kümmernd, fuhr ich fort:

»Hier steht Old Shatterhand, dessen Namen die Cheyennes alle kennen werden. Ist einer unter ihnen, der es wagen will, die Hand gegen mich zu erheben, so trete er zu mir heran!«

Was ich beabsichtigt hatte, das geschah: die Aufregung machte einer vollständigen, lautlosen Stille Platz. Mein scheinbar kühnes, ja verwegenes Erscheinen hatte sie bloß überrascht; meine Herausforderung aber verblüffte sie, zumal ich dabei so ruhig stehen blieb, als ob sie alle »Wurst und Schnuppe« für mich seien, obgleich ich nicht einmal ein Gewehr in den Händen hatte. Ich nutzte diesen Eindruck ohne Zögern aus, erfaßte den Anführer bei der Hand und sagte:

»Witsch Panahka mag augenblicklich hören, was wir zu thun entschlossen sind; er komme mit!«

Seine Hand festhaltend, ging ich dem Hause zu. Das war schon nicht mehr Mut zu nennen, sondern eine Frechheit, die ihresgleichen suchte; aber sie that prompt ihre Wirkung. sie konsternierte ihn in der Weise, daß es ihm gar nicht einfiel, sich zu weigern oder gar mir Widerstand entgegenzusetzen. Er ging willig wie ein Kind mit mir bis hin zu Winnetou, der noch am offenen Eingange stand und den Cheyenne bei der andern Hand ergriff. Halb zogen und halb schoben wir ihn hinein und schlossen dann die Thür hinter uns zu.

»Schnell Licht, sehr schnell, Mr. Harbour!« rief ich in den dunklen Raum hinein. Ein Zündholz leuchtete auf; die Lampe wurde angesteckt, und nun konnten wir das Gesicht des »eisernen Messers« sehen. Es konnte uns, wie man mir glauben wird, in diesem Augenblicke nicht etwa durch einen sehr geistreichen Ausdruck imponieren.

Das war alles so schnell gegangen, daß die Cheyennes draußen erst jetzt einsahen, was für ein großer Fehler es von ihnen war, daß sie es hatten geschehen lassen. Wir hörten sie schreien und rufen, kümmerten uns aber nicht darum, denn so lange sich ihr Anführer bei uns befand, durften sie nicht daran denken, etwas Feindliches gegen uns vorzunehmen. Ich schob ihn zu einem Stuhle hin und forderte ihn auf:

»Witsch Panahka mag sich zu uns setzen! Wir sind Freunde der Cheyennes und freuen uns, ihn als Gast bei uns zu sehen.«

Auch das kam ihm so sonderbar vor, daß er sich ohne Weigern niedersetzte. Er, der mit achtzig Männern gekommen war, die Farm zu überfallen, befand sich zehn Minuten nach dem ersten Kriegsgeheul im Innern derselben, aber nicht als Sieger, sondern in unserer Gewalt, und mußte es sich gefallen lassen, ironisch als unser Gast bezeichnet zu werden. Ich hatte durch meine Unverfrorenheit, die eigentlich Ohrfeigen verdient hätte, alles Blutvergießen verhütet, den Ernst der Situation in das fast Lächerliche verwandelt und die Volte derart geschlagen, daß wir alle Trümpfe und Zähler, die Cheyennes aber nur leere Karten hatten.

Wie freute ich mich im stillen über die Anerkennung Winnetous! Er sprach sie nicht in Worten aus, aber sie war in seinem Gesichte und in dem Blicke zu lesen, den er mit inniger Wärme auf mich gerichtet hielt. Diese Wärme machte auch mir das Herz warm. Ich gab ihm die Hand und sagte:

»Ich lese in der Seele meines Bruders und will ihm nur das eine sagen, daß er mein Lehrer und ich sein Schüler war!«

Er drückte mir die Hand und schwieg. Es bedurfte aber auch keines Wortes, denn ich verstand ihn doch. Was war er doch für ein Mann, besonders wenn man ihn mit dem Cheyenne verglich, der so verlegen bei uns saß, daß er fast nicht wagte, die Augen aufzuschlagen! Schahko Matto hatte sich ihm gegenübergesetzt, hielt das Auge finster auf ihn gerichtet und fragte:

»Kennt mich der Anführer der Cheyenne? Ich bin Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, dessen Auslieferung er gefordert hat. Was glaubt er wohl, daß wir mit ihm thun werden?«

Auf die versteckte Drohung, welche in diesen Worten lag, antwortete der Gefragte:

»Old Shatterhand hat mich Gast genannt!«

»Das hat er gethan, aber nicht ich! Du hattest mich für den Tod bestimmt; ich habe also das Recht, nun den deinigen zu fordern.«

»Old Shatterhand wird mich schützen!«

Das war eine indirekt an mich gerichtete Aufforderung, die ich in strengem Tone beantwortete:

»Das wird ganz darauf ankommen, wie du dich jetzt verhältst! Erteilst du mir die Auskunft, die ich von dir verlange, der Wahrheit gemäß, so bleibst du unter meinem Schutze, sonst aber nicht. Ihr habt heut einen weißen Mann mit einer roten Squaw getroffen?«

»Ja.«

»Dieser Mann hat euch mitgeteilt, daß wir uns hier befinden und daß Schahko Matto bei uns ist?«

»So ist es.«

»Er hat für diesen Dienst die Auslieferung Apanatschkas, welcher hier neben dir sitzt, verlangt?«

»Ja.«

»Was wollte er mit Apanatschka thun?«

»Das weiß ich nicht, denn ich habe ihn nicht gefragt, weil uns dieser fremde, rote Krieger gleichgültig ist.«

»Wo befindet sich der weiße Mann?«

»Ich weiß es nicht.«

»Belüge mich nicht! Er wollte Apanatschka haben, den du ihm bringen solltest. Also mußt du wissen, wo er ist. Wenn du mir noch eine einzige Unwahrheit sagst, liefere ich dich an Schahko Matto aus, dessen Todfeind du bist. Merke dir das! Also sag, wo der Weiße sich befindet?«

Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht; der Cheyenne antwortete:

»Er ist draußen bei meinen Kriegern.«

»Aber seine Squaw doch nicht mit?«

»Nein; sie ist da, wo wir die Pferde gelassen haben.«

Ehe ich weitersprechen konnte, ergriff Winnetou das Wort:

»Ich bin wiederholt bei den Cheyennes gewesen, habe aber Witsch Panahka nie gesehen. Wie kommt das?«

»Wir gehören dem Stamme der Nukweint-Cheyennes an, bei welchem der Häuptling der Apatschen noch nicht gewesen ist.«

»Ich weiß, was ich wissen wollte. Mein Bruder Shatterhand mag weitersprechen!«

Dieser Aufforderung folgend, legte ich dem Cheyenne jetzt die Frage vor:

»Ich sehe, daß ihr die Tomahawks des Krieges ergriffen habt. Gegen wen ist euer Zug gerichtet?«

Er zögerte mit der Antwort; aber als ich da eine drohende Bewegung zu Schahko Matto hin machte, gestand er:

»Gegen die Osagen.«

»Ah, ich errate! Ihr hattet gehört, daß die Osagen ihr Lager verlassen haben, um gegen die Bleichgesichter zu ziehen, und wolltet diese Gelegenheit benutzen, es zu überfallen?«

»Ja.«

»So seid froh, daß ihr uns hier getroffen habt! Die Osagen sind umgekehrt; sie befinden sich wieder daheim und hätten euch, da ihr nur achtzig Mann zählt, die Skalpe genommen. Die Begegnung mit uns ist ein großes Glück für euch; sie rettet euch oder doch vielen von euch das Leben. Ich hoffe, daß dies eine Mahnung zur friedlichen Gesinnung für euch ist. Was gedenkt ihr denn jetzt zu thun?«

»Wir nehmen Schahko Matto mit uns fort. Apanatschka könnt ihr meinetwegen behalten.«

»Laß dich nicht auslachen! Du bist mein Gefangener; das weißt du sehr wohl. Und glaubst du, daß wir uns vor deinen achtzig Leuten fürchten? Die Nukweint-Cheyenne sind als Leute bekannt, die nichts vom Kampfe verstehen.«

»Uff!« fuhr er zornig auf. »Wer hat dir diese Lüge gesagt?«

»Es ist keine Lüge; das habt ihr heut bewiesen. Euer Angriff war so dumm ausgeführt, daß man euch für kleine Knaben halten möchte. Und dann habe ich mitten unter euch gestanden, ohne daß es einen einzigen gab, der mich anzurühren wagte. Hierauf bist du an meiner Hand wie ein folgsames Kind mit in das Haus gegangen. Wenn wir das ruchbar machen, wird ein großes Gelächter über alle Höhen und alle Savannen gehen, und die andern Stämme der Cheyennes werden sich von euch lossagen, weil sie sich eurer schämen müssen. Du hast zu wählen. Willst du Kampf, so erschießen wir dich hier, sobald draußen von deinen Leuten der erste Schuß fällt. Eure Kugeln thun uns nichts, weil uns die Wände schützen; sieh aber unsere Waffen an; du kennst jedenfalls –«

»Pshaw!« unterbrach mich da Winnetou, indem er sich von seinem Sitze erhob und zu dem »eisernen Messer« hintrat. »Warum so lange Reden! Wir werden gleich mit den Cheyennes fertig sein!«

Er riß den Medizinbeutel, den Witsch Panahka auf der Brust hängen hatte, mit einem schnellen Griffe los. Der Cheyenne sprang mit einem Angstschrei auf, um ihm die Medizin wieder zu entreißen; ich sprang hinzu, drückte ihn auf den Stuhl nieder, hielt ihn dort fest und sagte:

»Bleib sitzen! Wenn du gehorchst, bekommst du deine Medizin wieder, sonst aber nicht!«

»Ja, nur wenn er gehorcht,« stimmte Winnetou bei. »Ich will, daß die Cheyennes friedlich heimkehren. Thun sie das, so soll ihnen nichts geschehen und niemand wird erfahren, daß sie sich hier wie kleine Kinder benommen haben. Geht Witsch Panahka aber nicht darauf ein, so werfe ich seine Medizin augenblicklich auf den Herd, um sie zu verbrennen, und dann werden unsere Gewehre zu sprechen beginnen. Howgh!«

Wer da weiß, was die Medizin für jeden Roten, zumal für einen Häuptling, zu bedeuten hat, und welche Schande es ist, sie zu verlieren, der wird sich kaum darüber wundern, daß der Cheyenne, wenn auch nach längerem Sträuben, sich in die Forderung des Apatschen fügte.

»Auch ich habe eine Bedingung zu stellen,« erklärte Treskow.

»Welche?« fragte ich.

»Die Cheyennes müssen Tibo taka und Tibo wete ausliefern!«

»Daran denkt kein Mensch! Das würde der größte Fehler sein, den wir begehen könnten. Übrigens bin ich überzeugt, daß der Medizinmann gar nicht mehr draußen ist. Er hat, sobald ich den Häuptling in Beschlag nahm, sofort gewußt, was nun die Glocke schlägt, und sich schnell aus dem Staub gemacht. Und das ist mir nur lieb; weshalb, das werdet ihr schon erfahren.«

Über den Friedensschluß mit den Cheyennes draußen zu erzählen, würde zu weit ab führen; es genügt, zu wissen, daß sie schließlich froh über das unblutige Ende ihres so fehlerhaften Überfalles der Farm waren. Sie ritten um die Mitte des Vormittages fort, und als darauf eine Stunde vergangen war, brachen auch wir auf, Schahko Matto, der seine Waffen wiederbekommen hatte, als freier Mann. Er war grimmig erzürnt darüber, daß der Medizinmann uns wieder entwischt war; Dick Hammerdull aber, der stets heitere, tröstete ihn:

»Der Häuptling der Osagen mag ihn immer laufen lassen; wir kriegen ihn schon wieder, denn wer gehängt werden soll, der wird gehängt; das ist ein wahres Sprichwort.«

»Er soll nicht gehängt werden sondern eines zehnfachen Todes sterben!« knurrte der Osage.

»Ob einfach sterben, ob doppelt oder sechsfach, das bleibt sich gleich; das ist auch ganz egal; er wird aber doch gehängt. Für so einen Kerl giebt es keinen schöneren Tod als den durch den Strick. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Yes, lieber Dick,« antwortete der Lange. »Du hast doch immer recht!«


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