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Elftes Kapitel. In Miramare

Obgleich der Frühling noch längst nicht angebrochen war, lag das herrliche Triest in seiner immergrünen Umgebung wie eine weiß glänzende Perle zwischen schimmernden Smaragden.

Vom Süden her wehte eine milde Luft, und heller Sonnenschein drang selbst in die engen und sonst dunklen Gäßchen der ehemaligen Judenstadt, welche unweit des alten Kastells auf dem Schloßberge gelegen ist.

In einem dieser engen Gäßchen lagen zwei kleine, einstöckige Häuser neben einander, mit Fenstern, so klein, daß kaum ein Menschenkopf herausblicken konnte, und so niedrigen Thüren, daß selbst eine nicht zu lange Person sich bücken mußte, um ein- oder auszutreten.

In dem einen dieser Häuschen wohnte ein Grieche, deren es in Triest vierzehnhundert giebt. Der Bewohner des anderen war einer der fünftausend Juden, die in Triest ihre verschiedenartigen Geschäfte treiben. Der Grieche hieß Kolema und der Jude Baruch Abraham.

Alle Welt wußte, daß diese Beiden die besten Freunde waren. Sie handelten mit alten Sachen, doch munkelte man davon, daß sie außerdem noch heimliche Geschäftsbeziehungen unterhielten, in welche sie Niemanden blicken ließen. Leute, welche scharfe Augen und eine sichere Urtheilskraft besaßen, sagten, daß die beiden Freunde bedeutend reicher seien, als sie sich merken ließen.

Es gab sogar Personen, welche behaupteten, daß sowohl der Jude, als auch der Grieche mit bedeutenden hiesigen und ausländischen Firmen Verbindungen eingegangen seien, von welchen Niemand reden dürfe, die aber allem Anscheine nach ein bedeutendes Geld einbringen müßten. Ob das wirklich richtig sei, konnte nicht bewiesen werden.

Heute kamen zwei junge Männer die Gasse herauf. Sie blickten nach rechts und links wie Leute, welche hier fremd waren und die Stadt auch hier in dem unschönen, aber ethnographisch interessanten Viertel kennen lernen wollten.

Der Aeltere von ihnen mochte vierundzwanzig Jahre zählen; der Andere war um einige Jahre jünger. Beider Züge waren tief gebräunt. Sie kamen jedenfalls aus dem Süden. Die Gestalt des Ersteren war stark und kräftig. Seine Augen hatten den ruhigen, sicheren Blick eines Menschen, welcher weiß, was er will, und trotz seiner Jugend bereits viel zu seinem Vortheile erfahren hat.

Der Jüngere war schmächtiger. Seine blauen Augen hatten ein milderes Licht: er schien ein mehr anschmiegender als ein befehlender Character zu sein und machte den Eindruck eines Jünglings, welcher sich erst vor nicht sehr langer Zeit von einem körperlichen und vielleicht auch geistigen Leiden erholt hat.

Beide schienen dem Künstlerstande anzugehören, wenigstens ließ ihre Kleidung dies errathen. Sie trugen sich ganz gleich: blausammetne Schnurenröcke und sehr breitkrämpige Künstlerhüte.

Diese Beiden waren der einstige Lehrer von Hohenwald, Max Walther, und sein jüngerer Freund Johannes Weise, welcher daheim der Elephantenhans genannt worden war. Sie kehrten aus Egypten zurück, wo Beide auf Kosten König Ludwigs gewesen waren, hatten gestern das Schiff verlassen und beabsichtigten, für einige Tage in Triest und Umgebung herumzustreifen, und besonders sich das berühmte Schloß Miramare anzusehen, den Lieblingsaufenthalt des so unglücklich geendeten Kaisers Max von Mexiko.

Sie gingen schweigend neben einander her, die lebenden Bilder studirend, welche die schmutzige Gasse ihnen bot.

Da kamen sie an das Häuschen des Juden. In den kleinen, gewiß seit Jahren nicht geputzten Fenstern lagen allerlei getragene Gegenstände, wie sie sich in dem Lagerraume eines Althändlers anzuhäufen pflegen. Auch Bücher, Karten und alte Bilder waren zu sehen.

Der Elephantenhans, von Max Walther natürlich bei seinem wirklichen Vornamen Johannes genannt, blieb stehen und betrachtete sich das alte Firmenschild, welches über der Hausthür angebracht war. Die Inschrift war kaum mehr zu lesen. Sie war italienisch und deutsch und lautete in letzterer Sprache: »K. k. privilegirtes Antiquariat und Gemälde-Verkauf von Baruch Abraham.«

»Ein Antiquariat mit Gemälde-Verkauf,« lachte Johannes. »Da wird nicht viel zu finden sein!«

»Da kannst Du Dich doch vielleicht irren,« antwortete Max. »Solchen alten Buden sieht man es gar nicht an, was sie zuweilen beherbergen.«

»Meinst Du? Wollen wir einmal hinein?«

»Ich bin dabei. Du als Maler interessirst Dich natürlich für Gemälde, während ich als sogenannter Dichter und zugleich angehender Gelehrter mich nach Büchern, Landkarten und dergleichen umsehen werde. Komm!«

Sie waren bemerkt worden. Welcher Althändler sieht auch Käufer vor seinem Laden stehen, ohne sie zum Eintritt aufzufordern. Baruch Abraham trat heraus.

Er war eine lange, hagere Gestalt mit einer Habichtsnase, deren Kante dem Rücken eines Messers glich. Sein Kaftan, den er trug, war uralt und vielfach zerrissen, und an den beiden Ohren hingen ihm lange, graue Korkzieherlocken herab.

Die Verbeugung, welche er machte, war so tief, als ob er ein paar Prinzen vor sich habe. Dabei musterte er sie mit scharfen Augen und zog dann ein sehr zufriedengestelltes Gesicht. Er schien zu glauben, daß mit so jungen Leuten wohl ein gutes Geschäft zu machen sein werde.

Trotz ihrer jetzt so tief gebräunten Gesichtsfarbe sah er ihnen sogleich an, daß der Norden ihre Heimath sei, denn er redete sie nicht italienisch, sondern in deutscher Sprache an:

»Kommen Sie, meine Herrschaften! Treten Sie in mein Haus! Sie finden da Alles, was Ihr Herz nur begehren kann.«

»So?« lachte Max. »Wissen Sie denn ungefähr, was unser Herz begehrt?«

Er zeigte ein listiges Lächeln, zwinkerte mit den Augen und antwortete:

»Wie soll ich nicht errathen, was Ihre Seele zu begehren wünscht! Sehe ich es den hohen Herren doch an, daß sie sind große Künstler, welche besitzen genug Berühmtheit, um zu verstehen, welche Schätze sich befinden in dem Laden des alten Baruch Abraham.«

»Sie irren sich. Wir sind keine Berühmtheiten.«

»So befinden Sie sich auf dem graden Wege, es zu werden. Dem Genie sieht man es ja gleich am Gesicht an, ob es Talent besitzt oder nicht.«

Ueber diese so logische Ausdrucksweise mußte sogar der sonst so ernste Johannes lachen. Das vermehrte die gute Laune des Händlers um ein Bedeutendes. Leute, welche lustig sind, kaufen lieber als solche, die sich in schlechter Stimmung befinden. Er machte also auch gar nicht viele Umstände, sondern er faßte sie bei den Armen und schob sie in das Häuschen hinein.

Grad als sie sich in dem sehr engen und sehr dunklen Flur befanden, klopfte es an die Hinterthür.

»Was ist denn, wer klopft denn?« fragte er in einem strengen Tone, dessen Härte außerordentlich gegen seine bisherige Höflichkeit abstach.

»Wasser, bitte, Wasser!« antwortete eine sehr wohlklingende, milde Frauenstimme.

»Wasser, schon wieder Wasser,« sagte er halblaut für sich. »Werde es Ihnen sofort geben.«

Er eilte nach der Hinterthür, nahm dort Etwas, was die beiden Jünglinge wegen der Dunkelheit nicht deutlich erkennen konnten, von der Wand und riegelte die Thür auf.

Jetzt, da die Letztere geöffnet war, konnte man in einen kleinen, kahlen Hof blicken, welcher rings von nackten Mauern umgeben zu sein schien.

Draußen, hart vor der Thür, stand ein junges Mädchen. Sie trug nur ein einziges kurzes und schäbiges Röckchen, keine Schürze darüber. Außer demselben waren ein kurzes Mieder und ein schmutziges Hemd ihre einzigen Kleidungsstücke.

Aber trotz dieses ärmlichen Habites leuchtete die jugendliche Schönheit und Lieblichkeit aus allen ihren Formen hervor. Die kleinen Füßchen waren nackt, und das reiche, dunkle Haar hing in langen, dicken Zöpfen von dem schön gezeichneten Kopfe hernieder.

Jetzt sahen die beiden jungen Männer auch den Gegenstand deutlich, welchen der Jude in der Hand hatte. Es war eine starke, kurzgestielte und aus Riemen geflochtene Peitsche.

Er holte blitzschnell, ehe das Mädchen dies vermuthen konnte, aus und versetzte demselben einige so kräftige Hiebe über die halb entblößten vollen Schultern, daß die Getroffene mit einem lauten Weherufe zurückfuhr.

»Da ist Wasser!« schrie er zornig dazu. »Trinkt es und badet Euch darin! Wenn Ihr mehr haben wollt, braucht Ihr es nur zu sagen.«

Damit warf er die Thür zu, schob den Riegel vor und hing die Peitsche wieder an die Wand.

Das war so schnell geschehen, daß weder Max noch Johannes Zeit gefunden hatten, ihn an der Ausführung dieser Rohheit zu verhindern.

»Aber, Baruch Abraham, was thust Du da!« sagte der Erstere. »Wer wird ein so hübsches Mädchen schlagen!«

»Eben weil sie ist hübsch, muß sie werden geschlagen,« antwortete der Jude. »Sind doch die Hübschesten stets die Allerschlimmsten, was die hohen Herren wohl auch noch erfahren werden.«

»Was hat sie denn gethan?«

»Wasser hat sie verlangt!«

»Ist das denn etwas Schlimmes?«

»Ja. Wenn ich soll geben des Tages wohl fünfzig oder sechzig Mal Wasser, wie soll ich da Zeit finden zu arbeiten im Geschäft, wenn seine Leute kommen, sich anzusehen meine Sachen.«

»Kann das Mädchen denn sich nicht selbst das Wasser holen, welches sie braucht?«

»Nein. Das ist verboten.«

»Warum?«

»Warum? Weil ich es nicht darf dulden, wenn mein Geschäft nicht soll gehen ganz zu Grunde. Aber warum wollen wir reden von dem Mädchen, da wir doch haben besseres zu thun. Die Herren mögen eintreten.«

Er öffnete eine Seitenthür, welche in einen niederen Raum führte, der so vollgepfropft mit allerhand Sachen war, daß man kaum Platz zum Stehen fand. Durch die hintere Mauer des Gewölbes führte eine schmale Thür hinaus in den Hof.

Nun begann er, seine Herrlichkeiten vorzuzeigen. Max fand verschiedene Bücher, welche sein Interesse erregten, und stellte sich mehrere davon zur Seite, indem er immer weiter suchte. Johannes betrachtete sich die Bilder, welche an den Wänden hingen.

Da wurde die Eingangsthür geöffnet, und unter derselben erschien ein altes, häßliches Weib, jedenfalls die Frau des Juden.

»Ich gehe in die Stadt,« sagte sie. »Hast Du vielleicht Etwas zu besorgen, Baruch?«

»Ja, Sarahleben!« antwortete er. »Kannst mit zur Post gehen und nach Briefen fragen.«

Die Alte hatte mit jener lauten Stimme gesprochen, welche Schwerhörigen eigenthümlich ist. Als ihr der Mann jetzt antwortete, hielt sie die Hand an das Ohr und fragte:

»Was hast Du gesagt?«

Da trat er näher und wiederholte:

»Du sollst fragen, ob Briefe angekommen sind!«

»Ach so! Briefe. An wen?«

»An mich. Fragst nach Herrn Gärtner mit dem Zeichen Nummer Hundert. Verstanden?«

»Ja. Briefe an Herrn Gärtner Nummer Hundert. Aber woher denn?«

»Aus Wien natürlich, von dem Herrn Baron von Stubbenau.«

»Ja, ich weiß es, von dem Herrn Baron von Stubbenau, er, dem ich vor vierzehn Tagen vierhundertachtzig Gulden eingezahlt habe. Giebst es sonst noch Etwas?«

»Nein. Mach daste kommst fort!«

Er sagte das Letztere in beinahe zornigem Tone. Es schien ihm unlieb zu sein, daß die beiden Fremden Zeugen des Gesprächs geworden waren.

Diese zwei Genannten hatten natürlich Alles gehört, ohne aber etwas Auffälliges darin zu finden, daß der Jude sich unter einer anderen Adresse postlagernd Briefe schicken ließ. So Etwas kann ja bei einem jeden Geschäftsmann vorkommen.

Aber die kurze Verhandlung zwischen Mann und Frau hatte doch etwas so Eigenartiges, wohl gar Geheimnißvolles, daß die genannten Worte, nämlich der Name Gärtner und das Zeichen Nummer Hundert in dem Gedächtnisse der zwei jungen Männer haften blieben.

Die Alte ging, machte aber nach wenigen Augenblicken die Thür abermals auf und rief herein:

»Paß mit auf die Mädchens auf, damit sie nicht etwa machen Dummheiten!«

»Das werde ich schon thun!«

»Siehe besonders auf die Anita; die ist eine Italienerin; ihr ist nicht zu trauen.«

Da stampfte er zornig mit dem Fuße, fuhr auf sie zu und schrie sie erbost an:

»Willste endlich lassen das Geschwätz! Weißte nicht, dasste nicht sollst reden von solchen Sachen!«

Sie fuhr erschrocken zurück und warf die Thüre zu. Er konnte sich in seinem Zorn nicht enthalten, grimmig vor sich hin zu rufen:

»Kein Weib kann halten das Maul! Da ist die Eine grad so wie die Andere. Gott sei's geklagt.«

Nun wendete er sich dem jungen Maler zu:

»Schauen Sie sich nur die Bilder und Zeichnungen an. Ich habe ganze Mappen voll daliegen. Es sind auch alte Meister darunter, Raphael und Murillo.«

»Oho!« lachte Johannes ungläubig.

»Ja, sie sind da!« bestand er auf seiner Behauptung. »Raphael, Murillo, Caravagglio, David, Kaulbach, Rembrandt und viele Andere.«

»Die möchte ich sehen!«

»Da hängen sie ja.«

Er deutete auf die alten Schmöker an der Wand.

»Diese? Die sollen von solchen Meistern sein?«

»Ja. Sie haben mich gekostet ein schweres Geld; aber ich kann ja nicht behalten alle diese Herrlichkeiten. Ich gönne auch andern Leuten eine solche Wonne und werde sie verkaufen so billig, wie ich vermag. Schauen Sie sie sich nur an!«

Johannes war überzeugt, daß der Alte log; aber er wußte, daß es vorgekommen war, daß der Inhaber einer solchen Rumpelkammer ganz ohne sein Wissen ein werthvolles Bild beherbergte. Und da er jetzt nichts zu thun hatte, nahm er sich vor, diese alten Farbeklexereien einer gründlichen Besichtigung zu unterwerfen.

Aber das war nicht leicht. Der Raum war so niedrig, und die ohnehin zu kleinen Fenster lagen so voller unnützer Gegenstände, daß das nöthige Licht nicht hereindringen konnte.

»Anschauen soll ich mir die Bilder,« meinte darum Johannes; »aber wie soll ich das ermöglichen? Es ist zu dunkel hier.«

»Zu dunkel? Es ist hell, sehr hell! Sehe doch ich Alles, der ich bin ein alter Mann. Sie aber sind ein junger Künstler, der scharfe Augen hat.«

»Wenn Sie mit Gemälden handeln, so müssen Sie doch wissen, daß zur Beurtheilung derselben Licht, viel Licht gehört. Man muß eine Malerei, um sie richtig taxiren zu können, unbedingt in das richtige Licht bringen.«

»Das ist ja hier!«

Er schien gewisse Gründe zu haben, seinen Laden für genügend hell zu halten. Dabei fiel sein Blick, wie die beiden Freunde bemerkten, mit einer gewissen Besorgniß zum Hoffenster hinaus. Der Jude begann, ihnen verdächtig zu werden.

Max gab Johannes ein heimliches Zeichen und deutete nach dem Hofe. Der Maler verstand ihn und behauptete in Folge dessen hartnäckig:

»Sie mögen sagen was Sie wollen, hier ist es zu finster. Wenn Sie wirklich Bilder so berühmter Meister haben, so muß Ihnen daran liegen, dieselben in die richtige Beleuchtung zu bringen. Hier in diesem Gewölbe kann ich nichts kaufen.«

Der Alte zog ein unmuthiges Gesicht, sann eine kleine Weile nach und fragte dann:

»Werden die Herren denn wirklich kaufen?«

»Ja. Wenn wir etwas Preiswerthes finden.«

»Und werden Sie können auch sogleich bezahlen?«

»Sofort!«

»So möchte ich Ihnen geben das richtige Licht; aber wo soll ich es nehmen her?«

»Nun, Ihr Hof ist ja hell genug.«

»Mein Hof? Au wai! Wie soll ich lassen die Käufer hinausgehen in meinen Hof!«

»Warum denn nicht? Haben Sie etwa Heimlichkeiten draußen? Müssen Sie sich vor dem Gesetze fürchten?«

Da hob der Alte erschrocken die Hände empor und rief in betheuerndem Tone:

»Gott Abrahams! Was führt der Herr für Reden. Baruch Abraham ist ein ehrlicher Mann und ein Freund der Gesetze. Wie kann er handeln gegen dieselben?«

»Nun, so haben Sie sich auch nicht zu fürchten, wenn ich mir die Bilder draußen betrachte.«

»Zu fürchten habe ich mich gar nicht, aber zu – zu – zu schämen!«

Er brachte dieses letztere Wort erst nach einigem Nachsinnen heraus; es war ihm nicht gleich eine passende Ausrede eingefallen.

Die Freunde waren überzeugt, daß er gar zu gern ein Geschäft gemacht hätte; aber hinaus in den Hof sollte keiner von ihnen. Es mußte doch draußen Etwas geben, was das Tageslicht zu scheuen hatte.

»Zu schämen?« fragte Johannes. »Vor uns brauchen Sie sich nicht zu schämen.«

»O doch! Mein Haus ist alt, und ich bin mit meiner Sarah allein. Wir sind zu betagt und zu schwach um es zu halten in Reinlichkeit und Ordnung. Wenn ein vornehmer, fremder Herr kommt hinaus in den Hof, wird er nicht wollen bleiben in demselben.«

»O, so lange ich mir die Bilder betrachte, so lange wird es wohl auszuhalten sein. Also schaffen Sie Licht, oder wir gehen!«

Er kratzte sich hinter den Korkzieherlocken. Um ihm Muth zu machen, bemerkte Max:

»Wir wollen ja nicht alle Beide hinaus. Nur mein Freund braucht Licht zu den Gemälden. Ich kaufe mir Bücher; dazu ist es hier hell genug.«

Das schien zu wirken, denn der Alte sagte:

»Da die Herren wirklich kaufen wollen und auch gleich bezahlen werden, will ich es erlauben, daß die Bilder dürfen betrachtet werden im Hofe. Aber ich muß erst hinaus, um zu machen ein Wenig ordentliche Sauberkeit. Ich werde kommen schnell wieder zurück.«

Er schob den Riegel von der Thür zurück, welche aus dem Verkaufsgewölbe nach dem Hofe führte, trat hinaus und zog aber die Thür hinter sich wieder in das Schloß. Die Beiden hörten an seinen Schritten, daß er sich entfernte.

Im nächsten Augenblicke standen sie an dem Fenster, welches mit Spinnweben umzogen und voller Schmutz war, aber doch einen Durchblick gestattete.

Der Hof war leer, vollständig leer. In der einen Ecke erhob sich ein Düngerhaufen. Es war nichts zu sehen als nur die Schatten einiger weiblicher Personen, welche von einer Seite nach der andern huschten.

»Vom Fenster zurück!« flüsterte Max. »Er darf uns nicht überraschen!«

Er trat zu seinen Büchern, in welche er sich scheinbar vertiefte, während Johannes sich ebenso angelegentlich mit den Bildern zu beschäftigen schien. Dabei fragte der Letztere leise:

»Was sagst Du dazu?«

»Der Kerl kommt mir verdächtig vor.«

»Mir auch. Was mag das für ein Mädchen gewesen sein?«

»Es waren mehrere draußen, und doch behauptete er, daß er mit seiner Sarah das Haus allein bewohne.«

»Er hat gelogen. Es giebt hier Etwas, was das Licht zu scheuen hat.«

»Und das bejaht sich auf diese Mädchens. Jetzt erst fällt es mir auf, daß er Briefe unter anderem Namen empfängt.«

»Unter dem Namen Gärtner und Nummer Hundert.«

»Das habe ich mir auch gemerkt. Wollen wir versuchen, in sein Geheimniß einzudringen?«

»Ja.«

»Auch ich habe große Lust dazu. Das Mädchen war so schön und hatte ein so trauriges Gesicht.«

»Wie aber fangen wir es an?«

»Sehr einfach. Du gehst mit den einzelnen Bildern in den Hof und thust, als ob Du sie genau betrachtest –«

»Er wird sich mit hinstellen!«

»Das schadet nichts. Ich werde ihn schon auch beschäftigen. Ich rufe ihn herein, um ihn nach den Büchern zu fragen. Indessen hältst Du heimliche aber genaue Umschau. Das Weitere wird sich schon selbst finden. Wenn die Mädchens hier wirklich ein Leiden zu tragen haben, werden sie es zu ermöglichen suchen, Dir einen Wink zu geben. Also paß genau auf.«

»Kaufen wir denn wirklich Etwas?«

»Einige Bücher werde ich behalten. Ob Du ein kleines Sümmchen für irgend ein Gemälde giebst, das wird davon abhängen, ob Deine Beobachtungen von Erfolg sind oder nicht. Durch des Königs Güte haben wir ja so viel Geld, daß wir uns auch einmal eine überflüssige Ausgabe gestatten können.«

»Gut! Giebt es für uns irgend einen Grund zum Wiederkommen, so werde ich kaufen.«

Das leise Gespräch konnte nicht fortgesetzt werden, denn die schlürfenden Schritte des Juden ließen sich vernehmen. Als er eintrat, fand er die Beiden in großer Entfernung von einander stehend und in ihre Bücher und Zeichnungen vertieft.

»So!« sagte er. »Jetzt kann sich der Herr die Bilder mit in den Hof nehmen, und ich werde ihm dabei behilflich sein.«

Es wurden nun mehrere Bilder hinausgetragen und an die Mauer gelehnt. Johannes betrachtete eins nach dem andern und that so, als ob er Hier gar nichts weiter im Auge habe. Dennoch aber hielt er heimliche Umschau.

Das Häuschen bestand nur nach der Straße zu aus dem Parterre. Auf der Hofseite war ein Stockwerk aufgesetzt worden, und da zog sich an demselben eine Art Söller hin, welcher von einer bretternen Brüstung geschützt wurde.

Die beiden Seiten des Hofes wurden von den Gebäuden der Nachbarhäuser begrenzt, während hinten sich eine hohe Mauer erhob, durch welche ein kleines Pförtchen führte.

Der Alte beobachtete schweigend, welchen Eindruck die Bilder auf den Maler machen würden. Dieser verhielt sich sehr schweigsam.

Da ertönte drin im Gewölbe Maxens Stimme. Der Jude trat hinein und Johannes befand sich nun allein im Hofe. Er schaute sich scharf um. konnte aber nichts Auffälliges bemerken. Nur ein leises, leises Geräusch vernahm er über sich. Es kam vom Söller her.

»Pst!« machte er leise. »Ist Jemand da?«

»Du scampara mi!« antwortete es ebenso leise.

Diese italienischen Worte heißen zu Deutsch: Rette mich! Johannes war dieser Sprache nicht so weit mächtig, als nothwendig war, in solcher Lage ein heimliches Gespräch zu führen, bei welchem es auf das richtige Verständniß jedes einzelnen Wortes ankam. Darum fragte er:

»Redest Du auch Deutsch?«

»O ja. Ich dachte, Sie seien Italiener.«

»Ich bin ein Deutscher. Also retten soll ich Sie?«

»Ja, ja, ich bitte Sie um Gotteswillen!«

»Still! Der Jude kommt!«

Der Alte kehrte zurück und brachte wieder Bilder mit. Doch sorgte der schlaue Max dafür, daß er bald wieder in das Gewölbe zurück mußte. Johannes hatte sich so gestellt, daß er grad unter der Stelle stand, an welcher von oben herab gesprochen worden war. Er fragte:

»Sind Sie noch da?«

»Ja.«

»Wer sind Sie?«

»Eine Gefangene.«

»Ach, ich werde Sie befreien. Ich gehe zur Polizei.«

»Um Gotteswillen nicht. Das würde mir nichts helfen, sondern nur schaden.«

»Warum?«

»Er hat meinen Contract.«

»Was für einen Contract?«

»Ich habe mich ihm vermiethet, zu ehrlicher Arbeit. Er aber hat böse Absichten.«

»Sapperment! Das soll er bleiben lassen!«

»Ich kann ihm aber nichts beweisen. Darum dürfen Sie nicht zur Polizei. Es muß durch List geschehen. Wenn ich nur erst aus dem Hause wäre.«

Der Alte kehrte zurück, so daß das Gespräch abermals verstummen mußte. Dies geschah noch mehrere Male; aber Max hatte sich so oft nach dem Inhalte oder dem Preise der Bücher zu erkundigen, daß Johannes Zeit fand, sich wenigstens nothdürftig mit der Sprecherin zu verständigen. Er erkundigte sich:

»Sind Sie Diejenige, welche vorhin von dem Alten geschlagen wurde?«

»Der Schuft!«

»Er thut das sehr oft. Er will uns durch Hunger und Durst nachgiebig machen.«

»Sind noch mehrere Mädchen da?«

»Ja, noch vier.«

»Und die wollen auch frei sein?«

»O, die fühlen keine Schande. Sie wollen Alles thun, was er will. Mit ihnen ist er gut. Nur gegen mich ist er grausam. Sie wohnen auch beisammen, während ich allein eingesperrt werde. Ach, könnte ich fort!«

»Kommen Sie herab! Ich nehme Sie mit.«

»Sogleich?«

»Ja.«

»Das geht nicht. Er würde es nicht dulden.«

»Ich fürchte mich nicht vor ihm, und ich habe einen Freund mit, welcher noch viel muthiger ist als ich es bin.«

»Das ändert nichts. Er hat einen Contract, und ich kann ihm nichts beweisen. Er würde mich durch die Polizei ergreifen lassen.«

»Hm! Eine böse Sache! So müssen Sie also heimlich fort.«

»Anders geht es nicht.«

»Aber wie?«

»Nur des Nachts ist es möglich. Könnten Sie nicht hierher in den Hof kommen?«

»Gern, wenn es zu bewerkstelligen wäre. Aber ich weiß nicht, wie ich hereinkommen soll.«

»Ueber die Mauer dort. Es geht ein schmales Gäßchen vorbei.«

»Aber dieselbe ist so hoch, daß ich eine Leiter brauchen würde. Das könnte auffallen, hier inmitten der Stadt.«

»Könnten Sie nicht das Pförtchen öffnen?«

»Dazu gehört ein Schlüssel.«

»Oder es aufsprengen?«

»Das macht Lärm, selbst wenn wir das dazu gehörige Handwerkszeug hätten.«

» Dio mio! So giebt es keine Hilfe!«

»Verzweifeln Sie nicht! Ich werde nachdenken. Giebt es hier einen Hund?« »Nein. Um so ein Thier zu füttern, dazu ist der Alte viel zu geizig.«

»Das ist gut. Aber wo befinden Sie sich des Nachts? Kann man zu Ihnen?«

»Ja, aber ich kann nicht heraus. Ich bin fest angehängt.«

»Alle Teufel! Einen Menschen anhängen! Wo ist der Ort?«

»Diese Hofseite hat drei Fenster und eine Thür, welche hier vom Söller in's Innere führt. Rechts von der Thür sind zwei Fenster; da schlafen die Anderen. Links ist nur eins; da befinde ich mich. Ich bin angehängt und noch dazu extra eingeschlossen.«

»Durch einen Schlüssel?«

»Nein, sondern einen Riegel.«

»Und wo schläft der Jude?«

»Er schläft mit seinem Weibe vorn über dem Laden.«

»Geht er des Nachts revidiren?«

»Ja, mehrere Male.«

»Hm! Das mahnt zur Vorsicht!«

»Mein Gott! Wenn Sie doch den Muth hätten!«

»Pah, den habe ich.«

»Und wenn Sie wüßten, wie ich in die Hände dieses Mannes gekommen bin, würden Sie Mitleid mit mir haben.«

»Ich werde es erfahren, aber nicht jetzt; da ist nicht Zeit dazu.«

»Sie haben so ein liebes, gutes Gesicht, ganz so, als ob ich mich Ihnen anvertrauen könne.«

»Sehen Sie mich denn?«

»Ja, durch die Ritzen des Fußbodens. Haben Sie auch mich gesehen?«

»Wir erblickten Sie in dem Augenblicke, als er Sie schlug. Das hat uns erzürnt und wehe gethan. Ich werde mit meinem Freunde sprechen und hoffe ganz bestimmt, daß er meinen Entschluß billigen wird.«

»Welchen Entschluß? Bitte, bitte!«

»Sie zu befreien.«

»Gott sei Dank! Mein Leben würde ich Ihnen dafür geben! Aber es müßt heut geschehen, denn morgen bin ich nicht mehr da.«

»Wo sollen Sie hin?«

»Nach der Höhle.«

»Nach welcher? Kennen Sie dieselbe?«

»Nein. Ich weiß nur, daß wir in nächster Nacht nach einer Höhle geschafft werden sollen.«

»Hat Ihnen das der Jude gesagt?«

»Nein. Ich habe es erlauscht, als er mit den Anderen davon redete.«

»Wissen Sie, was Sie in der Höhle sollen?«

»Nein. Ich habe nur vernommen, daß sich noch mehrere junge Mädchen dort befinden.«

»Sie Aermste! Ich beginne zu ahnen, um was es sich handelt.«

»Ist's etwas sehr Böses?«

»So sehr, daß es für ein junges, braves Mädchen gar nichts Schlimmeres geben kann.«

»Mein Herr und Gott! Wie soll das enden!«

»Mit Ihrer Rettung. Wir kommen heut.«

»Wirklich, wirklich?«

»Ja, gewiß.«

»O, nehmen Sie meinen heißesten Dank! Aber wird es Ihnen auch gelingen?«

»Es muß gelingen, und wenn wir die Mauer einreißen sollen. Verlassen Sie sich darauf.«

»Und wann kommen Sie, zu welcher Zeit?«

»Wenn Alles schläft und ruhig ist, vielleicht eine Stunde nach Mitternacht.«

»So werde ich Sie mit Ungeduld, mit heißer Sehnsucht erwarten.«

»Und ich brenne bereits vor Ungeduld, das Abenteuer zu unternehmen.«

»Ich darf mich also darauf verlassen?«

»Ganz gewiß, gewiß!«

»So werde ich bis dahin zur heiligen Mutter Gottes bitten, daß es gelingen möge.«

»Thun Sie das. Jetzt aber wollen wir abbrechen. Der Jude könnte ungeduldig werden und Verdacht schöpfen. Mein Freund hat ihn schon fünfmal hineingerufen, damit ich Zeit finden soll, mit Ihnen zu reden!«

»Weiß denn Ihr Freund, daß ich hier bin?«

»Nein, aber er ahnt, daß ich mit Ihnen spreche.«

»Sagen Sie auch ihm meinen Dank, meinen innigsten Dank!«

»Gern. Und nun leben Sie wohl!«

»Noch nicht. Erst muß ich wissen, wie Ihr Name ist; ohne dies gehe ich nicht von hier fort.«

»Mein Name ist Johannes, und mein Freund heißt Max. Und Ihr Name?«

»Anita.«

»Ach, so sind Sie die Italienerin, welcher die beiden Alten nicht trauen!«

»Haben sie das gesagt?«

»Die Jüdin sagte es.«

»Weil ich ihnen nicht gehorche, sondern mich gegen das Schicksal wehre, für welches sie mich bestimmt haben. Die Alte ist fortgegangen. Das ist Gottes Schickung; denn wäre sie hier geblieben, so wäre es mir unmöglich gewesen, mit Ihnen zu sprechen.«

»Haben Sie denn bereits mit Anderen gesprochen?«

»Nein, mit Keinem.«

»Warum nicht?«

»Ich traute ihnen nicht.«

»Aber mir haben Sie getraut?«

»Sofort. Ich sah Sie im Hausflur stehen, als die Alte die Hinterthür öffnete, um mir anstatt des Wassers die Peitsche zu geben! Es war nur ein blitzschneller Moment, daß ich Ihre Augen sah, aber ich sagte mir, daß ich zu Ihnen Vertrauen haben könne.«

»Ich danke Ihnen. Ihre Worte thun mir wohl. Wie aber ist es Ihnen möglich geworden, auf den Söller zu kommen?«

»Durch die Eilfertigkeit des Juden. Er nahm sich nicht Zeit, mich ganz bis in meine Kammer zu bringen und dort einzuriegeln. Er schickte mich nur hinauf und befahl mir, in der Kammer zu bleiben, bis er mir erlauben werde, dieselbe zu verlassen. Da habe ich mich herausgeschlichen und auf dem Boden des Söllers niedergelegt, durch dessen Ritzen ich Sie sehen kann.«

»So ahnten Sie wohl, daß ich kommen werde?«

»Mein Herz sagte es mir.«

Das klang so rührend, so aufrichtig. Ihr Ton war dabei so herzlich und doch so mädchenhaft zagend. Er wußte selbst nicht, wie ihm geschah. Es ging in seinem Innern Etwas vor, wofür er keine Worte fand.

»Ihr Herz soll Sie nicht getäuscht haben,« sagte er. »Sie sollen frei sein. Nun aber müssen wir scheiden. Leben Sie wohl, Anita!«

»Leben Sie wohl, Johannes,« erklang es von oben. »Auf Wiedersehen, mein Retter!«

Das Gespräch war beendet, so daß der Maler seine Aufmerksamkeit nun ungetheilt auf das Gemälde richten konnte. Er war kein Meister, sondern erst ein angehender Schüler der Kunst, aber wenn er auch noch keine kritische Schärfe des Blickes besaß, so hatte er doch genug künstlerischen Instinct, zu sehen, daß er nur alte, werthlose Schmierereien vor sich sah.

Eine Landschaft war das einzige, für welche er Etwas bieten zu dürfen glaubte. Er fragte nach dem Preise.

»Das ist ein Murillo!« erklärte der Jude. »Der ist freilich theuer.«

»Ein Murillo?« lachte Johannes. »Sie sind wohl nicht bei Troste!«

»Ich? O, Baruch Abraham ist stets bei Troste. Er ist der erste Kunstkenner, den es giebt!«

»So! Also Murillo hat eine norwegische Schneelandschaft gemalt!«

»Mehrere sogar!«

»Wie kommt denn Murillo zu Schneelandschaften?«

»Er war ja in Norwegen, ja, er wohnt sogar noch jetzt in diesem Lande.«

»Ah! Murillo ein Norweger! Das ist gut, das ist einzig! Wissen Sie, Murillo war ein Spanier!«

Aber Baruch Abraham war nicht aus der Fassung zu bringen; er hatte seilst in der allerschlimmsten Klemme eine Ausrede.

»Zuweilen war er ein Spanier, nur zuweilen,« antwortete er. »Spanien und Norwegen liegen bekanntlich als Nachbarländer neben einander. Murillo ist bald hüben und bald drüben gewesen, darum war er heut ein Norweger und morgen ein Spanier.«

»Auch gut! Darüber wollen wir nicht streiten.«

»Der Streit würde den gnädigen Herrn auch zu nichts führen. Ich bin ein ebenso guter Geograph wie Kunstkenner; was ich weiß, das weiß ich sehr genau. Also, wollen Sie das Bild kaufen?«

»Als einen Murillo nicht.«

»So kaufen Sie es als etwas Anderes!«

»Nennen Sie den Preis!«

»Dreihundert Gulden.«

Johannes antwortete nicht. Er schaute dem Alten still lächelnd in das runzelige Gesicht. Dieser glaubte, er sei nicht verstanden worden und wiederholte:

»Dreihundert Gulden.«

»Ich habe es gehört. Ich schaute Sie nur an, um zu sehen, ob Sie nicht vielleicht dreihundert Mal verrückt sind.«

»Verrückt? Baruch Abraham verrückt! Gott der Gerechte, und noch dazu dreihundert Mal!«

Er schlug die Hände über den Kopf zusammen.

»Ja, so denke ich,« nickte Johannes. »Wer für diese Schmiererei dreihundert Gulden verlangen kann, bei dem rappelt es im Kopfe.«

»Rappeln, rappeln! O Ihr Erzväter und heiligen Propheten! In meinem Kopfe soll es rappeln. Hat man schon so etwas gehört!«

Da trat Max herbei, warf einen Blick auf das Bild und meinte:

»Sprechen wir dann darüber. Jetzt möchte ich wissen, was Sie für die Bücher verlangen, die ich mir ausgesucht habe.«

»Sogleich, sogleich. Ich werde nachschauen, was ich gegeben habe dafür und wieviel ich muß fordern, wenn ich sie will verkaufen gegen fünf Prozent Verlust, was ich aber nur thue, weil sie mir werden bezahlt mit baarem Gelde.«

Der alte, schlaue Fuchs und Lügner suchte ein altes Geschäftsbuch hervor und verglich die Bemerkungen, mit denen jedes antiquarische Werk versehen war, mit den dortigen Aufzeichnungen.

Das dauerte ziemlich lange. Während dem standen Johannes und Max entfernt von ihm bei einander, und der Erstere erzählte dein Letzteren in der Eile Alles, was er gesehen, gehört und dem Mädchen versprochen hatte.

»Hab ich es recht gemacht?« fragte er dann.

»Ja.«

»Du entführst sie mit?«

»Versteht sich. Das giebt doch einmal eine kleine Abwechslung in das Reiseleben, welches Einen durch seine Einförmigkeit endlich ermüden muß. Man wird nach und nach blasirt.«

»Max!«

»Ja, ja. Du glaubst es gar nicht. Ich bin es herzlich müde und sehne mich aufrichtig nach der Heimath zurück.«

»Um vielleicht doch noch eine Spur von der Silbermartha zu finden!«

»Still, wenn Du mich nicht erzürnen willst! Bleiben wir bei der Sache. Ich bin ein Wenig älter und vielleicht auch ein Wenig erfahrener als Du. Ueberlaß es mir, den Juden zu behandeln. Wir müssen es so einrichten, daß wir wiederkommen können, ohne seinen Verdacht zu erwecken.«

Baruch Abraham war mit seiner Berechnung zu Ende und that die Forderung. Max bot ihm schlank weg halb so viel. Der Jude schrie zwar, daß er keinen Kreuzer ablassen könne, erklärte sich aber doch endlich einverstanden mit dem Gebote und packte die Bücher zusammen.

Nun sollte von Neuem über das Bild gehandelt werden, aber Max erklärte, daß sein Freund es nicht kaufen werde, weil der Preis ganz und gar nicht im Verhältniß zu dem Werthe stehe.

»So mag er doch bieten!« meinte Baruch.

»Auch das thun wir nicht. Sie haben so viel vorgeschlagen, daß es geradezu lächerlich wäre, zu sagen, wie viel wir geben wollen.«

»Was sagt der Herr? Zu viel vorgeschlagen soll ich haben? Ist zweihundert Gulden zu viel vorgeschlagen?«

»Dreihundert verlangten Sie!«

»Da haben mich die Herren falsch verstanden. Ich hab gesprochen nur von zweihundert.«

»Auch das ist uns viel, viel zu theuer. Wir wollen es uns überlegen. Meine Bücher trage ich natürlich nicht selbst fort. Ich werde sie abholen lassen. Hier ist das Geld.«

Er bezahlte den Betrag. Als dann die Freunde Ernst machten, sich zu entfernen, gerieth der Jude förmlich in Ekstase. Er schwor hoch und theuer, daß er selbst volle zweihundert Gulden für das Bild bezahlt habe, ging aber doch endlich auf hundert und gar auf fünfzig herab.

Max blieb fest. Er schüttelte den Kopf und meinte:

»Ich will Ihnen etwas sagen. Wir werden wiederkommen. Wir gehen jetzt hinauf auf das Kastell und werden uns während dieser Promenade überlegen, wie viel wir bieten. Auf dem Rückwege kommen wir wieder her.«

»Ist das wahr?«

»Ich halte Wort.«

»So mögen die Herren sich überlegen den Stand des Handels, und ich werd indessen nachsuchen, ob ich noch kann herablassen eine Kleinigkeit vom Preise. Und damit die Herren nicht brauchen zu machen einen großen Umweg hinauf zum Kastel, werde ich ihnen öffnen die Thür meiner Hofmauer und ihnen zeigen, wie sie haben zu gehen, um recht schnell wieder können zurückkommen zu mir.«

Ihm war es darum zu thun, das alte Bild zu verkaufen. Die Habsucht trieb ihn, etwas zu thun, was er sonst wohl nicht gethan hätte. Er hatte noch nie einen unbekannten Menschen durch die Mauerpforte ein- oder austreten lassen.

Er trat an die Thür, welche aus dem Lagerraum in den Hof führte. Dort hing an einem Nagel ein Schlüssel, welchen er herabnahm. Max nickte dem Freunde bedeutungsvoll zu, als ob er ihm sagen wollte:

»Paß' auf! Das ist der Ort, an welchem der Pfortenschlüssel hängt, den wir vielleicht brauchen werden!«

Dann führte der Alte sie über den Hof hinüber nach dem Pförtchen. Während er sich bückte, um den Schlüssel in das Schloß zu stecken, drehte sich Johannes schnell um, um noch einen Blick nach dem Söller zu werfen, dort oben stand Anita, hoch aufgerichtet und ihm wenig zulächelnd.

Das Hemd war ihr von der einen Schulter geglitten, und das schöne, lebenswarme Colorit derselben bildete in Verein mit dem vollen, schön modellirten Arme einen Anblick, der einem auch sonst kaltblütigen Manne das Herz höher schlagen lassen konnte.

Aber Johannes sah das nicht. Er sah nur das schöne, lieblich erglühende Gesichtchen und die Hand, welche sie an den Mund legte, um ihm einen keuschen Kuß zuzuwerfen.

Dann plötzlich senkte sie sich nieder. Der Alte hatte die Thür aufgeschlagen und drehte sich um. Er durfte sie natürlich nicht sehen.

»Also die jungen Herren werden kommen recht bald wieder?« fragte er.

»Ja, wir haben es versprochen und halten Wort. Aber die Zeit können wir nicht genau bestimmen,« antwortete Max. »Wie lange haben Sie den Laden geöffnet?«

»Bis acht Uhr. Und wenn die Herren wirklich wollen kommen, so werde ich auch warten bis um neun Uhr.«

»Schön! Wir kommen gewiß, und wenn Sie den Preis mäßig machen, so daß wir handelseinig werden, trinken wir dann eine gute Flasche Wein zusammen und rauchen dazu eine Cigarre, welche nicht oft den Weg über Ihre Schwelle finden wird.«

Für einen Maler oder Physiognomiker war es höchst interessant, das Gesicht zu sehen, welches der Alte machte. Es sprach sich auf demselben das maßloseste Erstaunen über eine so unerhörte Freigiebigkeit oder gar Verschwendung aus. Dann aber verwandelte sich dieser Ausdruck des Erstaunens in denjenigen der Enttäuschung.

»Was machen Sie für ein Gesicht?« fragte Max lachend. »Ist Jemand gestorben?«

»O nein. Das wolle Gott verhüten, denn wer da ist gewesen so dumm, zu sterben, der kann nicht wieder kommen zurück und retour. Aber nun weiß ich ganz gewiß, daß die Herren nicht wieder werden kommen zu mir.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie mir haben versprochen guten Wein und dazu feine Cigarren.«

»Und das glauben Sie nicht?«

»Wie soll ich das können glauben?«

»Ist Ihnen das noch nie passirt?«

»Noch nie in meinem ganzen Leben. Sind die Herren denn gar so grausam reich, daß sie können verschenken eine solche Summe?«

»Nein, reich sind wir nicht, aber nobel. Den Wein und die Cigarren werden wir übrigens nur dann geben, wenn wir mit Ihrem Preise zufrieden sind. Jetzt ade!«

»Ja, ade sagen wir; aber ich werde hoffen auf Ihr Kommen, bis es ist geworden neun Uhr.«

Er schloß hinter ihnen zu.

Sie gingen eine Weile schweigend neben einander hin. Dann sagte Johannes:

»Wollen wir wirklich hinauf nach dem Kastell?«

»Nein. Ich sagte das nur, um den Kerl später bitten zu können, daß er uns zum Hof hinauslasse. Glücklicher Weise kam er selbst auf diesen Gedanken.«

»So war also schon das Berechnung von Dir?«

»Ja. Komm, ich habe Lust, etwas Gutes zu essen. Da ist die Villa Ferdinandeo der richtige Ort dazu. Dort hat sich das Restaurant zum Jäger etablirt, wo man ebenso gut wie billig speist.«

»Wie Du das Alles weißt!«

»Ich erkundigte mich. Der Mensch soll für seinen Geist sorgen, indem er den Leib nicht verderben läßt, sonst wird aus dem Leibe eine Leiche, aus dem Geiste ein Gespenst, und alle Glückseligkeit ist vorüber. Das habe ich den armen, frommen italienischen Klosterbrüdern abgesehen, welche sich so fleißig kasteien und doch so wohlgenährt sind.«

Sie kamen durch die hübschen Anlagen des Boschetto (Eisenhügels) hinauf nach dem genannten Restaurant und setzten sich da unter den Bäumen nieder.

Wie auf Verabredung sprach von den Beiden Keiner ein Wort über das Erlebniß und das noch zu erwartende Abenteuer, bis sie gegessen hatten. Dann aber sagte Johannes, der seine Ungeduld nicht länger zu bemeistern vermochte:

»Du redest doch gar nichts, Max. Hast Du Dich vielleicht anders besonnen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte in ernstem Tone.

Johannes erschrack.

»O weh!« rief er aus. »Arme Anita!«

»Ach was Anita! Was geht uns dieses fremde Mädchen an!«

»Sie ist unglücklich, sehr unglücklich!«

Max steckte sich eine Virginia an, that einige Züge und sagte dann bedächtig:

»Freund, der Mensch muß Philosoph sein. Dazu gehört vor allen Dingen, daß man sich so wenig Arbeit wie möglich macht.«

»Seit wann hast Du solche Grundsätze?«

»Schon seit einiger Zeit. Ich erkenne, daß es die bequemsten Grundsätze sind, die man haben kann.«

»Ja, bequem, aber nicht ehrenhaft.«

»Du, das mit der Ehre ist auch ein sehr streitiger Punkt. Was ist die Ehre. Die Summa von verschiedenen unbequemen Rücksichten, welche man auf sich und Andere zu nehmen hat.«

»Das mißbilligest Du?«

»Jawohl.«

»Max!«

»Schweig! Du bist noch so ein blutiger Mensch, daß Du erfahrenere Leute, wie ich ja bin, reden lassen mußt.«

»Also Deine Philosophie ist sowohl dem Mitleide als auch der Ehre abhold?«

»Gewiß! Denke Dir, wir haben ein Mädchen gesehen, welches dem Juden echappiren will. Gut, dagegen habe ich gar nichts. Sie mag es thun. Uns aber soll sie dabei in Ruhe lassen. Denn was haben wir davon? Arbeit, Plage, Aerger, Geldausgaben und Anderes, lauter nicht sehr wünschenswerthe Dinge.«

»Ich begreife Dich nicht. Ich kenne Dich gar nicht wieder. Du bist mir fremd geworden.«

Sein Gesicht hatte sich vor Unmuth geröthet. Max aber meinte in gelassenem Tone:

»Mein Sohn, so mußt Du mich von Neuem kennen lernen. Weiter bleibt Dir gar nichts übrig.«

Johannes hielt noch immer zurück. Sein sanftes Naturell sträubte sich gegen jeden Krafterguß.

»Also Du willst wirklich nicht?« fragte er.

»Nein.«

»So werde ich es allein unternehmen.«

»Unsinn!«

»Ja, ich habe es ihr versprochen, und ich halte Wort. Weißt Du? Ich halte Wort!«

»Gefällt sie Dir denn gar so sehr?«

Johannes erröthete bis hinter die Ohren. Dennoch antwortete er in seiner aufrichtigen Weise:

»Ja, sie hat mir außerordentlich gefallen. Sie ist ein gutes Mädchen, und ich hole sie heraus!«

»Wenn Du Dich jedem Mädchen widmen willst, welches Du für gut hältst, so hast Du bald für Dich selbst keine Zeit mehr übrig.«

»Davon ist keine Rede. Sie hat geweint. Sie wird geschlagen. Das muß aufhören!«

Max lachte. Das erboste Johannes so sehr, daß er auf den Tisch schlug und ausrief:

»Ja, aufhören muß es! Ich will es, ich!«

»Du bist ja der reine Bayard!«

»Spotte nur! Zu Bayards Zeit zogen die Ritter aus, um Frauen zu schützen. Die Zeiten sind anders geworden. Jetzt ziehen die Ritter aus, um Frauen zu verführen. Die echte Ritterlichkeit findet ihr Heim nur noch in den Künstlerkreisen. Und wie ich leider an Dir sehe, soll sie auch diese ihre letzte Heimath verlieren. Wo wendet sie sich dann hin? Sie hüllt ihr trauerndes Haupt in Flor und stirbt.«

»In Krepp, lieber Johannes, nicht in Flor. Krepp ist jetzt nobel, nicht mehr Flor. Merke Dir das, wenn Du wieder einmal zu einer ähnlichen Redewendung greifst!«

»Du bist unausstehlich!«

»Aber dennoch ein guter Kerl. Liegt Dir denn wirklich so viel an der kleinen Anita?«

»Außerordentlich viel. Ich gestehe es Dir offen. Es war mir, als ob ich meine gute Schwester Liesbeth leiden sehe.«

»Das ist etwas Anderes. Wenn Du es Dir so zu Herzen nimmst, so müssen wir auf ein gut Gelingen anstoßen.«

Er goß die Gläser voll, erhob das seinige und sagte:

»Also Anita frei, sei heute die Parole!«

»Wie? Verstehe ich Dich recht? Du wolltest dennoch?« fragte Johannes, sein Glas nun auch erhebend.

»Mensch, Maler, Freund, Bruderherz, konntest Du wirklich denken, daß ich Dich im Stiche lassen würde? Kennst Du den Max Walther gar so wenig?«

»Gott sei Dank! Jetzt bin ich vom Alp erlöst! Ja, komm, laß uns zusammenstoßen. Anita sei frei.«

»Pst! Schrei nicht so! Was wir da vorhaben, ist nur für unsere Ohren. Das darf kein anderer Mensch hören.«

»Ach,« antwortete Johannes, »ich möchte es in alle Welt hinausschreien, daß Du mir doch noch behilflich sein willst. Das ist so lieb und so gut von Dir!«

»Und erst konntest Du Dich nicht in mich finden. So bist Du nun, der reine Gefühlsmensch.«

»Aber wie fangen wir es an?«

»Beim ersten Flecke. Wir gehen durch die kleine Mauerpforte.«

»Da fehlt der Schlüssel. Der hängt ja an dem betreffenden Nagel an der Thür.«

»Ach, was geht mich das an! Wir stehlen ihn.«

»Stehlen?« fragte Johannes erschrocken.

»Natürlich!«

»Sollen wir zu Dieben werden?«

»Ja, sehr gern sogar.«

»Können wir das denn nicht umgehen?«

»Nein. Du willst es ja partout.«

»Ich?«

»Ja doch. Du willst dem Juden das Mädchen stehlen. Oder hältst Du das für keinen Diebstahl?«

»Hm! Stehlen, das klingt so gemein!«

»Ist es auch. Aber wenn es Dir keine Schmerzen macht, ihm das Mädchen zu nehmen, warum nimmst Du es Dir denn so zu Herzen, daß Du ihm nebenbei auch noch den Schlüssel entwenden sollst?«

»Recht hast Du.«

»Uebrigens stehlen mir den Schlüssel nicht, sondern wir hängen ihn wieder hin.«

»Das geht ja nicht!«

»Ganz prächtig sogar.«

»Auch wegnehmen können wir ihn nicht.«

»O, Du fromme Seele! Durch Diebstahl könntest Du Dich wohl niemals ernähren. Deshalb habe ich ja gesagt, daß wir wiederkommen werden. Während ich dann mit ihm schachere und seine Aufmerksamkeit ganz auf mich ziehe, mausest Du den Schlüssel.«

»Ich?« fragte Johannes erschrocken.

»Ja. Wer sonst?«

»Doch Du!«

»Wie Du denkst! Auch das will ich thun. Auch diese Sünde will ich auf mein Gewissen nehmen. Aber wie steht es dann mit Dir? Hast Du das nöthige Geschick, die Aufmerksamkeit des Alten von mir abzulenken?«

»Ich werde es versuchen.«

»O weh! Wenn Du das in einem solchen Tone sagst, so weiß ich schon im Voraus, daß ich erwischt werde. Ich werde wohl Beides auf mich nehmen müssen, die Ablenkung der jüdischen Aufmerksamkeit und auch den Diebstahl. Das Leben wird Einem schon bereits in der Jugend sauer gemacht.«

»Aber wenn er den Schlüssel zufällig braucht und ihn dann nicht findet!«

»Er darf ihn eben nicht brauchen. Dafür haben wir zu sorgen.«

»Wie denn?«

»Wir nehmen ihn gleich mit fort. Ueberhaupt läßt sich nicht jedes Einzelne genau vorher bestimmen. Das kommt von selbst. Es giebt da eine viel wichtigere Frage, mit welcher wir uns beschäftigen müssen.«

»Welche?«

»Was thun wir mit dem Mädchen?«

»Hm! Das weiß ich auch nicht.«

»Das ist die geistreichste Antwort, welche Du nur geben kannst. Will ein Mädchen entführen und weiß nicht, wohin mit ihr!«

»Ich glaube, Du weißt es selbst nicht.«

»Nein, ist auch nicht nöthig. Du bist der eigentliche Hahn im Korbe, während ich nur die aushelfende Kraft bin. Also hast Du nachzudenken, nicht aber ich.«

»Ja, ja, wohin.«

»Willst Du sie am nächsten Morgen dem Juden wiederbringen?«

»Um keinen Preis.«

»Nun, so giebt es nur zwei Fragen: Willst Du sie laufen lassen, oder willst Du sie – heirathen?«

Johannes erglühte über und über.

»Max!« rief er aus.

»Pfui! Ich glaube gar, Du willst Dich schämen! Dafür könnte ich Dir meinen Knotenstock verehren, aber nur für kurze Pausen, und zwar über den Rücken! Wie alt bist Du?«

»Zwanzig.«

»Und schämst Dich, wenn vom Heirathen die Rede ist?«

»Max, hast Du zu dieser Zeit daran gedacht?«

»Ich habe schon viel früher davon gesprochen.«

»Unmöglich!«

»Ich habe schon als Schulbube gelesen: Und er ging in ein anderes Land und nahm sich ein Weib. Ist das nicht geheirathet?«

»Du wirst frivol!«

»Vielleicht! Wird aber kein großer Fehler sein. Also entscheide Dich! Willst Du sie heirathen?«

Es war ein eigenthümlicher Zug, welcher jetzt über Johannes' Gesicht glitt. Trotz, Scham und Entschlossenheit stritten mit einander um die Oberhand. Aber er antwortete nicht.

»Freundchen,« meinte Max, »ich will Dir Etwas mittheilen, etwas ganz Nagelneues.«

»Das wird nicht viel Kluges sein.«

»O doch. Willst Du es hören?«

»Ja. Wenn ich mich weigere, bekomme ich es dennoch zu hören. Ich kenne Dich ja.«

»Schön! Neige Dein Ohr zu mir. Ich will es Dir leise sagen. Es ist Geheimniß.«

Johannes hielt ihm in seiner Treuherzigkeit das Ohr hin, und Max rief ihm hinein:

»Du bist – – verliebt!«

»Max!«

»Was Du nur mit meinem Namen hast! Stets, wenn Du nichts Anderes zu sagen weißt, muß er herhalten. Weißt Du nichts Besseres.«

»Du – Du bist – bist – –«

»Stottere nicht, alter Schwede! Ich habe Dir die reine Wahrheit gesagt. Du bist dieser Anita herzlich gut. Sie hat es Dir angethan.«

»Störe nicht in dieses Heiligthum!«

»Ah, ein Heiligthum ist es sogar! Schön, das ist ein offeneres Geständniß, als ich erwarten konnte. Also steht es nun fest, daß Du sie heirathest.«

»Max, laß das! Wenn Du so fortfährst, so stehe ich auf und gehe fort!«

»Du bleibst ganz ruhig sitzen. Du wirst Dich hüten, fortzugehen und mich allein zu lassen. Wer würde Dir dann helfen, Dein ›Heiligthum‹ aus dem Hause des Juden herauszuschleppen!«

»Ja, Du hast mich leider fest wie immer. Ich bin ein unbeholfener Mensch, der noch immer einen Beschützer nöthig hat.«

»Edle Selbsterkenntnis! Darum breite ich stets meine Flügel über Dir und lasse Deinen Schnabel nicht unter meinem Schirme hervorpiepen. Und das will ich auch heute Abend thun. Weißt Du, wir wollen uns die Köpfe nicht zerbrechen darüber, was mit unserm schönen Schützling geschehen soll. Die Stunde wird es lehren. Noch wissen mir ja gar nicht, welche Pläne und Absichten Anita selbst hat. Wir müssen also vor allen Dingen mit ihr reden.«

»Aber zunächst müssen wir doch ein sofortiges Obdach für sie haben, wohin wir sie aus dem Hause ihres Peinigers führen.«

»Natürlich. Könnten wir sie denn nicht für die eine Nacht mit nach unserm Gasthofe nehmen?«

»Das ginge an.«

»Ich träte ihr mein Zimmer ab, und wir Beide, Du und ich, schliefen zusammen.«

»Ganz recht. Aber am Morgen würde die Bedienung den Braten riechen.«

»So reisen wir ab.«

»Und nehmen sie mit?«

»Wenn es nothwendig ist, ja.«

»Hm! Bist Du noch gut bei Kasse?«

»Ausgezeichnet. Ich habe noch über tausend Franken.«

»Ich ebenso viel. Weißt Du, wir sind sehr sparsam gewesen. Wenn Anita Niemanden hat, auf den sie sich verlassen kann, so nehmen wir sie als Waisentochter an und handeln als brave Eltern an ihr. Nicht?«

»Scherz bei Seite! Ich mache mit.«

»Ich auch. Eine kleine Ausgabe können wir uns erlauben. In Wien liegt neues Geld für uns. Was wollen wir mehr. Du, schau Dir doch einmal die beiden Kerls an! Sind das nicht die reinen Banditen?«

Es waren nämlich zwei männliche Gäste in den Garten getreten, welche sich in demselben umschauten. Auch sie trugen den Künstlerhabitus, Sammetröcke und ungeheuer breitkrämpige Calabreserhüte. Aber ihre Wäsche war unsauber, und sie sahen überhaupt nicht salonfähig aus.

Der Eine war alt, eine lange, hagere Gestalt mit abgelebtem Gesichte, eingefallenen Wangen und entsetzlicher Habichtsnase.

Der Andere war ebenso lang und womöglich noch dürrer. Aus seinem breiten, schmutzigen Hemdenkragen stieg ein himmelhoher Hals empor, auf welchem der Kopf schaukelte wie eine brandige Aehre auf ihrem Halme. Er schielte ein Wenig. Man wußte nur nicht, wohin. Er hatte die beiden Daumen im Knopfloche stecken, und die andern herabhängenden acht Finger waren in beständiger zuckender Bewegung, als ob sie Harfe spielten.

Da es noch im Frühjahr war und es noch keinen eigentlich warmen Tag gegeben hatte, standen außer demjenigen, an welchem die beiden Freunde saßen, noch keine Tische im Garten.

Die Ankömmlinge schienen es aber auf den Letzteren abgesehen zu haben, und so kamen sie langsam näher geschlängelt, bis sie vor den Beiden standen.

Der Alte lüftete den Hut und fragte:

»Wohl Collegen?«

Er sprach das Deutsche wie ein Italiener aus.

»Was sind Sie denn?« erkundigte sich Max.

»Maler von der Kunst.«

»So sind wir allerdings Collegen.«

»Ist es erlaubt?«

Er deutete dabei auf die beiden leeren Stühle, welche noch am Tische standen.

»Sehr gern,« antwortete Max.

Der Alte setzte sich nieder.

Der Junge hatte still da gestanden, die beiden Freunde mit offenem Munde anstierend und dabei mit acht Fingern spielend. Es konnte kein dümmeres und doch verschlageneres, tückischeres Gesicht geben als das seinige. Er hatte auch nicht gegrüßt.

Jetzt, als der Alte sich setzte, drehte der Junge sich herum, Max seinen Rücken zudrehend; er wollte sich setzen, ohne den Stuhl berühren zu müssen. Jedenfalls war es ihm unerträglich, die Daumen aus dem Kopfloche nehmen zu müssen.

Das war so im höchsten Grade rücksichtslos und beleidigend, daß Max die Lehne des betreffenden Stuhles an sich zog, als ob er sich stützen wolle. Der Harfespielende sah das nicht, weil er sich umgedreht hatte. Er glaubte, daß der Stuhl noch in seiner vorigen Lage sei, setzte sich und – – plumpste natürlich mit aller Gewalt auf die Erde nieder.

Der Alte sprang zornig auf und ballte die Fäuste.

»Signor,« rief er, »was haben Sie gethan! Welch eine Beleidigung für Petro, meinen Lieblingsschüler, den begabtesten Jüngling von ganz Italien.«

Dieser begabteste Jüngling von ganz Italien hatte sich wieder aufgerafft. Er setzte den verlorenen Hut auf, steckte die Daumen wieder in das Knopfloch und starrte Max tückisch an.

Der Letztere antwortete dem zornigen Maler in ruhigem Erstaunen:

»Mein Herr, was fällt Ihnen ein! Inwiefern soll ich denn Jemand beleidigt haben.«

»Sie haben dem Signor den Stuhl weggezogen!«

»Den Stuhl habe ich an mich genommen, um es mir bequem zu machen; daß ich ihn aber Jemandem weggezogen haben soll, das bestreite ich entschieden.«

»Wie, Sie bestreiten das?«

»Allerdings.«

»Ich aber behaupte es.«

»So begreife ich Sie nicht. Ich habe keinen Menschen gesehen, der Etwas gethan hätte, was mich hätte vermuthen lassen, daß er hier Platz nehmen wolle.«

»So behaupten Sie, Signor Petro nicht gesehen zu haben?«

»Einen jungen Menschen habe ich allerdings gesehen; ich sehe ihn sogar noch; ob er Petro heißt, das weiß ich nicht. Aber daß er sich hat zu uns setzen wollen, davon habe ich keine Ahnung. Er hat nicht gegrüßt, er hat seinen Hut nicht berührt, er hat kein Wort gesprochen, sondern die Hände in dem Knopfloche behalten. Wie soll ich ahnen, daß er sich uns anschließen will. Man pflegt doch wenigstens zu grüßen, wenn man anständigen Leuten Gesellschaft leisten will.«

»Signor Petro braucht Niemanden zu grüßen, denn er ist mein Lieblingsschüler.«

»Ach so! Und wer sind Sie denn?«

»Ich bin Signoro Antonio Ventevaglio, der berühmte Maler von Latisana.«

»So, so! Ich kenne Sie nicht. Was malen Sie denn?«

»Alles!«

»Nun, so malen Sie Ihrem Lieblingsschüler gefälligst etwas Verstand in das Gesicht; der fehlt ihm außerordentlich.«

»Signor, wollen Sie nun auch mich beleidigen!«

»Nein; aber ich will Ihnen sagen, daß ich Sie nicht hergerufen habe und daß ich keineswegs die Absicht besitze, mir meine gute Laune verderben zu lassen. Scheeren Sie sich ganz gefälligst fort, sonst werfe ich Ihnen Ihren Lieblingsschüler an den Kopf, daß Euch Beiden Sehen und Hören vergeht.«

Zunächst war der berühmte Maler fassungslos. Dann aber sprang er auf, um eine Strafrede loszulassen; da aber stand auch Max auf, trat hart an ihn heran und donnerte ihm zu:

»Herrrrr! Wollen Sie vielleicht schweigen!«

Der Alte fuhr zurück. Er bekam einen Schreck und stammelte:

»Ja, Signor!«

»Das will ich Ihnen auch gerathen haben. Und wenn dieses Urbild eines Dummkopfes sich noch länger hier verweilen will, so mag er seinen Hut abnehmen, wie es sich für so einen Esel geziemt.«

Er schlug dem Lieblingsschüler den Hut vom Kopfe.

Der Alte war kurirt. Er setzte sich still wieder auf den Stuhl nieder. Der Junge hatte keine Miene gemacht, seinen Hut wieder aufzuheben. Er starrte Max noch immer wie ein Wunderthier an.

»Setz Dich endlich, Rhinozeros!« schrie Max ihm ins Gesicht.

Sofort fuhr er auf den Sessel nieder.

Da konnte Max sich nicht länger halten. Er schlug eine helle Lache auf, und Johannes stimmte herzhaft ein. Der große Kunstmaler sah die Beiden betroffen an, was diese zu erneutem Lachen reizte, welches so ansteckend wurde, daß der Alte nach und nach mit einstimmte. Endlich verzog auch Signor Petro sein Gesicht und zeigte ein vergnügtes Grinsen.

Die von Max erhaltene Lehre schien Beiden ein großes Vergnügen bereitet zu haben.

»Hören Sie, College, Sie sind ein sonderbarer Kauz,« rief Max, noch immer lachend. »Kommen Sie öfters herüber nach Triest?«

»Nein. Ich bin zum ersten Male da.«

»Und wohnen in solcher Nähe!«

»Nennen Sie das nahe? Latisana liegt drüben im Italienischen am Wasser des Tagliamento. Das ist doch weit!«

»Für Künstler nicht; die haben stets lange Beine, wie auch die Eurigen beweisen.«

»Ich danke! Ich liebe mein Vaterland. Ich hasse Oesterreich und komme nie über die Grenze.«

»Aber jetzt sind Sie doch da.«

»Weil ich muß.«

»In Geschäften?«

»Nein. In Familienangelegenheiten.«

»Ah! Wollen Sie sich verheirathen?« scherzte Max.

»Um Gotteswillen! Nicht ich, sondern dieser Signor Petro will heirathen.«

Als jetzt die beiden Deutschen den ›Lieblingsschüler‹ daraufhin ansahen, daß er heirathen wollte, brachen sie von Neuem in ein lautes Gelächter aus.

»Was lachen Sie?« fragte Signor Antonio.

»Aus Freude darüber, daß Signor Petro sich eine Frau nehmen will.«

»Ganz recht! Freuen Sie sich immerhin, denn sie ist das schönste Mädchen von ganz Italien.«

»Ah! So passen sie zusammen. Das schönste Mädchen und der begabteste Jüngling von ganz Italien.«

»Richtig. Sie sind für einander geschaffen.«

»Wann wird die Hochzeit sein?«

»Sobald wir sie haben.«

»Wen?«

»Die Braut.«

»Ah, Sie haben die Braut noch gar nicht?«

»Wir hatten sie, aber sie ist wieder fort.«

»Etwa entflohen?«

»Ja, mir, ihrem Oheim und Vormund! Ist das nicht schändlich?«

»Hm, da kann ich nicht urtheilen.«

»Sie sollen sofort urtheilen können, Signor. Ich bin der Kunstmaler Signoro Antonio Ventevaglio aus Latisana. Mein Bruder war der Goldschmied Carlo Ventevaglio. Er starb und bald darauf seine Frau. Sie hinterließen eine kleine Tochter und ein noch kleineres Vermögen. Wir nahmen das Kind zu uns, nämlich meine Gattin und ich, und erzogen es. Es wuchs heran, aber das Vermögen nahm ab.«

»Weshalb nahm es ab?«

»Weil es Gottes Wille war. Später kam mein Lieblingsschüler hier in mein Haus. Er wuchs mit Anita heran und gewann sie lieb. Sie sollten ein Paar werden; aber Anita wollte nicht. Wir versuchten in elterlicher Liebe, ihre Hartnäckigkeit erst durch gute Worte, dann durch ernste Ermahnungen, endlich aber durch Hunger, Durst, Kälte und Schläge zu besiegen, vergeblich. Vor einiger Zeit ist sie uns entflohen, und wir haben sie bisher vergeblich gesucht.«

»Ach!« rief Johannes. »Wie hieß sie?«

»Anita!«

»Ist sie blond, braun oder schwarz?«

»Schwarz.«

»So, so!«

»Habt Ihr sie denn gesehen, Signor?«

»Ist sie hier in Triest, daß Sie fragen können, ob wir sie gesehen haben.«

»Ihre Spur, welche wir weit verfolgt haben, führte uns endlich hierher.«

»Und nun sucht Ihr hier?«

»Ja, bereits mehrere Tage.«

»Habt Ihr Etwas gefunden?«

»Nichts, gar nichts.«

»Und wie lange wollt Ihr noch suchen?«

»Bis wir sie haben.«

»Dazu gehört Zeit und Geld.«

»Wir haben Beides. Der Rest von Anita's Vermögen wird dazu ausreichen.«

»Und denkt Ihr dann, daß Ihr sie finden werdet?«

»Ja. Wir halten ja nicht eher auf, als bis wir sie gefunden haben.«

»Vielleicht müßt Ihr da weit reisen. Habt Ihr Legitimationen?«

»Ja.«

»Könnt Ihr denn auch, wenn Ihr Anita findet, beweisen, daß sie es ist?«

»Ja. Wir haben alle ihre Papiere mit, ihren Geburtsschein, Taufschein und alles Andere.«

»Das möchte ich einmal sehen.«

»Nichts ist leichter als das.«

Er zog ein rothes Schnupftuch aus der Tasche, in welches alle diese Documente eingeschlagen waren und zeigte sie ihnen. Die Papiere von Anita Ventevaglio stimmten.

Max und Johannes blickten sich an. Sie hatten Beide ganz denselben Gedanken.

»Was werdet Ihr dann mit ihr thun, wenn Ihr sie wiederfindet?« fragte der Erstere.

»Zunächst wird sie ihre Strafe erhalten, und dann wird sie die Frau dieses meines Lieblingsschülers, dessen Modell sie bisher immer war.«

»Donnerwetter!« fuhr Max empor. »Sie hat diesem Menschen Modell sitzen müssen?«

»Warum nicht?«

»So ein Engel einem solchen Pavian!«

»Signor, wollt Ihr uns abermals beleidigen!«

»Unsinn! Habe ich denn Sie einen Pavian genannt?«

»Nein, aber Signoro Petro.«

»Der ist auch einer! Worin wird denn die Strafe bestehen, wenn Ihr sie findet?«

»In Hunger und Schlägen.«

»Gott sei es geklagt! Meint Ihr denn nicht, daß dies eine Sünde ist?« »Eine Sünde? Ganz das Gegentheil. Die Eltern haben ihre Kinder zu erziehen in der Furcht zum Herrn.«

»Wo wohnt Ihr denn hier in Triest?«

Der Alte nannte eine obscure Herberge. Dann aber hielten es die beiden Deutschen nicht länger aus. Sie gingen. So dumm diese beiden Menschen waren, so schlecht und feige waren sie auch. Es ekelte ihnen förmlich, bei denselben zu bleiben.

»Ob das vielleicht dieselbe Anita ist?« meinte Johannes zaghaft.

»Vermuthest Du es?«

»Ja.«

»Ich auch. Sie ist diesen Peinigern entflohen und als unerfahrenes Wesen in die Hände eines noch viel größeren Schurken gerathen.«

»Wenn sie es ist, nehmen wir sie mit uns.«

»Wolltest Du wirklich?«

»Gewiß!«

»Ich habe nichts dagegen. Dazu müßten wir aber ihre Papiere haben.«

»Wären die nicht zu bekommen?«

»Sehr leicht.«

»Aber wie?«

»Wir stehlen sie.«

»Max!«

»Was denn?«

»Schon wieder stehlen!«

»Wenn es nicht anders geht! Uebrigens ist dies ja gar kein Diebstahl zu nennen.«

»O doch! Auf jeden Fall!«

»Wenn Du damit ein Menschenkind aus so tiefer Noth errettest, ist von einem Diebstahl keine Rede. Uebrigens gehören die Papiere Anita und nicht diesem Tölpel von Farbenklekser. Streiten wir uns aber nicht, mein lieber Johannes. Wir wollen still spazieren gehen, bis es Abend ist, und dabei warten, ob uns ein guter Gedanke kommt. Gehen wir ein wenig hinab nach der Piazza Caserma und dem Bahnhofe. Andere Gesichter, andere Gedanken!«

Sie schlugen die angegebene Richtung ein.

Es pflegt im Leben eines jeden Menschen eine thatenlose Zeit auf eine thatenreiche zu folgen. Es giebt ganze Monate, welche keinen Inhalt zu haben scheinen, während dann gleich an einem Tage so viel auf einmal geschieht, daß man damit für längere Zeit ausreichen könnte. So auch heute mit den beiden Freunden.

Kaum waren sie auf dem Bahnhofe angekommen, so dampfte ein Zug herein, welchem eine große Menschenmenge entquoll.

Sie standen da und ließen dieselbe an sich vorüberfluthen. Unter den sich Herbeidrängenden befand sich auch ein alter, hoher Herr von martialischem Gesichtsschnitte. Er trug einen seinen dunklen Reiseanzug, einen grauen Cylinderhut und einen goldenen Klemmer auf der Nase. Den Ueberrock am Arme und einen feinen Elfenbeinstock in der Hand, kam er langsam daher, mehr sich schieben lassend als selbst schiebend. Er war jedenfalls auch ausgestiegen und schien sein Gepäck irgend einem dienstbaren Geist anvertraut zu haben.

Der starke, graue Schnurrbart verrieth einen Militär, wie überhaupt seine ganze Haltung etwas Strammes, Disciplinirtes zeigte.

Indem er so daherkam, fiel sein Auge ganz zufällig auf die beiden Freunde. Es zuckte wie frohe Ueberraschung über sein Gesicht, dann glitt ein Zug von Schalkheit über dasselbe, und er trat langsam an sie heran.

Den Hut höflich lüftend, fragte er:

»Entschuldigung, auf welcher Seite stehen hier die Fiaker?«

Beide blickten zu ihm auf, und keiner antwortete, so geradezu verblüfft waren sie.

»Bitte,« wiederholte er, »können Sie mir sagen, auf welcher Seite die Fiaker sich befinden?«

Da zog auch Max den Hut, antwortete aber lachend:

»So eine Maskerade! Sepp, meinst halt etwan, man erkennt Dich nicht mehr?«

Da warf der noble, offiziersmäßig ausgestattete Herr seinen Cylinderhut vor Freude in die Luft, fing ihn wieder auf und rief, unbekümmert um die Menschenmenge, welche ihn staunend betrachtete:

»Weiß Gott, dera Schulmeistern derkennt mich sofort! Nein, wie mich das gefreut! Meine Visagen muß doch eine wunderbar gute und jungbleibige sein. Grüß Gott auch, Elephantenhans! Was thut Ihr denn hier in Triest?«

»Wir kommen aus Egypten.«

»Das trifft sich fein! Wie lang bleibt Ihr hier?«

»So lange es uns gefällt.«

»Ich auch für einige Tagen. Das ist schön! Das ist fein! Habt Ihr denn hier auch schon was trunken??«

»Und ob!«

»So seid Ihr allbereits bekannt. Zeigt mir doch gleich mal, wo ein Bier zu finden ist, aber nicht so ein wässeriges österreichisches, sondern ein kerniges aus dem lieben Bayernlandl daheim. Mir ists, seit ich daheim fortbin, als ob ich lauter Hausschwamm im Magen hätt. Das echte Bierl hat mir fehlt.«

»Da komm nur mit,« meinte Johannes. »Gar nicht weit von hier haben wir gestern eins trunken; das ist gar brav gewest.«

»Ja, kommt! Jetzund wirds dem Sepp erst wieder wohl in dera noblen Hofmontur!«

Nun, da sie den Menschenstrom hinter sich hatten, konnten sie den Alten erst recht betrachten.

»Donnerwetter!« sagte Max. »Fein siehst aus! Grad wie ein Kammerherr oder Ceremonienmeistern.«

»Bin auch so was!«

»Wirklich?«

»Ja. Ich solls nicht verrathen, und kein Mensch darf es wissen. Aberst Ihr thätet ihn doch sogleich derkennen, und darum will ich es Euch gern sagen.«

Und in gedämpfterem Tone fügte er hinzu:

»Unser König kommt.«

»Was!« riefen Beide. »Der König!«

»Haltet die Mäulern, Ihr Brüllaffen! Es kann ja ein Jedes vernehmen, was Ihr da schreit. Freilich kommt er.«

»Was will er denn hier?«

»Was Gutes.«

»Ja, was denn?«

»Das geht Euch gar nix an. Verstanden!«

»Oho! Wir werdens doch derfahren.«

»Von ihm selbst wohl?«

»Nein, sondern von Dir.«

»Fallt mir gar nicht eini!«

»O, Dir thäts das Herz abdrucken, wannsts Deinen guten Freunden nicht anvertrauen dürftest. Dich kennt man schon!«

»So! Kennt Ihr mich?«

»Ja, schon sehr gut. Aber, Sepp, wie gehts denn grad jetzt daheim?«

»Das sollt Ihr hören, aberst nicht eher, als bis ich einen Schluck than hab, von dem der Inn sammt dera ganzen Isar leer wird. Herrgottsakra, hab ich heut einen Durst. Macht schnell!«

»Hast gar nimmer weit zu gehen. Dort um die Eck; dann steht es da.«

»Wanns nur nicht indessen fortlaufen thut. Das könnt mich sehr gereun. Wo wohnt Ihr denn hier?«

»In der Locanda grande.«

»Ein italienischer Name. Ists da gut?«

»Wir sind zufrieden. Willst mit?«

»Nein; ich darf nicht. Ich muß im Hotel Europa wohnen, da an der Piazza Caserma, weil dort dera Herr Ludwigen abisteigen will. Da hab ich die Zimmern zu bestellen. Na, hier ist die Eck. Und nun wird wohl auch bald die Bierschänk zu sehen sein.«

Sie traten, hocherfreut über dieses unerwartete Zusammentreffen und in bester Laune in die Restauration.

Dort gab es zur größten Freude des Sepp ein wirklich echtes und gutes bayrisches Bier, wovon der durstige Alte gleich zwei Gläser austrank. Erst als er das dritte erhielt, begann er, langsam und gemächlich zu trinken.

Das Local war groß, und die Tische standen so weit auseinander, daß man sich ganz ungenirt unterhalten konnte, ohne befürchten zu müssen, an anderen Plätzen gehört zu werden.

»So!« meinte der Sepp, indem er das Glas wohlgefällig absetzte. »Das war doch wieder mal ein guter Trunk. Nun wird mirs besser im Leib und auch in dera Seelen. Nun geht das Plaudern gut, und wir können uns verzählen, was wir inzwischen verlebt haben.«

»Da wirst Du wohl beginnen müssen,« antwortete Max. »Für uns ist es natürlich interessanter, zu erfahren, was in dera Heimath geschehen ist, als für Dich, zu wissen, was wir draußen gethan haben.«

»Ja, da giebts halt so viel zu berichten, daß ich fast gar nicht weiß, wo ich beginnen soll. Am Besten ists, Du sagst mir, was Du wissen willst.«

»Nun, zunächst möcht ich hören, wie es denen guten Freunden ergeht, vor allen Dingen dem Fex.«

»Du, dem ergeht es halt sehr gut; ich glaub, der ist schon jetztund fast ein gemachter Mann.«

»Wann hast mit ihm zum letzten Male sprochen?«

»Vorgestern, bevor ich von Wien abgereist bin.«

»So warst also in dera Kaiserstadt?«

»Ja. Ich hab dort Einiges thun müssen, was ich wohl später verzählen werd und mußt dort auch auf den König warten.«

»Und was hat dera Fex dort than?«

»Verschiedenes. Er war von wegen seiner Erbschaft dort und auch aus Anlaß seiner Oper, die er componirt hat.«

»Die Oper Götterliebe? Weißt, daß ich das Libretto dazu dichtet hab, Sepp?«

»Den Text? Ja. Und die Dekorationen dazu hat dera Hans hier gemalt. Ihr Beid seid doch recht berühmte Kerls worden!«

»Noch nicht; aber wir möchtens gern noch werden. Nun verzähl aberst nur weiter!«

Der Sepp gab einen Bericht über alle Bekannten der beiden jungen Männer; nur von der Silbermartha erwähnte er nichts, obgleich er recht wohl wußte, daß Max gerade am Liebsten von dieser Etwas gehört hätte. Da gab es denn sowohl Gutes als auch Trübes zu hören. Das Gute bezog sich meist auf die Anverwandten des Elephantenhannes. Seine Mutter hatte ihn bis nach Egypten begleitet gehabt, um ihn dort zu pflegen, war aber, als diese Pflege sich als nicht mehr nöthig herausgestellt hatte, wieder in die Heimath zurückgekehrt. Da lebte sie bei ihrem Manne, dem Heiner, welcher jetzt die Thalmühle besaß und sich in recht guten Verhältnissen befand.

Johannes' Schwester Lisbeth war längst mit dem Müllerhelm verheirathet. Sie bewirthschafteten die beiden Hohenwalder Mühlen, welche vorher dem Silberbauer gehört hatten, und lebten ungemein glücklich mit einander.

Der Feuerbalzer war Besitzer des Silberhofes geworden. Seine Heilung hatte sich als eine so vollständige erwiesen, daß der Wahnsinn als für immer beseitigt zu betrachten war.

Als sodann Max sich nach den Verhältnissen von Schloß Steinegg erkundigte, erfuhr er, daß die Besitzerin Milda von Alberg dasselbe noch immer allein bewohne. Sie hatte Frau Bertha Holberg, die Mutter Maxens, bei sich, welche sehnlichst die Rückkehr ihres Sohnes erwartete.

Rudolph von Sandau, der sie liebte, und dessen Liebe sie so innig erwiderte, hatte noch immer keine ernstliche Anfrage an sie gerichtet. Er wollte dem Vermögen der Geliebten nichts zu verdanken haben und lieber beweisen, daß er die Kraft besitze, sich aus eigener Anstrengung eine gesicherte Existenz zu erwerben. Das war ihm Ehrensache. Er war durch den Bau der Eichenfelder Kirche berühmt geworden und hatte in Folge dessen so viele, so ehrenvolle und lukrative Aufträge erhalten, daß er jetzt nun seine Zukunft ais gesichert betrachten konnte.

Der einstige arme Dienstknecht Ludwig Held aus Oberdorf hatte Gisela, die Tochter seines Brodherrn Kery in Slowitz geheirathet, und seine Schwester Hanna war die Frau von Höhlenbauers Stephan geworden. Beide Paare lebten, wie der alte Sepp sich ausdrückte, wie die Tauben zusammen.

Das war das Gute, was der Alte mittheilen konnte. Nicht so schön klang das, was er über die anderen Bekannten erzählte.

Das Schicksal, welches den Silberbauer und den Thalmüller erreicht hatte, war ein wohlverdientes, aber es war um der Töchter dieser Beiden willen doch zu beklagen. Diese zwei braven Mädchen waren verschwunden, und es schien, als ob man keine Spur von ihnen entdeckt habe, denn der Sepp sagte nichts davon, daß er die Silbermartha in Wien gefunden habe. Er hegte die Absicht, Max Walther durch ein plötzliches Wiedersehen zu überraschen.

Vielleicht glaubte er, daß der einstige Lehrer und Dichter sich nach Martha erkundigen werde. War dies der Fall, so hatte er sich geirrt, denn Max verhielt sich schweigsam und sagte kein Wort über sie. Aber sein ernstes, trübsinniges Gesicht verrieth, daß er die frühere Geliebte noch nicht vergessen habe und wohl auch niemals vergessen werde.

Nun hatte Sepp seine Schuldigkeit gethan und die an ihn gerichteten Fragen so gut wie möglich beantwortet. Jetzt verlangte er seinerseits, zu erfahren, wie es den beiden Freunden bisher gegangen sei.

»Das wirst wohl bereits gehört haben,« antwortete Max. »Oder hast die Briefen nicht gelesen, welche wir heimgeschrieben haben?«

»Ja, so oft ich Einen troffen hab, an den Ihr einen Briefen schickt hattet, hab ich denselbigen zu lesen bekommen. Aberst Ihr habt doch wohl noch viel mehr derlebt, als in denen Briefen stand. Das will ich wissen. Ihr müßt da ein Wenig schnell machen, denn ich hab nicht viel Zeit übrig, weil ich nach dem Hotel Europa muß, um die Zimmern für den König zu bestellen.«

»So wird es besser sein, wir schieben den Bericht auf, bis Du damit fertig bist. Dann hast ja mehr Zeit für uns. Für jetzt möcht ich Dir was sagen, was viel notwendiger ist. Wir könnens halt nicht aufschieben. Es ist ein Glück, daß wir Dich troffen haben. Vielleicht kannst uns mit Rath und That beistehen.«

»So! Was ist das denn?«

Max blickte Johannes fragend an. Dieser sagte in nicht zustimmendem Tone:

»Ueberlegs halt erst, obsts ihm sagen darfst!«

»Warum?«

»Vielleicht ist er dagegen.«

»So können wir trotzdem thun, was wir wollen.«

»Dann nicht mehr. Er wird uns hindern.«

»Nein. So ist dera Sepp nicht. Wenn er auch nicht mit thut, so wird er doch nicht so feindselig sein, uns was in den Weg zu legen.«

»Meinst? So sag es ihm! Seinen Rath werden mir doch wohl gut brauchen können.«

Sepp hatte während dieser kurzen Zwiesprache die Beiden verwundert angeschaut. Jetzt sagte er in halb verdrießlichem Tone:

»Ja, was ist denn das? Das klingt ja grad so, als ob Ihr gar kein Vertrauen zu mir hättet und als ob ich ein Kerlen sei, der seinen besten Freunden Schaden macht!«

»Nein, das hat dera Johannes nicht gemeint,« antwortete Max.

»Aberst es hat ganz so klungen.«

»Das mag sein, doch kannst Dir denken, das wir grad zu Dir ein Vertrauen haben wie zu keinem Andern.«

»So! Also ists was, wozu ein großes Vertrauen gehört?«

»Ja, es ist was, was nicht oft vorkommen thut und was man eigentlich nicht machen darf.«

»Also etwas Verbotenes?«

»Freilich, Sepp.«

»So laßt es lieber sein!«

»Das geht nicht. Wir müssen es thun, denn wir haben es uns und auch ihr versprochen.«

»Ihr habt es »ihr« versprochen? Wer ist denn diese »Ihr« oder diese »Sie«? Ein Frauenzimmer?«

»Ja, ein junges Mädchen.«

Der Sepp zog ein langes, lustiges Gesicht und meinte:

»Ah, ein junges Mädchen! Das ist ja sehr interessant. Ihr habt hier also bereits so eine Bekanntschaften macht?«

»Zufällig.«

»Weiß schon! Denn solche Bekanntschaften macht man ja nur zufällig. Ist sie denn hübsch?«

Bevor Max antworten konnte, fiel Johannes ein:

»Sehr hübsch, Sepp, sehr!«

Er sagte das in einem so begeisterten Tone, daß der Alte lachend ausrief:

»So! Also Du bists, dem sie gefallen hat, Du? Schaust Dich auch allbereits nach Weibern um?«

»So ist's nicht gemeint. Sie bedarf unserer Hilfe und wir haben ihr dieselbige zugesagt.«

»Eurer Hilfe? Jetzund wird die Sach erst richtig hübsch. Seid Ihr denn gar so tüchtige Kerlen, daß die jungen Madeln bereits Eure Hilf erbitten?«

»Sepp, es ist ja nicht so was, wie Du denkst!«

»So! Was denk ich denn?«

Johannes erröthete und antwortete in ungewissem Tone:

»Vielleicht meinst, daß es eine Liebschaft ist.«

»Ja, das mein' ich allerdings.«

»So irrst Dich gewaltig.«

»Wirklich? Aberst Du machst gar nicht so ein Gesicht, als ob ich mich irren thät.«

»Was für ein Gesicht mach ich denn?«

»So eins, wie ein Verliebter macht, der bei seinem Dirndl im Heimgarten derwischt worden ist.«

»Schweig, Sepp! Das mag ich nicht hören!«

»Ja, wann man Einem die Wahrheit sagt, so will er sie nicht hören, das weiß ich schon.«

»Wir werden Dir verzählen, wie die Sach ist.«

»Ja, laßts doch mal hören!«

Er nahm einen gewaltigen Schluck Bier und setzte sich zurecht, als ob er im Begriffe stehe, eine sehr wichtige Kunde zu vernehmen.

Johannes machte erst ein Gesicht, als ob er reden wolle, schluckte aber den Anfang wieder hinab und blickte Max hilfesuchend an. Dieser erklärte:

»Weißt, Sepp, von einer Liebschaften kann gar keine Reden sein, weil wir sie erst einmal sehen haben.«

»Das ist genug,« meinte der Alte. »Zuweilen ist die Lieb gleich beim ersten Male da.«

»Hier aber nicht, denn wir haben sie nicht mal richtig sehen können, nur einen halben Augenblick.«

»Auch das genügt, denn die Lieb braucht nicht mal einen halben Augenblick. Also Ihr habt sie mir so einen Moment sehen und wißt doch bereits, daß sie Eurer Hilf bedarf? Hm!«

»Sie hat's dem Johannes heimlich sagt, daß sie entfliehen will.«

»Sapperment! Entfliehen!«

»Ja, sie kann es nicht aushalten!«

»Und dabei sollt Ihr ihr helfen?«

»Sie hat uns drum gebeten.«

»Ist sie denn eine Gefangene?«

»Nicht ganz.«

»Wie soll ich das verstehen? Wann sie keine Gefangene ist, braucht sie doch nicht auszureißen.«

»Sie wird gefangen gehalten, aberst nicht von dera Behörden, sondern von einem Juden.«

»Das darf er doch nicht!«

»Er muß doch ein gewisses Recht dazu haben.«

»So? Ein Recht? Hat sie das etwa sagt?«

»Sie hat sagt, daß er ihre Unterschrift in denen Händen hab; also muß ers wohl dürfen.«

Der Alte sah erst den Einen, dann den Anderen erstaunt an, schüttelte den Kopf und meinte:

»Das könnt nur in einem einzigen Fall gelten.«

»In welchem?«

»Um das Euch zu sagen, dazu seid Ihr noch zu jung.«

»So! Leute, die bereits in Egypten gewesen sind, die sind gewiß für nix mehr zu jung.«

»Für solche Sachen doch. Ich glaub, Ihr seid an eine Dirn gerathen, die keine Ehr im Leibe hat.«

»Oho! Grad weil sie eine Ehr hat, will sie fort.«

»So! Verzählt mir doch mal die ganze Geschicht!«

»Ja, ich will es Dir beweisen, Sepp. Das wird wohl das Allerbeste sein.«

»Natürlich. Ich muß Alles wissen, wann ich Euch gut rathen soll. Also darfst nix auslassen. Verstanden?«

Max begann nun zu erzählen, und zwar that er das auf das Ausführlichste. Er berichtete auch von dem Zusammentreffen mit den beiden Malern.

Sepp hörte sehr aufmerksam zu und sagte nichts, selbst dann, als Max geendet hatte. Er zeigte ein sehr nachdenkliches Gesicht. Erst nach einer Weile brummte er:

»Das ist eine fatale Geschichten. Besser wärs, sie wär gar nimmer passirt. Das ist meine Meinung.«

»Aber Du meinst doch auch, daß wir Wort halten müssen?« fragte Johannes angelegentlich.

»Hm! Vielleicht, und vielleichten auch nicht. Ihr könnt dabei in gar große Unannehmlichkeiten gerathen.«

»Das wissen wir auch. Aber wir werden uns natürlich so viel wie möglich in Acht nehmen.«

»Laßt es lieber ganz sein!«

»Nein, das geht nicht! Ich halte mein Wort.«

»Das hast Du wohl zu leichtsinnig gegeben.«

»O nein, lieber Sepp. Wie ich Dich kenne, hättest Du es ihr auch gegeben; das ist gewiß und sicher.«

»Ich glaub es nicht.«

»Aber ich bin es überzeugt. Sie hat so lieb und gut ausgeschaut, und es hat mich so derbarmt.«

»Und daraus kann werden, daß Du mich derbarmst. Ihr junges Volk seid mit Eurem Mitgefühl allsogleich bei der Hand.«

»Schau sie Dir nur an, so wirst mir Recht geben.«

»Ja, das kannst wohl gut sagen. Aber wann soll ich sie mir denn eigentlich anschauen?«

»Hast Recht. Das geht ja nicht.«

»Heut wollt Ihr sie wohl schon befreien, und bis dahin kann ich sie doch nicht zu sehen bekommen.«

»Allerdings nicht; aberst wannst sie dann später siehst, wirst sagen, daß ich mich nicht in ihr irre.«

»Hm! Bist halt so ein Menschenkenner worden?«

»Nein, aber frag da den Max!«

»Nun, das ist unnöthig, denn ich weiß im Voraus, daß er Dir wohl beistimmen wird.«

»Ja, das thu ich auch, denn ich glaub nicht, daß wir uns irren, wenn wir sie für ein braves Mädchen halten. Du sollst Dich ja gar nicht mit der Sache befassen. Wir haben es Dir erzählt, weil wir glaubten, Du könntest uns einen guten Rath geben. Es war ja möglich, daß Du Dir einen besseren Plan aussinnen könntest als den unserigen. Ist das nicht der Fall, so fällt es uns ja gar nicht ein, Dir beschwerlich zu fallen.«

Der Sepp blickte eine Weile still vor sich hin. Sodann antwortete er, indem er auf den Tisch schlug:

»Himmelsakkermenten! Kennt Ihr denn Euern alten Wurzelsepp nicht mehr?«

»Nun, kennen thun wir Dich schon noch.«

»So dürft Ihr doch auch nicht denken, daß ich Euch im Stiche lassen werd!«

»Aber es hat ganz den Anschein dazu.«

»Nein. Nur bin ich nimmer so heißblütig, wie Ihr es seid. Unsereiner will sich die Sach überlegen, bevor er Ja sagt!«

»So! Und was hast überlegt?«

»Ich seh halt ein, daß Ihr doch nicht davon abzubringen seid, und da ist es halt besser, ich mach auch mit, als daß ich Euch sitzen laß.«

»Bravo! Hier hast meine Hand!«

»Die meinige auch!« sagte Johannes.

Beide reichten ihm die Hände hin, die er ergriff und herzlich schüttelte.

»Ja, so ists,« sagte er dabei. »Wir sind halt alte, gute Kameraden, wann Ihr auch um einige Monate jünger seid als ich, und da müssen wir zusammenhalten. Wann ich es mir richtig überleg, so ist das Maderl – wie heißts gleich?«

»Anita.«

»Schön! So ist diese Anita ein braves Dirndl. Also Ihr glaubt, daß dera Maler ihr Verwandter ist?«

»Wie es scheint.«

»Und den Lieblingsschüler hats heirathen sollen? Das hats nicht wollt. Dafür hats hungern und leiden müssen und Schläg bekommen, und da ists halt von dannen gangen. Sie ist nach Triest kommen und dem Juden in die Hände fallen, ohne zu wissen, was für ein Kerlen er ist.«

»So ists, ganz genau so!« stimmte Johannes ein.

»Ja. Da hast Du sie nun heut sehen und allsogleich den Narren an ihr gefressen.«

»Nein, das nicht.«

»Was sonst?«

»Es ist das reine Mitgefühl.«

»Ja, und grad das allerreinste Mitgefühl, das wird im gewöhnlichen Leben Liebe genannt.«

»Wie kannst Du so Etwas sagen!« rief Johannes, indem er im ganzen Gesicht erglühte.

»Schweig! Ich hab halt auch mal so ein reines Mitgefühl empfunden. Also herausholen wollt Ihr sie. Wie? Das wollen wir jetzund noch nicht fragen. Zuvor müßt Ihr mir sagen, was Ihr mit ihr vorzunehmen gedenkt.«

»Das wissen wir noch nicht.«

»Das ist freilich schlimm. Wollt Ihr sie etwan dem alten Maler zurückgeben?«

»Auf keinen Fall.«

»Schön! Wann Ihr das thätet, so ginge ja ihr Leiden grad von vorn wieder los. Wollt Ihr sie hier in Triest lassen?«

»Auch nicht.«

»Warum nicht?«

»Der Maler könnte sie finden oder auch der Jude.«

»So soll sie also fort von hier. Aberst wohin?«

»Vielleicht weißt Du einen Ort.«

Der Alte zog ein außerordentlich pfiffiges Gesicht, nickte Johannes zu und antwortete:

»Am Liebsten nähmst sie wohl mit?«

»Ja, das war das Allerbeste.«

»Da bist wenigstens aufrichtig. Nun, ich hab ja nix dagegen, wann sie will.«

»Ob sie will, das wissen wir nicht.«

»So müssen wir sie fragen. Jedenfalls will sie nicht zu dem Maler zurück. Hier wird sie auch nicht bleiben wollen, und so denk ich, daß sie sich gern entschließen wird, mit Euch zu gehen.«

»Das wäre schön! Das wäre prächtig!«

»Meinst? Aber es geht doch nicht an.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Weil so ein hübsches, junges Maderl doch nicht mit fremden Jungburschen reisen darf. Verstanden! Was würden die Leut dazu sagen!«

»Was die sagen, das ist mir gleich!«

»Das glaub ich wohl, aberst dem Dirndl darfs nicht auch so gleichgiltig sein wie Dir.«

»So soll sie wohl allein reisen?«

»Warum nicht?«

Der Alte machte bei dieser Frage wieder sein pfiffiges Gesicht. Johannes antwortete ihm:

»Man weiß ja gar nicht, was so einem unerfahrenen Dirndl unterwegs passiren kann.«

»O, das fährt mit der Eisenbahn, und heut zu Tag giebts halt keine Raubrittern mehr. Wißt Ihr denn, ob sie Geld zum Reisen hat?«

»Jedenfalls hat sie keins; aber desto mehr haben wir.«

»Ach so! Bist so reich, kleiner Hans?«

»Ich hab fast tausend Gulden.«

»Hm! Und die willst hergeben? Hast Dir denn auch überlegt, wohin sie fahren soll?«

»Nach Wien. Dahin reisen wir nach und dort wird es sich dann finden, was weiter geschieht.«

»Ja, Du handelst mit großem Gottvertrauen. Aberst ich weiß vielleicht was viel Besseres.«

»So sage es!«

»Wie nun, wann sie mit mir fahren thät?«

»Mit Dir? Das wäre ja prächtig, wannst Du Dich ihrer annehmen wolltest!«

»Nun, wannst mir ein gutes Wörtle giebst, so entschließ ich mich vielleicht dazu.«

»Thu es, thu es!«

Er reichte ihm bittend die Hände hin. Sepp schlug ein und lachte:

»Ja, so ists, dem alten Sepp wird eben Alles auf den Rücken gebunden. Aberst er ist das Schleppen gewöhnt, und so mag es halt sein.«

»Wir danken Dir, lieber Sepp! Nun ist doch schon die wichtigste Frage erledigt.«

»O, die anderen sind halt ebenso wichtig. Wie wollt Ihr sie denn herausbekommen?«

»Wir gehen wegen dem Bild noch einmal hin und nehmen heimlich den Schlüssel weg. Das haben wir Dir ja bereits gesagt.«

»Ja, ich besinne mich darauf. Meint Ihr denn, daß Ihr den Schlüssel so leicht bekommt?«

»Wir müssen ihn haben, also werden wir ihn auch bekommen.«

»Schön! Und dann wollt Ihr den Juden betrunken machen? Das habt Ihr Euch gar nicht übel ausdacht, Ihr Sakkermenter! Aberst wohin dann mit dem Dirndl, wann es Euch wirklich gelungen ist, sie herauszubringen?«

»An irgend einen verborgenen Ort.«

»Das kannst bald sagen, aberst Du mußt ihn natürlich vorher wissen.«

»Leider sind wir zu wenig bekannt hier.«

»Und ich noch viel weniger. Und dennoch weiß ich bereits so einen passenden Ort.«

»Ah? Welcher ists?«

»Kein verborgener, sondern ein sehr öffentlicher.«

»Da sieht man sie doch!«

»Schadet nix. Man wird sie da allerdings sehen, aber nicht erkennen. Dafür sorge ich.«

»So sag, welchen Ort Du meinst!«

»Meinen Gasthof.«

»Hotel Europa, wo Du mit dem Könige wohnen willst.«

»Ja.«

»Du, das ist zu gefährlich!«

»O nein, sondern es ist sicherer als alles Andere. Es ist sehr gut, daß ich noch nicht dort gewest bin. Jetzund kann ich mich darnach verhalten. Ich hab Zimmer in dera ersten Etagen für Herrn Ludwigen zu bestellen. Für mich wollte ich eins in dera zweiten Etagen nehmen. Nun aberst werde ich zwei Stuben nehmen, eine für mich und eine für die Anita. Ich werd gleich, wann ich sie bestell, sagen, daß meine Tochter mit dem letzten Zug ankommen wird.«

»Könntest denn noch so eine junge Tochter haben?«

»Warum nicht? Und wannst meinst, daß es besser sei, so werd ich sie für meine Enkelin ausgeben.«

»Das ist jedenfalls besser. Aberst denk daran, wie sie gekleidet ist!«

»Das macht mir halt keine Schmerzen. Diesem Fehler kann leicht abgeholfen werden. Wir kaufen ihr, was sie braucht.«

»Das müßte aber vorher geschehen.«

»Versteht sich ganz von selbst. Ihr könnt bis neun Uhr zu dem Juden kommen. Bis dahin haben wir genug Zeit, einen Anzug zu kaufen.«

»Nicht nur einen Anzug, sondern auch Wäsche!«

»Bist ja recht fürsorglich, Hans!«

»Ich bin Derjenige, an den sie sich gewendet hat, und so bin auch ich es, der für sie sorgen will. Später soll sie bei meinen Eltern in dera Thalmühlen wohnen.«

»Du, dieser Gedank ist nicht ganz übel. Das könnt das Allerbeste für sie sein.«

»Ich denk dasselbige auch. Also wir müssen ihr Alles kaufen, auch einen Schirm und Handschuh und einen Hut nebst Schleier, den sie übernehmen muß, wann sie in das Hotel kommt, damit ihr Gesicht nicht gesehen wird.«

»Ja, das ist schon Alles gut. Aberst wer giebt mir denn das viele Geldl dazu her?«

»Ich.«

»Schön! Und ich werds derweilen auslegen.«

»Das ist nicht nöthig. Ich hab Geld.«

»Schweig, Hans! Du mit Deinen paar Kröten brauchst nicht so dick zu thun. Da bin ich ein noch ganz anderer Kerlen. Du hast noch für Dich zu sorgen; ich aber kann eher ein Geldl für Andere ausgeben. Es fragt sich nur, ob ihr das, was wir kaufen, auch passen wird.«

»Warum nicht? Ich kenne ja ihre Gestalt.«

»Ist sie groß?«

»Nein. Du mußt grad so thun, als obst die Sachen für meine Schwester kaufen wolltest, weißt, für das Lisbetherl.«

»Hat sie denn die ihrige Gestalt?«

»Ganz genau.«

»So mags gehen. Wann wir nur einen Ort finden, an welchem sie sich ungestört umziehen kann, bevor ich sie mit in das Hotel nehme.«

»Das ist gar nicht nöthig,« meinte Max. »Sie braucht ja gar nicht den ganzen Anzug anzuziehen. Wann sie einstweilen einen Regenmantel übernimmt, Stiefeletten, Handschuh, den Hut und Schleier dazu, so ists genug.«

»Richtig. Das Uebrige kann sie in dem Hotel anlegen. Da hast Recht. Ich möcht das Gesicht sehen, welches dera Jud machen wird, wann er am nächsten Morgen bemerkt, daß sie fort ist.«

»Es ist ihm zu gönnen.«

»So hältst ihn also wirklich für einen schlechten Kerlen?«

»Natürlich! Wer so ein bravs Dirndl unglücklich machen will, der ist jedenfalls schlecht. Wer weiß, was für andere Sachen er außerdem noch macht, denn er correspondirt unter einem falschen Namen.«

»So? Mit wem denn?«

»Das weiß ich nicht. Die Brief kommen aus Wien.«

»Das weißt auch schon?«

»Ja. Er sprach mit seiner Frau davon. Sie sollt nachsehen, ob ein Brief poste restante da wär an Herrn Gärtner.«

Der Sepp fuhr von seinem Stuhle auf und rief:

»Was sagst da?«

»Hasts nicht verstanden?«

»Wie war dera Name?«

»Herr Gärtner.«

»Das hast richtig hört?«

»Ganz genau und dera Johannes ebenso.«

»Sappermenten! Wanns wahr wär!«

»Was denn?«

»Einen Herrn Gärtner such ich mir.«

»Wo? Hier etwa?«

»Wo er zu finden ist, das hab ich nicht wußt. Aberst es scheint, daß er hier wohnt. Verzähl mir doch mal ganz genau, was der Jud mit seiner Frauen sprochen hat!«

Max wiederholte die Worte, welche das Ehepaar mit einander gewechselt hatte. Da schlug der Sepp mit der Faust auf den Tisch, daß die Biergläser wackelten und sagte, aber leise, denn er bemerkte, daß die anderen Gäste auf sein Gebahren aufmerksam geworden waren:

»Hols dera Teuxel, es ist so! Ich bin auf der ganz richtigen Spur. Ich hab den Kerl!«

»Wen meinst denn?«

»Den Juden. Wie heißt er gleich?«

»Baruch Abraham!«

»Schön! Diesen Namen werd ich mir sehr genau merken, denn es ist dera Nam von einem Kerlen, mit dem ich ein Wort zu reden hab.«

»Was ist denn mit ihm?«

»Er handelt mit Dirndln.«

»Wie so handeln?«

»Könnt Ihr Euch das nicht denken? Es giebt in Wien einen Menschen der schickt ihm schöne Dirndln zu. Er bezahlt für eine Jede zwanzig Gulden, und was er dann mit ihnen macht, das kann man sich ja denken. Er verkauft sie in die Schand und das Elend hinein.«

»Ists wahr?« fragte Johannes. »Herrgott, da müssen wir uns beeilen, damit es der Anita nicht ebenso dergeht!«

Er wollte aufspringen. Sepp hielt ihn zurück und sagte lachend:

»Nur sacht! Du wirst die Welt auch nicht sogleich in zwei Minuten einreißen können. Was willst jetzt sogleich anfangen? Gar nix.«

»Aber so bedenke doch die Gefahr, in welcher sich Anita befindet! Bedenke dieselbe!«

»Kannst Du sie etwa gleich jetzt befreien?«

»Nein, aber –«

»Aber – was denn? Gar nix! Was soll Dir Deine Ungeduld helfen, he? Bleib sitzen und trink Dein Bier!«

»Herrgott, das soll ich aushalten?«

»Du mußts aushalten. Andere stecken noch in viel größerer Gefahr, als die Anita.«

»Aberst die gehen mich nix an!«

»So? Was geht Dich denn die Anita an?«

»Die kenne ich.«

»Von dem einen Male anschauen? Pah! Es giebt eine alte, gute Bekannte von mir, die steckt in noch viel schlimmerer Gefahr als die Deinige.«

»Aber nicht hier, nicht in einer solchen!«

»Grad hier und grad in der ganz selbigen.«

»Wer wäre das?«

»Die Paula von dera Thalmühlen.«

»Bist des Teuxels!«

»Nein. Sie ist auch verkauft worden an denselbigen Herrn Gärtner.«

»Sepp, ist das wahr?«

»Ja. ich weiß es ganz genau.«

»Das kann ich nicht glauben.«

»Wirst schon glauben müssen, wann ich es Dir verzähle. Wir haben in Wien einen Kerl arretirt, welcher solche Dirndl an sich gelockt und verkauft hat. Er hat eine Liste darüber angelegt, und auf derselben hat auch standen »Paula Kellermann, Müllerstochter aus Scheibenbad.« Nun, ist das der richtige Name?«

»Der ists allerdings.«

»So brauchst auch nicht zu zweifeln. Die Paula ist verschollen. Kein Mensch kennt ihren Aufenthalt.«

»Derjenige muß ihn doch kennen, der sie verkauft hat!«

»Der hat aberst gar nix einstanden!«

»So muß man ihn zwingen.«

»Womit?«

»Mit Prügeln, wanns nicht anderst ist.«

»Das ist verboten. Man hat nix weiter derfahren, als daß diese Madels alle an einen Herrn Gärtner verkauft sind, der sie bezahlt hat.«

»Die Frau des Juden sagte doch, daß er Geld nach Wien schickt habe.«

»So stimmt es ganz genau. Dera Jude ists.«

»So hat er am End auch die Paula bei sich?«

»Kann sein. Vielleicht ist sie in seinem Haus.«

»O nein. Die Anita hat sagt, daß die Anderen schlecht seien, mit ihrem Schicksal ganz zufrieden. Das kann bei dera Paula nicht der Fall sein.«

»Nein. Eher befindet sie sich in dera Höhlen, von welcher die Anita erzählt hat.«

»Das ist möglich. Aberst wo mag diese Höhlen sein?«

»Hat sie es nicht sagt?«

»Sie hat es nicht wußt.«

»Das ist schlimm. Wir müssen es erfahren.«

»Von wem?«

»Von dem Juden.«

»Aber wie? Er wird sich hüten, sein Geheimniß zu verrathen. Das thut er nicht.«

»Vielleichten doch, wann man es klug anfängt.«

»Wie willsts denn anfangen?«

»Das weiß ich noch nicht. Ich muß es mir vorher überlegen. Wann dera richtige Augenblick da ist, wird sich schon auch dera gute Gedanke einstellen.«

»Magst nicht die Polizei zu Hilf nehmen?«

»Danke sehr!«

»Es ist aberst wohl das Beste.«

»Das Allerdümmste. Es dauert mir viel zu lang, und die Herren bringen doch nix heraus. Selber ist der Mann. Laßt mich nur gehen!«

Er that einen tiefen Zug und dachte schweigend nach. Nach einer Weile schnippste er mit den Fingern und sagte:

»Ich habs, ich habs! Ja, dera Wurzelsepp weiß schon, wo man den Floh anfassen muß, wenn man ihn fangen will!«

»Nun, was willst thun?« fragte Max.

»Ich werd mit nach dera Restauration gehen, in welcher Ihr den Wein trinken wollt.«

»Mit uns?«

»Nein, allein.«

»Was willst denn dort?«

»Mit dem Juden reden.«

»Ihn etwan ausfragen?«

»Ja.«

»Da wird er nicht mitthun.«

»Oho! Er wird gern mitthun. Darauf könnt Ihr Euch gern und gut verlassen.«

»Wie willst das anfangen?«

»Das laßt nur meine Sach sein. Die Frag ist nur, welche Restaurationen es sein wird.«

»Das können wir ja vorher bestimmen.«

»O nein, denn Ihr wißt ja gar nicht, ob dera Jud auch mit in diejenige gehen wird, die Ihr Euch ausgewählt habt.«

»Warum nicht?«

»Weil sie ihm nicht paßt. Solche Leutln, wie er einer ist, gehen halt nicht überall mit hin. Nein, Ihr müßt ihm die Wahl lassen.«

»So weißt Du aberst nicht, wo es ist.«

»Ich werds derfahren. Ich geh hinter Euch her, wann Ihr zu ihm geht, und bleib von fern so lang stehen, bis Ihr herausi kommt. Dann lauf ich Euch wieder nach. Auf diese Weis derfahr ich, wo Ihr seid.«

»Das kann angehen. Was aber dann?«

»Nun, ich wart ein Weilchen und tret dann auch mit eini. Ich setz mich zu Euch; aberst Ihr dürft mich nicht kennen. Das Uebrige wird sich nachhero finden.«

»Wannst mit ihm allein reden willst, dürfen wir doch nicht dabei sein.«

»Ich werd mit ihm allein sein, wann Ihr das Dirndl holt. Das ist genug. Ihr könnt mir ja ein Zeichen geben, ob Ihr den Schlüssel habt oder nicht.«

»Wir bekommen ihn auf alle Fälle. Schwerer aber ist es, ihn wieder hinein an den Nagel zu bringen.«

»Nix ist leichter als das.«

»Wieso?«

»Ich häng ihn hin.«

»Du? Wie willst das anfangen?«

»Auf das Allereinfachste. Wann Ihr das Dirndl habt, geht Ihr mit demselbigen an einen Ort, wo es sich einstweilen verstecken muß, und dann kommt Ihr wieder in die Restaurationen. Das könnt Ihr Alles so schnell macht haben, daß dera Jud denkt, Ihr seid nur mal draußen im Hof gewest. Ihr gebt mir heimlich den Schlüssel, und ich geh mit dem Juden nach seiner Wohnung.«

»Was willst dort?«

»Eben den Schlüssel hin hängen,« lachte der Alte. »Frag mich nicht so viel, sonst wirst ganz irr. Es kann ja Alles ganz anderst kommen, als wir es hier ausmachen. Darum ists viel klüger, wir besprechen nicht Alles auf das Eingehendste. Jetzund ists sieben Uhr. Wir wollen aufbrechen. Ich geh nach dem Hotel Europa und bestell meine Zimmer. Ihr wartet vor dem Hause auf mich.«

»Wollen wir nicht lieber gleich die Sachen für Anita einkaufen? Die kannst gleich mitnehmen.«

»Hast auch Recht.«

Sie bezahlten ihre Zeche und gingen. Die kleinen Einkäufe waren bald besorgt. Was Anita gleich anlegen sollte, wurde in ein separates Packet gethan, welches Johannes trug. Das Andere nahm der Alte mit sich in das Hotel, vor welchem die beiden Freunde auf ihn warteten.

Als er zurückkehrte, führten sie ihn zunächst nach der Hofseite der Judenwohnung und zeigten ihm das Mauerpförtchen. Dann wurde ein Platz gesucht, an welchem sich Anita für kurze Zeit allein verbergen konnte. Es fand sich sehr bald ein solcher.

Ganz in der Nähe lag ein verwilderter Garten, der von einer trüben Straßenlaterne nur so spärlich erleuchtet wurde, daß der größte Theil desselben ganz im Dunkeln lag. Einige Zaunlatten waren abgebrochen, so daß ein nicht zu starker Mensch sehr leicht hineinkriechen konnte. Hier konnte Anita, wenn sie sich da in die Sträucher verbarg, von Niemandem gefunden werden.

Nun promenirten die Drei noch so lange, bis es neun Uhr schlug. Dann begaben sie sich nach dem Gäßchen, in welchem der Jude wohnte, Max und Johannes voran und der Alte eine Strecke hinter ihnen.

Baruch Abraham hatte gewartet. Er stand unter der Thür. Er bemerkte nicht, daß den Beiden noch ein Dritter folgte.

»Da kommen wirklich die hohen Herren,« sagte er. »Fast habe ich gedacht, daß sie nicht Wort halten würden.«

»Ich habe ja gesagt, daß wir unser Wort niemals brechen,« sagte Max.

»Aber es hat bereits neun geschlagen.«

»Vor kaum einer Minute. Ist das Bild noch da?«

»Ja. Wo sollte es sein hin?«

»Sie könnten es einstweilen verkauft haben.«

»O nein. Es war Einer da, welcher es wollte kaufen zu einem guten Preise, aber ich habe ihm gesagt, daß –«

»Still, Jude! Uns machst Du das nicht weiß!«

»Gott der Gerechte! Warum sollt ich weiß machen Ihnen eine Lüge, wenn diese Lüge ist die vollste, reinste Wahrheit!«

»Schweig! Diese Sachen kennen wir. Führe uns hinein!«

Er brachte sie in dasselbe schmutzige Gewölbe, in welchem sie sich bereits einmal befunden hatten. Es brannte ein kleines Lämpchen da, welches kaum den vierten Theil des Raumes erleuchten konnte.

Johannes trat sofort zu dem Bilde und begann, es nochmals zu betrachten. Max that so, als ob er sich einstweilen noch nicht dafür interessire. Er sah sich verschiedene Kleinigkeiten an und fragte nach dem Preise derselben. Dabei entfernte er sich mehr und mehr von den Beiden und gelangte so zu der Hofthür. Es war da zu dunkel, als daß er den Schlüssel deutlich hätte sehen können. Er warf einen Blick nach dem Juden; dieser kehrte ihm gerade jetzt den Rücken zu. Ein schneller, leiser Griff – der Schlüssel hing da und befand sich im nächsten Augenblicke in Maxens Tasche.

Dieser kehrte wieder zu den beiden Andern zurück und betheiligte sich nun in der Weise an dem Handel, daß Max das Bild für fünfundzwanzig Gulden erhielt.

»Ich thue einen Schwur bei dem Gott Abrahams Isaaks und Jakobs,« sagte der Jude, »daß ich so ein Bild noch nie so billig verkauft habe. Aber ich bin gewesen nobel, weil ich denk, daß die hohen Herren nun werden auch sein nobel.«

»Natürlich sind wir das: Wir werden den Preis sofort bezahlen.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Das ist es auch gar nicht, was ich meine.«

»Was denn?«

»Ich meine das Versprechen, welches mir haben die Herren –«

»Welches Versprechen?«

»Das von dem Wein und den Cigarren.«

»Ach so! Das war ja Scherz.«

Er that nur so, daß der Jude nicht denken solle, es liege ihnen viel daran, ihn zu entfernen.

»Gott der Gerechte! Wer wird sprechen von einem Scherz, wenn es ist gewesen Ernst.«

»Vom Ernst ist keine Rede.«

»So hätten Sie geben müssen für das Bild wenigstens fünfzehn Gulden mehr.«

»Reden Sie nicht, Alter! Wir haben es wirklich theuer genug bezahlt.«

»Wenn die Herren sprechen und handeln in dieser Weise, so sind sie freilich nicht so nobel wie der arme Baruch Abraham, welcher ihnen hat geschenkt den halben Preis des Bildes, weil er hat geglaubt, daß sie werden halten das gegebene Wort.«

»Nun, das wollen wir freilich nicht von uns sagen lassen. Giebt es denn hier in der Nähe eine passende Restauration?«

»Warum sollte es nicht geben hier eine solche. Trinken wir nicht auch gern ein Weinchen von guten Eigenschaften? Und muß nicht liegen die Weinstube ganz in der Nähe, weil wir nicht haben Zeit zu laufen weit weg von daheim?«

»Wo ist es denn?«

»Nur drei Häuser von hier, wo da geht das Seitengäßchen ab nach rechts. Dort giebt es einen koscheren Wein, auch Knoblauch und Zwiebeln, sogar Cognac mit Sardellen und Austern. Die Herren werden finden Alles, was ihr Herz begehrt.«

Die Lage der Weinstube war den Beiden höchst angenehm. Mit Hilfe des erwähnten Seitengäßchens konnten sie in einer Minute hinter den Hof des Juden gelangen. Auf diese Weise hofften sie bei der Entführung nur wenig Zeit verbringen zu müssen, so daß ihre Entfernung gar nicht auffallen konnte. Darum antwortete Max:

»Gut, so gehen wir mit, natürlich vorausgesetzt, daß das Local ein anständiges ist.«

»Anständig? Warum soll es nicht sein anständig? Verkehren doch da lauter feine Leute!«

»Oho!«

»Ja. Und speist man da die größten Delicatessen per Karte und auch per Menu, wie man hat die Zeit, die Lust und das Geld.«

»Schön! Wollen sehen.«

»Nehmen die Herren die Bilder und Bücher gleich mit?«

»Nein. Wir lassen die Sachen durch den Packträger holen, morgen Vormittage gleich.«

»So können wir gehen. Ich muß aber erst sehen, ob Alles ist in Ordnung im Hause und im Hofe.«

Das war gefährlich. Er konnte ja leicht auf den Gedanken kommen, den Schlüssel dabei gebrauchen zu müssen. Darum entgegnete Max:

»Halt, Baruch Abraham, das paßt uns nicht. Es fällt uns nicht ein, so lange auf Sie zu warten.«

»So gehen Sie voran!«

»Auch das fällt uns nicht ein. Wer mit uns trinken will, kann auch mit uns gehen.«

»So will ich sagen Sarah, meiner lieben Frau Gemahlin, wohin ich gehe!«

»So lange warten wir allenfalls.«

»Dann bitt ich die Herren, zu warten draußen vor der Hausthür auf mich.«

Also nicht im Gewölbe, nicht einmal im Hausflur ließ er sie warten. Wie leicht hätten sie auf die Idee kommen können, Etwas von seinem alten Rummel zu stehlen!

Sie thaten ihm den Willen und gingen vor das Haus, während er das Gewölbe zuschloß und dann zu seiner Frau hinaufging.

Als sie sich draußen umblickten, sahen sie Sepp an einer dunklen Hausthür lehnen.

»Pst, Sepp!« machte Max.

Der Alte kam schnell herbeigehuscht. Es befand sich auf der Gasse ja kein Mensch, der das hätte beobachten können.

»Was giebts denn?«

»Willst Du etwa nachher so thun, als ob Du mit ihm hast reden wollen?«

»Jawohl.«

»Er ist eben bei seiner Frau, um ihr zu sagen, wohin er geht.«

»Schön! So werde ich zum Schein bei ihr fragen. Gut, daß Du mir das sagst.«

»Wir gehen nur drei Häuser weit bis an das Gäßchen dort.«

»Das ist sehr gut. Da es so steht, komme ich erst gegen zwölf Uhr nach. Laßt ihn nicht eher fort. Und gieb mir das Kleiderpacket, Max.«

Er nahm das Päckchen aus Maxens Hand und huschte fort, in das Gäßchen hinein bis hinter den Hof des Juden. Dort ging er weiter bis an den Garten, in welchen sich Anita verstecken sollte. Dort lauschte er eine Weile, und als er sich überzeugt hatte, daß kein Beobachter zugegen sei, kroch er durch die Lücke der abgebrochenen Latten in den Garten.

Hier recognoscirte er genau. Er fand eine ganz dunkle Hinterecke, welche zwischen Strauchwerk mit dichtem, hohem Gras bewachsen war. Dahinein steckte er das Packet und kehrte sodann durch den Zaun nach dem Weg zurück.

Er suchte eine entfernter liegende Restauration auf, in welcher er bis halb Zwölf wartete. Dann ging er nach dem Gäßchen und nach dem Hause des Juden zurück.

Alle Fenster waren dunkel. Die Laternen waren verlöscht. Man schien nicht der Mühe Werth zu halten, hier in diesem Quartier den kostbaren Brennstoff zu vergeuden. Er tappte an der Thür und rechts und links von derselben herum und fühlte einen Klingelzug.

Als er an demselben zog, hörte er die Klingel leise erschallen. Sie befand sich nicht im Hausflur, sondern wohl in der Schlafstube des Besitzers.

Es dauerte sehr lange, ehe er ein antwortendes Lebenszeichen verspürte. Endlich vernahm er schlürfende Pantoffelschritte, und durch die Ritzen der Thür war ein Lichtschein zu erkennen. Eine schnarrende, alte Stimme fragte von innen:

»Wer ist draußen?«

»Ein Bote,« antwortete der Sepp. Ist Baruch Abraham daheim?«

»Nein.«

»Wo ist er denn?«

»Was wollen Sie denn?«

»Das werde ich ihm sagen.«

»Wer sind Sie denn?«

»Auch das wird nur er erfahren.«

»Woher kommen Sie denn?«

»Nun, ich bin aus Wien und komme geraden Wegs von dort.«

»Aus Wien. Gott der Gerechte! Sie sagen, Sie seien ein Bote. Wer sendet Sie denn?«

»Der Baron von Stubbenau.«

»Der Baron! Ach, gleich!«

Er hörte einen Riegel zurückschieben und einen Schlüssel in das Schloß stecken, welches sich nur langsam öffnen ließ. Dabei hatte er Zeit zu dem Gedanken:

»Wie ist mir denn? Max und Hans sagten, die Alte höre schwer, und hier hört sie doch Alles so genau, obgleich wir nur halblaut sprechen. Dieses alte Laster weiß sich gut zu verstellen!«

Da ging die Thür auf; die Alte öffnete, aber nicht völlig, und winkte ihn hinein. Er trat ein, und sie beleuchtete ihn. Als sie sein martialisches, soldatisches Aeußere erblickte, machte sie einen ergebenen Knix und sagte:

»Willkommen, Herr! Also Sie kommen wirklich von dem Baron von Stubbenau?«

»Ja.«

»Und wissen auch, in welcher Angelegenheit?«

»Natürlich!«

»Haben Sie ein Schreiben mit?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil die Sache der Art ist, daß man sie nicht gern dem Papier anvertraut.«

»Schön! Diese Vorsicht ist gut. Aber wenn Sie nichts Schriftliches haben, muß er Ihnen wenigstens das Erkennungswort gesagt haben.«

Jetzt befand sich Sepp in großer Verlegenheit; aber er antwortete wacker drauf los:

»Wir wurden gestört. Er sagte es mir zwar, aber ich achtete nicht darauf.«

»Das ist schlimm, denn da wird mein Mann Ihnen keinen Glauben schenken.«

»Das wäre sehr unangenehm. Stubbenau rief es mir noch nach, aber ich weiß nicht, ob ich es richtig verstanden habe.«

»Nun, wie haben Sie denn verstanden?«

»Es war ein Hauptwort.«

»Allerdings.«

»Ein Name.«

»Ja, sein eigener, eigentlicher Name, den nur die Eingeweihten kennen.«

Jetzt wurde dem Alten das Herz leicht. Diesen Namen kannte er ja. Er antwortete:

»Sie mögen selbst beurtheilen, ob ich richtig verstanden habe. Er rief mir das Wort ›Salek‹ nach und bat, ich solle es nicht vergessen.«

»Das ist richtig. Sie haben nicht falsch verstanden. Sie sind legitimirt und mein Mann wird Ihnen nun Glauben schenken.«

»Wo ist er?«

»In einer nahen Restauration, das dritte Haus rechts von hier. Die Thür steht die ganze Nacht hindurch offen. Gehen Sie aber nicht in die vordere Stube, wo nur Schnaps getrunken wird, sondern gleich in die hintere, in welcher nur die feinen Gäste sitzen. Dort werden Sie ihn mit zwei jungen Herren sehen.«

»Schön! Ich danke Ihnen!«

»Bitte! Sagen Sie ihm, er solle nicht lange fortbleiben. Ich schlief schon, als sie klingelten, und werde mich sogleich wieder schlafen legen. Da ist es sehr gut, wenn der Mann daheim ist. Wie geht es dem Herrn Baron?«

»Danke! Nach Verhältniß leidlich.«

»Wird er uns bald wieder Mädels senden?«

»Ja.«

»Und Anderes? Juwelen?«

»Auch.«

»Prächtig! Ich ahne, daß Sie so Etwas bringen?«

»Ich darf natürlich noch nichts verrathen.«

»Ganz recht. Also schlafen Sie wohl!«

»Gute Nacht!«

Sie machte abermals einen Knix, ließ ihn hinaus und verschloß und verriegelte die Thür.

»Alle Teuxel, war das ein Glück!« murmelte er. »Da habe ich das richtige ›Sesam, Sesam, thue dich auf‹ – entdeckt! Also ›Salek‹ ist das Wort, das Erkennungszeichen. Das ist ja sehr gut!«

Er schlenderte nun nach der Kneipe.

Diese sah gar nicht so aus, als ob sie anständige Leute zu beherbergen vermöge. Sie war ein niedriges, hölzernes Gebäude, dessen Thürinschrift jetzt in der Dunkelheit nicht zu lesen war. Im offenstehenden Flur brannte ein Lämpchen, welches in einer Glasglocke hing.

Er schritt an der Thür vorüber, welche nach der vorderen Gaststube führte. Als er die zweite öffnete, strömte ihm eine dicke, von Rauch und allerlei penetranten Gerüchen geschwängerte Luft entgegen, die ihn beinahe zurückwarf.

Dennoch trat er ein.

Die Stube war klein. Von den vier da befindlichen Tischen waren nur zwei besetzt. An dem einen, dem hintersten, saßen Max, Johannes und der Jude. Sie hatten bereits ein halbes Dutzend leere Flaschen neben ihrem Tische stehen. Der Jude dampfte aus seiner Cigarre wie ein Stadtsoldat; es kostete ihm ja nichts.

Sepp setzte sich an den dritten Tisch und bestellte sich eine Flasche Wein. Den an dem zweiten Tische sitzenden Männern schenkte er zunächst keine Aufmerksamkeit.

Das Local hatte das Aussehen einer Gaunerkneipe, und auch der Wirth, welcher schläfrig hinter dem Ofen hockte, machte diese Ansicht keineswegs zu schanden.

Es war dem Juden deutlich anzusehen, daß der Wein bei ihm bereits seine Wirkung gethan hatte. Er blickte ziemlich stier vor sich hin, und dann, wenn einer seiner beiden jungen Gesellschafter auf ihn sprach, raffte er sich mit Gewalt zu einer Antwort auf. Dann wurde er für einige Augenblicke lebhaft, schwatzte schnell und viel durch einander und versank dann wieder in stumpfes Schweigen.

Als Sepp Max einen fragenden Blick zuwarf, nickte ihm dieser zu und machte, so daß es weiter Niemand sah, mit der rechten Hand die Bewegung des Thüraufschließens. Das sollte das Zeichen sein, daß er den betreffenden Schlüssel besitze.

Sepp wartete noch eine Weile und stand dann bereits im Begriffe, zu dem Juden hinzugehen, als er Grund bekam, dies zu unterlassen.

Es trat nämlich ein Kerl ein, welcher sich schnell umsah. Als er den Juden erblickte, glitt ein Zug der Befriedigung über sein Gesicht und er setzte sich an den vierten Tisch, welcher, wie bereits erwähnt, noch leer stand.

Aus seiner Miene war zu bemerken gewesen, daß er den Juden suche. Darum blieb Sepp noch sitzen, zumal sein Tisch ganz in der Nähe des vierten stand.

Er nahm eine der ausliegenden, schmutzigen Zeitungen in die Hand und that so, als ob er sich ganz in dieselbe vertiefen wolle.

»Was trinken Sie?« fragte der Wirth von seinem Stuhle aus den neuen Gast.

»Ein Glas Salek,« antwortete dieser, indem er das letztere Wort scharf und laut betonte.

»Dieses Getränk kenne ich gar nicht.«

»So geben Sie ein Glas sicilianer Weißen!«

Der Wirth brachte das Bestellte.

Baruch Abraham hatte den Eintretenden gar nicht bemerkt. Als er aber das scharf hervorgehobene Wort Salek hörte, blickte er auf. Ein Zug des Erkennens glitt über sein altes Gesicht. Er wartete, bis der Mann sein Glas erhalten und der Wirth sich wieder gesetzt hatte; dann stand er auf und trat schwankenden Schrittes auf den Mann zu.

»Petruccio, Du?« fragte er. »Kommst Du aus Zufall hierher?«

»Nein,« antwortete der Gefragte. »Setze Dich!«

Er hatte einen italienischen Namen und auch seine Züge bestätigten, daß er ein Italiener sei, jedenfalls der niedrigsten Classe.

Der Jude setzte sich und fragte:

»Wußtest Du, daß ich hier bin?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von Deiner Frau.«

»War sie denn noch wach?«

»Nein. Ich habe sie herausgeklingelt. Sie hatte schlechte Laune, denn sie war bereits einmal geweckt worden, wie sie sagte.«

»Von wem?«

»Das weiß ich nicht, ich habe sie nicht gefragt.«

»Bist Du in Geschäften hier, oder kommst Du direct zu mir?«

»Direct. Der Steuermann war gegen Abend bei mir; er hat warten müssen, weil ich nicht daheim war. Drum komme ich so spät.«

»Der Steuermann? Was wollte er?«

»Er erkundigte sich, ob wir bereit seien. Der Capitän könne nicht warten. Er lichte morgen Abend die Anker.«

Beide hatten sichtlich die Absicht, so zu sprechen, daß Niemand es hören solle. Aber der Jude sprach in Folge seiner Trunkenheit lauter, als es gerathen war, und der Italiener verhielt sich ganz unwillkürlich ebenso. Sie steckten die Köpfe zusammen. Sepp hörte aber trotzdem jedes Wort.

»Morgen Abend schon?« meinte der Jude. »Das ist mir freilich nicht lieb.«

»Warum?«

»Ich dachte, es solle noch eine Sendung kommen. Ich laure schon seit acht Tagen auf sie. Der Baron hat sie mir versprochen.«

»Ja, und der Capitän lauert ebenso, aber nun kann er nicht länger warten. Er hat vom Rheder eine Depesche bekommen, daß er sofort in See gehen soll.«

»Verflucht! Er hat doch noch nicht volle Fracht!«

»Thut nichts. Er nimmt andere.«

»So müssen wir uns eben fügen.«

»Schön. Kommst Du heraus?«

»Natürlich! Ich muß ihm das Volk doch übergeben. Ich muß unbedingt dabei sein, wenn er bezahlt.«

»Ich könnte das Geld auch übernehmen.«

»Nein, mein Junge, das wollen wir unterlassen.«

»Mißtraust Du mir? Denkst Du etwa, daß ich Dich betrüge?«

»O nein. Aber diesem Capitän Marmel traue ich nicht. Er ist ein Franzose.«

»Hat er Dich bereits betrogen?«

»Versucht hat er es, aber es ist ihm nicht gelungen. Wann kommt er?«

»Kurz nach Mitternacht will er an der Insel beidrehen und die Boote aussenden.«

»So bin ich kurz vorher bei Dir.«

»Wie steht es? Hast Du nichts nachzusenden?«

»O ja, Einige. Wir müssen sie also noch in dieser Nacht fortschaffen.«

»Gut. Ich nehme sie mit. Sie werden mir doch keine Scheerereien machen?«

»Nein. Nur Einer traue ich nicht. Es ist eine Italienerin. Sie heißt Anita und will sich nicht in ihr Schicksal finden.«

»Ist sie hübsch?«

»Sehr!«

»So muß sie. Je hübscher sie ist, desto mehr bekommen wir bezahlt. Und wenn sie nicht will, so wird sie gezwungen.«

»Aber kein Aufsehen erregen, kein Aufsehen! Hörst Du, Petruccio?«

»Natürlich! Sie wird gefesselt und wir verbinden ihr den Mund. Dann trage ich sie. Ich kenne ja die Schliche, so daß wir Niemandem begegnen.«

»Wirst Du denn allein fertig?«

»Ich habe meinen Bruder mit.«

»Das ist gut. Zu Zweien geht es besser.«

»Wann soll ich kommen?«

»Hm! Hast Du noch Zeit?«

»Warum fragst Du? Paßt es Dir jetzt nicht?«

»Nein. Erstens ist es noch zu zeitig. Es würden Euch Leute begegnen. Und zweitens befinde ich mich in angenehmer Gesellschaft.«

»Die beiden Knaben dort?«

»Knaben? Es sind feine Herren, Künstler.«

»Hm!« brummte der Italiener, indem er Max und Hanns mit verächtlichem Blicke musterte.

»Ich sage Dir, sie sind fein,« wiederholte der Jude mit der Beharrlichkeit eines Betrunkenen. »Sie bezahlen meine Zeche.«

»Ja, wer das thut, der ist bei Dir fein.«

»Freilich sind sie nicht die Klügsten. Sie haben mir für fünfundzwanzig Gulden eine alte Klexerei abgekauft, für welche ich nur zwei Gulden gegeben habe, und ich hoffe, ihnen auch noch mehr aufzuhängen.«

»Gratulire. Aber wegen Deiner freien Zeche kann ich doch nicht bis früh warten.«

»Sollst Du das etwa? Die richtige Zeit ist zwei Uhr nach Mitternacht. Da sind selbst die Nachtschwärmer zu Bett.«

»So komme ich also um diese Zeit. Soll ich vorn klingeln, oder meinst Du, daß –«

»Nein, nein,« fiel der Jude rasch ein. »Vorn dürft Ihr Euch nicht blicken lassen. Kommt an die Hofthür!«

»Dann darfst Du uns aber nicht warten lassen.«

»Nein. Punkt zwei Uhr bin ich an der Pforte.«

»Hm! Baruch Abraham, könntest Du heute wirklich so pünktlich sein? Ich zweifle daran.«

»Warum?«

»Weil Du betrunken bist.«

»Betrunken? Ich? Herr meiner Väter! Baruch Abraham soll betrunken sein!«

»Ja, Du bist es. Du kannst nicht gerade stehen.«

»Ich nicht gerade stehen! Wer behauptet das? Das ist nicht wahr, das ist eine Lüge, ich werde es Dir gleich beweisen.«

Er wollte aufstehen, um den Beweis zu liefern; aber der Italiener hielt ihn am Arme nieder.

»Bleib sitzen, Alter, und rede leiser! Du machst ja die Leute aufmerksam auf uns!«

»Pah! Es schaut Niemand her.«

»Aber der Alte da neben uns könnte uns hören.«

»Der guckt in seine Zeitung, und übrigens sprechen wir ja leise. Wie geht es denn in der Höhle?«

»Nicht zum Besten. Ich habe noch selten solche Noth und Mühe mit den Hexen gehabt.«

»So weißt Du ja, was zu thun ist!«

»Meinst Du Prügeln?«

»Ja. Hunger und Hiebe!«

»Schon gut, aber ich unterlasse es doch lieber, denn darunter leidet das Aussehen der Waare, und dann wird weniger gezahlt. Diese verdammte, bayrische Fratze macht mir viel zu schaffen.«

»Bayrisch?« fragte der Jude, indem er den Finger an die Stirn legte, zum Zeichen, daß er nachdenke. »Haben wir eine Bayerin?«

»Natürlich! Die Schmuckste von Allen.«

»Ah, ich besinne mich! Sie ist eine Müllerstochter?«

»Ja. Sie läßt sich Paula nennen anstatt Pauline. Sie hat mir eine förmliche Verschwörung angezettelt, welche gestern zum Ausbruch kommen sollte. Zum Glück waren Andere so gescheidt, nicht mitzumachen und es mir zu verrathen. Sie wollten nicht frei sein; sie sehnen sich nach Kalifornien, nach dem Goldlande, wo sie steinreiche Männer bekommen, diese albernen Weibsen.«

Er lachte cynisch vor sich hin. Der Jude aber sagte in warnendem Tone:

»Laß ihnen diese Gedanken! Mache sie ja nicht kopfscheu. Sie werden ja später erfahren, was mit ihnen geschieht.«

»Natürlich, natürlich! So klug bin ich selber schon. Aber glaubst Du denn, daß es mir an das Leben gehen sollte?«

»Unmöglich!«

»Ja, an das Leben. Die Mädchens wollten ausbrechen, mit Gewalt, allerdings möglichst ohne Blutvergießen, aber wenn wir Beide, ich und mein Bruder, uns widersetzten, sollten wir erschlagen werden.«

»Sollte man das glauben!«

»Von solchen Mädels! Aber die Bayerin hatte es angestiftet und gesagt, daß sie selbst mich unbedingt erschlagen werde, wenn ich Widerstand leiste.«

»Du hast sie natürlich unschädlich gemacht?«

»Donnerwetter! Das ist ja ein couragirtes Frauenzimmer! Sie ist doch keine Riesin!«

»Die Bayerinnen sollen alle so sein.«

»So ist es gut, daß wir selten welche haben. Aber wenn ihnen auch der Plan geglückt wäre, wie hätten sie von der Insel kommen wollen?«

»Auf unserm Segelboot.«

»Wissen sie denn den Versteck desselben?«

»Nein; das ist eben das Gute. Sie haben geglaubt, wir binden es am Landungsplatze an.«

»Da hätten sie allerdings rathlos dagestanden. Du hast aber doch wenigstens dieser Müllerstochter die Peitsche gegeben?«

»Mein Bruder wollte, ich aber war dagegen. Was konnte es uns nützen? Ich habe sie gefesselt und abseits gesteckt. Aber als vorhin der Steuermann kam, erzählte ich es ihm. Er lachte in seiner grimmigen Weise und versprach mir, daß sie auf dem Schiffe die neunschwänzige Katze bekommen solle. Bis sie nach Amerika kommt, sind dann die Narben geheilt, so daß es keinen Schaden macht.«

»Das mag besser sein. Hast Du noch Etwas zu sagen?«

»Nein.«

»So gehe jetzt! Man weiß nicht, wer kommt, und es ist gut, man sieht uns nicht beisammen.«

»Also um Zwei?«

»Ja.«

»Und vor der Einschiffung bekomme ich mein Geld?«

»Natürlich! Ich gebe die Mädels ohne Bezahlung nicht her. Stück für Stück hundert Gulden, für die Schönheiten aber noch mehr.«

»So will ich gehen. Aber sei vorsichtig!«

»In welcher Beziehung?«

»Du bist betrunken. Rede dort mit den beiden Kerls nicht etwa von Dingen, die – – –«

»Unsinn! Hältst Du Baruch Abraham für einen Dummkopf, für eine Plaudertasche?«

»Nein; aber der Wein macht redselig.«

»Mich nicht. Je mehr ich trinke, desto verschwiegener werde ich. Bei Euch Italienern ist es freilich anders.«

»Oho! Bei den beiden Brüdern Petruccio ist nichts herauszulocken, nicht einmal durch Champagner; das wissen alle Leute in Barcola.«

»Wollen es hoffen. Also gute Nacht bis auf zwei Uhr Morgens.«

»Gute Nacht!«

Der Jude taumelte nach seinem Platze zurück, und nach kurzer Zeit entfernte sich der Italiener.

Die Uhr zeigte jetzt ein Wenig über zwölf Uhr. Der Sepp zog einen kleinen Zettel aus der Tasche und schrieb mit Bleistift darauf:

»Die Kleider für Anita liegen in dem Garten, hinterste Ecke links unter den Büschen. Sie mag sie anlegen, während sie dort wartet.«

Diesen Zettel steckte er in die Tasche, so daß er ihn leicht zur Hand hatte. Dann stand er auf und schritt langsam an den Tisch, an welchem der Jude saß.

»Verzeihung,« sagte er, »ich suche Herrn Baruch Abraham hier.«

»Der bin ich,« antwortete der Genannte, indem er höflich aufstand.

»Bitte, bleiben Sie sitzen, und erlauben Sie mir lieber, bei Ihnen Platz zu nehmen!«

Der Jude schaute ihn verwundert an; Max und Hanns aber rückten schnell zu, so daß der alte Sepp neben dem Juden Platz fand. Dabei zog er den Zettel heraus und gab denselben Max, ohne daß Baruch Abraham es bemerkte.

»Sie suchen mich hier?« fragte der Letztere. »So haben Sie gewußt, daß ich hier bin?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von Ihrer Frau. Ich klingelte.«

»Ah, so sind Sie Derjenige gewesen, der vor Petruccio da war.«

Wäre er nicht betrunken gewesen, so hätte er sich gehütet, diesen Namen zu nennen.

»Petruccio? Wer ist das?«

Durch diese Frage wollte Sepp in dem alten Menschenhändler die Ueberzeugung erwecken, daß er wirklich in die Zeitung vertieft gewesen sei und auf das Gespräch nicht geachtet habe.

»Ein Bekannter,« antwortete der Jude. »Sie waren so spät bei mir. Warum?«

»Geschäfte.«

»Mein Laden ist nur bis acht Uhr auf.«

»Für mich vielleicht auch später.«

Der Jude fixirte ihn mit neugierigem und mißtrauischem Blicke und meinte dann:

»Für Niemanden eigentlich, wenn nicht etwas ganz Notwendiges vorkommt.«

»Es ist nothwendig.«

»So! Wollen Sie etwas kaufen oder verkaufen?«

»Verkaufen.«

»Was?«

»Ein Gemälde, ein Seestück von der kalifornischen Küste.«

Der Jude wurde aufmerksam.

»Von welchem Maler?« fragte er.

»Von dem bekannten Künstler, welcher zufälliger Weise grad so heißt wie der Wein, den der Gast vorhin vergeblich verlangte – Salek.«

Da erhob Baruch Abraham sich halb vom Stuhle, starrte den Sepp erstaunt an und sagte:

»Ich kenne Sie ja gar nicht!«

»Ist es nothwendig, daß Sie mich kennen?«

»Hm! Allerdings nicht.«

»Oder kaufen Sie von Salek nicht gern?«

»O doch. Seine Gemälde gehen stets.«

»Das weiß ich. Ihr Name wurde mir von einem Kenner genannt. Ich habe das Bild mit hier, und da ich nicht weiß, ob ich morgen da bleibe, erlaubte ich mir, Sie so spät noch aufzusuchen.«

»Schön, schön! Vielleicht machen wir einen Handel, wenn Sie wirklich die Absicht – – –«

Er hielt inne, denn grad jetzt stand Max auf, dem er Platz zu machen hatte. Derselbe hatte den Zettel unbemerkt gelesen und erhob sich mit der Miene eines Mannes, welcher aus Höflichkeit einmal hinausgeht, um den Andern Gelegenheit zu geben, ihre Angelegenheit ohne Zeugen abzumachen.

»Nimm mich mit!« sagte Johannes, indem er dem Freunde folgte.

Draußen theilte Max dem Maler den Inhalt des Zettels mit. Dann schlichen sie sich zur Hausthür hinaus und huschten schnell durch das bereits erwähnte Gäßchen.

»Der Sepp ist doch ein Sappermenter,« meinte im Gehen Max. »Hast Du genau gehört, was er sagte?«

»Ja.«

»Das Bild von der kalifornischen Küste, und der Name Salek. Beides muß irgend eine Bedeutung haben, die nur er kennt. Der Kerl ist grad wie allwissend.«

»Wir erfahren jedenfalls, was es für eine Bewandtnis damit hat.«

»Natürlich! Jetzt aber müssen wir uns beeilen. Wir dürfen nicht lange abwesend sein, sonst fällt später der Verdacht auf uns.«

Hinter der Mauer war es vollständig finster. Sie lauschten eine kurze Zeit am Pförtchen. Als sich weder vor noch rückwärts auf dem Wege und auch im Hofe des Juden kein Geräusch hören ließ, zog Max den Schlüssel heraus.

Er befeuchtete ihn mit Speichel, damit kein Geräusch entstehen solle, und schloß auf. Glücklicher Weise öffnete sich die Thüre leise.

Sie traten ein und zogen sie hinter sich an. Nachdem sie wieder einige Augenblicke gelauscht hatten, huschten sie über den Hof hinüber bis unter den Söller.

»Sie ist eingeschlossen. Sie kann nicht heraus,« sagte Johannes leise.

»Nur eingeriegelt. Wie aber kommen wir hinauf?«

»Dort in der Ecke geht die Außentreppe zum Söller empor. Ich habe es gesehen.«

»Gut! So steigen wir hinauf.«

»Beide?«

»Ja. Warum nicht?«

»Zwei Personen machen mehr Geräusch als eine.«

»Das ist richtig. Also geh Du allein.«

»Warum ich?«

»Weil Anita in Dir den Retter ehren soll, nicht aber in mir. Knarren Deine Stiefeln?«

»Vielleicht. Ich ziehe sie aus.«

»Besser ist es. Also einen Hund giebt es nicht?«

»Nein. Anita sagte es. Hoffentlich werden wir auch anderweit nicht gehindert.«

»Schwerlich. Ich glaube, die alte Jüdin befindet sich ganz allein im Hause.«

»Wenn die nun kommt! Was dann?«

»Pah! Du giebst ihr mit der Faust Eins auf den Kopf, daß sie ohnmächtig wird.«

»Du, das bringe ich nicht fertig. Ich bin kein Rinaldini oder Schinderhans.«

»Ich auch nicht; aber so einen Hieb brächte ich dennoch fertig.«

»So geh lieber Du!«

»Nein. Ich will die Ehre Dir überlassen. Wirst Du ja gestört, so verhältst Du Dich ganz still und lassest mich sprechen. Also mach!«

Sie standen jetzt an der schmalen, hölzernen Treppe, welche mehr einer Leiter ähnelte. Johannes stieg hinauf, dabei möglichst jedes Geräusch vermeidend.

»Nimm mehrere Stufen auf einmal!« flüsterte Max ihm zu. »Das giebt weniger Schritte.«

Hanns befolgte diesen Rath und machte auch oben auf dem Söller die Schritte so langsam und so weit wie möglich.

Das alte Holz knarrte zwar einige Male, aber so leise, daß es kaum zu bemerken war. So gelangte er also glücklich an den Eingang nach dem Innern des Hauses.

Dieser war nicht mit einer Thür versehen, sondern offen. Hanns hatte von Anita gehört, daß sie links eingeriegelt sei, während die andern Mädchen sich auf der rechten Seite befanden.

Er tastete nach hüben und drüben, indem er hineintrat. Schon nach drei oder vier Schritten fühlte er die beiden einander gegenüber liegenden Thüren. Diejenige links war die richtige. Sie war von außen verriegelt, und es galt nun, den Riegel ohne Geräusch zurückzuschieben. Hanns machte sehr, sehr langsam, und es gelang. Die Thür knarrte freilich ein Wenig, aber doch nicht allzusehr, als er sie öffnete.

»Anita!« flüsterte er.

»Mein Retter!« antwortete es ebenso leise. »Gott sei Dank!«

»Sie haben auf mich gewartet?«

»Mit Schmerzen!«

»Ich komme aber doch nicht später, als ich sagte.«

»Und doch war es eine Ewigkeit für mich.«

»So kommen Sie schnell!«

»Ich kann nicht. Ich bin angebunden.«

»Ah, dieser grausame Jude!«

»Er traut mir eben nicht.«

»Ich werde Sie losschneiden. Wo sind Sie?«

»Kommen Sie nach rechts. Hier unten in der Ecke.«

Hanns schlich hinein. Er bückte sich und tastete. Er fühlte einen Strohsack, auf welchem das Mädchen lag.

»Die linke Hand ist an der Mauer und die rechte an der Diele festgebunden,« erklärte das gefesselte Mädchen.

Er griff nach diesen Richtungen und fühlte zwei eiserne Ringe, je einen in der Mauer und der Holzdiele, an welche Anita mit Stricken angebunden war. Auf diese Weise wurden ihre Hände so auseinander gehalten, daß sie nicht die eine durch die andere befreien konnte.

»Armes Kind!« klagte Hanns. »War das alle Abende so wie heut?«

»Seit ich mich widerspänstig zeigte, ja.«

»Da konntest Du ja nicht schlafen!«

»Nein. Es war eine Qual.«

»Du sollst gleich frei sein. Deinen Peiniger aber werden wir exemplarisch bestrafen lassen.«

Er zog sein Messer heraus und schnitt sie los. Sie schnellte empor. Er richtete sich auch auf und fühlte, daß sie nach ihm tastete.

»Anita!« erklang es mitleidig und doch froh.

»Johannes!« antwortete sie.

»Du hast Dir meinen Namen gemerkt?«

»O, den werde ich nie, niemals vergessen, salvatore mio, angelo mio, mein Retter, mein Engel!«

Er fühlte die weichen Arme, welche sie um ihn schlang, und das Köpfchen, welches sie innig an seine Brust drückte.

Ein nie gekanntes, ungeahntes Gefühl durchfluthete ihn. Er konnte nicht anders, er mußte auch seine Arme um sie legen und sie an sich drücken. Er beugte sein Gesicht nieder. War es Zufall, daß auch sie das ihrige empor hielt? Ihre Lippen fanden sich zu einem langen, langen aber engelsreinen, keuschen Kusse.

»Johannes!« flüsterte sie abermals.

»Anita! Welch eine Seligkeit, Dich frei zu wissen!«

»Durch Dich, durch Dich!«

»O, nicht durch mich allein!«

»Ist Dein Freund mit und wo befindet er sich?«

»Unten im Hofe.«

»Er ist ebenso edel wie Du?«

»Noch viel besser und edler als ich.«

»Das ist unmöglich!«

»Du kennst mich ja gar nicht!«

»O, ich kenne Dich, ich kenne Dich, als sei ich stets bei Dir gewesen.«

Das that ihm so unbeschreiblich wohl. Er hätte lebenslang so stehen mögen, das schöne Mädchen in seinem Arme; aber er gedachte der augenblicklichen Lage und sagte:

»Wir müssen fort. Komm!«

»Noch nicht, noch einen Augenblick.«

»Warum?«

»Wohin willst Du mich führen?«

»Giebt es einen Ort, wohin Du wünschest?«

»Ich kenne keinen.«

»So gehst Du mit mir?«

»Mit Dir, wohin Du mich auch führen magst.«

»So werde ich Dich zunächst zu einem Freunde bringen, zu einem alten, lieben Herrn, bei welchem Du vor allen Nachforschungen sicher bist.«

»Wo befindet er sich?«

»Er wohnt im Hotel Europa. Kennst Du es?«

»Nein. Aber in ein Hotel kann ich nicht.«

»Warum?«

»Hast Du nicht gesehen, wie ich gekleidet bin? Ich bin sogar barfuß.«

Er erinnerte sich, daß sie nur ein einziges Röckchen angehabt hatte. Darum verstand er ihre Einwendung gar wohl.

»Du kannst getrost mit,« antwortete er. »Es sind Kleider für Dich vorhanden.«

»Auch Schuhe?«

»Ja, Alles, was Du brauchst. Komm nur mit!«

Er zog sie hinaus vor die Thür und riegelte dieselbe vorsichtiger Weise wieder zu, damit man ihre Flucht nicht sogleich bemerken möge. Dann huschten sie mit einander über den Söller hin und die Treppe hinab.

»Gelungen?« fragte Max, als er sie kommen hörte.

»Ja.«

»Gott sei Dank! Es hat lange gedauert.«

»Es ging nicht schneller. Jetzt will ich meine Stiefel anziehen, und dann rasch fort!«

Während Johannes sich mit seiner Fußbekleidung beschäftigte, ergriff Anita Maxens Hände und sagte mit bewegter Stimme:

»Auch Sie halfen mir, Herr. Wie soll ich Ihnen danken!«

»Dadurch, daß Sie glücklicher werden, als Sie bisher waren.«

»O, ich bin glücklich, weil ich frei bin.«

»Was müssen Sie glitten haben, Sie armes, armes Kind! Aber kommen Sie nun! Wir dürfen uns nicht länger verweilen.«

Er schritt voran. Johannes nahm das Mädchen bei der Hand und folgte ihm.

Sie gelangten aus dem Hofe hinaus. Max verschloß die Thür und steckte den Schlüssel zu sich. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß sie nicht belauscht wurden, eilten sie nach dem mehrfach erwähnten Garten.

»Hier herein!« sagte Max, indem er voran kroch und dann die beiden Anderen, die ihm schweigend folgten, nach der von Sepp beschriebenen Ecke führte, wo er das Kleiderpacket liegen fand.

»Hier sind Sie einstweilen sicher, Signorina,« sagte er. »Wir müssen uns für kurze Zeit entfernen.«

»Mein Gott, Sie wollen mich verlassen!«

»Nur auf wenige Minuten.«

»Mir ist so angst!«

»Sie brauchen nichts zu fürchten. Wir holen nur den Freund herbei, der Sie in seinen Schutz nehmen will.«

»Kann ich nicht mit gehen?«

»Nein. Der Jude würde Sie sehen.«

»Wo ist er? Schläft er nicht?«

»Er ist noch wach. Wir haben ihn mit in ein Weinhaus genommen und betrunken gemacht. Der Freund sitzt bei ihm und hält ihn fest, damit er uns nicht stören konnte.«

»O, das war klug gehandelt!«

»Nicht wahr? Ebenso erfordert es die Klugheit und Ihre Sicherheit, daß wir Sie jetzt allein lassen. Wir müssen den Freund benachrichtigen, daß Ihre Flucht gelungen ist; dann kommen wir sofort wieder.«

»Aber Sie verlassen mich nicht? Sie kommen gewiß zurück, ganz gewiß?«

»Ganz gewiß. In fünf oder höchstens zehn Minuten sind wir wieder da. Indessen nehmen Sie hier das Bündel. Es enthält einige Kleidungsstücke, die Sie gleich hier anlegen müssen, damit Sie nach dem Hotel können. Legen Sie auch den Schleier an, daß man Ihr Gesicht nicht deutlich sieht. Also nun gehen wir. Aber wir kommen gleich wieder. Besorgen Sie nichts!«

Ihre Angst war noch nicht beschwichtigt. Sie ergriff Hannsens Hand und sagte:

»Wenn man mich nun hier sucht und findet?«

»O, es kommt kein Mensch hierher.«

»Das kann man doch nicht wissen.«

»Ich bin vollständig überzeugt, daß Sie hier ganz sicher sind. Wir sind schnell, sehr schnell wieder da. Bis dahin können Sie auf alle Fälle diesen Platz behaupten.«

Sie sah, daß sie sich trotz ihrer Bangigkeit fügen mußte, und ergab sich drein. Die Beiden aber eilten nach der Restauration zurück.

Dort hatte indessen Sepp sich mit dem Juden unterhalten. Trotz seiner Betrunkenheit verhielt der Letztere sich so vorsichtig wie möglich. Wer heimlich gegen die Gesetze handelt, der hat alle Veranlassung, vorsichtig zu sein. Als Max und Johannes sich entfernt hatten, fragte er den Alten:

»Jetzt sind wir allein. Wer sind Sie?«

»Müssen Sie das wissen?«

»Ja.«

»Lieber ist mirs, wenn ich es Ihnen nicht zu sagen brauche. Solche Geschäfte macht man gern incognito.«

»So ist Ihre Mühe vergebens. Ich verkehre nicht mit Ihnen. Sie kennen mich, und so muß auch ich Sie kennen.«

»Ist das Ihr fester Grundsatz?«

»Geschäftsprincip!«

»So! Nun, da will ich Ihnen sagen, daß ich pensionirter Officier bin, Hauptmann.«

»Wo?«

»Ich diente in Bayern, befand mich aber in letzter Zeit in Wien.«

»Können Sie mir das beweisen?«

»Donnerwetter! Glauben Sie mir nicht?«

»Ich glaube Ihnen. Aber was thue ich mit dem Glauben? Bei dieser Art Geschäft muß man haben eine vollständige Sicherheit.«

»Nun, die kann ich Ihnen bieten. Hier!«

Er zog seine Legitimation hervor und gab sie ihm. Der Jude las sie aufmerksam durch, gab sie ihm zurück und sagte:

»Jetzt habe ich den Beweis, daß Sie mir die Wahrheit gesagt haben. Nun können wir vom Geschäft sprechen. Was bringen Sie mir?«

»Ich möchte von diesen Sachen grad hier lieber nicht reden, Baruch Abraham.«

»Warum nicht?«

»Es ist hier Restauration.«

»Was thut das?«

»Sehr viel. Es ist ein öffentlicher Ort.«

»Aber es hört uns Niemand.«

»Das denken Sie. Wie leicht aber kann es anders sein. Gegen meine Person waren Sie so vorsichtig, und gegen Andere hegen Sie keine Befürchtungen. Nein, hier nicht.«

»Wo denn?«

»Bei Ihnen.«

»Ah, Sie wollen gehen mit mir in mein Haus?«

»Ja. Ist das nicht möglich?«

»Möglich ist es, und vielleicht ists das Beste, was wir thun können. Aber ich kann jetzt nicht fort.«

»Warum?«

»Weil die beiden Herren sind hinausgegangen. Ich habe gemacht mit ihnen einen sehr guten Handel; sie bezahlen die Zeche für mich, und ich bin ihr Gast.«

»Sie wollen nicht gehen, ohne sich von ihnen zu verabschieden?«

»Ja.«

»Nun, das können Sie ja thun. Wir warten, bis sie wieder hereinkommen.«

»Auch habe ich noch auszutrinken meine Flasche.«

»Das können Sie bereits jetzt besorgen, damit wir gleich gehen können, wenn sie kommen. Ich habe keine Zeit, so lange zu warten, bis Sie die Flasche langsam geleert haben.«

Er setzte sich durch seinen entschiedenen Ton so in Respect, daß der Jude sein Glas schleunigst füllte und wieder leerte. Dabei erkundigte er sich:

»Wo logiren Sie?«

»Noch gar nicht. Ich kam mit dem letzten Zuge und habe Sie sofort aufgesucht. Haben Sie vielleicht einen Platz für mich bei sich?«

Der Jude streckte ihm beide Arme entgegen, spreizte alle zehn Finger aus und rief:

»Au weih! Wie kann ich haben Platz für fremde Leute! Habe ich doch ein Ein- und Verkaufsgeschäft für alte Sachen aber nicht eine Herberge!«

»Nun gut, so muß ich mir einen anderen Ort suchen. Erschrecken Sie nicht!«

»Warum sollt ich nicht erschrecken? Weiß ich doch noch gar nicht, ob ich werde machen ein gutes Geschäft mit Ihnen.«

»Sie werden es machen.«

»Wie so?«

»Ich bringe etwas zu verkaufen und will auch etwas abkaufen. Und bei Beidem werden Sie verdienen.«

»So sagen Sie, was Sie wollen kaufen!«

»Hier nicht, sondern später. Reden wir jetzt lieber von anderen Dingen.«

Er gab sich nun Mühe, den Juden über das erste beste gewöhnliche Thema so gut wie möglich zu unterhalten, so daß diesem die Zeit nicht zu lang wurde. Dies gelang ihm auch so gut, daß es Baruch Abraham gar nicht auffiel, wie lange Hanns und Max abwesend waren.

Als die Beiden dann zurückkehrten, sagte der Sepp zu ihnen:

»Meine Herren, ich muß um Verzeihung bitten, daß ich Ihnen diesen Herrn entführe. Ich habe noch Geschäfte mit ihm.«

»Ja,« fügte der Jude hinzu, »so gern ich noch länger blieb, ich muß doch gehen fort mit ihm. Er will mir noch zeigen ein schönes Gemälde. Sie haben sich betragen sehr nobel gegen mich, und ich sage meinen Dank dafür.«

Indem Max schnell Sepps Hut herbei holte, scheinbar aus bloßer Höflichkeit, gab er ihm mit demselben zugleich den Pfortenschlüssel heimlich in die Hand.

»Gelungen?« fragte der Alte dabei leise.

»Ja. Sei nicht lange!«

Sepp entfernte sich mit dem Juden.

Als dieser auf die Gasse trat und die kühle Nachtluft einathmete, wurde ihm der Kopf schwer. Der Rausch kam zur Geltung.

»Gott Abrahams,« sagte er, »was ist denn das? Wo bin ich denn hingerathen?«

»Das sehen Sie doch!«

»Ich kenne doch gar nicht mehr die Gegend. Alle Häuser tanzen Polka rundum!«

»Das thut der Wein. Es wird bald nachlassen.«

»Führen Sie mich! Ich kann nicht mehr stehen auf meinen eigenen Beinen!«

»Auf fremden würde es Ihnen wohl noch viel schwerer werden. Geben Sie mir Ihren Arm!«

Er faßte ihn unter und führte ihn nach seinem Hause. Dort dauerte es eine halbe Ewigkeit, bevor Baruch Abraham den Hausschlüssel hervor brachte, und sodann konnte er das Loch nicht treffen.

»Wir sind an einer falschen Thür,« behauptete er.

»O nein. Es ist die richtige.«

»Es ist die falsche. Die meinige hat ein Schlüsselloch, diese aber keins.«

»Zeigen Sie den Schlüssel her! Ich will versuchen, ob mir das Oeffnen gelingt.«

Es gelang.

»Wo nehmen wir nun Licht her?« fragte er, als sie sich dann im Flur befanden.

»Da in der Wand ist eine Nische, in welcher sich die Lampe befindet.«

Sepp fühlte die Nische und auch die Lampe, welche er mittelst der dabei liegenden Zündhölzer anbrannte.

Dann fand der Jude den Schlüssel zu dem Gewölbe nicht. Sepp suchte ihn auch und fand ihn endlich. Er schloß auf und schleppte den Menschen hinein. Dort setzte sich Baruch Abraham auf einen Stoß Makulaturpapier nieder und ließ den Kopf sinken.

»Wo bin ich, wo?« fragte er.

»Daheim.«

»Nein. Das ist eine Höhle. Das ist, das ist – –«

Er sprach nicht weiter. Er schloß die Augen. Die Müdigkeit wollte ihn übermannen.

Diesen Augenblick benutzte der kluge Sepp. Im Nu war er an der Hofthür. Er gewahrte beim Scheine der Lampe, welche er in der Hand hatte, den Nagel und hing den Schlüssel daran. Im nächsten Moment stand er wieder bei dem Juden.

»Baruch Abraham,« sagte er. »Schlafen Sie?«

Der Gefragte machte eine Armbewegung und brummte etwas Unverstehbares.

»Wir wollen doch von Geschäften reden!«

»Geschäft, Geschäft,« nickte er, aber ohne die Augen zu öffnen.

Das Wort Geschäft übte doch einige Wirkung auf ihn aus. Der Sepp fuhr fort:

»Erwachen Sie doch! Seien Sie munter!«

»Munter – oh – – ah!«

»Wenn Sie so sitzen bleiben, kann ich Ihnen ja den ganzen Laden ausstehlen!«

»Stehlen!«

Sofort stand der Jude hoch aufgerichtet da. Das einzige Wort stehlen hatte alle seine Müdigkeit verscheucht.

»Stehlen!« rief er. »Stehlen wollen Sie?«

»Nein, bewahre!«

»Sie sagten es doch!«

»Ich sagte nur, daß man Sie leicht bestehlen könnte, wenn Sie da sitzen bleiben.«

»Nein, nein. Bestehlen läßt sich Baruch Abraham nicht. Der Wein, der Wein! Aber es giebt ein Mittel. Dort steht Essig.«

Auf dem Fenster stand eine dickbäuchige, staubige Flasche. Der Jude that einige tüchtige Schlucke daraus, zog ein schreckliches Gesicht, hustete darauf und wusch sich dann auch das Gesicht damit. Mit dem langen Schooße seines Rockes trocknete er sich ab.

»So,« sagte er, »so! Jetzt ists besser. Bestehlen lasse ich mich eben nicht!«

»Ich beabsichtige das ja auch nicht.«

»Nicht? Hm! Man kann es nicht wissen.«

»Ich habe Sie ja grad im Gegentheile gewarnt.«

»Gewarnt? So? Ich will es glauben. Also jetzt bin ich geworden wieder gesund, und meine Augen sind hell. Nun wollen wir reden vom Geschäft.«

Er setzte sich wieder auf den Papierstoß und lud Sepp ein, neben ihm Platz zu nehmen. Dieser aber lehnte ab und sagte, stehen bleibend:

»Ist denn die Wirkung des Weines so weit gehoben, daß wir von wichtigen Dingen reden können?«

»Sie ist weg, ganz weg.«

Er blinzelte mit den Augen. Es wurde ihm doch schwer, sie ganz zu öffnen.

»Gut,« meinte Sepp. »So können wir also beginnen. Ueberwinden Sie die noch zurückgebliebene Müdigkeit!«

»Ich bin nicht müde. Ich bin munter. Ich kann reden. Ich will nun wissen, wer Sie sind.«

»Das haben Sie ja schon gehört.«

»Gehört? So?«

»Und auch gesehen. Ich habe Ihnen ja doch meine Legitimation gezeigt.«

»Ah, ja, Legitimation! Es ist wahr, sehr wahr. Sie sind pensionirter Hauptmann. Nicht?«

»Ja. Josef von Brendel.«

»Brendel, so war es. Sie kommen von Wien?«

»Das sagte ich Ihnen bereits.«

»Schön! Und von wem haben Sie denn eigentlich das Wort Salek erfahren?«

»Von ihm selber.«

»Wer ist das?«

»Der Baron von Stubbenau.«

»Stimmt, stimmt. Ist denn er es, der Sie zu mir gesendet hat?«

»Ja, er selbst.«

»Warum kommt oder schreibt er nicht? Er soll mir keinen Fremden schicken.«

»Er kann weder kommen noch schreiben.«

»So? Hat er keine Zeit? Zu so einem Briefe muß er haben zu jeder Minute Zeit.«

»Zeit hätte er; aber er darf nicht.«

»Darf – – – ah, wer hindert ihn?«

»Die Behörde.«

»Die Behörde? Was sagen Sie? Die Behörde?«

Seine Augen öffneten sich jetzt weit.

»Ja, das Gericht – wenn das deutlicher ist.«

»Das Gericht? Wieso?«

»Er ist gefangen.«

»Gef – – –«

Er brachte das Wort nicht ganz hervor; aber es übte eine ungemeine Wirkung auf ihn aus. Er fuhr empor und starrte Sepp mit erschrockenen Augen an. In diesem Momente war keine Spur des Rausches mehr an ihm zu bemerken.

»Wa – wa – was sagten Sie?« stotterte er.

»Daß der Baron gefangen ist.«

»Ist das wa – wa – wahr?«

»Ja.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ich versichere es Ihnen.«

»Aber ich glaube es nicht!«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.«

»Und dennoch kann ich es nicht glauben, denn so ein gewandter, kluger, vorsichtiger und kühner Mensch läßt sich nicht erwischen.«

»So muß ich es Ihnen beweisen.«

»Ich bitte darum.«

»Können Sie lesen?«

»Gott der Gerechte, was für eine Frage! Wird Baruch Abraham doch können lesen!«

»Ich meine nur, ob der Wein Ihnen nicht noch in den Augen liegt.«

»Der Wein ist herb, weg, ganz weg! Das Wort, daß der Baron von Stubbenau soll sein gefangen, hat den Rausch besiegt.«

Das war auch wirklich so. Der Jude sah aus, als ob in seinem ganzen Leben kein Tropfen Wein über seine Lippen gekommen sei.

»So sehen Sie her, und lesen Sie.«

Sepp zog ein Blatt einer Wiener Zeitung aus der Tasche, gab es ihm und deutete auf die betreffende Stelle. Der Jude las und ließ dann das Blatt und die beiden Arme sinken.

Er starrte dem Sepp mit einem Blicke unendlichen Schreckes in das Gesicht.

»Nun, glauben Sie es?« fragte dieser.

»Ob ich es glaube? Fast doch nicht!«

»Es steht ja gedruckt, schwarz auf weiß!«

»Ja, ja, schwarz auf weiß. Das ist wahr. Aber oft ist grad das Schwarze auf dem Weißen die größte Lüge.«

»Pah! Sie sind unverständig!«

»Ich kann und kann und kann es nicht glauben. Es wäre zu schrecklich für mich.«

»Ah! Also gab er mir noch im letzten Augenblicke den Auftrag, nach Triest zu eilen, um Sie zu warnen.«

»That er das? Hat er es wirklich gethan?«

»Ja.«

»Der Gute, der Brave! Ja, er hat viel, sehr viel auf mich gehalten; aber er hat auch bei mir verdient ein schweres Geld.«

»Drum war er dankbar.«

»Also wegen Einbruch wurde er verhaftet?«

»Ja, wegen Einbruch.«

»Wird man ihn nicht geben müssen frei? Kann man ihm beweisen den Einbruch?«

»Er ist während desselben gesehen worden, und man hat auch den ganzen Raub bei ihm gefunden.«

»Gefunden! Den ganzen Raub! Gott meiner Väter! Wie kann passiren diese Dummheit so einem gewandten Einbrecher!«

»Er ist eben nach und nach zu sicher geworden.«

»Ja, er hat es fehlen lassen an der nöthigen Vorsichtigkeit. Was hatte er denn geraubt?«

»Eine große Summe baaren Geldes und dann den großen Diamantenschatz einer berühmten Sängerin.«

»Dia – Dia – Abraham, Isaak und Jacob! Diamanten sind es gewesen, Dia – Dia – –!«

Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, rannte einige Male zwischen seinem Gerümpel auf und ab, blieb dann vor Sepp stehen und jammerte:

»Diamanten! Den ganzen Schatz?«

»Den ganzen!«

»Einer berühmten Sängerin! O weih, weih! Was werden da zusammen gewesen sein für Brillanten, Rubinen, Smaragden!«

»Fast für eine Million!« log der Sepp mit dem ernsthaftesten Gesichte.

»Eine Million! Herr Zebaoth! Und wissen Sie, wer bekommen hätte diesen Schatz?«

»Nun, wer?«

»Ich!«

»Ja, richtig.«

Sepp sagte das, obgleich er keine Ahnung hatte, wie weit die geschäftliche Verbindung zwischen dem Einbrecher und dem Juden gehe.

»Ja, ich, Baruch Abraham! Ich habe ihm stets abgekauft alle Brillanten, ich, ich!«

»Das weiß ich.«

»Von wem?«

»Er selbst hat es mir gesagt.«

»Welch eine Unvorsichtigkeit!«

»Das war kein Mangel an Vorsicht. Er wußte, daß er es mir anvertrauen konnte.«

»War er denn Ihr Freund?«

»Mein bester.«

»Haben Sie sich betheiligt an, an, an – – Sie wissen wohl, was ich will sagen?«

»Ich verstehe Sie und will Ihnen aufrichtig sagen, daß ich mich betheiligt habe.«

»Direct beim Einbruch? Ein alter Offizier?«

»Nicht direct. Und was meinen Sie mit dem Offizier? Ich kann von meiner Pension nicht leben und nicht sterben. Aber ich bewege mich in feinen Kreisen. Ich sehe, wo die Leute ihre Reichthümer aufbewahren. Verstehen Sie?«

»Ja, ja. Sie haben gemacht den stillen Kundschafter für den Baron von Stubbenau.«

»So ist es.«

»Daraus erkenne ich, daß ich kann haben Vertrauen zu Ihnen.«

»Das können Sie. Deshalb sendet er mich. Er scheint Ursache zu haben, zu glauben, daß man erfährt, daß Sie sein Hehler sind.«

Der Jude machte vor Schreck einen Luftsprung.

»Donnerwetter, das soll man nicht!« schrie er.

»Ist wohl nicht zu verhüten!«

»Warum? Wieso? Hat der Baron denn etwa verrathen meinen Namen?«

»Nein. Aber man hat seine Papiere confiscirt, in welcher Ihr Name zu finden ist.«

»O weih, o weih! Muß er denn schreiben meinen Namen auf solche Papiere!«

»Und außerdem ist er gegen seine Tänzerin zu vertrauensvoll gewesen.«

»Auch das wissen Sie? Auch die kennen Sie? Sie wissen, wie sie heißt?«

»Valeska.«

»Ja, Sie wissen es!«

»Natürlich! Ich bin fast täglich mit ihm bei ihr gewesen. Sie brach mit ein.«

»Auch das haben Sie erfahren? Ja, ja, Sie sind Einer von den Unserigen. Ich kann haben Vertrauen zu Ihnen.«

»Natürlich! Leider nun ist diese Valeska auch mit arretirt worden.«

»Auch mit! Davon steht ja nichts da im Blatte!«

»Man verschweigt es mit Absicht, damit die Complicen nicht gewarnt werden.«

»Alle Teufel! Das ist schlimm!«

»Freilich. Man hat bei der Valeska außerordentlich viel Gravirendes gefunden, und es steht zu erwarten, daß sie ein ganz umfassendes Geständniß ablegt.«

Dem Juden stand der Schweiß auf der Stirn. Fast schien es, als ob die Zähne ihm zusammen klapperten. Fast wimmernd rief er:

»O Unglück, o Elend! Was soll daraus werden! Was soll ich beginnen!«

»Das ist Ihre Sache.«

»Ja, meine Sache! Ich kann mir schießen sogleich eine Kugel in den Kopf!«

»Das lassen Sie bleiben!«

»Bleiben lassen? Soll ich warten, bis man nimmt meinen Hals, legt darum rund herum einen Strick und hängt diesen Strick an einen Galgen?«

»Ja, so lange würde ich an Ihrer Stelle freilich nicht warten. Das ist wahr.«

»So muß ich also nehmen Pulver und es stecken in eine Pistole und ein Zündhütchen auf den Hahn und mich erschießen in der Blüthe meiner Jahre!«

»Jedenfalls steht es doch nicht so schlimm.«

»O doch, doch, doch! Wenn der Baron ist gewesen vertraut mit Ihnen, wird er haben gesagt Ihnen Alles von unseren Geschäften.«

»Das hat er allerdings. Ich weiß, daß er Ihnen die Mädchen zusandte – – –«

»Viele, viele! Ich habe sie ihm abgenommen und bezahlt ein schweres Geld für sie.«

»Jawohl, zwanzig Gulden für die Person.«

»Auch das wissen Sie!«

»Alles weiß ich. Auch daß er Ihnen alle die geraubten Kostbarkeiten verkauft hat.«

»Auch dafür hab ich ihm gegeben ein unzähliges Geld. Hätte ich nur wenigstens immer wieder verkauft diese Sachen!«

Der Sepp mußte mit allen Winden laviren. Er wußte gar nichts und durfte es sich doch nicht merken lassen. Er mußte vielmehr so thun, als ob ihm Alles, Alles bekannt sei. Darum nickte er auch jetzt:

»Leider! Sie haben das Alles noch.«

»Was? Sie wissen das?«

»Natürlich. Sie hatten den Gedanken, Ihre ganzen Ersparnisse in den Kostbarkeiten anzulegen.«

»Das ist wahr; das ist richtig. Kann man anlegen sein Geld besser als in einem Diamanten, für den man hat gegeben fünfzig Gulden, während er doch ist werth ein ganzes Tausend?«

»Ich würde ganz so gehandelt haben wie Sie! Jetzt aber droht Ihnen eine außerordentliche Gefahr.«

»Wie denn? Welche?«

»Man wird Ihnen die Kostbarkeiten abnehmen.«

»Mir? Das wäre entsetzlich!«

»Aber es ist beinahe unausbleiblich!«

»Nein, nein. Das lasse ich nicht geschehen!«

»Was wollen Sie dagegen thun?«

»Man würde nichts finden.«

»Wirklich nicht? Weiß Niemand, wo Sie diese Sachen alle versteckt haben?«

»Nur ich weiß es und meine Frau.«

»Weiter Niemand?«

»Nein.«

Dieses Nein aber kam in einem so unsicheren Tone heraus, daß Sepp annahm, es müsse noch irgend Jemand um das Versteck wissen. Wer aber mochte das sein? Vielleicht der Baron von Stubbenau? Er war der Lieferant und konnte also in das Vertrauen gezogen sein.

»War der Baron von Stubbenau nicht öfters bei Ihnen?« fragte darum der Alte.

»Sehr oft. Er hat mir ja diese Sachen stets persönlich gebracht.«

»Der wird doch Ihr Versteck nicht verrathen!«

Der Jude machte ein sehr bestürztes Gesicht, daß Sepp vermuthete, er habe das Richtige getroffen.

»Der Baron? Wieso der?«

»Er kennt es doch.«

»Gott Abrahams! Woher denn?«

»Sie selbst haben es ihm gezeigt.«

»Ich? Wer sagt das?«

»Er.«

»Und wem hat er es gesagt?«

»Mir und seiner Tänzerin.«

Der Jude that abermals vor Angst einen Luftsprung und schrie:

»Solch eine Dummheit! Welch eine Schlechtigkeit! Meine schönsten Geheimnisse auszuplaudern!«

»Sie sehen, daß man selbst seinen besten Freunden nicht mehr trauen darf.«

»Hat er es Ihnen wirklich gesagt?«

»Mir und der Valeska.«

»Und es Ihnen auch beschrieben?«

»Mir nicht, aber ihr.«

»Ihr, ihr! Dieser Tänzerin hat er Alles mitgetheilt. Alles! Welch ein schlechter Kerl!«

»Sie sehen also, wie nahe Ihnen der Verrath steht. Jeden Augenblick kann die Polizei kommen und Ihnen die Kostbarkeiten abnehmen.«

»Gott, Gott! Was ist zu thun? Was ist zu thun?«

Er rannte wie besessen hin und her.

»Werd ich müssen mir suchen ein ander Versteck!« rief er endlich aus.

»Haben Sie denn ein anderes?«

»Nein. Weiß ich doch gar nicht, wo ich sicher verbergen kann die Sachen.«

»Ich will Ihnen einen guten Rath geben.«

»Welchen denn?«

»Verkaufen Sie die Sachen.«

»Verkaufen? Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nur würde verkaufen für guten Preis und gegen baares Geld.«

»Natürlich!«

»Und da find ich nicht einen Käufer. Wer hat so viel baares Geld, daß er kann bezahlen die so großen Kostbarkeiten!«

Aus diesen Worten war zu schließen, daß der nach und nach zusammengehäufte Raub ein ganz bedeutender sein müsse.

»Vielleicht findet sich doch ein solcher Mann.«

»So schnell nicht. Ich müßte ja verkaufen sofort, sofort! Und es giebt ja in ganz Triest keinen passenden Käufer.«

»Muß es denn ein Triester sein?«

»Weil es kein Fremder sein kann. Ehe ein solcher kommen könnte, hätte man mir Alles genommen.«

»Wenn nun so ein Fremder bereits hier wäre?«

»Wo denn?«

»Im Hotel.«

Da stellte sich der Jude breit vor Sepp hin und sagte:

»Herr Sie haben einen Gedanken, eine Absicht!«

»Allerdings.«

»Welche denn?«

»Ich habe einen guten Käufer mitgebracht.«

»Sie? Einen Käufer? Ists möglich?«

»Es ist sogar wirklich.«

»Wie sind Sie gekommen auf diese Idee?«

»Weil der Baron von Stubbenau mir von den Kostbarkeiten erzählte und ich nachher als ganz sicher annahm, daß Sie verrathen würden, glaubte ich, Sie würden mir eine kleine Provision zahlen, wenn ich Ihnen dieses Vermögen rette.«

»Provision! O weih! Wer wird zahlen heut zu Tage noch eine Provision.«

»Also nicht?«

»Nein.«

»Gut! So lassen Sie sich die Sachen von der Polizei confisciren!«

Er wendete sich ab. Der Jude aber ergriff ihn am Arme und fragte voller Angst:

»Sie hätten wirklich einen Käufer?«

»Ja.«

»Wo logirt er?«

»Das werden Sie später erfahren.«

»Wie heißt er?«

»Auch das sage ich Ihnen dann?«

»Ich muß es aber doch wissen!«

»Jetzt noch nicht.«

»O doch!«

»Nein. Ich durchschaue Sie. Sie wollen mit ihm verhandeln ohne mich, damit Sie keine Provision zu zahlen brauchen.«

»Gott der Gerechte! Was denken Sie!«

»Ich denke das Richtige. Aber ich will nicht umsonst nach Triest gereist sein.«

»Was ist denn der Mann?«

»Juwelier.«

»Und reich?«

»Er hat so viel baares Geld bei sich, daß er Sie zehnmal auskaufen kann.«

»Da müßte er haben Millionen.«

»Sein Credit ist ungeheuer.«

»Und ist er sicher? Kann ich gewiß sein, daß er mich nicht wird verrathen.«

»Er ist die Verschwiegenheit selbst und hat schon oft ähnliche Geschäfte gemacht.«

»So sagen Sie, wie hoch ist die Provision, welche Sie wollen haben von mir?«

»Wieviel geben Sie?«

»Werd ich geben ein Zehntel Procent.«

»Sie sind verrückt!«

»Ists nicht genug?«

»Nein.«

»Gott meiner Väter! Wollen Sie mir setzen die Daumschrauben an meine alten Finger!«

»Sie haben selbst gesagt, daß Sie fünfzig Gulden zahlen für einen Stein, welcher tausend kostet. Das sind zweitausend Procent Verdienst für Sie. Und mir bieten Sie ein lumpiges Zehntel? Schämen Sie sich!«

»So sagen Sie selbst, was Sie wollen haben!«

»Ich könnte fünf oder gar zehn Procent fordern, aber ich thue es nicht. Ich begnüge mich an einem bescheidenen Antheil – ein Prozent.«

»Ein ganzes Procent!« schrie der Jude.

»Ja.«

»Sind Sie bei Sinnen?«

»Schweigen Sie! Sie sind ja ein ganz jammervoller Kerl! Sind Sie denn gar so dumm?«

»Dumm? Wie soll ich sein dumm?«

»Sagen Sie sich denn nicht, daß Sie mir gar keine Provision zu geben brauchen?«

»Wer wird sie geben als nur ich?«

»Der Käufer. Sie schlagen sie zum Preise.«

»Ich weiß wohl, daß man das macht. Aber der Käufer wird auch nicht mehr geben, als wie er ohne Provision geben würde.«

»Da lassen Sie mir mich sorgen!«

»Sie wollen stehen auf meiner Seite?«

»Ja.«

»Gut! In diesem Falle werde ich geben das ganze Procent. Schlagen Sie ein.«

»Hier ist meine Hand.«

Sie schüttelten einander die Hände und dann fragte Baruch Abraham:

»Wann werden Sie mir bringen den Mann?«

»Wann Sie wollen.«

»So bringen Sie ihn – ja, wann paßt es denn?«

»Je schneller, desto besser. Vielleicht kann er noch heute Nacht kommen?«

»Nein. Nicht in der Nacht, aber gleich wenn es Morgen geworden ist.«

»Soll geschehen.«

»Schön, so ist die Sache also abgemacht?«

»Nein, noch nicht.«

»Noch nicht? Wieso?«

»Ich weiß doch noch gar nicht, ob ich ihm Ihre Diamanten empfehlen kann.«

»Das können Sie.«

»So sagt ein jeder Verkäufer.«

»Aber es ist wahr.«

»Möglich! Aber wenn ich wirklich für Sie eintreten soll, muß ich Gewißheit haben.«

»Mein Wort ist genug!«

»O nein.«

»Sie trauen mir nicht?«

»Ich traue Ihnen. Aber habe ich mich nicht auch Ihnen gegenüber legitimiren müssen?«

»Das war etwas Anderes.«

»Gar nichts Anderes. Noch weiß ich gar nicht gewiß, ob Sie auch Diamanten besitzen.«

»Ich sage es ja!«

»Das gilt nichts.«

»Der Baron hat es Ihnen erzählt!«

»Auch das gilt nichts. Sie können sie indessen verkauft haben. Und wenn Sie wirklich welche haben, so weiß Gott, welch Zeug es ist.«

»Es sind prachtvolle Steine.«

»Sehen müßte ich sie.«

»Sehen?« rief der Jude erschrocken.

»Natürlich!«

»Das geht nicht an.«

»Warum nicht?«

»Weil – weil – ich kann sie nicht zeigen.«

»Sie müssen sie doch dem Käufer zeigen!«

»Das ist etwas ganz Anderes!«

»Nein. Ich soll den Unterhändler machen; also muß ich auch sehen, was ich empfehle.«

»Nein. Sie können nicht verlangen, daß ich Ihnen meine großen Schätze zeige!«

»Nun gut! So sehen wir von dem ganzen Geschäft lieber ab. Gute Nacht!«

Er griff wieder zu seinem Hute.

»Halt! Nehmen Sie Verstand an!«

»Den habe ich bereits. Wollen Sie?«

»Es ist unmöglich.«

»So verkaufen Sie Ihre Sachen an die Polizei! Da brauchen Sie keinen Unterhändler.«

Er schritt nach der Thür.

»Gott der Gerechte! So warten Sie doch!«

»Wozu?«

»Sind Sie ein schlimmer Mensch! Ich kann Ihnen doch nicht zeigen mein Versteck!«

»Das will ich ja gar nicht sehen.«

»Und doch!«

»Nein, nicht das Versteck, sondern die Diamanten.«

»Das Eine können Sie doch nicht sehen ohne das Andere.«

»Warum nicht? Nehmen Sie sie heraus!«

»Sie stehen doch dabei.«

»So thun Sie mich einstweilen fort!«

Das leuchtete dem Juden ein.

»Hm!« brummte er. »Wenn ich nur wirklich wüßte, ob der Mann wird kaufen!«

»Wenn Sie preiswerthe Sachen haben, kauft er ganz gewiß.«

»Hm! Hm! Und Sie werden nie Etwas verrathen?«

»Im ganzen Leben nicht.«

»Gut, so werde ich Ihnen zeigen die Sachen.«

»Endlich! So bereitwillig konnten Sie gleich erst sein; dann hätten wir nicht so viel Zeit eingebüßt.«

»Wir haben auch jetzt noch Zeit. Aber wie mache ich diese Sache? Hm, hm! Fürchten Sie sich?«

»Vor wem denn?«

»Des Nachts, wenn wir im Finstern sind?«

»Fällt mir nicht ein!«

»So werden Sie haben die Güte, einstweilen zu gehen hinaus in den Hof.«

»Sehr gern.«

»Ich werde Ihnen geben einen Stuhl, damit Sie können sich bequem setzen.«

»Sehr freundlich!«

»Sie werden aber sich verhalten sehr ruhig!«

»Ja. Ich werde weder singen noch pfeifen.«

»So kommen Sie!«

Er nahm denselbigen Schlüssel vom Nagel, den der Sepp vorher hingehängt hatte, und öffnete die Thür. Dann warf er eine Menge altes Zeug von einem Stuhle herab, trug denselben hinaus in den Hof und sagte:

»Hier können Sie sitzen, bis ich Sie werd lassen wieder herein zu mir.«

Der Sepp setzte sich willig nieder. Der Jude kehrte in die Niederlage zurück und schloß die Thür hinter sich zu, um ja nicht von ihm überrascht werden zu können.

Im Nu war der Alte beim Laden. Er bemerkte eine Stelle, durch welche das Licht fiel. Es war ein Astloch.

»Sakkerment!« brummte er vergnügt. »Da kann ich das ganze Loch überblicken. Wie dumm so ein Jud doch ist! Nun mag er sein Versteck aufmachen!«

Er konnte wirklich durch das Loch den ganzen Raum übersehen. Er paßte also auf.

Baruch Abraham ergriff eine alte Holzstellage, welche voller verkäuflicher Kleider hing und dicht an der Wand stand, und schob sie fort. Hinter ihr kam die nackte Mauer zum Vorscheine.

»Sollte dort eine Thür sein?« fragte sich Sepp.

Aber es war keine Spur von einer solchen zu sehen. Das Einzige, was man erblickte, war ein großer, eiserner Haken, zum Aufhängen von Gegenständen in die Wand geschlagen, wie es schien.

Aber er hatte doch einen andern Zweck, wie sich sogleich zeigte. Der Jude ergriff den gebogenen Haken und drehte. Sofort öffnete sich die Mauer. Es kam eine Thür zum Vorscheine.

Dieselbe bestand jenenfalls aus Holz und war so mit Lehm und Kalk bestrichen, daß man sie von ihrer Umgebung gar nicht unterscheiden konnte.

Nun brachte der Jude aus dem hinter dieser Thür befindlichen Raume allerhand Gegenstände zum Vorschein – Kisten, Schachteln und ähnliche Behältnisse, welche er in die Mitte des Gewölbes stellte. Dann machte er die Thür wieder zu und schob die Kleiderstellage an ihren Ort zurück.

»Jetzund wird er mich holen,« dachte Sepp.

Aber er irrte sich abermals. Der Jude setzte sich auf den bereits erwähnten Papierballen und blieb da eine ganze Weile ruhig sitzen.

»Ah, jetzt weiß ich schon, warum!« brummte Sepp. »Ich soll denken, er hat die Sachen weit her geholt. Ich soll nicht auf den Gedanken kommen, daß sie so nah gewest sind. Na, meinswegen!«

Er kehrte auf seinen Stuhl zurück und wartete. Erst nach einiger Zeit öffnete der Jude die Thür.

»Kommen Sie herein!« sagte er.

»Es hat sehr lange gedauert.«

»Ich mußte die Sachen erst vom Boden herabholen.«

»Das hab ich mir gedacht.«

»Nun sollen Sie Alles sehen.«

Er öffnete die sämmtlichen Behältnisse, und der erstaunte Alte erblickte nun einen wahren Reichthum von goldenen und silbernen Gefäßen und kostbaren Schmucksachen. Er war wie geblendet.

»Nun?« fragte der Jude, dessen Augen glühten wie die Diamanten vor ihm.

»Herrlich!«

»Nicht wahr? Können Sie das empfehlen?«

»Versteht sich, versteht sich!«

»Und Sie sind gestellt zufrieden?«

»Vollständig. Wie viele Diebe haben das zusammengestohlen?«

»Nur einer.«

»Der Baron?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Daß er gar so ein Hauptkerl sei, habe ich doch nicht gedacht.«

»O, er ist Millionen werth. Warum soll ich mich da noch mit Andern abgeben!«

»Freilich. Je mehr Diebe, desto gefährlicher ist es für den Hehler.«

»Da haben Sie Recht. Darum hab ich stets nur auf den Baron gehalten.«

»Wollen Sie nur die Geschmeidestücke verkaufen oder Alles?«

»Alles natürlich.«

»Für wieviel?«

»Taxiren Sie?«

»Fünfzigtausend Gulden.«

Da lachte der Jude laut auf, zog ein Armband aus einem Etui, ließ die Diamanten im Lichte der Lampe spielen und sagte:

»So viel ist dies allein werth.«

»Ja, für den Kenner!«

»Der Herr wird wohl Kenner sein!«

»Gewiß. Aber dem Hehler zahlt man nicht so viel.«

»Das weiß ich. Man pflegt ihm den dritten Theil des Werthes zu geben.«

»Also siebzehntausend?«

»Ja.«

»Und wieviel haben Sie gegeben!«

»Zehntausend.«

»Lügner!«

»Bei Gott!« betheuerte der Jude.

»Zehntausend. Lächerlich! Wenn Sie fünfhundert Gulden gegeben haben, ist es viel.«

»Glauben Sie es oder nicht, das ist egal. Was ich gegeben habe, das kommt nicht in Betracht. Hier handelt es sich nur darum, was ich verlange.«

»Nun gut, so will ich nach der Gesammtsumme nicht fragen. Das ist Sache des Käufers.«

»Gewiß. Bringen Sie ihn, und sagen Sie ihm aber, daß ich nur gegen bares Geld verkaufe.«

»Ganz recht.«

»So sind wir also fertig?«

»Mit dieser Angelegenheit, ja.«

»Giebt es noch eine andere?«

»Ja, wie ich Ihnen bereits sagte. Brauchen Sie wieder Mädchens?« »Ja. Wie viel haben Sie?«

»Gegen vierzig.«

»Ah! Wenn sie hier wären!«

»Sie können ja schnell kommen.«

»Sie kommen doch zu spät.«

»Warum?«

»Weil das Schiff fort ist.«

Sepp wußte gar wohl, daß dies eine Lüge war. Er ersah aus dieser Antwort, daß der Jude ihm doch nicht recht traute.

»Das ist schade!«

»Ja. Jetzt kann ich sie also nicht gebrauchen.«

»Aber Sie haben sie bestellt!«

»Das ist wahr, doch sind sie nicht gekommen. Hier kann ich sie nicht aufheben. Sie müssen in Wien bleiben.«

»Das geht nicht an.«

»Warum nicht?«

»Es ist zu gefährlich. Wo bewahrt man vierzig Mädchen auf, ohne daß die Wiener Polizei sie entdeckt?«

»So geben Sie sie frei.«

»Dann verrathen sie Alles und das schöne Geld ist verloren.«

»Das ist freilich wahr; aber ich kann Ihnen leider nicht helfen.«

»O, Sie könnten helfen.«

»Unmöglich!«

»Wenn Sie nur wollten!«

»Nein, beim besten Willen nicht.«

»Sie könnten sie hier eher unterbringen als wie in dem gefährlichen Wien.«

»Wo denn?«

»In der Höhle.«

»Donnerwetter! Was wissen Sie von der Höhle?«

»Der Baron sprach davon.«

»Hat er sie Ihnen beschrieben?«

»Nein.«

»Das könnte ich ihm auch nicht vergeben.«

»Oho! Halten Sie mich für einen Verräther?«

»Nein; aber es giebt Sachen, von welchen, man nur zu sich selbst spricht.«

»Ich sehe, daß wir nicht zusammenpassen.«

»O doch! Wir müssen uns nur erst länger kennen.«

»Hole Sie der Teufel! Haben Sie die Absicht, den Mädchenhandel fortzuführen?«

»Wenn ich jetzt gut davonkomme, ja.«

»Aber der Baron kann Ihnen keine mehr liefern.«

»Ich finde andere Lieferanten.«

»Zum Beispiel mich!«

»Schön!«

»Sind Sie bereit, zu mir in eine solche Beziehung zu treten?«

»Ganz gern.«

»So müssen Sie auch Vertrauen fassen!«

»Das werde ich.«

»Warum wollen Sie mir also verschweigen, wo die Höhle ist?«

»Bringen Sie mir erst eine Ladung junger Mädchens; dann sollen Sie sie sehen.«

»Diese Ladung steht ja bereit.«

»Jetzt brauche ich sie nicht.«

»Sakkerment! Haben Sie einen harten Kopf. Ich könnte mich darüber ärgern.«

»Das ist kein Grund zum Aerger.«

»Ganz gewiß ist's einer. Aber ich will mich beruhigen. Sind wirklich die zuletzt angekommenen Mädchens bereits auf der See?«

»Ja.«

»Schade, jammerschade!«

»Warum?«

»Weil ich eins dieser Mädchen gern zurückhaben wollte.«

»Es wird niemals Eine zurückgegeben.«

»Auch wenn sie gut bezahlt wird?«

»Ja, dann vielleicht.«

»Nun, ich hätte gut bezahlt.«

»So! Welche war es denn?«

»Ich weiß nicht, ob Sie sich der Namen besinnen können.«

»Ich kenne jeden Namen.«

»Ist Ihnen der Name Kellermann bekannt?«

»Ja.«

»Auch das Mädchen?«

»Sogar sehr genau. Ihr Vorname war Paula.«

»Das stimmt.«

»Sie war eine Müllerstochter?«

»Auch das ist richtig.«

»Was ist mit ihr?«

»Ihre Anverwandten trauern um sie.«

»Das geht mich nichts an.«

»Sie würden gern zweihundert Gulden zahlen.«

»Und wenn Sie Tausend bieten, so ist's vergeblich. Sie ist fort.«

»O weh! So war auch das umsonst. Aber ich will dennoch als Freund an Ihnen handeln und Sie warnen.«

»Vor wem?«

»Vor der Polizei.«

»Das thaten Sie schon.«

»Aber aus einem anderen Grunde.«

»So? Giebt's noch einen andern?«

»Gewiß. Es ist ein Maler hier, ein gewisser – gewisser – hm, Ventevaglio.«

»Donnerwetter!« rief der Jude.

»Kennen Sie ihn?«

»Nein.«

»Sie erschraken doch!«

»O gewiß nicht.«

»So täuschte ich mich. Dieser Maler hat Petro, seinen Lieblingsschüler mit.«

»Was gehen mich diese Kerls an! Ich kenne sie ja gar nicht.«

»Sie suchen ein Mädchen. Namens Anita.«

»Mögen Sie sie finden!«

»Sie wollen sie finden und zwar hier bei Ihnen.«

»Hole sie der Teufel!«

»Sie umschleichen Ihr Haus.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich erfuhr es.«

»Von wem denn?«

»Von ihnen. Ich traf sie in der Restauration.«

»Und haben mit Ihnen gesprochen?«

»Ja. Sie erzählten mir, daß diese Anita ihnen entflohen sei.«

»Was geht das mich an?«

»Sie sollen das Mädchen bei sich haben.«

»Das ist eine Lüge.«

»Hm! Man sagt es aber und darum wollten die beiden Maler morgen bei Ihnen aussuchen lassen.«

»Man mag kommen.«

»So ist diese Anita also auch schon auf der See?«

»Nein. Ich kenne sie gar nicht.«

»Sakkerment, ist Ihr Kopf hart! Man hat sie doch bei Ihnen im Hofe gesehen!«

»Das ist nicht wahr. Die Mauer ist hoch.«

»Aber das Schlüsselloch in der Pforte ist tief.«

»Gerechter Abraham! Kann man denn da hindurchblicken?«

»Natürlich!«

»Und wer hat hindurchgeschaut?«

»Die beiden Maler. Sie haben das Mädchen auf dem Söller stehen sehen.«

»Unmöglich!«

»Pah! Ich sage es Ihnen ja.«

»Sie haben sich geirrt!«

»Der Maler wird doch seine Nichte kennen!«

»Es ist aber doch nicht wahr!«

»O, sie wissen sogar, daß sie Prügel bekommt, weil sie Ihnen widerstrebt.« »Das ist eine gewaltige Lüge!«

»Gut für Sie, wenn es so ist. Das Mädchen soll da oben stecken, links vom Söllereingang.«

Der Jude begann zu husten.

»Ich sage Ihnen, Herr, daß dies ein Roman ist, den man sich hat ausgesonnen.«

»Das will ich wünschen um Ihretwillen. Halten Sie das Mädchen fest, wenn sie bei Ihnen ist. Man will sie haben. Und nun sind wir endlich fertig.«

»Gute Nacht, Herr!«

Sie gaben sich die Hand und dann ließ der Jude den Sepp hinaus auf die Gasse.

»Dich hab' ich halt fest, alter Spitzbub!« sagte der Sepp für sich hin, als er in das Seitengäßchen einbog. »Dir werd' ich die Diamanten abkaufen!«

An dem betreffenden Gartenzaune angekommen, ließ er ein halblautes »Pst!« hören und sogleich kamen die beiden jungen Freunde mit Anita herbei.

»Bist lange gewesen, sehr lange!« sagte Max.

»Hab' nicht dafür könnt. Es ist nicht möglich gewest, eher fertig zu werden. Wie steht's denn mit dem guten Dirndl? Hat's die Kleidern an'than?«

»Ja. Treten Sie näher, Fräulein! Hier ist unser lieber Freund, welcher uns bei Ihrer Befreiung unterstützt hat und Sie nun unter seinem Schutz halten will!«

Sie hielt dem Sepp ihre Hand entgegen und wollte in einen Dankeserguß ausbrechen. Der Alte aber fiel ihr, indem er ihr die Hand herzlich schüttelte, in die Rede:

»Seien's still, liebes Kind. Sie haben für gar nix zu danken. Wann's ein klein Wenig freundlich zu mir sind, so bin ich belohnt genug. Kennen's denn auch bereits meinen Namen?«

»Wir haben noch nicht von ihm gesprochen.«

»Das ist gut. Ich bin nämlich dera Hauptmann Josef von Brendel aus München in Bayern und Sie sind meine Enkeltöchtern, wann Jemand Sie fragen sollt.«

»Herr Hauptmann, Sie sind –«

»Pst! Nicht so! Sie haben nur Großvater zu mir zu sagen und wann's gar nobel sein wollen, so sagen's Großpapa, auch wann wir allein mit n'ander sind. Wollen's?«

»Wie gern!«

»Und auch Du mußt' mich nennen, nicht Sie. Wollen's doch gleich 'mal versuchen. Sag' mal, Anita, willst' mich alten Kerlen ein Bisle lieb haben?«

»Ich habe Dich schon jetzt lieb, Großpapa!«

»Herrlich! So hat dera alte Knaxer auf einmal gar eine lieb' gute Enkelin erhalten. Sollst's gut haben bei mir. Jetzt gieb mir Dein Patscherl! Ich werd Dich führen. Die Buben mögen hinterher kommen.«

Er ergriff ihre Hand und führte sie fort. Als sie eine größere Straße erreichten, in welcher Lampen brannten, überflog er ihre Gestalt mit prüfendem Blicke.

»Die Kleider passen gut,« sagte er befriedigt. »Jetzund werden's im Hotel keine Ahnung haben, daß meine Enkelin einem Juden ausgerissen ist. Aberst so dürfen wir nicht kommen, sondern wir müssen's vornehmer machen.«

Er schritt auf einen an der Ecke haltenden Fiaker zu und stieg ein, mit ihm natürlich die andern Drei.

Als sie dann am Hotel vorfuhren, waren die Fenster desselben erleuchtet. Der Portier kam herbeigesprungen, um beim Aussteigen behilflich zu sein.

Die vier Leute begaben sich nach Sepps Zimmer, an welches dasjenige Anita's stieß. An beide stießen Schlafkabinets. Er zeigte dem Mädchen die auf dem Tische noch eingepackt liegenden Kleidungs- und Wäschestücke und erklärte:

»Da hast' noch, wast' weiter brauchst. Wann ich jetzt wieder fort bin, kannst' Dich anziehen. Aberst' nun möcht' ich auch gern 'mal Dein Gesichtle sehen. Willst's Deinem Großvater zeigen?«

Sie nahm den Schleier ab. Er sah ihr schönes, vor Verlegenheit erglühendes Gesicht und sagte:

»Sapperment, hab' ich eine hübsche Enkelin! Da kann ich. sein stolz sein. Na, grüß Dich Gott, lieb's Dirndl. Wollen gute Freundschaft halten. Nicht wahr?«

»Ja,« hauchte sie, indem er sie leise an sich zog und sie auf die Stirn küßte.

Sie fühlte, daß sie den alten Mann schon jetzt so lieb habe, als ob er wirklich ihr Verwandter sei.

Da er vom Fortgehen gesprochen hatte, fragte Max:

»Du sagst, daß't nicht dableiben willst. Ist's wahr?«

»Ja. Und Du sollst mit.«

»Wohin?«

»Auf eine Entdeckungsreise. Ich werd's Dir unterwegs erzählen.«

»Also soll Anita allein hier sein?«

»Nein, Johannes bleibt bei ihr, bis wir wiederkommen. Ich denk', da wird ihnen die Zeit nicht lang werden. Wann Anita den Regenmantel ablegt und das Kleid an'zogen hat, mag er ein Nachtmahl für sich und sie herauf in's Zimmer bestellen. Um welche Zeit wir wiederkommen, daß weiß ich nicht, aber vor Morgens jedenfalls.«

»Und so lange soll ich hier warten?« fragte Hanns.

»Ja. Thust's etwan nicht gern?«

»Zu gern,« antwortete er, indem seine Augen glücklich aufleuchteten.

»Kann mir's denken. Aber weißt, was für ein Vertrauen es ist, daß ich Dich mit meinem Töchterle so allein laß', in dera Stuben und bei Nacht! Ich hoff', daßt ein braver Kavalier sein wirst!«

»Sepp!«

»Schon gut. Ich thät gern noch ein Wengerl dableiben, aberst es giebt keine Zeit dazu. Gehabt Euch also wohl!«

Er verabschiedete sich ebenso wie der ihn begleitende Max mit freundlichen Händedrücken von den beiden jungen Leuten. Unten im Flur trat er in die Loge des Portiers.

»Können Sie mir sofort eine Depesche besorgen?« fragte er.

»Augenblicklich, Herr Hauptmann.«

Der Portier legte ihm ein Formular vor und der Sepp füllte es aus. Es war an den Fex nach Wien, im Hause der Frau Salzmann, adressirt und lautete:

»Komm schleunigst mit dem Eilzuge 3 Uhr 30 Minuten nach Triest, Hotel Europa. Mußt unbedingt die Silbermartha mitbringen. Erwarte Euch ganz gewiß!

Hauptmann Josef von Brendel.«

Nachdem er diese Depesche zur schleunigen Besorgung übergeben hatte, entfernte er sich mit Max, welcher von dem Inhalte des Telegramms keine Ahnung hatte.

Droben aber standen Johannes und Anita einander gegenüber und blickten sich in die Augen.

»Jetzt nun erst können wir sagen, daß es gelungen ist,« meinte er. »Sie sind in Sicherheit, liebe Anita.«

»Ist das wahr?«

»Ja.«

»Aber Baruch Abraham wird nach mir forschen lassen. Wenn ich nun hier entdeckt werde.«

»Niemand wird Sie entdecken, und selbst wenn dies der Fall wäre, genügt der Schutz unseres alten Freundes vollständig.«

»Er ist ein lieber, guter Herr.«

»Ja, das ist er, ganz gewiß.«

»Aber es ist doch eigenthümlich, daß Sie ihn Sepp nennen und daß er so –«

»Lassen wir das jetzt,« fiel er ihr in die Rede. »Sie werden sich bald klar darüber werden. Jetzt ist die Hauptsache, daß Sie sich einkleiden. Sehen Sie sich die Sachen an!«

Er öffnete das Packet. Anita war ganz entzückt von dem Inhalte desselben.

»Aber das kostet doch viel, viel Geld!« sagte sie, die Händchen zusammenschlagend. »Wer hat das bezahlt?«

»Der Hauptmann.«

»Wie soll ich ihm das wieder erstatten?«

»Darüber sprechen wir später. Gehen Sie jetzt damit in Ihr Zimmer und legen sie das Notwendige an. Sie können nicht im Regenmantel da sein, wenn der Kellner zum Serviren kommt. Ich gehe, das Nachtmahl für uns zu bestellen.«

»Aber ich habe keinen Hunger!« lächelte sie.

»Ich auch nicht,« stimmte er lustig ein. »Aber der Hauptmann will es einmal so und da müssen wir ihm gehorchen. Er duldet keinen Ungehorsam.«

Er verließ das Zimmer. Als er es dann wieder betrat, war es leer; aber er hörte, daß Anita sich in dem ihrigen befand.

Nach einiger Zeit öffnete sie ihre Thür ein Wenig und fragte:

»Darf ich kommen?«

»Ja, bitte!«

Als sie nun langsam hereintrat, glich ihr Gesicht demjenigen eines glücklichen Kindes, welches zu Weihnachten der Gespielin die empfangenen Gaben zeigt. Sie hatte noch niemals eine gute Kleidung getragen und kam sich als ein ganz anderes, viel höheres Wesen vor.

Sie blickte Johannes verlegen in die Augen, um zu sehen, was für ein Urtheil er über sie fälle.

»Anita,« sagte er, die Hände zusammenschlagend. »Es ist ja eine förmliche und wirkliche Dame aus Ihnen geworden!«

»Ist's wahr?«

»Ja. Sie sehen vornehm aus, sehr vornehm und elegant.«

Sie machte einige kleine Schwenkungen vor dem Spiegel und sagte dann:

»Aber vornehm will ich nicht aussehen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht weiß, ob Ihnen das gefällt. Lieber möchte ich – möchte ich –«

Sie hielt erröthend inne.

»Was möchten Sie? Sagen Sie es.«

»Ich kann nicht.«

»O, ich weiß es. Sie möchten viel lieber hübsch sein als vornehm. Nicht?«

Sie nickte ihm mit strahlendem Gesichte zu.

»Nun, da haben Sie keine Sorge. Sie sind hübsch, außerordentlich hübsch.«

»Also gefalle ich Ihnen?«

»Und wie sehr!«

»Das ist die Hauptsache. Da bin ich befriedigt. Darf ich mich setzen?«

»Natürlich.«

»Wohin? Ich bin noch niemals in so einem feinen Zimmer gewesen.«

»Auf das Sopha natürlich. Der Dame gehört stets der allerbeste Platz.«

Es war nun wirklich nett, zu sehen, wie sie sich bemühte, sich beim Niedersetzen den Anstrich einer vornehmen Dame zu geben. Hanns bemerkte es mit heimlichem Entzücken. Dieses Mädchen besaß eine natürliche Anmuth und eine geistige Begabung, welche für die Zukunft die besten Aussichten ließ.

»So! Sitze ich recht?« fragte sie.

»Vortrefflich. Wenn der Kellner kommt, wird er meinen, Sie seien in einer feinen Pension erzogen worden.«

»Mein Gott! Meine Pension bestand in einem leeren Ziegenstalle, in welchem ich schlafen mußte, in trockenem Brode und in Schlägen, welche ich so oft bekam.«

»Arme Anita!«

»Ja, arm war ich, sehr arm.«

»Ihr Vater war todt und die Mutter lebte wohl auch nicht mehr?«

»Sie war bereits bei meiner Geburt gestorben. Mein Vater hatte kein Auge für mich. Er liebte nur die Kunst. Der Oheim sollte mich erziehen, aber diese Erziehung bestand nur in Grausamkeit und Schlägen. Und als Vater dann auch starb, wurde es noch viel trauriger.«

»War Ihr Vater sehr arm?«

»Er verdiente viel Geld, aber er lebte so, als ob er gar nichts besitze.«

»Und wo ist sein Geld hingekommen?«

»Der Oheim hat es genommen.«

»Er soll es wieder herausgeben.«

»Kann man ihn dazu zwingen?«

»Gewiß.«

»Er wird nicht viel mehr haben und was er noch davon besitzt, sollte Petro bekommen, wenn ich seine Frau würde.«

»Ein schöner Plan! Diesen Lieblingsschüler Petro sollten Sie lieben können? Unmöglich!«

»Lieblingsschüler?« fragte sie erstaunt. »Ist er Ihnen denn bekannt?«

»Ja, wir haben heut mit ihm gesprochen.«

»Heut? Etwa hier in Triest.«

»Ja. Die Beiden sind da, um Sie zu suchen.«

»Heilige Madonna! Welch ein Schreck!«

»Sie brauchen nicht zu erschrecken.«

»O doch! Wenn sie nun hierher kommen!«

»Das fällt ihnen gar nicht ein. In so ein feines Hotel getrauen sie sich gar nicht.«

»Aber wenn sie dennoch kämen!«

»So würde der Hauptmann ihnen schön heimleuchten. Darauf können Sie sich verlassen.«

»Es ist mir entsetzlich angst!«

»Beruhigen Sie sich! Es wird Ihnen kein Mensch ein Haar krümmen dürfen.«

»Verlassen Sie mich nicht, Johannes! Gehen Sie ja nicht fort von mir!«

»Ich bleibe bei Ihnen. Sie werden mit uns reisen und später bei meinen Eltern wohnen.«

»Wirklich, wirklich? Ists wahr?«

»Gewiß. Ich verspreche es Ihnen, und ich halte mein Wort.«

»Ihre Eltern wohnen in Deutschland?«

»Ja, in Bayern. Sie haben eine Mühle und sind gar liebe und brave Leute.«

»Das glaube ich so gern, so gern. Und Sie sind also ein Künstler?« »Ein Maler wie Ihr Vater.«

»Wie schön das ist! Und Ihr Freund?«

»Der ist gar ein Dichter. Sie sehen also, daß Sie sich bei passablen Leuten befinden. Es darf Ihnen um Ihre Zukunft gar nicht bange sein.«

»O, wenn ich nur nicht zu dem Juden oder zum Oheim zurück muß, so bin ich zufrieden. Und wenn ich gar mit Ihnen nach Deutschland darf, so ist mein Glück gar vollständig.«

»Vielleicht suche ich Ihren Oheim auf.«

»O nein! Thun Sie das nicht!«

»Warum nicht?«

»Er würde mich zurückverlangen.«

»Wir würden ihn auslachen. Er hat alle Ihre Papiere, deren Sie später bedürfen. Er muß sie herausgeben. Aber ich will Sie nicht beängstigen. Der Hauptmann soll bestimmen, was wir thun werden.«

Jetzt kam der Kellner, um zu decken. Anita verhielt sich schweigsam dabei. Sie war bemüht, keinen Fehler zu machen.

Da Hanns sich allein mit ihr befand, so fragte er in richtigem Taktgefühle:

»Wie lange ist des Nachts Ihr Thor geöffnet? Mein Onkel, der Hauptmann, wird wohl spät zurückkehren.«

»Wir haben die ganze Nacht hindurch offen, da immerfort Züge kommen.«

Jetzt mußte der Kellner denken, daß die Beiden nahe verwandt seien. Ihrem Beisammensein war also jede üble Deutung genommen.

Dann saßen sie einander gegenüber, um zu essen. Anita beobachtete jede Bewegung ihres Freundes, um es ihm gleich zu thun und ja keinen Verstoß zu begehen.

Und nach Tische, als abgeräumt worden war, gab es so sehr viel zu erzählen, daß ihnen die Zeit wie im Fluge entschwand.

Dabei war keineswegs die Rede von Liebe oder Aehnlichen. Diese zwei jungen Seelen waren so rein und unbefangen, daß sie gar nicht an die Ausdrücke ihrer Empfindungen dachten.

Daß sie sich lieb hatten, das wußten sie, das sahen sie. Die leuchtenden Augen verriethen es. Es zu sagen, das war unnöthig.

So verging die Zeit, ohne daß es ihnen einfiel, sich nach der Rückkehr des Sepp zu sehnen.

Dieser hatte mit Max die Richtung nach der Gegend eingeschlagen, in welcher der Jude wohnte.

»Wem hast denn eigentlich depeschirt?« fragte Max, um die Stille zu unterbrechen.

»Einer guten Freundin von Dir.«

»Wohl in dera Heimath?«

»Ja, in Hohenwald.«

»Wer könnt das sein?«

»Erräthst es nicht?«

»Nein.«

»So will ichs Dir sagen. Die Depesche geht zur alten Barbara beim Müllerhelm.«

»Was hast denn der zu telegraphiren?«

»Kannst Dich noch an den alten Esel erinnern, der in dera Mühlen war?«

»Ja; er hieß Peter.«

»Richtig! Da hab ich der Barbara telegraphirt, sie soll den Peter fragen, wie seine erste Frau geheißen hat.«

»Sepp, Dich frag ich nicht wieder!«

»Daran thust halt sehr klug. Man soll sich nicht um Dinge bekümmern, welche Einem nix angehen.«

»Ich hab denkt, es betrifft den Juden.«

»Da hast nicht schlecht gerathen. Erfahren wirsts morgen auch zeitig genug!«

»Und wo führst Du mich jetzt hin?«

»Auch zum Juden.«

»Was willst denn dort?«

»Das werd ich Dir schon sagen. Hast Dir den Kerl anschaut, zu dem sich dera Jud in der Weinstub setzen that?«

»Ja.«

»Wie gefällt er Dir?«

»Er sah aus wie ein Strolch.«

»Das ist er auch. Er ist dera Verbündete von Baruch Abraham.«

»Hab mir so was denkt.«

»Er kommt jetzt um zwei Uhr mit seinem Bruder, um die Dirndler abzuholen und nach dera Höhlen zu bringen, von welcher Anita zu Hanns geredet hat.«

Er erzählte nun das Gespräch, welches er belauscht hatte. Als er damit fertig war, erkundigte sich Max:

»Und da willst die Brüder Petruccio hier ablauern?«

»Ja.«

»Warum denn?«

»Weil ich wissen muß, wo die Höhlen liegt.«

»Das geht Dich doch gar nix an.«

»Oho!«

»Dich? Was hast denn für eine Interessen bei dieser Angelegenheit?«

»Eine sehr große. Auch wenn alle die Dirndln, welche nach Amerika verkauft werden sollen, mir fremd wären, so würde es doch meine Pflicht sein, sie zu retten und den Juden und seine Helfershelfer bestrafen zu lassen. Meinst nicht?«

»Ja. Zumal der Capitän ein Franzose ist. Dem muß man einen Strich durch die Rechnung machen.«

»Einen sehr dicken Strich sogar!«

»Aber wie es scheint hast auch noch einen besonderen Grund, Dich um die Sach zu kümmern?«

»Ja. Es ist natürlich ein Dirndl dabei, welches ich kennen thu.«

»Eine Deutsche?«

»Eine Bayerin sogar.«

»Wirklich? Kenn ich sie etwa auch?«

»Sehr gut, sehr gut.«

»Herrgottle! Wer ists denn?«

»Eine Verschollene aus Scheibenbad.«

»Etwa dem Fex seine Geliebte?«

»Ja.«

»Die Paula, die Paula!«

»Ganz diejenige ists!«

»Welch ein Zufall! Weißts denn gewiß?«

»Ich habs schon in Wien wußt, daß sie verkauft worden ist, aber wohin, das konnt ich nicht derfahren. Hier nun hört ich den Juden mit Petruccio von ihr reden.«

»So ist sie wohl mit auf dera Insel?«

»Freilich.«

»Mein Himmel! Und morgen sollen alle diese Mädchens auf das Schiff! So weit dürfen wir es nicht kommen lassen!«

»Nein. Darum muß ich unbedingt derfahren, wo sich die Insel befindet.«

»Jetzt verstehe ich Dich. Die beiden Italiener kommen jetzt zum Juden, um Anita und die Anderen abzuholen. Sie sollen dieselben nach dera Insel bringen. Wir schleichen ihnen nach.«

»Aber bis zur Insel können wir nicht mit!«

»So sehen wir wenigstens, wo sie in das Boot steigen und können uns denken, daß sie in dera Nähe liegt. Dann rudern wir am Morgen hin und untersuchen sie.«

»Richtig, richtig! Wenn dera Fex wüßt, in welcher Gefahr sich seine Paula befindet.«

»Er ahnt nix; aber er soll uns doch helfen, sie zu retten.«

»Er ist doch nicht da!«

»Aber er kommt.«

»Du hast doch sagt, er sei in Wien, und wir würden ihn dort treffen!«

»Hast meine Depesch vergessen?«

»Ah – die war an ihn?«

»Ja. Er wird sie grad noch zur richtigen Zeit erhalten, um mit dem Eilzuge abfahren zu können.«

»Der kommt um zehn Uhr hier an. Das ist herrlich! Ich hol ihn am Bahnhofe ab.«

»Das magst thun, wannst Zeit dazu hast.«

»Sollt ich keine haben?«

»Vielleicht hast wegen dera Insel mehr zu thun. Aber wannst ihn abholen kannst, so verschweig ihm nur, daß es sich um die Paula handelt. Er soll überrascht werden.«

»Schön! Ich werds also verschweigen.«

Er ahnte nicht, daß es auch ihm gegenüber in Beziehung auf die Depesche ein Geheimniß gab, daß diese ihm die verlorene Geliebte herbeiführen solle.

Jetzt waren sie in das enge Gäßchen gelangt, an welches die Hofmauer des Juden stieß.

»Wo aber uns verstecken?« fragte Max.

»Zunächst müssen wir schauen, ob bereits Jemand da ist.«

»Es ist noch nicht zwei Uhr.«

»Wenn auch. Sodann wissen wir nicht, von welcher Seit die Italiener kommen und nach welcher sie gehen. Und doch müssen wir das genau derfahren. Das ist schwer.«

»Da giebts halt nur Eins, was wir thun können.«

»Was denn?«

»Wir steigen auf die Mauer gegenüber.«

»Das wär schon sehr gut; aberst sie ist zu hoch.«

»O, da giebts ein Mittel. Weißt, als wir die Anita in den Garten brachten, da hab ich mich in demselbigen umgeschaut und bemerkt, daß eine Leiter an dem Baum lehnte. Die holen wir. Es ist ja gleich daneben.«

»Schön! Geh Du nach dem Garten, und ich werd schauen, ob die Luft rein ist.«

Sie trennten sich; aber schon bald kam Sepp und meldete, daß der Weg noch frei sei.

Das Gäßchen war sehr eng. Der Hofmauer des Juden, durch welche die Pforte mündete, lag eine zweite Mauer gegenüber, welche noch höher als die erstere war. Da hinauf wollten Sepp und Max steigen.

Sie schafften die Leiter herbei, lehnten sie an und stiegen hinauf. Dann zogen sie diese empor und ließen sie jenseits so nieder, daß sie selbige erlangen konnten. In dem Gäßchen durfte die Leiter natürlich nicht angelehnt bleiben, weil sie sonst bemerkt worden wäre.

Jetzt also befanden sie sich da oben. Sie saßen mit den Gesichtern einander zugekehrt.

»Du,« meinte der Sepp, »dieser Platz ist ausgezeichnet. Wann es nicht so finster wär, so könnt man den Hof des Juden ganz überschauen.«

»Vielleicht wird nachher eine Latern angebrannt.«

»Das war gut. Da könnten wir Alles genau beobachten.«

»Aberst auch wir können gesehen werden.«

»Wann Jemand da unten an der Pforte des Juden steht und gegen den Himmel schaut, so muß er uns trotz dera Dunkelheit bemerken.«

»Da hast Recht. Daran hab ich gar nicht denkt. Wir dürfen nicht sitzen, sondern wir müssen uns legen.«

»Lang ausgestreckt und mit den Köpfen gegen einander, damit wir reden können.«

»Ja, mach also!«

Sie streckten sich lang auf der Mauer aus und warteten nun still ab, was da kommen werde. Max ließ seine Uhr repetiren. Sie gab drei Viertel an.

Nach einer Weile stieß der Sepp seinen Kameraden an und flüsterte:

»Schau! Da kommt eine Latern!«

Die Thür, hinter welcher heut Anita gestanden hatte, als der Jude sie schlug, wurde geöffnet, und es erschien eine Gestalt im Hofe, welche eine Laterne trug.

»Kannsts sehen, wer es ist?« fragte Sepp.

»Nein. Aber ein Weibsbild ists. Das sieht man am Rock, dens anhat.«

»So ists die alte Sarah.«

Die beiden Lauscher sahen, daß die Jüdin die Söllertreppe emporstieg, auf dem Söller hinging und dann in dem Eingange verschwand, in welchen die beiden Kammern mündeten, deren eine Anita bewohnt hatte.

»Jetzt wirds die Dirndl holen wollen, da bemerkts nun, daß die Anita fort ist.«

Er hatte ganz richtig vermuthet, denn keine Minute später erschien die Jüdin wieder außen auf dem Söller, beugte sich über die Brüstung desselben herab und rief:

»Baruch! Baruch! Komm, komm schnell!«

Eine dumpfe Antwort erklang aus dem Innern des Hauses. Der Jude befand sich wohl in seinem Verkaufsgewölbe.

»Baruch, Baruch! Mach doch!«

»Gleich, gleich!« ertönte es.

Dann kam er unten aus der Thür.

»Was hast Du denn zu rufen, und zu lärmen, und aufwecken die Leute des Nachts?« fragte er.

»Soll ich nicht rufen und schreien, wenn Anita ist fort, fort über alle Berge!«

»Die war doch eingeschlossen und angebunden.«

»Die Stricke sind zerschnitten.«

»Gott der Gerechte! Ists wahr?«

»Komm herauf, Dich zu überzeugen!«

»Gleich, gleich. Ich werd mir erst anbrennen ein Licht, eine Laterne, ein Windlicht, eine ganze Fackel!«

Er fuhr in das Haus zurück und kam sehr bald mit einer zweiten Laterne zum Vorschein.

»Mach schnell!« rief Sarah von oben.

»Ich komme schon, ich komme!«

Er stürzte völlig die Treppe hinauf und über den Söller hin, um in Anita's Kammer zu verschwinden. Nach Kurzem kam er wieder heraus und eilte nach unten.

»Wo willst Du denn hin, Baruch? Bleib doch da!« rief seine Frau.

»Ich will sehen nach der Pforte.«

»Warum denn?«

»Ob sie ist offen, ob man hat sie aufgebrochen. Das Mädchen ist worden entführt.«

»Von wem denn?«

»Von ihrem Oheim und Geliebten.«

»Wie kannst Du sagen so Etwas?«

»Ich habs von dem Hauptmann gehört.«

Er eilte zur Pforte, um dieselbe zu untersuchen. Als er fand, daß sie unversehrt war, sagte er, erleichtert aufathmend:

»Dem Gott Abrahams sei Dank! Es ist noch verschlossen. Hier ist sie nicht hinaus.«

»Ist denn die Hausthür offen?« fragte seine Frau von oben herab.

»Nein, sie ist verschlossen und extra noch verriegelt. Da hinaus hat sie nicht gekonnt.«

»Und doch ist sie fort!«

»Sie wird stecken noch im Hause.«

»Wie aber hat sie gekonnt heraus aus ihrer Kammer, da sie war angebunden und die Thür verriegelt?«

»Weiß ichs? Haben ihr aufgemacht vielleicht die andern Mädels?«

»Nein, die hatte ich schon eher eingeschlossen als die Anita.«

»Und sind sie eingeschlossen noch jetzt?«

»Ja.«

»So ist gewesen ein fremder Mensch in meinem Hause und hat herausgelassen das Mädchen.«

»Wer soll das aber sein?«

»Der Onkel.«

»Und wie soll er gekommen sein herein?«

»Auf einer Leiter über die Mauer. Anders ist es nicht möglich.«

»Vielleicht sind sie noch da!«

»Dann wäre da auch noch die Leiter. Aber vielleicht hat er gehabt einen Nachschlüssel, einen Dietrich und hält sich noch versteckt mit ihr im Hause. Laß schnell heraus die andern Mädels! Sie mögen mit suchen, und ich will einstweilen anbrennen Lampen für sie!«

Er ging in das Innere zurück.

Dieser Wortwechsel war in höchster Eile und Erregung geschehen, nicht überlaut, so daß er im Innern der Nachbarhäuser zu hören gewesen wäre, aber doch so deutlich, daß Sepp und Max jedes Wort verstanden.

Diese beiden Letzteren sahen wenige Augenblicke später die betreffenden Mädchen zum Vorscheine kommen. Der Jude kehrte mit Lichtern zurück. Ausrufe des Staunens, der Verwunderung wurden laut. Man durchsuchte Alles, auch den Hof.

Die Lauscher sahen an den nach einander hell werdenden und sich wieder verdunkelnden Fenstern, daß alle Räume durchsucht wurden, selbst der Dachboden.

Da schlug es zwei Uhr, und die beiden Italiener kamen. Sie blieben an dem Hofpförtchen stehen und lauschten. Da sie hörten, daß Jemand, nämlich der Jude selbst war es, im Hofe sei, klopften sie. Baruch Abraham öffnete.

»Da kommt Ihr,« sagte er. »Es ist geschehen ein großes Unglück, welches mir bringen kann viel Herzeleid.«

»Was denn für ein Unglück?«

»Die Anita ist fort.«

»Entflohen?«

»Ja, entflohen, verschwunden, ohne mir zu lassen zurück eine Spur als ihre Stricke.«

»Wie ist das möglich?«

»Wer ist klug genug, um dies sagen zu können? Ich nicht, ich nicht.«

»Habt Ihr denn nicht nachgeforscht?«

»Wir haben durchsucht Alles, Alles, Alles!«

»Und nichts gefunden?«

»Nichts, gar nichts! Keine Ratte, keine Maus und keine Anita. Sie ist fort!«

»Hattet Ihr sie denn nicht gut verwahrt?«

»Und wie gut, wie gut!«

»Donnerwetter! Da kann sie doch nicht fort sein; da ists doch unmöglich!«

»Sie ist herausgeholt worden, mit einer Leiter. Nur so kann man es erklären.«

»Haben Sie denn Grund zu dieser Annahme?«

»Sehr guten Grund. Ich bin worden gewarnt. Ihr Oheim und ihr Schatz sind da. Sie haben gesagt, daß sie sie entführen wollen.«

»Wenn haben Sie das erfahren?«

»Vor Mitternacht.«

»Da war sie noch da?«

»Ja, denn ich bin gegangen hinauf zu ihr und hab sie liegen sehen in der Kammer.«

»Haben Sie wieder zugeriegelt?«

»Natürlich!«

»So sind Sie selbst schuld. Wenn Sie gewarnt worden waren, so mußten Sie bessere Maßregeln treffen.«

»Ich hab es nicht geglaubt.«

»Dummheit! Auch wenn man so Etwas nicht glaubt, muß es Einen vorsichtig machen.«

»Ja, ich bin gewesen zu nachlässig. Ich hätte sperren sollen das Mädchen in den Keller.«

»Und nun befinden Sie sich in großer Gefahr, und wir mit Ihnen. Wie nun, wenn das Mädchen Anzeige macht!«

»Gott meiner Väter! Sie wird doch nicht!«

»Sie wird! Das läßt sich denken.«

»Was ist da zu thun?«

»Alle Spuren verwischen, die Stricke und Ringe entfernen, den Strohsack fortschaffen und die ganze Kammer umändern.«

»Das werde ich thun, gleich, sofort!«

Er wollte fort; aber der eine Italiener sagte:

»Vorher aber müssen auch die andern Mädchens weg. Die Polizei kann jeden Augenblick kommen und uns erwischen. Schaff sie her!«

»Gut, gut! Sie haben sich nur noch zu waschen und anzuziehen.«

»Sind sie gutwillig?«

»Ja, sie werden mitgehen gern und freiwillig.«

»So hole sie!«

»Ihr müßt mit kommen herein, denn ich muß haben Eure Unterschrift, daß ich sie Euch habe übergeben.«

»So mach schnell! Wir müssen mit ihnen durch Carcola, und da stehen die Leute sehr zeitig auf, um Milch und Gebäck zur Stadt zu bringen.«

Sie traten in den Hof. Der Jude schloß die Thür zu und führte sie in das Haus.

»Hast Alles hört?« fragte der Sepp.

»Ja, nun werden sie bald kommen.«

»Weißt, die werden rasch laufen, und es ist finster. Bevor wir dann die Leiter wieder nach der Gassen zu angelegt haben und hinunterstiegen sind, werden sie verschwunden sein.«

»Das ist wahr. Wollen wir nicht lieber schon jetzt hinab?«

»Ich möcht gar wohl; aber wir wissen ja nicht die Richtung, welche sie einschlagen.«

»Ich weiß sie. Ich war gestern mit Hanns in Barkola. Es liegt eine Viertelstunde vor der Stadt nach Miramare zu. Sie werden sich also von hier aus nach rechts wenden.«

»Wannst das so genau weißt, so wollen wir halt abisteigen. Komm!«

Sie zogen die Leiter an der innern Seite der Mauer wieder empor, legten sie von außen an und stiegen hinab. Dann trugen sie dieselbe in den Garten zurück, wo sie sich hinter dem Zaune niederduckten, denn die Italiener mußten hier vorüber.

Es dauerte ungefähr zehn Minuten, so kamen sie mit den Mädchen, welche leise mit einander kicherten. Diese Geschöpfe machten sich nichts aus der Schande, welcher sie entgegengingen.

Als sie vorüber waren, krochen Sepp und Max zwischen den Zaunlatten, welche zerbrochen waren, hervor und folgten ihnen vorsichtig.

Trotzdem jetzt die Straßen menschenleer waren, schlugen die Italiener mit ihrer lebendigen Waare eine Richtung ein, in welcher sie gar keine Begegnung zu erwarten hatten.

Sie gingen hinter der Stadt weg nach der Straße, welche nach Gretta und Terstice führt, schnitten dann den Weg nach Prosecco ein, kletterten über den Eisenbahndamm und gelangten so auf die Straße, welche längs des Meeres über Barcola nach Miramare führt.

Barcola ist eigentlich ein kleiner, unbedeutender Vorort von Triest, meist von Schiffern, Fischern und Händlern bewohnt. Er lag jetzt noch still und finster da.

Die Italiener schritten durch den Ort und dann in derselben Richtung weiter fort.

Das berühmte Schloß Miramare, welches jetzt dem Kaiser von Oesterreich gehört, früher aber Eigenthum des unglücklichen Kaisers Max von Mexiko war, liegt ungefähr fünf Kilometer von Triest entfernt.

Auf der halben Strecke des Weges blieben die Italiener stehen. Auch Sepp und Max hielten an. Sie befanden sich ungefähr fünfzig Schritte von den Andern.

»Was werden sie thun?« fragte Max.

»Vielleicht habens hier das Boot am Ufer, mit dems nach der Insel fahren.«

»Das ist wahrscheinlich.«

»Sie reden mit nander. Wollen uns mal näher heranschleichen. Vielleichten bekommen wir was zu hören.«

Sie legten sich auf den Boden nieder und krochen so weit wie thunlich hinzu. Da sahen sie allerdings ein an das Ufer befestigtes Fahrzeug, in welchem bereits der eine Italiener stand, während der Andere sich anschickte, den Mädchen das Einsteigen zu erleichtern.

»Wie lang fahren wir denn?« fragte eins der Mädchen.

»Mit dem Segel heut nur zehn Minuten. Der Wind steht gut.«

»Und wie heißt die Insel? Baruch Abraham wollte es uns nicht sagen.«

»Daran hat er sehr wohl gethan. Nun Ihr aber bereits hier seid, könnt Ihr es in Gottes Namen erfahren. Das kleine Inselchen heißt Isola piccola. Das ist italienisch und heißt zu deutsch die kleine Insel.«

»Und dort ist die Höhle?«

»Ja.«

»Ist sie schaurig?«

»O nein. Uebrigens kommt Ihr ja bereits heut Abend auf das Schiff. Ahoi, stoß ab!«

Die Mädchens hatten sich gesetzt; das Boot stieß vom Lande, und das Segel wurde emporgenommen. In kurzer Zeit war das Fahrzeug im Dunkel der Nacht verschwunden.

»Das war gut,« sagte Sepp. »Jetzt wissen wir den Namen und auch die Lage. Wenn sie mit diesem Winde in zehn Minuten dort sein können, so muß diese Isola piccola in der Nähe von Miramare liegen.«

»Das vermuthe ich auch. Was thun wir jetzt?«

»Jetzt kehren wir heim.«

»Und was hast für Absichten mit der Insel?«

»Wir suchen sie am Vormittage auf.«

»Da gehe ich mit.«

»Natürlich! Wenn ich nur wißt, ob dera Jud seine Sach mit dem Seekapitain bereits fertig macht hat.«

»Warum möchtest das wissen?«

»Weil ich Baruch Abraham verarretiren lassen möcht. Thu ich aber das, und dera Kapitän kommt zu ihm und findet das Haus leer, so kann er leicht Argwohn hegen.«

»So setz Jemand hinein in das Haus.«

»Du, da hast Recht! So werd ichs auch machen. Und mit dera Anita weiß ich auch, was ich thu.«

»Was denn?«

»Du wirst ihren Oheim aufsuchen und ihm sagen, daß Du sie funden hast. Du bringst ihn zu mir, und da werd ich ein Wörtle mit ihm reden.«

»Wenn soll das geschehen?«

»Das ist früh gleich das Erste. Komm!«

Da zunächst nichts mehr zu besprechen war, gingen sie schweigsam mit einander der Stadt zu.

Im Hotel angekommen, fanden sie Hanns und Anita noch in einem sehr lebhaften Gespräch begriffen. Da sie noch nicht Abend gegessen hatten, bestellte Sepp, trotzdem es mitten in der Nacht war, für sich und Max ein kaltes Essen.

Nach demselben instruirte er die beiden Freunde, und dann schieden diese, um sich nach ihrer Locanda grande zu begeben, um wenigstens einige Stunden zu schlafen.

Um acht Uhr waren sie bereits wieder munter. Sie tranken Kaffee und begaben sich dann nach der armseligen Kneipe, in welcher der berühmte Maler Ventevaglio mit seinem Lieblingsschüler logirte. Sie fanden die Beiden eben zum Ausgehen bereit, um ihre Nachforschungen fortzusetzen.

»Ach, Signori, Ihr!« sagte der Maler. »Kommt Ihr zufällig hierher?«

»Nein,« antwortete Max. »Wir suchen Sie.«

»Wollen Sie ein Glas Wein mit mir trinken? Das wäre mir sehr angenehm.«

»Danke! Wir bringen Ihnen eine wichtige Botschaft.«

»Ach! Vielleicht wegen Anita?«

»Ja.«

»Haben Sie sie etwa entdeckt.«

»Ich weiß es nicht genau. Aber wir haben ein Mädchen gesehen, welches ganz zu Ihrer Beschreibung paßt.«

»Wo?«

»Im Hotel Europa.«

»Da ist sie nicht. Das ist zu nobel.«

»O bitte! Sie ist nicht allein dort, sondern mit einem Herrn.«

»Sakkerment! Als seine Geliebte?«

»Das weiß ich auch nicht, glaube es aber nicht. Er ist schon bei Jahren.«

»Und zu ihm soll ich gehen?«

»Das ist Ihre Sache.«

»Ja, wenn ich wüßte, ob sie es ist!«

»Nun, sie heißt Anita Ventevaglio und hat erzählt, daß sie ihren Verwandten davongelaufen sei, weil sie einen gewissen Petro nicht hat heirathen wollen!«

»Das stimmt.«

»Ihr Vater ist Maler gewesen, jetzt aber längst todt.«

»Auch das stimmt. Sie ist es!«

»Das habe ich auch gedacht.«

»Ich werde hingehen. Gehst Du mit, Petro?«

Der Lieblingsschüler nickte als Antwort. Er hatte auch gestern kein Wort gesprochen.

»Da müssen Sie aber bald aufbrechen,« meinte Max. »Der Mann will abreisen.«

»So gehen wir sofort, sofort!«

»Aber nehmen Sie alle Ihre Papiere mit, damit Sie sich legitimiren können!«

»Natürlich, natürlich! Meine Herren, wir sind Ihnen außerordentlich verbunden!«

»O bitte, bitte!«

»Wenn Ihnen einmal eine Nichte und Braut ausreißt, und wir können sie Ihnen verschaffen, so werden wir es gern thun!«

»Das bin ich überzeugt und empfehle mich Ihnen!«

Max und Hanns beeilten sich, nach dem Hotel zu kommen. Dort mußten sie sich zu Anita in deren Zimmer begeben, während Sepp allein in dem seinigen zurückblieb. Max hatte dem langen Maler natürlich den Namen des Alten genannt.

Bald meldete ein Kellner, daß zwei Herren den Herrn Hauptmann sprechen wollten.

»Wer sind Sie?« fragte Sepp.

»Sie wollten ihre Namen nicht nennen.«

»Und was sind sie?«

»Es scheinen Künstler zu sein.«

»Hm! Lassen Sie sie herein.«

Der Kellner ging und bald traten die beiden Maler ein.

Der Sepp erhob sich vom Stuhle. Wie er jetzt so hoch aufgerichtet da stand, war er eine strenge, ehrfurchtgebietende Erscheinung.

»Wer sind Sie?« fuhr er sie an.

Der Maler machte eine tiefe Verbeugung und antwortete ziemlich höflich:

»Mein Name ist Ventevaglio. Jedenfalls haben Sie denselben bereits gehört!«

»Nein.«

»Ich bin einer der berühmtesten Maler Italiens, und dieser Herr da ist Petro, mein Lieblingsschüler.«

»So! Was malen Sie denn?«

»Alles!«

»Jedenfalls auch Kaffee?«

Der Maler machte ein sehr stupides Gesicht. Sein Lieblingsschüler hatte zwar den Hut abgenommen, aber nicht gegrüßt. Den Hut unter dem Arme und die beiden Daumen im Knopfloche, stand er da, mit den anderen acht Fingern trommelnd. Der Sepp trat auf ihn zu und sagte:

»Sie heißen also Petro?«

Der Mensch nickte.

»Sind Sie der Lieblingsschüler Ihres Meisters?«

Abermaliges Nicken.

»Können Sie nicht reden?«

»O ja!«

Dabei aber machte er ein Gesicht, als ob er ein ganzes Faß saurer Gurken im Munde habe.

»Und können Sie grüßen?«

Ein abermaliges Nicken.

»Zum Donnerwetter! Reden Sie doch!«

»Ja,« brachte er hervor.

»Und grüßen Sie! Sofort, sonst schmeiße ich Sie hinaus!«

Der Lieblingsschüler machte eine Verneigung.

»Und nehmen Sie die Daumen aus dem Knopfloche heraus! Was ist das für eine Manier, Sie Dummkopf! Können Sie nicht eine höfliche Haltung annehmen!«

Das war so abgedonnert, daß der Mensch den Hut fallen und die Hände sinken ließ.

»So! Und wenn Sie wieder mit ihren ewigen und unzähligen Fingern anfangen Klavier zu spielen, so schlage ich den Tact dazu. Merken Sie sich das!«

Der berühmte Maler Italiens wagte es nicht, ein Wort zur Verteidigung seines Jüngers zu sagen. Zu ihm wendete sich Sepp jetzt zurück:

»So, nun weiß ich, wer Sie sind. Aber was wollen Sie denn bei mir?«

»Ich suche meine Nichte.«

»Ihre Nichte? Bei mir?«

»Ja.«

»Wie kommen Sie auf diese Idee?«

»Ich habe erfahren, daß sie da ist.«

»Ach so! Wer hat es Ihnen denn gesagt?«

»Zwei gute Freunde.«

»Wie soll denn Ihre Nichte zu mir gekommen sein?«

»Das wollte ich eben von Ihnen erfahren.«

»Ach so! Wenn ich nun sage, daß sie sich gar nicht bei mir befindet?«

»Das glauben wir nicht!«

»Haben Sie sich denn so genau erkundigt?«

»Der Kellner sagte zwar, die Dame, die sich bei Ihnen befindet, sei Ihre Enkelin, aber das müßten Sie uns erst beweisen.«

»Mensch, was fällt Ihnen ein! Ihnen habe ich gar nichts zu beweisen! Sie wären mir der Kerl dazu.«

Jetzt glaubte der Maler, auch ein Wort sagen zu müssen. Er nahm eine drohende Haltung an:

»Signor, bitte, vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben! Ich bin einer der hervorragendsten Künstler der Halbinsel!«

»Das machen Sie mir nicht weiß! Was für ein Kerl Sie sind, das sieht man da an Ihrem Lieblingsschüler. Das ist ja der reine einmarinirte Storchschnabel! Und Sie haben eine Gestalt und ein Gesicht, als hätte Ihre Frau Mutter Ihnen in den ersten Lebensjahren Quark in die Windeln gelegt. Und Sie nennen sich einen berühmten Maler und hervorragenden Künstler!«

»Der bin ich allerdings!«

»Halten Sie sich dafür! Meinetwegen! Aber ich bin überzeugt, daß Sie keinen Floh mit grüner Oelfarbe anlakiren können! Und Ihre Nichte suchen Sie bei mir? Was wollen Sie denn machen, wenn ich sie wirklich dahabe?«

»Sie muß mit.«

»Ach so! Warum ist sie denn fort?«

»Aus Liebe.«

»Aus Liebe? Wie meinen Sie das?«

»Sie wollte nicht lieben.«

»Sie wollte nicht lieben! Und das nennen Sie aus Liebe! Nun, ich will mich mit Ihnen nicht lange herumstreiten, denn es wird mir ganz schlimm zu Muthe, wenn ich in ihr Künstlergesicht blicke. Ich habe allerdings eine Dame bei mir, welche ich mit mir nehmen will. Wollen Sie sich dieselbe ansehen?«

»Ja.«

»So will ich Sie Ihnen zeigen.«

Er machte die Thüre zum Nebenzimmer auf. Auf seinen Wunsch kam Anita herein.

»Das ist sie!« rief der Maler.

»Ja –!« rief auch der Lieblingsschüler.

Es war dies das erste freiwillige Wort, welches er hören ließ.

Sepp hatte sich alle Mühe gegeben, Anita über diesen Besuch zu beruhigen; aber sie hatte dennoch Angst. Die Grausamkeiten, die sie hatte erdulden müssen, standen noch hell in ihrem Andenken.

Ihr Oheim trat auf sie zu und sagte in strengem Tone:

»Du bist uns entflohen. Du wirst sofort wieder mit uns gehen.«

Er streckte die Hand nach ihr aus. Sepp aber schob ihn kräftig zurück und sagte:

»Nur langsam! Diese Dame nennt sich allerdings Anita Ventevaglio. Sie geben sich denselben Familiennamen, aber ich weiß nicht, ob Sie das Recht dazu haben.«

»Warum sollte ich nicht?«

»Sie können ja den Namen nur angenommen haben. Es ist nicht der Ihrige!«

»Es ist der meinige!«

»Beweisen Sie es!«

»Anita kann es mir bezeugen!«

»Die will ich nicht dazu auffordern.«

»So habe ich meinen Paß.«

»Heraus damit!«

Der Maler brachte eine dick mit Papieren gefüllte Brieftasche hervor und zog seinen Paß aus derselben.

Sepp las ihn und sagte achselzuckend:

»Da steht allerdings Ihr Name, Ihr Wohnort und Ihr Signalement. Das genügt aber nicht.«

»Es muß genügen!«

»Wenn ich Ihnen sage, daß es mir nicht genügt, so haben Sie zu schweigen! Verstanden?

»Sie mögen derjenige sein, für den Sie sich ausgeben, ob Sie aber der Onkel der Dame sind, das steht nicht in dem Passe.«

»Anita wird es bestätigen!«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich sie nicht fragen werde. Wenn Sie keinen andern Beweis bringen können, so sieht es mit Ihrer Angelegenheit sehr lustig aus.«

»Nun, am Ende könnte ich es beweisen.«

»Womit?«

»Ich habe Anita's sämmtliche Papiere mit.«

»Welche?«

»Den Geburtsschein, das Taufzeugniß, den Firmbrief und auch noch andere.«

»Zeigen Sie!«

Er brachte die genannten Papiere hervor. Sepp las sie, behielt sie in der Hand und sagte:

»Diese Papiere reichen zwar aus zur Personalbeurkundung dieser Dame; eine Legitimation für Sie sind sie aber nicht.«

»So habe ich noch das Testament meines verstorbenen Bruders, der der Vater Anita's war.«

»Geben Sie her!«

Sepp erhielt auch dieses und las es durch. Seine Brauen zogen sich finster zusammen. Als er fertig war, fragte er:

»Und dieses Testament zeigen Sie vor, um zu beweisen, daß Sie der Vormund von Anita sind und die väterliche Gewalt über sie besitzen?«

»Ja.«

»Das ist sehr dumm von Ihnen.«

»Wieso?«

Er machte ein sehr betroffenes Gesicht. Grad die Präsentation des Testamentes hatte er für den entscheidendsten Schachzug gehalten.

»Weil Sie damit nur einen Beweis gegen sich selbst führen.«

»Da irren Sie sich!«

»Sagen Sie mir nicht noch einmal eine solche Grobheit, sonst lasse ich Sie hinauswerfen! Ich irre mich nie, und in Ihnen am Allerwenigsten!«

»Aber im Testamente steht es doch deutlich, daß ich der Vormund bin.«

»Allerdings.«

»Daß ich väterliche Gewalt besitze!«

»Auch das.«

»Und daß sie mir zu gehorchen hat!«

»So lange Sie die väterliche Gewalt nicht mißbrauchen, ja.«

»Habe ich sie etwa mißbraucht?«

»Allerdings.«

»Wieso denn?«

»Sie haben sie geschlagen.«

»Das Recht der Züchtigung habe ich.«

»Sie haben sie eingesperrt und hungern lassen.«

»Das ist auch Züchtigung.«

»Sie haben sie zwingen wollen, dort diese Krautscheuche zu heirathen.«

»Das kann ich.«

»Nein, das können Sie nicht! Verstanden?«

»Ein Vater und Vormund kann es!«

»Nein. Das werde ich Ihnen gerichtlich durch die Obervormundschaft beweisen lassen! Und wie steht es denn mit den anderen Sachen. Hier ist Alles aufgezählt, was Anita geerbt hat, zunächst achtzehn Gemälde.«

»Die sind nicht mehr da.«

»Wo sind sie denn?«

»Verkauft.«

»Wer hat Ihnen die Erlaubniß dazu gegeben?«

»Die habe ich als Vormund.«

»Hier steht nichts davon. Sie mußten die Obervormundschaft fragen. Ich werde derselben die betreffende Meldung machen lassen. Ferner hat Anita das Haus- und Gartengrundstück ihres Vaters geerbt.«

»Das ist da.«

»Wer bewohnt es?«

»Ich.«

»Wer hat seit jener Zeit die Nutznießung des Feldes und Gartens gehabt?«

»Ich natürlich.«

»Was haben Sie dafür bezahlt?«

»Ich werde doch nicht auch dafür zahlen!«

»Sie haben zu zahlen und Rechnung abzulegen. Ferner hat Anita ein baares Vermögen von acht Tausend Lire geerbt. Wer hat diese aufbewahrt?«

»Ich.«

»Wie viel Zinsen hat dieses Capital gebracht?«

»Zinsen?«

Er war ganz consternirt. So wie Sepp die Sache betrachtete, hatte er sie nicht betrachtet.

»Natürlich! Sie haben das Vermögen Ihrer Mündel nutzbringend anzulegen, also auf Zinsen.«

»Davon weiß ich kein Wort.«

»Also haben Sie es nur so aufgehoben?«

»Ja.«

»Und es ist noch vollständig da?«

»Nein.«

»Nicht? Donnerwetter! Wie viel ist denn eigentlich noch vorhanden?«

»Dreizehnhundert.«

»Können Sie das beweisen?«

»Ja.«

»Das ist ein Glück für Sie. Aber wie wollen Sie denn den Beweis führen?«

»Ich habe das Geld bei mir.«

»Ach so! Zählen Sie mal auf!«

Der Maler machte ein Gesicht, welches ganz unbeschreiblich war.

»Aufzählen?« fragte er.

»Ja.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Ich verlange es.«

»Mit welchem Rechte?«

»Mit diesem hier. Kennen Sie das?«

Er zeigte seine Polizeimünze hervor, die er bereit gehalten hatte.

»Teufel!« rief der Maler. »Sie sind ein Polizist? Ich dachte Hauptmann!«

»Nehmen Sie an, ich sei Polizeihauptmann!«

»Wer hätte das gedacht!«

»Wenn Sie meiner Aufforderung nicht Folge leisten, lasse ich Sie auf der Stelle arretiren! Also aufgezählt!«

»Bekomme ich es denn wieder?«

»Aufzählen!«

Der Mann trat an den Tisch und zählte die genannte Summe in Münzen und Papier auf. Es war sein einziges Geld, was er hatte. Aber der schlaue Sepp zeigte sich noch nicht zufrieden. Er durchschaute seine Leute und fragte:

»Hat Ihr Lieblingsschüler auch Reisegeld?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von mir!«

»Sie nahmen es auch von der Erbsumme?«

»Ja.«

»Er mag es vorzählen!«

Durch Androhung der Arretur brachte er es so weit, daß der Schüler auch noch gegen zweihundert Lire auf den Tisch legte.

»So,« sagte er. »Jetzt wissen wir, woran wir sind. Gehen Sie mal da vom Tische fort, und treten Sie an die Thür.«

Die Beiden gehorchten, und Sepp fuhr dann fort, indem er dem Maler seinen Paß gab:

»Hier haben Sie Ihre Legitimationen. Die anderen Papiere behalte ich.«

»Das geht nicht. Sie gehören mir!«

»Sie gehören Anita, deren Eigenthum Ihnen zwar anvertraut, keineswegs aber geschenkt worden ist. Da Sie sich als ein unehrlicher Verwalter erwiesen haben, wird man Sie absetzen und zur Verantwortung ziehen. Ich werde diese Angelegenheit dem Gerichte übergeben und Sie zur Anzeige bringen. Ich verklage Sie zur Zahlung von Zins und Zinseszins vom Kapitale und vom Grundstücke. Ich zeige Sie ferner an der Veruntreuung und Unterschlagung. Und ferner lasse ich Sie bestrafen wegen gewaltthätiger Behandlung Ihrer Mündel. Es wird Ihnen das Alles nicht sehr gut bekommen. Seien Sie froh, daß sie sich auf österreichischem und nicht auf italienischem Gebiete befinden. Ich würde Sie sofort arretiren lassen und Sie kämen in Jahren nicht wieder frei. Machen Sie, daß Sie fortkommen! Wenn Sie sich heut Mittag noch hier befinden, lasse ich Sie dennoch durch den Consul in das Gefängniß stecken!«

Der Maler stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt. Er starrte den Alten wie geistesabwesend an. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck der allerdümmsten Verblüffung.

»Aber – aber –« stotterte er, »das – das dürfen Sie ja gar nicht, das können Sie gar nicht!«

»So? Warum?«

»Was geht Sie denn die Anita an?«

»Jetzt mehr als Sie. Anita hat sich unter meinen Schutz begeben, ich habe ihr denselben versprochen und werde mein Wort halten.«

»Sie ist Ihnen aber fremd.«

»Jetzt nicht mehr. Und obgleich sie nicht meine Verwandte ist, werde ich doch besser für sie sorgen, als Sie es gethan haben.«

»Ich – ich protestire aber gegen das Alles.«

»Versuchen Sie es!«

»Ich verlange meine Nichte, mein Mündel! Die Papiere und das Geld!«

»Beides gehört Ihnen nicht.«

»Ihnen aber auch nicht.«

»Nein. Es gehört Anita, und da sie mich dazu beauftragt hat, werde ich es für sie in Verwahrung nehmen.«

»Ich protestire dagegen!«

»Bringen Sie mir nicht abermals diese alberne Rede! Sie können Ihren Protest nur beim Gerichte einlegen, und grad dieses haben Sie zu scheuen.«

Da warf sich der Maler in die Brust und antwortete:

»Was fällt Ihnen ein! Ich brauche mich vor dem Gericht nicht zu fürchten. Ich bin unschuldig.«

»Ach so! Nun gut! Wir werden gleich einmal sehen, ob Sie sich nicht fürchten. Ich werde dem Kellner klingeln und nach der Polizei schicken lassen!«

Er that als ob er nach dem Klingelzuge gehen wolle. Da aber trat ihm der Maler schnell in den Weg.

»Was hat die Polizei mit dieser Sache zu thun? Wir sprechen nur vom Gerichte.«

»Allerdings. Ich will Sie aber durch die Polizei dem Gerichte übergeben lassen.«

»Nein nein, ich gehe selbst hin.«

»Das machen Sie mir nicht weiß.«

»O doch! Geben Sie mir nur die Sachen heraus! Ich werde sie auf das Gericht tragen und dort deponiren. Es mag dann darüber entscheiden.«

»Das werde ich selbst viel besser besorgen als Sie. Glauben Sie denn, daß ich so dumm bin, Ihnen zu glauben? Das kann mir ja gar nicht einfallen!«

»Sie können mir vertrauen.«

Er legte die Hand aufs Herz und gab sich alle Mühe, ein möglichst aufrichtiges Gesicht zu machen.

»Schweigen Sie!« schnauzte der Sepp ihn an. »Jedes Wort von Ihnen ist eine Beleidigung. Ich habe gar keine Lust, meine Zeit noch länger mit Ihnen zu verlieren. Packen Sie sich fort!«

Der Lieblingsschüler zupfte seinen Meister von hinten am Aermel, daß er gehen solle. Es wurde ihm angst. Der Maler aber hatte keinen Pfennig Geld einstecken. Wie sollte er nach seiner Heimath zurück. Er hatte Hoffnung, daß er vielleicht doch noch durchkommen könne, wenn er recht barsch auftrete. Darum rief er jetzt mit erhobener Stimme:

»So dürfen Sie mir nicht kommen! Sie selbst sind es, der sich vor der Polizei zu fürchten hat. Sie wollen mich bestehlen!«

Da aber kam er an den Unrechten. Kaum hatte er das letzte Wort gesagt, so klatschte eine gewaltige Ohrfeige, die ihm der Sepp applicirte auf seiner Wange.

»Mensch, da hast Du die Antwort!« rief der Alte. »Willst Du mehr? Du kannst sie bekommen!«

Der Maler hielt sich das Gesicht mit der Hand. Es flimmerte ihm vor den Augen.

»Wa – wa – was!« stotterte er. »Da – da – das war ja ei – ei – eine Ohrfeige!«

»Ja, das war eine, nämlich die erste. Ich habe mehr solches Zeug in Vorrathe, wenn Du mir in dieser Weise kommst, Du Hallunke!«

»Wa – wa – was! Auch Du nennen Sie mich!«

»Soll ich etwa Einen, dem ich Ohrfeigen gebe, Seine Excellenz nennen? Mach Dich fort, Urian! Sonst klingle ich wirklich!«

Jetzt sah der große Künstler ein, daß er auf die letzte Weise keinen Erfolg haben werde. Der Muth entsank ihm. Er sagte in weinerlichem Tone:

»Ich kann doch nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich kein Geld habe.«

»Arbeite! Dann verdienst Du welches!«

»Ich muß doch heim!«

»So lauf schnell!«

»Aber ohne Geld?«

»Bettle Dich durch, Urian.«

»Ich? Einer der größten Maler Italiens?«

»Mensch, höre auf. Wenn Du ein Maler bist, so ist das Kameel der größte Tanzmeister. So ein Kerl wie Du bist, nimmt, wenn er betteln geht, seiner Ehre gar nichts weg.«

» Dio mio! Soll ich hungern!«

»Du hast Anita auch hungern lassen.«

»In dieser Gegend bekommen die Bettler nichts. Man jagt sie fort. Man prügelt sie!«

»Sehr gut. Du hast Anita auch geschlagen.«

»Da hatte sie es verdient.«

»Lüge, schändliche Lüge! Du aber hast es verdient, daß man Dich überall hinaushaut. Und grad weil Du selbst jetzt noch behauptest, daß sie es verdient habe, weil Du selbst jetzt Deine Schändlichkeit nicht bereust, bist Du doppelte Strafe werth. Ich wiederhole es. Wenn Du am Nachmittage Dich noch hier befindest, so lasse ich Dich arretiren.«

Der Schüler zupfte den Lehrer abermals heimlich.

»Laß mich!« sagte ihm dieser. »Wie wollen wir ohne Geld nach Hause kommen!«

Das erbarmte Anita. Sie trat zu Sepp, legte ihm die Hand auf den Arm und bat:

»Gieb ihm Etwas!«

»So?« antwortete der Alte zornig. »Also Du bittest auch noch für Deinen Peiniger?«

»Es thut mir leid.«

»Das ist Unsinn.«

»Er ist doch mein Oheim. Bedenke das!«

»Hm, ja. Dein Oheim ist er freilich. Die Bande des Blutes sind heilig, wenn sie auch von dem Kerl entweiht worden sind. Und daß Du für den Hallunken bittest, das ist ein Beweis, daß Du ein herzensbraves Mädchen bist. Das werde ich Dir nie vergessen.«

Und sich zu dem Maler wendend, fragte er:

»Hast Du gehört? Du hast sie turbirt aus alle mögliche Art und Weise. Sie aber hat Mitleid mit Dir. Thut Dir das nicht in der Seele weh?«

Der Gefragte antwortete nicht.

»Wie viel brauchst Du denn?«

Jetzt war er sehr schnell mit der Antwort da:

»Tausend Lire.«

»Du bist tausend Mal toll! Willst Du etwa wie ein Fürst oder Graf reisen?«

»Wir sind ja zu Zweien!«

»Der Andere geht uns nichts an.«

»Er ist ihr Bräutigam!«

»Halte das Maul. Der Kerl hätte das Geschick ein Bräutigam zu sein! Er macht ja ein Gesicht wie ein Frosch, der Schweizerpillen gefressen hat. Der hätte das Geschick dazu. Für diesen Menschen soll Anita, die Du schon bestohlen hast, auch noch mit bezahlen? Das kann uns nicht einfallen. Ich werde einmal nachschauen.«

Er nahm das Eisenbahnkursbuch zur Hand und begann zu rechnen. Dann sagte er:

»Ich will Dir das Herzeleid nicht anthun, Dich von Deinem Lieblingsaffen zu trennen; also soll auch für ihn mit bezahlt werden. Ihr Beide könnt ganz gut mit fünfzig Lire nach Hause kommen. Ich will aber nobel sein und Euch Hundert geben.«

»Hundert!« rief der Maler.

»Ja. Ist's zu viel? Nicht wahr?«

»Viel, viel zu wenig. Ihr habt uns ja beinahe fünfzehnhundert genommen.«

»Von nehmen ist keine Rede. Das Geld gehört Euch nicht. Entscheide Dich schnell! Ich frage nur dieses eine Mal, dann aber nicht wieder. Willst Du die Hundert? Wenn Du nicht sofort Ja sagst, erhaltet Ihr gar nichts.«

»Ja,« antworte der Maler schnell.

Da er aber dabei bereits die Hand ausstreckte und auf den Tisch zutrat, schlug ihn der Sepp auf dieselbe und sagte:

»So schnell geht das freilich nicht. Ganz umsonst kannst Du das Geld nicht erhalten.«

»Was soll ich denn dafür geben?«

»Deine Unterschrift.«

»Wozu?«

»Das Du auf die Vormundschaft verzichtest und überhaupt nichts dagegen hast, daß Anita mit mir nach Deutschland geht.«

»Daß thue ich nicht.«

»Nun gut, so hebe Dich von dannen.«

»Nein, nein, das kann ich nicht unterschreiben!«

»Das hast Du bereits gesagt und wir sind also fertig. Packe Dich, sonst klingle ich.«

Er griff nach dem Klingelzug. Da rief der Maler:

»Halt! Ich unterschreibe.«

»Gut. Kannst Du deutsch schreiben?«

»Ja. Wir wohnen doch an der Grenze.«

»Gut, so setze Dich. Ich werde Dir dictiren.«

Er gab ihm einen Bogen Papier nebst Tinte und Feder hin und dictirte:

»Ich bescheinige hiermit, daß ich meiner bisherigen Mündel Anita erlaube, mit ihrem gegenwärtigen Beschützer nach Deutschland zu reisen, und trete ihm alle meine vormundschaftlichen Rechte ab.«

Nachdem er sich unterzeichnet hatte, las der Sepp die Zeilen durch und sagte dann lachend:

»So ists gut. Hier hast Du das Geld.«

Er schob ihm hundert Lire hin.

Der Maler steckte sie ein, verbeugte sich mit Grandezza und meinte in stolzem Tone:

»Ich habe aus reiner Coulanz verzichtet und bin froh, daß ich mit dem Mädchen nichts mehr zu thun habe. Adio!«

»Adio! Lauf schnell, daß Du fortkommst, sonst helfe ich nach!«

Und weil der Lieblingsschüler wartete, um seinen Meister vorangehen zu lassen, erhielt er von Sepp einen Tritt, daß Beide mit unendlichem Schwung hinaus auf den Corridor flogen.

»So,« lachte der Alte, indem er die Thür zumachte. »Damit sind wir fertig. Hast noch Angst vor denen Beiden?«

»O nein,« antwortete Anita. »Ich dachte, es werde ganz anders kommen.«

»Wie sollte es kommen? Der Kerl wird wirklich noch angezeigt. Er ist ein Dieb.«

»Wollen wir das nicht lieber lassen?«

»Nein. Du hast achttausend Lire zu bekommen. Es fehlen sechs und ein halbes Tausend.«

»Ich schenke es ihm.«

»Kind, Du weißt nicht, was das Geld zu bedeuten hat. Du kannst nichts verschenken.«

»O, ich bin froh, daß ich frei bin!«

»Hm! Bist halt ein gutes, braves Ding! Nun, jetzund ist auch von einer Anzeig noch gar keine Red, und wer weiß, wie es später wird. Vor allen Dingen haben wir, was wir brauchen, nämlich Deine Papieren und auch noch ein hübsches Geldl dazu! Das ist vor der Hand genug. An das Spätere wollen wir noch nicht denken.«

Max und Hanns hatten im Nebenzimmer Alles gehört. Beide kamen jetzt herein und gaben Anita Recht, daß sie trotz der Schlechtigkeit ihres Oheims ihn doch nicht ohne Geld hatte fortgehen lassen.

»Sie ist viel zu gut für ihn gewest,« erklärte der Sepp. »Nun aberst möcht ich halt wissen, wie sie zu dem Juden kommen ist.«

»Durch einen Dienstvermittler,« antwortete sie.

»Bei dem hast eine Stelle haben wollen?«

»Ja. Ich ging, als ich hier ankam, sofort zu diesem Manne, und er brachte mich zu Baruch Abraham, der mich als Dienstmädchen miethete.«

»So! Also stehst bei ihm in Dienst?«

»So dachte ich. Aber ich durfte gar nicht antreten. Ich kam gegen Abend zu ihm und war hungrig und müde. Er gab mir zu essen und befahl mir dann, schlafen zu gehen. Als ich am andern Morgen erwachte, hatte er mir alle meine Kleider weggenommen und mir nur den einen Rock gelassen, damit ich nicht fort konnte.«

»Der Schuft!«

»Er that mich dann zu den andern Mädchens, welche mir sagten, daß ich es sehr gut haben und reich werden könne, wenn ich dem Juden folge.«

»Und worinnen sollt denn dieser Gehorsam eigentlich bestehen?«

»Ich sollt – sollt – –«

Sie stockte. Ihr Gesichtchen war wie mit Blut übergossen.

»Weiß nun schon!« nickte Sepp. »Brauchst es mir gar nicht zu sagen. Thätest Dich vielleicht fürchten, wannst jetzt mit Baruch Abraham reden müßtest?«

»Ohne Dich allerdings.«

»So zieh Dich an! Wir gehen aus.«

»Wohin?«

»Zur Polizei.«

»Mein Gott! Ists wahr?«

»Ja. Ich will den Juden anzeigen.«

»Thue es lieber nicht!«

»Ich muß es thun. Es handelt sich nicht nur um Dich, sondern auch noch um andere Personen und Dinge.«

»Gehen Max und Hanns auch mit?«

»Freilich, sie haben Dich gerettet und sind Zeugen, daß Baruch Abraham Dich geschlagen hat.«

»Es wäre viel besser, wenn ich nicht mitgehen müßte.«

»Sei klug, Anita! Vor dera Polizeien brauchst Dich gar nicht zu fürchten. Die meint es nur gut mit Dir.«

Sie weigerte sich noch ein kleines Weilchen; aber sie mußte sich doch in den Willen des Alten fügen. Nach kurzer Zeit brachen die Vier auf.

Was auf der Polizei verhandelt wurde, nahm eine ziemliche Zeit in Anspruch. Dabei verwunderte sich Max und Hanns, mit welchem Respect der Sepp behandelt wurde. Die Herren thaten ganz so, als ob sie einen Vorgesetzten vor sich hätten.

Sie traten zu einer Berathung in ein Nebenzimmer. Nur der Alte durfte sie begleiten. Als sie dann zurückkehrten, wurde den Dreien bedeutet, daß Sepp jetzt gehen werde, ihnen aber müsse man jetzt einige Instructionen ertheilen.

Nach kurzer Zeit kam ein sehr vornehm aussehender Herr herein, welcher den Alten bat, mit ihm zu kommen. Die Beiden entfernten sich.

Sie begaben sich zum Juden, welcher sie mit großer Höflichkeit empfing.

»Ich habe bereits gewartet,« sagte er. »Fast habe ich nicht geglaubt, daß wiederkommen werde der Herr Hauptmann.«

»Ich halte stets Wort,« erklärte der Alte.

»Und ist der andere Herr Derjenige – – –?«

Er ließ eine Fragepause eintreten.

»Ja, er ist Derjenige!«

»Welcher kaufen will Schmucksachen?«

»Ja,« erklärte der verkleidete Polizist. »Ich habe gehört, daß Sie sehr viele und sehr schöne Pretiosen besitzen.«

»O nein! Es sind nicht viele und auch nicht schöne!« meinte der Hehler in seiner vorsichtigen Weise.

»Dieser Herr hat es mir doch gesagt!«

»So hat der Herr Hauptmann gemacht einen kleinen Scherz. Ich bin ein armer Jud und kann nur kaufen, was kostet ein weniges Geld.«

»Machen Sie keine alberne Labberei!« sagte der Sepp. »Wir haben keine Zeit, uns erst eine lange Einleitung vormachen zu lassen.«

»Aber muß nicht sein eine Einleitung bei jedem Buch und bei jeder Sache?«

»Meinetwegen! Aber unsere Einleitung ist bereits gestern gemacht. Sie ist vorüber.«

»O nein! Da hat der Herr Hauptmann einen Begriff von Baruch Abraham, welcher ist sehr falsch. Wer da handelt mit alten Sachen, der muß sein sehr vorsichtig.«

»Andere Leute sind es ebenso. Sie wollen mir doch nicht etwa gar mißtrauen?«

»Wie könnt ich mißtrauen dem Herrn Hauptmann? Hat er mir doch bewiesen, daß er ist der Vertraute meiner Freunde, und hat mir auch gezeigt seinen Paß.«

»Nun also! Mach also keine Dummheiten!«

»Soll ich nicht vorher lernen kennen auch den andern Herrn?«

Er fixirte den Polizisten scharf. Es war klar, daß er diesem nicht traute.

»Dieser Herr ist der Herr Bankier Wendelmann aus Wien,« erklärte der Sepp. »Er besitzt zu gleicher Zeit ein Juwelengeschäft.«

Baruch Abraham ließ kein Auge von dem Polizisten. Er nahm eine alte Dose aus seiner Tasche, schnupfte langsam und bedächtig und sagte dann:

»Ist es mir doch, als ob ich hätte gesehen diesen Herrn schon hier in Triest!«

»Sehr möglich, denn ich bin nicht selten hier,« erklärte der Beamte.

»Aber es ist mir, als hätte der Herr da getragen ganz andere Kleider.«

»Schwerlich!«

»Eine Uniform.«

»Ich bin nicht Offizier.«

»Es war keine Militair- sondern eine Polizeiuniform mit großen Epauletten.«

»Sie irren sich!«

Der Jude spreizte die Arme aus, legte den Kopf auf die Seite und sagte:

»Ob ich mich irre oder ob ich mich nicht irre, das ist mir sehr gleichgiltig. Ich mach gern ein Geschäft mit Jedem, auch mit einem Herrn von der Polizei.«

Es war klar, daß er den Beamten erkannte. Dieser versuchte dennoch, ihn irre zu führen.

»Was reden Sie nur von der Polizei! Ich kann es Ihnen beweisen, daß ich Der bin, für den mich der Herr Hauptmann ausgegeben hat.«

»Wie wollen Sie führen den Beweis?«

»Durch meinen Paß.«

»Dieser ists ja, was ich hab sehen wollen.«

»So schauen Sie her!«

Er zog eine Brieftasche hervor, aus welcher er den Paß nahm, den er dem Juden in die Hand gab. Dieser betrachtete ihn genau, roch sogar daran und sagte dann:

»Dieser Paß ist ausgestellt worden bereits vor zwei Wochen?«

»Ja. Das Datum lehrt es ja.«

»Wie kommt es da, daß er gar so sehr riecht noch nach frischem Siegellack?«

»Das habe ich nicht bemerkt.«

»Weil Ihre Nase nicht ist so fein wie die Nase von Baruch Abraham. Er riecht es einem jeden Siegel an, ob es ist nur einen Tag alt oder nicht.«

»Dieses Mal hat sich Ihre Nase aber ganz gehörig getäuscht.«

»Sie kann vielleicht sich täuschen, nicht aber mich selbst. Dieses Siegel ist geworden gemacht vor noch nicht einer Stunde.«

»Aber, Mann, so sehen Sie doch auf die Unterschrift und auf das Datum!«

Der Jude machte ein unendlich pfiffiges Gesicht.

»Ich sehe das Datum,« lächelte er. »Ich weiß auch, wie ausschaut und riecht die Tinte, wenn sie ist frisch oder wenn sie ist alt. Dieser Paß ist geworden geschrieben auch vor höchstens einer Stunde.«

»Mann, ich begreife Sie nicht.«

»Aber Baruch Abraham begreift desto besser Sie. Wenn ein Polizist will fangen einen Menschen, so macht er sich einen falschen Paß.«

»Aber dieser Paß ist echt!«

»Weil die Polizei in Triest hat den Stempel und auch das Petschaft in der Stadt Wien. Wenn ich das Beides hätt und thät machen einen solchen Paß, so würde ich bestraft. Wenn aber ein Polizist ihn macht, so ist er kein Fälscher. Er darf es thun.«

Der Beamte verlor die Geduld. Er bezwang sich aber noch einmal und sagte ruhig:

»Wenn Sie mich, wie es scheint, für einen Polizisten halten, so bedaure ich allerdings sehr, Ihretwegen die weite Reise von Wien bis hierher gemacht zu haben.«

»So! Soll ich mich einmal erkundigen in Wien, ob es dort giebt einen Banquier Wendelmann?«

»Jawohl.«

»So werde ich es thun.«

»Aber bis die Antwort kommt, kann ich nicht in Triest warten; ich habe keine Zeit.«

»O, die Antwort wird sein gleich da.«

»Wollen Sie telegraphiren?«

»Nein.«

»Also schreiben?«

»Auch nicht, sondern lesen. Baruch Abraham braucht nämlich nicht lange Zeit, um zu kommen von Wien nach Triest, oder von Triest nach Wien, denn Wien liegt da auf dem Tisch.«

Er nahm ein großes Buch vom Tische. Es war das diesjährige Adreßbuch der Haupt- und Residenzstadt Wien. Er schlug es auf und suchte.

Der Polizist zuckte, indem er den Sepp anblickte, die Achsel, als ob er sagen wolle: Es hilft ihm doch nichts.

»Da haben wir es!« sagte Baruch Abraham nach einer Weile. »Es giebt in ganz Wien keinen Juwelier oder Banquier Wendelmann.«

»Im Adreßbuch noch nicht, das ist wahr.«

»Sie müßten drin stehen!«

»Nein, denn ich bin erst seit Februar in Wien.«

»Wo waren Sie vorher?«

»In Budapest.«

»So müssen Sie stehen dort im Buche.«

Der alte Gauner war nicht zu täuschen. Er besaß auch ein Adreßbuch von Budapest und schlug es auf. Auch dort fand er den Namen nicht. Er war überzeugt, daß der sogenannte Banquier ein Polizist sei, folglich mußte der alte Hauptmann auch einer sein. Sein Herz bebte vor Angst, aber er besaß die Kraft, sich so zu beherrschen, daß man nichts davon bemerkte.

»Wie gut, daß der alte Verräther das Versteck nicht kennt!« dachte er im Stillen.

Er ahnte nicht, daß er heute Nacht von ihm beobachtet worden war. Er hatte dann, nachdem der Sepp von ihm gegangen war, Alles wieder in das Versteck gebracht und den Kleiderständer wieder an die Wand geschoben. Jetzt klappte er das Buch wieder zu und sagte:

»Auch da steht kein Banquier dieses Namens. Meine Nase hat mich also wohl nicht getäuscht.«

Jetzt ließ der Polizist den Schleier fallen.

»Nein, sie hat Sie nicht getäuscht. Ich bin Criminalcommissar und befinde mich hier, um mir die Geschmeide und Metallsachen zeigen zu lassen, welche heute Nacht der Herr Hauptmann gesehen hat.«

»Dachte es mir! Aber daß der Herr Hauptmann gesehen hat solche Sachen, davon weiß ich nichts!«

»Verstellen Sie sich nicht.«

»Warum sollte ich mich verstellen? Braucht man sich zu verstellen, wenn man sagt die Wahrheit?«

»Von Wahrheit ist keine Rede. Sie haben eine ganze Menge Kostbarkeiten hergezeigt.«

»Und doch ists wahr, wenn ich sag, daß ich weiß kein Wort davon. Bin ich gewesen mit dem Herrn Hauptmann in der Weinstube und hab getrunken einen schweren Wein. Wird er mir geben das Zeugniß, daß ich bin gewesen so betrunken, daß er mich hat führen müssen nach Hause.«

»Das hat er freilich gesagt.«

»Wenn ich also bin gewesen betrunken, wie kann ich wissen, was ich ihm habe gezeigt.«

»Desto genauer weiß er es!«

»Er? Gott der Gerechte! Hat er nicht getrunken ganz denselben Wein wie ich?«

»Wahrscheinlich.«

»So wird er auch gewesen sein so betrunken wie ich und nicht wissen, was ich ihm habe gezeigt.«

»Er hat Sie nach Hause geführt; also ist er jedenfalls nicht so betrunken gewesen wie Sie.«

»Wir haben geführt Einer den Anderen. Er wird haben geglaubt im Rausche, zu sehen Diamanten, und wer weiß, was es ist gewesen.«

»Mit so ganz albernen Ausflüchten entkommen Sie uns nicht. Sie haben den Herrn Hauptmann doch nur zu dem Zwecke mit hierher genommen, um ihm diese Sachen zu zeigen.«

»Kein Wort weiß ich davon.«

»Sie haben ihm gestanden, daß es gestohlene Gegenstände sind!«

»Das hat er gedacht im Rausche.«

»Sie haben ihm sogar gesagt, wer sie gestohlen hat.«

»Ganz gewiß nicht!«

»Kennen Sie einen gewissen Baron von Stubbenau?«

»Nein.«

»Auch nicht eine Tänzerin Valeska in Wien?«

»Auch nicht?«

»Haben Sie nicht postlagernde Briefe unter dem Namen Gärtner hier abgeholt?«

»Davon weiß ich nichts.«

»Nun, auf dem Postamte wird es zu erfahren sein, wer sie abgeholt hat.«

Der Jude erschrak. Er wußte ja ganz genau, daß man dort seinen Namen nennen würde. Darum sagte er:

»Ist es verboten, Briefe postlagernd unter einer Chiffer oder irgend einem Namen zu empfangen?«

»O nein; aber gefährlich ist es, wenn diese Briefe von einem Verbrecher abgesandt worden sind. Sie kennen wohl Herrn Salek?«

»Auch dieser ist mir unbekannt. Warum fragt der Herr Commissar mich nur nach fremden Namen?«

»Weil ich geglaubt habe, daß sie Ihnen bekannt seien. Aber lassen wir die Namen. Ich möchte die Geschmeidesachen sehen.«

Der Jude wußte sehr wohl, daß es ihm jetzt an den Kragen gehen solle; aber er war längst auf so einen Fall vorbereitet. Darum legte er nachdenklich die Hand an das Kinn und meinte:

»Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich habe gezeigt dem Herrn Hauptmann. Ich bin gewesen consternirt von dem Weine. Wo sind denn gewesen diese Sachen?«

Er wendete sich mit dieser Frage direct an den alten Sepp, welcher achselzuckend antwortete:

»Das weiß ich leider nicht.«

»Sie wissen es nicht. Nun, so ist also die Sache auch nicht wahr. Vielleicht haben Sie es nur geträumt, nachdem Sie gekommen sind nach Hause.«

»O nein! Sie hatten sie versteckt.«

»Wo denn?«

»Das ließen Sie nicht sehen. Ich mußte hinausgehen und als ich wieder hereinkam, befanden sich die Sachen hier im Laden.«

»Gott Abrahams! Jetzt kommt mir der richtige Gedanke. Lagen sie etwa in Kisten?«

»Ja.«

»Woher hatte ich diese geholt?«

»Ich glaube, vom Boden herab.«

»O nein. Das habe ich nur gesagt, um Sie zu führen ein wenig irre. Jeder Handelsmann hat so seine Art und Weise. Das Versteck ist hier im Laden.«

»Wirklich?« fragte der Polizist verwundert.

»Jawohl.«

»Wollen Sie es uns zeigen?«

»Sehr gern.«

»Und befinden sich die Sachen noch drin?«

»Natürlich, denn ich habe sie doch sogleich wieder hinein gelegt, als der Herr Hauptmann ist gewesen fort.«

»So zeigen Sie.«

»Der Herr Commissar mag mir erst sagen, ob er die Sachen will sehen, um sie zu kaufen, oder ob er hier ist als Polizist, um auszusuchen!«

»Ich frage als Polizist.«

»So werde ich mich beeilen, zu zeigen mein Versteck.«

Der Polizist warf einen heimlichen, verwunderten Blick auf den Sepp. Sollte der Jude wirklich sein Versteck zeigen? Dann hatte er jedenfalls dafür gesorgt, daß sich die Werthsachen nicht mehr in demselben befanden.

Aber Baruch Abraham bewies sogleich, welch ein schlauer, raffinirter Hehler er war. Er hatte sich auf den Fall vorbereitet, daß einmal Einer, dem er die Gegenstände zeigte, ihn verrathen könne.

Er räumte allerlei altes Schuhwerk aus einet Ecke fort und da kam eine Fallthüre zum Vorschein, welche er öffnete.

»Hier können die Herren sehen mein Versteck!« sagte er in hörbar höhnischem Tone.

Dem Polizisten wurde das Herz leicht. Er durchschaute den Juden sofort. Als ob er ganz begierig darauf sei, sagte er:

»Schön! Nun schnell die Kisten heraus!«

»Da muß ich steigen hinab.«

Der Hehler stieg einige Stufen hinab und begann in dort befindlichem altem Zeuge zu kramen.

»Er wird Kisten bringen,« flüsterte der Polizist dem Sepp leise zu.

»Aber nichts darin.«

»O doch! Imitirte, werthlose Waaren. Er ist vollständig vorbereitet.«

»Wird ihm aber nichts helfen.«

»Gewiß nicht. Er hat keine Ahnung, daß wir das richtige Versteck bereits kennen.«

Jetzt hob der Jude einige Kisten und Kästen aus dem Loche und öffnete dieselben sehr bereitwillig.

»Jetzt mögen die Herren blicken herein, um zu sehen die Diamanten und Juwelen,« sagte er.

Seine Augen glänzten vor Vergnügen. Er war überzeugt, die Beiden ganz gewaltig auf den Leim springen zu sehen.

Er zog den Inhalt der Kisten hervor. Es waren zinnerne Gefäße und allerlei Theaterschmuckgegenstände von glänzendem Blech, mit Glassteinen besetzt.

»Dummes Zeug!« rief der Polizist, indem er that, als ob er ganz enttäuscht sei.

»Ja, dummes Zeug ist es!« nickte Baruch Abraham lachend. »Nur zehn Gulden werth!«

»Und das haben Sie dem Herrn Hauptmann gezeigt, als er sich hier befand?«

»Ja, das!«

»Er sprach doch von Gold- und Silbersachen!«

»Es ist gewesen Zinn und Kupferblech.«

»Sollte man es denken!«

»Habe ich es nicht gesagt vorher, daß der Herr Hauptmann ist gewesen auch so betrunken wie ich? Er hat das Zinn angesehen für Silber.«

»Und das Glas für Edelsteine?« lachte der Polizist. »Ei, ei, Herr Hauptmann! Ich habe geglaubt, hier einen kostbaren Fund zu machen, und nun finde ich solches Gerümpel!«

Sepp griff sich an die Stirn, kratzte sich hinter dem Ohre und sagte ganz verdrießlich:

»Das ist freilich eine verdammte Geschichte!«

»Ein großer Irrthum von Ihnen!«

»Ich muß mir doch einen gehörigen Kater angetrunken gehabt haben!«

»Ganz gewiß. Mein Besuch ist hier also vergebens. Ich muß Sie um Entschuldigung bitten, Herr Abraham. Sie sehen aber, daß ich es nicht zu verantworten habe.«

Der Jude holte tief Athem. Er glaubte, daß die Gefahr nun glücklich vorübergegangen sei, und antwortete darum im freundlichsten Tone:

»Ich habe nichts zu entschuldigen. Wenn die Herren von der Polizei thun ihre Pflicht, so ist es gut für alle ehrlichen Leute.«

»Ja, und Sie sind ehrlich. Das sehe ich jetzt. Wir wollen also gehen, Herr Hauptmann. Adieu!«

»Leben die Herren wohl!« rief der Jude entzückt. »Und wenn Sie wieder mal was brauchen, so werden Sie willkommen sein dem ehrlichen und gefälligen Baruch Abraham!«

Er machte eine Verbeugung über die andere und in seinem Tone klang ein solcher Spott, daß er schließlich selbst darüber erschrak und, um das wieder gut zu machen, den Beiden höflich bis zur Thüre nachfolgte.

Sie befanden sich bereits im Flur. Der Kommissar hatte schon den Drücker in der Hand, da drehte er sich noch einmal um, als ob er Etwas vergessen habe, und fragte:

»Ach, was mir da noch einfällt, Herr Abraham, haben Sie ein Dienstmädchen?«

»Nein, Herr Commissar.«

»Ich glaube aber doch gehört zu haben, daß Sie vor einigen Tagen ein Mädchen mietheten.«

»Das wird sein ein Irrthum.«

»Hm! Sonderbar! Der Dienstvermittler Helling soll sie Ihnen verschafft haben?«

»Das ist nicht wahr.«

»So, so! Entschuldigen Sie!«

Er that, als ob er nun wirklich gehen wolle. Er öffnete die Hausthür und trat halb auf die Straße hinaus. Das war das Zeichen für seine draußen postirten Leute. Er kam, wie unter einem neuen Gedanken, wieder herein, machte die Thür zu und sagte:

»Da fällt mir auch der Name ein. Anita Ventevaglio soll das Mädchen geheißen haben.«

»Ich kenne sie wirklich nicht.«

»Das wundert mich. Uebrigens – kommen Sie doch noch einmal herein in die Stube! Die Sache ist zwar ganz und gar nicht wichtig, aber sehr, sehr interessant.«

Er schob den Juden in die Stube zurück und auch der Sepp trat wieder ein.

»Sie haben wirklich kein Mädchen?« fragte der Polizist abermals, aber im freundlichsten Tone.

»Nein. Ich habe niemals gehabt ein Dienstmädchen, weil Sarah, meine Frau, ist ein fleißiges Weib und macht Alles allein.«

»Aber der Vermittler hat Ihnen doch in letzter Zeit mehrere besorgt.«

»Ach so! Hat er gesprochen davon?«

»Ja.«

»Nun, ich hab einen Geschäftsfreund auswärts, welcher mir hat gegeben den Auftrag, ihm zu versorgen ein gutes Mädchen.«

»Und das haben Sie gethan?«

»Ja.«

»Hat er Eine behalten?«

»Wie kann ich das wissen? Ich habe ihm geschickt die Mädchens. Ob er behalten hat Eine, das hat er mir nicht geschrieben.«

»Haben Sie ihm auch die Anita geschickt?«

»Jedenfalls, wenn sie gewesen ist hier bei mir. Den Namen habe ich mir nicht gemerkt.«

»Wann haben Sie ihm die Letzte geschickt?«

»Vor einer Woche.«

»Und dann später ist kein Mädchen wieder bei Ihnen gewesen?«

»Nein.«

»So hat man sich abermals in Ihnen geirrt.«

»Geirrt? Hat man gesagt Etwas von mir?«

»Ja, gewiß.«

»Darf ich es erfahren?«

»Eigentlich nicht. Es ist Amtsgeheimniß; aber da ich mich überzeugt habe, daß es nur eine leere Rederei war, so will ich es Ihnen sagen. Man hat nämlich behauptet, daß Sie mit Mädchens handeln.«

Der Jude machte die Geberde des Erschreckens.

»Gott der Gerechte! Wie kann man handeln mit Mädchens? Sind Menschen eine Waare?«

»Zuweilen, ja.«

»Das kann ich nicht verstehen.«

»Nun, man verkauft sie in böse Häuser.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Oder man verschachert sie nach Amerika. Man macht ihnen weiß, daß sie dort sofort reiche Männer bekommen, und verschweigt ihnen, wozu sie dort eigentlich dienen sollen.«

»Von so einem Geschäft habe ich keine Ahnung. Wie kann man bringen Mädchens nach Amerika?«

»Nun, zum Beispiel durch den Capitän Marmel.«

Das war ganz ohne alle Betonung, nur so wie nebenbei gesagt; aber der Jude wußte sogleich, daß die Beiden mit ihm spielten, wie die Katze mit der Maus. Der Name seines Capitäns war ihnen ja bereits bekannt! Dennoch sagte er kopfschüttelnd:

»Sollte man denken, was in der Welt Alles vor sich geht! Unsereiner weiß nichts.«

»Es scheint freilich so, als ob Sie nichts wüßten. Dieses Geschäft florirt gerade hier in Triest gewaltig. Da sind zum Beispiel zwei Fischer, welche sich sehr damit befassen.«

»Wer ist das, Herr Commissar?«

Sein Blick hing angstvoll an den Lippen des Polizisten, welcher der Wahrheit gemäß antwortete:

»Die Gebrüder Petruccio.«

»Die kenne ich nicht.«

»Auch diese nicht? Sie haben sehr Recht. Ich nenne Ihnen lauter unbekannte Namen. Aber Sie haben doch gestern in der Weinstube mit dem einen der Brüder gesprochen!«

»Ich?«

»Ja, der Herr Hauptmann hat es gesehen.«

»So habe ich ihn nicht gekannt.«

»Aber dann sind doch alle Beide bei Ihnen gewesen.«

»Das ist nicht wahr!«

»Also wieder ein Irrthum von –«

Er hielt inne, denn er wurde gestört. Die Thür ging auf und Max und Johannes traten ein. Sie kamen dem Juden höchst willkommen. Er eilte auf sie zu und rief:

»Da kommen die noblen Herren selbst. Hab ich doch geglaubt, daß Sie wollen abholen lassen Ihre Sachen.«

»Das werden wir auch,« antwortete Max. »Selbst forttragen werden wir die Einkäufe doch nicht. Aber wir wollten uns Ihre Bilder noch einmal ansehen. Es ist möglich, daß wir uns noch eins kaufen.«

»Schön, schön! Ich werde sie Ihnen gleich zeigen. Warten Sie nur einen Augenblick.«

Er glaubte, daß sich nun die Polizisten zurückziehen würden. Max blickte sich suchend um und sagte:

»Wissen Sie, Baruch Abraham, den Frauenkopf möchten wir noch einmal sehen, der hier an der Wand hing.«

»Ein Frauenkopf? Da war keiner da.«

Er sagte die Wahrheit. Max hatte nur den Kopf erwähnt, um Folgendes zu bringen:

»Keiner? Da irre ich mich freilich. Mein Freund ist ein Porträter und kauft gern Köpfe. Er sucht sich überhaupt – ah, Baruch Abraham, kann man hier Modells bekommen?«

»Lebendige?«

»Natürlich.«

»Das weiß ich nicht. Ich bin nicht Maler und Künstler und habe mich nie um solche Dinge bekümmert. Annonciren Sie doch einmal. Vielleicht meldet sich Jemand.«

»Möglich,« sagte Max. »Aber gewöhnlich passen Diejenigen Einem nicht, welche sich melden, während interessante Köpfe – da fällt mir ein, ich habe einen außerordentlich feinen und interessanten Frauenkopf gesehen. Wenn diese Dame mir sitzen wollte!«

»So müssen Sie sie fragen.«

»Das kann ich nur mit Ihrer Hilfe.«

»Mit der meinigen? O weih! Wenn der alte Baruch Abraham Ihnen soll verhelfen zu einer Dame, so werden Sie bekommen niemals eine.«

»In diesem Falle ist es doch anders. Ich kenne sie gar nicht; Sie aber kennen sie.«

»Sagen Sie mir den Namen.«

»Sie heißt Anita Ventevaglio.«

»Anita Ven – – ist es bereits doch das zweite Mal, daß dieser Name mir wird genannt, ohne daß er mir ist bekannt.«

»Was?« fragte Hanns im Tone des Erstaunens. »Er wäre ihnen unbekannt?«

»Ganz und gar.«

»Die Dame wohnt doch bei Ihnen.«

»Bei mir? Das ist nicht wahr.«

»Gewiß ist es wahr.«

»Wer sagt denn das?«

»Ich.«

»Sie? Wie können Sie sagen so Etwas?«

»Ich habe sie gesehen und mein Freund auch.«

»Wenn denn und wo denn?«

»Gestern Nachmittag, da vor der Thür.«

»Das müßt ich doch auch wissen.«

»Besinnen Sie sich. Sie wollte Wasser und statt dessen gaben Sie ihr die Peitsche.«

»Die Peitsche? Ach, das ist gewesen nur so ein kleiner Scherz, den man sich macht mit einer lieben Verwandten.«

»Anita ist mit Ihnen verwandt?«

»Anita nicht. In meiner ganzen Freundschaft giebt es keine Dame, welche trägt den Namen.«

»Aber Sie sagten doch soeben, daß Sie sich diesen Scherz mit einer Verwandten gemacht hätten!«

»So ist es auch. Die kleine Rahel ist die Tochter meines Mutterbruders.« »So ist das Mädchen eine gewisse Rahel gewesen?«

»Ja.«

»Ich denke, es war Anita?«

»O nein – nein!«

»Hm! Das klingt mir sehr unwahrscheinlich. Die Tochter Ihres – wie war das?«

»Meines Mutterbruders.«

»Wie alt sind Sie?«

»Zweiundsiebenzig.«

»Da könnte Ihre Mutter jetzt hundert sein und ihr Bruder ebenso. Und die Tochter dieses Bruders soll so jung sein wie gestern dieses Mädchen? Baruch Abraham, jetzt haben Sie eine große Dummheit begangen!«

Der Jude sah das auch ein, daher verbesserte er sich rasch und in dringlichem Tone:

»Die Enkelin ist sie, die Enkelin, nicht die Tochter!«

»Das könnte ich eher glauben, wenn es überhaupt geglaubt werden könnte.«

»Warum soll es nicht werden können geglaubt?«

»Weil es eine Lüge ist.«

»Herr! Wollen Sie schimpfen mich einen Lügner?«

»Ja.«

»So sagen Sie eine Beleidigung, welche Sie sicher jammervoll werden bereuen.«

»Das glaube ich nicht!«

»Sie werden es erfahren. Wenn Sie nicht sofort nehmen zurück diese Beleidigung, werde ich Ihnen senden meinen Sekundanten.«

Alle lachten. Da rief er zornig:

»Was giebt es da zu lachen, wenn Baruch Abraham redet im heiligsten Ernste.«

»Da sollen wir nicht lachen?« fragte Max. »Sie wollen meinen Freund fordern?«

»Ja, wenn er mich nicht bittet um Verzeihung.«

»So ein alter Mann einen so jugendlichen Menschen? Bedenken Sie doch nur!«

»Das ist mir egal! Wenn ich werde beleidigt, so bin ich ein wüthender oder brüllender Löwe!«

»Aber es liegt ja gar keine Beleidigung vor. Er hat Sie nur einen Lügner genannt!«

»Nun, ist das keine Kränkung meiner Ehre?«

»Nein, denn er hat die Wahrheit gesagt. Das Mädchen hieß Anita.«

»Das ist aber nicht wahr!«

»Es ist wahr. Wir wissen es aus einem ganz sichern Munde.«

»Welcher Mund ist das?«

»Der ihrige selbst.«

»Sie – sie selbst soll es gesagt haben?« fragte der Jude erschrocken. »Ja, Anita selbst.«

»Wenn denn?«

»Gestern. Wissen Sie, als mein Freund draußen im Hofe die Bilder ansah.«

»Da war ich doch bei ihm und müßte von dem Gespräche Etwas gehört haben.«

»Ich habe Sie mit Absicht herein zu mir gerufen, und zwar mehrere Male.«

Der Jude starrte den Sprecher entsetzt an.

»Er – er – hat mit – Anita geredet?« fragte er fast stammelnd.

»Ja.«

»Wa – wa – was denn?«

»Er hat sie retten sollen.«

»Gott – der – der Gerechte!«

Er ließ die Arme sinken und blickte ganz rathlos um sich.

»Nun, gestehen Sie es ein?«

Das Wort gestehen brachte ihn schnell wieder zu sich. Er fuhr empor und rief:

»Gestehen? Was soll ich gestehen?«

»Daß es Anita war.«

»Wie kann ich gestehen das? Ich weiß von keiner Anita Etwas, kein Wort!«

»Und doch war sie bei Ihnen?«

»So muß sie sich haben geschlichen herein ohne meinen Willen und Erlaubniß.«

»Ach so! Warum haben Sie sie denn aber eingesperrt?«

»Eingesperrt?« stieß er hervor.

»Ja, eingeriegelt!«

»Wer sagt das?«

»Und sogar mit Stricken angebunden!«

»Wo denn?«

»Oben in der Kammer da über uns.«

»Herr Zebaoth! Höre ich denn recht? Man sagt da Sachen, von denen ich kein Wort verstehe!«

»Lügen Sie nicht! Wir sind dann gekommen und haben sie geholt.«

»Sie – Sie – Sie sind das gewesen!«

»Ah, jetzt verplappern Sie sich!«

»Nein, nein! Ich weiß von nichts!«

»So! Es war ungefähr um Zwölf, als wir sie holten. Um Zwei kamen die beiden Petruccio, um die Mädchens überhaupt abzuholen. Da vermißten Sie Anita und haben sie mit Lichtern und Laternen im ganzen Hause gesucht. Und jetzt sagen Sie, daß Sie von Nichts wissen?«

Der Jude sank auf den bereits erwähnten Papierstoß nieder und vergrub das Gesicht in die beiden Hände.

Da trat der Kommissar zu ihm, legte ihm die Hand auf die Achsel und fragte:

»Abraham, wollen Sie noch leugnen?«

Bei dieser Berührung sprang der Gefragte schnell wieder auf und schrie:

»Ja, ich leugne, ich leugne!«

»Aber es nützt Ihnen nichts!«

»Es nützt, es nützt, es muß nützen. Man macht nur Lügen, um mich zu verderben!«

»Lügen? Schauen Sie sich Die da an!«

Er öffnete die Thür. Anita trat ein. Da taumelte Baruch Abraham zurück.

»Das – das ist sie!« stotterte er.

»Ja, das ist sie. Wollen Sie auch jetzt noch behaupten, daß Sie keine Anita kennen?«

Da schlug der Verbrecher mit den langen Armen durch die Luft, als ob er böse Geister abzuwehren habe, und zeterte:

»Ja, das behaupte ich, das sage ich! Wer anders spricht, ist ein Lügner!«

»So sind die Anwesenden lauter Lügner, und nur Sie allein reden die Wahrheit?«

»Ja, ja, und dreimal ja!«

»Hm! Das würde doch sehr sonderbar sein. Ich bin vom Gegentheile überzeugt. Sie haben keinen einzigen der Namen gekannt, die ich Ihnen genannt habe, und doch stellt es sich heraus, daß Sie diese Personen alle kennen.«

»Nein. Wer das sagt, dem geht es wie dem Herrn Hauptmann da, der auch das Zinn für Silber, das Kupfer für Gold gehalten hat!«

»Sie wählen da einen sehr unglücklichen Vergleich. Der Herr Hauptmann hat sich nicht geirrt.«

»Sie haben es doch vorhin selbst gesehen?«

»Und Sie denken wirklich, daß Sie uns getäuscht haben? Da irren Sie sich in uns.«

»Hab ich Sie etwa täuschen wollen?«

»Natürlich!«

»Ist mir nicht eingefallen!«

»Nun, ich werde es Ihnen beweisen, daß Sie uns hinter das Licht führen wollten. Bitte, Herr Hauptmann!«

Auf diese Worte hin trat der Sepp zu der Kleiderstellage und zog sie von der Wand weg.

»Was ist das? Was wollen Sie da?« fragte der Jude, indem er auf ihn zusprang.

»Die Schmucksachen holen.«

»Die find doch nicht da, sondern dort!«

»O, ich weiß schon, wo sie sind.«

Der Sepp griff nach dem Eisenhaken und drehte. Die Wand öffnete sich. Da aber packte der Jude den Alten und schrie:

»Was haben Sie hier zu suchen? Fort, fort mit Ihnen! Ich dulde das nicht!«

Da zog der Polizist ein paar Handschellen aus der Tasche, zeigte sie ihm und sagte:

»Verhalten Sie sich ruhig! Sobald Sie Einen von uns wieder anrühren, fessele ich Sie!«

»Wie – wa – fesseln?«

»Ja, auf der Stelle!«

»Bin ich denn ein Verbrecher!«

»Und was für einer!«

»Gott der Gerechte! Wie werden verkannt die frömmsten Kinder von Israel!«

»Ja, fromm! Das wäre eine Frömmigkeit! Bitte, Herr Hauptmann, nehmen Sie die Sachen heraus!«

»Nein, nein!« schrie der Jude, den der Gedanke, daß er seine Schätze hergeben müsse, halb wahnsinnig machte.

»Schweigen Sie!« gebot der Commissar.

»Schweigen, ich? Nein, ich schweige nicht. Ich werde laut werden! Und wenn ich nicht mit dem Munde reden soll, so spreche ich anders. Wehe Demjenigen, welcher dort Etwas anrührt!«

Er trat an die Wand und riß ein Terzerol herab. Wahrscheinlich war es geladen. Aber der Sepp war schnell bei ihm und riß es ihm aus der Hand.

»Gieb her!« sagte er. »So ein Kerl wie Du versteht nichts von solchen Dingen!«

Da warf sich der Jude wie ein Tiger auf ihn. Ein lauter Pfiff des Commissars, und es kamen wohl sechs oder acht Polizisten herein, welche draußen im Flur gewartet hatten. In wenigen Augenblicken war der Jude gebändigt.

Aber er schrie in toller Wuth aus vollem Halse, so daß seine Frau es hörte. Sie kam zur Treppe herab und in den Laden gerannt.

»Was, was ist – – –?«

Sie wollte fragen, was hier los sei, aber die Frage blieb ihr im Munde stecken, als sie die Anwesenden bemerkte. Die Uniformen der Polizisten erfüllten sie mit Schreck.

»Was es ist?« rief der Jude. »Berauben wollen sie uns, bestehlen! Diese Schurken sind gekommen, um – – –«

»Knebeln! Und führt ihn ab sammt seinem Weibe!« befahl der Commissar.

Es wurde ganz kurzer Prozeß gemacht. Die Beiden wurden gefesselt und mit Hilfe des vorhandenen Mauerpfortenschlüssels hinten hinaus geführt. An der nächsten breiteren Gasse hielt ein Fiaker, in welchen zwei Polizisten mit dem sauberen Ehepaare stiegen.

So kam es, daß in dem Judengäßchen kein Mensch die Arretur der Beiden sah.

Indessen wurde die ganze Wohnung durchsucht. Da fanden sich denn unwiderlegbare Beweise, daß das Geschäft Abrahams ein geradezu ungeheures gewesen war. In diesem baufälligen Hause waren die Fäden aus allen Gegenden des Reiches zusammengelaufen.

»Da nehmen wir ein Nest aus,« sagte der Commissar zu dem alten Sepp. »Und das haben wir Ihnen zu verdanken.«

»Nicht mir sondern meinen beiden jungen Freunden da.«

»Allen Dreien. Es handelt sich hier um Verbrechen, welche lange Jahr«? hindurch verübt wurden. Auf die Entdeckung vieler von ihnen ist eine bedeutende Prämie gesetzt. Sie werden wohl viel Geld erhalten.«

»O, darnach trachten wir nicht. Eins wäre uns viel, viel lieber.«

»Was?«

»Wenn wir die Höhle hätten.«

»Hm! Ich sagte Ihnen bereits, daß es auf der Isola piccola keine Höhle giebt.«

»Es muß doch eine dort sein.«

»Nein.«

»Die Petruccio's sagten es doch!«

»Sie haben die Mädchens täuschen wollen. Die Insel liegt oberhalb des Schlosses von Miramare ganz hart an der Küste, von welcher sie nur durch einen sehr schmalen Wasserarm verbunden ist. Ich war sehr oft dort.«

»Ist sie, groß?«

»Eine Viertelstunde lang und halb so breit.«

»Ist sie bergig?«

»Ganz eben. Nur einige einzeln verstreute Felsenbrocken giebt es.«

»Womit ist sie bewachsen?«

»Mit Gras. Es giebt keinen Baum dort und auch fast kein Gesträuch Die Petruccio's sind allerdings oft dort, um vom Ufer aus zu fischen.«

»Giebt es ein Haus dort?«

»Eine armselige Hütte zum Unterschlupf, wenn ein Wetter die beiden Fischer überrascht.«

»Hm! Und doch ist es mir, als ob die Höhle dort zu suchen sei. Man muß vorsichtig sein.«

»Ich werde sofort den Juden und seine Frau verhören. Vielleicht gesteht Eins von ihnen, wo die Höhle zu finden ist.«

»Dann benachrichtigen Sie mich sofort!«

»Natürlich. Ich sende einige Zeilen in das Hotel, wenn ich nicht selbst kommen kann.«

»Und wenn sie nichts gestehen?«

»So arretiren wir die Petruccio's.«

»Wäre das nicht ein Fehler?«

»Wieso?«

»Diese beiden Italiener sind doch die Hüter der Mädchens.«

»Allerdings.«

»Diese Mädchens sind jedenfalls in der Höhle eingeschlossen; sie können nicht heraus.«

»Das läßt sich denken.«

»Sie erhalten Speise und Trank von den Petruccio's. Nehmen wir diese gefangen, so verschmachten die armen Geschöpfe.«

»Ich denke, die beiden Kerls werden ein Geständniß ablegen.«

»Das glaube ich nicht. Ich halte sie für hartgesottene Sünder, die lieber sämmtliche Mädchens verhungern und verdürsten lassen, damit nur ihnen nichts bewiesen werden kann.«

»Hm! Fatal!«

»Höchst fatal! Wenn sie nicht gestehen, haben wir verloren. Wir finden nichts.«

»Sie vergessen das Schiff, welches nächste Nacht dort anlegen will, um die Fracht einzunehmen.«

»Es wird umsonst anlegen.«

»Wieso?«

»Wenn weder der Jude noch die beiden Italiener da sind, können die Mädchens doch nicht abgeliefert werden.«

»Sollte der Capitän die Höhle nicht kennen?«

»Schwerlich. Und wenn sie ihm bekannt wäre, würde er es keinesfalls verrathen. Was wollen Sie mit ihm machen, wenn Sie keinen Beweis gegen ihn haben?«

»Er legt doch dort an!«

»Darf er das nicht?«

»O doch, aber es ist verdächtig.«

»Daraus macht er sich nichts. Wenn wir ihn fangen wollen, müssen wir die Mädchens haben. Und um diese zu bekommen, müssen wir die Höhle finden.«

»Ganz richtig! Aber wie?«

»Indem mir die Petruccio's nicht arretiren, sondern sie freilassen. Sie dürfen gar nicht ahnen, daß der Jude gefangen ist. Wir beobachten sie, und da müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht wenigstens eine Spur fänden.«

»Gut, ich will Ihnen folgen. Ich werde sie also streng beobachten lassen.«

»O bitte, nein! Lassen Sie lieber uns das über.«

»Meinen Sie, daß Sie bessern Erfolg haben werden als wir?«

»Nein; aber ich thu so Etwas sehr gern.«

»Nun schön. Wir sind Ihnen zu größtem Dank verpflichtet und wollen Ihre Wünsche gern berücksichtigen.«

»So sorgen Sie vor allen Dingen dafür, daß kein Verbündeter des Juden erfährt, daß er arretirt ist.«

»Meinen Sie, daß ich das Haus verschließe?«

»Nein. Das würde auffallen.«

»Man könnte denken, er sei verreist.«

»Dann wäre seine Frau daheim.«

»Können, nicht alle Beide verreist sein?«

»In diesem Falle würden sie einer Vertrauensperson das Geschäft übergeben. Baruch Abraham scheint mir zu geizig zu sein, als daß er sich den kleinsten Verdienst entgehen ließe, was doch der Fall sein würde, wenn er während seiner Abwesenheit keinen Verkäufer in den Laden stellte.«

»So stellen wir einen!«

»Dieser Gedanke ist nicht übel.«

»Nicht wahr?«

»Ja. Haben Sie eine passende Persönlichkeit?«

»Einen jungen Collegen, welcher erst seit zwei Tagen aus Graz gekommen ist. Es kennt ihn Niemand, und er ist ein Jude.«

»Aber sicher?«

»Ueber allen Zweifel erhaben.«

»So paßt er ausgezeichnet. Er kann sich für einen Verwandten Abrahams ausgeben und sagen, daß dieser mit seiner Frau für einen Tag oder einige Tage verreist sei. Auf diese Weise können wir leicht noch Wichtiges erfahren.«

»Ich werde sofort nach ihm senden und ihn dann gehörig instruiren.«

»So bedürfen Sie meiner nicht mehr?«

»Jetzt nicht. Später vielleicht.«

»Ich habe jetzt Wichtigeres zu thun.«

»So gehen Sie in Gottes Namen.«

Sepp hatte nach der Uhr gesehen. Es war bereits eine halbe Stunde über zehn Uhr, um welche Zeit er den Fex mit der Silbermartha erwartete.

Er hätte sich ganz gut eher entfernen können; aber dann wäre ja Max mit ihm gegangen, welcher Martha nicht sogleich sehen sollte. Darum hatte er die zehn Uhr ruhig verstreichen lassen.

Jetzt nun entfernte er sich mit den Seinen, nachdem Anita ihnen die Orte gezeigt hatte, an denen sie hier gequält worden war.

Sie unterhielten sich unterwegs so lebhaft über das Vorkommnis im Hause des Juden, daß Max und Hanns gar nicht daran dachten, daß der Fex ja kommen wolle.

Sie begaben sich, im Hotel angekommen, stracks nach Sepps Zimmer. Der Alte aber blieb leise zurück und fragte den Portier:

»Ist der Herr angekommen, welchem ich depeschirte?«

»Ja, punkt zehn Uhr. Er fragte nach dem Herrn Hauptmanne.«

»Kam er allein?«

»Er hatte eine junge Dame mit.«

»Wo logirt er.«

»Beide befinden sich einstweilen in Nummer Zwölf, zwei Treppen.«

Der Sepp stieg sogleich diese zwei Treppen hinauf und klopfte an. Die Stimme, welche »Herein« rief, kannte er. Sie gehörte dem Fex.

Als er eintrat, wurde er von diesem und Martha auf das Lebhafteste begrüßt.

»Aber, Sepp, was fällt Dir ein!« rief der Fex. »Uns mitten in der Nacht aus dem Schlafe zu stören und nach Triest zu rufen.«

»Das ist ja weiter nix.«

»So! Nächstens schaffst Du uns wohl nach Amerika?«

»Das ist leicht möglich. Grad wegen Amerika hab ich Dich rufen lassen.«

»Ists Spaß?«

»Nein, Ernst.«

»Oho! Was hab ich mit Amerika zu thun?«

»Du nicht, aber die Paula.«

Dieser Name wirkte wie electrisirend auf den Fex. Er rief erstaunt:

»Die Paula? Was ists mit ihr?«

»Sie will nach Amerika.«

»Herrgott! Weißt das wirklich?«

»Ja doch.«

»So hat sie es Dir sagt?«

»Nein, sie nicht.«

Er schlug die Hände zusammen und that einen Freudensprung, der einem Circuskünstler alle Ehre gemacht hätte. Dann ergriff er die Hand des Alten und fragte

»Sepp, ists denn wirklich, wirklich Dein Ernst?«

»Natürlich.«

»Hast eine Spur von meiner Paula funden?«

»Ja doch.«

»Aber selbst hast sie nicht sehen?«

»Leider nicht. Ich such sie noch.«

»Ich such sie mit, ich such sie mit!«

»Deshalb habe ich Dich kommen lassen.«

»So ist sie hier?«

»Sie soll sich hier befinden.«

»Wo, wo?«

»Gefangen.«

Der Fex erbleichte.

»Gefangen?« fragte er. »Hat sie vielleicht in ihrem Herzeleid eine Unvorsichtigkeit begangen?«

»O nein, nein, nein! Das thut die Paula nicht.«

»Das denk ich auch. Eher geht sie zu Grund, als daß sie was Böses thut. O mein Gott, meine Paula! Endlich ich nur mal wieder was von ihr hören thu!«

»Mußt Dich aberst darauf gefaßt machen, daß es nicht gar viel Gutes ist.«

»Gehts ihr schlimm?«

»Ja, leider.«

»So solls gleich anderst werden, gleich auf der Stell!«

»Ja, wann man nur die Stelle hätt!«

»Wie meinst das?«

»Bevor ichs Dir sag, mußt mir versprechen, daßt nicht verschrecken willst.«

»Himmel! Ists so was Schlimmes?«

»Nun, zu ertragen ists halt noch.«

»So sags!«

»Sie ist in schlimme Händ gerathen.«

»In welche denn?«

»Sie wird mit Gewalt fortgehalten und soll auf ein Schiff schleppt werden, worauf man sie nach Amerika bringen will.«

»Du, das will ich mir verbitten!«

»Ich mir auch!«

»Wo ist das Schiff?«

»Hier im Hafen.«

»So lauf ich sofort zum Capitän und schlag ihn nieder. Kannst derweilen hier warten!«

Er riß seinen Hut von der Wand und eilte nach der Thür.

»Halt!« rief der Sepp. »Weißt denn auch, wie dera Capitän heißt?«

»Nein«

»Und den Namen des Schiffes?«

»Auch nicht. Sags schnell, damit ich fort kann! Ich hab halt keine Zeit!«

»Ich hab auch keine Zeit, bis Du fortgehst und dann wiederkommst.«

»So geh halt gleich mit!«

»Werds bleiben lassen! Wann ich so schön zur Thür hinaus spazieren kann, schieß ich nicht mit dem Kopf zur Wand hindurch!«

»Was schwatzest da! Dera Capitän will sie nach Amerika schleppen. Das duld ich nicht!«

»Er hat sie noch gar nicht!«

»Ach so! Wer hat sie denn?«

»Das weiß ich noch nicht genau. Ich such den Kerl. Ein Jude wird es wohl sein.«

»Ein Jude? Den hau ich so lang, bis ein Türke aus ihm wird, und zwar ein blauer!«

Er rannte abermals nach der Thür, besann sich aber, blieb stehen und fragte:

»Wie heißt er denn?«

»Baruch Abraham.«

»Und wo wohnt er?«

»Im Gefängniß.«

»Im Gef– – Donnerwetter! Treibst wohl Dein, Spiel mit mir, alter Sepp?«

»Das fällt mir gar nicht ein. Aber lässest Du mich denn zu Worte kommen?«.

Er hatte ganz Recht mit dieser Frage. Es war blitzschnell Wort auf Wort gefallen. Der Fex war vor Entzücken, von der so lange vermißten Geliebten Etwas zu hören, ganz aus dem Häuschen gerathen. Jetzt zürnte er:

»Wer ist denn daran schuld?«

»Du doch!«

»Nein, Du! Du giebst mir den Trank nur tropfenweise ein, und ich will doch gleich Alles wissen.«

»Wann ich Dir Alles in Kürze sag, so zerplatzest ganz gewiß in tausend Stücke.«

»Versuchs einmal!«

»Also will ichs kurz machen: Es hält sie Einer gefangen, um sie nach Kalifornien unter die Goldgräber zu verkaufen.

Einen Augenblick lang starrte der Fex den Alten an, dann sprang er auf ihn zu, packte ihn bei der Gurgel und schrie:

»Du, sag das noch mal! Da erwürg ich Dich!«

Der Sepp mußte alle seine Kraft aufbieten, den jungen, starken Menschen von sich abzubringen. Dann rief er halb lachend und halb zürnend:

»Hab ichs nicht sagt, daßt gleich in tausend Stücke springen wirst. Du Haderlump Du!«

»Was sagst, Haderlump?«

»Ja! Willst etwa nicht Deinen besten Freund derwürgen? Mich, den alten Wurzelsepp?«

»Ja, Dich hab ich doch gar nicht meint!«

»So? Wen denn?«

»Den, der sie verkaufen will.«

»Warum packst ihn denn da an meiner Gurgel? Pack mich doch an dera seinigen!«

»Wo steckt er denn?«

»Werd ihn Dir schon zeigen.«

»So komm!«

Er ging wieder nach der Thür.

»Bleibst gleich da!« rief der Alte. »Wie viele Male willst denn eigentlich fort?«

»Das fragst auch noch? Herrgottle, Sepp, siehst denn nicht ein, daß ich vor Ungeduld vergeh?«

»So nimm Dich zusammen und beherrsche Dich! Damit kommst nicht weiter. Geh her! Setz Dich zu mir! Ich will Dir Alles verzählen.«

»Gut; aberst schnell!«

Martha hatte den Sepp begrüßt und seitdem keine Gelegenheit gefunden, nur ein einziges Wort zu sagen. Jetzt nahm sie den Fex bei der Hand, zog ihn auf das Sopha und bat:

»Fex, ich bitt Dich gar schön: hör ihn an!«

»Das will ich wohl,« antwortete er. »Aber in fünf Minuten muß er fertig sein.«

»Sei kein Talk!«

»Wie? Wannst nun Du verkauft werden solltest, und Dein Max thät sich hinsetzen – –«

»Fex!« rief sie bittend.

»Ach so! Ja, das hatt ich vergessen, daß man zu Dir von dem nicht reden darf. Na, Sepp, ich will mir Mühe geben, still zu sein. Da sitz ich, und nun fang an zu verzählen.«

»So? Bist wirklich still?«

»Das ist sehr gut. Da werd ich nun grad nicht verzählen.«

Er stand auf. Der Fex sprang zornig auf ihn zu, ergriff ihn am Arme und rief:

»Du, Alter, wannst noch einen Funken ins Pulver wirfst, da platzt es halt!«

»So werf ich keinen. Weißt, hier ist nicht dera Ort dazu. Komm mit hinunter in meine Stuben. Da ist noch Einer, der Dir Alles viel besser verzählen kann, als ich.«

»Wer?«

»Wirsts sehen. Komm!«

»Soll ich auch mitgehen?« fragte Martha.

»Nein. Bleib nur. Ich schick Dir was herauf.«

»O, ich brauch nix.«

»Das, was ich Dir senden werd, kannst schon gut gebrauchen. Paß' mal aufi!«

Er nahm den Fex bei der Hand und zog ihn fort.

»Du,« sagte er unterwegs, »rath mal, wenst bei mir treffen wirst?«

»Ich weiß es nicht.«

»Den Elefantenhanns und – –«

»Und den Max?« fragte der junge Mann schnell.

»Wie kommst Du auf den?«

»Wo dera Hanns ist, da ist dera Max auch.«

»Da hast Recht. Sie sind da, auf meinem Zimmer.«

Als die Beiden unten eintraten, hatte noch immer Niemand an ihn gedacht. Max, Hanns und Anita hatten sich über den Juden unterhalten und waren so ganz bei der Sache gewesen, daß sie gar keine Zeit gefunden hatten, sich auf den Zehnuhrzug zu besinnen und auf den, der mit demselben kommen sollte.

Desto herzlicher war jetzt die Begrüßung. Anita hatte sich bei seinem Eintritte sogleich in ihr Zimmer zurückgezogen. Ihr natürliches Zartgefühl sagte ihr, daß die ersten Augenblicke den Freunden gehören mußten.

Natürlich kam die Rede sofort auf die Paula. Der Fex verlangte Auskunft über sie. Max wollte ihm antworten, aber der Sepp unterbrach ihn:

»Sei Du still, Max! Ich werds ihm verzählen, und dera Hanns mag mir helfen. Du hast Nothwendigeres zu thun.«

»So? Was denn?«

»Es ist Eins von dera Polizeien da, was mit Dir reden will.«

»Wo denn?«

»Noch eine Treppe höher, in Nummer Zwölf. Sollst aber gleich kommen.«

»Was ists denn für einer?«

»Ein Feiner und Prächtiger. Sei recht höflich mit ihm und mach ihm ja ein schön Complimenten!«

Das Gesicht, welches der Alte dabei machte, fiel ihm auf. Darum fragte er:

»Willst mich wohl nur in den April senden?«

»O nein. Es ist wahr. Frag den Fex.«

»Ja,« meinte dieser. »Geh rasch hinaufi. Es hat keine Zeit. Du mußt rasch machen.«

Jetzt stieg Max empor und klopfte an. Es ertönte keine Antwort. Erst als er zum zweiten Male klopfte, hörte er von innen einen Ton.

»Das klingt ja, als obs ein Weibsbild wär,« dachte er. »Sind denn hier auch Weiber bei dera Polizeien?«

Daß der Fex den Namen Maxens erwähnt hatte, das hatte das alte Leid im Herzen Martha's wieder aufgeweckt. Als sie sich allein sah, trat sie zum Fenster, legte die Stirn an die Scheibe und blickte trüb auf den Platz hinab.

Wie glücklich konnte sie jetzt sein, wenn sie früher gewollt hätte. Sie war selbst schuld daran. Ihr Stolz, ihre Herzlosigkeit! O, wenn diese nicht gewesen wären!

Aber, wäre sie jetzt wirklich glücklich? Hätte sie, die Tochter des Verbrechers, das Dasein des Geliebten an das ihrige ketten dürfen? Nein, nein und tausendmal nein. Sie war zur Verdammung und Verbannung verurtheilt und mußte dieses Schicksal tragen.

Leider war die Last gar so schwer!

Unten rasselten die Wagen. Der Platz vor dem Hotel war so sehr geräuschvoll. Darum hörte sie das erste Klopfen nicht.

Und als sie das zweite doch vernahm, sagte sie zwar Herein, aber sie wendete sich nicht um. Sie meinte, daß es ein Zimmermädchen sei und sie wollte die Thräne nicht sehen lassen, die in ihrem Auge stand.

Als aber kein Wort gesprochen wurde und auch keine Bewegung im Zimmer zu hören war, drehte sie sich um.

Was war das! Sie fuhr sich vor Schreck mit beiden Händen nach dem Herzen. Reden konnte sie nicht. War es freudiger Schreck?

Sie hätte diese Frage selbst nicht zu beantworten vermocht. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht. Sie hatte wirklich das Aussehen einer Leiche.

Und dort unter der geöffneten Thür stand er ebenso blaß wie sie. Seine Lippe lag zwischen den Zähnen, und seine Augen leuchteten zu ihr herüber. Leuchteten sie vor Zorn oder vor Freude?

Da trat er herein und zog die Thür hinter sich zu. Dort aber blieb er stehen.

»Martha!« sagte er mit zitternder Stimme.

Sie antwortete nicht.

»Martha!«

Ihre Hände sanken von der wogenden Brust herab, aber sie redete nicht.

»Hast Du kein Wort für mich?«

Was sollte sie sagen, was sollte sie thun?

»Martha!«

Ein tiefer, tiefer Seufzer entfloh hörbar ihren Lippen; dann blieb es aber still.

»Leb' also wohl!« erklang es kurz aus seinem Munde.

Er drehte sich um und ging.

Schon hatte er die Thür hinter sich zugemacht. Er war fort. Sie hörte seine sich entfernenden Schritte. Da kam eine unbeschreibliche Angst über sie. Sie sprang nach der Thür, riß sie auf und trat halb auf den Corridor hinaus. Er hatte schon die Treppe erreicht.

»Max!« rief sie.

Er drehte sich um, sagte aber nichts.

»Max!«

»Was soll ich?«

»Komm!«

»Warum sagst Du das erst jetzt? Adieu!«

Er wendete sich wieder zum Gehen.

»Max, Max!« erklang es hinter ihm.

Dieser Ton war so voller Angst und Qual, daß er sich doch umwendete und langsam zu ihr zurückkehrte.

Sie trat in das Zimmer zurück und er folgte ihr. In ihrem Gesicht war kein Tropfen Blut zu sehen. Und nun, da sie ihm so nahe stand, sah er deutlich, welche Veränderung mit ihr vorgegangen war.

Sie war schöner, viel schöner noch als früher. Aber ihre Schönheit war eine mehr geistige geworden. Das Leid hatte ihren üppigen Formen einen Adel aufgedrückt, der ihnen vorher gefehlt hatte. Das Gesicht war schmaler geworden. Ihre Augen standen jetzt, in diesem Augenblicke voll dicker Thränen.

»Martha, warum ließest Du mich gehen?«

Sie antwortete abermals nicht.

Nur an das Leid denkend, welches sie ihm früher bereitet hatte, fuhr er halb zornig fort:

»Mein Gott! Kannst Du denn wirklich nicht reden?«

Sie preßte die Lippen zusammen; sie schluckte und schluckte, um den überlauten Aufschrei ihres Herzens hinab zu bannen. Unter dieser geistigen und körperlichen Anstrengung erbebte ihre Gestalt.

Er war schon früher ein schöner, junger Mann gewesen; aber jetzt, nachdem er eine so lange Zeit im Süden zugebracht hatte, waren seine Vorzüge weiter entwickelt worden. Und welch eine Zukunft lag vor ihm! Sie hatte davon gehört.

Dieses Bewußtsein war es, was sie jetzt erzittern machte. Das Glück, welches sie hätte besitzen können, stand vor ihr; sie aber hatte es von sich gestoßen.

Das war es, was ihre ganze Seele in eine Aufregung brachte, die sie nur unter Anstrengung all ihrer Kräfte noch für einige Augenblicke zu bemeistern vermochte. Sie hätte gern geantwortet, gar so gern; aber sie konnte ja nicht. Sie fühlte, daß sie laut aufschreien werde, wenn sie den Mund öffne.

»Nun,« sagte er kalt, »wenn Du nicht antworten kannst, so brauchtest Du mich auch nicht zu rufen. Der armselige Schulmeister bin ich glücklicher Weise nicht mehr!«

Er drehte sich zum Gehen und öffnete die Thür. Schon stand er draußen, da ertönte hinter ihm im Zimmer ein Schrei – aber was für ein Schrei!

Als er den Blick zurückwarf, sah er Martha, auf dem Boden knieen, mit dem Gesicht auf den Sitz des Stuhles gebeugt. Ein jämmerliches Schluchzen entquoll ihrer Brust.

Da kehrte er langsam zurück und machte die Thüre wieder zu. Die Hände über die Brust verschlungen, stand er da und blickte sie finster an.

Er wartete, daß sie aufblicken und mit ihm sprechen werde – sie that es nicht. Da wollte sich ein grimmiger Zorn seiner bemächtigen, er sagte in hartem Tone:

»Martha, bist Du fertig?«

Als Antwort verstärkte sich ihr Weinen.

»Gott, ach Gott! Was soll das Schluchzen helfen! Das Jammern machts nicht anders.«

Da hob sie langsam den Kopf und sah ihn an. Es war wie der Blick einer Sterbenden. Und erst jetzt kam ihm die Erkenntniß, daß sie unmöglich hatte reden können, daß er hart, gefühllos, grausam mit ihr gewesen sei.

Im Nu kniete er neben ihr, schlang die Arme um sie und zog ihren Kopf auf seine Achsel. Er fühlte ihren Körper an sich beben; er fühlte, welch eine Revolution sie jetzt durchschüttelte. Er hob sie auf, ließ sie auf das Sopha gleiten, setzte sich neben sie und hielt sie innig an sich gepreßt.

So lag sie nun an seinem Herzen, weinend aus allertiefstem Herzensgrunde. Sie hatte den einen Arm um ihn gelegt, aber so leicht, so leise, daß er ihn kaum fühlte. Er wußte, weshalb. Sie hielt sich nicht für werth, von ihm umschlungen zu sein.

Da nun kam abermals ein zorniger Grimm über ihn, aber jetzt nicht über sie, sondern über sich selbst. Wie wehe hatte er ihr gethan. Er hatte sie nicht verstanden und ihr im Gegentheile so unendlich wehe gethan! Er hätte sich selbst beohrfeigen mögen!

So verging eine längere Zeit. Da wurde ihr Weinen schwächer und schwächer, bis es ganz aufhörte. Ihr Kopf lag still und ruhig auf seiner Achsel, das Gesicht nach unten gekehrt, so daß er es nicht sehen konnte.

Aber ihre eine Hand hatte er; sie konnte er sehen. Sie war so fein und alabasterweiß.

Dieses Händchen erzählte die ganze Geschichte des armen Mädchens, welches von der Höhe herabgeschleudert worden war in eine Tiefe, aus welcher man nicht leicht wieder hoffnungsvoll emporblicken kann.

Früher hatten Ringe an diesen weißen Fingern geglänzt, Ringe, mehrere neben einander, als Zeichen eines grund- und haltlosen Bauernstolzes. Und jetzt? Ein einziger Reif umschloß den kleinen Finger. Aber er war nicht von Gold und auch nicht von Silber. Es war ein sehr, sehr dünnes Haargeflecht, kunstlos, als hätte sie es selbst gemacht, und die Enden des Haares waren in einer schwarzen Perle vereinigt, nicht in einer echten, sondern in einer ganz gemeinen Glasperle, zwanzig und noch mehr Stück für einen Pfennig.

Und da dachte er an den letzten Tag in Regensburg, damals, als er sie auf dem Maskenball des Gesangvereines als »Königin der Nacht« kennen gelernt hatte.

Damals hatte er halb im Ernst und halb scherzend gesagt, daß er ganz glücklich sein würde, wenn er ein kleines, kleines Löckchen oder Strähnchen ihres Haares besitzen könnte. Sie hatte es ihm verweigert, weil er sich wohl auch hüten werde, sich für sie eines Löckchens seines dunklen Krauskopfes zu berauben.

Um ihr das Gegentheil zu beweisen, hatte er das Federmesser herausgezogen und sich eine ganze Locke abgeschnitten, sie in ein Papier gewickelt und sie ihr gegeben. Sie aber hatte dieses Papier lachend fortgeworfen, und natürlich auch die Haare mit. Oder vielleicht doch nicht?

Jetzt bewegte sie leise den Kopf. Vielleicht wollte sie ihn erheben.

»Martha,« flüsterte er ihr zu. »Kannst Du mir vergeben?«

Sie schwieg auch dieses Mal.

»Bitte, bitte, antworte mir doch, wenn auch nur mit einem kleinen, einzigen Worte!«

Sie antwortete, aber nicht mit einem Worte, sondern sie legte auch noch den zweiten Arm um ihn und drückte beide nun fest um seinen Leib.

Da ergriff er ihren Kopf und hob ihn halb empor. Ihre noch immer nassen Augen blickten ihn mit unendlich traurigem Ausdrucke an.

»Dir ist so weh im Herzen, meine Martha, nicht wahr?« fragte er.

Und in überquellendem Mitgefühle füllten auch seine Augen sich mit Thränen.

Sie nickte ihm wie trostlos zu.

»Dies soll das letzte Mal sein, daß Du um die Vergangenheit weinst.«

»O nein,« antwortete sie leise. »Ich werde noch oft, so oft zu weinen haben.«

»Nein. Dein Leid ist zu Ende. Du hast mehr als genug geduldet.«

»Aber nicht gebüßt.«

Er wußte gar wohl, was sie meinte, und doch fragte er, als ob er sie nicht verstehe:

»Gebüßt? Wofür?«

»Für meinen Stolz, für meine frühere Gefühllosigkeit, für – – die Silbermartha. O mein Gott, dieses unglückliche, unglückliche. Silber!«

»Es ist vorüber!«

»Ja, für Dich, aber nicht für mich!«

»Auch für Dich. Glaube es mir.«

»Ich glaube es nicht, ich kann es nicht glauben, denn ich weiß das Gegentheil.«

»Kind, das ist ja eine ganz erschreckende Trostlosigkeit!«

»Nein, Max, trostlos ist es nicht. Es ist ein Trost, daß Du nicht mit in unseren Fall gerissen worden bist.«

»Martha, ich verstehe Dich nicht.«

»O, Du verstehst mich gut, willst es aber nicht zugeben. Jetzt segne ich zuweilen den Stolz, der nichts von dem Schulmeister wissen wollte. Du begreifst das; aber Du gestehst es nicht, um mich nicht zu kränken.«

»So hältst Du mich wohl gar für so unendlich zart und rücksichtsvoll?«

»Ja, das bist Du!«

»Herrgott! Du weißt nicht, welche Strafe für mich in diesen Worten liegt. Wie rücksichtslos bin ich vorhin gegen Dich gewesen!«

»Nur, weil Du mich nicht verstandest.«

»Aber warum verstand ich Dich nicht? Eben weil ich nicht zart war. Ich verlangte, daß Du reden solltest.«

»Ich konnte nicht, konnte unmöglich.«

»Das weiß ich jetzt. Vergieb es mir. Willst Du, Martha?«

Sie nickte ihm zu und ihr Gesicht erhellte sich. Er bog sich herab, um sie zu küssen; sie aber wich ihm aus.

»Martha!« sagte er vorwurfsvoll. »Ich habe doch geglaubt, daß Du mich lieb hättest.«

»Ja,« erklang es mit tiefem Athemzuge. »Wie lieb, wie lieb ich Dich hatte, das habe ich erst später gespürt.«

»Und hast Du mich auch jetzt noch lieb?«

»Unendlich!« flüsterte sie, indem sie über und über erröthete.

»O, so ist ja Alles, Alles gut!«

Er machte abermals den Versuch, sie zu küssen, und wieder entzog sie ihm ihre Lippen.

»Martha, warum wendest Du Dich ab?«

»Ich muß ja doch.«

»Nein, nein!«

»Ich darf nicht, Max.«

»Warum nicht?«

»Weil ich Dich nur lieben darf, aber weiter nichts. Die Liebe darf mir Niemand aus dem Herzen reißen.«

»So bedarf es ja weiter nichts. Unsere Liebe ist geläutert aus der Trübsal hervorgegangen, und nun muß sie auch zu ihrem Recht gelangen.«

»Was verstehst Du unter diesem Rechte?«

»Daß wir uns gehören werden.«

»Niemals!«

»Warum niemals!«

»Aus vielen Gründen.«

»Willst Du sie mir nicht sagen?«

»Du kennst sie ja auch.«

»Ich kenne nichts, was uns trennen könnte, nun wir uns wiedergefunden haben.«

Sie schüttelte leise aber bestimmt den Kopf.

»Das sagst Du aus reiner Herzensgüte.«

»Nein, sondern aus vollster Ueberzeugung.«

»So täuschest Du Dich, Max. Denke an die Vergangenheit zurück. Ich will den heutigen Tag als eine Gnade Gottes betrachten und noch einmal, das letzte Mal im Leben bei Dir sein.«

»Martha!« rief er erschrocken.

»Fürchte nichts!« antwortete sie, bitter lächelnd. »Ich meine nicht das, was Du denkst. Ich kann das Leben tragen; ich werfe es nicht von mir. Aber es gehört nicht mehr mir und meinem Glücke, sondern es ist dem Dienste der Demuth und Arbeit gewidmet.«

»Und dabei wirst Du grad am Allerglücklichsten sein.«

»Ohne Dich nie!«

»Wer fordert denn von Dir, daß Du ohne mich leben sollst, Martha?«

»Die Gerechtigkeit.«

»Liebes Kind, ich glaube, Du hast Dich in eine ganz falsche Anschauung hineingelebt.«

»Nein. Ich habe viel gelitten und viel gerungen, ehe ich zur Klarheit gelangt bin. Ich werde einsam durch das Leben gehen, nicht abgeschieden zwar von Andern, nicht im Kloster; Arbeit ist auch ein Gebet, und ich werde arbeiten, um – – zu vergessen.«

»Das wirst Du nie können!«

Sie senkte den Kopf. Sie gab ihm Recht.

Da ergriff er ihre Hand, hob dieselbe empor, deutete auf den Haarring und fragte:

»Wer hat das geflochten?«

»Ich selbst,« antwortete sie leise.

Sie erglühte dabei im ganzen Gesichte.

»Mit dieser Perle.«

»O, die ist kostbar.«

»Wieso?«

»Ehe ich heimlich aus der Heimath fortging, besuchte ich die Feuerbalzern. Sie besserte sich eine alte Haube aus, und einige Perlen fielen herab. Ich bat sie, mir eine zu schenken: Sie gab mir diese hier.«

Er verstand sie. Seine Augen füllten sich von Neuem. Von der Frau, die sie so oft durch ihren Stolz gekränkt hatte, hatte sie sich eine armselige Perle erbettelt. Das war Demuth, das war Beugung des früheren Stolzes. Sie hatte in die weite Welt gehen wollen, um sich zu verbergen, und als Andenken an die Heimath eine werthlose Perle von ihrer Feindin erbettelt!

»Wie mag sich die Feuerbalzern gewundert haben, was Du mit der Perle willst!« sagte er.

Sie antwortete nicht. Ihre Fingerchen aber zuckten wie hektisch gegen einander.

»Und das Haar, von wem ist es?«

»Kennst Du, es nicht?«

»Nein.«

Aber er ahnte, daß es von ihm sei.

»Es ist von der Locke, die Du Dir in Regensburg abschnittest,« erklärte sie.

»Die hast Du doch fortgeworfen!«

»Nein.«

»Ich sah es!«

»Ich warf nur das Papier fort. Du solltest nicht denken, daß ich Dich gar so lieb hätte. Das gab mein Stolz nicht zu. Aber das Haar hätte ich um keinen Preis mit weggeworfen.«

»Du Gute!«

Er zog sie inniger an sich.

»O, wie wenig gut war ich!« seufzte sie.

»Du warst doch immer gut; aber die Güte durfte nicht gesehen werden. Daran warst nicht Du schuld, sondern die Erziehung. Jetzt aber hat das harte Leben den Edelstein in Schliff gehabt, und nun glänzt er so hell und so rein, daß ich ihn festhalten werde, weil ich ihn keinem Andern gönne.«

»Wirklich?«

»Ja, um keinen Preis!«

»Es wird ihn auch kein Anderer haben, diesen Edelstein, der ganz und gar nicht echt ist.«

»Martha!«

»Er wird Niemandem gehören. Er ist herabgefallen auf die Erde, und da mag er liegen bleiben. Einem Stein thut es doch nicht weh!«

Ihr Köpfchen neigte sich fast bis auf die Brust herab, und er sah, daß eine Thräne aus ihrem Auge in den Schooß fiel.

»Martha, wirf diese Verzagtheit fort!« bat er in dringendem Tone.

»Es ist keine Verzagtheit. Es ist die kalte Beurtheilung der Verhältnisse.«

»Nein. Es ist Verzagtheit. Hat denn die Silbermartha allen Muth verloren?«

»Max, nicht diesen Namen, ja nicht! Es thut mir so wehe, wenn ich ihn höre. Nein, den Muth habe ich nicht verloren.

»Es scheint aber so!«

»Grad zum Entsagen gehört der größte Muth.«

»Aber wenn man Etwas aufgiebt, welches man erlangen kann, so ist das feig.«

»Wenn man es erlangen kann, ohne daß es Andern, schadet, ja.«

»Nun, wem schadet es, wenn wir uns lieben und uns dann auch gehören?«

»Dir.«

»Mir? O nein!«

»O doch! Wie kann die Tochter des Zuchthäuslers Dir gehören. Dir, dem Reinen, dem – –«

»Martha, nicht so!« bat er, indem er aufsprang und einige Male im Zimmer auf und ab ging. »Wenn wir uns deshalb nicht gehören können, weißt Du, wer allein die Schuld daran trägt?«

»Nun?«

»Ich.«

»Du? Das ist ja gar nicht möglich.«

»O, es ist wirklich so.«

»Das könntest Du wohl nicht beweisen.«

»Es ist eben so traurig, daß ich es so sehr leicht beweisen kann. Ich bin es ja, der Deinen Vater auf das Zuchthaus gebracht hat.«

»Du?«

»Ja. Hast Du denn nicht bemerkt, oder erfahren, daß ich es war, der Alles entdeckte. Eins nach dem Andern?«

»Ja, das weiß ich.«

»Nun, ich hatte, seit ich Deinen Bruder und Deinen Vater zum ersten Male traf und von ihnen beleidigt wurde, mir vorgenommen, sie zu bestrafen. Ich bin ihnen nachgegangen auf Schritt und Tritt. Ich habe Wort gehalten und Dich aber unendlich unglücklich gemacht.«

»Ja, sehr, sehr unglücklich,« seufzte sie.

»Das wirst Du mir nie vergeben können!«

Sie blickte ernst und ohne den mindesten Vorwurf im Auge zu ihm auf und antwortete:

»Ich habe Dir nichts zu vergeben.«

»O, viel, viel!«

»Gar nichts. Du hast die Welt von Verbrechern befreit. Das ist ein Verdienst von Dir. Daß diese Leute meine Verwandten waren, dafür konntest weder Du noch ich.«

»Hegst Du wirklich, wirklich diese Ansicht?«

»Ja.«

»Und machst mir keinen Vorwurf?«

»Max, ich schwöre Dir beim Herrgott zu, daß mir niemals der Gedanke gekommen ist, Dir auch nur den leisesten Vorwurf zu machen. Ich selbst bin ja heimlich fort, weil ich den Vater hätte anzeigen müssen, wenn ich geblieben wäre.«

»Gott sei Dank! Da nimmst Du mir eine große, große Last von der Seele.«

»Wenn Dich das bekümmert hat, so wirf es von Dir. Ich zürne Dir nicht.«

»Aber Dir selbst zürnst Du desto mehr.«

»Mir selbst? Wie so?«

»Nun, meinst Du nicht, daß Vorwürfe auf Dir liegen?«

»Nein. Ich habe nichts Unrechtes gethan.«

»Und doch willst Du dem Glücke entsagen?«

»Weil ich muß.«

»Kind, das ist ein trauriger Gedanke, den wir tödten müssen, wenn er nicht uns selbst tödten soll. Komm einmal her, meine gute, liebe Martha, uns schau mir in das Gesicht! So!«

Er setzte sich nieder zu ihr, nahm ihren Kopf in beide Hände und hob ihn so empor, daß sie ihm grad in das Gesicht sehen mußte. Dann fuhr er fort:

»Du hast mich wirklich lieb?«

»Lieber als mein Leben, Max!« hauchte sie.

»Und meinst Du, daß ich Dich weniger lieb habe als Du mich?«

»Ists auch wahr?«

»Ja, meine Martha. Du bist mir niemals, niemals aus dem Sinn gekommen. Gott, wie so unglücklich bin ich gewesen! Wie habe ich nach Dir gefragt und geforscht, stets vergebens, und ach, ich hätte beinahe zu Grunde gehen können!«

Er nahm seine Hände von ihr weg und blickte trüb vor sich hin.

»Wieso denn?« fragte sie ängstlich.

»Du fehltest mir. Die Sorge um Dich quälte mich. Ich machte mir Vorwürfe. Ich sagte, ich sei zu hart gegen Dich gewesen. Und das war auch wahr. Nicht?«

Sie wollte den Kopf schütteln, brachte es aber doch nicht fertig.

»Ja, ja,« nickte er. »Ich verstand Dich eben nicht. Weißt Du noch, als ich zum ersten Male bei Euch im Silberhofe war, um mich bei Deinem Vater anzumelden?«

»Ich weiß es, ja.«

»Da gingen wir in Unfrieden auseinander.«

»Und ich – ich – ich lag dann auf dem Pulte und weinte bitterlich.«

»Und ich glaubte, Du hättest kein Herz. Ich bildete mir etwas auf meinen psychologischen Scharfblick ein. Ich, ich war der Stolze und warf Dir vor, stolz zu sein. Da siehst Du es, wer die Schuld trägt, Martha.«

»Du nicht!«

»Du auch nicht!«

»O doch!«

»Nun, so wollen wir sie Beide auf uns nehmen und sie vereint tragen. Nicht?«

»Nein, Max. Es wäre eine Sünde.«

»Von uns Beiden?«

»Von mir.«

Da legte er den Arm um ihren Hals, zog ihren Kopf nahe an sich heran, blickte ihr tief in die Augen und sagte:

»Mit solchen Ansichten kommen wir nicht weiter. Schau mich an, Martha, wenn ich Dich nicht haben soll, so brauche ich überhaupt gar nichts. Wenn Du auf dem Gedanken beharrst, daß Du mein nicht werth bist, so laufe ich auf und davon, in alle, alle Welt hinein!«

»Max!«

»Ja, das thue ich gewiß!«

»Das darfst Du nicht!«

»Auch Du darfst mich nicht von Dir stoßen und thust es aber doch!«

»Max, die Leute würden auf uns zeigen und sagen, daß Deine Frau die Tochter des Silberbauers ist.«

»Laß sie reden. Du bist mit dem Fex gekommen. Hat er seine Paula lieb?«

»O, er sucht sie Tag und Nacht.«

»Und wenn er sie findet, glaubst Du, daß er mit ihr glücklich sein wird?«

»Ganz gewiß.«

»Und sie ist die Tochter des Thalmüllers. Jetzt hast Du Dich selbst geschlagen.«

»Nein, Max. Ich habe doch Recht. Meine Liebe treibt mich, gegen die Stimme des Verstandes zu handeln; aber ich weiß nur zu gut, daß später, die Zeit kommen würde, in welcher ich es bereuen müßte.«

»Und bist Du wirklich von diesem Gedanken nicht abzubringen?«

»Nein.«

»Sage das nicht; sag es nicht! Ueberlege es Dir lieber noch einmal!«

»Es ist beschlossen, Max.«

Sie hatte die Hände gefaltet und blickte ihn traurig aber bestimmt an.

Da stand er von ihr auf und durchmaß die Stube einige Male mit langsamen Schritten. Dann blieb er stehen und sagte:

»Du hast Recht Martha; wir wollen scheiden.«

»Nicht wahr?«

»Ja. Ich hatte nicht geahnt, daß ich Dich hier sehen würde. Aber mein Herz sagte es mir, daß ich Dich wiedersehen müsse. Und dieses Wiedersehen hatte ich mir so entzückend ausgemalt. Es sollte uns dann nichts, nichts mehr trennen können. Es ist anders gekommen, weil es uns anders beschieden ist, und so magst Du Deinen Willen haben. Gieb mir noch einmal Deine Hand, dann will ich gehen.

Er gab sich Mühe, dies in ruhigem Tone zu sagen; aber sie hörte seine Stimme zittern; sie sah seine Lippen beben. Sie bemerkte das Flackern seines Blickes. Er kämpfte mit den Thränen, welche hervorbrechen wollten.

Jetzt erst erkannte sie, wie schwer es sei, ihren Vorsatz auszuführen. Sie ließ ihm ihre Hand, die er ergriffen hatte, aber sie sagte nichts.

»Hast Du vielleicht noch einen Wunsch, Martha?« sagte er, um nur noch etwas zu sagen.

»Nein,« antwortete sie leise.

»Dann leb wohl!«

Er ließ ihre Hand los und wendete sich zum Gehen. So hatte sie sich den Abschied freilich nicht gedacht. Sollten sie so kalt aus einander gehen wie Leute, welche sich hassen?

Nein, nein! Sie sprang auf.

»Max, nicht so!« rief sie, ihm die Arme nachstreckend.

»Wie denn?« fragte er.

»Anders, anders!«

Er schüttelte ernst den Kopf.

»Wozu die Zärtlichkeit, wenn sie nicht echt ist. Gehen wir so aus einander.«

»Nicht echt?« rief sie.

»Ja.«

»Meinst Du, daß ich Dich nicht liebe?«

»Ja, Martha, das meine ich. Du glaubst mich zu lieben, aber Du täuschest Dich.«

»Mein Gott! Und doch werde ich eingehen und sterben ohne Dich!«

Er schüttelte bitter lächelnd den Kopf.

»Das denkst Du jetzt. Ich bin der Erste, den Du geliebt hast, und es ist Dir kein Anderer begegnet, dem Du Dein Herz noch lieber als mir hättest schenken mögen. Darum hältst Du Deine Liebe zu einem Andern für unmöglich. Aber sie ist es nicht. Sind wir einmal bestimmt und für immer von einander geschieden, so wird Dein Herz sehr bald zur Ruhe kommen und wohl auch später die Erkenntnis erlangen, daß es einem Andern angehören kann. Leb wohl, Martha!«

Jetzt war es sein Ernst. Sie sah es. Im Augenblicke stand sie bei ihm und schlang beide Arme um ihn.

»Max, Max, bleib da bei mir!« bat sie.

»Wozu? Wozu?« fragte er, indem er leise versuchte, sich von ihrer Umarmung zu befreien.

»Glaub an mich! Ich bitte Dich!«

»Das kann ich nicht.«

»Warum? Warum?«

»Das weißt Du nun.«

»Weil ich Dir so leicht entsagen kann?«

»Ja.«

»Glaubst Du denn wirklich, daß es mir so sehr leicht fällt, mein lieber Max?«

»Ich glaub« es nicht nur, sondern ich behaupte es. Ich sehe es ja.« »Mein Gott! Er denkt, ich liebe ihn nicht.«

»Du liebst mich, Martha, aber ganz anders, als man denjenigen liebt, von dem man nicht lassen kann.«

Der Gedanke, so verkannt zu werden, war ihr schrecklich.

»Was thue ich, was thue ich!« rief sie aus.

»Gieb mir die Hand und sag Adieu!«

»Nein, nein, das kann ich nicht!«

»So mußt Du mich behalten!«

»Auch das kann ich nicht.«

Sie waren so ganz und gar mit sich selbst beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkten, daß die Thür ganz leise, leise geöffnet wurde. Der Sepp steckte den Kopf herein. Er that so heimlich, um das Liebespaar zu überraschen. Jetzt aber wurde er laut:

»Was kannst auch nicht?« fragte er, indem er hineintrat.

Sie stieß einen Schreckensruf aus und wollte sich Maxens Armen entziehen. Dieser aber hielt sie fest.

»Hasts gehört?« fragte der Sepp. »Was kannst auch nicht?«

»Ihn behalten,« antwortete sie, eigentlich ohne ihm antworten zu wollen.

»So bist wohl ganz irr im Kopf?«

»Wieso denn?«

»Fortlassen kannst ihn nicht, und heirathen kannst ihn auch nicht. Das ist confuses Zeug. Was soll denn sonst geschehen? Willst ihn etwa als Kronleuchtern in Deiner Stub aufhängen? Dann thu ihm nur den Strick nicht um den Hals, sondern unter den Armen hindurch. Ihr Dirndls werdet doch Euer Lebtage nicht gescheid. Seid doch froh, wann Einer kommt, der Euch nehmen will! Angeführt ist er doch auf alle Fälle. Gleich giebst ihm die Hand und einen Schmatz! Sonst komme ich und nehm ihn für mich. Na, wirds bald?«

Max bog sich lächelnd zu ihr nieder. Folgte sie jetzt wirklich der Stimme ihrer Liebe, oder war es die Angst vor Sepp, welcher sehr ernsthaft geredet hatte – sie duldete es, daß Max ihr einen – zwei, sogar drei Küsse gab.

»Schön!« rief der Alte, indem er drohenden Blickes näher trat. »Und nun sagst, obst ihn heirathen willst oder nicht.«

Sie sah ihm in die blitzenden Augen uns fragte zaghaft:

»Wird das denn kein Unglück geben?«

»Unsinn! Eine Hochzeiten wird es geben, weiter nix. Na, vorwärts also! Klatsch ihm in die Hand, und schlag eini!«

Max hielt ihr die Hand entgegen und fragte lächelnd:

»Nun, willst Du?«

Da blickte sie von Einem zum Andern, mußte dann plötzlich laut auflachen, schlug herzhaft ein und antwortete:

»Wenn Du die Verantwortung auf Dich nimmst, dann in Gottes Namen.«

»Wie gern, wie gern will ich es verantworten! Gott sei Dank, endlich ist Alles, Alles gut.«

Er zog sie innig an sich.

»Ja,« nickte der Sepp. »Und wer hats eben wieder gut macht? Dera Wurzelsepp, der alte Schwerenöther. Wann der nicht kommen wär, da wärt Ihr aus nander gangen und hättet Euch niemals wieder zusammenfunden. Nun aberst bin ich als Zeuge da standen, und Keins kann wieder zurück. Jetzund macht das Uebrige noch schnell ab, und kommt sodann herunter. Ich kann Euch nur zehn Minuten Brautzeit geben; dann müssen wir fort.«

Er ging.

»Wo müßt Ihr hin?« fragte Martha in besorgtem Tone.

»Zu nix Schlimmen. Wir suchen halt die Paula.«

»Und das kann grad gefährlich werden.«

»O nein.«

»Was ist denn mit ihr geschehen?«

»Bitte, sprechen wir jetzt nicht von ihr. Wir stehen uns näher als ihr. Anita wird Dir dann, wenn wir fort find. Alles erzählen.«

»Wer ist Anita?«

»Ach ja. Du kennst sie noch gar nicht. Es ist eine Italienerin, welche wir aus den Händen eines Schurken befreit haben, ein gutes, liebes Mädchen, welche wohl die Braut des Elefantenhanns werden wird. Doch davon später. Jetzt möchte ich wissen, wo Du während all dieser Zeit gewesen bist.«

»In Wien, bei einer Wittwe als Stubenmädchen.«

»Stubenmädchen! Martha, Martha, da machst Du mir wirklich eine große Freude.«

»Wieso?«

»Die – – na, ich soll den Namen nicht mehr nennen – die steinreiche Bauerstochter als Stubenmädchen! Das ist ein Beweis, welch ein braves Herz Du hast.«

»O, es hat mich gar keine Ueberwindung gekostet.«

»Wirklich nicht?«

»Nein. Ich hatte es wie ihr Kind bei ihr.«

»Nun aber gehst Du nicht wieder zu ihr zurück.«

»Denkst Du?«

»Ja«

Sie schüttelte leise den Kopf, wie sie es jetzt gewohnt war, und sagte:

»Soll denn das Wort wirklich gelten, welches wir uns vor dem Sepp gegeben haben?«

»Natürlich!«

»Er hat uns überrascht.«

»Willst Du es zurücknehmen?«

Es war ein Blick voll innigster Liebe, den sie auf ihn warf. Dann antwortete sie:

»Nein, Max. Ich glaube jetzt, der liebe Gott will es so, daß wir nicht von einander gehen.«

»Ja, das will er, sonst hätte er uns nicht so zusammengeführt.«

»Aber zu meiner guten Frau Salzmann lässest Du mich einstweilen wieder!«

»Ist sie denn gar so gut?«

»Gewiß.«

»Du wirst mir von ihr erzählen. Dann wollen wir entscheiden.«

»Wo soll ich sonst hin? Und die Muhrenleni wohnt auch bei ihr.«

»Die? Da ist sie freilich eine brave Frau, denn die Leni hat einen scharfen Blick. Wir haben uns so viel zu sagen; aber wir wollen die Erzählungen verschieben. Wir sind schon allzu egoistisch gewesen. Ich werde unten gebraucht.«

Als sie hinabkamen, wurde Martha natürlich von Allen herzlichst willkommen geheißen. Am Meisten erfreute sie Anita mit ihrer Anwesenheit. Diese befand sich nun doch nicht mehr allein.

Und jetzt kam auch der Polizeikommissar. Er hatte den Juden und dann auch dessen Frau verhört, aber weder von ihm noch von ihr irgend ein Geständniß erlangt. Nach dieser Meldung entfernte er sich wieder, da er von seinem Berufe in Anspruch genommen wurde.

»Und was thun nun wir?« fragte der Fex. »Wollen wir etwa warten, bis irgend Jemand Etwas gesteht?«

»Nein,« antwortete der Alte. »Jetzt suchen wir die Insel auf.«

»Schön! Wir werden sie untersuchen.«

»Der Commissarius meint, daß wir nix finden werden.«

»Wenn Etwas zu finden ist, so finden wir es; das ist gewiß. Meine Paula muß ich wieder haben, und wenn ich ganz Italien umwühlen soll. Aber welchen Weg schlagen wir ein?«

»Wir gehen nach Barcola und nehmen dort ein Boot.«

»Gut. Aber was sagen wir, was wir auf dieser Isola piccola wollen?«

»Hm! Vielleicht angeln.«

»Darf man das?«

»Hoffentlich.«

»So wollen wir aufbrechen.«

»Nur nicht allzu schnell. Wir müssen an Mehreres denken. Ich muß zwar wieder nach Triest. Ihr aber könnt möglicher Weise bis zum Abend draußen bleiben müssen. Darum mögt Ihr Euch Proviant mitnehmen.«

»Das ist richtig,« stimmte Max bei. »Und da wir eine Höhle suchen und wohl auch untersuchen wollen, so werden wir auch für Licht sorgen müssen.«

In dieser Weise wurde noch Verschiedenes besprochen und Verschiedenes dann angeschafft. Nachher brachen die Männer auf.

Martha blieb natürlich mit Anita daheim. Es stand nicht zu befürchten, daß ihnen die Zeit sehr langsam vergehen werde.

Vom Hotel Europa ists gar nicht weit bis Bancola. Da es dort viele Schiffer und Fischer giebt, sind dort auch alle möglichen in diese Fächer einschlagenden Requisiten zu kaufen. Die Vier versorgten sich mit drei Angelruthen und begaben sich dann an den Strand.

Mehrere Schiffer eilten herbei, um ihnen ihre Boote anzubieten. Sie wählten das schmuckste und stiegen ein.

»Wohin?« fragte der Lotse.

»Nach Isola piccola.«

Da war es, als ob der Mann erschrak.

»Nach Isola piccola?« fragte er, als ob er meine, nicht richtig gehört zu haben.

»Ja.«

Er warf einen verlegenen Blick im Kreis umher und fragte dann:

»Die Herren sind hier wohl fremd?«

»Ja,« antwortete der Sepp.

»Haben Sie auf Isola piccola irgend etwas Besonderes zu schaffen?«

»Nein.«

»So könnten Sie auch überall anders wohin fahren?«

»Wenn es uns beliebte, ja.«

»Dann rathe ich von der Insel ab.«

»Warum?«

»Es ist zu gefährlich dort.«

»Gefährlich? Giebt es Räuber dort?«

»Nein.«

»Oder feuerspeiende Berge?«

»Dazu ist sie zu klein.«

»Nun, was denn sonst?«

»Eigentlich giebt es gar nichts dort. Aber es giebt zwei Brüder, welche dort den Graswuchs gepachtet haben. Die sehen es nicht gern, wenn andere Leute kommen.«

»Pah! Wir werden ihnen keinen Schaden machen.«

»Darnach fragen sie weniger. Sie dulden überhaupt Niemand.«

»Haben sie das Recht dazu?«

»Nein.«

»Kann man uns verbieten, dort zu angeln?«

»Auch nicht.«

»So fahren Sie uns hin!«

»Aber ich habe Sie gewarnt!«

»Schon gut!«

»Und ich kann nicht dort bleiben, um zu warten, bis Sie wieder zurückfahren.«

»Sapperment! Warum nicht?«

»Weil die beiden Italiener nicht dulden, daß ein Boot länger als einen Augenblick an der Insel anlegt.«

»Haben sie denn das Recht, Euch zu vertreiben?«

»Gar nicht. Aber sie sind gewaltthätig.«

»So werden wir uns arrangiren müssen.«

»Sie brauchen mir nur zu sagen, wann Sie zurückwollen, so hole ich Sie ab.«

»Gut. Also vorwärts.«

Da es Fluthzeit war und die Wogen in die Bucht hereingetrieben wurden, so legte das Boot die Strecke bis Miramare sehr schnell zurück. Es ging in einiger Entfernung von dem Schlosse vorbei und näherte sich dann der Küste.

»Da lag die kleine Insel, ganz so, wie der Kommissionär sie beschrieben hatte – eine Viertelstunde lang, halb so schmal, ganz eben, mit einigen Felsenstücken und Sträuchern. Das war Alles.

Grad auf dem Mittelpunkte der Insel stand eine kleine, aus Erdwänden und einem Bretterdache bestehende Hütte. Kein Mensch war zu sehen. Aber als das Boot dem Ufer nahe war, traten zwei Bursche aus der Hütte.

»Das sind die Petruccio's,« sagte der Schiffer. »Besinnen Sie sich lieber noch, ob Sie wirklich aussteigen wollen!«

»Natürlich!« sagte Sepp. »Sie sind Zwei und wir Vier.«

»Das thut nichts. Sie sind hinterlistig.«

»Und wir sind hinten und auch vorn listig, ihnen also überlegen.«

»So steigen Sie schnell aus, sonst lassen sie Sie nicht an das Land. Ich muß aber gleich wieder fort. Wann soll ich wiederkommen?«

»Ich muß Punkt drei Uhr auf dem Bahnhofe sein.«

»So bin ich halb drei Uhr hier.«

Er ließ das Segel fallen. Das Boot schoß in einer kleinen, schmalen Bucht an den Strand. Die vier Männer stiegen aus. Da aber kamen die zwei Brüder unter lautem Geschrei herbei gerannt.

»Fort, fort!« brüllten sie. »Was wollt Ihr hier! Fort, fort mit Euch!«

Als der Schiffer schnell wieder vom Lande abstieß und seine Fahrgäste dort zurückließ, warfen sie mit Steinen nach ihm und riefen ihm schreckliche Drohungen nach. Da dies vergeblich war, kamen sie herbei und musterten die Vier mit zornigen Blicken.

»Wer seid Ihr?« fragte der Eine.

Da antwortete der Sepp:

»Zunächst wollen wir wissen, wer Ihr seid.«

»Oho! Uns gehört die Insel!«

»Das ist nicht wahr.«

Da legte der Mensch die Hand an das Messer, welches er im Hasenbunde trug und sagte:

»Wer mich einen Lügner nennt, den steche ich nieder!«

»Versuche das ja nicht, denn auch wir haben Messer.«

»Was wollt Ihr denn hier?«

»Angeln.«

»Das leiden wir nicht.«

»Pah!«

»Es ist verboten, hier zu angeln.«

»Wer hat es verboten?«

»Wir.«

»Ihr habt gar nichts zu gebieten oder zu verbieten.«

»Donnerwetter!« Und das!«

Er griff abermals nach dem Messer.

»Laß es stecken, Bursche! Ich warne Dich!« drohte der Sepp.

Bei diesen Worten machte er Miene, die Stelle zu verlassen. Da aber stellten sich ihm die Zwei in den Weg.

»Halt! Ihr dürft nicht weiter! Ihr bleibt an der Stelle, an welcher Ihr ausgestiegen seid, und wartet da, bis Ihr wieder abgeholt werdet.

Der Sprecher hatte das Messer herausgezogen. Aber er kannte seinen Mann nicht. Im nächsten Augenblick hatte ihn der Alte gepackt und schleuderte ihn über seinen Kopf weg in das Wasser.

»Da, kühl Deinen Zorn ab, wannst gar so hitzig bist!« rief er ihm nach.

» Corpo dit bacco« schrie der andere Bruder. »Das sollst Du büßen!«

Er drang auf den Sepp ein, wurde aber von dem riesenstarken Fex gepackt und seinem Bruder nachgeschickt.

Die Beiden waren sehr gewandte Schwimmer; sie waren schnell wieder aus dem Wasser heraus und machten Miene, aufs Neue gegen die Vier einzudringen. Da aber schwang der Fex das Griffstück seiner Angelruthe und rief:

»Zurück! Wenn Ihr uns den Weg nicht frei gebt, werden wir uns ihn frei machen.«

»Alle Teufel! Sind wir hier die Herren oder Ihr?«

»Weder wir noch Ihr. Euch gehört das Gras, weiter nichts.«

»Aber Ihr tretet es nieder!«

»Hier giebt es keins. Und was wir ja beschädigen sollten, das werden wir Euch vergüten. Nun trollt Euch von dannen, wenn Ihr keine Hiebe haben wollt!«

Die beiden Kerls sahen ein, daß sie gegen diese Uebermacht und das ganz besonders energische Auftreten dieser Leute nichts auszurichten vermochten, und zogen sich zurück. Indem sie langsam der Hütte zugingen, brummte der Eine:

»Verdammte Kerls! Was haben sie hier zu suchen? Hier bei uns zu angeln?«

»Und das muß man sich gefallen lassen!« stimmte der Andere bei. »Wer mögen sie wohl sein?«

»Ob sie etwa einen heimlichen Zweck haben?«

»Hier spioniren wollen?«

»Das sollte ihnen schlecht bekommen!«

»Den Alten habe ich schon geschehen?«

»Wo?«

»Gestern Abend in der Weinstube. Da saß er und las die Zeitung. Es war ihm nicht anzusehen, daß er so auftreten könne wie heut.«

»Was hat er in der Weinstube gewollt?«

»Weiß ich es?«

»War er auch so angezogen wie heut?«

»Ganz genau so.«

»Da paßt er doch nicht in diese Bude!«

»Das fiel auch mir auf. Uebrigens kommen mir zwei von den Jüngern auch bekannt vor.«

»Du meinst, daß Du sie gesehen hast?«

»Ja.«

»Aber wo?«

»Das weiß der Teufel. Wer merkt sich denn die grünen Gesichter solcher Burschen.«

»Hast Recht. Und von solchem Volke muß man sich auch noch ins Wasser werfen lassen!«

»Wären es nur nicht Vier! Dieser alte Baruch Abraham, dem ich gestern sagte – – – ah!«

Er stieß einen leisen Pfiff aus, ganz wie Einer, der sich auf Etwas besinnt.

»Was ists?« fragte der Andere.

»Jetzt fällt mir ein, wo ich die Kerls gesehen habe, nämlich auch in der Weinstube.«

»Saßen sie mit dem Alten beisammen?«

»Nein. Sie saßen beim Juden.«

»So sind es wohl Bekannte von ihm?«

»Nein. Sie sind fremd. Er sagte mir, daß sie ihm ein Bild oder so Etwas abgekauft hätten und nun seinen Wein bezahlten.«

»Da macht er mit, der Geizhals. Man muß befürchten, daß er geplaudert hat, wenn sie ihn etwa betrunken gemacht haben.«

»Hast Du denn, als wir die Mädels holten, bemerkt, daß er betrunken war?«

»Nein.«

»Nun, so hat er auch nicht geplaudert.«

»Aber auffällig ists doch, daß sie nun mit dem Alten beisammen sind.«

»Vielleicht haben sie sich eben gestern Abend noch kennen gelernt. Das ist doch leicht möglich.«

»Mag sein. Aber daß sie nun mit einander hierherkommen, auf unsere Insel!«

»Das gefällt auch mir nicht, grad heut, wo das Geschäft vor sich gehen soll.«

»Und wo gestern diese Anita entflohen ist.«

»Verdammt! Ich beginne gewiß zu glauben, daß sie Etwas gegen uns vor haben.«

»Da sollte sie der Teufel holen. Was mache ich mir daraus, wenn ich ein paar solcher Kerls niederschieße, wenn sie mir gefährlich werden wollen.«

»Ja, auf der Hut müssen wir sein. Und nun, was thun wir? Es muß doch Einer von uns nach der Stadt?«

»Zum Juden?«

»Ja. Wir müssen unbedingt erfahren, ob sich wegen der Anita Etwas ereignet hat.«

»Eine verdammte Geschichte. Das Boot können wir nicht sehen lassen.«

»Nein, sonst merken sie, daß wir es versteckt halten, und schöpfen Verdacht.«

»So müssen wir durch den Gang in den Park.«

»Aber das ist so gefährlich.«

»Freilich. Wie leicht ist Jemand in der Eremitage oder doch in der Nähe.«

»Und doch muß es gewagt werden.«

»Na, jetzt noch nicht gleich. Wir wollen erst abwarten, wie lange diese Hallunken hier bleiben. Schau, es ist wirklich, als ob sie uns von allen Seiten hier einschließen wollten. Der Eine angelt auf der oberen, der Andere auf der unteren Spitze und der Dritte grad in der Mitte, und der Alte geht längs der Küste spazieren, nachdem er sie angestellt hat.«

»Ja, es ist ganz so, als ob er recognosciren gehe. Er begafft sich Alles zu genau.«

»Was thun wir, wenn er herkommt?«

»Wir behandeln ihn so, daß ihm das Reden sogleich vergehen muß. Nicht?«

»Ja. Aber weißt Du, da uns diese Kerls so verdächtig vorkommen, wäre es doch wohl am Allerbesten, gleich jetzt in die Stadt zu gehen und dem Juden die Sache zu melden. Er kennt sie jedenfalls und kann uns sagen, wie wir uns zu verhalten haben.«

»Richtig ist das.«

»Bist Du einverstanden?«

»Ja, besser ists.«

»Gut! Wer also geht?«

»Gehe Du! Ich bleibe hier.«

»Schön! Ein Glück, daß wir noch Hose und Jacke in der Hütte haben, sonst könnte ich mich mit meinen nassen Kleidern nicht in der Stadt sehen lassen. Ich gehe also.«

Er wollte in der Hütte verschwinden. Vorher wurde er von seinem Bruder noch ermahnt:

»Sei in der Eremitage vorsichtig!«

»Das versteht sich ganz von selbst. Und laß hier diesen Kerls nichts merken, daß ich fort bin!«

»Denkst Du, daß ich es ihnen ausplaudere?«

»Das ist gar nicht nöthig. Wenn sie in die Hütte kommen und da blos Einen sehen, so müssen sie Verdacht schöpfen. Sie haben doch den Andern nicht fortrudern sehen. Es ist ja überhaupt gar kein Boot vorhanden.«

»Ich lasse sie natürlich gar nicht herein.«

»Aber wenn sie es erzwingen wollen!«

»So wehre ich mich. Wenn ich mein Hausrecht gebrauche, so kann ich stechen und schießen, wie es mir beliebt. Beeile Dich nur möglichst.«

»Keine Sorge! Ich laufe, so schnell ich kann.«

Er verschwand im Innern der Hütte, und einige Minuten später ließ sich ein eigenthümliches Knarren und Knirschen von dorther vernehmen, genau so, wie wenn harte Steine einander streichen.

Der Andere hatte sich auf einen Stein gesetzt, welcher neben dem Eingange lag. Er zog einen kurzen Pfeifenstummel hervor, stopfte ihn und setzte dann den Tabak in Brand.

Er rauchte behaglich und that ganz so, als ob er sich um gar nichts bekümmere, dennoch aber gab er auf Alles genau Acht.

Vorhin, als der alte Sepp die beiden Italiener abgewiesen hatte und sie sich entfernen sah, warf er einen forschenden Blick rundum.

»Möcht wissen, ob die Höhle hier ist,« sagte er. »Man möcht es fast verneinen.«

»Ja,« antworte Max. »Zu einer Höhle, in welcher so viel Personen versteckt werden können, gehört eigentlich ein anderes Terrain. Wir sind wohl am falschen Orte.«

»Nein, wir sind richtig,« sagte der Fex.

»Warum denkst Du das?«

»Ich sehe es diesen beiden Kerls an.«

»Das täuscht. Sie können sich über die Störung ärgern, ohne daß die Höhle sich grad hier befindet.«

»Und dennoch möchte ich mit wetten, daß ich Recht habe! Ich ahne es.«

»Hm!« meinte der Sepp. »Auf solche Ahnungen geb ich was. Es liegt so in dera Luft.«

»Nicht wahr? Was haben die Kerls hier zu thun? Nichts, gar nichts. Sie sind also da, um die Mädchen zu bewachen.«

»Aber wo stecken diese? Wo ist die Höhle?«

»Der Eingang kann nur an drei Orten sein. Entweder von außen her im hohen Ufer oder – –«

»Nein, da nicht. Das würden auch Andre sehen.«

»Wohl wahr; also fällt das weg. Zweitens kann sie sich nur dort rechts öffnen, wo die paar Felsen beisammen liegen.«

»Und drittens?«

»Im Innern der Hütte kann der Eingang sein.«

»Das Letztere wäre das Wahrscheinlichste.«

»Ich werde einmal diese Hütte untersuchen,« sagte der Sepp.

»Wenn sie Dich hinein lassen!«

»Sie werden doch!«

»Schwerlich.«

»Dadurch würden sie sich verdächtig machen, und das müssen sie vermeiden.«

»Hm! Es giebt ganz gute Gründe, den Eintritt in diese Bude zu verweigern.«

»Werden sehen! Und zu allernächst müssen wir schauen, wo sie ihr Boot haben. Hier sieht man es nicht. Ich werde es suchen.«

»Wie willst Du das anfangen, ohne daß es auffällt?«

»So, daß ich spazieren geh. Aus diesem Grunde hab ich mir kein Angelzeug mitgenommen. Der Fex mag da oben an dera Spitze angeln, der Max ganz unten, und der Hanns bleibt hier in dera Mitte. Weil ich Euch nun doch besuchen muß, kanns gar nicht auffallen, wann ich so an dem Ufer hinlauf.«

Die Drei nahmen ihr Angelzeug und begaben sich an die angewiesenen Plätze.

Der Alte aber begann, immer am Ufer hin zu promeniren, langsamen Schrittes, als ob er in Gedanken versunken sei.

Dabei aber sah er in jede Einbuchtung des Ufers und stampfte auch sehr oft fest mit den Stiefeln auf, um zu hören, ob vielleicht irgend eine Stelle hohl klinge!

So kam er im Verlaufe von einer Stunde zweimal rund um die Insel herum. Dann blieb er beim Fex stehen.

»Hast Du das Boot gesehen?« fragte dieser.

»Nein.«

»So ists nicht da?«

»Es wird schon da sein. Herüber geschwommen sind sie nicht, obgleich die Insel kaum zwanzig Ellen vom Ufer entfernt ist. Das Wasser ist hier zu reißend.«

»So haben sie es versteckt.«

»Jedenfalls.«

»Du, das ist auffällig.«

»Ja. Wo ein heimlicher Platz für das Boot ist, da kann auch die Höhle sein.«

»Ich habe es gleich gedacht. Sie ist hier.«

»Nun giebts aber am Ufer nix mehr zu forschen. Ich werd also mal nach dera Hütten gehen.«

»Fangs nur klug an!«

»Meinst, daß dera Sepp ein Schafskopf ist? Da kannst Dich sehr irren.«

»Und mach möglichst schnell.«

»Hexen läßt sich nix.«

»Aber bedenk, wie mir zu Muthe ist! Ich brenne vor Ungeduld, Paula zu finden, und muß hier stehen und das thun, wozu im ganzen Leben die meiste Geduld erforderlich ist – angeln!«

»Mit Geduld kommt man weiter als mit Ungestüm. Merk Dir das gut!«

Der Alte ging weiter und lenkte dann nach der Hütte ein. Selbst als er derselben ganz und gar nahe war, that der Italiener so, als ob er ihn gar nicht bemerke.

Jetzt stand er vor ihm. Der Kerl aber blickte beharrlich an ihm vorüber.

»Es scheint, hier beißen die Fische nicht gut an,« begann der Sepp das Gespräch.

Der Italiener warf ihm einen finsteren Blick zu und antwortete:

»Ist auch gut so.«

»Hm! Sie gönnen Fremden nichts?«

»Weil sie hier nichts zu suchen haben.«

»Die Welt steht ja Allen offen!«

»Aber diese Insel nicht!«

»Freund, warum sind Sie doch so grob?«

»Und warum sind Sie so zudringlich!«

»Himmeldonnerwetter! Ich dächt, Sie könnten sich freuen, wenn einmal Jemand in Ihre Einsamkeit kommt!«

»Grad weil ich einsam sein und Niemand sehen will, gehe ich hierher.«

»Das ist auch ein Geschmack.«

»Jedenfalls ein guter.«

»Nun, bequem kann es sich in dieser Hütte doch nicht wohnen.«

»Gut genug für uns.«

»Haben Sie nicht mal Wasser zu trinken?«

»Nein.«

Er hatte geglaubt, der Mann werde eintreten, und er könne dann bei dieser Gelegenheit auch mit hinein.

»Oder ein Bier?«

»Gar nichts.«

»Da leben Sie hier sparsam, nicht mal Wasser. Wie aber kommen Sie auf die Insel? Es ist doch kein Boot da?«

»Ich falle aus den Wolken.«

»Auch gut! Hören Sie, Sie gefallen mir. Wollen Sie eine gute Cigarre mit mir rauchen?«

»Nein.«

»Warum denn nicht.«

»Weil ich nicht mag.«

»Aber Sie sind doch Raucher!«

Da stand der Italiener auf, trat hart an den Alten heran und rief erbost:

»Lassen Sie mich in Ruhe! Sie sehen ja, daß ich nichts mit Ihnen zu schaffen haben will!«

»Donnerwetter!« lachte der Sepp. »Das sehe ich freilich; aber Sie sehen doch, daß ich desto mehr mit Ihnen schaffen möchte.«

»Was denn?«

»Eine Unterhaltung.«

»Gehen Sie zu Ihren Leuten dort. Bei mir kommen Sie aber nicht an.«

»Na, na! So ein Mensch ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen!«

»Wie Sie mir auch noch nicht.«

»Vielleicht wären Sie froh, daß ich mit Ihnen rede, wenn Sie wüßten, wer ich bin!«

»Ich mag es nicht wissen! Und nun bleiben Sie mir vom Leibe, sonst kann Etwas passiren.«

»Was denn?«

»Ich schaffe Sie fort!«

»Das würde Ihnen nicht leicht werden.«

»Oho!«

Dem Sepp fiel es auf, daß der andere Bruder nicht herauskam. Sollte sich dieser in der Höhle befinden und also den Wortwechsel nicht hören? Um sich davon zu überzeugen, beschloß der Sepp, den Mann möglichst in Zorn zu bringen. Darum sagte er lachend:

»Nun, wenn Sie meinen, daß wir uns fürchten, so haben wir Ihnen bereits das Gegentheil bewiesen. Wir haben Sie alle Beide in das Wasser geworfen.«

»Uebermacht!«

»Aber jetzt bin ich allein, Ihnen allein gegenüber. Und wenn Sie nicht höflicher werden, so werde ich Ihnen gute Sitte lehren.«

Da ballte der Italiener die Fäuste.

»Hund, das mir!« brüllte er.

»Ja, Dir!«

»Da hast Du das dafür!«

Er sprang auf den Sepp ein und faßte ihn bei der Gurgel. Dieser aber gab ihm einen so gewaltigen Stoß vor die Brust, daß er zurücktaumelte und an die Wand flog.

Dennoch aber warf er sich wieder auf den Alten. Sepp aber holte weit aus und versetzte ihm einen Hieb auf den Kopf, daß der Mann zusammenbrach. Er war besinnungslos.

Sepp trat sofort ein.

Das Innere der Hütte bildete nur einen einigen Raum. Der Boden war erdig; es stand da nichts. An den Wänden hingen einige Gegenstände, auch zwei Pistolen.

Schnell zog Sepp den Krätzer heraus und entlud die Waffen, steckte aber den Pfropfen wieder auf.

Dann that er einige kräftige, feste Tritte. An einer der Stellen klang der Boden hohl.

Jetzt bewegte sich draußen der Mann. Sepp trat sofort wieder hinaus. Der Italiener öffnete langsam die Augen und blickte um sich, als ob er aus dem Schlafe erwache.

»Nun, war die Lehre gut?« fragte Sepp.

Da kam dein Andern die Besinnung vollständig wieder. Er sprang in die Hütte und kehrte mit der Pistole wieder. Sepp hielt die Hand in die Tasche.

»Hund.« schrie Petruccio, »soll ich Dich niederschießen wie ein Aas!«

Da zog Sepp die Hand aus der Tasche. Er hatte einen Revolver in derselben.

»Versuche es einmal!« lachte er.

Der Italiener ließ die Waffe sinken.

»Verflucht!« zischte er. »Seid Ihr denn Räuber, daß Ihr mit Revolvern zu uns kommt?«

»Na, Deinetwegen habe ich ihn nicht eingesteckt. Vor Dir braucht man sich ja nicht zu fürchten. Pah!«

Er machte eine sehr geringschätzende Handbewegung und ging. Der Andere schaute ihm flammenden Blickes nach.

Der Alte begann seinen Rundgang von Neuem, so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei. Als er beim Fex anlangte, sagte dieser:

»Du hattest doch gar Keilerei!«

»Mit Fleiß und Absicht.«

»Warum?«

»Ich wollt schauen, ob dera andere Bruder herausikommen werde.«

»Und er kam nicht!«

»Nein; er konnt ja gar nicht.«

»Er ist ja drinnen in der Hütte.«

»Nein; er war nicht drin.«

»Was! Nicht drin?«

»Nein.«

»Alle Teufel! Das ist auffällig!«

»Nicht wahr! Hast ihn etwan fortgehen sehen?«

»Nein. Er ist nicht aus der Hütte herausgekommen.«

»Und doch ist er nicht drin. Was folgt daraus?«

»Daß die Hütte einen verborgenen Ausgang hat.«

»Und dieser Ausgang ist zugleich dera Eingang in die Höhle.«

»So haben wir sie! Wir haben sie! O, nun ist ja Alles gut. Jetzt müssen wir gleich hinein!«

»Nicht so schnell! Wir müssen noch warten.«

»Warum?«

»Wir wissen nicht, was der Andre in dera Höhlen thut. Wir könnten Alles verderben.«

»Das ist wahr.«

»Darum müssen wir warten, bis der Andre auch wieder da ist. Dann nehmen wir sie Beide fest. Angle nur fort!«

»Gott, noch länger angeln!«

»Es muß sein!«

Mit diesem Troste ging er weiter.

Der Italiener hatte sich wieder auf den Stein gesetzt. Er lauschte in das Innere der Hütte hinein. Es war seit dem Fortgange seines Bruders so viel Zeit verschwunden, daß dieser bald wiederkommen mußte.

Und wirklich, jetzt erscholl jenes Rasseln und Knirrschen abermals.

»Ist Etwas passirt?« fragte es drinnen.

»Nein. Bleib drin! Laß Dich nicht sehen.«

»Warum?«

»Geschehen ist grab nichts, außer daß ich mich mit dem Alten gebalgt

habe – –«

»Donnerwetter!«

»Und daß ich die Entdeckung machte, daß er einen Revolver bei sich hat.«

»Ah! Das ist verdächtig!«

»Und weiter! Ich packte ihn bei der Gurgel. Da sah ich etwas Gelbes in seiner äußern Rocktasche blinken. Rathe, was es war!«

»Wie kann ich das wissen!«

»Ja, Du kannst es nicht errathen. Ich konnte zwar nur die obere Haube sehen, aber ein Irrthum ist nicht möglich. Er hat eine Blendlaterne in der Tasche.

»Alle Teufel! Wozu?«

»Das beantworte Dir selbst!«

»Blendlaterne, Revolver!«

»Er wollte in die Hütte. Darum kamen wir ins Handgemenge mit einander.«

»Das ist stark! Du, ich habe Verdacht.«

»Ich auch.«

»Die Kerls wollen uns an den Kragen.«

»Jedenfalls.«

»Was thun wir da?«

»Wir müssen erst wissen, wie es in der Stadt steht.«

»Sehr gut. Es steht sogar so gut, daß Baruch Abraham verreist ist.«

»Heut? Wirklich?«

»Ja. Er hat sogar seine Frau mitgenommen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Heut, wo die Mädchens abgeliefert werden und er ein solches Geld ausgezahlt erhält, fällt es ihm ganz gewiß nicht ein, zu verreisen.«

»Grad des Geldes wegen ist er fort.«

»Wieso?«

»Er hat drüben in der italienischen Tombola gewonnen, wohl an die dreißigtausend Lire.«

»Maria, Josef! Ists wahr?«

»Ja. Sein Vetter hat es mir gesagt.«

»Welcher Vetter? Derselbe, der ihm die Nachricht gebracht hat. Er vertritt ihn heut im Geschäft.«

»Ein Glückspilz!«

»Ja. Er ist zu beneiden.«

»Was aber thun wir hier?«

»Er läßt uns sagen, daß er nicht wisse, ob er bis zur richtigen Zeit da sein werde. Wenn er nicht komme, sollen wir die Angelegenheit ohne ihn abwickeln.«

»Wird das gehen?«

»Warum nicht? Wir sind so viele Male dabei gewesen. Wir wissen ja Alles.«

»Das ist wahr. Und wir können uns einige hundert Gulden in die Tasche machen.«

»Natürlich! Nun aber kommen grad diese Kerls hier drein. Ich könnte sie ermorden!«

»Gewiß haben sie Absicht!«

»Natürlich! Sie haben ja Alles bei sich, was nothwendig ist, um hinter unser Geheimniß zu kommen. Ich bin überzeugt, daß sie einen Angriff gegen uns vorhaben.«

»Doch nicht.«

»Ganz gewiß!«

»So wehren wir uns!«

»Gegen eine solche Uebermacht?«

»Ja.«

»Das ist sehr leicht gesagt. Sie sind Vier gegen uns Zwei. Sie können ganz unvorbereitet über uns herfallen.«

»Hm! Das müssen wir verhüten.«

»Natürlich!«

»Ich möchte nur wissen, wer sie sind und wie sie uns auf die Spur gekommen sind.«

»Ob es von der Anita herkommt?«

»Du, das ist sehr wahrscheinlich. Sie wird von der Höhle wissen.«

»Donnerwetter! Was thun wir da?«

»Ich laufe wieder fort.«

»Wohin?«

»Ich hole Hilfe.«

»Werden die Andern frei sein?«

»Ich hoffe es.«

»Gut, so lauf und hole sie! Es wird mir wirklich angst und bange.«

Im Innern knarrte es abermals.

Es verging eine Zeit, da wiederholte sich dieses Knarren, und drin rief es heftig:

»Luizi, bist Du da?«

»Komm schnell herein!«

»Was giebts!«

»Ich bin gesehen worden.«

»Alle Teufel!«

»Ja, grad als ich in die Eremitage trat.«

»Grad an der schlimmsten Stelle. Nun ists verrathen!«

»Nein, denn ich habe den Kerl.«

»Was? Du hast ihn?«

»Ja, ich habe ihn. Er war so dumm, in den Gang zu treten. Nun Ist er gefangen.«

»So mag es gehen. War nur dieser Eine da?«

»Ja.«

»Kannt er Dich?«

»Nein. Er ist ein Fremder.«

»Steckt er in der Grube?«

»Ja.«

»Nun, so brauchst Du ja nur an den Stricken zu ziehen, so ist er gefesselt.«

»Ich habe es nicht fertig gebracht.«

»Was! Nicht fertig? Ist der Kerl denn gar so stark?«

»Stark wie ein Bär.«

»So muß ich freilich mit.«

»Komm schnell!«

Der Andere trat nun auch in die Hütte. Jetzt fehlte der vierte Theil des Bodens derselben. Er hing wie eine Thür nach unten, und man sah eine Leiter, welche in ein tiefes Loch führte.

Triest liegt am Karst, einem Gebirge, welches durch seine außerordentlich vielen Höhlungen berühmt ist. Die Insel war der Ausgang einer solchen, und das war von früheren Besitzern derselben geschickt benutzt worden.

Als die Beiden auf der Leiter standen, hoben sie den Bodentheil wieder empor und schoben einen Riegel vor. Die Fallthür bestand aus Holz, auf welches mittelst eines haltbaren Bindemittels Erde zwei Fuß hoch befestigt war.

Die Beiden stiegen weit hinab. Dann kamen sie in einen engen, niedrigen, wagerechten Gang. Als sie denselben im Dunkel verfolgten, war über ihnen ein eigenthümliches Rauschen zu vernehmen.

Das war das Meer, das Wasser des Seearmes, welcher die Insel von dem Ufer trennte. Der Gang führte unter demselben hin.

Nach einiger Zeit wurde es hell vor ihnen. Der Gang erweiterte sich zu einem hohen Felsenspalt, welcher durch eine Lampe erleuchtet war.

Hier gab es mehrere Thüren, welche durch starke, eiserne Riegel verschlossen waren. Man hörte hinter ihnen laute, lachende Mädchenstimmen erschallen.

Die Beiden eilten weiter. Es wurde wieder finster. Bald führten Stufen empor, dann ging es wieder oben fort. Jetzt blieb der Vordere stehen und flüsterte:

»Hörst Du ihn?«

Es war ein seufzendes Stöhnen zu vernehmen, wie wenn ein Mensch sich an einer großen Anstrengung vergeblich abquält.

»Ja,« antwortete der Andere. »Er will sich von den Stricken losmachen.«

»Was thun wir?«

»Hm! Machen wir ihn kalt?«

»Eigentlich wäre es wohl das Beste.«

»Aber wir wissen nicht, wer er ist.«

»Wie war er gekleidet?«

»Sehr fein.«

»Vielleicht ließ sich ein Lösegeld herausschlagen. Meinst Du nicht auch?«

»Vielleicht. Aber es ist besser, er wird stumm gemacht. Wenn wir ihn gegen ein Lösegeld frei lassen, kann er unser Geheimniß verrathen.«

»Er muß schwören, zu schweigen.«

»Weißt Du nicht, daß so ein Schwur nichts gilt? Er ist erzwungen.«

»Hm! Wollen es uns wenigstens überlegen.«

»Aber wohin stecken wir ihn? Es giebt ja keinen Platz. Es ist Alles besetzt«

»Das ist wahr. Wir müßten ihn zu der bayrischen Müllerstochter thun, welche in Fesseln liegt.«

»Das möchte ich nicht riskiren?«

»Warum denn nicht?«

»Sie reden doch mit einander.«

»Was schadet das?«

»Dadurch kann ja Alles verrathen werden.«

»Pah! Das Mädchen kommt heut auf das Schiff. Drüben mag sie reden. Niemand wird es ihr glauben.«

»Das mag sein. Also wollen ihn zu ihr stecken. Wenn dann heut Nacht das Mädchen fort ist, so machen wir uns über ihn her.«

Sie gingen noch einige Schritte weiter. Das angestrengte Athmen und Schnaufen wurde deutlicher. Der eine Petruccio sagte laut:

»Streng Dich nicht an! Diese Stricke zerreißest Du doch nicht.«

Es wurde still.

»Wer bist Du denn eigentlich?« fuhr er fort.

Er erhielt keine Antwort.

»Wer Du bist, habe ich gefragt!«

»Abermaliges Schweigen.«

»Du, er wird doch nicht etwa erwürgt sein!« meinte der andere Bruder.

»So wär es auch weiter nichts.«

»Ziehen wir ihn heraus!«

»Ja, komm!«

Da, wo sie standen, hatte der Gang eine Seitennische, in welcher eine Art Göpelwerk stand. Allerdings konnte man es in dieser Dunkelheit nicht sehen. Die Beiden drehten an demselben, und bald lag ein langer Gegenstand vor ihnen.

Der Eine betastete denselben.

»Lebt er?« fragte der Andre.

»Ja.«

»Warum redet er nicht?«

»Entweder ist er zu stolz oder zu dumm dazu. Eins von diesen Beiden ists.«

Der Sprecher gab dem vor ihm liegenden Körper einen Stoß und gebot:

»Kerl, wenn Du noch lebst, so rede!«

Es erfolgte keine Antwort.

»Der Hallunke will nicht reden! Na, er hat es ja auch gar nicht nothwendig. Wir brauchen seine süße Stimme nicht zu hören. Aber sehen wollen wir, ob er laufen kann. Ich werde ihm den Strick von den Beinen nehmen. Dann brauchen wir ihn nicht zu tragen.«

Er knotete den Strick auf und sagte dann:

»Steh auf, sonst helfe ich nach.«

Die Gestalt richtete sich auf. Sie war bedeutend länger als der Italiener. Dieser fühlte es, da er die Stricke gepackt hielt, welche dem Verunglückten um Leib, Arme und Oberbeine geschlungen waren.

»Nun lauf!« gebot er und stieß ihn fort. Der Mann konnte nur sehr kleine Schritte machen, da nur seine Unterschenkel beweglich waren. Es dauerte einige Minuten, bis der Italiener anhielt. Einige schwere Riegel klirrten; eine Thür wurde geöffnet. Der Mann empfing einen Stoß und stürzte in ein finsteres Gelaß, auf dumpfiges Stroh. Hinter ihm wurde die Thür wieder verriegelt.

Draußen verklangen die Schritte. Dann war es still ringsum. Doch nein!

Der Mann lauschte. Es war ihm, als ob er regelmäßige Athemzüge höre.

»Ist Jemand hier?« fragte er.

Seine Stimme war sonor und klangvoll.

»Ja,« antwortete eine weibliche Kehle.

»Ah, eine Dame. Sind Sie Frau oder Mädchen?«

»Ich bin ein Dirndl.«

»Ein Dirndl! Sind Sie allein hier?«

»Ganz allein.«

»Wohl etwa auch gefesselt?«

»Ja, an die Wand gebunden.«

»Wissen Sie, wo Sie sich befinden?«

»Nein.«

»Und wer Sie gefangen hält?«

»Auch nicht.«

»Wie find Sie denn hereingekommen?«

»Ich hab mich halt in Wien nach Triest vermiethet. Wir waren mehrere Dirndls aus allen Gegenden und kamen mit dem Zug hier an. Dann wurden wir aus der Stadt geführt und in Boote geladen. Wir bekamen Etwas zu trinken, wovon ich die Besinnung verlor. Als ich erwachte, war ich in einer unterirdischen Stube.«

»Das klingt wie aus der Zeit des Mittelalters.«

»Aberst es ist halt wahr.«

»Gewiß! Das sehe oder vielmehr das fühle ich an mir! Es ist wie ein Traum. Sind noch mehrere solcher Zellen hier?«

»Ja. Das sind Straflöchern. Sonst aberst sind die Dirndls in größern Stuben einquartirt.«

»Auch unterirdisch?«

»Ja.«

»Was sind denn das für Dirndls, von denen Sie da sprechen?«

»Lauter Dienstboten. Wir sollen halt nach Amerika, nach Californien schafft werden.«

»Ah! Entsetzlich! Jetzt weiß ich, mit welchen Leuten ich es zu thun habe.«

»Wie sind denn Sie hereinikommen?«

»Ich habe ganz zufällig den verborgenen Eingang zu diesen unterirdischen Gemächern gefunden. Ich trat hinein und ahnte nicht, daß eine Sicherheitsvorrichtung vorhanden sei. Nach wenigen Schritten wich der Fußboden unter mir und Stricke schlangen sich ganz von selbst um meinen Leib und meine Glieder. Dann wurde ich aus der Vertiefung gezogen und hier herein geworfen.«

»Herrgottle! So gehörens also gar nicht herein?«

»Ebenso wenig wie Sie.«

Dann nehmens sich in Acht! Wanns ohne Erlaubniß kommen sind, kanns leicht um Ihr Leben gehen.«

»Das befürchte ich doch nicht.«

»O, die Menschen, mit denen wir's hier zu thun haben, die kennen halt keine Gnad und kein Derbarmen.«

»Warum hat man Sie in diese Strafzelle gethan?«

»Weil ich nicht gehorchen will.«

»Ah! Man will Ihren Willen brechen.«

»Ja. Ich hab' halt schon bereits einige Tag nix zu essen und zu trinken bekommen.«

»Mein Gott! So müssen Sie doch fast verschmachtet sein.«

»Es wird halt nicht mehr lange dauern, so ist's aus mit dem Reden. Die Zung klebt mir schon am Gaumen.«

»So kann ich Sie vielleicht erquicken.«

»Habens was zu trinken mit?«

»Einige Schlucke Wein in der kleinen Feldflasche. Aber ich kann nicht dazu, denn mir sind die Arme gefesselt.«

»Ja, wanns herkommen könnten, dann wär's vielleicht möglich, daß ich Ihnen die Stricken aufknüpfen könnt.«

»Was? Ich denke, Sie sind auch gefesselt.«

»Ja, aberst nicht so wie Sie. Ich kann die Arme lang bewegen.«

»Dann ist es freilich möglich, daß Sie mir die Stricke lösen können. Daran haben diese Menschen nicht gedacht.«

»Aberst ob's auch herkommen können?«

»Es wird gehen. Laufen kann ich freilich nicht; aber ich komme schon noch hin.«

Nach einiger Anstrengung saß er neben dem Mädchen auf dem Stroh und ihre Hände beschäftigten sich mit seinen Stricken. Er fühlte, da sie ja seine Hände berühren mußte, ihre Finger heiß glühen. Ihre Gestalt zitterte. Sie hatte das Fieber des Durstes.

»Nehmen Sie sich Zeit,« sagte er. »Ich denke nicht, daß wir gestört werden.«

»Das kann man halt nicht wissen.«

»Gelingt es Ihnen, mich von den Fesseln zu befreien, so bin ich gerettet und Sie sind es mit mir.«

»Meinens? Mich kann Niemand retten.«

»Warum?«

»Weil wir alle schon heut Abend auf das Schiff kommen.«

»Heut? Ich erschrecke!«

»Ja, das ist mein letzter Tag in dera Welt.«

»Gott behüte!« sagte er erschrocken.

»Ja. Mich bringens nicht auf's Schiff, sondern ich stürz mich in's Wassern. Ich mag die Schand nicht derleben, die mir da drüben bevorstehen thut.«

»Mein Kind, Gott ist allmächtig! Den Tod darf man sich nicht geben.«

»So soll ich die Schand überleben? Das könnens mir unmöglich rathen.«

Er schwieg. Was hätte er sagen sollen? Erst nach einer Weile wiederholte er:

»Machen Sie mich von den Fesseln frei, so rette ich auch Sie.«

»Das könnens nicht. Mein Schicksal ist besiegelt. Aber wanns frei kommen, so könnens mir einen großen Gefallen derweisen.«

»Gern, sehr gern.«

»Wanns nicht bös von mir denken, so will ich's sagen, was ich gern haben möcht.«

»Sagen Sie es getrost!«

»Ich hab einen sehr guten, lieben, alten Freunden, der weiß nimmer, wo ich bin und hat mich doch stets so lieb habt. Ich bin von zu Haus verschwunden wie ein Tröpfle, was vom Baume fällt. Kein Mensch weiß, wo ich bin. Ich weiß, daß heut mein letzter Tag ist. Morgen bin ich todt. Da sollens meinem Freund einen Gruß von mir schicken.«

Sie sagte das halblaut, langsam und unter Thränen. Ihre ganze Gestalt fieberte.

»Sie werden gerettet werden,« tröstete er:

»O nein, o nein!«

»Nun, auch das Schlimmste angenommen, so soll Ihr Freund den Gruß erhalten.«

»Ist's wahr?«

»Ja, gewiß. Wer ist er denn?«

»Kommens vielleicht mal in's Bayern hinein?«

»Ja,« antwortete er. »Sie sind eine Bayerin, wie ich an Ihrer Sprache höre?«

»Ja, ich bin ein Landskind von unserm guten König Ludwig. Wann's mal dahin kommen, so werden's auch von meinem Freund hören. Er ist überall bekannt.«

»Wie heißt er denn? Uebrigens ist es mir, als ob ich Ihre Stimme schon einmal gehört hätte.«

»Da werdens sich wohl täuschen. Also dieser Freund wird allüberall dera Wurzelsepp genannt –«

»Wie! Den kennen Sie, den?«

»Ja. Habens ihn auch schon mal sehen?«

»Ja, sehr oft.«

»Das ist schön. Da wird auch mein Gruß ausgerichtet werden. Sagens ihm – sagens ihm –«

Sie hielt inne. Der Schmerz übermannte sie. Da nahm sie sich zusammen und fuhr fort, aber stockend und unter Schluchzen:

»Sagens ihm, daß ich von daheim fortgangen bin, weil ich meinem Vatern seine Schand' nicht mit hab' ansehen könnt, daß Sie mich hier – hier troffen haben und daß ich heut – heut sterben werd', weil ich auch meine Schand nicht – nicht sehen will.«

»Kind, Kind, verzweifeln Sie nicht! Der Herrgott lebt ja noch!«

»Ja, der lebt. Ich hab' zu ihm betet Tag und Nacht, aber er hat mir keine Hilfe geben. Es ist sein Will', daß ich sterben soll und es ist wohl auch am Besten so.«

»Wie alt sind Sie denn?«

»Grad zwanzig Jahre.«

»Und in dieser Jugend haben Sie schon solche Erfahrungen gemacht, steht Ihnen ein solches Verhängniß bevor!«

»Ich mag nicht klagen.«

»Wo sind Sie her und wie heißen Sie?«

»Seiens mir nicht bös, wann ich das lieber nicht sagen möcht. Dera Sepp wird schon wissen, von wem der Gruß kommt. Und nachhera wird er auch zu ihm gehen, zu ihm – Herrgottle, ja zu ihm, und wird ihm sagen, daß ich ihn so lieb 'habt hab', so gar sehr lieb – daß ich ihm treu blieben bin bis – bis – bis zum Tod im Wasser drin. Er ist so gern im Wasser gewest und wird wohl nicht dacht haben, daß ich mal darin sterben muß.«

Es trat eine Pause ein, während welcher das bitterliche Weinen des Mädchens zu hören war. Dann fragte er:

»Von wem sprechen Sie denn?«

»Den kennens wohl nicht. Er ist ein armer Zigeunerbub gewest, aber der gute König Ludwig hat sich seiner angenommen und was Tüchtiges aus ihm macht. Dera Sepp weiß schon, wen ich meine.«

»Mein Himmel! Meinen Sie den Fex?«

Einen Moment war sie wie erstarrt. Dann erklang es jubelnd:

»Der Fex, der Fex! Kennens auch ihn?«

»Sehr gut. Und er war Ihr Geliebter?«

»Ja. Ich aber bin fort von daheim, weil er mich nicht mehr anschauen soll.«

»So find Sie Paula Kellermann, die Tochter des Thalmüllers in Scheibenbad?«

»Was! Auch mich kennens, auch mich?«

»Natürlich, natürlich kenne ich auch Sie!«

»Woher denn eigentlich? Wo habens mich sehen?«

»Bei sich selbst, in der Mühle, in –«

Er hielt inne und fuhr nachher fort:

»Können Sie sich des Concertes erinnern, welches der Fex mit der Leni im Theater gab?«

»Natürlich weiß ich's noch!«

»Sie waren auch da und da hab' ich Sie gesehen.«

»Herrgott, was das für eine Freud noch ist an diesem letzten Tag! Sie kennen den Sepp, den Fex und auch mich. Sogar die Leni!«

»Ja, ich kenne Euch alle so gut, daß – daß ich Sie bitte, jetzt ja Alles anzuwenden, um mich von meinen Fesseln zu befreien.«

»Das will ich: das will ich!«

Sie machte sich mit doppeltem Eifer darüber her. Dabei sagte er:

»Ich will Ihnen noch etwas Froheres mittheilen, Paula. Nämlich der Sepp ist hier in Triest.«

»Was? Wie? Der Sepp?«

»Ja, er und noch Mehrere, die Sie kennen, der Elephantenhanns, die Silbermartha, der Lehrer Walther aus Hohenwald.«

»Die – die – die Alle? O, wann die es wüßten, wo ich mich befinden thu'.«

»Und sodann ist auch noch – erschrecken Sie nicht – der Fex da, Ihr guter Fex.«

»Der – der – der Fex – –« stammelte sie wie ein Kind, welches lautiren lernt.

»Ja, er ist auch hier.«

»Wissens das sehr genau?«

»Ja. Ich bin mit ihm gefahren; er hat mich aber nicht gesehen, da ich ein Coupe allein hatte. Man erwartet mich erst Nachmittags drei Uhr.«

»Der – der – der Fex ist da!« wiederholte sie und dann fügte sie wie im Traume hinzu:

»Da wollt ich, das Wasser thät meine Leich' an's Ufer schwemmen und er käm vorbei und thät mich sehen. Dann thät er wohl bei mir niederknien und ein Vaterunser beten. Wie schön, wann es so kommen könnt!«

»Paula, schweigen Sie! Das kann ich nicht mit anhören. Nun ich weih, wer Sie sind, verspreche ich Ihnen, daß Sie frei sein werden.«

»Das könnens nicht versprechen.«

»O ja, gewiß.«

»Nein,, nein!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort und das habe ich noch nie gebrochen. Nur erst die Stricke los!«

»Ich arbeit immer; aberst meine Fingern sind so schwach und zitternd worden. Da, da ist ein Knoten aufi, und nun habens die rechte Hand frei.« Jetzt könnens selbst mit helfen.«

Das geschah und nach wenigen Minuten war er seine Fesseln los.

»Jetzt werde ich Sie losschneiden,« sagte er.

»Habens denn ein Messern?«

»Ja. Man hat mir nichts abgenommen, wie ich Ihnen bereitgesagt habe.«

Er zog das Messer hervor und schnitt die Stricke entzwei, ohne sich vorher die Mühe zu geben, sie aufzuknüpfen.

»So, jetzt sind Sie frei, Paula,« sagte er in mildem, wohlwollendem Tone. »Und nun sollen Sie auch trinken. Ich habe mir Schloß Miramare und Umgebung angesehen und nahm mir die Feldflasche voll Wein mit, weil ich nicht Gast sein wollte. Er wird Sie erquicken.«

Er gab ihr die Flasche hin und sie führte sie mit zitternden Händen an ihre Lippen. Sie trank nur zwei kleine Schlucke, aber sie fühlte sofort neue Kraft und neues Leben durch ihre Adern rollen.

»Hat es wohlgethan?« fragte er.

»Ja,« gestand sie. »Ich bin wie neugeboren.«

»Nun, das soll auch ein Tag der Neugeburt Ihres Glückes werden. Ich hoffe zuversichtlich, daß Sie den Fex heut noch sehen werden.«

»O nein, nein! Das darf nicht sein!« wehrte sie ab.

»Warum?«

»Er und ich, wir müssen uns meiden.«

»Dazu giebt's doch gar keinen Grund.«

»O, einen großen.«

»Welchen denn?«

»Wir passen nimmer zusammen. Er wird ein berühmter Mann sein und ich bin die Tochter eines – eines – – Sie wissen es vielleicht.«

»Ja, ich weiß es. Aber es ist ein hartes Wort, daß Gott die Sünden der Väter heimsuche an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. Gott ist die Liebe und die Barmherzigkeit. Er wird Ihnen nicht die Last Ihres Vaters aufbürden.«

»Und dennoch, ich darf den Fex nicht sehen. Aber den Sepp möcht ich mal schauen.«

»Wenn es zu ermöglichen ist, sollen Sie ihn sehen.«

Der Wein hatte neuen Lebensmuth, in ihr angefacht. Darum wagte sie die Frage:

»Und Sie meinen in Wirklichkeit, daß ich noch gerettet werden kann?«

»Sie und alle anderen Mädchen.«

»Wer aber sollt uns retten?«

»Ich. Ich werde mit diesen Verbrechern ein ernstes Wort reden, wenn sie nämlich noch zur rechten Zeit zu mir kommen.«

»O, das hilft nix. Sie hören auf Niemand.«

»Auf mich aber jedenfalls.«

»So sind's wohl ein Polizist oder so ein ähnlicher Herr vom Gericht?«

»Ja, ich gehöre zu diesen Beamten.«

»So mags dera Herrgott geben, daß es gelingen thut.«

»Ich denke, daß sie sich nicht mehr an uns vergreifen werden. Auf keinen Fall aber werde ich mich wieder fesseln lasten.«

»So werdens halt kämpfen müssen.«

»Hoffentlich entgehe ich der Schande, mit solchen Geschöpfen wieder in körperliche Berührung zu kommen.«

Die Zelle war nicht allzuklein. Sie erlaubte einen Gang von einigen Schritten zu machen. Er benutzte das, indem er langsam hin und her ging. Paula saß in ihrer Ecke, nippte zuweilen von dem Weine und beantwortete die Fragen, welche er an sie richtete.

So verging die Zeit. Er ließ seine Uhr repetiren – denn auch diese hatte man ihm gelassen. Sie zeigte fünf Uhr an.

Da waren draußen Schritte zu vernehmen. Es schienen dieses Mal mehr als zwei Personen draußen zu sein. Der Riegel wurde weggeschoben und die Thür geöffnet. Derjenige, welcher vorn stand, hielt eine Blendlaterne so, daß das Licht derselben nur in die Zelle fiel; er selbst und Diejenigen, welche hinter ihm standen, befanden sich im Dunkel.

Die hohe Gestalt des Gefangenen wurde vom Kopf bis zum Fuße hell beleuchtet. Aller Augen fielen auf ihn.

»Kennt Ihr mich?« fragte er, einen Schritt vortretend.

»Donnerwetter! Er hat sich frei gemacht!« fluchte der Laternenträger.

»Ob Ihr mich kennt?« wiederholte der Gefangene.

»Alle Teufel – alle Wetter – Kreuzhimmel –!« so ertönten die Flüche durch einander.

»Die Thür zu!« brüllte eine Stimme.

Zu gleicher Zeit warf Derjenige, welcher das gesprochen hatte, die Thür in's Schloß.

»Kennt Ihr ihn? Habt Ihr ihn gesehen? Ist er es auch wirklich?« gingen die Fragen hin und her.

»Zurück! Geht hier fort! Er hört drin, was außen gesprochen wird. Wir müssen berathen.«

Sie zogen sich zu einer kurzen Konferenz zurück, von welcher jedenfalls das Leben des Gefangenen abhing. –

Gegen halb drei Uhr war der Bootsmann seinem Versprechen gemäß gekommen und hatte den Sepp abgeholt. Dieser sagte, daß er den König empfangen und in das Hotel begleiten werde, um dessen Befehle entgegen zu nehmen. Dann werde er wiederkommen.

Als das Boot verschwunden war, befanden sich nur noch die drei Jünglinge auf der Insel. Sie hatten nicht die Geduld des alten Sepp. Besonders brannte der Fex vor Begierde, die Geliebte frei zu sehen.

Sie konnten unmöglich die ganze Zeit bis zu des Alten Rückkehr thatenlos verbringen. Der Fex war der Erste, der seinen Angelplatz verließ. Er hatte nichts, gar nichts gefangen und ging zu Hanns. Max wurde herbei gewinkt.

»Hört,« sagte der Fex. »Was habt Ihr für Meinung? Wollen wir wirklich warten, bis der Sepp zurückkehrt?«

»Ich dächte.« antwortete Max.

»Ja, Du kannst gut denken. Du hast Deine Braut nicht in der Höhle!«

»Man darf nicht unvorsichtig sein!«

»Eine sehr weise Regel. Aber mit Regeln bringe ich Paula nicht frei. Wann meint Ihr wohl, daß der Sepp zurückkehren wird?«

»Er wird sich sicher sputen.«

»Ja. Das heißt, der König kommt drei Uhr und ist halb vier Uhr im Hotel. Bis vier Uhr muß der Sepp berichten; dann geht's vielleicht spaziere; es giebt unvorhergesehene Störungen und wir können heut Abend zehn Uhr grad noch so dastehen wie jetzt.«

»Hm! Möglich ist's. Man weiß ja gar nicht, was der König hier will. Vielleicht kann Sepp gar nicht wieder fort von ihm.«

»Mit dieser Eventualität müssen wir rechnen. Ich werde nicht warten, bis es dunkel ist, wo man nichts mehr sehen kann. Ich erkläre Euch, daß ich höchstens bis halb fünf Uhr warten werde. Helft Ihr mir dann nicht, so handle ich allein.«

Die beiden Andern erklärten, daß sie dann thun würden, was er für gut halte. Dann kehrte Jeder an seinen Angelplatz zurück.

Der Fex beobachtete den Italiener genau. Es saß nur immer einer vor der Thür der Hütte. Der Andre war ja in der Stadt, um Hilfe zu holen. Der Fex veränderte seinen Platz nach und nach so, daß er von dem Manne nicht gesehen werden konnte. Dann rannte er schnell nach der hintern Seite der Hütte zu und stellte sich dort auf.

Er hatte grad die richtige Zeit getroffen.

Die Wand war aus roher Erde aufgestampft und hatte verschiedene Risse und Sprünge. Da, wo Fex stand, konnte er durch einen dieser Risse in das Innere sehen.

Da hörte er ein eigenthümliches Knarren und Knirrschen. Er brachte das Auge an die Lücke und schaute hinein. Da sah er, das in der einen Ecke sich der Boden zu bewegen begann. Dabei schob sich ein eiserner Ring, welcher zu irgend einem Zwecke unten an der Mauer angebracht zu sein schien, mit vorwärts.

Die Fallthür öffnete sich. Der Kopf des zweiten Italieners blickte hervor. »Luigi, hörst Du mich?« fragte er.

»Ja.«

»Komm schnell herab!«

»Wozu?«

»Die Leute sind da. Wir wollen uns den Gefangenen ansehen. Er muß doch Etwas bei sich haben. Vorhin hätten wir es in der Dunkelheit nicht sehen können.«

»Gleich! Was er hat, wird getheilt.«

Er trat herein und die zwei Brüder stiegen hinab, worauf sich die Fallthür wieder schloß.

Der Fex wartete noch ein Weilchen und winkte dann die Freunde herbei. Er erzählte ihnen, was er gesehen und gehört hatte.

Also ein Gefangener ist unten, der ausgeraubt und jedenfalls ermordet werden soll,« sagte er. »Wollen wir das geschehen lassen?«

»Nein, nein!« antworteten die Beiden.

»Also hinab?«

»Ja.«

»So kommt herein. Aber haltet die Waffen bereit!«

Es war wenige Minuten über fünf Uhr.

»Hier mit Hilfe dieses Ringes muß man öffnen können, wie es scheint,« sagte der Fex.

Er bückte sich nieder und zog an dem Ringe. Sofort ertönte das bereits beschriebene Geräusch und die Thür öffnete sich. Die Drei blickten in die Tiefe. Es war nichts zu sehen als ein dunkles Loch und oben der obere Theil der Leiter.

»Ich steige voran,« erklärte der Fex.

»Halt,« warnte Max. »Werden wir auch wieder herauskönnen?«

»Allemal!«

»Nein, das ist nicht so sicher. Wenn sich die Thür über uns schließt, wissen wir nicht, auf welche Weise der Mechanismus von innen geöffnet wird.«

»Jedenfalls ebenso durch einen Ring.«

»Das fragt sich sehr.«

»Nun, so haben wir unsere Laternen mit, um nachzusehen. Und sodann wissen wir nicht, ob sich die Thür überhaupt schließen wird.«

»Es ist anzunehmen.«

»Nun, wenn wir hinunter kommen, wird es wohl noch ganz andere Chancen und Auswege geben. Vielleicht schlagen und schießen wir Alles todt, was wir finden. Dann sind wir Hahn im Korbe und können ausfliegen, wo es uns beliebt.«

»Du bist sehr getrosten Muthes!«

»Das ist das Beste, bei solchen Sachen. Also kommt mir nach! Ich steige jetzt.«

Er verschwand in der Oeffnung wie ein Bergmann im Mundloche des Fahrschachtes verschwindet. Max folgte und diesem Hanns.

Sie erreichten glücklich, den Boden. Ueber ihnen war die Oeffnung wie ein handgroßes Loch zu sehen.

»Was nun?« fragte Fex. »Es giebt nur einen einzigen Gang, dem wir folgen müssen. Brennen wir an?«

»Nein,« antwortete Max. »Man könnte uns von Weitem sehen und dann wäre Alles verloren.«

»So tappen wir uns also nur fort.«

Der Fex gebrauchte Hände und Füße als vorsichtige Taster. Die beiden Andern hingen sich an ihn und so kamen sie nur ganz langsam vorwärts.

Nach langer Zeit gelangten sie dahin, wo die Lampe brannte und die eisernen Thüren beleuchtete.

»Gehen wir weiter?« fragte Hanns.

»Natürlich!« antwortete der Fex.

»Aber wenn da vorn Menschen sind, so können wir ja gesehen werden.«

»Horchen wir erst, ob wir Etwas hören.«

Sie lauschten eine Weile. Der Fex legte sich sogar auf den Boden und horchte.

»Hört,« sagte er leise, »da vorn sind Leute.«

»Wirklich?«

»Ja. Ich höre gehen und auch sprechen. So, ein Gang trägt den Schall sehr deutlich fort.«

»So müssen wir hier bleiben?«

Ehe der Fex noch antworten konnte, ertönte ein lauter Ruf wie Donnerrollen durch den Stollen.

»Ganzes Bataillon, Feuer! Hurrah, der Sepp ist da, der Sepp! Feuer, Feuer!«

Eine Anzahl Schüsse krachten. Es klang hier unten wie Kanonendonner. Auch die kommandirende Stimme wurde durch die Resonnanz des Ganges verzwanzigfacht, dennoch aber sagte der Fex sogleich:

»Das ist der Sepp, der Sepp! Er ist mit Leuten da. Er hat jedenfalls einen zweiten Eingang entdeckt. Er greift die Schufte an. Sie sind zwischen uns und ihm. Kommt zurück in's Dunkle. Schnell!«

Sie huschten einige Schritte zurück und warteten. Wieder erschallten Schüsse und brüllende Kommando's. Dann kamen plötzlich drei Männer herbeigeeilt, welche einen verwundeten Vierten trugen. Sie keuchten unter der Last.

»Halt!« ertönte die Stimme des Fex aus dem Dunkel ihnen entgegen. »Keinen Schritt weiter!«

Sie stutzten einen Augenblick. Einer der Italiener war dabei.

»Drauf!« schrie er.

Er riß sein Pistol aus der Tasche und schoß es gegen den Ort ab, wo der Fex stand. Aber der Schuß that nichts, denn die Kugel fehlte. Da kommandirte der Fex ganz genau so wie vorher der Sepp:

»Ganzes Bataillon, Feuer! Hurrah, der Fex ist da, der Fex! Feuer, Feuer!«

Die Drei schossen einige Kugeln ihrer Revolver auf die Vier. Die Schüsse donnerten durch den Gang. Die Vier, alle getroffen, stürzten zur Erde.

»Hurrah! Hier der Sepp!« erschallte es von dort.

»Hurrah, der Fex!« erschallte es hier.

Dann hörte man eilige Schritte und der alte Sepp kam herbeigestürmt. Die Drei traten ihm entgegen.

»D'rauf!« rief er. »Nicht tödten, aber binden!«

Die Kerls wehrten sich zwar möglichst, wurden aber leicht überwältigt, da sie verwundet waren.

Nun erst sahen die Vier einander lachend an. Der Fex fragte den Alten:

»Woher kommst denn Du?«

»Von dorther!« Er zeigte zurück. »Und Ihr?«

»Von da her?«

»Vom Häuschen herab?«

»Ja, aber wo hast Du denn Dein ganzes Bataillon?«

»Das bin ich selberst.«

»So bist allein?«

»Ja. Aber Lärm hab ich macht für Dreißig. Da vorn liegen noch Zwei Verwundete. Ich glaub halt. Einer ist todt und der Andere wird wohl noch leben. Ich hab halt keine Zeit habt, mich genau nach ihnen umzusehen. Sind vielleicht noch mehrere von diesen Kerls vorhanden?«

»Hier nicht, hinter uns ist Niemand.«

»Hinter mir auch nicht. So haben wir also keinen Angriff zu befürchten und können uns Diese hier mal anschauen.«

Die Kerls lagen so still und bewegungslos da, als ob sie todt wären. Daran war einestheils das Entsetzen schuld, welches sich ihrer bei dem so unerwarteten Ueberfalle bemächtigt hatte und anderntheils hofften sie wenigstens zunächst mit zudringlichen Fragen verschont zu werden, wenn sie sich leblos stellten.

Sie wurden untersucht und da stellte es sich heraus, daß sie zwar verwundet waren, aber noch lebten. Keiner bewegte sich.

»Wir sollen halt denken, daß sie ohne Besinnung sind,« sagte der Sepp. »Aberst ich werd gleich diesem Herrn Petruccio den Verstand zurückgeben.«

Er holte aus und gab ihm eine so gewaltige Ohrfeige, daß der Geschlagene sich schnell in sitzende Stellung aufrichtete, mit beiden Händen nach seinem Kopfe fuhr und erschrocken ausrief:

»Herrgott! Ich hatte ja gar nichts gethan!«

»Eben weil Du nix thun wolltest, hast diese Backpfeifen erhalten. Du sollst was thun, nämlich sprechen. Und da ich nun seh, daßt das kannst, so red' auch, wann ich Dich frag', sonst kannst noch mehr solche Maulschellen erhalten.«

»Verbindet uns doch zunächst! Ihr seht ja unser Blut laufen.«

»Erst habt Ihr auf uns schossen und nun sollen wir Euch verbinden! Das könnt uns eigentlich schwer einfallen. Aberst wir sind halt gute Menschen und wollen Euch besser behandeln, als Ihr es verdient. Aber wir haben doch nix da, womit wir Euch verbinden könnten.«

»Es ist Alles da. Oeffnet die nächste Thür, da ist die Auguste, unsere Wirthschafterin, welche Euch Alles geben wird.«

»Schön! So wollen wir zunächst Eure beiden guten Kameraden auch herbeibringen. Kommt!«

Er wollte mit dem Fex und Hanns fort; aber der Erstere sagte:

»Du, keine Unvorsichtigkeit! Diese Kerle könnten uns betrügen. Sie sind wohl gar nicht so schwer verwundet, wie es den Anschein hat.«

»Meinst, daß sie uns ausreißen thäten?«

»Ausreißen wohl nicht. Sie stiegen nach oben und machten zu: dann wären wir gefangen.«

»Du, da hast Recht. Wir werden sie also wohl binden müssen.«

»Dazu haben wir auch nichts. Wir schließen sie ein.«

»Wohin?«

»Eben zu dieser Auguste.«

»Wenn sie ihnen nun forthilft!«

»Sie ist doch eingeschlossen.«

»Aberst von da drinnen kann auch ein verborgener Gang hinaufführen.«

»Wollen sehen.«

Der Sepp trat zu der ersten Thür und untersuchte sie. Sie war mit starkem Eisen beschlagen und hatte kein Schloß, sondern zwei schwere Riegel.

»Sie kann nicht von innen geöffnet werden,« sagte er. »Ich glaub, daß die Kerls da drinnen sicher aufgehoben sind.«

Er schob die Riegel zurück und öffnete. Er sah ein kellerartiges Gemach, ganz in Felsen eingehauen. Von der Decke hing eine brennende Lampe. Zu der Mitte stand ein steinerner Tisch und der Boden war mit Stroh belegt, auf welchem eine Anzahl junger Mädchen saßen oder lagen. Andere standen an den Wänden gelehnt. Sie schauten alle mit angstvollen Blicken nach der Thür.

Schnell trat der Fex herbei und fragte:

»Ist Paula Kellermann da?«

Es war ein erdrückender Dunst in dem Gewölbe und die Lampe brannte so trüb, daß man die Gesichtszüge der entfernteren Mädchen nicht genau erkennen konnte.

Er erhielt keine Antwort und wiederholte seine Frage. Als auch da Alle schwiegen, sagte der Sepp:

»Das muß ein Taubstummeninstitut sein. Wann sie aberst hören werden, daß ich eine Peitsche holen werd', welche die Taubstummheit sogleich heilt, so werden sie wohl antworten. Ist Eine da, welche Auguste heißt?«

Seine Drohung wirkte. Es trat Eine langsam näher und antwortete

»Das bin ich.«

»So komm mal her, damit ich Dein Gesicht sehen kann!«

Sie gehorchte und er sah in ein freches, cynisches Frauengesicht. Dieses Mädchen war ganz gewiß nicht unzufrieden mit dem Schicksale, welches ihrer wartete.

»Kennst Du die Andern alle?« fragte er.

»Ja.«

»Ist Eine dabei, welche Paula Kellermann heißt?«

Sie stand so, daß sie an ihm vorüber nach der Thür blicken konnte. Da sah sie den Italiener liegen, welcher ihr ein Zeichen gab, das nur sie bemerkte.

»Nein,« antwortete sie.

»Du lügst!«

»Herr, ich sage die Wahrheit!«

»Wir wissen, daß sie da ist.«

»Ich weiß nichts von ihr.«

»Du bist die Wirthschafterin?«

»Ja.«

»Kennst Du diese unterirdische Wohnung?«

»Nicht genau.«

»Wie lange bist Du da?«

»Seit einer Woche. Der Herr hat mich ausgewählt zum Führen der Wirtschaft.«

»Eine schöne Wirtschaft. Wer ist aber denn der Herr, von welchem Du redest?«

Der Italiener gab ihr abermals ein Zeichen.

»Ich kenne ihn nicht,« antwortete sie.

»Ist's der Petruccio?«

»Nein.«

»Der Jude Baruch Abraham?«

»Das weiß ich nicht.«

»Hm! Hast Du alte Leinwand zum Verbinden?«

»Ja, sie ist draußen.«

»Hole sie.«

Sie kam heraus und trat zu einer kleinen, niedern Thür, welche auch nur verriegelt war. Als sie diese geöffnet hatte, sah man einen Raum, welcher zur Aufbewahrung von allerhand Vorräthen zu dienen schien. Sie trat hinein und kam bald mit einem Packet wieder heraus.

»Zeig her,« sagte der Sepp.

»Es sind alte Lappen!«

»Wollen sehen, ob's auch wahr ist. Vielleicht hast auch was Anderes mit.«

Er untersuchte das Bündel und sah allerdings, daß es nicht Verdächtiges einhielt.

»Da, hast's wieder. Hier liegen Verwundete, welche wir zu Euch hineinthun wollen. Ihr könnt sie verbinden.«

Er schaffte mit Hilfe der beiden Andern die Plessirten hinein und riegelte dann zu, um auch die beiden Uebrigen zu holen.

Die Mädchen traten alle herbei, um mit zu helfen. Hier in diesem Gewölbe befanden sich nur solche Dirnen, welche mit ihrem Schicksale sehr wohl zufrieden waren und sich sogar freuten, als verachtete Geschöpfe in Amerika ein üppiges aber sündhaftes Brod zu verdienen. Der Italiener wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte.

»Habt Ihr die Schüsse gehört?« fragte er.

»Ja,« antwortete Auguste. »Und das Geschrei auch.«

»Diese verfluchten Kerls!«

»Wer sind sie denn?«

»Ich kenne sie nicht. Jedenfalls haben sie erfahren, daß Ihr hier seid, und sind nun gekommen, Euch heraus zu holen.«

»Das mögen sie bleiben lassen!«

»Ihr wollt nicht mit ihnen?«

»Fällt uns gar nicht ein!«

»Sie haben sogar auf uns geschossen!«

»Zeigt sie an, damit sie bestraft werden!«

»Das wäre die größte Dummheit, welche wir machen könnten. Unser Handwerk ist ja verboten.«

»Nein. Wir sind ja einverstanden.«

»Das gilt nichts. Uebrigens haben wir zuerst geschossen, nämlich auf den Alten. Daß noch Mehrere unten seien, konnten wir nicht wissen. Verbindet uns nur rasch. Hoffentlich hat es keine große Gefahr. Revolverkugeln machen selten Löcher in das Leben.«

Während nun einige der Mädchen den Männern die Röcke auszogen, um zu den Wunden gelangen und diese verbinden zu können, fuhr der Italiener fort:

»Wißt Ihr denn, was für ein Schicksal Eurer harrt?«

»Die Fremden werden uns befreien.«

»Nein. Sie werden Euch im Gegentheile Eurer Freiheit berauben.«

»Das können sie nicht!«

»Ganz gewiß können sie es.«

»Wir haben ja nichts begangen!«

»Ihr habt Euch als Freudenmädchen anwerben lassen und werdet nach Amerika verkauft. Das ist verboten.«

»Aber bestrafen können sie uns nicht dafür.«

Die Auguste schien ein auf diesem Gebiete erfahrenes Mädchen zu sein.

»Nein, bestraft könnt Ihr nicht werden,« antwortete er. »Aber man wird Euch in eine Besserungsanstalt stecken.«

»Das fehlte noch!«

»Ganz gewiß wird man es thun!«

»Ich danke! Ich kenne das. In so eine Anstalt kommt man nur auf unbestimmte Zeit.«

»Ja, man kann Euch so lange behalten, wie man will. Das ist sehr richtig.«

»Und wer da nicht den ganzen Tag arbeitet und betet, der kommt nie wieder heraus.«

»Hört Ihr es!« sagte der Italiener. »Ich denke nicht, daß Euch das gefallen wird.«

»Nein, nein! Fällt uns nicht ein! Das mögen wir nicht!« rief es rundum.

»Aber Ihr könnt es nicht umgehen, außer – hm! Es gäbe wohl ein Mittel.«

»Welches?«

»Wenn Ihr es Euch nicht gefallen laßt.«

»Wir können doch nichts dagegen thun!«

»O doch! Ihr müßt Euch wehren.«

»Wo denn? Dann später oder hier?«

»Natürlich hier. Wenn Ihr einmal oben seid, ist es zu spät.«

In diesem Augenblicke wurden die Andern gebracht. Einer derselben war todt. Der Sepp zog sich dann mit Hanns und Max wieder zurück.

Der Todte versetzte die Mädchen in Schreck. Sie fuhren von ihm zurück.

»Fürchtet Euch nicht,« sagte der Italiener. »Ihr werdet nicht lange mit ihm beisammen sein, wenn Ihr es richtig macht. Ich weise Euch eine andere Stube an, welche viel besser ist als diese hier.«

»Du? Wie kannst Du das? Du bist ja gefangen und hast hier nichts wehr zu sagen.«

»Das kommt blos auf Euch an.«

»Wieso?«

»Haut die Kerls nieder!«

Die Dirnen sahen sich unter einander an.

Diese Sorte Mädchens sind leicht zu Gewaltthätigkeiten geneigt. Man braucht unter ihnen gar nicht lange nach Megären zu suchen. Da keine von ihnen antwortete, fragte er:

»Oder fürchtet Ihr Euch etwa vor ihnen?«

Sie schwiegen auch jetzt noch. Der Gedanke war ihnen gar nicht etwa zuwider; aber es ist doch nicht leicht, sich mit Männern herumzuschlagen, welche noch dazu bewaffnet sind.

»Das ist nur der einzige Weg, Euch davon zu befreien, daß man Euch in eine Besserungsanstalt thut,« fuhr er fort.

»Hm! Ich hätte Lust!« rief Auguste.

»Da bist Du klug. Aber es müßte bald geschehen, noch bevor diese Kerls andere Leute herbei holen.«

»Etwa gar Polizei?«

»Ganz gewiß! Nach Polizei werden sie natürlich sofort laufen.«

»Wenn diese kommt, sind wir freilich verloren. Ich bin von hier. Die Polizei kennt mich.«

»Das ist schlimm für Dich und auch für die Andern. Uebrigens sollt Ihr auch nicht umsonst für Euch handeln. Ich bezahle es Euch.«

»Du willst uns Geld geben?«

»Ja.«

»Wie viel denn?«

»Wenn Ihr es so weit bringt, daß wir diese vier Halunken hier einschließen können, bekommt Jede von Euch fünfzig Gulden.«

»Baar?«

»Natürlich baar.«

»Und gleich? Nicht erst drüben in Amerika?«

»Nein, sofort hier.«

»Donnerwetter! Was sagt Ihr dazu?«

Sie wendete sich mit dieser Frage an ihre Kolleginnen. Unter diesen gab es einige Zaghafte. Die Meisten von ihnen aber waren muthig und auch von kräftiger Bauart.

»Wenn wir wüßten, daß wir das Geld wirklich bekämen, so könnte man es versuchen,« sagte Eine.

»Ja, ja, dann würden wir es thun,« stimmten die Andern bei.

»Recht so!« lachte der Italiener. »Ich schwöre Euch zu, daß Ihr das Geld bekommt. Hier könnt Ihr es zwar nicht verwenden; aber das Schiff legt ja unterwegs in Italien und Spanien an. Da könnt Ihr Euch Herrlichkeiten kaufen.«

Er sagte die Unwahrheit. Er wußte ganz wohl, daß es dem Kapitän nicht einfallen werde, in einen Hafen einzulaufen. Derselbe mußte überhaupt unterwegs einen ganz ungewöhnlichen Kurs einhalten, um keinem Kriegsschiffe zu begegnen. Auch gedachte der Italiener gar nicht, sein Versprechen zu halten und ihnen das Geld zu geben. Sie konnten ihn ja gar nicht dazu zwingen; sie befanden sich in seiner Gewalt.

»Nun?« fragte Auguste, »was wollt Ihr denn beschließen? Ich mache mit.«

»Ich auch, ich auch!« riefen die Muthigen.

»Wir sind gegen dreißig Personen und sie sind nur ihrer Vier.«

»Aber sie sind bewaffnet!«

»Das thut nichts, gar nichts,« beruhigte sie der Italiener. »Ihr müßt es nur so anfangen, daß sie ihre Waffen nicht gebrauchen können.«

»Ja, wie soll das geschehen?«

»Es kommen sieben von Euch auf einen von ihnen. Wenn Ihr Euch plötzlich auf sie werft, so werdet Ihr sie leicht überwältigen.«

»Aber sie werden sich wehren!«

»Unsinn! Ihr müßt sie nur gleich fest bei der Gurgel nehmen. Das ist das Beste.«

»Da erwürgen wir sie.«

»Thut nichts!«

»O doch! Tödten wollen wir sie nicht.«

»Ihr werdet keinen Mord begehen. Man erdrosselt nicht so leicht Jemanden.«

»Ja,« stimmte Auguste bei, die Unternehmendste von ihnen. »Wir machen sie nur besinnungslos.«

»Ja freilich. Dann binden wir sie.«

»Und dann?«

»Nun, das ist nachher meine Sache. Uebrigens werden wir Euch beistehen. Ich kann zwar nicht gut auf, denn ich bin am Beine verwundet, aber weine Kameraden hier sind besser daran als ich. Sie haben kräftige Hände Also entschließt Euch schnell. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Wenn sie nun gar nicht wiederkommen?« fragte eine von den Verzagteren.«

»Wir klopfen sie herbei.«

»Da bleiben sie draußen an der Thür stehen.«

»So locken wir sie herein.«

»Wie denn?«

»Wir Männer legen uns ganz hinter an die Wand und stöhnen. Ihr sagt, daß es ganz schlecht mit Einem oder Einigen von uns stehe, daß wir im Sterben liegen. Da kommen sie ganz sicher herein und ganz hinter zu uns.«

»Dann fallen wir über sie her!« meinte Auguste.

»Ja, aber so plötzlich und so kräftig, daß sie die Hände gar nicht frei bekommen können.«

»So und nicht anders wird und muß es gehen. Also stimmen wir ab! Wer macht mit?«

»Ich – ich – ich – ich!« rief Eine nach der Andern und als Zwei oder Drei doch schwiegen, fragte Auguste:

»Nun, Ihr etwa nicht? Wollt Ihr Euch denn lieber in das Besserungshaus sperren lassen?«

Da stimmten nun auch diese bei. Vor dem Besserungshause hatten eben Alle Furcht.

»So ist's recht!« rief Auguste. »Sie werden hereingelockt und überfallen. Dann lachen wir sie gehörig aus!«

Sie hatte das sehr laut gesprochen, wie die ganze Verhandlung überhaupt nicht etwa flüsternd geführt worden war. Darum sagte Petruccio:

»Schrei nicht so! Die Kerls sind im Stande, draußen zu horchen und Alles zu hören!«

Er hatte nicht so ganz Unrecht.

Als Sepp mit seinen jungen Freunden die beiden Letzten in das Gewölbe gebracht hatte, war er natürlich so vorsichtig gewesen, die Thür wieder zu verriegeln. Dann schaute er in den Vorrathsraum, aus welchem Auguste das Verbandzeug geholt hatte.

»Ah!« sagte er. »Hier ists gar nicht so übel. Schaut doch auch mal herein!«

Er nahm die Lampe; welche den Gang erleuchtete, und trat in das Gewölbe.

In der Mitte desselben stand ein Tisch mit mehreren Stühlen. Rundum waren Holzstellagen angebracht, auf welchen allerlei Lebensmittel lagen. Unten auf dem Boden standen volle Wein- und Bierflaschen, und auf einer der Stellagen sah man Gläser und sogar einige volle Cigarrenkistchen.

»Das paßt schön!« meinte der Alte. »Wir müssen uns doch sagen, wie wir da Herabkommen sind, und das können wir in Gemütlichkeiten thun Wir brennen uns eine Cigarren an und trinken einen Wein dazu.«

Er schaffte Cigarren, Gläser und Wein herbei und setzte sich behaglich an den Tisch. Die beiden Anderen folgten diesem Beispiele.

Der Wein erwies sich als nicht übel, und die Cigarren waren sogar noch besser.

»Schaut, was für ein Leben diese Schufte hier führen!« sagte der Alte. »Die lassens sich wohl sein wie dera Herrgott in Frankreich. So gut haben wirs halt nicht. Aberst von jetzt an soll es ihnen nicht wiederum so wohl werden. Wir wollen ihnen den Braten verderben. Aberst nun sagt doch mal, wie Ihr da herunter kommen seid!«

Max erzählte es. Er hatte eben seine Erzählung beende:, da ertönten laute Stimmen von drüben herüber.

»Die Dirndln scheinen lustig zu sein,« sagte der Sepp. »Wollen doch mal hören, wovon sie sprechen.«

Er trat hinaus und horchte. Dann kam er wieder zurück und meldete:

»Hört, das war gut, daß ich horcht hab!«

»Hast was erlauscht?« fragte Hanns.

»Freilich! Und wann ichs nicht hört hätt, so könnt es uns schlecht ergehen.«

»Sie haben doch nicht etwa etwas gegen uns vor?«

»Natürlich haben sie!«

»Was denn?«

»Sie wollen uns hineinlocken und dann drin überfallen. Ist das nicht köstlich?«

»Hasts denn auch richtig verstanden?«

»Ganz genau, Wort für Wort.«

»Wer hats denn sagt?«

»Die Auguste war es. Ich hab sie an dera Stimm erkannt. Sie sagte: ›Sie werden herein gelockt und überfallen. Dann lachen wir sie aus!‹ Und darauf meinte dera Italiener, sie solle nicht so schreien, weil wir horchen könnten.«

»Das ist stark!«

»Nicht wahr? Wir wollen sie retten, und sie überfallen uns dafür!«

»Eine solche Dankbarkeit hätte ich freilich nicht von diesen Mädchens erwartet.«

»O, das sind die Richtigen! Hasts denn dera Auguste nicht anschaut, was sie ist?«

»Ein gemeines Gesicht hatte sie freilich.«

»Ein freches Weibsbild ist sie. Und die bei ihr sind, werden nicht viel besser sein.«

»Und mit solchen Subjecten ist Paula zusammen gesperrt!« sagte der Fex. »Herrgott, Sepp, ich vergesse sie ja ganz!«

»Nein, sie wird nicht vergessen.«

»Wir müssen sie suchen, und zwar rasch!«

Er stand vom Stuhle auf.

»Bleib sitzen!« sagte der Alte.

»Nein, ich muß fort!«

»Eile mit Weile! Setz Dich nur wieder nieder! Zunächst wissen wir ja gar nicht, ob sie auch wirklich hier ist.«

»Sie ist hier!«

»Das hab ich auch denkt; aberst die Auguste hat doch grad das Gegentheil sagt.«

»Sie hat gelogen.«

»Aus welchem Grunde denn?«

»Das weiß ich nicht.«

»Warum sollte sie die Paula verleugnet haben? Sie weiß doch nicht, daß wir sie kennen.«

»Wir haben ihren Namen genannt; also müssen wir sie doch wohl kennen. Sepp, komm!«

»Nein, warte nur noch! Jetzund müssen wir erst überlegen, was zu thun ist. Das ist bald gesagt. Wir müssen die ganzen unterirdischen Löcher durchsuchen.«

»Ja, das müssen wir. Weißt, was ich denk?«

»Nun, was?«

»Daß es Gute und Schlechte hier unten giebt. Die Schlechten waren Die, die wir sehen haben. Denen liegt gar nix dran, daß wir sie heraus holen wollen. Die Guten aberst sind wo ganz änderst eingesperrt. Und bei denen wird sich die Paula befinden, wann sie wirklich da ist.«

»Du hasts doch selber sagt, daß sie hier ist, hast mich sogar deswegen kommen lassen.«

»Ich kann mich auch geirrt haben. Wir werden ja sehen. Ein Glück ists gewest, daß Ihr unten wart, als ich kam. Ich hätt mich in großer Gefahr befunden. Ich hab nicht schlecht lauscht, als ich Euch schießen hört und dazu rufen: Der Fex ist da!«

»Wir waren ebenso erstaunt, als wir den Deinigen Ruf vernahmen.«

»Ja, brüllt hab ich schrecklich und gleich dazu ein ganzes Bataillonen commandirt, damit sie Furcht bekommen sollten.«

»Wie aber bist denn hereini kommen?«

»Das war halt eine ganz eigentümliche Geschichten, die ich Euch verzählen muß.«

Er goß sein Glas voll, nahm einen tüchtigen Schluck und begann sodann

»Ich fuhr um halber Drei nach dera Stadt, weil um Drei dera König kommen wollt – –«

»Ist er kommen?«

»Nein. Er hat es für ganz gewiß sagt. Es muß ihm ein Hinderniß dazwischen treten sein. Ich hab den Zug kommen sehen und Jeden anschaut, welcher ausstiegen ist, aberst dera Herr Ludwigen war nicht dabei.«

»So kommt er vielleicht gar nicht.«

»Das ist auch möglich. Vielleicht hat er sich anderst besonnen. Weißt, er hat oft so ganz eigenartige Gedanken. Zuweilen will er gar nicht mehr König sein.«

»Herrgottle! Ists möglich?«

»Jawohl.«

»Das wär ja traurig!«

»Nachhero wieder will er blos nicht mehr in Bayern regieren. Er will sich einen andern Thron suchen.«

»Warum denn aber?«

»Weiß ich es! Man kann gar nicht begreifen, woher solche Gedanken kommen.«

»Ist er denn krank?«

»Wo soll er denn krank sein?«

»Hier oder hier.«

Max deutete nach seinem Kopfe und seinem Herzen. Der alte Sepp antwortete:

»Sein Kopf ist gut. Das möcht ich beschwören, wenn er auch so nach seiner eigenen Art handelt. Könige brauchen nicht wie andere Menschen zu sein. Aberst mit seinem Herzen, ja, da kann es leicht eine Bewandtnissen haben.«

»Kennst dieselbige wohl?«

»Ja.«

»Es ist ein Geheimnissen?«

»Nein. Er hat eine Prinzessinnen lieb habt und ist schon mit, ihr verlobt gewest. Das hat er wieder rückgängig machen müssen.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht. Aberst angriffen muß es ihn haben, denn es thät ja Unsereinen angreifen, und so ein Herr hat ja ein gar viel feineres, zarteres und vornehmeres Herz als Unsereiner.«

»Drum ist er oft so traurig.«

»Ja, er redet wenig und ist am Liebsten ganz allein. Ists da zu verwundern, wann allerlei Gedanken kommen?«

»Gewiß nicht. Weißt, mir sind, seid die Paula verschwunden ist, auch schon solche gekommen. Ich weiß davon zu reden.«

»Das glaub ich wohl. Jetzt nun hat er die Idee, Schloß Miramare zu kaufen.«

»Was will er damit? Er hat ja Schlösser!«

»Schlösser genug! Die schönsten und prächtigsten, welche es giebt in dera Welt! Aberst weil es dem guten, unglücklichen Kaiser Max sein Eigenthum gewest ist, will er es haben. Darum kommt er incognito her und will sichs heimlich anschauen.«

»Wem gehörte denn jetzt?«

»Dem Kaiser von Oesterreich.«

»Wills denn der verkaufen?«

»Das kann ich nicht wissen. Kurz und gut, dera König wills sich anschauen. Deshalb kommt er her. Ich sollt die Zimmern bestellen und ihn am Bahnhofe erwarten. Als er aberst nicht kam, nahm ich die Gelegenheit wahr, zum Juden zu gehen, um nachzuschauen, wie es dort steht.«

»Hat sich was ereignet?«

»Nein. Doch ist der Capitän Marmel da gewest, um mit Baruch Abraham zu reden.«

»Sapperlot! Das ist dumm!«

»Warum?«

»Da wird Alles verrathen.«

»Gar nix wird verrathen. Es ist ja dem Juden sein Verwandter da.«

»Der Polizist? Wanns der Capitän glaubt!«

»Er hats glaubt. Der Polizist hat sagt, sein Vetter hätt ihn beauftragt, zu sagen, daß Alles in Ordnung sei. Heut Abend wär er wiederum zurück, und dann könnt die Sach vor sich gehen.«

»Das ist gut. So fangen wir diesen Franzosen. Darauf freu ich mich.«

»Ich mich auch. Nachhero wollt ich natürlich wieder zu Euch her. Ich wollt nach dem Hafen, wo dera Bootsmann wartete. Da sah ich auf einmal den Petruccio laufen.«

»Wir haben glaubt, er sitzt in dera Hütten.«

»Nein; er war in dera Stadt.«

»Wie ist er da fortkommen?«

»Durch einen heimlichen Gang, denselbigen, durch den ich hereinikommen bin.«

»Was hat er in dera Stadt wollt?«

»Das hab ich mich auch fragt. Weißt, er hat so heimlich than und sich so still umischaut, daß ich gleich denkt hab, er muß was Böses vorhaben.«

»Bist ihm nicht nachgegangen?«

»Freilich bin ich. Er hat aber sein Werk schon bereits vollbracht habt, denn er ist aus dera Stadt fort und hat draußen wartet. Da sind die Kerls hinter ihm herkommen, die jetzt mit ihm einsperrt sind.«

»Er wird wohl denkt haben, daß wir uns nicht in einer freundlichen Absichten auf dera Insel befinden. Er hat Hilfe braucht und sie sich dann holt.«

»So ists, gewiß so. Bist hinter ihnen her?«

»Ja. Es war halt gar schwer, es so zu machen, daß sie mich nicht sehen konnten; aber es ist mir doch gelungen. Ich hab denkt, er werd mit ihnen in einem Boot nach dera Insel fahren; aber da hab ich mich irrt.«

»Sie sind laufen?«

»Ja, bis nach Miramare.«

»Du jetzt begreife ichs. In Miramare endet wohl dera heimliche Gang?«

»Ja. Vor dem Schlosse haben sie sich trennt. Weißt, daß es nicht so sehr auffallen soll. Er ist ganz allein gangen. Ich hab ihn nicht aus denen Augen lassen und bin immer hinter ihm her.«

»So haben Dich aber doch die Andern sehen!«

»Ich mußt allerdings an ihnen vorüber; aber sie kannten mich doch nicht und haben gar nicht wissen könnt, daß ich es auf ihn und auf sie abgesehen hatt.«

»Ja, das ist freilich richtig. Wie ist es denn nachhero kommen?«

Er ist in den Schloßpark hineinschlichen und ich immer hinter ihm her, aberst so, daß er mich nicht hat sehen könnt. So ists eine ganze Weile fort gangen. Er lief auf dem Weg, ich aber seitwärts hinter denen Sträuchern, hab ihn aber nicht aus denen Augen lassen. So sind wir ganz nach hinten kommen, wo die Felsensteine sind. Da steht ein kleines Häusle aus Stein. Es hat nur drei Wände, denn mit dera vierten Seit stößt es an die Felsen. Da ist er hinein.«

»Er hat wohl dort auf die Andern warten wollt.«

»Jedenfalls. Wenigstens hab ich mir sagt, wenn er sie aus dera Stadt holt hat, muß er ihrer doch bedürfen, und sie werden also auch zu ihm kommen.«

»Da hast nun wohl aufpaßt?«

»Ja.«

»Das war gefährlich. Sie konnten Dich ja leicht ertappen, da Du nicht wissen konntest, woher sie kamen.«

»Das hab ich mir auch sagt, und darum hab ich mir einen Ort sucht, an dem mich Niemand sehen könnt. Ich hab denkt, daß ich einen Ort wählen muß, an welchem ich sie vielleicht belauschen könnt. Und so einen gabs glücklicher Weise ganz in dera Nähe. Nämlich grad neben dem Dach des Häuschens war ein Felsstück, auf welches man sehr leicht steigen könnt. Sträuchern standen auch da, so daß man da ganz verborgen lag. So hab ich also einen kleinen Bogen, einen Umweg macht bis dorthin und bin hinaufi stiegen. Als ich dann oben lag, hab ich zu meiner Freud sehen, daß das Dach defect gewest ist. Es waren Löchern drin, durch welche man hat schauen können. Als ich nun da hinunter blickt', sah ich den Petruccio auf einer Steinbank sitzen. In dera Mitten stand ein Felsentisch und an der vierten Wand, weißt, wo dera Fels gewest ist, war ein Drachenkopf ausgehämmert, der ein großes Maul aufsperrt hat.«

»Das wird zum Wasser gewest sein.«

»Ja, denn darunter war ein steinernes Becken, in das er früher wohl ein Quellwasser speit hat. Jetzund aber war es trocken und dera Quell hat kein Wasser mehr gehabt. Das Häusln ist so ein Pavillon oder eine Eremitage gewest, wie es die vornehmen Leutln nennen.«

»Und er hat so still da gesessen?«

»Ja, er hat nix macht und nur immer ausischaut, ob die Andern bald kommen werden. Endlich kamen sie. Da hat er fragt:

»Hat Euch Jemand gesehen?«

»Nein,« war die Antwort.

»So ists gut! Wir wollen hinab; dreht Euch also um!«

»Warum denn?«

»Weil Ihr nicht zu sehen braucht, wie der heimliche Eingang geöffnet wird.«

»Was schadet es, wenn wir es sehen?«

»Viel. Es ist genug, daß ich es weiß.«

»Da drehten sie sich um, und ich hab aufpaßt, was er nun machen werd. Darauf kam es an.«

»Hasts denn sehen?«

»Sehr genau.«

»Das ist sehr gut. Wie hat ers denn gemacht?«

»Das hab ich nicht sehen können. Ich hab nur bemerkt, daß er dem steinernen Drachenkopf in den Rachen griff. Darauf hat sich ein Theil der Wand bewegt grad wie eine Thür. Sie ist aufgangen, und dann durften sich die Andern wieder herum wenden.«

»Dann gingen sie wohl hinein?«

»Ja, sie verschwanden, und die Thür ging wieder zu. Dabei hat es schnappt und klappt; wie wenn eine Feder einfallen thut.«

»So also ists gewest. Dann bist doch gleich nach?«

»Nicht sogleich. Ich hab mirs erst überlegt.«

»Was gab es da zu überlegen? So einem Geheimnissen muß man doch nachgehen.«

»Jawohl. Aberst es gab dabei Zweierlei oder gar noch mehr zu bedenken. Erstens mußt ich mir sagen, ob es nicht doch vielleicht besser sei, wann ich in einem Kahn zu Euch herüber fahren thät. Ich wußt nicht, wie es mit Euch stand.«

»O, da war Alles gut.«

»Ihr konntet mich aberst doch brauchen und vielleicht mit Schmerzen auf mich warten.«

»Wir haben gewartet; das ist wahr. Aber als Du nicht kamst, haben wir die Sach ohne Dich in die Hand genommen. Und es ist gelungen.«

»Es könnt auch sehr mißlingen.«

»O, wir waren unser Drei und hatten Waffen in denen Händen. Weiter!«

»Zweitens könnt ich nicht gleich hinter ihnen her, weil ich die Oertlichkeit nicht kannt. Es war möglich, daß ich ihnen in die Hände lief.«

»Ja, da mußtest Du freilich warten.«

»Wenigstens so lange, bis ich annehmen könnt, daß sie fort seien. Und drittens hab ich mich doch auch fragen mußt, ob ich wieder herauskönnen werd.«

»So mußten wir auch uns fragen.«

»Ja, Ihr wart eben Drei, ich aber blos Einer; ich hab wußt, wie viele unten sind, Ihr aber nicht. Ihr konntet es also leichter wagen, hinunter zu gehen als ich.«

»Hast aber endlich doch die Courage gehabt.«

»Ja, ich hab mir sagt: Sepp, Du steigst abi. Fressen werden sie Dich nicht. Bist ja doch nur Knochen und Haut. So bin ich also vom Felsen stiegen und in die Hütte treten.«

»Da hast in das Drachenmaul griffen?«

»Ja. Ich hab mir natürlich denkt, daß es da drin zu finden ist, wie man öffnet.«

»Und hasts funden?«

»Ja. Ganz hinten im Rachen war ein Griff, ein Drücker, so lang und stark wie mein kleiner Finger. Da hab ich drückt, und die Thür ist aufigangen.«

»Das ist leicht gewest. Wer aber hätt in dem Rachen das Schloß suchen könnt!«

»Ja, wann ichs vorhin nicht sehen hätt, daß er da hinein griff, hätt ichs all mein Lebtage nicht funden.«

»Und nun bist hinein?«

»Ja, aberst nicht gleich hinab.«

»Warum nicht?«

»Aus Vorsicht. Ich hab mich erst überzeugen wollt, ob ich auch wieder heraus kann.«

»Das ist freilich nöthig gewest.«

»Ich hab zunächst horcht, ob ich was hör. Es ist Alles still gewest, und da bin ich hinein. Es ist ein Gang zu sehen gewest, so hoch und schmal, daß ein Mann grad Platz hat. Ich hab mir nun die beiden Seiten neben der Thür anschaut, und da fand ich eine ganz einfache eiserne Klinke, welche einen Draht hatte, der hinauf in den Drachenkopf führte. Wann man in demselbigen drückte, sprang die Klinke auf. Von innen öffnete man, indem man dieselbige direct empor hob. Nun hab ich die Thür leise zu macht – –«

»Und bist in den Gang hinein?«

»Ja. Vorher aber hab ich meine Latern heraus nommen und sie anbrannt.«

»Du, das war dumm!«

»Warum?«

»Man könnt Dich von Weitem sehen!«

»Meinst, daß ich so dumm bin, mich sehen zu lassen?«

»Wann die Laterne brennt, muß man sie ja sehen!«

»Wann Niemand da ist, sieht man sie nicht.«

»Du konntest doch nicht wissen, wo sie waren. Wir haben unsere Laternen nicht anbrennt.«

»So seid froh, daß es so gut ablaufen ist. Wann ich die Latern nicht gehabt hätt, wärs mir traurig ergangen.«

»Wie so?«

»Zunächst hab ich natürlich das Licht nicht weit in den Gang hinein scheinen lassen. Ich hab die Hand so davor gehalten, daß es nur bis eine oder zwei Ellen vor mir den Boden erleuchtet hat. Ich bin sehr langsam vorwärts schritten und hab, als ich ungefähr zehn Schritte macht hab, still stehen müssen, weil ein tiefes Loch im Boden war. Ich hab hinab leuchtet und gesehen, daß es tiefer als ein Mann war.«

»Sapperment! In dasselbige wärst Du stürzt!«

»Ja. Am Rand lagen einige Stricke.«

»Wozu?«

»Sagen kann ich es nicht gewiß, aber denken kann ichs mir. Neben dem Loch stand der hölzerne Deckel für dasselbige an dera Mauer. Ich mein', daß man das Loch öffnet, damit Derjenige, welcher heimlich und unberufen in den Gang tritt, hineinstürzen soll. Dann wird er mit Stricken bunden und herauszogen.«

»Das wird sein.«

»Ich hab den Deckel darauf legt und bin darüber schritten. Gleich dahinter war eine Nische, in welcher die Kerls wohl warten, bis Derjenige in das Loch stürzt ist. Als ich nachhero weiter kam, hab ich eine Thür sehen zur linken Hand, die stand aufi.«

»Wer war drin?«

»Das weiß ich nicht. Es war kein Zimmer, sondern ein Gang, den sie verschloß. Nachhero bin ich weiter, bis ich hab sprechen hört. Da hab ich die Latern in die Taschen steckt und bin leise vorwärts gangen.«

»Ah, jetzt kommts!«

»Ja, jetzt kommts. Ich bin immer näher kommen und hab die Stimmen immer deutlicher gehört. Dann sah ich einen Lichtschein. Die Kerls standen beisammen und sprachen mit nander. Einer hielt das Licht.«

»Hasts hört, was sie sagten?«

»Ja. Sie wollten Einen morden.«

»Sapperment! Wen?«

»Das weiß ich nicht. Ich hab nur hört, daß derselbige heimlich hereinkommen und in das Loch fallen ist. Sie haben ihn mit Stricken bunden und in eine Zelle schafft. Nun wollten sie ihn dermorden.«

»Welche Hallunken!«

»Ja, Hallunken sind es, und was für welche! Derjenige, den sie haben tödten wollt, hat hinter dera Thür steckt, in deren Nähe sie standen. Einer von ihnen hat die Thür aufimacht und ein paar Worte hineinsprochen. Der Andre hat mit dem Licht leuchtet, so daß sie den Mann sehen konnten. Und hinter ihm hat Einer die Pistole emporgehoben, um zu schießen – – –« »Da hast ihn doch gleich derschossen?«

»Ja. Ich hab den Revolver herauszogen und ihm eine Kugel in den Kopf geben.«

»Schließ zu!« hat Einer geschrieen, worauf dera Andre die Thür schnell zumacht und den Riegel vorgeschoben hat. Als sie sich dann nach mir umdrehten, hab ich wieder schossen, zweimal hinter einander und dazu geruft:

»Feuer, ganzes Batallion Feuer! Hurrah, der Sepp ist da!«

Zwei sind stürzt. Die Andern haben den Einen, was dera Italiener gewest ist, aufgerafft und sind mit ihm ausgerissen. Ich ihnen nach, bis ich rufen hört:

»Ganzes Bataillon, Feuer, Feuer! Hurrah, der Fex ist da!«

»Da hast Dich wohl gefreut?«

»Natürlich. Zunächst hab ichs gar nicht glaubt.«

»Warum?«

»Weil ich mir nicht denken konnt, daß auch Ihr da unten seid. Und nachhero aber, als ich Eure Schüsse hört, hab ich mirs sagt, daß Ihr es doch sein müßt, denn wenn es Freunde von den Kerls gewest wären, so hätten sie doch nicht schossen.«

»Das ist richtig. Dann bist also weiter hinter ihnen her?«

»Ja, bis ich zu Euch kommen bin. Das Uebrige wißt Ihr. So ists gewest.«

»Ein Glück, daß wir sie so schön zwischen uns bekommen haben!«

»Ja, wir haben sie überrascht. Sie haben vor Schreck gar nicht zur Ueberlegung kommen können.«

»Wenn sie gewußt hätten, daß wir so Wenige sind!«

»Da wäre es uns schlimm ergangen!«

»Was aberst ist nun zu thun?«

»Wir suchen Alles aus.«

»Das Notwendigste wird wohl sein, daß wir zu Dem gehen, den sie erschießen wollten.«

»Ja, denn dieser Mann wird sich in dera größten Gefahr befunden haben. Kommt!«

Sie tranken aus und verließen den Vorrathsraum. Sepp hing die Lampe wieder an ihre vorige Stelle. Er hatte seine brennende Laterne noch in der Tasche, und die Andern brannten die ihrigen an.

»Wißt,« sagte der Alte, »bevor wir weiter gehen, wollen wir erst mal sehen, was die Weibsbilder vorhaben.«

»Das ist nicht nöthig.«

»Nein, aberst ich möcht gar zu gern wissen, ob sie wirklich den Muth haben, ihren Plan auszuführen. Horcht, sie klopfen.«

Es wurde von innen stark an die Thür gepocht.

»Sie scheinen doch Ernst machen zu wollen,« sagte der Sepp. »Laßt mal sehen.«

Er schob die Riegel weg und öffnete.

»Was giebts denn?« fragte er.

»Ach Gott, die Beiden sterben!« antwortete Auguste in ängstlichem Tone, indem sie nach der hinteren Mauer zeigte.

»Wer denn?«

»Petruccio und der Andre.«

»Laßt sie sterben! Es ist nicht schade um sie.«

»Nein, denn sie sind unsere Peiniger. Aber wir sind doch Christen und müssen Mitleid haben.«

»Das habe ich auch. Darum störe ich sie nicht. Sie mögen ruhig sterben.«

Die beiden Kerls wandten sich hin und her und stöhnten wirklich zum Erbarmen.

»Hört Ihrs denn nicht?« sagte das Mädchen.

»Ich hörs gar wohl. Das ist aber nicht anders. Wenn man stirbt, so ächzt man gewaltig, zumal wenn man ein böses Gewissen hat.«

»Sie baten uns, Euch zu klopfen.«

»Warum denn?«

»Sie wollen beichten.«

»Es ist kein geistlicher Herr da.«

»So wollen Sie Euch beichten.«

»Das geht nicht. Das dürfen wir nicht.«

»O doch! Wenn kein Geistlicher da ist, so kann es jeder Andre auch verrichten.«

»So verrichtet Ihr es. Ich habe keine Zeit.«

»Wir Frauenzimmer?«

»Ja.«

»Das ist unmöglich.«

»Warum denn?«

»Weil sie wohl Sachen zu beichten haben, die ein Frauenzimmer nicht hören darf.«

»Seid Ihr denn plötzlich so zart geworden? Es schien doch vorhin nicht so, als ob Ihr gar so ehrwürdig dächtet.«

Da ertönte aus dem Hintergrunde die leise, flehende Stimme des Italieners:

»Kommt doch, kommt! Thut es um Gottes willen! Ich muß mein Herz erleichtern.«

»Ists so schwer?«

»Ja. Ich kann doch nicht in meinen Sünden sterben!«

»O, Dir ists ganz recht, wenn Dir der Teufel die Krallen in die Seele schlägt.«

»Mein Himmel! Seid Ihr denn keine Menschen!«

»Thut es doch!« bat Auguste.

Jetzt nahm Sepp einen ganz anderen Ton an:

»Höre, Mädchen, uns täuschest Du nicht! Wir sollen hier hinter kommen, damit Ihr über uns herfallen könnt.«

»Herrgott! Was denkt Ihr denn!«

»Schweig! Du bist ein schönes Dirndl! Aus Dir kann noch was werden, nämlich ein Galgenfutter.«

»Ich weiß von gar nichts!«

»So? Und doch hasts selber gesagt.«

»Wenn denn?«

»Vorhin. Weißt, wenn Ihr wieder mal so einen Plan ausheckt, so redet leiser, daß man es nicht hier vor der Thür verstehen kann. So, nun weißts!«

»Ihr hättet etwas gehört?«

»Alles!«

»So täuscht Ihr Euch!«

»Unsere Ohren sind gut. Adieu!«

Er warf die Thür zu und schob die Riegel vor. Drin ertönte eine männliche Stimme.

»Himmeldonnerwetter! Da habt Ihr es! Mit Eurem Schreien habt Ihr Alles verdorben!«

»Das ist der Italiener,« meinte der Sepp.

»Wer hätte das gedacht!« sagte Auguste.

»Wer das gedacht hätte? Ich! Ich habe Euch das Schreien verboten. Nun ist Alles aus.«

»Vielleicht noch nicht.«

»Ganz gewiß. Nun sind sie auf ihrer Hut.«

»Am Ende gelingt es uns doch noch!«

»Nun nicht mehr. Jetzt könnt Ihr Euch in die Besserungsanstalt sperren lassen.«

»Ah!« lachte der Sepp. »Darauf war es angefangen! Sie fürchten sich vor der Anstalt. Brave Mädchens sind es also nicht. Nun, wir wollen dafür sorgen, daß sie in so eine Anstalt kommen. Jetzt gehen wir weiter.«

Sie schritten in den Gang hinein und gelangten an die Thür, an welcher Sepp den Kampf begonnen hatte. Es wurde von innen an dieselbe geklopft.

Wie Sepp erzählt hatte, waren die Kerls gewillt gewesen, den Gefangenen zu tödten. Sie hatten die Thür geöffnet und ihn, als er sich derselben näherte, angeleuchtet, damit er ein sicheres Ziel böte. Dann war der erste Schuß gefallen und man hatte die Thür wieder zugemacht.

»Was war das?« fragte der Gefangene. »Man richtete ein Pistol auf mich.«

»Gott! Man wollte Sie wohl tödten?« fragte Paula.

»Es schien ganz so. Horch.«

Der zweite und dritte Schuß erschallte, und gleich darauf ertönte der von den engen Wänden verdoppelte Kriegsruf des Alten.

»Himmel! Habens gehört?« rief Paula.

»Ja. Ists möglich!«

»Dera Sepp ist da!«

»Er schießt. Es war seine Stimme.«

»Ja, ich hab sie auch erkannt.«

»Wie kommt er hierher!«

»O, dera Wurzelsepp ist überall.«

»Aber hier, hier! Sollten wir uns doch verhört haben?«

»Das glaub ich nicht.«

»Dann hat er auch noch Andre mit. Er that, als ob er ein ganzes Bataillon commandire. Horch!«

In der Entfernung ertönten wieder Schüsse, und eine zweite Stimme erschallte.

»Wieder, der Sepp ist da!« sagte der König.

Da sprang Paula vom Boden auf, sprang an die Thür und rief:

»Nein, nein, nicht dera Sepp.«

»O doch. Es rief: Der Sepp ist da.«

»Nein, nein! Da habens falsch verstanden.«

»Ich habe es deutlich gehört.«

»Es hat ganz anderst ruft, ganz anderst!«

»Wie denn?«

»Dera Fex ist da.«

»Was? Der Fex?«

»Ja. Ich habs genau hört. Nicht vom Sepp, sondern vom Fex ist die Red gewest.«

»Sollte es wirklich – – –«

»Ja, ja!« fiel sie ihm in die Rede.

»Undenkbar?«

»Warum undenkbar? Sie haben doch selbst sagt, daß dera Fex nach hier kommen ist.«

»Hm, ja!«

»Und Sie glauben doch, daß dera Sepp hier unten ist, daß er schossen hat?«

»Ja, das ist ganz gewiß.«

»Nun, warum sollt denn da dera Fex nicht auch bei ihm sein! Wann Beide in Triest sind und der Sepp hat derfahren, was hier auf dera Insel vorgeht, so hat er es dem Fex ganz gewiß sagt, und dieser ist mit gangen.«

»Das läßt sich freilich annehmen. Aber wie soll der Sepp es erfahren haben?«

»Das weiß ich nicht, aberst erfahren hat er es, denn er ist hier. Also weiß es auch dera Fex und ist auch hier. Herrgott, der Fex, der Fex!«

Sie schlug die Hände zusammen und brach in Thränen aus, ob des Schmerzes oder der Freude?

Der Gefangene schwieg. Er selbst war tief, tief bewegt. Erst nach einer Weile fragte er:

»Du weinst. Warum?«

»Ich weiß es selbst nicht.«

»Doch vor Freude!«

»O nein.«

»Nicht? Du mußt doch voller Wonne sein, erlöst zu werden und den Geliebten zu finden!«

»Was wird er sagen, wann er mich hier sieht! Was soll er von mir denken!«

»Das Allerbeste.«

»O nein, sondern das Allerschlechteste!«

»Das darfst Du nicht sagen, Paula. Ich weiß ganz genau, was er von Dir denkt.«

»Aberst wann er mich unter solchen Dirndln findet – – –«

»So sagt er sich, daß Du unschuldig unter sie gekommen bist.«

»O, wenn das wäre!«

»Ganz gewiß. Schau, ich bin Dein Geliebter nicht; aber ich weiß ganz genau, daß Du Dich ohne Deine Schuld hier befindest.«

»So meinens, daß ich ihm getrost in die Augen schauen darf?«

»Getrost, ganz getrost.«

»Mein Herr und Gott! Das ist eine Wonne!«

»Er wird nicht ahnen, daß Du Dich hier befindest.«

»Grad darum wird er erschrecken und mich ganz falsch beurtheilen.«

»Erschrecken? Das denke ja nicht. Er wird ganz entzückt sein, ganz entzückt.«

»Meinens das wirklich?«

»Ja. Er wird ganz selig sein, erstens daß er Dich überhaupt wiederfindet, und zweitens daß es ihm vergönnt ist, Dich aus diesem Elende zu erretten.«

»Vielleicht aber kommt er nicht!«

»Warum sollte er nicht?«

»Es ist so still, so ruhig.«

»Sie werden erst Alles durchsuchen. Wer weiß auch, wie der Kampf abgelaufen ist.«

»Meinens, daß die Andern auch schossen haben?«

»Ja, ich hörte es ganz deutlich.«

»Heilige Mutter! Wanns den Fex derschossen hätten!«

»Das glaube ich nicht, denn dann wären sie bereits wieder hier, um mich zu tödten.«

»Warum habens denn Sie dermorden wollt?«

»Ihrer Sicherheit wegen. Sie denken, daß ich sie verrathen würde.«

»Schauens! Und Sie meinten, daß Sie ganz sicher seien, daß Sie sich nur zu zeigen brauchten, um frei zu kommen.«

»Ich habe mich da freilich geirrt. Ich habe mich in einer entsetzlichen Gefahr befunden. Wenn die Freunde nicht gekommen wären, so wäre ich jetzt eine Leiche. Ich darf gar nicht daran denken. Das ganze Land, ganz Deutschland, die ganze civilisirte Welt hätte – – –«

Er unterbrach sich und schwieg.

»Was wollens sagen?« fragte sie.

»Etwas sehr Unnützes. Aber ich werde diesen Freunden danken und sie belohnen, wie nur ein Kö – – – Pah! Lassen wir das!«

»Wir dürfen noch gar nicht von einer Belohnung reden,« sagte sie. »Wir wissen noch gar nicht, wie es ablaufen wird.«

»Sie kommen; sie kommen ganz gewiß.«

»Der liebe Herrgott mag es geben.«

»Wir müssen uns in Geduld fassen und ruhig warten. Setze Dich wieder!«

»Das kann ich nicht. Mir zittern alle Glieder an meinem Leib.«

Der Gefangene befand sich in derselben Aufregung. Er schritt unruhig auf und ab. Die Minuten schienen zu Ewigkeiten zu werden.

Endlich hörte man Schritte.

»Sie kommen!« sagte er.

»Aber wer es sein mag!« zweifelte sie. »Wer hat im Kampf gewonnen.«

»Horch!«

Sie lauschten eine kleine Weile; dann hörte man, daß die Schritte sich in derselben Richtung, aus welcher sie gekommen waren, wieder entfernten.

Das war, als der Sepp mit den Freunden den Todten und Verwundeten geholt hatte.

»Sehens,« sagte Paula. »Wir werden halt nicht gerettet.«

»Wer weiß, was sie hier zu thun hatten.«

»Wann sie nur gesprochen hätten!«

»Ja, denn da hätten wir gehört, wer es war.«

»Hätten wir nicht klopfen sollen?«

»Gewiß. Aber ich glaubte, sie wußten die Thür, an welcher die Schüsse gefallen sind.«

»Wanns dera Sepp und dera Fex gewest wär, so hättens bei uns aufimacht.«

Jetzt trat wieder eine Pause ein, eine sehr peinliche Pause, weil sie noch viel länger währte als die vorige. Dann endlich, endlich ließen sich wieder Schritte hören.

»Jetzt kommens wieder!« sagte Paula. »Nun aberst klopfen wir dieses Mal.«

»Ja. Horch!«

Draußen ertönte die bekannte Stimme des alten Wurzelhändlers:

»Da rechts war die Thür. Schaut, dort! Nun werden wir gleich schauen, wer es gewest ist, den sie haben tödten wollen.«

Der Gefangene klopfte.

»Gleich, gleich!« ertönte eine andere Stimme.

»Gott, Gott! Das ist dera Fex!« flüsterte Paula. »Ich werd mich verstecken.«

Es überkam sie doch wieder die Angst, was der Fex von ihr denken werde.

»Ja, bleib im Winkel!« stimmte ihr Gefährte bei. »Er braucht Dich nicht sogleich zu sehen. Und nun wirst Du auch gleich erfahren, wer ich bin.«

Die Riegel klirrten, und die Thür wurde geöffnet. Am Eingange stand der Sepp, hielt die Laterne hoch herein und sagte:

»Ist Jemand hier?«

»Ja,« antwortete der König, vortretend.

»So kommens herausi!«

»Gern! Erschrick nur nicht!«

»Erschrecken? Warum sollte ich denn erschrecken, wann – – – Kreuzmillion – – –!«

Die Laterne fiel ihm aus der Hand, so daß sie auf dem steinigen Boden in Scherben zerbrach. Es war gut, daß die Andern die Ihrigen mit hatten.

»Was giebts denn?« fragte Max, indem er näher trat.

»Was es giebt? Da – da – – da – – –!«

Er deutete auf den Gefangenen, welcher eben aus der Zelle trat, brachte aber vor Entsetzen kein weiteres Wort hervor.

Max leuchtete mit seiner Laterne höher und fuhr einige Schritte zurück.

»Herrgott! Ists wahr!« schrie er auf.

»Ja, es ist wahr; ich bin es.«

»Majestät – – –!«

»Pst! Nicht dieses Wort! So lange ich lebe, darf kein Mensch erfahren, was heut geschehen ist.«

»Herr, mein Gott! So – so – so ein –!«

»Beruhigen Sie sich! Es ist Alles sehr einfach zugegangen.«

»Aber welch ein Unglück wäre das gewesen, wenn dieser Mord – –!«

Der Fex und Hanns standen sprachlos dabei. Der Sepp hatte sich schnell beruhigt und sagte:

»Das war allerdings ein gewaltigs Unglück gewest. Also auf Sie hatten sie schießen wollt, auf Sie, Herr Ludewig?«

»Ja. Ich sollte ermordet werden.«

»Ich hab gar nicht wußt, daß Sie bereits hier in Triest ankommen sind.«

»Ich wollte heimlich da sein.«

»Und wie sinds unter die Insel gerathen? Hat man Sie mit Gewalt herabschleppt?«

»Nein; ich bin aus Neugierde hier, durch meine eigne Schuld. Doch davon später. Jetzt muß ich meine Retter grüßen. Grüß Gott, Fex! Grüß Gott, Hanns! Grüß Gott, Max! Ich nenne Euch beim Vornamen. Bei seinen Rettern darf man das schon thun.«

Er gab ihnen die Hand. Der Fex fragte:

»Maje – – ah, Herr Ludewig, sind Sie schon lange hier?«

»Nein, nur kurze Zeit.«

»Sind Sie in andere Zellen auch gekommen?«

»Nein. Ich habe mich nur in dieser einen befunden.«

»O schade! Da können Sie mir nicht sagen, ob sie hier ist.«

»Wer?«

»Die Paula.«

»Ah! Soll die denn hier sein, wer sagte denn das?«

»Der Sepp hat es in Wien entdeckt. Man hat das liebe, arme, unglückliche Kind betrogen. Man hat sie hierher gelockt.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ja. Ich werde hier Alles umstürzen, bis ich sie finde. Ich bin deshalb hier.«

»Hm! Vielleicht ist sie aus eignem Willen hier!«

»Die? Was? Aus eignem Willen? Das ist eine Lästerung, die ich – ah Verzeihung! Von Ihnen weiß ich ja, daß Sie es nicht im Ernste meinen.«

»Gewiß nicht; aber man muß an alle Fälle, an alle Möglichkeiten denken.«

»Das aber ist keine Möglichkeit; das ist unmöglich, vollständig unmöglich!«

»Ist Ihr Vertrauen zu Ihrer Freundin denn so groß?«

»Herr, wenn ich diesem braven Mädchen kein Vertrauen schenken wollte, so wäre ich der schlechteste Mensch unter Gottes Sonne!«

»Daß Sie so denken, freut mich. Auch ich bin überzeugt, daß sie nur durch Betrug und Täuschung in diese Lage kommen konnte. Aber, ich hörte schießen. Ist Jemand von Ihnen verwundet?«

»Nein,« antwortete der Sepp. »Aber die Hallunken sind alle blessirt. Einer ist gar todt.«

»Wo befinden sie sich?«

»Wir haben sie eingesperrt.«

»Es droht doch nicht noch anderweite Gefahr?«

»Nein. Es sind alle Complicen in unsern Händen. Sie brauchen nicht bange zu sein.«

»Das bin ich auch nicht, wenn ich mich in dem Schutze so tapferer Leute befinde. Jetzt aber kommt! Ich muß mir dieses unterirdische Verließ einmal genauer ansehen.«

»Da wollen wir zunächst das Gefängniß betrachten, in welchem Sie selbst steckt haben.«

Er nahm dem Fex die Laterne aus der Hand und wollte hineinleuchten. Der König aber zog ihn zurück und sagte:

»Dabei muß es eine ganz bestimmte Reihenfolge geben. Der Fex mag es sich zuerst ansehen. Treten Sie hinein!«

Der Fex, an welchen diese letztere Forderung gerichtet war, begriff zwar nicht, warum grad er der Erste sein solle, doch gehorchte er der Weisung des Königs. Er trat in die Zelle.

»Weiter hinein!« gebot der König.

Der Fex that noch einen Schritt. Da warf der Monarch die Thür zu und schob einen der Riegel vor.

»Sapperment!« rief Sepp. »Warum das?«

»Still! Die Paula ist drin.«

»Die Pau – – –! Ah! Schön, schön! Da gehen wir ein Stuckerl fort und lassen sie auf eine Viertelstunden allein.«

Der Fex war natürlich überrascht, als die Thür hinter ihm zugeworfen wurde. Er nahm an, daß es ein kleiner Scherz sei und blieb ruhig stehen.

Da hörte er, daß die draußen Gebliebenen mit einander flüsterten und sich dann entfernten.

Was war das? Warum thaten sie das? Es war stockfinster um ihn her, da er keine Laterne hatte. Der Sepp hatte sie ihm ja abgenommen.

Er lauschte, bis die Schritte draußen verschallt waren.

»Hm!« sagte er halblaut. »Sonderbarer Scherz!«

Da war es ihm, als ob er ein leises Rascheln höre. Sollten sich Ratten hier befinden? Er strengte sein Gehör an, und wirklich, er vernahm Athemzüge.

»Ist Jemand da?« fragte er.

Das Herz Paula's hatte vor Wonne gezittert, als sie hörte, welches Vertrauen er zu ihr hatte. Also mit dem Könige war sie zusammen gewesen! Das gab den Worten, welche ihr Mitgefangener mit ihr gesprochen hatte, eine ganz besondere Bedeutung.

Sie wußte, weshalb er den Fex jetzt zu ihr eingeschlossen hatte. Es mußte Alles, Alles zur Sprache kommen, und das beklemmte ihr Herz so, daß sie jetzt nicht zu antworten vermochte.

»Es ist doch Jemand da! Ich höre es!« sagte er.

Sie schwieg auch jetzt.

Da zog er die Zündholzschachtel hervor, strich eins an und leuchtete. Er sah eine weibliche Gestalt in der Ecke stehen. Dann erlosch das Hölzchen.

»Ich habe Sie gesehen,« sagte er. »Warum reden Sie nicht?«

Ein tiefer, seufzender Athemzug erklang als Antwort.

»Sind Sie hier gefangen?« fragte er.

»Ja,« ertönte es leise.

»Sie Aermste! Wissen Sie, wer es war, der sich bei Ihnen befand?«

»Ich hab es nicht ahnt.«

»So hat er es Ihnen nicht gesagt?«

»Nein. Nun aber weiß ichs.«

»Ach! Sind Sie vielleicht gar aus Bayern?«

»Ja.«

»Aus welchem Orte?«

»Aus Scheibenbad.«

Sie hatte ihre Antworten kurz und mit gedämpfter Stimme gegeben, so daß er diese Letztere nicht erkennen konnte. Jetzt aber, da sie diesen Ortsnamen nannte, horchte er auf.

»Aus Scheibenbad!« rief er. »Da müssen Sie doch auch mich kennen.«

»Ich kenn Sie schon.«

»Nun, wer bin ich?«

»Der Fex.«

»Es sind also mehrere von dort hier?«

»Nein.«

»Was! Nur Eine? Nur Sie?«

»Ja.«

»Herrgott! Paula, bist Du es?«

Sie schwieg. Aber schon stand er bei ihr und griff nach ihr.

»Paula, Paula, antworte! Bist Du es?«

Ein convulsivisches Schluchzen antwortete ihm.

Da riß er sie an sich, schlang beide Arme um sie und rief:

»Gott sei Dank! Gott sei Dank! Jetzt bin ich diese furchtbare Angst los! Jetzt habe ich Dich! Bist Du es denn auch wirklich?«

»Ja, ich bin es,« antwortete sie unter lautem Weinen.

»Da ist nun Alles, Alles gut! Paula, was hast mir für Gram und Sorgen bereitet!«

Sie antwortete nicht; sie weinte.

»Ich verstehe es wohl, daßt jetzt nicht reden kannst. Komm, leg Dein Köpfle an mich, und wein Dich richtig aus.«

Er legte ihren Kopf an seine Brust. Sie stand, an ihn gelehnt, die Arme matt herunterhängend, und weinte bitterlich.

So verging einige Zeit, bis er hörte, daß ihre Thränen nicht mehr so flossen. Da erkundigte er sich:

»Wie bist denn hierher kommen? Nicht wahr, von Wien aus?«

»Ja.«

»Da bist gemiethet worden?«

»Ja. Ich hab denkt, daß ich einen guten, ehrlichen Dienst bekomme. Du darfst ja nicht bös von mir denken!«

»Paula! Wie kannst so was sagen! Also in Wien bist gewest. Dort hab ich allerdings nicht nach Dir sucht.«

»Ich bin mit Fleiß hin.«

»Warum?«

»Weil ich dacht hab, daßt mich in so einer großen Stadt nicht finden wirst.«

»Also hast nix mehr von mir wissen wollen?«

Sie antwortete nicht.

»Sags! Wolltst ganz weg sein von mir?«

»Ja.«

»Für immer?«

»Für allezeit.«

»Weilst mir nicht mehr gut sein kannst?«

»Fex! Hast meinen Brief nicht erhalten?«

»Ja, ich hab ihn erhalten und ihn stets auf meinem Herzen tragen. O, wenn Du wüßtest, wie er mich elend macht hat!«

»Ich hab dacht, daßt mich vergessen sollst.«

»Ich Dich vergessen? Das ist ja gar nicht möglich!«

»Das weiß ich schon. So hab ichs auch gar nicht meint. Ich hab sagen wollt, daßt an mich denken sollst wie an eine Bekannte, Verschollene, die Dich gar nix mehr angeht.«

»Und das hast für möglich gehalten?«

»Ja.«

»So hast den Fex nicht kannt. Wie könnt der seine Paula aufgeben! Niemals, nie!«

»Wirst aber doch müssen.«

»Nein, nein!«

»Das Schicksal will es so.«

»Das Schicksal? Was ist das für ein Ding? Bist vielleicht unter Leute gerathen, die dem Dinge, was sie Schicksal nennen, und dem Zufall Alles in die Schuhe schieben? Weißt nicht, daß dera Herrgott Alles lenkt?«

»O, das weiß ich schon! Den Glauben hab ich noch, und den laß ich auch nicht fahren.«

»Und da denkst, er will es, daß wir einander nix mehr angehen sollen?«

»Ja.«

»Wer hat Dir das gesagt?«

»Ich.«

»Du Dir selberst also. Wanns Dir dera Herrgott sagt hätt, so müßtest Du gehorchen. Was sich aber Dein Köpfle selbst aussinnt, das ist kein Gesetz für Dein Herz. Ich möcht den Grund wissen, der uns trennen könnt!«

»Du kennst ihn ja.«

»Hast mich also doch nicht mehr lieb.«

»Fex! Du weißt, daß ich Dich immer und ewig lieb haben werd.«

»Also ist auch Alles gut! Nur wannst mir nicht mehr gut wärst, dann müßten wir uns trennen. Einen andern Grund erkenne ich nicht an.«

»Denk an meinen Vatern!«

»Weißt, an den denk ich gar nicht mehr.«

»Er hat Dich so unglücklich macht!«

»Da mußt Du es sühnen und mich nun recht glücklich machen.«

»Du kannst doch keine Frau haben, welche das Kind eines solchen – solchen – solchen – –«

»Paula, thu mir den Gefallen und red nicht in dieser Weise. Das thut mir so wehe. Dein Vater hat gefehlt und trägt die Folgen seiner Thaten, an denen Du kein Theil hast. Du bist schon seit unserer Kindheit meine Beschützerin und mein Engel gewest und sollst mein Engel bleiben, so lange ich lebe. Willst?«

Sie zögerte zu antworten.

»Wannst nix mehr von mir wissen willst, so mag ich gar nimmer leben!« gestand er.

»Fex!«

»Ja, so ists!«

»Bist doch ein Baron worden!«

»Was ist das weiter!«

»Ein großer Herr von Adel! So reich! Und noch dazu ein berühmter Künstler!«

»Nix bin ich, gar nix ohne Dich! Kannst Dich noch besinnen, als mir damals des Nachts auf dem Heidengrab sessen haben?«

»Ja.«

»Da hab ich Dir sagt, wie so sehr, wie so unendlich lieb ich Dich hab – – –«

»Ja, das war damals!«

»Das war damals, und das ist auch noch jetzt. Wie lieb Du mir bist, das hab ich erst richtig erkannt, als Du verschwunden warst. Ich hab keine Ruh gehabt weder bei Tag noch bei Nacht; ich hab mich gesorgt, gekümmert und gehärmt, daß es zum Erbarmen war. Soll das so fortgehen?«

»Mein lieber, guter Fex!«

Jetzt hob sie zum ersten Male einen der niedergesunkenen Arme empor, um ihn um den Geliebten zu legen.

»Weißt, damals auf dem Zigeunergrab hab ich Dir sagt, daßt mein Engel, meine Seele und mein Leben bist. Das weißt doch noch?«

»Jedes Wort.«

»Und wann mal was Gutes aus mir wird, so bist Du schuld. Das hab ich auch sagt. Weißts?«

»Ja.«

»Und daßt nachhero an meinem Glück theilnehmen sollst, denn ohne Dich wär das Glück doch nur ein Unglück für mich.«

»Und doch darfs nicht sein.«

»Nur wegen Deinem Vatern?«

»Ja.«

»Ich bitt Dich gar schön, meine Paula, denk doch an Dich und an mich, nicht aber an ihn. Sein Andenken soll uns nicht stören.«

»Es wird stets zwischen uns stehen.«

»Nicht für eine Minute. Da denkst ganz unrecht. Andre denken viel richtiger.«

»Wer denn?«

»Nun, Du kennst doch die Silbermartha?«

»Natürlich.«

»Und ihren Geliebten?«

»Ja. Er war ja jetzt mit hier.«

»Und die Martha ist auch da.«

»Das weißt?«

»Dera König hats mir sagt.«

»So! Nun weißt Du doch, daß sie grad so wie Du davongangen ist, ihres Vaters wegen.«

»Das weiß ich wohl. Als ich hört, das sie es than hat, hab ich meint, daß es so richtig sei und daß ich es auch thun muß.«

»Ah! So ist sie also schuld. So hasts ihr nachmacht?«

»Ja.«

»Nun, so folg auch weiter ihrem Beispiele! Sie hat denkt, daß sie nicht werth sei, die Frau vom Max zu werden. Heut habens sich aber wieder gefunden, und sie ist bereit, ihn glücklich zu machen.«

»Ist das wahr?«

»Ja. Wirsts sehen.«

»Vielleicht sagt sie nur so.«

»Es ist ihr Ernst.«

»Und dennoch entfernt sie sich wohl wieder heimlich von ihm.«

»Das fällt ihr gar nicht ein! Sie hat erkannt, daß sie durch ihre Flucht nur sich selbst und auch ihn unglücklich macht hat.«

»Gott, ja! So ists ja auch bei mir gewest. Ich hab mich so gar elend gefühlt.«

»Schaust, daß ich Recht hab! Und nun soll dieses Elend auch noch fernerhin währen? Nein, nein; das darf nicht sein. Das wär eine Sünd gegen mich und gegen den lieben Gott. Das darfst nicht auf Dein Gewissen nehmen. Geh her! Leg auch den andern Arm um mich, und sag mir, daßt Dich nimmer sträuben willst, Daßt mein sein willst für lebelang!«

Sie gehorchte. Sie schlang auch den andern Arm um ihn und sagte in überquellendem Glücke:

»Meinsts denn wirklich ernst?«

»Paula! Wie könnt ich scherzen!«

»Und wann ichs thät?«

»So machst mich so sehr glücklich.«

»Und würdest mir wirklich das verzeihen, was mein Vater than hat?«

»Paula, sei doch still! Dein Vater geht mich gar nix mehr an. Ich hab ihn gar nicht kannt, ich weiß nicht, wer er ist und was er than hat. Ich kenne nur Dich und will weiter nix und Niemand kennen. So ists! Und nun thu Dein Herz auf, und laß nur es allein sprechen. Bitte, bitte, willst meine Paula sein?«

»Ja!« stimmte sie endlich bei.

»Und Dich nicht mehr sorgen und grämen?«

»O, nun nicht mehr, nie mehr!«

»Gott sei Dank! Jetzt hab ich Dich nicht blos wieder funden, sondern Dich mir auch zurückerobert. Nun geb ich Dich aber nimmer wieder her. Du sollst mein Augapfel sein, den ich hüten werd als meinen größten Schatz und mein köstlichstes Eigenthum.«

Er drückte sie an sich und küßte sie auf die Lippen.

In diesem süßen Genüsse wurden Beide so plötzlich gestört, daß sie aus einander fuhren. Es donnerte an die Thür.

»Das ist dera Sepp!« sagte der Fex. »Der hat sich herbei geschlichen und dabei dacht, daß er uns einen tüchtigen Schreck einjagen will. Der Sapperloter hats beim Max und dera Martha auch so gemacht. Er kommt stets dann, wann er unwillkommen ist.«

»O nein. Wie willkommen war er uns heut, als er draußen rief: Der Sepp ist da!«

»Der Andre, der auch so rief, der war Dir wohl nicht so sehr willkommen?«

»O, noch viel, viel mehr!«

Der Alte pochte immer noch. Jetzt rief er:

»Na, zum Sappermenten, macht doch endlich mal aufi!«

»Wir können doch nicht,« antwortete der Fex.

»Habts denn den Hausschlüssel verloren?«

»Nein. Wir hatten gar keinen.«

»So sagt Ihr nur. Da schließen sich die Jungburschen mit ihren Dirndln ein, damit wir Alten aber auch gar nix Hübsches mehr zu schauen bekommen sollen! Aberst ich werd Euch doch die Supp versalzen. Da bin ich! Wie ists inzwischen ergangen?«

Er hatte die Thür geöffnet und leuchtete mit der Laterne herein.

»Gut, Sepp, sehr gut!«

»So seid Ihr jetzund zufrieden mit nander?«

»Vollständig.«

»So haltets auch fernerhin so, und kommt nun herausi, damit ich Euch meinen Segen geben kann!«

Der Fex führte die wiedergefundene Geliebte heraus. Als nun der Schein der Laterne auf sie fiel, fuhr der Sepp zurück.

»Herrgott!« schrie er. »Das, das ist die Paula?«

»Natürlich!« antwortete der Fex, den Alten verwundert betrachtend.

»Das soll sie sein, das! Siehsts denn nicht? Schau sie Dir doch nur mal an!«

Erst jetzt blickte der Fex in das Gesicht der Geliebten. Er ließ sie vor Schreck los.

»Paula!« schrie er auf. »O heiliger Himmel! Bist krank?«

Sie nickte, indem Thränen ihren Augen entstürzten.

»Was hast? Was fehlt Dir denn?«

»Brod!«

»Brod! So hast Hunger, Hunger, Hunger?«

»Gar großen. Ich hatt noch größern Durst; aber der König gab mir Wein.«

»Hunger hat sie, Hunger!« rief der junge Mann, die Hände zusammenschlagend. »Hast denn nix zu essen bekommen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht gehorchen konnt. Ich wollt mich nicht – mich nicht – nicht – –«

»Ach, weiß schon, weiß! Hast nix zu essen bekommen und nix zu trinken! Meine Paula hat nix zu essen gehabt! Sie hat dürsten müssen, weil sie ein braves Mädchen bleiben wollte. Das haben die Petruccio's than?«

»Ja,« nickte sie.

»Wart, wart! Sepp, da, halte mal die Paula! Halte sie!«

Er schob das Mädchen dem Alten in die Arme und eilte fort.

»Wo willst hin?« rief ihm der Sepp nach.

»Wirsts gleich hören!«

Er rannte so schnell, wie der dunkle Gang es gestattete, davon. Als er in die Nähe der Vorrathskammer gelangte, hatte er Lampenschein. In dem genannten Raum saß der König mit Max und Hanns am Tische. Der Fex stürzte herein und blickte sich um wie Einer, der die allergrößte Eile hat.

»Was suchst?« fragte Max.

»Einen – einen – –«

»Na, was denn, einen – –?«

»Einen – einen – ja, ja, hier diese Peitsche such ich.«

Eine Hundepeitsche hing am Nagel. Er riß sie herab. Sie hatte jedenfalls zur Züchtigung derjenigen bedauernswerthen Mädchen gedient, welche Gegenwehr geleistet hatten. Der Fex sprang hinaus, riß drüben beide Riegel zurück, stieß die Thür auf und trat ein.

Die Mädchens sahen ihn erschrocken an und machten ihm eiligst Platz, als sie den Ausdruck seines Gesichtes bemerkten. Er fuhr wie ein rasender Roland zwischen ihnen hindurch bis hinter, wo der Italiener lag.

»Da liegt er, da!« rief er wüthend. »Weißt, weshalb ich komm, Petruccio?«

Die in dem Räume Befindlichen hatten gewünscht, daß ihre Besieger hereinkommen möchten. Jetzt war Einer da, und zwar ganz hinten; aber es fiel ihnen gar nicht ein, sich auf ihn zu werfen.

Sein Aussehen rieth ihnen, dies zu unterlassen. Man sah es ihm an, daß er den Kampf mit der größten Uebermacht aufgenommen hätte.

»Nein, ich weiß es nicht,« antwortete der gefragte Italiener.

»So! Und Du auch nicht?«

Diese Frage richtete er an Auguste.

»Wie soll ich das wissen?« antwortete sie in ihrem frechen Tone.

»Ich habe Dich vorhin nach einem Mädchen gefragt, Namens Paula Kellermann.«

»Ich weiß nichts von ihr.«

»Und Du bist die Wirthschafterin?«

»Die bin ich.«

»Da hast wohl die Mädchen zu beköstigen?«

»Ja.«

»Und wenn Eine nichts erhält, so weißt Du es, so weißt Du davon?«

»Natürlich.«

»Gut! Schön! Wie nun, wenn ich diese Paula gefunden hab?«

Sie erschrak.

»Hier jedenfalls nicht.«

»Nein, hier nicht, das ist wahr. Aber in einem dunkeln Loche, wo sie vor Durst und Hunger fast verschmachtet ist. Warum hast Du ihr nichts zu essen gegeben.«

»Weil ich nicht durfte.«

»Wer hat es verboten?«

»Pertruccio.«

»Das ist nicht wahr!« rief der Genannte.

»Es ist wahr,« behauptete sie.

»Schon gut, schon gut!« knirrschte der Fex. »Ihr seid Beide schuld. Es ist Eins so schlecht wie das Andere. Für Eure Lügen aber sollt Ihr jetzt eine Abschlagszahlung erhalten. Hier, Du freche, unverschämte Dirn, nimm dies und dies und dies!«

Er holte aus und knallte ihr die Peitsche um den Rücken, daß sie laut aufbrüllte. Die Hiebe fielen hageldicht.

Ihr Geschrei rief den König und die Andern herbei.

»Fex, was machst Du denn?« rief der Sepp.

»Nix, gar nix!« antwortete dieser, indem er immerfort zuschlug. »Schau die Paula an, dann wirsts wissen.«

»Ja, dann ists recht und richtig. Giebs ihr nur derb!«

»Soll nicht fehlen! Und diesem auch!«

Er trat zum Italiener und kurbatschte diesen so durch, daß er sich wie ein Wurm wand und wie ein angespießter Eber schrie.

Der wüthende junge Mann hörte nicht eher auf, als bis er seinen Arm erlahmen fühlte. Dann verließ er das Gewölbe und riegelte die Insassen wieder ein.

Paula mußte sich in der Vorrathskammer niedersetzen und erhielt Speise und Trank.

Während der Fex sich mit ihr in der Zelle befunden hatte, war der König mit den Andern bemüht gewesen, diese unterirdischen Gelasse zu untersuchen. Sie hatten noch zwei Gewölbe gefunden, welche mit Mädchen angefüllt waren, mit den Letzteren aber zunächst noch kein Wort gesprochen.

Jetzt nun sahen sie mit Erbarmen, welchen Hunger Paula haben mußte. Sie gab sich alle Mühe, ihre Gier zu überwinden; aber es gelang ihr doch nicht ganz. Sie war noch nicht satt, als sie aufhielt. Sie machte nur vorsichtiger Weise eine Pause, um nicht etwa zu erkranken.

»Das sollen die Kerls büßen!« sagte der Fex. »Ich war erst zu Mitleid geneigt. Nun aber giebt es kein Erbarmen.«

»Das wär auch falsch angebracht,« antwortete der Sepp. »Haben sie doch unsern Herrn Ludwig ermorden wollen, von dem wir noch nicht mal wissen, wie er hier herunter gekommen ist.«

»Auf eine sehr einfache Weise,« antwortete der König. »Ich hatte mir das Schloß besehen und besuchte dann den Park. In der Eremitage ruhte ich aus. Da hörte ich plötzlich neben mir ein Geräusch. Die Felsenwand öffnete sich, und ein Mann trat heraus. Als er mich sah, fuhr er sofort zurück und verschwand. Die Thür aber blieb auf.«

»Ach! Da sinds halt eintreten?«

»Ja.«

»Hm! Ohne Licht. Das war gefährlich.«

»O, ich vermuthete natürlich nicht, daß ich es mit Verbrechern zu thun haben würde. Ein Ort wie Miramare ist doch gradezu heilig. Ich trat in den Gang und rief hinein. Ich glaubte, es mit einem Gartenangestellten oder Parkhüter zu thun zu haben. Es antwortete mir Jemand, und ich schritt weiter. Da plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen.«

»Ah, das war das Loch!«

»Ja. Ich stürzte hinab und fühlte mich bald von Stricken umschlungen. Man zog mich heraus und steckte mich in die Zelle, in welcher ich Paula fand. Wir befreiten einander von den Fesseln und – nun, das Uebrige wißt Ihr ja!«

Während dieses kurzen Berichtes war der Fex in eine Ecke getreten, in welcher die Weinflaschen standen. Er wollte eine derselben öffnen, um der Geliebten einen Labetrunk zu geben. Als er sie wegnahm, sah er, daß sich in der Mitte eines der Steine, mit denen der Fußboden gepflastert war, ein Ring befand. Jetzt nun theilte er diese Entdeckung den Anderen mit.

Es wurde nachgesehen, und der Sepp meinte:

»Vielleicht kann man den Stein herausholen. Wollen es doch mal versuchen!«

Es ging viel leichter, als man dachte. Der Stein war gar nicht schwer. Er bestand nur aus einer dünnen Platte. Als er entfernt worden war, sah man ein Loch, in welchem einige Bücher lagen. Der König erhielt sie und blätterte sie durch.

»Das ist ein kostbarer Fund,« sagte er. »Diese Bücher enthalten die ganze Buchführung des Juden, welche sich auf den Mädchenhandel bezieht. Er betreibt dieses Geschäft schon seit langen Jahren, und es scheint außerordentlich lohnend zu sein. Das ist ein Beweismaterial, welches wir an uns nehmen werden. Aber ich bemerke abermals, daß meine Person nicht dabei in's Spiel kommen darf. Von meiner Anwesenheit darf Niemand Etwas erfahren.«

Jetzt begaben sich der Sepp und Max in die zwei Gewölbe, in welchen sich die anderen Mädchen befanden. Bei ihrer Rückkehr meldeten sie, daß dieselben alle nach ihrer Freiheit verlangten.

»Lassen wir sie heraus?« fragte der Sepp.

»Nein,« antwortete Ludwig. »Habt Ihr es ihnen gesagt, daß Ihr sie befreien könnt?«

»Noch nicht.«

»Das ist gut. Wir holen Polizei herbei. Diese Leute müssen sich heut Abend verstecken, wenn die Franzosen kommen. Ihr selbst thut, als ob Ihr Beauftragte des Juden wäret und verhandelt ihnen die Mädchen alle. Erst wenn sie dieselben bezahlt haben, ist der Beweis vollständig gegen sie erbracht, und die Polizei mag eingreifen und ihre Pflicht thun. Das Schiff wird dann confiscirt. Dann ist Eure Pflicht gethan, und Ihr könnt nach der Heimath zurückkehren.«

»Ich auch?« fragte der Sepp.

»Ja. Nach dem, was mir hier begegnet ist, sehe ich davon ab, meine Absicht, welche mich hierher trieb, weiter zu verfolgen. Ich reise morgen früh zurück. Diesen traurigen Ort aber verlasse ich gleich jetzt. Wenn unser Fex seine Paula nicht länger hier lassen will, können Beide mich begleiten.«

»Ja, er mag sie zu Martha und Anita führen. Bei ihnen wird sie sich bald erholen.«

Nach Kurzem entfernten sich die Drei. Der Fex nahm die Bücher mit und erbot sich, die Polizei über die hier gemachten Entdeckungen zu verständigen. –

Was nun an diesem Abende geschah, braucht nicht ausführlich berichtet zu werden. Am anderen Morgen erfuhren die Bewohner der Stadt, daß das von dem Capitän Marmel geführte französische Schiff confiscirt worden sei, da es sich mit Menschenhandel befaßt habe. Erst die gerichtlichen Verhandlungen enthüllten das Nähere.

Der Jude kam mit seinem Weibe lebenslänglich auf das Zuchthaus, und seine Complicen wurden ebenso bestraft.

Als man dann in das Innere der Insel eindringen wollte, stand dasselbe voller Wasser. Die See hatte Zutritt gefunden und verbot alles Nachforschen über die Geheimnisse dieses Ortes, der vielleicht für Tausende verhängnißvoll gewesen war.


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