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»Als ich d'rauf am Morgen schied,
Hört ich ferne noch ihr Lied,
Und zugleich mit Schmerz und Lust
Trug ich's fort in meiner Brust.
Und seitdem, wo ich auch bin.
Schwebt mir vor die Sennerin,
Und sie ruft: »Kehr um geschwind!«
Auf der Alm. ja
Auf der Alm, ja
Auf der Alm, da giebt's ka Sünd!«
So klang es hell und getragen von der Höhe in das Thal hinab, gesungen von zwei Menschenkindern, welche, obgleich verschieden nach Alter und Geschlecht, diesen dritten Vers des bekannten und beliebten Liedes aus voller Brust ertönen ließen. Ihre Gesichter glänzten förmlich vor Vergnügen, und aus ihren blitzenden Augen leuchtete die herzliche Freude über das Echo, welches ihr Jodler an den gegenüber liegenden Felswänden wach rief. Einer, der sie jetzt hätte beobachten können, wäre ganz gewiß zu der Ueberzeugung gekommen: »Das sind zwei gute Menschenkinder! Der Refrain ihres Liedes steht ihnen auf der Stirn geschrieben: Ja auf der Alm, da giebt's ka Sünd!«
Die Sonne eines schönen Herbsttages neigte sich den im Westen glänzenden Gletschern und Firnen entgegen. Ihr Licht brillirte im Wasser des Giesbaches, welcher schlank und in weiten Sätzen von der östlichen Höhe sprang. Sonntägliche Ruhe lag unten im Thale, und sonntäglich war auch die Sennerin gekleidet, welche neben der Thür am Holzstoße lehnte und dem Zither spielenden Alten fröhlich zunickte.
Sie mochte kaum achtzehn Jahre zählen, war aber körperlich und vielleicht auch geistig bereits weit über dieses Alter hinaus entwickelt. Das in niedrigen Schuhen steckende Füßchen war im Vergleiche zu ihrer hohen, vollen Gestalt klein und niedlich zu nennen. Das kurze, aus roth und blau gestreiftem Zeuge gefertigte und unten mit einer breiten Kante versehene Röckchen reichte nur wenig über das Knie herab und gab die drallen, von schneeweißen Zwickelstrümpfen umschlossenen Waden frei. Die Taille war ungewöhnlich eng und von einem glanzledernen Gürtel umschlossen, an welchem die Schlüssel hingen. Das dunkelgrüne Sammetmieder war tief ausgeschnitten, so daß über den drei silbernen Spangen, welche es zusammen hielten, die ganze Fülle des Busens zu sehen war, welcher, wenn sie während des Gesanges tief Athem holte, die feinen Fälteleien des weißen Hemdes zu sprengen drohte. Die runden, üppigen Schultern trugen einen kräftigen Hals, um welchen sich eine feine Schaumperlenkette legte, an der ein glasgoldenes Kreuzchen hing. Das Gesicht war gebräunt, energisch ausgeprägt und doch von einem weichen Ton überhaucht, der den Ausdruck innerer Selbstständigkeit bedeutend milderte. Das dunkle Haar war in zwei lange, schwere Zöpfe geflochten. Man sah deutlich, daß sich die vollen Locken nur schwer der Strenge des Kammes gefügt hatten, und um die Stirn und an den beiden Schläfen hatten sich einige rebellische Kräusel befreit und krönten nun wie ein Diadem da« frische Angesicht.
Die silbernen Spangen waren von sehr alter Arbeit, wohl ein Erbstück von der Ahne her, Kette und Kreuz von ganz geringem Werthe. Das Mädchen war arm, aber von der Natur mit dem größten Reichthum: Schönheit und Gesundheit, begabt, welcher wohl manche reiche, hoch stehende Dame neidisch gemacht hätte. Dieser Vorzug erhielt einen ganz besonderen Werth durch die ausgesprochene Sauberkeit, welche aus jedem Fältchen glänzte. Man sah es deutlich – das Mädchen hielt Etwas auf sich.
Auch die Hütte und die ganze Umgebung derselben war ein Bild der größten Ordnung und Reinlichkeit. Da gab es kein erblindetes Fenster und keinen Schlamm- und Schmutzsee vor der Thür, durch welchen man, wie bei so vielen Sennereien, nur auf einzelnen hinein geworfenen Steinen springend gelangen kann.
Die Thür stand offen, und da erblickte man die weiß gescheuerten Holzgefäße und den glänzenden Kessel, welcher über dem Heerde hing. Auf dem schmalen Fensterbretts stand ein Vogelgebauer, in welchem ein Finke sein helles »Fink-fing-finkferlink – würz-würz-würzgebür« ertönen ließ.
Neben der Thür erhob sich eine Rasenbank, auf welcher der Alte sah, die Zither jetzt neben sich an die Mauer gelehnt. Er war ganz gewiß bereits siebzig Jahre alt. Sein graues, buschiges Haar und der mächtige weiße Schnurrwichs unter der scharf gebogenen Nase stachen recht eigenartig von dem hageren, tief gebräunten Gesichte ab. Alter und Beschwerden hatten dasselbe tief gefurcht; aber aus diesen Falten lugten tausend Schalke und Schälkchen hervor. Das Auge, wohl noch ganz so scharf wie in den Tagen der Jugend, lachte hell und freundlich unter den Wimpern hervor, und so energisch das Gesicht gezeichnet war, es zeigte doch trotzdem einen Ausdruck froher Gutmüthigkeit, welcher herzgewinnend wirkte.
Die Kleidung dieses freundlichen Alten bewies, daß auch er wohl nicht mit Glücksgütern gesegnet sei. Die derben, mit großen Nägeln versehenen Bergschuhe waren von der gröbsten Arbeit. Die grauen, wollenen Halbstrümpfe bedeckten nur die sehnigen Waden, so daß die Fußknöchel und die wetterbraunen Kniee nackt frei blieben. Die Hosen waren alt und vielfach geflickt, ebenso die lodene Juppe. Eine Weste trug er nicht, dafür einen breiten Gürtel, in welchem die Buchstaben J. und B. eingestickt waren. Das graue Wollhemde stand auf der Brust offen und ließ auch den Hals frei, denn ein Tuch um den Letzteren schien der Alte für einen sehr überflüssigen Luxus zu halten.
Neben der Bank lag ein alter Rucksack, welcher mit knolligen Gegenständen gefüllt zu sein schien. Den Hut hatte der Alte auf seinen Gebirgsstock gestülpt und mit demselben an die Wand gelehnt. Dieser Hut war ein wahres Prachtstück von Kopfbedeckung. Er hatte seit bereits zwei Ewigkeiten die Krempe verloren; ein Löchlein gab es am anderen, natürlich vor Alter, so daß er eigentlich einem Siebe oder Durchschlage glich; durch diese vielen Löcher aber hatte der praktische Alte allerlei Alpenkräuter geschlungen, Aretia, Primula, Soldanella, Saxifraga und andere, so daß der Hut einem Blumentopfe glich, welcher dem Studium der Alpenflora als Anschauungsmittel dienen sollte.
Dieser Alte hieß eigentlich Joseph Brendel. Weil er aber allerlei Wurzelwerk in den Bergen sammelte, von dessen Verkauf er lebte, und die Abkürzung von Joseph Sepp lautet, so wurde er allüberall nur der Wurzelsepp genannt. Er war beliebt nah und fern. Er kam sogar zuweilen hinein in die schöne Hauptstadt München, wo die Apotheker ihn seiner seltsamen Wurzeln und seines ehrlichen, gespaßigen Wesens gern willkommen hießen.
Und die schöne Sennerin? Diese hieß eigentlich Magdalena Berghuber. Sie war ein armes Waisenkind und diente dem reichsten Bauer der Umgegend als Sennerin. Das Gut ihres Herrn lag an einer Muhre, das heißt an einem Erdhügel, welcher aus den Erdmassen entstanden ist, welche von dem Wasser in des Thal herniedergespült worden sind. Aus diesem Grunde wurde sie allgemein nur die Muhrenleni genannt. Der Wurzelsepp war ihr Pathe. Beide hielten große Stücke auf einander und thaten einander schier mehr zu Liebe, als ihre beiderseitige Armuth zu erlauben schien.
Nach Beendigung des Liedes hatte Sepp die Zither neben sich gelehnt, griff in die Tasche und sagte:
»So, da hab'n wir Aans gesungen,
Das hat schön geklungen.
Ein ander Mal thun wir wieder singen,
Und das soll noch schöner klingen.
Jetzt nun will ich mir einen Tobak in die Pfeifen stopfen; dann nehm ich meine Kraxen und mache mich halt auf die Hachsen.«
»Wie?« sagte sie. »Path Sepp, Du willst heute noch abi gehn?«
»Was sonst denn?« lachte er. »Wann ich halt bei Dir blieb, Leni, würden die Leut allbereits sagen, ich hätt' mich in Dich verschamerirt, und das thät da meiner alten Zither weh; die ist die einzige Liebste, die ich noch habe.«
»Geh! Mach kein solch Gespaß! Der Nachmittag ist vorbei, und Du bleibst. Ich mach Dir halt ein schönes Ei auf Butter und geb Dir auch ein Käs und Brot dazu – –«
»O Jerum ja!« fiel Sepp schnell ein. »Und das Alles darbst Du Dir von dem eigenen Munde ab; denn Du bist viel zu ehrlich, um das Ei mit Butter und den Käs mit Brot von Dem zu nehmen, was Deinem Bauern gehört. Gelt, Leni, ich habe Recht?«
»Recht hast, Sepp. Aber mein Vorrath reicht. Und was das Ei betrifft, so hat mir die Bauersfrau eine Henne geschenkt und mit herauf gegeben; ich kann also mit den Eiern, welche die Putte mir legt, machen, was ich will.«
»Legt sie auch die Butter und den Käs dazu?«
»Schweig, Path', und sei nicht so ungut. Ich kann Dich doch nicht so spät noch den schlimmen Steg hinunterkraxeln lassen. Wenn Dir Etwas geschehen sollt, so würde man mir die Schuld geben, und ich könnte es gar nimmer verwinden.«
»Ich weiß, weiß! Du bist ein herzig guts Dirndl und thust Deinem alten Pathen gern alles Liebs und Schöns. Der Herrgott wird Dirs vergelten. Heut aber muß ich doch noch hinunter. Weißt, der Wirth braucht Enzianwurzeln für einen neuen Schnaps. Die muß ich ihm noch heut bringen. Da giebts eine Abendsuppe und ein Bett und auch ein Geld. Wenigstens zwanzig Kreuzer zahlt er mir aus. Du siehst also, daß ich heut noch hinunter muß. O weh! Da schau her! Was für ein Unglück ich hab. Die Pfeif ist da, aber in dem Beutel ist nix mehr. Ich hab halt geglaubt, daß noch ein Rest darin sei. Jetzt muß ich halt von meinem Hute rauchen.«
Er griff nach dem Hute, um die dürren Pflanzen von ihm zu nehmen und in die Pfeife zu stopfen.
»Halt!« sagte die Leni. »Ich will mal sehen, ob ich Etwas für Dich find'!«
Sie ging in die Hütte und kehrte gleich darauf mit einem Päckchen Tabak zurück.
»Da hast, Path Sepp,« sagte sie. »Es ist ein feiner, österreichischer Kaisertabak, glaub ich.«
Er griff schnell zu und schmunzelte vor Freude im ganzen Gesicht. Er hielt das Päckchen empor, betrachtete die Ueberschrift und meinte:
»Ja, wenn ich halt doch lesen könnt! Da aber hat's stets gefehlt bei mir. Aber das kaiserliche Siegel ist schon oben darauf. Also ein Oesterreichischer! Wie kommst denn zu dieser Sorten, Leni?«
Sie erröthete ein Wenig und antwortete dann:
»Es war halt verwichen ein Bergsteiger da; der hatte mehrere solche Packeterle in der Tasche. Da hab ich mir von ihm eins für Dich ausgebeten.«
»Schau, schau, daß Du so immer an mich denkst, Leni. Du bist doch ein herzigs Pathchen! Aber wer war denn dieser Bergsteiger? Etwan Einer von der Grenz' drüben herüber?«
Er zwinkerte dabei ganz verdächtig mit den Augen.
»Mag sein,« antwortete sie möglichst kaltblütig.
»Ein Jäger?«
»Weiß nicht.«
»Oder gar ein Wilderer? Ich hab halt einmal vernommen, daß der Krikel-Anton stets nur vom besten Kaisertabak raucht.«
Sie wendete sich ab, um die Röthe, welche ihr schönes Gesicht überflog, nicht sehen zu lassen.
»Ja, der geht Dich freilich nichts an,« meinte er ein klein Wenig ironisch. »Was hätte denn die Muhrenleni mit so einem berühmten Wilddiebe zu thun. Also kennen thust ihn nicht. Den nämlich, von welchem Du Dir das Packeterl ausgebeten hast; aber rauchen werde ich den Tabak dennoch. So einen feinen und guten hab ich all mein Lebtag nur selten in der Pfeifen gehabt.«
Er begann zu stopfen, und brannte dann an.
»O, ah! Sappermenterl! Der ist halt nobel! Das reine Gewürz! Fast wie Kraußemünz' und Muskatnuß und ein Lorbeerblatt dazu! Riech einmal!«
Er blies ihr einen Mund voll in das Gesicht und fragte triumphirend:
»Na, he! Was sagst dazu?«
Sie wehte sich verständnißvoll mit der Hand den Rauch an das Näschen und nickte bedeutsam:
»Fein, sehr fein!«
»Ja, der ist halt noch besser als Dein Ei auf Butter. Jetzt nun werde ich mich aufmachen. Aber, fast hätte ich vergessen – –was macht denn das vornehme Fräulein da drüben?«
Er zeigte mit der Hand nach einer gegenüber liegenden Höhe, welche mit dem diesseitigen Felsen durch eine fast lothrechte Steinwand verbunden war, über deren scharfen Kamm sich wohl kein Mensch herüber oder hinüber gewagt haben würde.
»Meinst' die Mondsüchtige?« antwortete sie. »Schau, bei Der ists halt gefehlt. Der Arzt hat ihren Eltern gerathen, sie in die reine Luft des Hochgebirges zu bringen. Da sind sie da hinüber gezogen, aber es ist nicht besser geworden. Sie nachtwandelt noch ebenso wie früher.«
»Was thut sie denn da?«
»Sie steigt auf dem Berge herum und über die Felsen hinweg und hat dabei die Augen immer zu.«
»Herrgott!! Wenn sie nun halt abi stürzt!«
»Das thut sie nicht. Ein Nachtwandler fällt gar niemals nicht, außer wenn man ihn anruft. Wenns sie unterwegs Jemand trifft, so darf Dieser kein Wort sagen, um sie nicht aufzuwecken. Dann sagt sie allerlei Geheimnißvolles zu ihm, was er ist und was er denkt und was er erleben wird.«
»Also eine Weissagende noch dazu?«
»Ja.«
»Hat sie Dir auch bereits geprophezeit?«
»Nein. Ich bin ihr stets aus dem Weg gangen.«
»Daran thust recht. Die Mondsucht ist eine wunderhafte Krankheit, daran man nicht mit ordinären Fingern greifen darf. Jetzt aber ist's genug. Leni. Die Pfeifen dampft, und die Sonn' geht hinab. Da muß ich nun auch abi steigen. Horch! Wer ist das?«
Es schallte aus der Tiefe ein lauter, durchdringender Juchzer empor. Der Aelpler ist da gewohnt, sofort zu antworten. Leni schritt an den Rand der Höhe vor, hielt die Hände rechts und links an den Mund, ein natürliches Sprachrohr bildend, und jauchzte wieder:
»Juhuuu! Holterroihoooo!«
Es schallte von unten abermals herauf, und die Leni antwortete wieder. So erklang es mehrere Male herauf und hinab, bis man die Stimme von unten deutlich verstehen konnte:
»Dirndl, laß Dichs nicht grämen,
Du hast ja doch Alls,
Hast ein wunderliebs Köpfchen
Und ein Kröpfchen am Hals!«
»Ein Trutzgesangerl,« sagte Leni. »Diese Stimme kenn ich. Es ist der Jäger-Naz. Wart, ich werd ihm gleich antworten!«
Naz ist die Abkürzung von Ignatius. Jäger bedeutet so viel wie Landgensd'arm, Flurschütz. Das Mädchen sang als Antwort hinab:
»Du schreist wie ein Truthahn
Und singst wie ein Pfau;
Davon thut halt das Ohr weh,
Und Alles schreit Au!«
Der Wurzelsepp lachte und meinte:
»Das war brav! Ich kann den Kerl halt auch nicht leiden. Polizei muß sein, und Polizei ist nothwendig. Der Polizei hat man viel zu danken; aber ein guter Polizist wird sich niemals zum Hausspionen erniedrigen. Horch!«
Von unten herauf erscholl es:
»Das Dirndl hat Zähnerl
So weiß wie ein Schnee,
Doch sind sie halt eingesetzt,
Drum thut ihr keins weh!«
Leni antwortete sofort, ohne sich zu besinnen:
»Fall nicht in die Schüssel,
Könntst nimmer 'rausgucken,
Ich thät Dich ja gleich so
Im Löffel 'neinschlucken!«
»Bravo, bravissimum!« lachte der Alte, indem er sich vor Vergnügen mit den beiden flachen Händen auf die Oberschenkel klatschte. »Giebs ihm, giebs ihm!«
Der Jäger aber, welcher näher und näher kam, ließ sich nicht irre machen. Er sang:
»O Du Herzerl, Du Tauserl,
Hast 'n Kopf wie ein Mauserl
Und ein Herzerl wie Wachs –
Krumme Bein' wie ein Dachs!«
Um die Wirkung dieses Trutzgesanges zu verstärken, schoß er sein Gewehr ab. Leni antwortete:
»Der Jäger hat geschossen
Aber 's Schießen nicht könnt
Und hat bei der Gelegenheit
Sich den Schnauzer verbrennt.«
In den Alpen sind nämlich solche Gestanzeln und Tutzlirder gang und gäbe. Der Eine beginnt, und der Andere antwortet. Es geht herüber und hinüber, und ein Jeder ist der Dichter der Reime, welche er singt. Der Jägernaz sang noch einen Vers. Leni antwortete ihm nicht wieder. Sie meinte zu ihrem Pathen:
»Wahrhaftig, er kommt zu mir! Ich habe gemeint, er will den anderen Pfad emporsteigen nach der Nachtwandlerin; jetzt aber hör ich, daß er meinem Weg geblieben ist. Was thue ich?«
»Fürchtest Du ihn etwa?«
»Nein; aber er ist mir zuwider; er ist ein so sehr zudringliches Mannsbild.«
»Was? Wie? Hat er Dich etwa einmal falsch anrühren wollen? Dana – –«
Der Alte hob die beiden Fäuste in die Höhe.
»Er hat es gewollt, aber es ist ihm halt nicht gelungen.«
»Das glaub ich. Du bist ein Mädel, welches halt seinen Mann stellt. Aber besser ist besser. Wird er lange hier bleiben?«
»Nein. Er bleibt niemals lange hier; ich sorge schon dafür.«
»So will ich noch ein Wenig warten. Wehe ihm, wenn er meine Path unrecht anblickt. Sag ihm aber nix, daß ich auch da bin!«
Er ergriff Zither, Hut, Rucksack und Bergstock, um sich zu verstecken.
Die Sennerin aber sagte:
»Brauchst keine Angst um mich zu haben. Dort steht mein Beschützer, der Peter.«
Sie deutete nach der Grasalpe, welche sich hinter der Hütte hoch emporzog. Dort weideten die Kühe und Ziegen. In der Nähe der Sennhütte war eine sogenannte Salzlecke angebracht, ein breiter, seichter Holztrog, mit Viehsalz gefüllt. Die Wiederkäuer lecken gern von dem Salze, und ein solcher Trog erleichtert das Zusammenhalten einer Heerde ungemein.
Ebenjetzt befand sich der Held und Pascha der Ziegenheerde dort, ein großer, ungewöhnlich starker Ziegenbock. Er war es, den die Sennerin als ihren Beschützer bezeichnete. Der Wurzelsepp meinte aber:
»Das Vieh kann Dir da nix helfen. Es ist besser, ich bleibe da.«
Er verschwand in der Hütte, blieb aber nicht in dem Sennerraume, sondern trat in das daneben liegende Heustadel, um von dem Jäger nicht gesehen zu werden, wenn dieser in der Hütte nachforschen sollte, ob Jemand da sei.
Kaum hatte der Alte sich verborgen, so tauchte der Jäger hinter den Felsen auf, hinter denen sich der Bergpfad in die Tiefe stürzte. Leni hatte sich indessen auf die Bank gesetzt und eine höchst unbefangene Miene angenommen. Er kam herbei, blieb vor ihr stehen und stemmte das Gewehr mit dem Kolbes auf die Erde:
»Grüß Gott, Schatz!«
Sie schwieg.
»Hörst etwa nicht?«
»Meinst etwa mich?«
Sie blickte erst jetzt zu ihm auf.
»Wen sonst? Ist etwa noch eine Andere hier?«
»Nein. Aber wenn Du »Schatz« sagst, mußt halt doch eine Andere meinen.«
»Oho! Willst mein Schatz nicht sein?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil Du mir nicht gefällst.«
»Nicht? Wie müßt ich denn sein, wenn ich Dir gefallen sollte?«
»Ganz das Gegentheil von jetzt.«
»Und Jäger dürft ich etwa auch nicht sein?«
»Warum nicht?«
»Weil die Polizei nirgends beliebt ist und auf der Alm gar erst recht nicht.«
»Schwatz nicht so dummes Zeug. Die Polizei muß sein. Sie ist vom Herrgott und von unserem guten König Ludwig eingesetzt. Ohne Gesetz und Polizei könnten wir nicht bestehen, und ohne sie würde es sehr bald drunter und drüber gehen. Also warum sollten wir die Polizei nicht leiden können? Wir ehren und achten sie. Da hast meine Antwort.«
»Nun, wenn das so ist, warum willst da nicht mein Schatz sein? Warum magst mich nicht?«
»Weil Du eine richtige Zuwiderwurzel bist, auf die man Leibgrimmen bekommt, wenn man sie nur anschaut.«
»Der Andere ist wohl besser?«
Er blickte sie höhnisch von der Seite an. Sie erhob den Kopf, sah ihm voll in das Gesicht und fragte:
»Welcher Andere?«
»Nun, der Wilddieb, der Krikel-Anton!«
Ihre Wangen erbleichten, ob vor Schreck oder vor Zorn, das war nicht bestimmen. Doch zwang sie sich, in ruhigem Tone zu antworten:
»Was soll mich der Wilddieb angehen?«
»Was er Dich angehen soll? Sehr viel, denke ich. Denkst etwa, man weiß nicht, daß Ihr einander kennt?«
Da stand sie von der Bank auf, stellte sich hoch vor ihn hin und sagte:
»Was ich denk, das geht Dich nix an, und was Du weißt, das ist mir ganz egal. Wer bist überhaupt, daß Du zu mir gestiegen kommst und mich Schatz nennst? Nenne so wen Du willst, aber mich nicht! Ich habe mit Dir nix zu schaffen.«
Er nickte ihr hämisch zu und antwortete:
»Meinst? Aber ich habe mit Dir zu schaffen. Ich komme aussuchen.«
»Aussuchen? Was suchst?«
»Den Krikelanton.«
»Bei mir?«
»Ja, bei Dir! Du bist seine Liebste.«
Da trat sie so rasch auf ihn zu, daß er zurückfuhr. Ihre kleinen Hände ballten sich.
»Jetzt laß mich aus! Nennst mich noch einmal so, dann hat es gefehlt: Merke Dir es! Der Anton war im Winter auf dem Saal, und Keiner hat ihn gekannt. Er hat mit mir getanzt, freilich nur mit mir. Aber hätt ich es gewußt, wer er war, so hätt ich es ihm abgeschlagen. Wer nun aus diesem Grunde sagt, daß er mein Schatz sei, der ist ein schlechter Kerl und will mir an meiner Reputation Schaden machen. Ich bin ein armes Waisenkind und hab Keinen, der mir hilft. Darum ist es doppelt schlecht, mir solche Lügen nachzureden!«
»Wie? Du hast keinen?«
»Nein.«
»Auch den Wurzelsepp nicht?«
»Der ist immer fern von hier.«
»Ja, der ist der richtige Thunichtgut, der echte Landstreicher. Er stiehlt die Pflanzen und Wurzeln und betrügt die Leute damit. Wenn ich ihn einmal mit seinem Rucksack erwische, so kann er sich in Acht nehmen!«
Das Mädchen war im Gesicht feuerroth geworden. Ihre Stimme zitterte, als sie antwortete:
»Höre, Jäger, thu mir und Dir den Gefallen, zu schweigen! Meinen Pathen laß ich mir nicht verschimpfirn! Wenn Du noch ein solches Wort über ihn sagst, so hole ich aus und gebe Dir eine Waatschen, daß Du von hier ins Thal hinunterfliegst und drüben den Berg wieder hinauf! Wann nur alle Leuteln so brav wären wie der Sepp; dann wäre es gut in der Welt. Braver ist er, als Du es bist. Merke Dir es!«
»Ja, er ist brav, und Du passest sehr schön zu ihm. Denn wenn der Krikelanton mit Dir getanzt hat, so wird er Dich wohl auch heimgeführt haben, und das Herzen und Bußeln wird eine Lust gewesen sein.«
»Er ist eher gangen als ich. Ueberhaupt brauche ich nie keinen Heimführer. Und mit dem Herzen und Busseln ists auch nix. Ich würde mich da schon zu wehren wissen.«
»Auch gegen mich?«
Er hatte das Gewehr gegen die Wand gelehnt.
»Gegen Dich erst recht!«
»Wollen einmal schauen!«
Er trat auf sie zu! Sie blieb stehen, selbst als er die Arme öffnete.
»Was willst?«
»Einen Bussel.«
»Geh da hinauf und bussel die Rothscheckene! Sie steht ganz so mundgerecht da für Dich.«
Sie zeigte hinauf nach den Kühen und schnippste dabei so laut mit den Fingern, daß der Ziegenbock es hörte. Das war ein Zeichen für ihn. Er spitzte die Ohren und blickte scharf her.
Die rothscheckige Kuh stand bergan, mit den Vorderfüßen oben, mit dem Hintertheile abwärts.
Daß dies mundgerecht für den Jäger sein solle, ärgerte ihn ungeheuer. Er wollte nun erst recht auf seinem Willen bestehen und sagte:
»Nein, Dich will ich küssen! Und wenn Du nicht willst, so mußt Du!«
Er sah gar nicht, daß der Wurzelsepp nahe hinter ihm den Laden des Heustadel geöffnet hatte und seinen Bergstock heraussteckte, um dem Zudringlichen eine Lehre zu geben. Er ergriff die Leni am Arme.
»Peter!« rief sie.
Der Ziegenbock war wie ein Hund. Er duldete nicht, daß seiner Herrin Gewalt angethan werde. Er kam herbei gesaust, wie aus einer Kanone geschossen.
Leni riß sich vom Jäger los. Schon dadurch verlor dieser einen Theil seines Gleichgewichtes. In demselben Augenblicke senkte der Bock die Hörner und sprang mit solcher Macht gegen ihn ein, daß er niedergeschmettert wurde und sich mehrere Male überkugelte. Freilich wollte er sich schnell wieder erheben, aber er kam gar nicht dazu, denn das zornige Thier stieß immerfort auf ihn ein und bearbeitete ihn so mit den Hörnern, daß ihm alle Rippen krachten.
»Hilfe, Hilfe!« brüllte er. »Ruft die Bestie fort, sonst massakrire ich sie!«
»Massakrire sie doch!« sagte Leni ruhig.
Der alte Wurzelsepp aber hatte sich in den Laden des Heubodens geschwungen, schlug sich vor Entzücken mit der Faust den Schenkel und brüllte förmlich vor Lachen:
»Herrlich, herrlich! Nein, so ein Gaudium! Nein, so eine Passion! Da möchte man vor Freud gleich die Beine über den Kopf zusammenschlagen. Peter, immer fest, drauf wie Blücher! Hoppsa, hurrah, zur Attacke geblasen, träterätätäh tschinkterumbumbum!«
Der Alte war nämlich früher Soldat und zwar Cavallerist gewesen, das Einzige, worauf er sich Etwas einbildete. Er hatte eine Wunde auszuweisen und war stolz darauf, sein Blut für das Vaterland vergossen zu haben. Darum trug er an Sonn- und Feiertagen das Bändchen im Knopfloche, welches sein Kriegsherr ihm als Ehren- und Erinnerungszeichen geschenkt hatte.
Leni war zufrieden gestellt, von dem Zugdringlichen befreit zu sein. Sie glaubte, die Lehre, welche er erhalten hatte, sei hinreichend genug, und darum rief sie den Bock zurück. Das Thier gehorchte sogleich, stellte sich aber in Positur, bereit, sofort wieder auf den besiegten Gegner einzuspringen.
Dieser stand auf, kupferroth vor Wuth. Er sprang nach seinem Gewehr und erhob es zum Schusse.
Da aber sprang der alte Sepp vom Laden herab, faßte ihn am Arme und rief:
»Was thust! Willst Du Dich an fremdem Eigenthum vergreifen, Jäger! Weißt nicht, was Das zu bedeuten hat!«
»Laß mich aus!« rief der Zornige. »Ich erschieße ihn!«
»Das wirst bleiben lassen! Verstanden!«
»Er hat mich gestoßen. Er muß sterben!«
»Er hat nur seine Herrin beschützt. Was werden Deine Vorgesetzten sagen, wenn sie erfahren, daß Du auf die Alm steigst, um Mädchen Gewalt anzuthun und Ziegenböcke zu erschießen! Nimm Dich überhaupt in Acht. Der Bock ist tapfer; er kommt wie Ziethen aus dem Busch. Er steht schon wieder parat und wird Dich gern und gut den Berg hinabkugeln.«
Der Jäger sah ein, daß es gefährlich für ihn sei, seinem Grimm zu gehorchen. Er senkte den Lauf des Gewehres und fuhr den Alten an:.
»Was thust hier auf der Alm?«
»Was ich thue? Schau, Jäger, ich habe halt kein Geld, um in den Circus zu gehen; darum steig ich den Berg herauf und hab halt mein Vergnügen daran, zuzuschaun, wenn Ziegenböck sich stoßen. Das ist billiger und aber auch so hübsch.«
»Kerl, willst mich beleidigen!«
»Dich? Das fallt mir gar nicht ein!«
»Bist etwa schon längst hier?«
»Bereits schon ehe Du kamst.«
»Und hast mich belauscht!«
»Ja. Es war sehr amüsemangerant.«
»Das will ich mir verbitten!«
»Schön! Erst will ich die Bürsten holen, um Dich abzukehren, und dann kannst weiter reisen, mit Extrazug, vierter Klasse, auf der falschen Weiche mit Eisenbahnzusammenstoß, bums. Alles vom Bahndamm hinunter!«
Er trat in die Hütte. Der Jäger aber hielt es für das Beste, auf das Abbürsten zu verzichten. Er zischte der Sennerin zu:
»Das sollst bezahlen, theuer bezahlen! Ich weiß schon, wie. Denk an den Krikelanton!«
Und ganz nahe zu ihr herantretend, fügte er hinzu:
»Daß Du es weißt: Er ist über die Grenze herüber, gestern bereits, und hat bei uns reviert. Die Wege sind alle besetzt; er kann nicht mehr hinüber. Wir halten eine Hetzjagd, und wenn wir ihn fangen, so spaziert er in's Zuchthaus. Dann, wenn Du mit ihm tanzen willst, kannst hinein zu ihm gehen. Musik werden sie Euch da schon machen. Jetzt steig ich hinauf nach dem Joch, um es zu besetzen. Kommt er etwa da hinauf, so gebe ich ihm gleich die Kugel vor den Kopf. Leb wohl, Sennerin!«
Er ging. Hinter der Sennhütte blieb er stehen, um sich den Schmutz von den Kleidern zu wischen; dann stieg er bergan.
Jetzt kam der Sepp wieder zur Thür heraus. Er hatte die Kuhstriegel in der Hand.
»Ist er bereits fort, Leni?«
»Ja.«
»Das ist jammerschad. Ich wollte ihm doch das Fell glatt machen. Wie hat er mich genannt? Einen Spitzbuben und Betrüger. Herrgottsakra? Ich will es ihm aber nicht nachtragen, denn er hat es halt im Zorn gesagt, und er ist jung. Wenn sein Haar einmal die Farbe verloren hat, wie das meinige, so wird er ruhiger geworden sein. Aber schön von Dir war es, Leni, daß Du mich so gut vertheidigt hast. Du bist ein wahrer Advocat und Rechtsgelehrter. Dein einziger Paragraph lautet, die Leute zum Berge hinunterwerfen, daß sie wieder hinauffliegen. Nun bist Du den Kerl los und ich kann endlich abi steigen.«
»Willst wirklich fort, Sepp?«
»Ja, ich muß. Du weißt ja.«
Er warf den Rucksack um, stülpte den Staatshut auf den Kopf, hing die Zither an das Band, ergriff den Bergstock und verabschiedete sich:
»Behüt Dich Gott und die heilige Jungfrau, meine liebe Leni! Bald kraxle ich wieder einmal herauf zu Dir, wann ich wieder in diese Gegend komme. Denk an den Sepp, Lenerl, denk an ihn; Du bist seine einzige Freud in der Welt, Du und die Zither und – das Bändel im Knopfloch. Und das sag ich Dir: Wann Du meinen Juchezer hörst, so antwortest mir fein hübsch!«
Er reichte ihr die Hand und küßte sie auf die Stirn. Seine Augen waren feucht. Auch in den ihrigen standen Thränen.
»Behüt Dich Gott, Sepp! Nun hab ich schon gar keine Freud mehr, daß Du fortgehst. Aber ich will Dich nicht bitten, denn ich weiß, daß es doch nix nützen würde. Ich werd sehr oft an Dich denken, Pathe. Bleib gesund. Ich bitte die heilige Mutter Gottes, daß sie Dich beschützen und behüten möge allwegs, wo Du gehst und stehst!«
Sie stellte sich an den Rand des Felsens, um ihn so lange wie möglich zu sehen und seine Jodler deutlich zu hören. Er stieg langsam bergab, tiefer, immer tiefer. Als er den Abhang erreichte, da, wo der steile Pfad um die Felsenecke bog, blieb er stehen, hielt die Hand an den Mund und sang mit heller Stimme:
»Holderoijooooh!«
»Holderoijooooh!« antwortete es von oben herab.
Und nun begann er, Worte und Melodie gleich aus dem Stegreife bildend:
»Und die Leni ist eine Brave,
Und die Leni ist eine Feine,
Und wie die Leni, wie die Leni
Ist gar nirgends noch Eine!
Juch, juch, juch!«
Der Juchzer erschallte als Echo von dem Felsen zurück, und dann ertönte die Stimme der Sennerin:
»Und der Sepp mit dem Rucksack
Und der Sepp ist mein Path,
Und der Sepp ist mir lieber
Als ein Offizier und Soldat.
Juch, juch, juch!«
Die Muhrenleni war bekannt und sogar berühmt als die beste Jodlerin weit und breit. Ihre Stimme hatte einen »ungeheuren Umfang und außerordentliches Metall«, wie der Cantor unten im Dorfe sehr oft gesagt hatte. Das war jetzt zu hören. Es war, als ob die Berge bebten, so mächtig drang es aus der Brust des schönen Mädchens hervor.
Wenn ein Kenner diese Stimme gehört hätte, er hätte die arme Sennerin ganz sicher aus der Hütte und von der Alm hinweg genommen, um eine gefeierte Künstlerin aus ihr zu bilden. Dem Sepp lachte das Herz im Leibe, zumal er durch die Worte des Jodlers so hoch geehrt wurde. Darum gab er auch seiner Stimme größere Stärke, als er zum zweiten Male begann:
»Und da drüben und da droben.
Wo der Ziegenbock springt
Und da steht halt die Leni,
Die den Wurzelsepp ansingt.
Juch, juch, juch!«
Sofort antwortete sie:
»Der König hat eine Krone,
Und der Sepp hat einen Hut
Und der König wird mein Mann nicht.
Doch dem Sepp, dem bin ich gut.
Juch, juch, juch!«
Dabei schwenkte sie ihr weißes Taschentuch. Der Alte hatte keins, viel weniger ein weißes. Er behandelte seine Nase nicht so vornehm. Hatte er ja einmal den Schnupfen, was aber so selten vorkam, daß er sich auf den letzten gar nicht mehr besinnen konnte, so behandelte er die Patientin mit den Fingern. Das war billiger und auch viel bequemer. Darum konnte er nicht auch mit einem »Nastuche« winken, sondern er nahm den Rucksack vom Rücken und schwenkte ihn über den Kopf, daß die Wurzeln heraus- und umherflogen. Er sah es und rief erschrocken:
»Herrgottsakra! Da fliegen meine Gulden und Kreuzer umher! Das hat man davon, wenn man mit einem schönen Mädchen Gestanzeln macht Nun kann ich das Zeug nur gleich wieder zusammensuchen!«
Er blickte umher und erschrak noch tiefer als vorher. Während des Wechselgesanges war ein Mann hinter der Felsenecke hervorgetreten und hatte mit Erstaunen zugehört. Er trug die Tracht des Gebirges, Bergschuhe, Halbstrümpfe, Joppe, Weste, breiten Gürtel, einen kleinen Hut mit Edelweiß und Spielhahnfeder, einen Rucksack auf dem Rücken und ein Gewehr von der Achsel herab. In der mit kostbaren Ringen geschmückten Hand hielt er den Bergstock, welcher oben mit einer Gemskrikel (Gemshorn) versehen war. Auch die schwere, goldene Uhrkette ließ vermuthen, daß dieser Herr sich in besseren Umständen befinde als der Wurzelsepp.
Er war von sehr hoher, kräftiger, imposanter Figur. Sein Gesicht hatte einen edlen, vornehmen, durchgeistigten Ausdruck. Die Züge waren bedeutend. Das Auge zeigte bei aller Schärfe etwas Weiches, Unbestimmbares, fast möchte man sagen, Mystisches. Der Eindruck der ganzen Persönlichkeit und des von einem wohlgepflegten Barte gezierten Gesichtes war ein Ehrerbietung erweckender.
Als Sepp ihn erblickte, reckte er sich staunend empor und rief:
»Millionenschockteuf – – – ah, oh! Da hätt ich fast beinahe geflucht! Ists denn möglich?«
»Was?« fragte der Fremde.
»Daß Du der Ludwig – nein, daß Sie der Ludwig bist! O nein, daß Du – daß Sie – Herrgottsakra! Jetzt geht mir halt gar noch der Verstand in die Luft, grad wie die Wurzeln!«
»Welchen Ludwig meinst Du denn?«
»Na, den Zweiten!«
»Ich verstehe Dich noch nicht.«
»Das glaube ich. Ich bin ja vor Freude, nein, vor Verlegenheit – nein, auch nicht, Jesses, Jesses – vor lauter Dummheit so außer Rand und Band gerathen, daß ich mich halt selbst schon gar nicht mehr kenne. Aber warten Sie! Jetzt werde ich es wohl richtig fertig bringen!«
Er schlug die Fersen militärisch zusammen, richtete sich stramm empor, präsentirte den Bergstock wie ein Gewehr und meldete:
»Sie sind Königliche Majestät Ludwig der Zweite von Bayern, mein allergnädigster Gebieter und Herr! Ich aber bin halt nur der Wurzelsepp! Ja, ist's nun so richtig?«
»Ja, mein Guter,« lächelte der König. »Woher kennst Du mich?«
»Ich habe Sie drin in München gesehen und sodann auch in Hohenschwangau, auf Lindenhof, Schloß Berg und auch am Chiemsee.«
»So weit kommst Du herum!«
»Alleweile ja, und auch noch viel weiter. Um meinen lieben König zu sehen, würde ich auch nach Lappland rennen und zu den Negern. Freilich, man muß sich schon eine Mühe geben, um dieses hohe Glück zu haben: aber ich meine halt, ein König braucht sich auch nicht von einem Jeden gleich so angaffen zu lassen.«
»Da hast Du Recht. Wer ist denn eigentlich die Sängerin, welche da so schön sang:
»Doch der König wird mein Mann nicht,
Doch dem Sepp, dem bin ich gut!«
Sie heirathet also Dich lieber als mich.«
»Jess', Maria, Jossepp! Ich glaube gar! Ich meine vielmehr, daß sie Euer Majestät tausendmal lieber nehmen würde als mich, ihren Pathen. Es ist die Leni, die Muhrenleni, Königliche Hoheit, ein Mädchen wie eine Bachstelze, so sauber und wie Gold so rein und so treu.«
»So bin ich also auf dem richtigen Wege. Ich will zu ihr.«
»Was! Wie! Wo! Majestät wollen zur Leni? Hurrah! Da muß ich sogleich vorauf springen und es ihr sagen, damit sie schnell einen Schmarren oder einen Gugelhopf oder eine tüchtige Dampfnudel backen mag!«
Er wollte fort.
»Halt! Front!« commandirte der König, und der Sepp gehorchte. »Sie darf nicht wissen, wer ich bin. Ich habe gehört, daß da oben herum ein Bär sein Wesen treibt; den will ich haben, und damit ich morgen früh gleich wohlauf bin, will ich bereits heut zur Halbscheidt emporsteigen und in der Sennhütte bleiben. Man hat mir gesagt, daß es bei dieser Sennerin sauber sei?«
»Wie in einem Schatzkästerl, Majestät. Die Leni ist ja selbst ein schmuckes, bildsauberes Leutle. Na, Majestät werden das ja bald selbst gleich weghaben. Aber den Bären giebt es da oben nicht. Der hält sich jenseits der Alpe auf, wo er erst vorgestern wieder in einen Stall gebrochen ist.«
»Ich weiß es und will dort hinüber. Ich verbiete Dir, irgendwo davon zu erzählen, daß Du mich getroffen hast. Aber zum Oberförster magst Du gehen und ihm sagen, daß ich bei der Leni bin, wo er sich morgen mit dem Frühesten einzufinden hat. Hier hast Du Etwas!«
Er zog die Börse und reichte dem Sepp ein Goldstück entgegen. Der Alte fuhr zurück, als ob er eine giftige Otter angreifen solle.
»Heiliger Johannes! Nein, Majestät. Soll ich mir einen Weg bezahlen lassen, den ich für meinen guten König und Herrn thun soll? Nein und tausendmal nein! Eher lasse ich mir die Finger abhacken. Welch eine Freude, für unsern Herrscher laufen zu können! Herrgottsakra, ich würde für ihn zum Mond empor klettern, wenn ein Strick von da oben herunterhing! Und für die paar Schritte soll ich mich bezahlen lassen! O, da kennen Majestät den Wurzelsepp doch noch nicht richtig!«
»Es soll ja keine Bezahlung sein. Mein Bild ist darauf; das schenk ich Dir zum Andenken.«
»Ach, ist es so! Nun, da mag es geschehen. Also her damit, Herr König! Das soll mir ein Andenken sein, bis sie mich in's Grab legen!«
Während er die Doppelkrone einsteckte, fragte der König:
»Ist die Leni arm?«
»Wie eine Kirchenmaus, Majestät. Sie ist ein Waisenmädel und hat weder Kind noch Keg – – Donnerstag, da hätte ich fast eine Dummheit gesagt! Woher soll denn bei so einem braven Dirndl das Kind kommen, und nun erst gar der Kegel! Nein, sie hat keinen Anverwandten.«
»Und sie singt gern?«
»Den ganzen, geschlagenen Tag, besonders aber in der Früh und Abends, grad wie eine Amsel. Es ist, als ob sie mit Mehlwürmern und Ameiseneiern gefüttert würde. Lassen Sie sich halt Etwas vorsingen; aber richten Sie ein Compliment von mir aus, und sie soll Sie gut aufnehmen. Sie hat nicht gern mit den Stadtherren zu thun, die alle nix taugen. Meine Empfehlung aber gilt sehr viel bei ihr, denn ich bin der Pathe.«
»Schön! Erst aber wollen wir Deine Wurzeln wieder auflesen.«
Er bückte sich. Da rief der Alte:
»Nein, nein! Kreuzschockschwerebrett! Jetzt werde ich mir auch noch von meinem König die Wurzeln aufklauben lassen! Das kann ich schon selbst thun.«
Aber seine Einrede wurde nicht beachtet. Der König hatte an dem Alten Wohlgefallen gefunden und weidete sich an der glückstrahlenden Verlegenheit desselben. Dann schieden sie, wobei Sepp eine so tiefe Verbeugung machte, daß ihm der Rucksack vom Rücken über den Kopf herabfiel.
Der Monarch hatte nicht weit zu steigen. Leni stand, als er oben ankam, an der andern Seite des Hauses; er sah sie also nicht und stieß nach der dortigen Sitte einen Juchzer aus. Sofort kam sie um die Ecke geeilt.
»Grüß Gott, Muhrenleni!«
»Grüß Gott auch! Ja, kennst mich denn?« fragte sie, ihn betrachtend.
»Ja; ich hab von Dir gehört. Gefall ich Dir?«
»So halb und halb! Wannst nicht ein Stadtherr wärst, so könnst mir halt besser gefallen.«
»Ich will diese Nacht bei Dir bleiben.«
»Da in der Hütten drin?«
»Ja.«
»Jesses! Da kommst falsch an. Geh weiter!«
»Ich kann nicht weiter.«
»Wer bist denn?«
»Ich hab mein Amt und Geschäft drin in München und heiße Ludwig. Der Wurzelsepp, Dein Pathe, kennt mich sehr gut und läßt Dir sagen, daß Du mich gut aufnehmen sollst.«
Sie blickte ungläubig zu ihm auf.
»Obs auch wahr ist!«
»Es ist wahr. Ich habe da unten an der Felsenecke mit ihm gesprochen. Sehe ich denn wie ein Lügner aus?«
»Na, sauber und accurat bist schon, und ein guts Gesicht hast auch, so ein braves und vornehmes. Ich werde Dich also behalten. Setz Dich einstweilen daher auf die Bank, bis ich wiederkomme. Ich muß die Rinder und Ziegen in den Stall heimsen.«
»Bleiben die heut nicht im Freien?«
»Sie könnten wohl; aber da jenseits giebt es einen Bären, eine große Rarität und Seltenheit, der sich von drüben herüber verlaufen hat. Wenn der dahergekraxelt käme und mir eine Kuh erwürgte, so könnte ich in meinem ganzen Leben schon gar keine Freud nicht mehr haben.«
Sie ging. Er setzte sich und blickte ihr wohlgefällig nach. Als sie dann die Thiere getrieben brachte, beobachtete er ihre Bewegungen, nickte befriedigt vor sich hin und sagte im Stillen:
»Große Stimme, schöne Gestalt, gewandte Bewegungen, Umsicht und Gewissenhaftigkeit! Sie soll mir in die Schule. Das giebt eine Sängerin, einen Stern am Kunsthimmel. Ich glaube, ich habe da eine Brunhild, eine Walküre, eine Isolde gefunden.«
Als sie dann die Heerde getränkt und in den Stall geschlossen hatte, meinte sie:
»Ein Bett werde ich Dir im Heu machen, ein schönes, weiches. Jetzt nun wirst aber auch Hunger haben?«
»Ja. Hier im Rucksack befindet sich Allerlei. Mach, was Du daraus bringst. Du sollst mit mir essen und mir dann von Dir erzählen.«
Sie gewann Vertrauen zu ihm und gab sich ganz so, wie sie war. Sie aßen zusammen, grad als das Ave Maria-Glöckchen aus dem Thale emporschallte. Da er nicht so schnell das Messer weglegte wie sie, sagte sie:
»Mach, daß Du Dein Ave hersagst! So ist das hier oben bei mir Mode!«
Dann saßen sie vor der Sennhütte auf der Bank. Leni hatte ganz zutraulich neben ihm Platz genommen. Sie erzählte von ihrem Leben; es war still, einfach und ärmlich verflossen; aber das kleinste Ereigniß gab ihr Gelegenheit, ganz unbewußt ein reiches, tiefes, gemüthvolles Seelenleben zu entwickeln und eine Urtheilsschärfe zu entfalten, über welche sich der König höchlichst wunderte.
»Hast auch einen Schatz?« fragte er.
»Nein. Ich kenn Einem, dem bin ich halt seelensgut; aber er weiß nix davon und ist ein Wilderer. Da mag ich ihn nicht. So bleib ich also ledig, so lange ich lebe. Glaubst's wohl nicht? Das Herz hat nur eine Lieb, und thut man die begraben, so steht sie nimmer wieder auf.«
Das klang so selbstbewußt und so rührend, daß er ihre Hand ergriff und theilnehmend sagte:
»Du bist ein braves Mädchen. Schau, die Alpen glühen.«
Die Firnen leuchteten goldig- und dann purpurroth, bis sie dunkelten. Dann ging der Mond auf; er war voll und goß sein magisches Licht über die träumende Alpenwelt.
»Jetzt solltest Du ein Lied singen!« bat der König.
»Ich bin nicht lustig dazu. Wannst mich ansingst, so will ich schon antworten. Oder kannsts nicht?«
»Es wird schwer gehen,« lächelte er.
»Hast etwa keinen guten Schulmeister gehabt im Singen? Das ist schade!«
»Na, er war schon klug, aber ich hatte kein Geschick.«
»Versuchs halt nur einmal!«
Es überkam ihn eine eigenthümliche Stimmung. Er stand auf, trat einige Schritte vor und sang:
»Gen Berg bin ich gelaufen,
Gens Thal bin ich gerennt
Da hat mich mein Schatzerl
Am Juchzen erkennt.«
»Schau, es klingt halt gar nicht so übel. Horch!
Ein Pferderl, hott hott
Und ein Schlitten, tschin, tschin
Und ein Büberl, ein Dirndel
Die sitzen darin.«
Jetzt hatte sie einmal angefangen und sang nun fort. Er hörte ihre herrliche Stimme, aber er folgte dem Texte wohl kaum. Sie sang Lustiges und Trauriges. Er hörte zu, bis sie müd wurde und endlich sagte:
»Jetzt ists genug. Geh in Dein Bett; ich werde Dir leuchten.«
Er war es zufrieden. Er fühlte sich als Mensch, nicht als Majestät, ganz unter dem Banne ihrer Stimme und ihrer reinen, thaufrischen Mädchenhaftigkeit. Sie hatte ihm auf dem Heu mit reinem Linnen, welches eigentlich für sie selbst bestimmt war, ein sauberes Lager bereitet, sagte ihm gute Nacht und kehrte dann in den vorderen Raum zurück.
Er wollte schlafen und konnte doch nicht. Daran war nicht allein der ungewohnte starke Duft des Heues schuld. Er mußte an Leni denken. Er war überzeugt, ein Wesen gefunden zu haben, aus welchem eine gottbegnadete Künstlerin heranzubilden sei, und dachte über die Wege nach, auf denen dies zu geschehen habe.
Da hörte er draußen schleichende Schritte. Es schien Jemand an den Brettern des Stadels zu probiren. Wer war das? Es tappte und tappte und stieß gegen die Holzwand. Sollte es ein Dieb sein? Oder hatte die Sennerin doch einen Geliebten?
Er stand auf, stieg vom Heu herab und trat zu Leni ein. Sie saß auf dem Schemel, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, und schlief. Das Licht hatte sie nicht ausgelöscht. Er zögerte, sie zu wecken, sie, die jedenfalls den Schlaf nothwendig brauchte. Er nahm sein Gewehr, schob leise den Riegel von der Thür und trat hinaus.
Der Mond war höher gestiegen. Die Alm war fast tageshell erleuchtet. Wie unter mattem, flüssigem Glase lag das Thal. Die Spitzen der Berge schienen den Sternenhimmel zu berühren. Herr, wie viele sind Deiner Werke. Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll Deiner Güte!
Ludwig horchte. Er konnte nichts hören. Das Schleichen war auf der anderen Seite gewesen. Er wollte dorthin und ging auf den Fußspitzen um die Ecke, das Gewehr schußfertig in der Hand. Hier gab es Schatten. Er mußte noch um die nächste Ecke, um auf die Seite zu gelangen, auf welcher er das Geräusch gehört hatte. Er bog also auch um diese Ecke und – –rannte mit einem Wesen zusammen, welches in demselben Augenblicke von jenseits um die Ecke biegen wollte. Die Büchse entfiel ihm; er hatte keine Zeit, das Gewehr aufzuheben, denn das betreffende Wesen war ein Thier, ein – –Bär.
Der König sprang blitzschnell zur Seite. Mit eben solcher Schnelligkeit aber folgte ihm das Thier. Auch hier waren an der Mauer Scheite von Brennholz aufgeschichtet. Der König riß eins an sich, holte aus und schmetterte es dem Bären auf den Kopf – ganz erfolglos. Es war, als habe er mit einem kleinen Hammer auf ein Ambos geschlagen. Er holte zum zweiten Hiebe aus. Der Bär richtete sich empor und streckte die Pranken nach ihm aus. Der Streich fiel, und das Holzscheit prellte dem Könige aus der Hand. Ein brüllendes Brummen war die Antwort des Bären. Er öffnete den Rachen – da blitzte es hart hinter dem Könige auf. Ein Schuß krachte, und zu gleicher Zeit wurde er von einem mächtigen Rucke zur Seite gerissen, so daß er auf ein Knie niederstürzte.
Als er sich schnell wieder erhob, erblickte er einen Menschen, welcher dem zu Boden kollernden Bären die Klinge in das Herz stieß und dann gedankenrasch wieder zurücksprang. Ein Zucken, ein Röcheln – das Thier war todt.
»Herr, mein Gott! Das war Hilfe in der Noth!« seufzte der König tief auf.
»Bist wohl kein Jäger?« fragte der Andere.
»Warum?«
»Sonst hättest müssen wissen, daß man, wenn man einen Bären schießen will, nicht so unvorsichtig um die Ecke biegt. Da steckt man erst vorsichtig nur derweilen die Nasen herum. Ist die Luft rein, so kann sich der Körper dann nachschieben. Und den Stutzen hast halt auch weggeworfen!«
»Ich ahnte nicht, daß es ein Bär sei.«
»Nicht? Was hast denn gemeint?«
»Ein Mensch.«
»Schau, das ist schön, sehr schön! Hast den Bären für den Menschen genommen. Jetzt kannst mir die Freud machen, mich für den Bären zu halten!«
»Wer bist Du?«
»Nein, wer bist Du?«
»Ich bin aus der Stadt.«
»Das merkt man schon bereits sehr gut. Heb Deine Büchsen auf, und lege Dich mit ihr in's Bett. Sie ist Dir heut zu nix mehr nütze.«
Da hörte man Schritte. Die Sennerin kam herbei. Sie erblickte zuerst die hohe Gestalt des Königs.
»Bist Du es, der geschossen hat?« fragte sie. »Was ists? Ich wachte von dem Schusse auf. Dein Stutzen war fort und Du auch, als ich nach Dir schaute.«
»Dieser Bär wollte in den Stall,« antwortete er.
Jetzt erst erblickte sie das riesige Thier und zugleich den anderen Mann. Sie schlug vor Schreck die Hände zusammen.
»Ein Bär! Wohl derjenige von drüben? Ist er auch todt?«
»Ja.«
»Der heiligen Jungfrau sei Dank! Welch ein Unglück hätte er angerichtet, wenn Du ihn nicht erschossen hättest. Du, ein Stadtherr!«
»Nicht ich habe ihn erlegt. Dieser Mann ist es gewesen.«
»Der? Ja, wer ist denn der?«
Der Andere stand still und bewegungslos da. Sie konnte, da sie sich im Schatten befanden, sein Gesicht nicht deutlich erkennen. Darum trat sie näher zu ihm heran und sah ihn sich an.
»Jesses Maria! Der Anton, der Anton! Wie kommst denn Du denn auf meine Almerei, mitten in der Nacht? Weißt nicht, daß – – –«
Sie hielt inne, denn sie erkannte, daß sie ihn beinahe verrathen hätte. Es war der Krikelanton, der Wilderer, den sie suchten.
Krikel werden die Hörner der Gemsen genannt. Den Namen Krikelanton hatte er erhalten, weil er am schnellsten Einem, der ein Gemshorn mit aus den Bergen heimnehmen wollte, es ihm verschaffen konnte, ein so gewandter Jäger war er.
Er wollte ihr eine Antwort geben, deutete aber statt dessen vorwärts nach der hohen, bereits erwähnten Felswand und sagte:
»Heilige Maria! Wer ist das dort?«
Auf dieser Wand, in schwindelnder Höhe, kam nämlich eine weiße Gestalt langsam herüber geschritten, so sicher, als ob sie sich auf ebener Straße befindet.
»Ists möglich! Ein Weib da oben!« sagte der König erschrocken.
»Es ist die Mondsüchtige,« erklärte Leni. »Herrgott! Der Felsengrat ist da oben kaum einen Fuß breit! Betet, daß sie nicht herunterstürzt.«
Sie eilte vor nach der vorderen, vom Monde beleuchteten Seite des Hauses, von wo aus man die Nachtwandlerin besser beobachten konnte. Dort kniete sie nieder, um zu beten.
Die beiden Männer folgten ihr. Das Auge des Königs hing mit Grauen an der Gestalt, welche über einer Tiefe von wohl sechshundert Fuß schwebte und doch langsamen, gemessenen Schrittes, wie ein Gespenst, herüber schritt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Er wagte kaum, zu athmen.
Unten die dämmernde Tiefe, ringsum die im Monde glänzenden Firnen, helles Licht neben dunklen Schatten, und dort die hell beschienene Wand mit der geisterhaften, weißen Gestalt – es war wie ein Traum, aber ein entsetzlicher Traum.
Endlich hatte die Geheimnißvolle den Grat hinter sich und schritt auf grasiger Weide langsam grad auf die Sennhütte herzu.
»Wer ist sie?« fragte der Könige
»Eine Fremde,« antwortete Leni.
»Woher? Wie heißt sie?«
»Ich weiß es nicht. Nur der Bürgermeister weiß es. Sie soll eine sehr vornehme Dame sein. Wir nennen sie nur die Nachtwandlerin. Sprecht kein Wort zu ihr, kein einziges, sie mag thun und reden, was sie will! Sie kommt, sie kommt herbei!«
Es graute den Dreien ganz so, als ob sie eine übernatürliche Erscheinung vor sich hätten. Sie blieben wie festgebannt stehen.
Die Mondsüchtige kam immer näher; sie mußte an den Dreien vorüber. Schon konnte man ihr Gesicht erkennen. Sie trug ein langes, weißes Nachthemde und das Haar unter eine eben solche Haube geordnet. Ihre Gestalt war hoch, voll, ihr Gesicht bleich und schön. Man sah, daß sie die Augen geschlossen hatte. Dennoch schritt sie ganz sicher daher, nicht etwa probirend und zaudernd.
Jetzt war sie da. Sie konnte nichts sehen, aber als ob sie fühle, daß sich Menschen hier befänden, blieb sie stehen, wie überlegend, wendete sich zu Leni um, trat auf sie zu und betastete sie mit den Spitzen der Finger langsam, sehr langsam und prüfend. Der Sennerin stockte der Athem. Sie war nicht furchtsam und befand sich ja auch nicht allein hier, aber die nächtliche Erscheinung und die Berührung derselben wirkte auf eine unbeschreibliche Weise auf die Nerven und Sinne.
Da zog die Nachtwandlerin die Finger zurück, erhob warnend die Rechte und sagte deutlich und in tiefem Tone, ohne die Augen zu öffnen:
»Ein König nimmt Dich an die Hand,
Führt Dich in goldne Pforten ein.
O traue nicht dein eitlen Tand,
Und trau der Liebe nur allein!«
Es war eine Art Schüttelfrost, welcher die Drei überlief. Die Gestalt trat zu dem Wilderer und betastete ihn ebenso. Dann sagte sie, dir Hand ebenso warnend erhebend:
»Du steigst empor und stehst, vom Licht
Umflossen und bewundert da.
»Verstoß, verstoß die Seele nicht,
Der durch Dich schweres Leid geschah'.«
Er regte sich nicht. Er hätte jetzt kein Wort hervorbringen können. Die Mondsüchtige wendete sich jetzt zu Ludwig. Es kam ihm der Gedanke, zurückzutreten; aber mit magischer Gewalt hielt es seine Füße fest. Als sie jetzt mit den zarten, eiskalten Fingerspitzen über sein Gesicht und seine Brust, dann auch über seine Hände strich, war es ihm, als ob ein bewegliches Etwas in seinem Körper diesem Striche folge, von der Stirn bis in die Spitzen seiner Finger herab. Er vermochte nicht, den Blick von den mystisch schönen, marmornen Zügen der Nachtwandlerin zu wenden.
Diese legte, ganz entgegengesetzt als bei den beiden Anderen, die Arme über der Brust zusammen, verbeugte sich tief und erhob nun erst die warnende Hand, mit deutlicher Stimme sagend:
»Du bist geboren in dem Himmelszeichen.
Dess' Strahl den Edelsten verführt.
Laß Deinen Geist ja nicht in Höhen steigen.
In denen er sich selbst verliert!«
Sie blieb noch einige Sekunden lang mit erhobener Hand vor ihm stehen, dann trat sie zurück, wendete sich von ihnen ab, deutete empor nach dem Firmamente und sagte laut und volltönend:
»Der Seher schöpft aus ew'gem Quell,
Um den des Himmels Sel'gen wandeln.
Die Gaben fluthen in Euch hell,
Und dunkel nur ist Euer Handeln!«
Dann entfernte sie sich wieder, in genau derselben Richtung, aus welcher sie gekommen war.
Der König stand bewegungslos, mit fast übernatürlich geöffneten Augen. Von welchem Himmelszeichen hatte dieses Weib gesprochen? Welche gefährliche Höhen hatte sie gemeint? War sie allwissend? Hatte sie wirklich aus einem himmlischen Quell geschöpft? Konnte er daran zweifeln, nachdem sie zu der Sennerin gesagt hatte: »Ein König nimmt Dich an die Hand« –? War er nicht fest entschlossen gewesen und nun erst recht entschlossen, Leni die Hand zu bieten, um sie aus dem Dunkel in die lichte Welt der Kunst und des Ruhmes einzuführen?
Er wurde aus diesem Sinnen durch die Stimme der Sennerin erweckt:
»Herrgott! Sie steigt wieder auf den Felsengrat!«
»Wollen wir sie rufen?« fragte Anton. »Dann erwacht sie und bleibt zurück.«
»Nein, nein! Sie ist bereits oben, wo die fürchterliche Gefahr beginnt. Rufen wir sie, so stürzt sie hinab und zerschmettert in der Tiefe.«
Sie blickten ihr schaudernd nach. Ihre helle Gestalt schwebte zwischen Leben und Tod, denn der Schlaf war Leben, das Erwachen aber sicherer Tod für sie. Kein noch so leises Wanken verrieth die geringste Unsicherheit ihrer Schritte, ihrer Bewegungen. Nicht ein einziges Mal verwickelte sich ihr Fuß in dem Saume des langen Gewandes. Und diese angsterregende, nervenspannende Scene beleuchtete der Vollmond mit friedlichem, freundlichem Lichte, bis die Geheimnißvolle langsam drüben im Schatten verschwand, welchen die schräg gegenüberliegende Höhe auf den Hintergrund der Felsenwand warf.
Jetzt erst holten die Drei laut und tief Athem. Es war ihnen, als ob sie aus einer Verdammniß erlöst seien, und dennoch lauschten sie noch minutenlang, ob nicht ein Schrei ertöne, als Beweis, daß die magnetisch Schlafende doch noch zuletzt in die jähe Tiefe gestürzt sei. Es blieb Alles still.
»Gott sei Lob und Dank!« sagte Leni. »Das mag ich im ganzen Leben halt nicht wieder sehen und hören. Erst war ich starr vor Entsetzen. Jetzt nun zittern mir alle Glieder.«
»Dir hat sie das Beste gesagt,« bemerkte Anton. »Ein König wird Dich an die Hand nehmen.«
»Das Deinige war auch schön. Du wirst bewundert sein und von Licht umflossen.«
»Möcht wissen, wer mich bewundern sollte! Das ist Schnickschnack.«
»Warte es ab,« sagte der König. »Was für ein Geschäft hast Du?«
»Was werde ich sein! Ein armer Wildheuer. Ich hab eine alte Mutter und einen noch älteren Vater, die Beide nix mehr arbeiten können. Eine Gais haben wir auch und eine kleine, magere Kuh, ein Häusle dazu, wo man gleich durch die Wand hinein in die Stuben laufen kann und wo die Diele schwimmt, wenn es ein Bisle regnet. Die Kuh und die Gais wollen fressen. Da wir aber weder Wiese noch Feld haben, so steige ich hinauf an die Abgründe, wo kein Anderer sich hintraut und wo nur noch der Adler wohnt, und hole das Gras und Heu herab, was dort noch zu finden ist und was keinem Herrn gehört als nur Dem, der sein Leben an jeden Halm hängt und mit dem Tode um die Wette lacht. Das ist ein Wildheuer, Herr. Und für diese Müh und Gefahr hab ich all' Tag ein Stückle trocken Brod, weiter nix.«
»Das ist freilich schlimm!«
»Und wann ich nun da aufi steig und Hunger hab und weiß, daß die Eltern ebenso hungern wie ich, und der Herrgott schickt mir einen Gamsbock zu, damit ich ein bischen Fleisch nach Hause bring, und ich schieße ihn weg, so kommt das Gesetz und steckt mich in's Zuchthaus, und die Eltern mögen nur gleich in das Wasser gehen oder sich mit einand in den Abgrund stürzen, daß es halt aus ist mit der Noth.«
»So bist Du ein Wilderer?«
»Hast Du noch nicht von dem Krikelanton gehört?«
»Ja. Bist Du der etwa?«
»Ja, der bin ich, Herr.«
»Ich habe gehört, daß man Dich heut hier sucht.«
»Ja, ich weiß es. Ich hab einen Gamsbock geschossen, um dem Vater Fleisch zu bringen; dabei hat man mich ertappt, ich aber bin entwischt. Seht meine Hände an, wie blutrünstig sie sind, und meine Kniee und die Füße halt ebenso. Ich habe mich an Felsenkanten festgehalten und an Wänden fortgegriffen, wo nie ein Mensch hinkommen wird, um nicht gefangen zu werden. Sie haben auf mich geschossen. Dann kam ich hier hinüber und sah den Bären durch die Felsen laufen. Ich folgte ihm nach im Mondlicht. Ich hatte Hunger und wollte mir ein Stück von seinem Fleische holen und auch die Senner von dem Spitzbuben befreien. Er lief hierher. Ich kam grad noch zu rechter Zeit, um ihm den Appetit zu verderben. Er hätte Dich ein Wenig aufgefressen.«
»Ja, Du hast mir das Leben gerettet. Ich hoffe, daß ich Dir dankbar sein kann.«
»Sprich davon nicht. Ich habe meine Pflicht halt nicht des Dankes wegen gethan. Willst Du gut sein mit einem Verfolgten, so gieb mir nur ein Stückle Brod und einen Schluck Wasser; dann will ich weiter gehn und schaun, ob ich meine Eltern wiederseh oder in irgend einem Abgrunde die Bewunderung finde, von welcher die Mondsüchtige zu mir gesprochen hat.«
»Dein Wunsch soll erfüllt werden, doch sage auch, ob Du irgend eine vorzügliche Gabe besitzest.«
»Eine Gabe? Hm! Ich bin halt ein Bergsteiger und ein Schütz, mit dem es kein Zweiter aufzunehmen vermag. Weiter nix.«
»Hast Du nicht eine besondere Lust zu irgend einer Kunst oder Wissenschaft?«
»Nein. Ich kann halt ein Wenig lesen und meinen Namen schreiben. Eine andere Wissenschaft kenne ich nicht. Und eine Kunst? Ja, zeige mir eine Gams, und ich hole sie Dir, sie mag hingehen, wohin sie will. Von anderen Künsten kann ich nicht reden.«
»So hilf mir, den Bären in die Hütte schaffen; dann kannst Du essen, so viel Du willst, und nachher mit im Heustadel schlafen.«
»Danke sehr! Werde mich hüten! Am Besten ist es, ich habe den freien Himmel über mir. In einer Hütte würden sie mich gleich ergreifen.«
»Würdest Du Dich nicht wehren?«
»Gott behüte, nein. So ein Hallunk bin ich schon nicht, daß ich Einen niederschieße, um der verdienten Strafe zu entgehen. Aus Noth schieße ich mir eine Gams, aber ein Menschenmörder bin ich nicht.«
»Das ist brav gedacht. Du hast gefrevelt, aber es kann Dir wohl vergeben werden. Nur mußt Du von dem Bösen lassen und bessere Wege gehen.«
»Das wollte ich gern. Gieb mir aber Arbeit, irgend welche, mit der ich mich und meine Eltern redlich ernähren kann, und ich werde weder meinem Kaiser noch dem König von Bayern eine Gams mehr wegschießen. Ich hab das Leben satt. Schau, was für ein tüchtiger Jägersmann könnte ich werden, wann ich so eine Anstellung bekommen thäte. Aber an Unsereinen kommt so Etwas nicht.«
»Mach eine Supplik an Deinen Kaiser!«
»Wo denkst halt hin! Bei dem bayrischen König ging das wohl eher, aber ich bin halt ein Oesterreicher und kein Bayer.«
»So, warum ginge es bei ihm eher?«
»Das will ich Dir sagen. Er ist ein feiner Herr, der in Allem etwas Appartes haben will. Ein Wilderer, der ein Jäger wird, schau, das ist so etwas Appartes. Ihm thäte ich es zutrauen, daß er zu mir spräche: »Anton, Du hast mir bis jetzt die Gamsen ohne meine Erlaubniß weggeschossen, von heut an sollst Du es mit meiner Erlaubniß thun, und ich gebe Dir sogar noch ein Salair dazu. Ja, der Ludwig, der thäte das, wenn ich so richtig von der Leber weg mit ihm reden könnt. Aber er ist ein Wenig menschenscheu; da kann man nicht hinan. Und wie so dankbar wollte ich ihm sein! Herrjesses! Mein Leben thät ich für ihn lassen!«
Er hob beide Arme hoch empor und schnipste zur Bekräftigung seiner Worte mit den Fingern. Seine dunklen Augen glänzten; das sah man trotz der Nacht. Er war ganz begeistert von dem Gedanken, von der Wilderei ablassen und ein anderes Leben führen zu können, bei dem es nicht mehr nothwendig war, mit den Gesetzen und der Polizei in Conflict zu kommen.
Leni war ganz gerührt davon. Sie sagte:
»Ja, der Anton ist ein Braver. Er hat noch Keinem ein Leid angethan. Und wann er hätt', was er und seine Eltern für den Schnabel brauchen, dann wär er ein Bub, vor dem man schon bereits immer einen Respect haben müßt'. Das kannst halt glauben, Herr.«
Da ergriff der Wilderer schnell ihre Hand und rief im Tone des Glückes:
»Leni, das, was Du da sagst, ist so wahr wie das heilige Sakrament. Du hast mich nur zweimal gesehen, heut zum dritten Male, und während alle Anderen Angst vor mir haben und mich meiden, hast Du mit mir getanzt und mich nicht verachtet. Heut sprichst wieder für mich. Das werde ich Dir nie vergessen.«
»Plausch kein dummes Zeug nicht, Anton? Ich hab' mit Dir getanzt, weil ich Dich selbiges Mal nicht gekannt hab'. Du hast ein gutes Aug' und ein aufrichtig Gesicht. Darum hab' ich Dir nicht zuwider handeln können. Denn weißt, das Gesicht ist halt das Aushängeschild, was der Herrgott dem Menschen 'geben hat. Auf Deinem steht ein gut Gemüth und ein fröhlich Herz, und einem Menschen, der dieses Beids hat, dem darf man wohl Vertrauen schenken.«
Da fragte der König lächelnd:
»Was habe denn ich für ein Aushängeschild?«
»Du hast ein gar besonderes, sauberes und vornehmes. Gut bist auch, wohl seelensgut, und können thust auch Etwas. Das, was in Dir steckt, das sieht man Dir gleich an der Nasenspitzen an. Vielleicht bist ein Stadtschulmeister oder gar ein Stadtverordneter, denn die schauen Alle so vornehm und appart aus, als wenn sie halt von Zucker gebacken wären, und man darf ihnen nicht zu nahe kommen. Aber das Herz hast doch auch auf dem richtigen Flecke, wenn Du meinswegen auch ausschaust, als ob Du Einen mit einem einzigen Worte oder Blicke zur Maulsperre bringen könntst. Ists so oder nicht?«
»Hast nicht ganz schlecht gerathen.«
»Nicht wahr! Ja, wir auf den Bergen sind auch nicht von gestern oder gar von ehegestern. Nun aber macht, daß der Bär herein kommt in die Hütten. Dann wollen wir schlafen. Wer früh aufwachen will, der muß sich doch zuvor erst niedergelegt haben.«
Sie ging nach der Ecke, wo das erlegte Raubthier lag. Dasselbe war ausgewachsen und schwer; aber den drei urkräftigen Personen gelang es doch, es in die Hütte zu schaffen. Dann sagte Leni:
»So ists gethan. Und nun will ich Dir auch ein Lager machen, Anton, wo sie Dich nicht finden, wann sie ja kommen und nach Dir fragen sollten. Der Herr wird wohl ein Einsehen haben und Dich nicht verrathen.«
»Nein,« antwortete Ludwig. »Ich verrathe Dich gewiß nicht.«
»Meinst wirklich?« fragte Anton, ihn mißtrauisch forschend anblickend.
»Ja. Ich gebe Dir mein Wort darauf.«
»Das gilt nix. Ihr Stadtherren seid nicht allemal Diejenigen, welche gern Etwas auf ihr Wort geben.«
»Ich will da nicht mit Dir rechten. Aber sage selbst, ob ich hier stände, wenn Du nicht im rechten Augenblicke gekommen wärst?«
»Nein. Du ständst halt nicht da, sondern Du lägst draußen beim Bär und er hätte Dich allbereits halb und halb verspeist.«
»Du hast mir also das Leben gerettet. Könnte ich da so schlecht sein, Dich an die Polizei zu verrathen?«
»Ja, schlecht wäre es wohl von Dir; aber wer sagt mir, daß Du es auch wirklich nicht thust?«
»Ich sage es, und wenn Du es nicht glaubst, so soll es mir sehr leid thun. Uebrigens mache, was Du willst! Gehe, oder bleibe. Mir soll Beides recht sein. Für alle Fälle aber will ich Dir zeigen, daß ich nicht undankbar bin.«
Er griff in die Tasche und zog seine Börse.
»Willst mir halt wohl ein Geldl geben?« fragte Anton.
»Ja.«
»Das laß nur schön bleiben, wenn Du mich nicht beleidigen willst. Um Bezahlung stehe ich keinem Menschen gegen ein Wildthier bei. Da kennst den Krikelanton schlecht!«
»Und Du verstehst mich falsch. Ich will Dir doch nicht etwa Deine muthige That bezahlen. Du hast Dein Leben gewagt, das läßt sich nicht mit Geld abmachen. Und das meinige, nämlich mein Leben – nun, es giebt Leute, welche sagen würden, daß es sich auch nicht so genau auf den Pfennig berechnen läßt, wie viel es werth sein könnte. Also kann ich Dir weder für Dein noch für mein Leben ein Geld bezahlen. Aber Du hast mir gesagt, daß Du arm bist und oft mit Deinen Eltern hungern mußt.«
»Ja, Herr, das ist freilich rechtschaffen wahr.«
»Nun, so will ich Dir etwas für Deinen Vater geben. Es soll ein Geschenk für ihn sein, damit er sich etwas Kräftiges für sein Mahl anschaffen kann.«
»Wenn es so ist, dann nehme ich es, Herr. Ich hab halt kein Recht, ein Geschenk zurückzuweisen, welches für den meinigen Vater bestimmt ist.«
»Gut, hier hast Du.«
Er legte ihm eine Anzahl Goldstücke in die ausgestreckte Hand. Anton machte ein höchst erstauntes Gesicht, zählte sie und sagte dann:
»Hast Dich wohl verrechnet. Das sind halt grad an die fünfzehn Doppelkronen, also nach der neuen Münz dreihundert Mark. Das ist ja grad ein Vermögen!«
»Ich irre mich nicht. Ich gebe es Dir. Nimm es Deinen Eltern mit!«
»Ja, bist denn bei Trost, Herr! Bist so gewaltig reich, daß Du ein solch Summa summarum verschenken kannst, he?«
»Ich habe Vermögen. Diese dreihundert Mark verspüre ich gar nicht, wenn sie mir fehlen.«
»Heilige Wassersuppen! So möcht ich alleweil mit Dir tauschen! Ich verspür es allbereits, wenn mir ein Pfennig aus dem Sack gerutscht ist. Also, machst Ernst? Wirklich?«
»Wirklich! Behalte es!«
»Na, dann Gottes Segen über Dich und über Deine Frau. Hast doch eine?«
»Nein.«
»So reck halt die Arme aus! Wer solche Geldln verschenken kann, dem hängen sich gleich zwanzig Mäderln an jeden Finger, den er ausstreckt. Herrgottsakra! Wird das ein Freuden und Jubilerei sein, wann ich die Goldfüchs auf den Tisch zähl'. Ich glaub, den Vattern nimmts vor Freud den Verstand, und die Muttern wird weinen als obs zur Kirmiß regnen thät! Hab Dank! Hier hast mein Pratschen; schlag ein! Und wenn Du einmal den Krikelanton brauchst, so laß ihn rufen. Er geht durchs Feuer für Dich, und nicht nur einmal, sondern so oft es gut und nothwendig für Dich ist.«
Er gab dem König die Hand, welche dieser ergriff und herzlich schüttelte. Bei dieser Gelegenheit bemerkte Ludwig, daß der Wilderer sich die ganze Haut der inneren Handfläche abgeschunden hatte.
»O weh!« sagte er. »Das muß ja schmerzen!«
»Ja, schmerzen thuts freilich. Und schau auch die Knie, wie blutrünstig sie sind! Aber was ist das gegen die Freud, meinen Eltern das Geld mitzubringen. Ich fühl halt keinen Schmerz nicht mehr. Und wann die Leni herzgut ist und mir ein Branntweinerl giebt, so reib ich mir mit demselbigen die Wunden ein und bekomm allzumal sogleich eine neue Haut darauf.«
»Den sollst haben,« sagte das Mädchen. »Und Du, lieber Herr, bist ein braver Bub, daß Du an dem Anton seinige alten Eltern denkst. Hast auch mir eine große Freuden damit gemacht. Ich werd Dir am Morgen einen Kaffee kochen, der so dick sein soll, daß Du drinnen auf dem Kopf stehen kannst, ohne umzufallen. Für so ein guts Haxerl wie Du kann man schon allemal ein Uebrigs thun. Aber, schau, wollen wir den Bären noch bei der Nacht aufthun oder willst nun wieder ins Heu gehen?«
»Wir können ihn bis zum Morgen liegen lassen. Der Schlaf ist auch nothwendig. Wird der Anton sich mit hinaus zu mir legen?«
»Nein. Wo denkst hin! Wann sie kämen, so hätten sie ihn ja sogleich. Nein, ich weiß da ein besseres Nest, wo er einischlupfen kann.«
»Wenn sie auch kämen, sie würden ihm doch nichts thun.«
»Meinst? Da kennst die Jäger und die Gegend sehr schlecht. Sie würden ihm ein paar Handstrickerle umbinden und ihn fortschaffen, da hinein, wo die Eisenstäbe vor den Fenstern sind anstatt der Sonnenfächer. Nein, so weit wolln wir es halt doch nicht kommen lassen.«
»Sie würden es doch nicht thun. Weißt Du, Leni, ich bin in der Residenz gar gut bekannt und bei Denen von der Polizei.«
»So denkst etwa, sie lassen ihn laufen, wenn Du ihnen ein gut Wort vergönnst?«
»Ja.«
»Glaubs nicht, glaubs nicht! Da gilt die Freundschaft nix. Sie müssen ihre Pflicht thun.«
»Und wenn sie es thäten, so würde ich Fürsprache halten. Das hilft.«
»Nix hilft es, gar nix! Hast etwa einen Vetter bei der Polizei?«
»Gar im Ministerium.«
»Na, das ist halt schön. So einen Vettern kann man oft sehr gut gebrauchen. Besser aber ists doch, man hat ihn gar nicht nöthig. Heut will ich dem Anton sein Ministeriumvetter sein und ihn so gut verbergen, daß ihn auch die Katz nicht finden könnt, selbst wenn sie sich eine Brillen auf die Nas klemmen thät.«
»Du scheinst in solchen Dingen viel Erfahrung zu besitzen, Leni?«
Diese Worte klangen etwas scharf.
»O nein. Ich hab keiner Polizei und keinem Gericht das Geringst' zu verheimeln; aber wann so ein armer Schacherl kommt, den sie abgetrieben haben, weil er seinen Eltern ein Brot schießen will, so thut mirs im Herzen weh und ich such einen Winkel, wo er sich einhuscheln kann, bis die Luft wieder rein' für ihn ist. Meinst etwa, daß dies ein Unrecht ist?«
»Ja, jedenfalls.«
»So will ichs auf Seel' und Gewissen nehmen. Der Herrgott wird ein Einsehen haben und es mir nicht allzu hoch anrechnen, wann ich später mal die Augen zuthue. Also geh Du zu Bett. Du brauchst nicht zu wissen, wohin ich den Anton steck. Und wann Du ganz sicher schlafen willst, so schieb den innerigen Riegel vor; da beißt Dich keine Maus und auch kein Bär. Schlaf wohl!«
Dies war in einem so bestimmten Tone gesagt, daß der König lächelnd meinte:
»Du scheinst eine gestrenge Herrin zu sein, der man gehorchen muß!«
»Du hast fernerhin Recht. Ich bin die Sennerin, und wer nicht thut, was ich ihm sag, der kann hinaus spazieren. Aber, gelt, hasts doch nicht etwa bös genommen?«
»O nein.«
»Es war auch nicht so gemeint. Für einen solchen Herrn, der ein solch Geschenk macht, habe ich halt keine Grobheiten in der Tasche. Schlaf also wohl, Herr, und wann Du träumst, so träume auch ein Bisserl von der Leni und von dem Kaffee, den sie Dir am Morgen aufikochen wird.«
Sie reichte ihm die Hand. Er drückte dieselbe sehr freundlich und trat in das Heustadel. Die Beiden hörten, daß er den Riegel vorschob, wie Leni es ihm gerathen hatte. Er that dies, um ihnen die Ueberzeugung zu geben, daß er sie nicht belauschen wolle. Anton aber nahm es anders. Er sagte:
»Hörst, daß er den Riegel herüberthut? Er fürchtet sich vor dem Wilderer.«
»O nein. Er sieht gar nicht so aus, als ob er sich vor Etwas fürchten könnt.«
»So fürchtet er sich nicht vor mir, sondern davor, mit mir hier getroffen zu werden. Hat er sich eingeriegelt, so muß man ihm glauben, wenn er sagt, daß er von meinem Hiersein gar nix weiß.«
»Das ist aber grad recht, grad gescheidt von ihm.«
»Ja, gescheidt ist es; aber ich bin auch so klug und trau ihm nicht.«
»Dazu hast keine Ursache nicht. Du hast ja gesehen, wie dankbar er ist. Er wird Dich nicht verrathen.«
»Wer weiß es! Hat er etwan nicht gesagt, daß es nicht recht von Dir ist, wenn Du mich verbirgst?«
»Das hat er doch nicht so gemeint, daß er Dich wohl ausliefern möcht, wann sie kommen. Weißt, wohin ich Dich steck?«
»Nun?«
»Ueber den Stall in's Stroh. Der Stall stößt an den Berg und hat im Dach ein Guckloch. Kommen sie ja und suchen nach Dir, so kannst in der Noth zu demselben Loch hinaus und bist gleich auf dem Berg.«
»Und Du?«
»Ich? Was ich? Was meinst?«
»Was wird dann mit Dir?«
»Was soll mit mir werden? Nix.«
»Das denkst nur; aber es wird doch anders. Wann sie kommen und ich reiß aus, so merken sie, daß Du mich versteckt hast, und dann nehmen sie Dich mit anstatt meiner.«
»Und ich geh auch etwan mit?«
»Jawohl.«
»O Du talketer Hanns! Weiß ich denn, daß Du bei Nacht kommen bist und Dich in meinem Stall versteckt hast? Gar nix weiß ich, gar nix!«
»Das ist freilich pfiffig!«
»Hast mich etwa für unpfiffig kaufen wolln?«
»Nein.«
»Sonst hättst auch nicht zu mir kommen brauchen!«
Jetzt machte er eine rasche Wendung mit der Schulter, blickte dem Mädchen forschend in die Augen und fragte:
»Du denkst, ich hab zu Dir kommen wollen?«
»Ja. Bist ja da bei mir!«
»Das wär schön, das wär sehr schön von mir! Da wär ich ja gar nicht werth, daß Du mich nur mit einem Auge anschaust.«
»So begreif ich Dich nicht.«
»Hast denn nicht gehört, was ich vorhin gesagt hab? Daß ich dem Bären nachgegangen bin?«
»So hast gar nicht eine Zuflucht in meiner Hütten suchen wollen?«
»Nein.«
»Hältst mich für eine Verrätherin?«
»Wie könnt ich das, Leni! Du bist das bravst und best Dirndl weit und breit; wie könnt ich einen derigen Gedanken auf Dich haben! Aber grad deretwegen, weil ich weiß, wie gut Du bist, und weil ich so große Stücke auf Dich halt, ist es mir gar nicht in den Sinn kommen, Deine Hütten aufzusuchen. Ich bin verfolgt, und man hat alle Wege besetzt; wer mir ein Obdach giebt, der wird bestraft. Kann ich ein Freuden daran finden, grad Dich mit in's Unglück zu ziehen? Nein, ich hatte mich droben in den Felsen versteckt. Da kam der Bär, und ich ging ihm nach. Nun hab ich ihm den Garaus gemacht und werd wieder gehen.«
»Wohin?«
»Das weiß ich freilich nicht. Ich muß halt schauen, wo sie mir ein Loch offen gelassen haben, durch welches ich schlüpfen kann.«
»Das siehst aber doch nicht bei Nacht!«
»Ich wart bis zum Tag.«
»Nein. Wie leicht könnt Jemand kommen. Dann geht es mit über Dich hinein.«
»Denke das nicht. Ich kann Dich nicht fortlassen. Du bist matt und mußt schlafen. Du hast Hunger und Durst und mußt essen und trinken.«
»So thu ein Uebriges und gieb mir ein Käs und Brot und ein Wasser. Dann geh ich fort und schlaf droben auf dem Berge.«
»Etwa beim Jägernaz?«
»Ist der da oben?«
»Ja, er ging vor dem Dämmern hier vorüber und sagte mir, daß er Dich fangen will.«
»Er ist Dein Schatz?«
»Der? Mein Schatz? Eher heirathet der Keller die Feueresse!«
»Aber alle Leuteln sagen es!«
»Was! Wie können sie das sagen! Wer hat gesehen, daß ich mit dem Naz freundlich bin?«
»Er selbst sagt es.«
»Er selbst? So lügt er es!«
»Er sagt all überall, Du seist sein Schatz, und er erzählt, daß er des Abends zu Dir auf die Alm emporsteig und des Morgens wieder hinab.«
»Das hat er gesagt? Das hat er erzählt, der Erzhallunk? Was thu ich nur mit ihm? Was thu ich? Weißt, ich hab einen Käs draußen, der wiegt über dreißig Pfund. Den schlag ich ihm so lange um die Ohrlapperln, bis er sich für eine Käsemaden oder für einen Käsemadrig hält, der Lump, der unverschämte!«
»Also ists wirklich nicht wahr?«
»Hasts etwan gar geglaubt?«
»Nein. Hätt ers zu mir erzählt, so hätt ich ihn zu Boden geschlagen, daß er vergangen wär wie Luft. Der Kerl ist mir Gall' und Aloe; er ist mir Gift und Opperment. Er hat's nur grad immer auf mich abgesehen, und wenn wir einmal zusammengerathen, so kann es gar leicht kommen, daß er in Scherben geht, wie ein alter Milchkrug, den man zur Trepp hinunterkollert!«
Beide, er und sie, waren zornig geworden. Sie standen hoch aufgerichtet vor einander. Selbst der Neidischeste hätte sagen müssen: ein prächtiges Paar. Sie funkelten sich gegenseitig mit den Augen an, als ob sie untereinander zornig seien. Das fühlte Leni. Sie stieß ein lustiges Lachen aus und sagte:
»Schau, sind wir nicht die richtigen Hansnarren? Ereifern uns, als ob wir gegen einand ärgerlich seien, und haben uns doch gar nix gethan!«
»Hast Recht! Dieser Kerl ist nicht werth, daß wir von ihm reden.«
»Aber nimm Dich halt nur in Acht vor ihm.«
»Hast Sorg' um mich?«
»Nein. Bist ja selber Manns genug!«
»Dachte, Du wärst ein Wenig bange.«
»Warum sollte ich das?«
»Weil – weil – – na, weil ich halt ein Bursch bin und Du ein Dirndl.«
»Geh! Bange ist man doch nur um den Schatz.«
»Und der bin ich nicht?«
Sie stemmte die vollen, kräftigen Arme in die Hüften und antwortete:
»Nein? Du wärst mir der Richtige!«
»Warum?«
»Weil Keine Dein Schatz sein kann, keine Einzige.«
Er wechselte die Farbe.
»Habe ich etwan nicht Recht?« fragte sie.
»Weiß nicht.«
»Du weißt es; Du mußt es wissen. Schau, Du bist so ein sauberer Bub und ein guter dazu. Du bist arm; aber es gäb viele, viele Dirndln, welche sich freuen thäten, wenn sie Dich haben könnten. Aber Du gehst auf dunklen Wegen, und überall ist die Polizei hinter dir. Dein Dirndl befänd sich stets in der Gefahr, auch mit auf das Amt zu müssen. Und wenn Du sie nähmst, was sollte werden? Eines Tages brächten sie Dich getragen von oben herab, aus den Bergen, wo die Kugel des Jägers Deinem Treiben ein End' gemacht hat. Ists so oder nicht?«
Er hatte sich auf den Schemel gesetzt und den Kopf in die Hände gestemmt. Jetzt fragte er, aber ohne zu ihr aufzublicken:
»Habe ich nicht vorhin gesagt, daß dieses Leben mir leid thut und daß ich es gern ändern möcht?«
»Das hast freilich gesagt, aber nun ändre es auch!«
»Wie denn?«
»Hast nicht die Mittel in der Hand?«
»Meinst die dreihundert Mark?«
»Ja. Kannst nichts damit anfangen, he?«
»O, wohl gar! Einen kleinen Handel, irgend ein Kleingeschäft.«
»So thu's!«
»Wie Du das so sagen kannst. Bin ich nicht wie das Wild, welches getrieben wird? Muß ich nicht flüchten und immer wieder flüchten, weil man mich fangen will?«
»Doch nur hier in Bayern?«
»Ja. Ich bin halt so klug gewesen, nur hier diesseits der Grenz auf die Jagd zu gehen.«
»So komm nicht wieder herüber!«
»Man holt mich doch. Das Oesterreich muß mich ausliefern, weil ein Wilderer kein politischer Verbrecher ist.«
»So bist freilich daran wie der Gamsbock, der weder Ruh noch Frieden hat. Aber einmal muß es doch anders werden!«
»Ja, wann sie mich ergriffen haben und einistecken.«
»Dann kommst aber doch wieder heraus?«
»Ja, aber wann! Und das möcht gern noch sein. Aber wer da drin gesteckt hat, den sieht kein Mensch wieder an, und alle Leuteln zeigen mit den Fingern nach ihm.«
»Das kann nur ein Schändlicher thun!«
»Würdst etwa Du mich anschaun?«
Er erhob jetzt zum ersten Male wieder den Kopf. Sein Auge war mit einem geradezu angstvollen Blick auf ihr Gesicht gerichtet. Sie erröthete, aber doch antwortete sie fest und muthig:
»Noch lieber als jetzt.«
Da fuhr er schnell von dem Schemel empor.
»Was sagst?« Ists wahr?«
»Hat die Leni schon einmal gelogen?«
»Nein. Also Du würdst mich nicht verachten?«
»Das könnt mir gar nie in den Sinn kommen.«
»So möcht ich gleich jetzt auf das Amt gehen und mich freiwillig stellen!«
»Thu es, Anton, thu es! Es ist das Best' für Dich.«
»Das geb ich halt zu. Ich hab selbst schon alleweil daran gedacht. Und wann ich freiwillig komm, so geben sie mir wohl eine gelindere Straf als sonst. Aber meine Eltern – die lieben, lieben Leutln!«
»Denen wird Gott indessen beistehn.«
»Meinst, daß er vom Himmel steigt?«
»Nein, das hat er in unserer Zeit nicht mehr nöthig. Wir sind halt Christen und müssen an seiner Stell handeln. Wann Du Deine Pflicht thust, so will ich gern zuweilen hinüberschaun nach dem Vater und der Mutter. Ich hab nur drei Stunden zu laufen, und wann der Winter kommt, so zieh ich von der Alm, und es giebt fast nichts mehr zu thun. Da kann ich aller vierzehn Tag' hinübergehn.«
Er streckte seine Arme aus, um ihre Hände zu ergreifen, zog sie aber wieder zurück. Er wendete sich um, lehnte den Kopf an die Wand und sagte nichts. Sie wartete eine Weile. Sie sah, daß seine Brust arbeitete. Da trat sie zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte:
»Was ists, Anton? Warum sagst nix mehr?«
Sie beugte sich vor, um ihm in das Gesicht zu sehen. Er hatte die Lippen fest zusammengepreßt, und Thränen standen ihm in den Augen.
»Herrgott! Du weinst!« sagte sie.
»Muß ich nicht?«
»Meinswegen wohl? Hab ich Dir wehe gethan?«
»So wehe und auch wiederum so wohl, Leni! Ist das wahr, daß Du zu den Eltern gehen würdst, um sie zu beruhigen und zu trösten?«
»Ja, ich würde gehen.«
»Aber warum, warum?«
Er drehte sich ihr wieder zu und hielt das nasse Auge auf sie gerichtet. Jetzt wurde sie verlegen.
»Weil – weil – weil es doch Christenpflicht ist.«
»Christenpflicht? Ja. Aber wie kommst grad Du dazu, diese Pflicht an uns zu üben?«
»Weil – ich – weil ich es gern thu.«
Da leuchteten seine Augen triumphirend auf. Er erfaßte ihre beiden Hände und fragte:
»Und weil Du mich gern hast?«
Tiefe Gluth bedeckte ihr Gesicht.
»Dich gern? Wo denkst hin, Bub? Mußt nicht gleich meinen, daß Du nun Kaiser bist!«
»Kaiser? O, der mag ich halt gar nicht sein. Der hat eine Frau, welche gar nicht die meinige werden kann. Wenn ich aber Dich haben könnt', Leni, dann würde ich mit keinem Kaiser, mit keinem König und auch mit keinem Papst nicht tauschen.«
»Auch mit dem Papst nicht?«
»Nein.«
»Weil Dir auch dem seine Frau nicht paßt!«
»Geh! Lach halt nicht. Das ist mir nur so über die Zung herauskommen. Weißt was? Sollst meine Kaiserin sein!«
»Wart, bis Du halt Kaiser bist!«
»Nicht eher?«
»Nein. Jetzt bist derweil noch ein Wilderer, den sie suchen. Da hats noch lang keine Gefahr mit dem Kaiser sein.«
Sie hatte das mehr ernst- als scherzhaft gesagt. Er ließ ihre Hände los und meinte traurig:
»So ists recht! Ich wollte gleich die höchste Alp dersteigen, und nun rutsch ich abi ins tiefste Thal hinein. Aber es soll mir nicht umsonst gesagt sein, Leni. Du hast mir das Aug geöffnet, und ich schau um mich her und in mich selbst hinein. Es soll anders werden. Jetzt nehm ich meine Büchs und den Rucksack und geh. Entweder siehst mich wieder oder nicht. Siehst mich nicht wieder, so lieg ich irgendwo und der Adlergeier schwebt über meiner Leich. Siehst mich aber einmal wieder, so wirst schauen, daß es anders mit mir geworden ist.«
Er wandte sich ab und griff nach seinem Gewehre.
Da hielt sie seinen Arm fest.
»Nicht so, Anton! Mußt mich nicht falsch verstehen.«
»Wie sonst?«
»Ich meins halt gut und treu mit Dir; aber wer ein Dach bauen will, der muß doch erst die Mauer und die Wand haben, worüber es kommen soll. Gieb den Rucksack her! Ich werde Dir eine Wenigkeit hineinthun.«
»Ist nicht nöthig, Leni.«
»Hast doch Hunger?«
»Jetzt nicht mehr.«
»Schau, was für ein wetterwendiger Bub Du bist. Das hätt ich gar nie gedacht von Dir. Wenn Dir der Hunger vergangen ist, so wird er wohl bald wiederkommen, und Du mußt doch Etwas im Rucksack haben. Also her damit!«
Er weigerte sich nicht länger und sah schweigend zu, als sie ihm von ihren Vorräthen auswählte. Es was das Beste, was sie ihm gab. Sein Auge folgte jeder ihrer Bewegungen. Er sagte sich immer und immer wieder, daß es weitum kein so schönes und braves Mädchen gebe. Dann, als sie für Speise gesorgt hatte, brachte sie ein Fläschchen mit Branntwein.
Jetzt gieb Deine Händ' her, damit ich nach den Wunden sehe!«
Er gehorchte ihr. Nur den Blick auf ihr schönes Angesicht gerichtet, zuckte er mit keiner Wimper, als der Spiritus ihm in das rohe Fleisch brannte. Sie rieb ihm auch die an den Felsen geschundenen Kniee damit ein. Als er auch da nicht ein einziges Mal zuckte, sagte sie verwundert:
»Macht das keinen Schmerz?«
»Nein.«
»Dann kannst gar kein Gefühl nicht haben.«
»O, es würde schon wehe thun, wenns nicht von Dir käme. Aber Deine Hand ist so lind, daß man gar nicht an den Schmerz denkt, den es giebt.«
Sie sah ihre kräftigen aber kleinen Hände lachend an.
»Schau, Du machst mich fast begierig, meine Hand zu schaun! Ich hab gar nicht gewußt, daß ich gar so besonderbare Finger hab.«
»Das liegt nicht allem in der Hand.«
»Wo noch sonst?«
»In – – in dem Herzen.«
»In dem meinigen?«
»Nein, in dem meinigen.«
Sie knieete vor ihm, da sie ihm ja die Kniee eingerieben hatte. Jetzt blickte sie mit einem Gesichtsausdrucke zu ihm auf, der so mächtig wirkte, daß auch er sich langsam niederließ.
»Leni!«
»Anton!«
»Ich möcht gleich so hier bleiben und Dich anbeten, immer-, immerfort!«
»Lästre nicht!«
»Da ist keine Lästerung dabei!«
»O doch!«
»Nein. Ich hab meinen Gott und meine heilige Madonna, zu der ich bet. So fromm und heilig wie sie, kommst auch Du mir vor. Darum möcht ich auch Dich anbeten, nur in anderer Weise als sie, nicht mit Bibelworten und frommen Versen, nein, gar nicht mit Worten, sondern mit der That. Weißt, so, wie man zum Himmel schaut, zu den Sternen, die man doch nicht anbetet und aber dennoch anbetet, weil sie so licht, so rein, so mild sind. Ich kann es nicht sagen, wie ich es sagen möcht. Verstehst mich?«
»Ja, ich verstehe Dich, Anton.«
»So komm, steh auf, und laß Dir noch 'was sagen!«
Er zog sie mit sich empor, drückte leise, leise ihren Kopf an seine Brust und fragte:
»Gehst wirklich zu meinen Eltern, wann ich da – da – – dadrin stecke?«
»Ja; ich thue es gewiß.«
»So werd ich gleich morgen gehn und mich melden. Ich will sühnen, was ich gethan hab; dann bin ich frei und kann Jedem in das Gesicht schaun. Werd ich dann Dich noch hier in der Gegend treffen?«
»Ich geh nicht fort.«
»Und darf einmal zu Dir kommen auf die Alm?«
»Ja, gern. Du wirst willkommen sein.«
»Und dann – dann – – was thue ich dann? Rathe mirs doch, Leni?«
»Weißts nicht selbst?«
»Ich weiß es; aber ich darfs nicht sagen.«
»Sags in Gottes Namen!«
»Gut. Ich werd Dich dann fragen, ob Du mich gern hast. Darf ich das fragen?«
»Du darfst.«
»Und was wirst antworten?«
Seine Stimme hatte gar nicht den gewöhnlichen Ton. Es war jener unnachahmliche Klang, der nur dann zu hören ist, wenn zwei Herzen zum ersten Male mit einander sprechen.
»Mußt das jetzt bereits wissen?« fragte sie.
»Ja. Es wird mir ein Trost und eine Zuversicht sein in der Gefangenschaft.«
»So kannst fröhlich sein. Ich werd warten, bis Du wiederkehrst, denn ich hab Dich gern.«
»Ists wahr, Leni, ists wahr?«
»Ja.«
»Dies Wort mag Dir Gott vergelten. Es macht aus mir einen Mann, vor dem die Leut Respect haben sollen. Jetzt brech ich auf und trag den Eltern die dreihundert Mark hinüber. Da haben sie zu leben, bis ich wiederkehr. Dann will ich arbeiten, daß mir die Haut von den Händen geht, grad so, wie sie jetzt ausschaun.«
»Das hast nicht nöthig, Anton.«
»O doch. Das Geld ist dann ja alle, und ich muß ganz von vorn anfangen.«
Er hielt noch immer ihren Kopf an seine Brust. Jetzt erhob sie das Gesichtchen zu ihm empor und sagte mit dem Ausdrucke des Glückes zu ihm.
»Ja, Dein Geld ist dann alle, aber dann hab ich ja welches!«
»Du?« fragte er erstaunt.
»Ja. Weißt, was mein Vater gewesen ist?«
»Nein.«
»Er war Botenmann, vom Dorf zur Stadt so hin und wieder her, weißt?«
»Ich weiß schon. Aber Botenleut sind arme Leut.«
»Aber mein Vater ist sehr sparsam gewesen. Die Mutter ist gestorben, als sie mich zum ersten Male im Arme gehalten hat, und da hat der Vater ihr versprochen, recht brav für mich zu sorgen. Das hat er halt gethan. Er hat sich das Brod am Mund abgebrochen, um mir eine Milch und Semmel zu geben und einen Kreuzer in die Sparbüchs zu thun.«
»Das ist brav!«
»So ist Kreuzer auf Kreuzer gewachsen, ganz so lustig, wie auch ich gewachsen bin; aber Vater hat sich zu sehr angegriffen gehabt, und plötzlich ist er todt gewesen. Der Doctor hat ihn untersucht und die Krankheit gesagt, an der er gestorben ist.«
»Wie lautet sie?«
»Famelicus.«
»Das verstehe ich halt nicht.«
»Es ist ein lateinisches Gelehrtenwort, weißt, wie die Aerzte alle sprechen, nur der Dorfbader nicht. Mein Pathe hat das Wort vom Doctor gehört und es sich gemerkt. Dann hat er es mir einmal gesagt. Später ist einmal ein fremder Herr zu mir auf die Alm gekommen mit einer blauen Brillen auf der Nasen. Er hat Kräuter gesucht und Steine zerschlagen und einer jeden Sach einen fremden Namen gegeben. Den habe ich gefragt, was für eine Krankheit dieses Famelicus ist.«
»Und was hat er gesagt?«
»Ein Famelicus ist ein Verhungerter.«
»Herrgottle!«
»Ja. Der Vater hat nicht genug gegessen, und darum ist er gestorben, weißt, nicht an so einem plötzlichen Hunger, wann man eine Woche lang nichts ißt, sondern an einem langen Hunger, wann man alle Tagen nicht genug ißt und dabei immer matter wird. Das hat er meinetwegen gethan, der Kreuzer wegen, die er in die Sparbüchs für mich legte.«
»Der Herrgott wirds ihm im Himmel gedenken!«
»Das bete ich täglich! Vor seinem Tode hat er den Pathen kommen lassen, den Wurzelsepp, und ihm die Ersparung für mich anvertraut. Der Sepp hat das Geld nach München getragen, wo es eine Sparkaß auf Zinsen giebt, und jetzt nun sind an die vierhundert Gulden beisammen.«
»Heilige Maria!«
»Und weil man jetzt nicht mehr Gulden sagt, sondern Mark, so sind es an die tausend Mark.«
»O jeh, Dirndl, was bist reich geworden!«
»Meinst?«
»Ja. Das ist ja ein Geldl, daß Einem der Verstand still stehen möcht!«
Sie sah ihn glücklich lächelnd an, nickte ihm höchst befriedigt zu und sagte:
»Schau, das ist nachher Dein!«
»Mein?«
»Ja.«
»Dann machst wohl Spaß?«
»Gar nicht! Wann ich Deine Frau bin, so ist doch mein Geld das Deinige! Oder nicht?«
»Am Ende gar! Ich kanns aber doch nicht fassen!«
»O, fassen wollen wir es schon. Ich lauf hinein nach München und hol es gleich da in der Schürzen heraus!«
»Das wirst nicht thun; da könnts hüben und drüben herausfallen. Es wird sich wohl so ein Schubsack finden lassen, in den wir es stecken können. Herrgottsakra! Wanns doch gleich so weit wäre!«
»Es kommt schon so weit!«
»Ja, und nachher werd ich Juchhe machen, damit es recht bald wieder alle wird!«
»Das thust nicht. Du nicht!«
»Nein, Leni. Ein Geldl, woran Dein Vater verhungert ist, das hat mir der liebe Herrgott nur geborgt, damit ich ihm die Zinsen bezahl. Da muß man brav alle Händ darüber halten. Nun jetzt ist mir das Herz leicht geworden. Also ich lauf in der Nacht hinüber zu meinen Eltern und geb ihnen die Dreihundert. Dann geh ich in die Gefangenschaft.«
»Und ich besuch Dich manchmal drin.«
»Willst das wirklich thun, Leni?«
»Gewiß. Du bist mein Bräutigam, und ich komm zu Dir, so oft ich darf, um Dir ein freundlich Gesicht und einen frohen Blick mitzubringen, damit es Dir im Herzen nicht gar so dunkel wird. Gelt?«
Da legte er ihr die Hände auf den Kopf.
»Leni, was sag ich Dir nur für diese Lieb und Barmherzigkeit? Ich möcht Dir so Vieles sagen und find doch nix, gar nix! Aber halt, da fällt mir ein! Es ist nix aus mir selber heraus, gar nix Neues; auch hast Du es bereits sehr oft gehört; aber ich kann Dir wirklich nix Besseres sagen als dieses. Bitt schön, Leni, thu Deine Händ falten und hör zu!«
Es standen ihm glänzende Tropfen in den Augen.
Sie hielt den Kopf still, auf welchem seine Hände noch lagen und faltete die ihrigen, den Blick innig zu ihm erhebend. Und da sprach er:
»Leni, meine gute, liebe Leni, der Herr segne und behüte Dich; der Herr erleuchte sein Angesicht auf Dich und sei Dir gnädig; der Herr erhebe sein Angesicht über Dich und gebe Dir seinen Frieden! Amen!«
»Amen!« flüsterte auch sie.
Es blieb eine ganze Weile still in der kleinen Sennhütte. Der einfache, ungelehrte Aelpler hatte nichts Anderes gefunden, seinen herzbewegenden Gefühlen Ausdruck zu geben. Hätte er wohl auch etwas Besseres finden können? Nein. Es war ihnen Beiden zu Muthe, als ob sie in der Kirche ständen, in Weihrauchsduft und Orgelton. Es war, wie das fromme Sprüchwort sagt: Ein Engel schwebt durch den Raum. Dann, nach längerer Zeit flüsterte er ihr zu:
»Leni, hab ich Dir mißfallen?«
»Mißfallen? Heilige Mutter Gottes! Wie kannst Du mir mißfallen haben!«
»Weil ich den Segen sprech, wann ich bei meinem Schatzle bin.«
»Kannst ja gar nichts Besseres sagen!«
»Aber Andre würden drüber lachen!«
»Schau, was Andere thun, werden doch wir nicht thun? Ich sags Dir gleich: Ich hab meinen Herrgott über Alles lieb, und erst nach ihm kommst Du. Dann kommt gleich der Wurzelsepp. Diese Reihenfolg wird bleiben. Ich mag nix wissen von Freud und Lust und Vergnügen, wobei die Sünd vorhanden ist. Wann das auch Dir recht ist, so werden wir sehr glücklich sein, Anton!«
»O, grad das ist mir sehr lieb und recht. Weißt, es giebt nix Schöners für mich, als wenn ich des Abends zu Haus bei den Eltern sitz und les ihnen vor aus der alten Hauspostillen, worin die großen Bilderbuchstaben sind. Wann man darauf schlafen geht, so ists grad so, als hab ein Engel Einem das Bett gemacht und der liebe Gott hätt nachher das Kopfkissen recht weich gelegt. Da schläft man so gut und so fest wie - – wie – – –«
»Wie Einer, der auf der Alm wildern gewesen ist!« fiel sie mahnend ein.
»Ich bitt Dich schön, Leni, sprich das nicht wieder! Was ich gethan hab, das will ich büßen, und dann geschieht es halt nicht wieder. Vielleicht hat der liebe Gott es mir bereits jetzt vergeben, und so darfst es mir nicht mehr vorwerfen!«
»Hast Recht, Anton! Hier meine Hand darauf, daß ich nie wieder davon sprech!«
»Gut! Deine Hand und – und – und noch was!«
»Was?«
»Ein Busserl.«
»Geh! Schäm Dich!«
»Magst nicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil – weil – – weil Du eigentlich noch gar nicht richtig mein Bräutigam bist.«
»Hast aber doch bereits vorhin gejagt, daß ich es bin!«
»Hab mich da halt versprochen.«
»Was bin ich nun dann?«
»Mein – Schatzerl.«
»Und das Schatzerl küßt man nicht?«
»Nein.«
»Ja.«
»Da sag doch 'mal, wo das geschrieben steht! Etwa im Matthäus oder Marcus?«
»Nein.«
»Wo sonst? Es muß doch irgendwo geschrieben stehen, weil Du Dich darnach richtest!«
»Ja, es steht auch geschrieben.«
»Nun, wo denn da?«
»Ja – in –« sie suchte nach einer Antwort und fand sie auch, denn sie fuhr fort, »in – in – –in der Geographie.«
»In der Geographie! Handelt die denn etwa vom Busseln?«
»Ja, sehr.«
»Da hab ich noch nie nix gefunden.«
»Hast denn schon bereits Geographie getrieben?«
»Ja, in der Schul'.«
»Das taugt nix. In der Schul wird Dir der Lehrer doch nicht das Capitel vom Busseln bringen.«
»Wann sonach denn?«
»Später, wann man selber liest.«
»Das hab ich ja auch gethan. Unser Cantor hat ein Buch, wo die Geographie drin geschrieben steht, von Wien und Nürnberg, von Paris und Prag, von Rußland und den Alpen, aber das Küssen hab ich da nicht gefunden.«
»So hast nicht aufgepaßt.«
»Grad gar sehr!«
»Nein. Hast auch von der Türkei gelesen?«
»Ja. Dort ist nur der Halbmond. Einen Vollmond oder einen Neumond wie bei uns haben sie dort gar nicht.«
»Das weiß ich nicht; aber in der Türkei dürfen sich die Liebesleut gar nicht sehen. Der Bub bekommt sein Dirndl erst nach der Hochzeit zu schaun; also darf man nur als Bräutigam und Braut busseln. Hasts verstanden?«
»Verstanden hab ichs wohl, aber es gefallt mir nicht. Bist etwa eine Türkin?«
»Nein.«
»Und ich bin auch kein Türke. Wir haben uns also nicht nach dem dortigen Brauch zu richten, sondern nach der Sitt', die man in Oesterreich oder Bayern findet.«
»Und wie ist dieselbige?«
»Da küßt der Bub das Madel, welches er lieb hat, bereits schon längst vor der Hochzeit.«
»Das ist zu früh!«
»Meinst wirklich?«
»Ja.«
»So hast mich halt nicht lieb.«
»Geh! Das glaubst selber nicht. Würd ich Dich hier bei mir leiden, wann ich Dich nicht lieb hätt'?«
»Nein; das weiß ich, denn Du bist ein bravs Dirndl; aber den Kuß darfst mir nicht versagen.«
»Ist ein Kuß denn gar so schön, daß Dich so sehr nach einem verlangt?«
»Wunderbar schön, sag ich Dir!«
»Woher weißt das? Hast etwa schon bereits so viele Dirndln gehabt?«
»Kein einzigs. Du bist meine erste Lieb: das kannst mir glauben. Aber wann ich Dir so zuwider bin, so will ich verzichten und lieber warten, bis Du Dich an mich gewöhnt hast.«
Er griff nach seinem Rucksack und warf sich denselben über den Rücken. Als er auch nach dem Gewehr langte, sagte sie:
»Anton, willst mir gar bös sein.«
Er blickte ihr treuherzig in die Augen.
»Nein, Leni, bös kann ich Dir gar nicht sein. Ich weiß, wie Du bist. Es hat Dich noch nie kein Bub anrühren dürfen; darum fallt Dirs schwer. Dir den Kuß geben zu lassen. Es kommt die Zeit von selbst, wo die Lieb stärker sein wird als die Sprödheit, und das kann ich erwarten. Jetzt schlaf nun wohl, Leni! Ich geh.«
»Wart halt noch den Augenblick! Hier!«
Sie trat rasch auf ihn zu, legte ihm beide Arme um den Hals und küßte ihn auf den Mund.
»So, Anton! Bist nun zufrieden?«
»Ja, ganz glücklich bin ich!«
»Das ist der erste Kuß, den ich geb!«
»Aber nicht der letzte?«
»Nein.«
»Doch nur mir allein?«
»Nur Dir allein!«
»Wirst auch Wort halten, Leni?
»Bist etwa bereits eifersüchtig?«
»Nein; aber ich hab da halt eine sehr strenge Ansicht. Ich hab noch nie ein Dirndl beim Kopf gehabt und nie Einer ein Busserl gegeben; so soll es auch bei Dir sein. Wann Du einmal einen Andern küßtest, wärs auch nur im Scherz und beim Pfandspiel, so wär es aus mit uns.«
»So denk ich auch, grad so wie Du. Der Kuß ist nur für Mann und Frau.«
Sie sagten sich das so ernsthaft, als ob von dieser Mittheilung Leben und Tod abhängig sei. Sie ahnten dabei nicht, wie entscheidend grad diese Worte für ihr späteres Schicksal sein sollten.
»Hast Recht, Leni! Und nun hab ich Alles, Alles, was ich mir wünschte, viel, viel mehr, als ich hoffen durfte, ehe ich dem Bären folgte. Jetzt laß uns scheiden.«
»Wann Du einmal gehen willst, so kann ich es nicht ändern. Aber laß Dich nicht ergreifen!«
»Nun kann mirs gleich sein! Ich will mich ja doch melden.«
»Aber freiwillig. Dann wird die Straf gelind ausfallen. Ergreifen sie Dich, wirds schlimmer.«
»So will ich mich in Acht nehmen.«
»Der Jägernaz sagte. Du könntest nicht durch.«
»Laß ihn reden! Sie haben zwar alle Weg' besetzt, aber ich fürcht mich nicht. Sie mögen mir so einen Bergsteiger bringen, wie ich bin. Und nun Du die Meinige bist, werden sie mich erst recht nicht fangen. Weißt, die Lieb giebt Flügel. Wann sie jetzt kämen und ich ständ am tiefsten Abgrund, ich käm doch hinüber. Es ist mir ganz so, als ob ich gar keinen Körper mehr hätt, als ob ich nur aus lauter Glück und Seligkeit beständ und als ob Alles grad genau so geschehen müßt, wie ich es will. Darum – horch!«
»Herrgott! Es kommt wer!«
Man hörte Schritte nahen.
»Hinaus! Hinaus!« bat Leni.
»Dazu ists zu spät.«
»So versteck Dich?«
»Wohin?«
»Hinaus in das Heustadel.«
»Ich kann doch nicht hinaus. Der Fremde hat ja von innen zugeriegelt.«
»Heilige Mutter Gottes! Was thun wir!«
Diese Worte waren in höchster Eile gewechselt worden. Leni fühlte eine fürchterliche Angst. Anton hingegen hatte seine Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit keinen Augenblick verloren. Er sah sich um und meinte:
»Verstecken kann ich mich nun nicht. Ich setz mich hierher und thu, als ob ich schlaf. Was dann geschieht, das kommt ganz darauf an, wer Diejenigen sind, welche da kommen.«
Er zog den Schemel schnell hinter die Thür und setzte sich darauf, den Rücken nach der Thür gerichtet. Das Gewehr zwischen den Beinen und das Gesicht in die beiden Hände gelegt, nahm er eine Haltung ein, in Folge deren man seine Züge gar nicht sehen konnte.
Von dem Augenblicke, an welchem die Beiden die Schritte gehört hatten, bis jetzt, war noch keine Minute vergangen. Nun mußte es sich entscheiden, denn es war deutlich zu vernehmen, daß Jemand hart an der Thür stehen blieb und leise einige befehlende Worte sprach. Es waren also mehrere Personen draußen.
Und das ging eigentlich ganz natürlich zu.
Der Wurzelsepp hatte, wie bereits gesagt, vom Könige den Befehl erhalten, dem Oberförster zu sagen, daß er mit Anbruch des Morgens in der Sennhütte erscheinen solle. Der Beamte hatte aber aus Pflichteifer nicht so lang warten wollen; er war viel, viel eher aufgebrochen und hatte sogar drei Jägerburschen mitgenommen, damit sie dem Monarchen die Gemsen vor den Lauf treiben sollten. Jetzt nun hatten sie die Alm erreicht und näherten sich dem Häuschen, aus besten kleinem Vorderfenster zu ihrem Erstaunen noch der Schein eines Lichtes leuchtete.
»Die Leni wacht,« sagte der Förster zu den Gehilfen. »Jetzt nun will ich Euch sagen, was ich Euch bisher verschwiegen habe. Seine Majestät, der König, befinden sich nämlich auf der Alm, um mit Tagesanbruch zu jagen. Natürlich dürfen wir nicht stören; darum dachte ich, daß wir uns hinter der Hütte ins Gras legen würden, um zu ruhen, bis die Majestät erwacht ist. Da aber die Sennerin auch noch nicht schläft, wollen wir sehen, ob wir drin Platz finden oder auf dem Stroh über dem Stalle. Wartet hier. Ich will einmal nachschauen.«
Sie nahmen die Gewehre ab und blieben stehen, da, wo der Weg von der Alm nach unten führte. Der Oberförster aber trat zur Thür, um zu horchen. Er hörte nichts und ging zum Fenster. Durch dasselbe sah er die Sennerin am Herde sitzen, bleich und mit offenen Augen.
Jetzt kehrte er an die Thür zurück und klopfte leise, um den König, welcher sich auf alle Fälle im Stadel befand, nicht zu wecken.
»Herein!« sagte Leni ebenso leise, doch so, daß er es hörte.
Er trat ein und merkte, da er die offene Thür in der Hand behielt und da auf der Schwelle stehen blieb, zunächst gar nicht, daß sich hinter der Ersteren noch Jemand befand.
»Guten Mor – – –«
Das Wort blieb ihm im Munde stecken. Sein Blick war auf den Bären gefallen.
»Tausend Teufel!« fuhr er dann fort. »Ein Bär! Wie kommt der hierher!«
Die Sennerin war aufgestanden. Sie mußte den Namen des Ankömmlings nennen, damit Anton erfahre, wer da sei.
»Guten Morgen, Herr Oberförster. Du bist auf der Alm?«
»Ja, Leni. Aber antworte! Wie kommt der Bär hierher?«
»Leise, leise! Der Herr wacht sonst auf, welcher da draußen schläft.«
»Kennst Du diesen Herrn?«
»Nein.«
»Ach so! Hat etwa er den Bären geschossen?«
»Ja. Es ist derselbige Bär, welcher jenseits in die Ställe gebrochen ist.«
»Natürlich! Also hat er sich nun auch hier bei uns umschauen wollen! Das ist ihm schlecht bekommen. Aber welch ein Unglück, wenn der Kö – – – wenn der Herr, welcher draußen schläft, von der Bestie getödtet worden wäre! Wie hat sich denn das Abenteuer zugetragen?«
Er trat in die Hütte hinein, ohne aber die Thür aus der Hand zu lassen. Leni antwortete:
»Ja weißt, der Herr hat den Bären schnuppern hören und ist hinausgegangen.«
»Allein?«
»Und er hat Dich gar nicht geweckt?«
»Nein. Ich bin erst aufgewacht, als der Schuß fiel.«
»Donnerwetter? Ich bin ganz starr und steif vor Schreck! Welch ein Herzeleid wäre über das Land gekommen, wenn – –ah, da sitzt ja Einer!«
Er hatte jetzt die Thür halb zugemacht und erblickte Anton, welcher noch immer that, als ob er schlafe.
»Wer ist der Mann?«
»Ein Fremder.«
»Ein Fremder? Mit einem Gewehr? Hm, den muß man sich einmal ansehen.«
Er trat zu Anton hin und rüttelte ihn an der Achsel.
»Heda! Aufgewacht!«
Anton gähnte und knurrte wie Einer, welcher im Schlafe gestört wird und sich aber nicht stören lassen will.
»Na, wie wirds! Steig empor, damit man Dein Gesicht sehen kann!«
Jetzt wäre Weigerung Unsinn gewesen. Anton stand auf.
»Tausend Teufel!« rief der Oberförster »Sehe ich recht? Der Krikelanton!«
»Ja, der bin ich,« antwortete Anton, den Fuß zum Sprunge ansetzend. »Hast was dagegen?«
»Dagegen, daß Du es bist, habe ich gar nichts. Vielmehr freue ich mich königlich darüber. Gieb Dein Gewehr her, Bursche!«
Das hatte der Wilderer erwartet. Er war darauf gefaßt gewesen, sein Gewehr zurücklassen zu müssen; darum hatte er es so neben sich hingelehnt, daß es, als er aufstand, zwei Schritte weit von ihm entfernt war. Der Förster mußte sich natürlich vor allen Dingen dieser Waffe bemächtigen. Er trat hinzu, sie an sich zu nehmen. Dadurch bekam Anton einen freien Raum zum Handeln. Ein schneller Sprung brachte ihn an diejenige Seite der Thür, an welcher sich dieselbe öffnete. Aber bereits hatte sich der Förster wieder umgedreht. Geistesgegenwärtig, wie der erfahrene Mann war, sah er sogleich, daß es für ihn bereits zu spät sei, den Wilderer mit der Hand zu erlangen. Er hatte aber draußen seine Gehilfen stehen. Darum rief er mit laut dröhnender Stimme:
»Achtung draußen! Der Krikelanton! Haltet ihn fest!«
Anton hatte die Thür aufgerissen und sprang hinaus, eben als dieser Ruf erschallte. Er erblickte die drei Burschen, welche ihm sofort den Weg verlegten. Er sah, daß er nicht hindurch konnte, weder auf- noch abwärts. Zur Seite springend, blieb er einen Augenblick halten, den Blick über die mondeshelle Alpenlandschaft werfend.
»Haltet ihn! Haltet ihn!« fügte der Oberförster seinem Rufe bei, jetzt auch aus der Hütte springend, hinter Anton her. »Da ist er. Drauf!«
Er sprang auf den Wilderer ein. Schon streckte er beide Hände nach ihm aus.
»Heut noch nicht!« rief da Anton und schnellte zur Seite und dann grad aus, in weiten Sprüngen entfliehend.
»Ihm nach!« rief einer der Gehilfen.
»Halt! Nein! Um Gotteswillen!« schrie der Förster. »Dort ist ja der Abgrund!«
»Eben dort ergreifen wir ihn. Er kann ja doch nicht weiter!«
»Hier geblieben! Er muß auf alle Fälle zu uns zurück!«
Die Gehilfen gehorchten. Niemand folgte dem jungen Manne. Jetzt war auch Leni aus der Hütte gesprungen. Sie sah den Geliebten nach dem Abgrunde zueilen, über dessen scharfen Felsengrat die Mondsüchtige herübergekommen und dann wieder zurückgekehrt war.
»Herr, mein Heiland!« rief sie aus. »Anton, Anton, wo willst Du hin!«
Er wandte einen Augenblick den Kopf.
»Hinüber!«
»Unmöglich! Kehr um!«
»Du weißt ja, ich hab heut Flügel!«
»Denk an Deine Eltern!«
»Eben deretwegen! Gute Nacht!«
»O heiliger Gott! Er wagts! Er ist verloren!«
Sie sank in die Kniee und bedeckte ihre Hände mit dem Gesicht.
»Pah!« rief der Oberförster. »Der Kerl wird nicht so wahnsinnig sein! Alle Teufel, doch!«
Anton war jetzt da angelangt, wo der kaum einen Fuß breite, scharfe Felsengrat begann. Man sah, daß er sich eine kurze Zeit lang bückte. Dann setzte er den Fuß auf den Grat. Er hatte nicht einmal den Bergstock bei sich.
»Himmel! Er will wirklich drüber!« rief einer der Gehilfen.
»Jetzt, bei Nacht!« fügte schaudernd ein Anderer hinzu.
»Es ist am hellen Tage unmöglich.«
»Nun, ganz, wie er will!« sagte der Oberförster entschlossen. »Er rennt auf alle Fälle in sein Verderben.«
Er schritt weiter vor, nach dem Abgrunde zu. Die Gehilfen aber blieben bei der Hütte stehen, da wo Leni kniete.
Da trat der König aus der Sennhütte. Er hatte das Geschrei vernommen und war aufgestanden.
»Was geht hier vor?« fragte er.
Einer der Gehilfen wendete sich zu ihm um und erklärte in ehrerbietigem Tone:
»Der Krikelanton, Majestät, ist hier.«
»Ich weiß es. Wo?«
»Da drüben läuft er.«
Ludwig richtete den Blick nach der Seite, welche der Mann mit dem ausgestreckten Arme bezeichnete. Dort sah man beim hellen Scheine des Mondes den Wilderer langsam über den Grat schreiten, so wie ein Akrobat über das hohe Thurmseil geht, rechts und links gähnende Abgründe unter sich.
»Himmel!« rief der König, aufs Tiefste erschrocken. »Das ist ja ein unmenschliches Wagniß! Warum thut er es?«
»Er will entfliehen.«
»Vor wem?«
»Vor uns. Der Herr Oberförster hat ihn erwischt.«
»Was will der schon hier. Wie kann man ohne meine Erlaubniß – ah! Anton, Anton, komm zurück, zurück!«
Er hatte die Hand an den Mund gelegt, damit der Ruf zu dem Genannten dringen solle.
»Majestät, der kann nicht zurück,« sagte der Gehilfe. »Sobald er sich umdrehen wollte, würde er in die Tiefe stürzen.«
»Anton, halt!« hörte man jetzt den Förster rufen, welcher in einer Entfernung von vielleicht sechzig Schritten weiter vorn am Abgrunde stand.
Der Gerufene kümmerte sich nicht darum; er schritt weiter.
»Halt, sage ich!«
Und als der Fliehende auch jetzt noch nicht gehorchte, erklang es wieder:
»Zum Teufel, halt, Kerl!«
Auch das half nichts. Da sah man, daß der Oberförster das Gewehr anlegte. Nur der König bemerkte es nicht, da sein Auge an der Gestalt des kühnen Bergsteigers hing. Eben näherte sich ein Wölkchen dem Monde.
»Gott, er will schießen,« bemerkte der Gehilfe.
Jetzt erst wurde Ludwig auf das Gewehr seines Beamten aufmerksam.
»Halt!« gebot er laut. »Nicht schie – – –«
Es war zu spät. Mit der letzten Silbe, welche der König aussprach, krachte der Schuß, dröhnende Echo's erweckend. Man sah Anton wanken, gar taumeln, dann langsam zusammenbrechen – das Wölkchen trat vor den Mond; es glitt rasch vorüber – Anton war verschwunden; man hörte seinen stürzenden Körper, von Zacke zu Zacke aufschlagend, in die schauerliche Tiefe fallen.
Drüben von jenseits erklangen auch einige Schüsse und laute Rufe erschallten herüber. Jedenfalls waren die Rufenden Beamte, welche dort postirt waren des Krikelantons wegen.
Sprachlos standen Alle, von Grauen und Entsetzen gepackt. Nur der Oberförster wendete sich um, kam langsam näher und sagte:
»Er hat es nicht anders gewollt. Nun schießt er uns keine Gemse mehr.«
Da erschall ein Schrei, so schrill, so entsetzlich, als müsse sich alles Fürchterliche des Menschenlebens in diesem einen Laute Luft machen. Leni war es. Sie hatte sich, als der Schuß fiel, emporgeschnellt und starrte nach der Gegend hin, wo der Geliebte verschwunden war.
»Wo ist er, wo?« rief sie aus.
»Da hinab,« antwortete der Förster.
»Erschossen? Von Dir?«
»Er hat es gewollt.«
»So gehe ich zu ihm.«
Sie eilte fort, dem Abgrunde zu.
»Um Gotteswillen, haltet sie!« gebot der König.
Die Gehilfen sprangen ihr nach. Es gelang ihnen, sie zu erreichen und festzuhalten. Eine kurze Weile wehrte sie sich, dann ergab sie sich, in scheinbarer Ruhe sagend:
»Ihr habt Recht. Es muß nicht gleich sein; es kann zu jeder Zeit geschehen.«
Sie ließ sich willig in die Hütte führen. Dorthin rief der König auch den Oberförster. Die Stimme des Monarchen war trotz der zugemachten Thür in lautem, zornigem Tone zu hören. Es wurde wohl über eine Viertelstunde verhandelt, dann trat der Beamte heraus. Er schwitzte vor Verlegenheit und Scham.
»Kreuzhimmeldonnerwetter!« fluchte er. »Wer hätte das denken können. Dieser Krikelanton hat der Majestät das Leben gerettet, und ich habe ihn erschossen. Der König hat ihm Alles vergeben und ihn sodann anstellen wollen, und da komme ich und schieße ihn weg. Was sagt Ihr dazu?«
Die Gehilfen schwiegen; da aber doch eine Antwort erfolgen mußte, sagte endlich Einer:
»Das ist freilich Pech!«
»Pech? Schafskopf! Was heißt Pech! Es ist um meine Stelle, um mich selbst, um Alles geschehen. Nun sitzt noch die Sennerin da drin und thut, als ob sie wahnwitzig sei. Sie spricht kein Wort, giebt keine Antwort – hört Ihr, wie der König in sie hineinredet? Nun ist es für mich am Besten, ich stürze mich auch in den Abgrund, in welchem jetzt der Hallunke liegt!«
Statt dessen aber setzte er sich auf die Bank und stemmte den Kopf in die Hände. Seine Leute blieben wortlos daneben stehen.
Nach einiger Zeit trat Ludwig heraus und befahl:
»Aus unserm Pürschgange wird nun nichts. Wir steigen abwärts, und es wird sofort nach dem Leichnam des Unglücklichen gesucht. Die Sennerin will es so, und es hat zu geschehen.«
In Kurzem waren Alle unterwegs. Ludwig, die vier Forstbeamten und Leni, welche wortlos an der Seite des Königs hinschritt.
Hätte der Mond weniger hell geleuchtet, so wäre dieser Abstieg höchst gefährlich gewesen; aber er wurde ohne Unfall zurückgelegt. Der König begab sich zum Pfarrer, um bei diesem den Rest der Nacht zuzubringen. Die Anderen gingen nach der Schänke und zum Ortsvorstande, um Leute aufzubieten, welche sich an der traurigen Suche betheiligen sollten.
Leni schloß sich natürlich Denjenigen an, welche nach der Schänke gingen. Sie wußte, daß ihr Pathe dort übernachtete. Als dieser hörte, was geschehen war, wollte er es gar nicht glauben. Sie erzählte ihm Alles. Es wurde ihm Angst um sie.
»Herr Jesses,« sagte er, »laß doch nur derohalben den Kopf nicht sinken. Es ist halt Einer erschossen worden; das ist Alles.«
»Alles?« erwiderte sie tonlos. »Erschossen worden! Ist das nichts?«
»Nun ja! Aber wie gehts im Kriege, wo in einer einzigen Schlacht gleich dreihundert Mann erschossen werden oder wohl gar zwanzigtausend!«
»Aber der Anton ist da nicht dabei!«
»Der Anton? Himmelsakra! Was hast denn grad mit diesem zu schaffen?«
»Er ist mein Bräutigam.«
»Dein – –wa – wa – –waaas?«
»Mein Bräutigam.«
»Das sagst so ernsthaft!«
»Soll ich dazu lachen?«
»Nun, lächerlich ists eigentlich. Wie kommst denn zu einem solchen Bräutigam?«
»Aus Liebe.«
»Aus Lie – –Sternhageldonner! Das weiß ich schon beinahe, daß man nicht aus Haß und Rache zu einem Bräutigam kommt!«
»Hast etwa was dagegen?«
»Nein, gar nix, wann er noch lebte. Er war halt ein braver Bub; das weiß ich besser als die Andern Alle. Aber nun da er todt ist, so – –ah, ich möcht noch gar nicht daran glauben, daß er wirklich todt ist.«
»Er ists!«
»So ein Kerl und todt! Das will sich halt gar nicht auf einander reimen. Na, wir werden gar bald Gewißheit haben. Hörst, da sind die Leut alle beisammen; da gehts nun fort. Du willst doch nicht auch mit?«
»Ich gehe mit.«
»Ein Dirndl auf der Such? Sei gescheidt, und bleib da!«
»Es kann mich nix abbringen!«
»Auch meine Bitte nicht?«
»Nein.«
»Aber denk an Deinen guten Ruf? Was müssen die Leut sagen, wann Du bei Nacht und Nebel kommst und zu ihnen meinst: Er war mein heimlicher Schatz; er ist diese Nacht bei mir gewest und darum erschossen worden? Es ist aus mit Dir, ganz und gar aus. Bleib hier in der Schänk in meiner Stub, die mir der Wirth geben hat. Ich komm bald wieder und sag Dir, was wir gefunden haben.«
Sie sah doch ein, daß er Recht hatte und fügte sich in seinen Willen. Als die Bewohner des Ortes mit Laternen, Leitern und Seilen abgezogen waren, begab sie sich in die Kammer, aber nicht um zu ruhen; das war ihr unmöglich. Sie schritt in dem Raume auf und ab. Sie fand weder Worte noch Thränen. Als bei Tages Anbruch die Wirthin kam und sie fragte, ob sie Etwas genießen wolle, schüttelte sie den Kopf. Ihr Kopf brannte. Sie hatte Fieber.
Endlich, endlich kehrte der alte Wurzelhändler zurück. Sein Bericht lautete:
»Wir haben nix gefunden, gar nix. Er muß drüben auf der andern Seiten abgestürzt sein. Nun sind sie hinüber, um da zu suchen; ich aber bin schnell herbeigelaufen, um Dir zu sagen, wie die Sachen steht.«
Sie blickte starr vor sich hin; dann plötzlich den Kopf hebend, fragte sie:
»Hast Geld?
Er fuhr bei dieser so unerwarteten Frage förmlich zurück.
»Geld! Himmelsakra! Wie kommst zu dieser Fragen?
»Hast Geld?«
»Nun ja, freilich! Wieviel?«
»Viel.«
»Wozu?«
»Für mich.«
»Das weiß ich, daß es nicht für den Kirchthurm ist. Was willst denn grad jetzt mit dem Geld machen?
»Ich will es hinüber zu seinen Eltern tragen.«
»Zu den seinigen? Himmelsakra, was fallt Dir ein! Bist etwa dem Krösus seine Frau oder dem Rothschild seine einzige Tochter, he?
»Ich bin reich!«
»Reich? Jetzt nun bleibt mir alleweil der Verstand im Kopfe still stehn! Das Dirndl will reich sein! Wieviel hast denn im Vermögen?«
»Tausend Mark.«
»So! Und da bist halt reich? Hast wohl Wespen im Kopf? Tausend Mark, das ist ein Quark! Verstanden! Und die willst etwa alle gleich hinübertragen?«
»Ja.«
»Schön! Trag sie 'nüber! Aber von mir bekommst sie nicht. Das sag ich Dir gleich. Man sollt gar nicht glauben, was sich so ein Dirndl gleich einbilden thut, wann ihr 'mal die Lieb verkehrt läuft. Jetzt ist der Anton todt, und nun will sie vor Grimm gleich Alles derschlagen; sogar ihr ganzes Geldl will sie todtschlagen. Da wird nix daraus! Da bin ich halt auch noch da, der Path und Vormund. Heut wird überhaupt nix unternommen, gar nix. Man soll nicht gleich im ersten Augenblick thun, was Einem einfallt, sondern man soll sich sein hübsch Alles überlegen. Wart bis morgen; dann ist auch noch ein Tag!«
So sprach er nach seiner kräftigen, halb komischen Manier in sie hinein, und es gelang dem guten Alten wirklich, sie einigermaßen zu beruhigen. Sie erklärte, warten zu wollen, bis man auch auf der andern Seite des Felsengrates gesucht habe. Indessen wurde ein Mädchen, welches grad Zeit hatte, hinauf zur Alm geschickt, um dort einstweilen Leni's Stelle zu vertreten, damit die Kühe nicht eingeschlossen blieben und zur Weide gehen konnten.
Erst gegen Mittag kamen die Leute zurück. Sie hatten nichts gefunden, da die eine Seite des Abgrundes so unzugänglich war, daß man gar nicht hinabgelangen konnte. Da unten mußte vermutlich der vollständig zerschmetterte Leichnam liegen.
Als Leni diese Nachricht erhielt, brach sie vor Schmerz fast zusammen. Der Wurzelsepp saß bei ihr und weinte mit. Sein Liebling war ihm so an das alte Herz gewachsen, daß er den Schmerz des schönen Mädchens tief mitfühlte. »Wer hätt' das gedacht,« sagte er, »weißt, gestern, als wir mit einander jodelten, und der König kam dazu. Hast denn nicht gewußt, daß er es war?«
»Nein.«
»Ja, ich kanns mir denken, wie das gewesen ist. Erst hasts nicht gewußt, und nachher, als Du es merktest, hast keine Zeit gehabt, an den König zu denken. Jetzt gehts auch ihm zu nahe, denn er ist wohl ein Wenig mit schuld daran. Er denkt nicht an die Gamserln und sitzt beim Pfarr wie ein Einsiedlermönch. Aber Du darfst den Kopf nicht sinken lassen. Du bist halt nicht die Einzige, die so etwas erlebt. Andere können halt auch davon reden.«
»Du nicht, Path Sepp!«
»Ich nicht? Was?«
»Nein, Du nicht. Du bist ein alter Junggesell und hast keinen solchen Kummer gehabt.«
»So, also ich nicht! Sag doch einmal, was schlimmer ist, wenn der Liebste stirbt, oder wenn er Einem untreu wird.«
»Nun, die Untreu ist wohl noch schlimmer als der Tod.«
»Siehst! Warum bin ich denn Junggesell blieben, he? Ich hab nie nicht gemeint, daß ich ledig bleiben werd. Ich hab auch ein Mädchen gern gehabt, so sehr gern, daß ich glaubt hab, ohne sie gar nicht sein und leben zu können. Da bin ich eingezogen worden zum Militair und hab fort gemußt. Erst hat sie mir geschrieben, dann immer weniger und endlich gar nicht mehr. Und als ich nachher wieder heim kommen bin, ist sie mit einem Andern verheirathet gewesen.«
»Das war schlecht!«
»Meinst? Es hat da wohl einen Grund gegeben, daß sie mein nimmer hat denken wollen. Ich bin verleumdet worden. Weißt, wie der ihrige Mann nachher geheißen hat?«
»Nein. Wie?«
»Berghuber war sein Name.«
»Herrgott, das ist ja der meinige!«
»Ja, sie ist Deine Mutter gewesen.«
»Wer davon weiß ich doch gar nix!«
»Ist auch nicht nöthig. Heut aber, wo Du thust, als ob Du alls Elend der Welt allein zu tragen hast, da hab ich Dirs sagen wollen. Damals ist mirs auch gewesen, als ob ich vor Gram und Harm zerfließen soll; aber ich hab mich halt aufgerafft und bin sogar der Freund meines Nebenbuhlers geworden. Er hat mich zu Deinem Pathen gebeten, und dann, als Deine Muttern starb und nachher auch der Vater, da bin ich Dir Vater und Mutter gewesen und will es bleiben, bis der Herrgott mich von hinnen ruft. Je älter man wird, desto mehr sinkt die Erd mit all ihrem Jammer in das Nichts zusammen. Man kommt dem Himmel näher und hört bereits die lieben Englein die Cympeln und die Harfen stimmen. Willst mir einen Gefallen thun, so geh jetzt mit zum Kirchhof, wo draußen Deine Eltern liegen. Da wollen wir beten, und dann wird Dir Dein armes, junges Herz ruhig werden, so wie das meinige auch ruhig geworden ist durch das Gebet und in der Arbeit und Sorg des Lebens. Willst mit, Leni?«
»Ja, komm, lieber Path!«
Sie gab ihm die Hand, und so gingen sie durch das Dorf nach dem Kirchhofe, in dessen Mitte die Kirche stand. Die Thür war offen.
»Horch!« sagte der Sepp. »Der Cantor probirt.«
Es waren soeben die getragenen Töne des Chorales zu vernehme«:
»Steig nieder, Gott, vom Himmelsthrone,
Und schenk mir Deines Friedens Ruh.
Mich drückt des Schmerzes Dornenkrone;
Mein einz'ger Trost, o Herr, bist Du.«
»Kennst das Lied?« fragte der Sepp. »Das paßt für Dich und auch für mich. Wollen wir einmal eintreten und uns hinsetzen. Wann ich die Orgel höre, so ist es mir stets, als ob der Herrgott herniederlange, um mir Balsam in das alte Herz zu träufeln. Den brauchst auch Du jetzund.«
Er führte sie hinein. Sie setzten sich auf eine der gleich voran stehenden Bänke und lauschten.
Der Cantor war ein guter Organist. Er verstand, mit den Registern umzugehen. Er spielte eine Melodie nach der andern, nicht blos Kirchenlieder, sondern auch andere. Zuletzt ging er zu dem ergreifenden Gebete über:
»Herr, ich trete im Gebete
Vor Dein heilig Angesicht.
Laß Dir sagen meine Klagen;
Höre, was mein Flehen spricht.
Meines Lebens kurze Stunden
Neigen sich zum Abendroth;
Alles Hoffen ist verschwunden,
Und mein Sein sinkt in den Tod.
Darum trete im Gebete
Ich jetzt vor Dein Angesicht.
Laß Dir sagen meine Klagen;
Höre, was mein Flehen spricht!«
Diese Melodie wirkt unwiderstehlich auf jedes empfängliche Gemüth. Leni saß da, mit gefalteten Händen, und in lauter Thränentropfen löste sich der Schmerz von ihrem Herzen. Auch der Wurzelsepp fuhr sich fleißig mit der Hand nach den Augen.
Beide hatten gar nicht bemerkt, daß sie nicht mehr allein seien, sondern daß hinter ihnen Einer stand, der sie teilnehmend beobachtete. Als dann der letzte Ton verklungen war, legte sich eine Hand auf Leni's Achsel.
»Kommt mit mir! Ich habe mit Euch zu sprechen.«
Sie drehten sich um.
»O Himmel! Der König!« sagte der Sepp.
»Erschrickst Du vor mir?«
»Nein, Majestät. Mein Gewissen ist gut, wenn auch grad jetzt uns die Herzen schwer sind.«
»So geht mit mir! Vielleicht gelingt es mir, sie Euch zu erleichtern.« – – –