Karl May
Durch die Wüste
Karl May

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Der Sieg

Vor uns ritten die Krieger, hinter uns auf Kameelen und unter der Anführung einiger noch ziemlich rüstiger Greise die Frauen, welche das Sanitätscorps zu bilden hatten, und zuletzt kamen diejenigen, welche zur Verbindung mit dem Weideplatze und zur Beaufsichtigung der Gefangenen dienen sollten.

Als die Sonnenscheibe sich über dem Horizont zeigte, stiegen alle ab und warfen sich zur Erde, um das Morgengebet zu verrichten. Es war ein erhebender Anblick, diese Hunderte im Staube vor jenem Herrn liegen zu sehen, der heute noch einen Jeden von uns zu sich rufen konnte.

Von den ausgestellten Posten erfuhren wir, daß nichts vorgefallen sei. Wir erreichten also ohne Störung den langgezogenen Dschebel Deradsch, hinter welchem sich das fast eine Stunde lange Thal von West nach Ost erstreckte. Diejenigen, welche als Schützen ausersehen waren, stiegen ab; ihre Pferde wurden in gehöriger Ordnung in der Ebene angepflockt, damit im Falle eines Rückzuges keine Verwirrung entstehen könne. Unweit davon wurden die Kameele entlastet und die Zelte, welche sie getragen hatten, aufgeschlagen; sie waren, wie bereits erwähnt, für die Verwundeten bestimmt. Wasser war in Schläuchen genug, Verbandzeug aber nur sehr wenig vorhanden, ein Übelstand, welcher mich mit Bedauern erfüllte.

Die Postenkette, welche uns mit den Abu-Mohammed-Arabern verband, hatten wir natürlich hinter uns hergezogen, so daß wir mit ihnen immer in Verbindung blieben. Es waren fast stündlich Meldungen von ihnen angekommen, und die letzte derselben belehrte uns, daß die Feinde unseren Anmarsch noch nicht entdeckt hätten.

Sir Lindsay hatte sich am gestrigen Abend und auch heute bis jetzt sehr einsilbig verhalten. Es war mir ja keine Zeit übrig geblieben, die ich ihm hätte widmen können. Jetzt hielt er an meiner Seite.

»Wo schlagen, Sir? Hier?« frug er.

»Nein, hinter dieser Höhe.«

»Bei Euch bleiben?«

»Wie Ihr wollt.«

»Wo seid Ihr? Infanterie, Kavallerie, Genie, Pontons?«

»Kavallerie, aber Dragoner, denn wir werden ebenso schießen wie fechten, wenn es nothwendig ist.«

»Bleibe bei Euch.«

»So wartet hier. Meine Abtheilung hält hier, bis ich sie abhole.«

»Nicht hinein in das Thal?«

»Nein, wir werden uns oberhalb von hier an den Fluß ziehen, um den Feind zu verhindern, nach Norden zu entkommen.«

»Wie viel Mann?«

»Hundert.«

»Well! Sehr gut, ausgezeichnet!«

Ich hatte diesen Posten mit einer gewissen Absicht übernommen. Zwar war ich Freund und Gefährte der Haddedihn, aber es widerstrebte mir doch, Leute, wenn auch im offenen Kampfe, zu tödten, die mir nichts gethan hatten. Der Zwist, welcher hier zwischen diesen Arabern ausgefochten werden sollte, ging mich persönlich gar nichts an, und da nicht zu erwarten stand, daß die Feinde sich nach Norden wenden würden, so hatte ich gebeten, mich der Abtheilung anschließen zu dürfen, welche den Feinden dort das Vordringen verwehren sollte. Am liebsten wäre ich am Verbandplatze zurückgeblieben; dies war aber eine Unmöglichkeit.

Jetzt führte der Scheik seine Reiterei in das Thal, und ich schloß mich ihr an. Sie wurde in die beiden Seitenthäler rechts und links vertheilt. Dann folgte die Infanterie. Ein Drittel derselben erstieg die Höhe rechts, das andere Drittel die Höhe links, um – hinter den zahlreichen Felsen versteckt – den Feind von oben herab fassen zu können; das letzte Drittel, welches zumeist aus Scheik Malek und seinen Männern bestand, blieb am Eingange zurück, um denselben zu verbarrikadiren und hinter dieser Verschanzung hervor den Feind zu begrüßen. Jetzt kehrte ich zurück und ritt mit meinen hundert Mann davon.

Unser Ritt ging grad nach Norden, bis wir einen Thalpaß fanden, welcher es uns ermöglichte, den Dschebel zu übersteigen. Nach einer Stunde erblickten wir den Fluß vor uns. Weiter rechts, also nach Süden zu, gab es eine Stelle, an welcher das Gebirge zweimal hart an das Wasser trat, und also einen Halbkreis bildete, aus welchem heraus sehr schwer zu entkommen war, wenn man einmal das Unglück gehabt hatte, hinein zu gerathen. Hier postirte ich meine Leute, denn hier konnten wir eine zehnfache Übermacht ohne große Anstrengung aufhalten.

Nachdem ich Vorposten aufgestellt hatte, saßen wir ab und machten es uns bequem. Master Lindsay frug mich:

»Hier bekannt, Sir?«

»Nein,« antwortete ich.

»Ob vielleicht Ruinen hier?«

»Weiß nicht.«

»Einmal fragen!«

Ich that es und gab ihm dann Bescheid, indem ich die Antwort übersetzte:

»Weiter oben.«

»Wie heißt?«

»Muk hol Kal oder Kalah Schergatha.«

»Fowling-bulls dort?«

»Hm! Man müßte erst sehen.«

»Wie lange noch Zeit bis zum Kampf?«

»Bis Mittag, auch wohl später. Vielleicht gibt es für uns gar keinen Kampf.«

»Werde unterdessen einmal ansehen.«

»Was?«

»Kalah Schergatha. Fowling-bulls ausgraben; Londoner Museum schicken; berühmt werden; well!«

»Das wird jetzt nicht gut möglich sein.«

»Warum?«

»Weil Ihr von hier bis dorthin gegen fünfzehn englische Meilen zu reiten hättet.«

»Ah! Hm! Miserabel! Werde dableiben!«

Er legte sich hinter ein Euphorbiengebüsch, ich aber beschloß, zu recognosciren, gab den Leuten die nöthige Weisung und ritt südwärts dem Flusse entlang.

Mein Rappe war, wie alle Schammarpferde, ein ausgezeichneter Kletterer; ich konnte es wagen, mit ihm den Dschebel zu ersteigen, und so ritt ich denn, als sich mir ein günstiges Terrain bot, zur Höhe empor, um eine Übersicht zu gewinnen. Oben musterte ich mit meinem Fernrohr den östlichen Horizont. Da sah ich, daß drüben, jenseits des Flusses, ein sehr reges Leben herrschte. Am südlichen, also am linken Ufer des Zab wimmelte die Ebene von Reitern bis beinahe nach dem Tell Hamlia hinab, und unterhalb des Chelab lagen mehrere große Haufen von Ziegenschläuchen, aus denen man wohl soeben die Flösse machen wollte, welche zum Übersetzen der Obeïde dienen sollten. Das diesseitige Ufer des Tigris konnte ich nicht sehen – wegen der Höhe, hinter welcher das Thal Deradsch lag. Da ich noch Zeit hatte, so nahm ich mir vor, auch jene Höhe zu ersteigen.

Ich hatte auf dem Kamme des Höhenzuges einen sehr angestrengten Ritt, und es dauerte weit mehr als eine Stunde, bis ich den höchsten Punkt erreichte. Mein Pferd war so frisch, als ob es sich eben erst vom Schlafe erhöbe; ich band es an und kletterte über eine Art Felsenmauer hinauf. Da lag es unter mir, das Wadi Deradsch. Ich sah ganz im Hintergrunde die fertige Brustwehr, hinter welcher ihre Verteidiger ruhten, und bemerkte hüben und drüben die hinter den Felsen verborgenen Schützen und auch dort unten, mir gerade gegenüber, den Kavalleriehinterhalt.

Dann richtete ich das Rohr nach Süden.

Dort lag Zelt an Zelt, aber ich sah, daß man bereits im Begriffe stand, sie abzubrechen. Das waren die Abu Hammed und die Dschowari. Dort hatten wohl auch die Scharen von Sardanapal, Kyaxares und Alyattes kampirt. Dort hatten die Krieger des Nabopolassar auf den Knieen gelegen, als am 5. Mai im 5. Jahre jenes Herrschers eine Mondfinsterniß der totalen Sonnenfinsterniß folgte, welche die Schlacht von Halys so schrecklich machte. Dort hatte man wohl die Pferde aus den Fluthen des Tigris getränkt, als Nebukadnezar nach Egypten zog, um König Hophra abzusetzen, und das waren wohl dieselben Wasser, über welche der Todesgesang des Nerikolassar und des Nabonnad herübergeklungen ist bis zu den Bergen von Kara Zschook, Zibar und Sar Hasana.

Ich sah, daß die Ziegenhäute aufgeblasen und verbunden wurden, sah die Reiter, welche, die Pferde an der Hand führend, sich auf die Flösse begaben; ich sah die Flösse abstoßen und am diesseitigen Ufer landen. Es war mir, als müsse ich das Geschrei hören, mit welchem sie von ihren Verbündeten begrüßt wurden, die sich auf ihre Pferde warfen, um eine glänzende Phantasia auszuführen.

Das kam erwünscht, daß sie ihre Pferde jetzt so anstrengten; die Thiere mußten dann, wenn es galt, wohl ermüdet sein.

So saß ich wohl eine Stunde lang. Die Obeïde waren jetzt alle herüber, und ich sah, daß sich der Zug nach Norden zu in Bewegung setzte. Jetzt kletterte ich wieder herab, bestieg mein Pferd und kehrte zurück. Die Stunde der Entscheidung war gekommen.

Ich brauchte wieder fast eine Stunde, um den Punkt zu erreichen, von dem es mir möglich war, von der Höhe hinabzukommen. Schon wollte ich zu Thale lenken, als ich ganz dort oben am nördlichen Horizont etwas blitzen sah. Es war gewesen, als ob der Sonnenstrahl auf ein Glasstückchen fiele. Wir konnten den Feind nur von Süden her erwarten, dennoch aber nahm ich mein Fernrohr zur Hand und suchte die Stelle auf, an welcher ich den blitzartigen Schein bemerkt hatte. Endlich, endlich fand ich sie. Hart am Flusse bemerkte ich eine Anzahl dunkler Punkte, welche sich abwärts bewegten. Es mußten Reiter sein, und einer von ihnen war es, dessen Körper das Licht der Sonne reflektirte.

Waren es Feinde? Sie befanden sich nördlich grad so weit von dem Verstecke meiner Leute, wie ich südlich von demselben entfernt war. Hier galt kein Zögern; ich mußte ihnen zuvorkommen.

Ich trieb meinen Rappen an, der rasch abwärts stieg, dann aber, als er die Thalsohle unter den Hufen hatte, wie ein Vogel dahinflog. Ich war überzeugt, daß ich zur rechten Zeit eintreffen würde.

Als ich bei der Truppe anlangte, rief ich die Leute zusammen und theilte ihnen mit, was ich beobachtet hatte. Wir schafften die Pferde aus dem Halbkessel heraus, den das Terrain bildete. Dann versteckte sich die Hälfte der Haddedihn hinter dem südlichen Vorsprunge desselben, während der andere Theil zurückblieb, um – hinter Euphorbien und Gummipflanzen verborgen, den Ankommenden den Rückzug abzuschneiden.

Wir hatten nicht sehr lange zu warten, bis wir Hufschlag vernahmen. Master Lindsay lag neben mir und lauschte, während er die Büchse im Anschlage hielt.

»Wie Viele?«

»Konnte sie nicht genau zählen.«

»Ungefähr?«

»Zwanzig.«

»Pah! Warum denn so viele Mühe geben?«

Er erhob sich, schritt vor und setzte sich auf einen Steinblock. Seine beiden Diener folgten ihm augenblicklich.

Da kamen sie um die Ecke herum, voran ein hoher, kräftiger Araber, welcher unter seiner Aba einen Schuppenpanzer trug. Diesen hatte ich vorhin blitzen sehen. Es war eine wirklich königliche Gestalt. Der Mann hatte sich wohl nie in seinem Leben gefürchtet, war noch niemals erschrocken, denn selbst jetzt, als er so plötzlich und unerwartet die hier so ungewöhnliche Gestalt des Englishman erblickte, zuckte keine Wimper seiner Augen, und nur die Hand fuhr leise nach dem krummen Säbel.

Er ritt einige Schritte vor und wartete, bis die Seinigen alle herbeigekommen waren; dann winkte er einem Manne, der sich an seiner Seite befand. Dieser war sehr lang und hager und hing auf seinem Gaule, als ob er noch niemals einen Sattel berührt hätte. Man sah ihm sofort die griechische Abstammung an. Auf den erhaltenen Wink frug er den Engländer in arabischer Sprache:

»Wer bist Du?«

Master Lindsay erhob sich, lüftete den Hut und machte eine halbe Verbeugung, sagte aber kein Wort.

Der Fragende wiederholte seine Worte in türkischer Sprache.

»Im Inglis – ich bin ein Engländer,« lautete die Antwort.

»Ah, so begrüße ich Sie, verehrter Herr!« klang es jetzt in englischen Lauten. »Es ist eine außerordentliche Überraschung, hier in dieser Einsamkeit einen Sohn Albion's zu treffen. Darf ich um Ihren Namen bitten?«

»David Lindsay.«

»Dies sind Ihre Diener?«

»Yes!«

»Aber was thun Sie hier?«

»Nothing – nichts.«

»Sie müssen doch einen Zweck, ein Ziel haben?«

»Yes!«

»Und welches ist der Zweck?«

»To dig – ausgraben.«

»Was?«

»Fowling-bulls.«

»Ah!« lächelte der Mann überlegen. »Dazu braucht man Mittel, Zeit, Leute und Erlaubniß. Wie sind Sie hierher gekommen?«

»Mit Dampfer.«

»Wo ist er?«

»Nach Bagdad zurück.«

»So sind Sie mit zwei Dienern ausgestiegen?«

»Yes!«

»Hm, sonderbar! Und wohin wollen Sie zunächst?«

»Wo Fowling-bulls sind. Wer ist Master hier?«

Er deutete dabei auf den Araber im Schuppenpanzer. Der Grieche übersetzte diesem das bisherige Gespräch und antwortete dann:

»Dieser berühmte Mann ist Eslah el Mahem, Scheik der Obeïde-Araber, welche da drüben ihre Weideplätze haben.«

Ich erstaunte über diese Antwort. Also der Scheik war während des Aufbruchs seines Stammes nicht bei den Seinen gewesen.

»Wer Sie?« frug der Engländer weiter.

»Ich bin einer der Dolmetscher beim englischen Viceconsul zu Mossul.«

»Ah! Wohin?«

»Einer Expedition gegen die Haddedihn-Araber beiwohnen.«

»Expedition? Einfall? Krieg? Kampf? Warum?«

»Diese Haddedihn sind ein störrischer Stamm, dem man einmal Mores lehren muß. Sie haben mehrere Jezidi beschützt, als diese Teufelsanbeter von dem Gouverneur von Mossul angegriffen wurden. Aber wie kommt es, daß – – – –«

Er hielt inne, denn hinter dem Vorsprunge wieherte eines unserer Pferde, und ein anderes folgte diesem Beispiele. Sofort griff der Scheik in die Zügel, um vorwärts zu reiten und nachzusehen. Jetzt erhob ich mich.

»Erlauben Sie, daß auch ich mich Ihnen vorstelle!«

Der Scheik blieb vor Überraschung halten.

»Wer sind Sie?« frug der Dolmetscher. »Auch ein Engländer? Sie tragen sich aber doch genau wie ein Araber!«

»Ich bin ein Deutscher und gehöre zur Expedition dieses Herrn. Wir wollen hier Fowling-bulls ausgraben und zugleich uns ein wenig um die Sitten dieses Landes bekümmern.«

»Wer ist es?« frug der Scheik den Griechen.

»Ein Nemsi.«

»Sind die Nemsi Gläubige?«

»Sie sind Christen.«

»Nazarah? Dieser Mann ist doch ein Hadschi. War er in Mekka?«

»Ich war in Mekka,« antwortete ich ihm.

»Du sprichst unsere Sprache?«

»Ich spreche sie.«

»Du gehörst zu diesem Inglis?«

»Ja.«

»Wie lange seid Ihr bereits hier in dieser Gegend?«

»Bereits mehrere Tage.«

Seine Brauen zogen sich zusammen.

»Kennst Du die Haddedihn?«

»Ich kenne sie.«

»Woher hast Du sie kennen gelernt?«

»Ich bin der Rafik ihres Scheik.«

»So bist Du verloren!«

»Warum?«

»Ich nehme Dich gefangen, Dich und diese Drei.«

»Wann?«

»Sofort.«

»Du bist stark, aber Zedar Ben Huli, der Scheik der Abu Hammed, war auch stark!«

»Was willst Du mit ihm?«

»Er nahm mich gefangen und behielt mich nicht.«

»Maschallah! Bist Du der Mann, welcher den Löwen getödtet hat?«

»Ich bin es.«

»So bist Du mein. Mir entkommst Du nicht.«

»Oder Du bist mein und entkommst mir nicht. Sieh Dich um!«

Er that es, bemerkte aber niemand.

»Auf, Ihr Männer!« rief ich laut.

Sofort erhoben sich sämtliche Haddedihn und legten die Gewehre auf ihn und seine Leute an.

»Ah, Du bist klug wie ein Abul Hosseïn und tödtest die Löwen, mich aber fängst Du nicht!« rief er aus.

Er riß den krummen Säbel vom Gürtel, drängte sein Pferd zu mir heran und holte aus zum tödtlichen Hieb. Es war nicht schwer, mit ihm fertig zu werden. Ich schoß auf sein Pferd – dieses überstürzte sich – er fiel zu Boden – und ich hatte ihn rasch gepackt. Jetzt allerdings begann ein Ringen, welches mir bewies, daß er ein außerordentlich kräftiger Mann sei; ich mußte ihm den Turban abreißen und ihm einen Hieb auf die Schläfe versetzen, ehe ich seiner habhaft ward.

Während dieses kurzen Ringens wogte es rund um mich her; aber was da geschah, das war kein Kampf zu nennen. Ich hatte den Haddedihn befohlen, nur auf die Pferde zu schießen; infolgedessen wurden gleich durch die erste Salve, welche man gab, als der Scheik auf mich eindrang, sämmtliche Pferde der Obeïde entweder getödtet oder schwer verwundet. Die Krieger lagen zu Boden geworfen, und von allen Seiten starrten ihnen die langen, bewimpelten Lanzen der Haddedihn entgegen, welche ihnen fünffach überlegen waren. Selbst der Fluß bot ihnen keine Gelegenheit zum Entkommen, da unsere Kugeln jeden Schwimmenden erreicht hätten. Als sich der Knäuel löste, welchen sie nach der ersten Salve bildeten, standen sie rathlos bei einander; ihren Scheik hatte ich bereits den beiden Dienern Lindsay's zugeschoben, und nun konnte es nur mein Wunsch sein, den Auftritt ohne Blutvergießen zu endigen.

»Gebt Euch keine Mühe, Ihr Krieger der Obeïde; Ihr seid in unseren Händen. Ihr seid zwanzig Mann, wir aber zählen über hundert Reiter, und Euer Scheik befindet sich in meiner Hand!«

»Schießt ihn nieder!« gebot ihnen der Scheik.

»Wenn Einer von Euch seine Waffe gegen mich erhebt, so werden diese beiden Männer Euren Scheik tödten!« antwortete ich.

»Schießt ihn nieder, den Dib, den Ibn Avah, den Erneb!« rief er trotz meiner Drohung.

»Laßt Euch dies nicht einfallen; denn auch Ihr wäret verloren!«

»Eure Brüder werden Euch und mich rächen!« rief der Scheik.

»Eure Brüder? Die Obeïde? Vielleicht auch die Abu Hammed und die Dschowari!«

Er blickte mich überrascht an.

»Was weißt Du von ihnen?« stieß er hervor.

»Daß sie in diesem Augenblick von den Kriegern der Haddedihn ebenso überrumpelt werden, wie ich Dich und diese Männer gefangen habe.«

»Du lügst! Du bist ein Thier, welches Niemand schaden kann. Meine Krieger werden Dich mit allen Söhnen und Töchtern der Haddedihn fangen und fortführen!«

»Allah behüte Deinen Kopf, daß Du die Gedanken nicht verlierst! Würden wir hier auf Dich warten, wenn wir nicht gewußt hätten, was Du gegen Scheik Mohammed unternehmen willst?«

»Woher weißt Du, daß ich am Grabe des Hadschi Ali war?«

Ich beschloß, auf den Busch zu klopfen – und erwiederte also:

»Du warst am Grabe des Hadschi Ali, um Glück für Dein Unternehmen zu erbeten; aber dieses Grab liegt auf dem linken Ufer des Tigris, und Du bist dann an dieses Ufer gegangen, um im Wadi Murr zu erspähen, wo die andern Stämme der Schammar sich befinden.«

Ich sah ihm an, daß ich mit meiner Combination das Richtige getroffen hatte. Er stieß trotzdem ein höhnisches Gelächter aus und antwortete:

»Dein Verstand ist faul und träge wie der Schlamm, der im Flusse liegt. Gib uns frei, so soll Dir nichts geschehen!«

Jetzt lachte ich.

»Was wird uns geschehen, wenn ich es nicht thue?«

»Die Meinen werden mich suchen und finden. Dann seid Ihr verloren!«

»Deine Augen sind blind und Deine Ohren taub. Du hast weder gehört noch gesehen, was vorging, ehe die Deinigen über den Fluß herüber kamen.«

»Was soll geschehen sein?« frug er in verächtlichem Tone.

»Sie werden erwartet, ganz ebenso, wie ich Dich erwartet habe.«

»Wo?«

»Im Wadi Deradsch.«

Jetzt erschrak er sichtlich; daher setzte ich hinzu:

»Du siehst, daß Euer Plan verrathen ist. Du weißt, daß ich bei den Abu Hammed war. Ehe ich dorthin kam, war ich bei den Abu Mohammed. Sie und die Alabeïden, die Ihr so oft beraubtet, haben sich mit den Haddedihn verbunden, Euch in dem Wadi Deradsch einzuschließen. Horch!«

Es war eben jetzt ein dumpfes Knattern zu hören.

»Hörst Du diese Schüsse? Sie sind bereits im Thale eingeschlossen und werden alle niedergemacht, wenn sie sich nicht ergeben.«

»Allah il Allah!« rief er. »Ist das wahr?«

»Es ist wahr.«

»So tödte mich!«

»Du bist ein Feigling!«

»Ist es feig, wenn ich den Tod verlange?«

»Ja. Du bist der Scheik der Obeïde, der Vater Deines Stammes; es ist Deine Pflicht, ihm in der Noth beizustehen; Du aber willst ihn verlassen!«

»Bist Du verrückt? Wie kann ich ihm beistehen, wenn ich gefangen bin!«

»Mit Deinem Rathe. Die Haddedihn sind keine Scheusale, die nach Blut lechzen; sie wollen Euern Überfall zurückweisen und dann Frieden mit Euch schließen. Bei dieser Berathung darf der Scheik der Obeïde nicht fehlen.«

»Noch einmal: sagst Du die Wahrheit?«

»Ich sage sie.«

»Beschwöre es!«

»Das Wort eines Mannes ist sein Schwur. Halt, Bursche!«

Dieser Ruf galt dem Griechen. Er hatte bisher ruhig dagestanden, jetzt aber sprang er plötzlich auf einen meiner Leute, welche nach und nach näher getreten waren, um unsere Worte zu verstehen, stieß ihn zur Seite und eilte davon. Einige Schüsse krachten hinter ihm, aber in der Eile war nicht genau gezielt worden; es gelang ihm, den Vorsprung zu erreichen und hinter demselben zu verschwinden.

»Schießt jeden nieder, der sich hier rührt!«

Mit diesen Worten eilte ich dem Flüchtling nach. Als ich den Vorsprung erreichte, war er bereits über hundert Schritte von demselben entfernt.

»Bleib stehen!« rief ich ihm nach.

Er sah sich rasch um, sprang aber weiter. Es that mir leid, aber ich war gezwungen, auf ihn zu schießen; doch nahm ich mir vor, ihn nur zu verwunden, wenn es möglich war. Ich zielte scharf und drückte ab. Er lief noch eine kleine Strecke vorwärts und blieb dann stehen. Es war, als ob ihn eine unsichtbare Hand einmal um seine eigene Axe drehte, dann fiel er nieder.

»Holt ihn herbei!« gebot ich.

Auf dieses Gebot liefen einige Haddedihn zu ihm und trugen ihn herbei. Die Kugel saß in seinem Oberschenkel.

»Du siehst, Eslah el Mahem, daß wir Ernst machen. Befiehl Deinen Leuten, sich zu ergeben!«

»Und wenn ich es ihnen nicht befehle?«

»So zwingen wir sie, und dann fließt ihr Blut, was wir gern vermeiden wollen.«

»Willst Du mir später bezeugen, daß ich mich nur ergeben habe, weil Ihr fünfmal mehr seid als wir, und weil Du mir sagst, daß die Meinen in dem Wadi Deradsch eingeschlossen sind?«

»Ich bezeuge es Dir!«

»So gebt Eure Waffen ab!« knirschte er. »Aber Allah verderbe Dich bis in die tiefste Dschehennah hinunter, wenn Du mich belogen hast!«

Die Obeïde wurden entwaffnet.

»Sir!« rief Lindsay während dieser Beschäftigung.

»Was?« frug ich und drehte mich um.

Er hielt den Arm des verwundeten Griechen gefaßt und meldete:

»Frißt Papier, der Kerl!«

Ich trat hinzu. Der Grieche hatte noch einen Papierfetzen in der zusammengeballten Hand.

»Geben Sie her!« sagte ich.

»Nie!«

»Pah!«

Ein Druck auf seine Hand – er schrie vor Schmerz auf und öffnete die Finger. Das Papier war der Theil eines Briefumschlags und enthielt nur ein einziges Wort: Bagdad. Der Mensch hatte den andern Theil des Couverts und den eigentlichen Brief entweder schon verschlungen oder noch im Munde.

»Geben Sie heraus, was Sie im Munde haben!«

Ein höhnisches Lächeln war seine Antwort, und zugleich sah ich, wie er den Kopf etwas erhob, um leichter schlingen zu können. Sofort faßte ich ihn bei der Kehle. Unter meinem nicht eben sanften Griff that er in der Angst des Erstickens den Mund auf. Es gelang mir nun, ein Papierklümpchen an's Tageslicht zu fördern. Die Papierfetzen enthielten nur wenige Zeilen in Chiffreschrift, und außerdem schien es ganz unmöglich, die einzelnen Fetzen so zusammenzusetzen, wie sie zusammengehörten.

Ich faßte den Griechen scharf ins Auge und frug ihn:

»Von wem war dieses Schreiben verfaßt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Von wem hast Du es erhalten?«

»Ich weiß es nicht.«

»Lügner, hast Du Lust, hier elend liegen zu bleiben und zu sterben?«

Er sah mich erschrocken an.

»Wenn Du nicht antwortest, so wirst Du nicht verbunden, und ich lasse Dich hier zurück für die Geier und Schakale!«

»Ich muß schweigen.«

»So schweige auf ewig!«

Ich erhob mich. Das wirkte.

»Frage, Effendi!«

»Von wem hast Du diesen Brief?«

»Vom englischen Viceconsul in Mossul.«

»An wen war er gerichtet?«

»An den Consul zu Bagdad.«

»Kennst Du seinen Inhalt?«

»Nein.«

»Lüge nicht!«

»Ich schwöre, daß ich keinen Buchstaben zu lesen bekam!«

»Aber Du ahntest, was er enthielt?«

»Ja.«

»So rede!«

»Politik!«

»Natürlich!«

»Weiter darf ich nichts sagen.«

»Hast Du einen Schwur abgelegt?«

»Ja.«

»Hm! Du bist ein Grieche?«

»Ja.«

»Woher?«

»Aus Lemnos.«

»Ich dachte es! Der ächte Türke ist ein ehrlicher, biederer Charakter, und wenn er anders wird oder anders geworden ist, so tragt Ihr die Schuld, Ihr, die Ihr Euch Christen nennt und doch schlimmer seid, als die ärgsten Heiden. Wo in der Türkei eine Gaunerei oder ein Halunkenstreich verübt wird, da hat ein Grieche seine schmutzige Hand im Spiele. Du würdest heute Deinen Eid brechen, wenn ich Dich zwänge oder Dir den Eidbruch bezahlte, Spion! Wie hast Du es zum Dragoman in Mossul gebracht? Schweig! Ich ahne es, denn ich weiß, wodurch Ihr Alles werdet, was Ihr seid! Du magst Deinem Eide treu bleiben, denn die Politik, von der Du sprachst, kenne ich! Warum hetzt Ihr diese Stämme gegen einander auf? Warum stachelt Ihr einmal den Türken und das andere Mal den Perser gegen sie auf? Und das thun Christen! Andere, welche die Lehre des Weltheilandes wirklich befolgen, bringen die Worte der Liebe und des Erbarmens in dieses Land, und Ihr säet Unkraut zwischen den Weizen, daß er erstickt, Eure Saat aber tausendfältige Früchte trägt. Fliehe zu Deinem Popen; er mag für Dich um Vergebung bitten! Du hast auch den Russen gedient?«

»Ja, Herr.«

»Wo?«

»In Stambul.«

»Wohlan! Ich sehe, daß Du wenigstens noch fähig bist, die Wahrheit zu bekennen, und daher will ich Dich nicht der Rache der Haddedihn übergeben.«

»Tue es nicht, Effendi! Meine Seele wird Dich dafür segnen!«

»Behalte Deinen Segen! Wie ist Dein Name?«

»Alexander Kolettis.«

»Du trägst einen berühmten Namen, aber Du hast mit demjenigen, der ihn früher trug, nichts gemein. Bill!«

»Sir!«

»Kannst Du eine Wunde verbinden?«

»Das nicht, Sir, aber ein Loch verknüpfen, das kann ich wohl.«

»Knüpfe es ihm zu!«

Der Grieche wurde von dem Engländer verbunden. Wer weiß, ob ich nicht anders gehandelt hätte, wenn ich damals gewußt hätte, unter welchen Umständen ich diesen Menschen später wiedersehen sollte. Ich wandte mich zu dem gefesselten Scheik:

»Eslah el Mahem, Du bist ein tapferer Mann, und es thut mir leid, einen mutigen Krieger gefesselt zu sehen. Willst Du mir versprechen, stets an meiner Seite zu bleiben und keinen Versuch zu machen, zu entfliehen?«

»Warum?«

»Dann werde ich Dir Deine Fesseln abnehmen lassen.«

»Ich verspreche es!«

»Bei dem Barte des Propheten?«

»Bei dem Barte des Propheten und dem meinigen!«

»Nimm Deinen Leuten dasselbe Versprechen ab!«

»Schwört mir, diesem Manne nicht zu entfliehen!« gebot er.

»Wir schwören es!« ertönte die Antwort.

»So sollt Ihr nicht gebunden werden,« versprach ich ihnen.

Zugleich löste ich die Bande des Scheik.

»Sihdi, Du bist ein edelmüthiger Krieger,« sagte er. »Du hast nur unsere Thiere tödten lassen, uns aber verschont. Allah segne Dich, obgleich mein Pferd mir lieber als ein Bruder war!«

Ich sah es seinen edeln Zügen an, daß diesem Manne jeder Verrath, jede Gemeinheit und Treulosigkeit fremd war.

»Du hast Dich zu diesem Kampfe gegen die Angehörigen Deines Volkes von fremden Zungen verleiten lassen; sei später stärker! Willst Du Dein Schwert, Deinen Dolch und Deine Flinte wieder haben?«

»Das thust Du nicht, Effendi!« erwiderte er erstaunt.

»Ich thue es. Ein Scheik soll der Edelste seines Stammes sein; ich mag Dich nicht wie einen Huteijeh oder wie einen ChelawijehVerachtete Stämme, die zum Pöbel gerechnet werden, ungefähr wie die Paria in Indien behandeln. Du sollst vor Mohammed Emin, den Scheik der Haddedihn, treten wie ein freier Mann, mit den Waffen in der Hand.«

Ich gab ihm seinen Säbel und auch die anderen Waffen. Er sprang auf und starrte mich an.

»Wie ist Dein Name, Sihdi?«

»Die Haddedihn nennen mich Emir Kara Ben Nemsi.«

»Wo weidet Dein Stamm seine Heerden?«

»Im fernen Abendlande. Ich bin ein Franke.«

»Ein Franke?«

»Ja, ein Christ.«

»Du gehörst zu den Naßarah? Aber Du trägst doch den weißen Turban und auch das Hamaïl am Halse!«

»ich bin ein Christ und doch ein Hadschi, denn ich war in Mekka.«

»So bist Du ein Christ, Emir! Heute erfahre ich, daß die Naßarah keine Hunde, sondern daß sie edelmüthiger und weiser sind als die Moslemim. Denn glaube mir: mit den Waffen, die Du mir wiedergibst, hast Du mich leichter überwunden, als es mit den Waffen geschehen könnte, die Du bei Dir trägst und mit denen Du mich tödten könntest. Zeige mir Deinen Dolch!«

Ich that es. Er prüfte die Klinge und meinte dann:

»Dieses Eisen breche ich mit einer Hand aus einander; siehe dagegen meinen Schambijeh!«

Er zog ihn aus der Scheide. Es war ein Kunstwerk, zweischneidig, leicht gekrümmt, wunderbar damascirt, und in arabischer Sprache stand zu beiden Seiten der Wahlspruch: ›Nur nach dem Siege in die Scheide.‹ Er war gewiß von einem jener alten, berühmten Waffenschmiede in Damaskus gefertigt worden, welche heut zu Tage ausgestorben sind und mit denen sich jetzt keiner mehr vergleichen kann.

»Gefällt er Dir?« frug der Scheik.

»Er ist wohl fünfzig Schafe werth!«

»Sage hundert oder hundertfünfzig, denn es haben ihn zehn meiner Väter getragen, und er ist niemals zersprungen. Er sei Dein; gib mir den Deinigen dafür!«

Das war ein Tausch, den ich nicht zurückweisen durfte, wenn ich den Scheik nicht unversöhnlich beleidigen wollte. Ich gab also meinen Dolch hin.

»Ich danke Dir, Hadschi Eslah el Mahem; ich werde diese Klinge tragen zum Andenken an Dich und zu Ehren Deiner Väter!«

»Sie läßt Dich nie im Stiche, so lange Deine Hand fest bleibt!«

Da hörten wir den Hufschlag eines Pferdes, und gleich darauf bog ein Reiter um den Felsenvorsprung, welcher unser Versteck nach Süden abschloß. Es war kein anderer als mein kleiner Halef.

»Sihdi, Du sollst kommen!« rief er, als er mich erblickte.

»Wie steht es, Hadschi Halef Omar?«

»Wir haben gesiegt.«

»Ging es schwer?«

»Es ging leicht. Alle sind gefangen!«

»Alle?«

»Mit ihren Scheiks! Hamdullillah! Nur Eslah el Mahem, der Scheik der Obeïde, fehlt.«

Ich wandte mich an diesen:

»Siehst Du, daß ich Dir die Wahrheit sagte?« Dann frug ich Halef: »Trafen die Abu Mohammed zur rechten Zeit ein?«

»Sie kamen hart hinter den Dschowari und schlossen das Wadi so, daß kein Feind entkommen konnte. Wer sind diese Männer?«

»Es ist Scheik Eslah el Mahem, von dem Du sprachst.«

»Deine Gefangenen?«

»Sie werden mit mir kommen.«

»Wallah, billah, tillah! Erlaube, daß ich gleich zurückkehre, um diese Kunde Mohammed Emin und Scheik Malek zu bringen!«

Er jagte wieder davon.

Scheik Eslah bestieg eines unserer Pferde; auch der Grieche wurde auf eines derselben gesetzt; die Übrigen mußten gehen. So setzte sich der Zug in Bewegung. Wenn es im Wadi Deradsch nicht mehr Blut gekostet hatte, als bei uns, so konnten wir zufrieden sein.

Der bereits erwähnte Thalpaß führte uns auf die andere Seite der Berge; dann ging es auf der Ebene stracks nach Süden. Wir hatten das Wadi noch lange nicht erreicht, als ich vier Reiter bemerkte, welche uns entgegen kamen. Ich eilte auf sie zu. Malek, Mohammed Emin und die Scheiks der Abu Mohammed und der Alabeïde-Araber waren es.

»Du hast ihn gefangen?« rief mir jetzt Mohammed Emin entgegen.

»Eslah el Mahem? Ja.«

»Allah sei Dank! Nur er fehlte uns noch. Wie viele Männer hat Dich der Kampf gekostet?«

»Keinen.«

»Wer wurde verwundet?«

»Keiner. Nur einer der Feinde erhielt einen Schuß.«

»So ist Allah gnädig gewesen mit uns. Wir haben nur zwei Todte und elf Verwundete.«

»Und der Feind?«

»Dem ist es schlimmer ergangen. Er wurde so fest eingeschlossen, daß er sich nicht zu rühren vermochte. Unsere Schützen trafen gut, und konnten doch nicht selbst getroffen werden, und unsere Reiter hielten fest zusammen, wie Du es ihnen gelehrt hast. Sie ritten Alles nieder, als sie aus den Schluchten hervorbrachen.«

»Wo befindet sich der Feind?«

»Gefangen im Wadi. Sie haben alle ihre Waffen abgeben müssen, und keiner kann entkommen, denn das Thal wird von uns eingeschlossen. Ha, jetzt sehe ich Eslah el Mahem! Aber wie, er trägt die Waffen?«

»Ja. Er hat mir versprachen, nicht zu entfliehen. Weißt Du, daß man den Tapfern ehren soll?«

»Er wollte uns vernichten!«

»Er wird dafür bestraft werden.«

»Du hast ihm die Waffen gelassen, und so mag es gut sein. Komm!«

Wir eilten dem Kampfplatz zu, und die Anderen folgten uns so schnell wie möglich. Auf dem Verbandsplatz herrschte reges Leben, und vor demselben bildet eine Anzahl bewaffneter Haddedihn einen Kreis, in dessen Mitte die besiegten und jetzt gefesselten Scheiks saßen. Ich wartete, bis Eslah herbeikam, und frug ihn schonend:

»Willst Du bei mir bleiben?«

Seine Antwort klang, wie ich es erwartet hatte:

»Sie sind meine Verbündeten; ich gehöre zu ihnen.«

Er trat in den Kreis und setzte sich an ihrer Seite nieder. Es wurde dabei kein Wort gesprochen, aber man sah es, daß die beiden Andern bei seinem Erscheinen erschracken. Vielleicht hatten sie auf ihn noch einige Hoffnung gesetzt.

»Führe Deine Gefangenen in das Wadi!« sagte Malek.

Ich folgte ihm. Als ich das Thal betrat, bot sich mir ein außerordentlich malerischer Anblick dar. In die Brustwehr war zur Erleichterung des Verkehrs eine Bresche gerissen; zu beiden Seiten der Thalwände hatten sich Wachtposten aufgestellt; die ganze Thalsohle wimmelte von gefangenen Menschen und Pferden, und im Hintergrunde lagerten diejenigen unserer Verbündeten, welche noch im Wadi Platz gefunden hatten. Dazwischen waren verschiedene Haddedihn beschäftigt, die Pferde der Feinde zu sammeln, um sie hinaus auf die Ebene zu bringen, wo auch die Waffen derselben auf einem einzigen großen Haufen lagen.

»Hast Du so etwas bereits gesehen?« frug mich Malek.

»Noch Größeres.«

»Ich nicht.«

»Sind die feindlichen Verwundeten gut aufgehoben?«

»Man hat sie verbunden, wie Du es gesagt hast.«

»Und was wird nun geschehen?«

»Wir werden heute unsern Sieg feiern und die größte Phantasia veranstalten, die es jemals hier gegeben hat.«

»Nein, das werden wir nicht.«

»Warum?«

»Wollen wir die Feinde durch unser Fest verbittern?«

»Haben sie uns gefragt, ob sie uns mit ihrem Einfalle verbittern werden?«

»Haben wir Zeit zu einem solchen Feste?«

»Was sollte uns abhalten?«

»Die Arbeit. Freund und Feind muß gelabt werden.«

»Wir werden Leute beordern, welche dies zu thun haben.«

»Wie lange wollt Ihr die Gefangenen bewahren?«

»Bis sie zurückkehren dürfen.«

»Und wann soll dies geschehen?«

»So bald wie möglich; wir hätten nichts zu essen für dieses Heer von Freunden und Feinden.«

»Siehst Du, daß ich Recht habe? Ein Freudenfest soll gefeiert werden, aber erst dann, wenn wir Zeit dazu haben. Zunächst ist es nothwendig, daß sich die Scheiks versammeln, um über Alles zu sprechen, was beschlossen werden muß, und dann müssen die Beschlüsse schleunigst ausgeführt werden. Sage den Scheiks, daß sechstausend Menschen nicht viele Tage hier beisammen sein dürfen!«

Er ging. Nun trat Lindsay heran.

»Herrlicher Sieg! Nicht?«

»Sehr!«

»Wie meine Sache gemacht, Sir?«

»Ausgezeichnet!«

»Schön! Hm! Viele Menschen hier.«

»Man sieht es.«

»Ob wohl Einige darunter sind, die wissen, wo Ruinen liegen?«

»Möglich; man müßte sich einmal erkundigen.«

»Fragt einmal, Sir!«

»Sobald es möglich ist, ja.«

»Jetzt gleich, sofort!«

»Verzeiht, Sir, ich habe jetzt keine Zeit. Vielleicht ist meine Anwesenheit bei der Berathung nöthig, welche jetzt beginnen wird.«

»Schön! Hm! Aber nachher fragen! Wie?«

»Sicher!«

Ich ließ ihn stehen und schritt zu den Zelten.

Dort fand ich reichliche Arbeit, da Vieles an den Verbänden zu verbessern war. Als ich dies besorgt hatte, trat ich in jenes Zelt, in welchem die Scheiks ihre Besprechung hielten.

Diese ging sehr lebhaft vor sich. Man konnte sich schon im Princip nicht einigen, und ich glaube, daß ich ihnen willkommen kam.

»Du wirst uns Auskunft geben, Hadschi Emir Kara Ben Nemsi,« sagte Malek. »Du bist in allen Ländern der Erde gewesen und weißt, was recht und vortheilhaft ist.«

»Fragt, ich werde antworten!«

»Wem gehören die Waffen der Besiegten?«

»Dem Sieger.«

»Wem ihre Pferde?«

»Dem Sieger.«

»Wem ihre Kleider?«

»Die Räuber nehmen sie ihnen, der wahre Gläubige aber läßt sie ihnen.«

»Wem gehört ihr Geld, ihr Schmuck?«

»Der wahre Gläubige nimmt nur ihre Waffen und ihre Pferde.«

»Wem gehören ihre Heerden?«

»Wenn sie nichts weiter besitzen als ihre Heerden, so gehören sie ihnen, aber sie haben die Kosten des Krieges und den jährlichen Tribut davon zu bezahlen.«

»Du sprichst wie ein Freund unserer Feinde. Wir haben sie besiegt, und nun gehört uns ihr Leben und Alles, was sie besitzen.«

»Ich rede als ihr Freund und als der Eurige. Du sagst, daß ihr Leben Euch gehöre?«

»So ist es.«

»Wollt Ihr es ihnen nehmen?«

»Nein. Wir sind keine Henker und keine Mörder.«

»Und doch nehmt Ihr ihnen ihre Heerden? Können sie leben ohne die Heerden?«

»Nein.«

»Wenn Ihr ihnen die Heerden nehmt, so nehmt Ihr Ihnen also das Leben. Ja, Ihr beraubt Euch in diesem Falle selbst!«

»Wie?«

»Sie sollen Euch in Zukunft Tribut bezahlen?«

»Ja.«

»Wovon? Kann ein Beni-Arab Tribut bezahlen, wenn er keine Heerden hat?«

»Dein Mund spricht weise und verständig.«

»Hört weiter! Wenn Ihr ihnen alles nehmt: ihre Kleider, ihre Kostbarkeiten, ihre Heerden, so zwingt Ihr sie, zu stehlen und zu rauben, damit sie nicht verhungern. Und wo werden sie stehlen? Bei ihrem Nachbar zunächst; das seid Ihr. Wo werden sie rauben? Bei dem zuerst, der sie arm gemacht hat und zum Rauben zwingt, und das seid Ihr. Was ist besser, Freunde zum Nachbar zu haben oder Räuber?«

»Das Erstere.«

»So macht sie zu Euren Freunden und nicht zu Räubern! Man nimmt dem Besiegten nur das, womit er schaden kann. Wenn Ihr ihnen die Waffen und die Pferde nehmt, so erhaltet Ihr zehntausend Stück verschiedene Waffen und dreitausend Pferde. Ist dies wenig?«

»Es ist viel, wenn man es sich recht bedenkt.«

»Sie haben dann weder Waffen noch genug Pferde mehr, um Krieg zu führen. Ihr werdet sie beherrschen, und sie werden sich unter Euren Schutz begeben müssen, um gegen ihre anderen Feinde gerüstet sein zu können; dann werden sie Euch auch gegen Eure Feinde helfen müssen. Ich habe gesprochen!«

»Du sollst noch mehr sprechen! Wie viel nimmt man ihnen heute von ihren Heerden?«

»So viel wie der Schaden beträgt, den Euch ihr Überfall gemacht hat.«

»Und wie viel fordert man Tribut von ihnen?«

»Man macht eine solche Forderung, daß sie immer so viel behalten, um ohne große Noth leben zu können. Ein kluger Scheik hätte dabei darauf zu sehen, daß sie nicht wieder mächtig genug werden, um die Niederlage vergelten zu können.«

»Nun bleibt die Blutrache übrig. Wir haben mehrere der Ihrigen getödtet.«

»Und sie mehrere der Eurigen. Ehe die Gefangenen entlassen werden, mögen die Chamseh und Aaman zusammentreten und den Blutpreis bestimmen. Ihr habt mehr zu bezahlen, als sie, und könnt es gleich bezahlen von der Beute, welche Ihr macht.«

»Wird man uns die Kriegsentschädigung bringen?«

»Nein. Ihr müßt sie holen. Die Gefangenen müssen hier bleiben, bis Ihr sie erhalten habt. Und um des Tributes sicher zu sein, müßt Ihr stets einige vornehme Leute der besiegten Stämme als Geiseln bei Euch haben. Zahlt man den Tribut nicht, so kommen die Geiseln in Gefahr.«

»Wir würden sie tödten. Nun sollst Du uns das Letzte sagen.«

»Was ist es?«

»Wie vertheilen wir die Kriegsentschädigung und den Tribut unter uns? Das ist sehr schwer zu bestimmen.«

»Das ist sogar sehr leicht zu bestimmen, wenn Ihr Freunde seid. Die Entschädigung holt Ihr Euch, während Ihr hier noch beisammen seid, und dann könnt Ihr sie nach den Köpfen vertheilen.«

»So soll es sein!«

»Nun seid Ihr drei Stämme, und sie sind drei Stämme; auch die Zahl der Mitglieder dieser Stämme ist fast gleich. Warum soll nicht je ein Stamm von Euch von einem Stamme von ihnen den jährlichen Tribut erhalten? Ihr seid Freunde und Gefährten. Wollt Ihr Euch um den Schwanz eines Schafes oder um die Hörner eines Stieres zanken und entzweien?«

»Du hast recht. Wer aber soll die Kriegsentschädigung von ihren Weideplätzen holen?«

»So viele Leute, als dazu erforderlich sind, und dabei sollen zwei Drittel der Eurigen und ein Drittel der Ihrigen sein.«

»Das ist gut. Und was wirst Du von dieser Entschädigung erhalten?«

»Nichts. Ich ziehe weiter und brauche keine Heerden. Waffen und ein Pferd habe ich auch.«

»Und die drei Männer, welche bei Dir sind?«

»Die werden auch nichts nehmen; sie haben Alles, was sie brauchen.«

»So wirst Du nehmen müssen, was wir Dir als Dank darbringen werden. Dein Haupt ist nicht so alt wie eines der Unsrigen, aber Du hast dennoch unsern Kriegern gelehrt, wie man über einen großen Feind siegt, ohne viele Todte zu haben.«

»Wenn Ihr mir danken wollt, so thut denen wohl, welche als Eure Feinde verwundet in Euren Zelten liegen, und seht, ob Ihr eine Ruine findet, aus welcher man Figuren und Steine mit fremden Schriften graben kann. Mein Gefährte wünscht solche Dinge zu sehen. Nun habt Ihr gehört, was ich Euch zu sagen habe. Allah erleuchte Eure Weisheit, damit ich bald erfahre, was Ihr beschlossen habt!«

»Du sollst bleiben und mit uns berathen!«

»Ich kann nichts Anderes sagen, als was ich bereits gesagt habe. Ihr werdet das Richtige treffen.«

Ich ging hinaus und beeilte mich, den gefangenen Scheiks Datteln und Wasser zu besorgen. Dann traf ich auf Halef, der mich nach dem Wadi Deradsch begleitete, welches ich jetzt näher in Augenschein nehmen wollte. Die gefangenen Abu Hammed kannten mich. Einige von ihnen erhoben sich ehrerbietig, als ich vor ihnen vorüberging, und Andere steckten flüsternd die Köpfe zusammen. Im Hintergrunde wurde ich von den dort anwesenden Abu Muhammed mit Freuden begrüßt. Sie waren ganz begeistert, die mächtigen Feinde auf eine so leichte Weise besiegt zu haben. Ich ging von Gruppe zu Gruppe, und so kam es, daß mehrere Stunden vergangen waren, als ich die Zelte wieder erreichte.

Während dieser Zeit hatten die nach dem Weideplatze gesandten Boten dafür gesorgt, daß das Lager abgebrochen und in die unmittelbare Nähe des Wadi Deradsch verlegt wurde. Die ganze Ebene wimmelte bereits von Heerden, und nun gab es Hämmel genug zu den Festmahlzeiten, welche heute Abend in jedem Zelte zu erwarten waren. Mohammed Emin hatte mich bereits gesucht.

»Dein Wort ist so gut wie Deine That,« meinte er. »Es ist befolgt worden. Die Obeïde werden den Haddedihn, die Abu Hammed den Abu Mohammed und die Dschowari den Alabeïde den Tribut bezahlen.«

»Wie viel Kriegsentschädigung entrichten die einzelnen Stämme?«

Er nannte die Ziffern: sie waren bedeutend, doch nicht grausam; dies freute mich außerordentlich, zumal ich mir sagen konnte, daß mein Wort hier nicht ganz ohne Einfluß gewesen war, gegenüber den grausamen Gewohnheiten, welche in solchen Fällen in Anwendung kamen. Von Sklaverei war keine Rede gewesen.

»Wirst Du mir eine Bitte erfüllen?« frug der Scheik.

»Gern, wenn ich kann. Sprich sie aus!«

»Wir werden einen Theil der Heerden der Besiegten holen; dazu brauchen die Männer, welche wir senden, weise und tapfere Anführer. Ich und Scheik Malek müssen hier bei den Gefangenen bleiben. Wir brauchen drei Anführer, einen zu den Obeïde, einen zu den Abu Hammed und einen zu den Dschowari. Die Scheiks der Abu Mohammed und der Alabeïde sind bereit; es fehlt uns der dritte. Willst Du es sein?«

»Ich will.«

»Wohin willst Du gehen?«

»Wohin gehen die Andern?«

»Sie wollen Dir die erste Wahl überlassen.«

»So gehe ich zu den Abu Hammed, weil ich bereits einmal bei ihnen gewesen bin. Wann sollen wir aufbrechen?«

»Morgen. Wie viele Männer willst Du mit Dir nehmen?«

»Vierzig Mann von den Abu Hammed und sechzig von Deinen Haddedihn. Auch Halef Omar nehme ich mit.«

»So suche sie Dir heraus. Werden die Abu Hammed bewaffnet sein müssen?«

»Nein, denn das wäre ein großer Fehler. Seid Ihr mit den Scheiks der Besiegten bereits einig geworden?«

»Nein. Das wird bis zum letzten Gebete heute geschehen.«

»Behalte die angesehenen Krieger hier und schicke nur die gewöhnlichen Männer mit uns fort; diese sind zum Treiben der Heerden gut genug.«

Ich ging, um mir meine Leute auszuwählen; dabei traf ich auf Lindsay.

»Gefragt, Sir?« redete er mich an.

»Noch nicht.«

»Warum nicht?«

»Ist nicht nöthig, denn ich habe den Scheiks Auftrag gegeben, nachzuforschen.«

»Herrlich! Prächtig! Scheiks wissen Alles! Werde Ruinen finden!«

»Ich denke es! Wollt Ihr einen interessanten Ritt mitmachen?«

»Wohin?«

»Bis unterhalb von El Fattha, wo der Tigris durch die Hamrinberge geht.«

»Was dort?«

»Die Kriegsentschädigung holen, welche in Heerden besteht.«

»Bei wem?«

»Bei dem Stamme Abu Hammed, der uns damals unsere Pferde raubte.«

»Köstlich, Sir! Bin dabei! Wie viele Männer mit?«

»Hundert.«

»Gut! Prächtig! Imposanter Zug. Ruinen dort?«

»Mehrere Gräberhügel, aber am linken Ufer.«

»Kommen nicht hinüber?«

»Nein.«

»Schade! Jammerschade! Konnten nachsuchen! Fowling-bulls finden!«

»Wir werden trotzdem etwas Ausgezeichnetes finden.«

»Was?«

»Etwas Leckeres, das wir lange entbehrt haben, nämlich Trüffeln.«

»Trüffeln? Oh! Ah!«

Er sperrte den Mund so weit auf, als ob er eine ganze Trüffelpastete auf einmal verspeisen wolle.

»Sie wachsen in Haufen in jener Gegend, und ich habe erfahren, daß damit ein nicht unbedeutender Handel nach Bagdad, Baßra, Kerkuk und Sulimaniah getrieben wird. Sogar bis Kirmanschah sollen sie gehen.«

»Gehe mit, Sir, gehe mit! Trüffeln! Hm! Prachtvoll!«

Damit verschwand er, um seinen beiden Dienern die große Neuigkeit mitzutheilen; ich aber ging, um meine Leute herauszusuchen.

Bis zum Abend sahen sich die drei besiegten Scheiks wirklich gezwungen, auf alle Forderungen der Sieger einzugehen, und nun begann ein Freudenfest, infolgedessen mancher feiste Hammel sein Leben lassen mußte. Mitten in diesem Jubel lag ich unter duftenden Blüthen, umklungen von tausend Stimmen und doch allein mit meinen Gedanken. Vor vielen Jahrhunderten hatten hier die Doryphoren ihre gefürchteten Speere geschwungen. Hier hatte vielleicht auch das Zelt des Holofernes gestanden, aus Gold und Purpur gefertigt und mit Smaragden und Edelsteinen geschmückt. Und drüben auf den rauschenden Wellen des Flusses hatten die Fahrzeuge geankert, welche Herodot beschreibt:

»Die Boote sind von kreisrunder Form und aus Fellen gemacht. Sie werden in Armenien und in den Gegenden ober Assyrien gebaut. Die Rippen werden aus Weidenruthen und Zweigen gemacht und sind außerhalb mit Fellen umgeben. Sie sind rund, wie ein Schild, und zwischen Vordertheil und Hintertheil ist kein Unterschied. Den Boden ihrer Schiffe kleiden die Schiffer mit Rohr oder Stroh aus, und Kaufmannsgüter, besonders Palmwein einnehmend, schwimmen sie den Fluß hinunter. Die Boote haben zwei Ruder; an jedem ist ein Mann. Der Eine zieht auf sich zu, und der Andere stößt von sich ab. Diese Schiffe haben verschiedene Maßverhältnisse; einige sind so groß, daß sie eine Last bis zum Werthe von fünf tausend Talenten tragen; die kleineren haben einen Esel an Bord; die größeren mehrere. Sobald die Bootsleute nach Babylon kommen, verfügen sie über die Waaren und Güter und bieten dann die Rippen und das Rohr des Floßes zum Verkaufe aus. Mit den Schläuchen beladen sie dann ihre Esel und gehen mit ihnen nach Armenien zurück, wo sie neue Fahrzeuge bauen.«

Trotz der Jahrhunderte sind sich diese Fahrzeuge gleich geblieben; aber die Völker, welche hier lebten, sind verschwunden. Wie wird es sein, wenn abermals eine solche Zeit vergangen ist? – –

Am andern Vormittage brachen wir auf: ich mit Halef und einem Abu Hammed als Führer voran, die Andern hinter mir. Den Nachtrab machte Sir David Lindsay.

Wir kamen zwischen den Kanuza- und Hamrinbergen hindurch und erblickten bald am linken Ufer Tell Hamlia, einen kleinen, künstlichen Hügel. Am rechten Ufer lag Kalaat al Dschebber, ›die Burg der Tyrannen‹, eine Ruine, welche aus einigen verfallenen, runden Thürmen besteht, die durch Wälle verbunden sind. Dann erreichten wir Tell Dahab, einen kleinen Hügel, welcher am linken Ufer des Flusses liegt, und bei Brey el Bad, einem ziemlich steilen Felsen, machten wir Halt, um das Mittagsmahl einzunehmen. Gegen Abend gelangten wir nach El Fattha, wo sich der Fluß einen fünfzig Ellen breiten Weg durch die Hamrinberge zwingt, und als wir diese Enge überwunden hatten, schlugen wir das Nachtlager auf. Die Abu Hammed waren unbewaffnet, aber ich theilte die Haddedihn doch in zwei Hälften, welche abwechselnd zu wachen hatten, damit keiner der Gefangenen entfliehen solle. Wäre es nur einem Einzigen gelungen, so hätte er seinem Stamme unsere Ankunft verrathen, und die besten Thiere wären dann geflüchtet oder versteckt worden.

Mit Tagesgrauen brachen wir wieder auf. Der Fluß war breit und bildete viele Inseln. An dem linken Ufer zogen sich niedrige Hügel hin, am rechten aber lag die Ebene offen vor uns, und hier sollten sich längs des Flusses die Abu Hammed gelagert haben.

»Habt Ihr einen Weideplatz oder mehrere?« frug ich den Führer.

»Nur einen.«

Ich sah es ihm an, daß er mir die Unwahrheit sagte.

»Du lügst!«

»Ich lüge nicht, Emir!«

»Nun gut. Ich will mir Mühe geben, Dir zu glauben; aber wenn ich bemerke, daß Du mich täuschest, so jage ich Dir eine Kugel durch den Kopf!«

»Das wirst Du nicht thun!«

»Ich thue es!«

»Du thust es nicht, denn ich sage Dir, daß wir vielleicht zwei Plätze haben.«

»Vielleicht?«

»Oder gewiß; also zwei.«

»Oder drei!«

»Nur zwei!«

»Gut. Wenn ich aber drei finde, so bist Du verloren!«

»Verzeihe, Emir! Sie könnten ja unterdessen noch einen gefunden haben. Dann sind es drei.«

»Dann?«

»Ja.«

»Sonst aber nicht?«

»Drei!«

»Ah! Vielleicht sind es vier?«

»Du wirst noch zehn haben wollen!«

»Du bist ein Abu Hammed und willst nicht gern verlieren, was Du zusammengeraubt hast. Ich werde nicht weiter in Dich dringen.«

»Wir haben vier, Emir,« sagte er ängstlich.

»Gut. Schweige nun, denn ich werde mich selbst überzeugen!«

Ich hatte unterdessen den Horizont mit meinem Rohre abgesucht und in der Ferne einige bewegliche Punkte entdeckt. Ich rief denjenigen Haddedihn herbei, welcher die Leute unter mir befehligte. Er war ein wackerer und entschlossener Krieger, den ich für vollständig zuverlässig hielt.

»Wir haben vierzig Abu Hammed bei uns. Glaubst Du, sie mit dreißig unserer Leute sicher bewachen zu können?«

»Mit zehn, Emir. Sie haben ja keine Waffen!«

»Ich werde jetzt mit Hadschi Halef Omar vorwärts reiten, um Kunde einzuziehen. Wenn die Sonne gerade über jenem Strauche steht und ich bin nicht zurück, so sendest Du mir dreißig Haddedihn nach, welche mich suchen müssen!«

Ich rief den Engländer, und er kam mit seinen beiden Dienern heran. Ich sagte ihm:

»Ich habe Euch einen sehr wichtigen Posten anzuvertrauen.«

»Well!«

»Ich werde jetzt einmal voranreiten, um zu sehen, wie weit sich die Weideplätze der Abu Hammed ausdehnen. Bin ich in zwei Stunden noch nicht zurück, so kommen mir dreißig Mann der Unseren nach.«

»Ich mit?«

»Nein. Ihr bleibt bei den Übrigen zurück, um die Gefangenen zu bewachen. Wenn einer Miene macht, zu entfliehen, so schießt Ihr ihn nieder.«

»Yes! Wenn Einer flieht, schieße Alle nieder.«

»Gut, aber mehr nicht!«

»No. Aber Sir, wenn mit den Abu Hammed reden, dann einmal fragen!«

»Was?«

»Nach Ruinen und Fowling-bulls.«

»Gut. Vorwärts, Halef!«

Wir galoppirten über die Ebene hin und grad auf die Punkte zu, welche ich gesehen hatte. Es war eine weidende Schafherde, bei welcher ein alter Mann stand.

»Sallam aaleïkum!« grüßte ich ihn.

»Aaleïkum!« antwortete er, sich tief verneigend.

»Ist Friede auf Deiner Weide?«

»Es ist Friede da, o Herr. Bringst Du auch Frieden?«

»Ich bringe ihn. Du gehörst zum Stamme der Abu Hammed?«

»Du sagst es.«

»Wo ist Euer Lager?«

»Da unten hinter der Krümmung des Flusses.«

»Habt Ihr mehrere Weideplätze?«

»Warum fragst Du, o Herr?«

»Weil ich eine Botschaft an Alle Deines Stammes auszurichten habe.«

»Von wem?«

»Von Zedar Ben Huli, Deinem Scheik.«

»Hamdullillah! Du wirst eine frohe Botschaft bringen.«

»Ich bringe sie. Also sag', wie viele Weideplätze Ihr habt.«

»Sechs. Drei hier am Flusse hinab und drei auf den Inseln im Strome.«

»Sind alle Inseln hier Euer Eigenthum?«

»Alle.«

»Sind sie alle bewohnt?«

»Alle, bis auf eine.«

Es lag etwas in dem Tone dieser Antwort und in dem Gesichte des Alten, was mich aufmerksam machte; ich ließ mir aber nichts merken und frug:

»Wo liegt diese eine?«

»Grad gegenüber von uns liegt die erste, und die ich meine, das ist die vierte, o Herr.«

Ich beschloß im Stillen, auf diese Insel ein scharfes Auge zu haben, laut aber erkundigte ich mich:

»Warum ist sie nicht bewohnt?«

»Weil man sehr schwer zu ihr gelangen kann, da der Strom gefährlich ist.«

Hm! Dann hätte sie ja recht gut die Eigenschaft, als Aufenthaltsort für Gefangene zu dienen! So dachte ich und fuhr zu fragen fort:

»Wie viele Männer sind in Eurem Lager?«

»Bist Du wirklich ein Abgesandter des Scheik, o Herr?«

Dieses Mißtrauen vermehrte natürlich auch das meinige.

»Ich bin es. Ich habe mit ihm und mit den Scheiks der Obeïde und der Dschowari gesprochen.«

»Was bringst Du für eine Botschaft?«

»Die Botschaft des Friedens.«

»Warum hat er keinen Mann seines Stammes gesandt?«

»Die Männer der Abu Hammed kommen gleich hinter mir.«

Ich wollte nicht weiter in ihn dringen und ritt also weiter, aber ganz nahe an das Ufer des Flusses, um die Inseln zu zählen. Als wir die dritte hinter uns hatten, machte der Fluß eine Krümmung, und nun lagen die Zelte des Lagers vor unsern Augen. Die ganze Ebene rings umher war von Kameelen, Rindern, Ziegen und Schafen angefüllt. Pferde sah ich nur wenige. Ebenso erblickte ich nur wenige Männer, die noch dazu alt und kraftlos, also ungefährlich waren.

Wir ritten in die Zeltgasse ein.

Vor einem der Zelte stand ein junges Mädchen, welches ein dort angebundenes Pferd liebkoste. Als es mich erblickte, stieß es einen Schrei aus, sprang zu Pferde und jagte davon. Sollte ich der Flüchtigen nachreiten?

Ich that es nicht; es würde auch nicht viel gefruchtet haben, denn ich wurde jetzt von Allen umringt, welche im Lager anwesend waren: von Greisen, Kranken, Frauen und Mädchen. Ein Greis legte die Hand auf den Hals meines Pferdes und frug:

»Wer bist Du, Herr?«

»Ich bin ein Bote, den Euch Zedar Ben Huli sendet.«

»Der Scheik! Mit welcher Botschaft sendet er Dich?«

»Das werde ich Euch sagen, wenn Alle hier versammelt sind. Wie viele Krieger hat er hier zurückgelassen?«

»Fünfzehn junge Männer. Ajehma wird fortgeritten sein, um sie zu holen.«

»So erlaube, daß ich absteige. Du aber« – und nun wandte ich mich an Halef – »reite sofort weiter, denn die Dschowari müssen dieselbe Botschaft empfangen.«

Halef wandte sein Pferd und sprengte davon.

»Kann Dein Gefährte nicht hier bleiben, um sich auszuruhen und Speise zu nehmen?« frug der Alte.

»Er ist nicht müde und nicht hungrig, und sein Auftrag leidet kein Zögern. Wo befinden sich die jungen Krieger?«

»Bei der Insel.«

Ah, wieder diese Insel!

»Was thun sie dort?«

»Sie« – – er stockte und fuhr dann fort: – »Sie weiden die Heerde.«

»Ist diese Insel weit von hier?«

»Nein. Siehe, da kommen sie bereits!«

Wirklich kam ein Trupp Bewaffneter vom Flusse her auf uns zugesprengt. Es waren die Jüngsten des Stammes, fast noch Knaben; sie und die Alten hatte man zurückgelassen. Sie hatten keine Schießgewehre, sondern nur Spieße und Keulen. Der Vorderste und zugleich auch der Ansehnlichste von ihnen erhob die Keule im Reiten und schleuderte sie nach mir, indem er rief:

»Hund, Du wagst es, zu uns zu kommen?«

Ich hatte zum Glück die Büchse vorgenommen und konnte mit ihrem Kolben den Wurf pariren; aber die Lanzen sämmtlicher Knaben waren auf mich gerichtet. Ich machte mir nicht sehr viel daraus, gab vielmehr meinem Rappen die Schenkel und drängte ihn hart an das Roß des Angreifers. Er allein von allen mochte das zwanzigste Jahr erreicht haben.

»Knabe, Du wagst es, einen Gast Deines Stammes anzugreifen?«

Mit diesen Worten riß ich ihn zu mir herüber und setzte ihn vor mir auf den Hengst. Er hing an meiner Hand mit schlaffen Gelenken wie ein Gliedermann; die Angst war ihm in den Leib gefahren.

»Nun stecht, wenn Ihr Jemand tödten wollt!« fügte ich hinzu.

Sie hüteten sich wohl, dies zu thun, denn er bildete einen Schild vor mir; aber die wackern Knaben waren nicht ganz unentschlossen. Einige von ihnen stiegen vom Pferde und versuchten, von der Seite oder von hinten an mich zu kommen, während die Andern mich vorn beschäftigten. Sollte ich sie verwunden? Es wäre Jammerschade gewesen. Ich drängte daher her das Pferd hart an eines der Zelte, daß ich den Rücken freibekam, und frug:

»Was habe ich Euch gethan, daß Ihr mich tödten wollt?«

»Wir kennen Dich,« antwortete Einer. »Du sollst uns nicht wieder entkommen, Du Mann mit der Löwenhaut!«

»Du sprichst sehr kühn, Du Knabe mit der Lämmerhaut!«

Da hob eine alte Frau heulend ihre Hände empor.

»Ist es dieser? O, thut ihm nichts, denn er ist fürchterlich!«

»Wir tödten ihn!« antwortete die Bande.

»Er wird Euch zerreißen, und dann durch die Luft davonreiten!«

»Ich werde nicht davonreiten, sondern bleiben,« antwortete ich und schleuderte nun meinen Gefangenen mitten unter die Angreifenden hinein. Dann glitt ich vom Pferde und trat in das Zelt. Mit einem Schnitte meines Dolches erweiterte ich den Eingang so, daß ich das Thier, welches ich keiner Gefahr aussetzen wollte, zu mir hereinziehen konnte. Nun war ich vor den Stichen dieser Wespen so ziemlich geborgen.

»Wir haben ihn! Hamdullillah, wir haben ihn!« jubelte es draußen.

»Umgebt das Zelt; laßt ihn nicht heraus!« rief eine andere Stimme.

»Schießt ihn durch die Wände todt!« ertönte ein Ruf.

»Nein, wir fangen ihn lebendig. Er hat den Rappen bei sich; den dürfen wir nicht verletzen; der Scheik will ihn haben!«

Daß sich keiner zu mir hereinwagen würde, konnte ich mir denken; daher setzte ich mich gemüthlich nieder und langte nach dem kalten Fleisch, welches auf einer Platte in meiner Nähe lag. Übrigens dauerte diese unfreiwillige Einquartierung nicht sehr lange; Halef hatte sein Pferd angestrengt, und gar bald erdröhnte der Boden unter dem Galoppe von dreißig Berittenen.

»Allah kerihm – Gott sei uns gnädig!« hörte ich rufen. »Das sind Feinde!«

Ich trat aus dem Zelte. Von der ganzen Bevölkerung des Lagers war nicht eine einzige Person mehr zu sehen. Alle hatten sich in die Zelte verkrochen.

»Sihdi!« rief laut die Stimme Halefs.

»Hier, Hadschi Halef Omar!«

»Hat man Dir etwas gethan?«

»Nein. Besetzt das Lager, daß Niemand entkommt! Wer zu entfliehen sucht, wird niedergestoßen!«

Diese Worte waren laut genug gesprochen, um von Allen gehört zu werden. Ich wollte nur drohen. Dann sandte ich Halef von einem Zelte zum andern, um sämmtliche Greise herbeizuführen; die fünfzehn Knaben brauchte ich nicht. Es dauerte lange, bis die Alten beisammen waren; sie hatten sich versteckt und kamen nur mit Zittern und Zagen herbei. Als sie in ängstlicher Erwartung um mich herum saßen, begann ich die Unterhaltung.

»Habt Ihr die Tätowierung meiner Leute auch gesehen?«

»Ja, Herr.«

»So habt Ihr ihren Stamm erkannt?«

»Ja. Es sind Haddedihn, Herr.«

»Wo sind Eure Krieger?«

»Du wirst es wissen, Herr.«

»Ja, ich weiß es, und ich will es Euch sagen: Alle sind gefangen von den Haddedihn, und nicht ein Einziger ist entkommen.«

»Allah kerihm!«

»Ja, Allah möge ihnen und Euch gnädig sein!«

»Er lügt!« flüsterte Einer von ihnen, dem das Alter den Muth noch nicht geknickt hatte.

Ich drehte mich zu ihm:

»Du sagst, daß ich lüge? Dein Haar ist grau, und Dein Rücken beugt sich unter der Last der Jahre; daher will ich Dir die Worte verzeihen. Warum meinst Du, daß ich Dich belüge?«

»Wie können die Haddedihn drei ganze Stämme gefangen nehmen?«

»Du würdest es glauben, wenn Du wüßtest, daß sie nicht allein gewesen sind. Sie waren mit den Abu Mohammed und den Alabeïde verbunden. Sie wußten Alles, und als ich von Euren Kriegern gefangen genommen wurde, kam ich von den Abu Mohammed, wo ich gewesen war, um den Krieg mit ihnen zu besprechen. Im Wadi Deradsch haben wir die Euren empfangen, und es ist kein Einziger entkommen. Hört, welchen Befehl ich gebe!«

Ich trat unter den Eingang des Zeltes, in welchem wir uns befanden, und winkte Halef herbei.

»Reite zurück, und hole die gefangenen Abu Hammed herbei!«

Sie erschraken jetzt wirklich.

»Ist es möglich, Herr?«

»Ich sage die Wahrheit. Die sämmtlichen Krieger Eures Stammes sind in unserer Hand. Entweder werden sie getödtet oder Ihr bezahlt das Lösegeld, welches für sie gefordert wird.«

»Auch Scheik Zedar Ben Huli ist gefangen?«

»Auch er.«

»So hättest Du wegen des Lösegeldes mit ihm reden sollen!«

»Ich habe es gethan.«

»Was sagte er?«

»Er will es zahlen und hat mir vierzig von Euren Leuten mitgegeben, welche jetzt kommen, um es zu holen.«

»Allah schütze uns! Wie hoch ist es?«

»Das werdet Ihr hören. Wie viel Stück zählen Eure Heerden?«

»Wir wissen es nicht!«

»Ihr lügt! Ein Jeder kennt die Zahl der Thiere, welche seinem Stamm gehören. Wie viel Pferde habt Ihr?«

»Zwanzig, außer denen, die mit in den Kampf gezogen sind.«

»Diese sind für Euch verloren. Wie viele Kameele?«

»Drei hundert.«

»Rinder?«

»Zwölf hundert.«

»Esel und Maultiere?«

»Vielleicht dreißig.«

»Schafe?«

»Neun tausend.«

»Euer Stamm ist nicht reich. Das Lösegeld wird betragen: zehn Pferde, hundert Kameele, dreihundert Rinder, zehn Esel und Maultiere und zwei tausend Schafe.«

Da erhoben die Alten ein fürchterliches Wehegeheul. Sie thaten mir allerdings sehr leid, aber ich konnte ja nichts ändern, und wenn ich diese Ziffern mit denen verglich, welche unter andern Verhältnissen aufgestellt worden wären, so fühlte ich mich in meinem Gewissen vollständig beruhigt.

Um dem Jammergeschrei ein Ende zu machen, rief ich in etwas barschem Tone:

»Still! Scheik Zedar Ben Huli hat es genehmigt.«

»Wir können so viel nicht geben!«

»Ihr könnt es! Was man geraubt hat, das kann man sehr leicht wieder hergeben!«

»Wir haben nichts geraubt. Warum willst Du uns für Haremi halten?«

»Seid still! Wurde ich nicht selbst von Euch angefallen?«

»Es geschah zum Scherze, Herr!«

»Dann treibt Ihr einen gefährlichen Scherz. Wie viele Weideplätze habt Ihr?«

»Sechs.«

»Auch auf Inseln?«

»Ja.«

»Auch auf der Insel, bei welcher vorhin Eure jungen Männer waren?«

»Nein.«

»Man sagte mir doch, daß sie dort die Heerden weideten! Ihr habt den Mund ganz voller Unwahrheit! Wer befindet sich auf dieser Insel?«

Sie sahen sich verlegen an, dann antwortete der Sprecher:

»Es sind Männer da.«

»Was für Männer?«

»Fremde.«

»Wo sind sie her?«

»Wir wissen es nicht.«

»Wer weiß es sonst?«

»Nur der Scheik.«

»Wer hat diese Männer zu Euch gebracht?«

»Unsere Krieger.«

»Eure Krieger? Und nur der Scheik weiß es, wo sie her sind? Ich sehe, daß ich von Euch drei tausend Schafe verlangen muß – statt zwei tausend! Oder wollt Ihr nicht lieber sprechen?«

»Herr, wir dürfen nicht!«

»Warum nicht?«

»Der Scheik würde uns bestrafen. Sei barmherzig mit uns!«

»Ihr habt Recht; ich will Euch diese Verlegenheit ersparen.«

Da kam es zwischen den Zelten herangetrabt: es waren die Gefangenen mit ihrer Bedeckung. Bei diesem Anblick erhob sich, ohne daß sich Jemand sehen ließ, in allen Zelten ein großes Klagegeschrei. Ich stand auf.

»Jetzt könnt Ihr sehen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe. Vierzig von Euren Kriegern sind da, um das Lösegeld zu holen. Geht jetzt in die Zelte, und holt alle Bewohner des Lagers hinaus vor dasselbe; es soll ihnen nichts geschehen, aber ich habe mit ihnen zu reden.«

Es machte einige Mühe, diese Menge von Greisen, Frauen und Kindern zu versammeln. Als sie beisammen waren, trat ich zu den Gefangenen:

»Seht hier Eure Väter, Eure Mütter, Schwestern und Kinder! Sie sind in meiner Hand, und ich werde sie gefangen fortführen, wenn Ihr den Befehlen ungehorsam seid, die Ihr jetzt erhaltet. Ihr habt sechs Weideplätze, die alle in der Nähe sind. Ich theile Euch in sechs Haufen, von denen sich ein jeder unter der Aufsicht meiner Krieger nach einem der Plätze begibt, um die Thiere hierher zu treiben. In einer Stunde müssen alle Heerden hier beisammen sein!«

Wie ich gesagt hatte, so geschah es. Die Abu Hammed vertheilten sich unter der Aufsicht der Haddedihn, und nur zwölf Männer behielt ich von den Letzteren zurück. Bei ihnen war Halef.

»Ich werde mich jetzt entfernen, Halef.«

»Wohin, Sihdi?«

»Nach der Insel. Du wirst hier auf Ordnung sehen und dann später die Auswahl der Thiere leiten. Sorge dafür, daß diesen armen Leuten nicht bloß die besten genommen werden. Die Ausscheidung soll gerecht geschehen.«

»Sie haben es nicht verdient, Sihdi!«

»Aber ich will es so. Verstehst Du, Halef?«

Master Lindsay kam heran.

»Habt Ihr gefragt, Sir?«

»Noch nicht.«

»Nicht vergessen, Sir!«

»Nein. Ich habe Euch wieder einen Posten anzuvertrauen.«

»Well! Welchen?«

»Seht darauf, daß keine dieser Frauen entflieht!«

»Yes!«

»Wenn eine von ihnen Miene macht, davon zu laufen, so – – –«

»Schieße ich sie nieder!«

»O nein, Mylord!«

»Was denn?«

»So laßt Ihr sie laufen!«

»Well, Sir!«

Diese zwei Worte brachte er heraus, aber den Mund brachte er nicht wieder zu. Ich war übrigens fest überzeugt, daß schon der bloße Anblick von Sir David Lindsay den Frauen jede Absicht zur Flucht benähme. In seinem karrirten Anzuge mußte er ihnen als wie ein Ungeheuer vorkommen.

Jetzt nahm ich zwei Männer mit mir und schritt dem Flusse zu. Hier hatte ich die vierte Insel vor mir. Sie war lang und schmal und mit dichtem Rohr bewachsen, welches die Höhe eines Mannes weit überragte. Ich konnte kein lebendes Wesen erblicken, aber sie barg ein Geheimniß, das ich unbedingt ergründen mußte. Daß ich keinen der Abu Hammed mitgenommen hatte, war geschehen, um Niemand für spätere Zeit in Schaden zu bringen.

»Sucht nach einem Floß!« gebot ich den Beiden.

»Wohin willst Du?«

»Nach dieser Insel.«

»Emir, das ist nicht möglich!«

»Warum?«

»Siehst Du nicht die reißende Strömung zu ihren beiden Seiten? Es würde jedes Floß an ihr zerschellen.«

Der Mann hatte Recht, aber dennoch hegte ich die Überzeugung, daß irgend ein Verkehr zwischen dem Ufer und dieser Insel stattfinden müsse, und als ich schärfer hinblickte, bemerkte ich, daß an ihrer oberen Spitze das Rohr niedergetreten war.

»Blickt dahin! Seht Ihr nicht, daß dort Menschen gewesen sind?«

»Es scheint so, Emir.«

»So muß auch ein Fahrzeug vorhanden sein.«

»Es würde zerschellen; das ist sicher!«

»Sucht!«

Sie gingen nach rechts und links am Ufer hinab und hinauf, kehrten aber unverrichteter Sache zurück. Jetzt suchte ich selbst mit, lange vergeblich. Endlich aber entdeckte ich – – zwar kein Floß und keinen Kahn, aber eine Vorrichtung, deren Zweck mir sofort einleuchtete. An den Stamm eines Baumes, welcher oberhalb der Insel hart am Wasser stand, war ein langes, starkes Palmfaserseil befestigt. Das eine Ende desselben schlang sich um den Stamm, das Seil selbst aber war unter dem daneben wuchernden dichten Gestrüpp versteckt. Als ich es hervorzog, zeigte sich an dem andern Ende ein jetzt zusammengesunkener Schlauch, aus einer Bockshaut gefertigt, und über demselben war ein Querholz angebracht, welches jedenfalls dazu dienen sollte, sich mit den Händen festzuhalten.

»Seht, hier ist das Floß. Dieses kann allerdings nicht zerschellen. Ich werde hinüberschwimmen, während Ihr hier wacht, daß ich nicht gestört werde.«

»Es ist gefährlich, Emir!«

»Andere sind auch hinübergekommen.«

Ich warf die Oberkleider ab und blies den Schlauch auf. Die Öffnung wurde mit einer daran befestigten Schnur verschlossen.

»Haltet das Seil und laßt es langsam durch die Hände laufen!«

Ich faßte das Querholz fest und glitt in das Wasser. Sofort ergriff mich die Strömung, welche so stark war, daß ein Mann alle seine Kräfte anstrengen mußte, um das Seil halten zu können. Einen Menschen von drüben herüber holen, dazu gehörten wohl die vereinigten Kräfte von mehreren Männern. Ich mußte nach jenseits der Insel halten; es gelang, und ich landete glücklich, obgleich ich einen tüchtigen Stoß erhielt. Meine erste Sorge war, das Seil so zu befestigen, daß es mir nicht abhanden kommen konnte; dann ergriff ich den Dolch, welchen ich zu mir gesteckt hatte.

Von der Spitze der Insel führte durch das Rohrdickicht ein schmaler, ausgetretener Pfad, auf welchem ich bald vor eine kleine, aus Bambus, Schilf und Binsen gefertigte Hütte kam. Sie war so niedrig, daß kein Mensch in ihr zu stehen vermochte. Ihr Inneres enthielt nichts als einige Kleidungsstücke. Ich betrachtete dieselben genau und bemerkte, daß es die zerfetzten Anzüge von drei Männern waren. Keine Spur zeigte, daß die Besitzer derselben noch vor kurzer Zeit hier anwesend gewesen seien; aber der Pfad führte weiter.

Ich folgte ihm, und bald war es mir, als ob ich ein Stöhnen hörte. Ich hastete vorwärts und gelangte an eine Stelle, wo das Rohr abgehauen war. Auf dieser kleinen Blöße bemerkte ich – – drei Menschenköpfe, welche mit dem Halse auf den Erdboden gestellt waren; so wenigstens schien es mir. Sie waren ganz unförmlich aufgeschwollen, und die Ursache davon ließ sich sehr leicht erkennen; denn bei meiner Ankunft erhob sich eine dichte Wolke von Moskitos und Schnaken in die Luft. Augen und Mund waren geschlossen. Waren das Totenköpfe, welche man aus irgend einem Grunde hierher gestellt hatte?

Ich bückte mich nieder und berührte einen derselben. Da hauchte ein leiser Wehelaut zwischen den Lippen hervor, und die Augen öffneten sich und starrten mich mit einem gläsernen Blick an. Ich war wohl in meinem Leben selten über ein Ding erschrocken, jetzt aber entsetzte ich mich so sehr, daß ich mehrere Schritte zurückwich.

Ich trat wieder näher und untersuchte die Sache. Wahrhaftig, drei Männer waren eingegraben in den feuchten, fauligen Boden bis an die Köpfe.

»Wer seid Ihr?« frug ich laut.

Da öffneten alle Drei die Augen und stierten mich mit wahnsinnigen Blicken an. Die Lippen des einen thaten sich auf:

»Oh Adi!« ächzte er langsam.

Adi? Ist dies nicht der Name des großen Heiligen der Dschesidi, der sogenannten Teufelsanbeter?

»Wer hat Euch hierher gebracht?« frug ich weiter.

Wieder öffnete sich der Mund, aber er war nicht mehr im Stande, einen Laut hören zu lassen. Ich arbeitete mich durch das dichte Röhricht nach dem Ufer der Insel und füllte beide Hände mit Wasser. Rasch kehrte ich zurück und flößte das Naß den Gemarterten ein. Sie schlürften es mit Gier. Ich konnte nur wenig auf einmal bringen, da es mir unterwegs zwischen den Fingern durchtropfte, und so mußte ich sehr oft hin und her gehen, ehe sie ihren fürchterlichen Durst gestillt hatten.

»Gibt es hier eine Hacke?« frug ich.

»Mitgenommen,« flüsterte der eine.

Ich rannte nach der oberen Spitze der Insel. Drüben standen noch meine Begleiter. Ich legte die Hand an den Mund, um das Rauschen des Wassers zu übertönen:

»Holt einen Spaten, eine Hacke und die drei Engländer, aber ganz heimlich!«

Sie verschwanden. Halef durfte ich nicht herbescheiden, weil er drüben nothwendig war. Ich wartete mit Ungeduld – endlich aber erschienen die Haddedihn mit den drei Verlangten und auch mit einem Werkzeuge, welches einer Hacke ähnlich sah.

»Sir David Lindsay!«

»Yes!« antwortete er.

»Schnell herüber! Bill und der Andere auch! Bringt die Hacke mit!«

»Meine Hacke? Fowling-bulls gefunden?«

»Werden sehen!«

Ich machte den Schlauch los und schob ihn in das Wasser.

»Zieht an!«

Eine Weile danach stand Sir David auf der Insel.

»Wo?«

»Warten! Erst die Anderen auch herüber!«

»Well!«

Er winkte den Leuten drüben, sich zu sputen, und endlich standen die beiden kräftigen Burschen an unserer Seite. Bill hatte die Hacke bei sich. Ich befestigte den Schlauch wieder.

»Kommt, Sir!«

»Ah! Endlich!«

»Sir David Lindsay, wollt Ihr mir verzeihen?«

»Was?«

»Ich habe keine Fowling-bulls gefunden.«

»Keine?« – Er blieb stehen und riß den Mund weit auf. »Keine? Ah!«

»Aber ich habe etwas ganz Entsetzliches entdeckt! Kommt!«

Ich ergriff die Hacke und schritt voran.

Mit einem Ausrufe des Entsetzens prallte der Engländer zurück, als wir den Platz erreichten. Jetzt war der Anblick allerdings fast noch schrecklicher als vorher, da die drei die Augen offen hatten und die Köpfe bewegten, um den Insektenschwarm von sich abzuhalten.

»Man hat sie eingegraben!«

»Wer?«

»Weiß es nicht, werden es erfahren.«

Ich gebrauchte die Hacke mit solcher Hast und die Andern scharrten und kratzten mit den Händen dazu, daß wir bereits nach einer Viertelstunde die drei Unglücklichen vor uns liegen hatten. Sie waren von allen Kleidern entblößt, und die Hände und Füße hatte man ihnen mit Baststricken zusammengebunden. Ich wußte, daß die Araber ihre Kranken bei gewissen schlimmen Krankheiten bis an den Kopf in die Erde graben und diesem sogenannten ›Einpacken‹ eine bedeutende Heilkraft zuschreiben; aber diese Männer waren gefesselt, also nicht krank gewesen.

Wir trugen sie an das Wasser und überspritzten sie. Dies erfrischte ihre Lebensgeister.

»Wer seid Ihr?« frug ich.

»Baadri!« klang die Antwort.

Baadri? Das war ja der Name eines Dorfes, welches ausschließlich von Teufelsanbetern bewohnt wurde! Ich hatte also doch wohl mit meinen Vermuthungen das Richtige getroffen.

»Hinüber mit ihnen!«

»Wie?« frug der Engländer.

»Ich schwimme zuerst hinüber, um ziehen zu helfen, und nehme zugleich ihre Kleider mit. Ihr kommt dann nach, ein Jeder mit Einem von ihnen.«

»Well! Wird aber nicht leicht sein.«

»Ihr nehmt ihn quer vor Euch über die Arme.«

Ich rollte die Kleider wie einen Turban zusammen und nahm diesen auf den Kopf. Dann ließ ich mich an das Ufer ziehen. Was nun kam, das war für mich und die beiden Haddedihn eine sehr harte Arbeit, für die Andern aber außerordentlich gefährlich; dennoch gelang es uns, alle Sechs glücklich an das Ufer zu bringen.

»Zieht ihnen die Kleider an! Dann bleiben sie heimlich hier liegen. Ihr, Sir David, werdet ihnen im Stillen Nahrung bringen, während die vier Andern sie bewachen.«

»Well! Fragt, wer sie eingegraben hat.«

»Der Scheik natürlich.«

»Todt schlagen den Kerl!«

Dieses letzte Abenteuer hatte über eine Stunde Zeit in Anspruch genommen. Als wir das Lager erreichten, wimmelte die Ebene von Tausenden von Thieren. Das Geschäft des Auswählens war ein schwieriges, doch der kleine Hadschi Halef Omar war seiner Aufgabe vollständig gewachsen. Er hatte meinen Hengst bestiegen, natürlich mit der Absicht, schneller vorwärts zu kommen und nebenbei ein wenig bewundert zu werden, und war allüberall zu sehen. Die Haddedihn waren ganz begeistert für ihre Arbeit, die gefangenen Abu Hammed aber, welche ihnen helfen mußten, konnten den stillen Grimm in ihren Mienen nicht verbergen. Und nun gar da, wo die Weiber und Greise saßen, da flossen heiße Thränen, und mancher halblaute Fluch stahl sich zwischen den Lippen hervor. Ich trat zu der Weibergruppe. Ich hatte da eine Frau bemerkt, welche mit einer heimlichen Befriedigung dem Treiben meiner Leute zusah. Hatte sie einen Groll gegen den Scheik im Herzen?

»Folge mir!« gebot ich ihr.

»Herr, sei gnädig! Ich habe nichts gethan!« flehte sie erschrocken.

»Es soll Dir nichts geschehen!«

Ich führte sie in das leere Zelt, in welchem ich mich bereits vorhin befunden hatte. Dort stellte ich mich vor sie hin und sah ihr scharf in die Augen.

»Du hast einen Feind in Deinem Stamme?«

Sie blickte überrascht empor.

»Herr, woher weißt Du es?«

»Sei offen! Wer ist es?«

»Du wirst es ihm wieder sagen!«

»Nein, denn er ist auch mein Feind.«

»Du bist es, der ihn besiegt hat?«

»Ich bin es. Du hassest den Scheik Zedar Ben Huli?«

Da blitzte ihr dunkles Auge auf.

»Ja, Herr, ich hasse ihn.«

»Warum?«

»Ich hasse ihn, weil er mir den Vater meiner Kinder tödten ließ.«

»Warum?«

»Mein Herr wollte nicht stehlen.«

»Weßhalb nicht?«

»Weil der Scheik den größten Theil des Raubes erhält.«

»Du bist arm?«

»Der Oheim meiner Kinder hat mich zu sich genommen; auch er ist arm.«

»Wie viele Thiere hat er?«

»Ein Rind und zehn Schafe; er wird sie heute hergeben müssen, denn wenn der Scheik zurückkehrt, so werden wir den ganzen Verlust zu tragen haben. Der Scheik wird nicht arm, sondern nur der Stamm.«

»Er soll nicht zurückkehren, wenn Du aufrichtig bist.«

»Herr, sagst Du die Wahrheit?«

»Ich sage sie. Ich werde ihn als Gefangenen zurückbehalten und den Abu Hammed einen Scheik geben, welcher gerecht und ehrlich ist. Der Ohm Deiner Kinder soll heute behalten, was er hat.«

»Herr, Deine Hand ist voll von Barmherzigkeit. Was willst Du von mir wissen?«

»Du kennst die Insel da drüben im Flusse?«

Sie erbleichte.

»Warum fragst Du nach ihr?«

»Weil ich mit Dir von ihr sprechen will.«

»O thue das nicht, Herr, denn wer ihr Geheimniß verräth, den wird der Scheik tödten!«

»Wenn Du mir das Geheimniß sagst, so wird er nicht wiederkommen.«

»Ist dies wirklich wahr?«

»Glaube mir! Also wozu dient die Insel?«

»Sie ist der Aufenthalt der Gefangenen des Scheik.«

»Welcher Gefangenen?«

»Er fängt die Reisenden weg, welche über die Ebene oder auf dem Wasser kommen, und nimmt ihnen Alles ab. Wenn sie nichts besitzen, so tödtet er sie; wenn sie aber reich sind, so behält er sie bei sich, um ein Lösegeld zu erpressen.«

»Dann kommen sie auf die Insel?«

»Ja, in die Schilfhütte. Sie können nicht entfliehen, denn es werden ihnen die Hände und die Füße gebunden.«

»Wenn dann der Scheik das Lösegeld erhalten hat?«

»So tödtet er sie dennoch, um nicht verrathen zu werden.«

»Und wenn sie es nicht zahlen wollen oder nicht zahlen können?«

»So martert er sie.«

»Worin bestehen die Qualen, die er ihnen bereitet?«

»Er hat ihrer viele. Oft aber läßt er sie eingraben.«

»Wer macht den Kerkermeister?«

»Er und seine Söhne.«

Der, welcher mich gefangen genommen hatte, war auch sein Sohn; ich hatte ihn unter den Gefangenen im Wadi Deradsch bemerkt. Darum fragte ich:

»Wie viel Söhne hat der Scheik?«

»Zwei.«

»Ist einer von ihnen hier?«

»Derjenige, welcher Dich tödten wollte, als Du in das Lager kamst.«

»Sind jetzt Gefangene auf der Insel?«

»Zwei oder drei.«

»Wo sind sie?«

»Ich weiß es nicht. Das erfahren nur diejenigen Männer, welche bei dem Fange waren.«

»Wie sind sie in seine Hände gekommen?«

»Sie kamen auf einem Kellek den Fluß herab und legten des Abends nicht weit von hier an das Ufer an. Da hat er sie überfallen.«

»Wie viel Zeit ist seit ihrer Gefangenschaft verflossen?«

Sie sann ein wenig nach und meinte dann:

»Wohl beinahe zwanzig Tage.«

»Wie hat er sie behandelt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Habt Ihr hier viele Tachterwahns

»Es sind mehrere vorhanden.«

Ich griff in meinen Turban und nahm einige Geldstücke hervor. Sie gehörten zu den Münzen, welche ich in den Satteltaschen des Abu-Seïf gefunden hatte. Sein herrliches Kameel war mir leider in Bagdad verendet; das Geld aber war mir bis heute geblieben.

»Ich danke Dir! Hier hast Du!«

»O Herr, Deine Gnade ist größer als – – –«

»Danke nicht,« unterbrach ich sie. »Ist der Oheim Deiner Kinder mit gefangen?«

»Ja.«

»Er wird frei werden. Gehe zu dem kleinen Mann, der das schwarze Pferd reitet, und sage ihm von mir, daß er Dir Deine Thiere geben soll. Der Scheik wird nicht zurückkehren.«

»O Herr – –!«

»Es ist gut. Gehe und sage keinem Menschen, was wir gesprochen haben!«

Sie ging, und auch ich begab mich wieder hinaus. Man war mit dem Abzählen der Thiere beinahe fertig geworden. Ich suchte Halef auf. Er kam, als ich ihm winkte, auf mich zugeritten.

»Wer hat Dir meinen Rappen erlaubt, Hadschi Halef Omar?«

»Ich wollte ihn an meine Beine gewöhnen, Sihdi!«

»Er wird sich nicht sehr vor ihnen fürchten. Höre, Halef, es wird ein Weib kommen und ein Rind und zehn Schafe zurückverlangen. Die gibst Du ihr.«

»Ich gehorche, Effendi.«

»Höre weiter! Du nimmst drei Tachterwahns hier aus dem Lager und sattelst drei Kameele mit ihnen.«

»Wer soll hinein kommen, Sihdi?«

»Schau hinüber nach dem Flusse. Siehst Du das Gebüsch und den Baum da rechts?«

»Ich sehe Beides.«

»Dort liegen drei kranke Männer, welche in die Körbe kommen sollen. Geh in das Zelt des Scheik; es ist Dein mit Allem, was sich darin befindet. Nimm Decken davon weg und lege sie in die Körbe, damit die Kranken weich liegen. Aber kein Mensch darf jetzt oder unterwegs erfahren, wen die Kameele tragen!«

»Du weißt, Sihdi, daß ich Alles thue, was Du befiehlst; aber ich kann so viel nicht allein thun.«

»Die drei Engländer sind dort und auch zwei Haddedihn. Sie werden Dir helfen. Gib mir jetzt den Hengst; ich werde die Aufsicht wieder übernehmen.«

Nach einer Stunde waren wir mit Allem fertig. Während alle Anwesenden ihre Aufmerksamkeit auf die Heerden gerichtet hatten, war es Halef gelungen, die Kranken unbemerkt auf die Kameele zu bringen. Die ganze, lange Thierkarawane stand zum Abzuge bereit.

Jetzt suchte ich nach dem jungen Menschen, welcher mich heute mit seiner Lanze bewillkommnet hatte. Ich sah ihn in Mitte seiner Kameraden stehen und ritt zu ihm heran. Lindsay stand mit seinen Dienern ganz in der Nähe.

»Sir David Lindsay, habt Ihr oder Eure Diener nicht so etwas wie eine Schnur bei Euch?«

»Denke, daß hier viele Stricke sind.«

Er trat zu den wenigen Pferden, welche dem Stamme gelassen werden sollten. Sie waren mit Leinen an die Zeltstangen gebunden. Mit einigen Schnitten löste er mehrere dieser Leinen ab. Dann kam er zurück.

»Seht Ihr den braunen Burschen da, Sir David?«

Ich gab ihm mit den Augen einen verstohlenen Wink.

»Sehe ihn, Sir.«

»Diesen übergebe ich Euch. Er hatte die drei Unglücklichen zu beaufsichtigen und soll deßhalb mit uns gehen. Bindet ihm die Hände sehr fest auf den Rücken und befestigt dann den Strick an Euren Sattel oder an den Steigbügel; er mag ein wenig laufen lernen.«

»Yes, Sir! Sehr schön!«

»Er bekommt weder zu essen noch zu trinken, bis wir das Wadi Deradsch erreichen.«

»Hat es verdient!«

»Ihr bewacht ihn. Wenn er Euch entkommt, so sind wir geschiedene Leute, und Ihr mögt sehen, wo Fowling-bulls zu finden sind!«

»Werde ihn festhalten. Beim Nachtlager eingraben!«

»Vorwärts also!«

Der Engländer trat zu dem Jüngling heran und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»I have the honour, Mylord! Mitgehen, Galgenstrick!«

Er hielt ihn fest, und die beiden Diener banden ihm kunstgerecht die Hände. Der Jüngling war im ersten Augenblick verblüfft, dann aber drehte er sich zu mir herum.

»Was soll das sein, Emir?«

»Du wirst mit uns gehen.«

»Ich bin kein Gefangener, ich bleibe hier!«

Da drängte sich ein altes Weib herbei.

»Allah kerihm, Emir! Was willst Du mit meinem Sohne thun?«

»Er wird uns begleiten.«

»Er? Der Stern meines Alters, der Ruhm seiner Gespielen, der Stolz seines Stammes? Was hat er gethan, daß Du ihn bindest wie einen Mörder, den die Blutrache ereilt?«

»Schnell, Sir! Bindet ihn an das Pferd und dann vorwärts!«

Sofort gab ich das Zeichen zum Aufbruch und ritt davon. Ich hatte erst Mitleid mit dem so schwer bestraften Stamme gehabt, jetzt aber widerte mich jedes Gesicht desselben an, und als wir das Lager und das Wehegeheul hinter uns hatten, war es mir, als ob ich aus einer Räuberhöhle entronnen sei.

Halef hatte sich mit seinen drei Kameelen an die Spitze des Zuges gestellt. Ich ritt zu ihm heran.

»Liegen sie bequem?«

»Wie auf dem Divan des Padischah, Sihdi.«

»Haben sie gegessen?«

»Nein, Milch getrunken.«

»Um so besser. Können sie reden?«

»Sie haben nur einzelne Worte gesprochen, aber in einer Sprache, welche ich nicht verstehe, Effendi.«

»Es wird Kurdisch sein.«

»Kurdisch?«

»Ja. Ich halte sie für Teufelsanbeter.«

»Teufelsanbeter? Allah il Allah! Herr, behüte uns vor dem dreimal gesteinigten Teufel! Wie kann man den Teufel anbeten, Sihdi!«

»Sie beten ihn nicht an, obgleich man sie so nennt. Sie sind sehr brave, sehr fleißige und ehrliche Leute, halb Christen und halb Muselmänner.«

»Darum haben sie auch eine Sprache, die kein Moslem verstehen kann. Kannst Du sie sprechen?«

»Nein.«

Er fuhr beinahe erschrocken zurück.

»Nicht? Sihdi, das ist nicht wahr, Du kannst Alles!«

»Ich verstehe diese Sprache nicht, sage ich Dir.«

»Gar nicht?«

»Hm! Ich kann eine Sprache, welche verwandt mit der ihrigen ist; vielleicht, daß ich da einige Worte finde, mich ihnen verständlich zu machen.«

»Siehst Du, daß ich Recht hatte, Sihdi!«

»Nur Gott weiß Alles; das Wissen der Menschen aber ist Stückwerk. Weiß ich doch nicht einmal, wie Hanneh, das Licht Deiner Augen, mit ihrem Halef zufrieden ist!«

»Zufrieden, Sihdi? Bei ihr kommt erst Allah, dann Mohammed, dann der Teufel, den Du ihr an der Kette geschenkt hast, und dann kommt aber gleich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

»Also nach dem Teufel kommst Du!«

»Nicht nach dem Scheïtan, sondern nach Deinem Geschenk, Sihdi!«

»So sei ihr dankbar und gehorche ihr!«

Nach dieser Vermahnung ließ ich den kleinen Mann allein.

Es versteht sich ganz von selbst, daß unsere Rückreise wegen der Thiere viel langsamer von Statten ging, als die Hinreise. Bei Sonnenuntergang erreichten wir eine Stelle, welche noch unterhalb Dschebbar lag und sich, da sie mit Blumen und üppigem Grün überdeckt war, sehr gut zum Nachtlager eignete. Die Hauptaufgabe war jetzt, sowohl die Heerden als auch die Abu Hammed zu überwachen; ich traf also die nöthigen Maßregeln. Ich hatte mich am späten Abend bereits zum Schlafe eingehüllt, als Sir David Lindsay noch einmal herbeikam.

»Entsetzlich! Fürchterlich, Sir!«

»Was?«

»Hm! Unbegreiflich!«

»Was denn? Ist Euer Gefangener verschwunden?«

»Der? No! Liegt fest angebunden!«

»Nun, was ist denn so entsetzlich und unbegreiflich?«

»Hauptsache vergessen!«

»Nun? Redet nur!«

»Trüffeln!«

Jetzt mußte ich hellauf lachen.

»O, das ist allerdings entsetzlich, Sir, zumal ich im Lager der Abu Hammed ganze Säcke voll davon stehen sah.«

»Wo nun Trüffeln her?«

»Wir werden morgen Trüffeln haben, verlaßt Euch darauf!«

»Schön! Gute Nacht, Sir!«

Ich schlief ein, ohne mit den drei Kranken gesprochen zu haben. Am andern Morgen stand ich schon früh bei ihnen. Die Körbe waren so gestellt, daß ihre Insassen einander sehen konnten. Ihr Aussehen war ein wenig besser geworden, und sie hatten sich bereits so erholt, daß ihnen das Sprechen keine Beschwerden mehr machte.

Wie ich bald bemerkte, sprachen alle Drei sehr gut arabisch, obgleich sie gestern in halbbewußtlosem Zustande nur Worte ihrer Muttersprache hervorgebracht hatten. Als ich mich ihnen nahete, erhob sich der Eine und sah mich freudig forschend an.

»Du bist es!« rief er, ehe ich grüßen konnte. »Du bist es! Ich erkenne Dich wieder!«

»Wer bin ich, mein Freund?«

»Du warst es, welcher mir erschien, als der Tod die Hand nach meinem Herzen ausstreckte. O, Emir Kara Ben Nemsi, wie danke ich Dir!«

»Wie, Du kennst meinen Namen?«

»Wir kennen ihn, denn dieser gute Hadschi Halef Omar hat uns sehr viel von Dir erzählt, seit wir aufgewacht sind.«

Ich wandte mich zu Halef:

»Plaudertasche!«

»Sihdi, darf ich denn nicht von Dir sprechen?« vertheidigte sich der Kleine.

»Ja; aber ohne Prahlerei. –

Seid Ihr so gekräftigt, daß Ihr reden könnt?« wandte ich mich nun zu den Kranken.

»Ja, Emir.«

»So erlaubt mir, zu fragen, wer Ihr seid.«

»Ich heiße Pali; dieser heißt Selek, und dieser Melaf.«

»Wo ist Eure Heimat?«

»Unsere Heimat heißt Baadri im Norden von Mossul.«

»Wie kamt Ihr in die Lage, in welcher ich Euch fand?«

»Unser Scheik sandte uns nach Bagdad, um dem Statthalter Geschenke und einen Brief von ihm zu bringen –«

»Nach Bagdad? Gehört Ihr nicht nach Mossul?«

»Emir, der Gouverneur von Mossul ist ein böser Mann, der uns sehr bedrückt; der Statthalter von Bagdad besitzt das Vertrauen des Großherrn; er sollte für uns bitten.«

»Wie seid Ihr da gereist? Nach Mossul und den Strom herab?«

»Nein. Wir gingen nach dem Ghazirfluß, bauten uns ein Floß, fuhren auf demselben aus dem Ghazir in den Zab und aus dem Zab in den Tigris. Dort landeten wir und wurden während des Schlafes von dem Scheik der Abu Hammed überfallen.«

»Er beraubte Euch?«

»Er nahm uns die Geschenke und den Brief ab und Alles, was wir bei uns trugen. Dann wollte er uns zwingen, an die Unsrigen zu schreiben, damit sie ein Lösegeld schicken sollten.«

»Ihr thatet es nicht?«

»Nein, denn wir sind arm und können kein Lösegeld bezahlen.«

»Aber Euer Scheik?«

»Auch an ihn sollten wir schreiben, aber wir weigerten uns ebenso. Er hätte es bezahlt, aber wir wußten, daß es vergebens sei, da man uns dennoch getödtet hätte.«

»Ihr hattet recht. Man hätte Euch das Leben genommen, selbst wenn das Lösegeld bezahlt worden wäre.«

»Nun wurden wir gepeinigt. Wir erhielten Schläge, wurden stundenlang an Händen und Füßen aufgehangen und endlich in die Erde gegraben.«

»Und diese ganze, lange Zeit hindurch waret Ihr gefesselt?«

»Ja.«

»Ihr wißt, daß Euer Henker sich in unseren Händen befindet?«

»Hadschi Halef Omar hat es uns erzählt.«

»Der Scheik soll seine Strafe erhalten!«

»Emir, vergilt es ihm nicht!«

»Wie?«

»Du bist ein Moslem, wir aber haben eine andere Religion. Wir sind dem Leben wiedergegeben worden und wollen ihm verzeihen.«

Das also waren Teufelsanbeter!

»Ihr irrt Euch,« sagte ich; »ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.«

»Ein Christ! Du trägst doch die Kleidung eines Moslem und sogar das Zeichen eines Hadschi!«

»Kann ein Christ nicht auch ein Hadschi sein?«

»Nein, denn kein Christ darf Mekka betreten.«

»Und dennoch war ich dort. Fragt diesen Mann, er war dabei.«

»Ja,« fiel Halef ein, »Hadschi Emir Kara Ben Nemsi war in Mekka.«

»Was für ein Christ bist Du, Emir? Ein Chaldäer?«

»Nein. Ich bin ein Franke.«

»Kennst Du die Jungfrau, welche Gott geboren hat?«

»Ja.«

»Kennst Du Esau, den Sohn des Vaters?«

»Ja.«

»Kennst Du die heiligen Engel, welche am Throne Gottes stehen?«

»Ja.«

»Kennst Du die heilige Taufe?«

»Ja.«

»Glaubst Du auch, daß Esau, der Sohn Gottes, wieder kommen wird?«

»Ich glaube es.«

»O, Emir, Dein Glaube ist gut; Dein Glaube ist recht; wir freuen uns, daß wir Dich getroffen haben! Erzeige uns also die Liebe und vergib dem Scheik der Abu Hammed, was er uns gethan hat!«

»Wir werden sehen! Wißt Ihr, wohin wir reisen?«

»Wir wissen es. Wir gehen nach dem Wadi Deradsch.«

»Ihr werdet dem Scheik der Haddedihn willkommen sein.«

Nach dieser kurzen Unterredung ward der Marsch fortgesetzt. Bei Kalaat ul Dschebbar gelang es mir, eine Menge Trüffel zu entdecken, worüber der Engländer in Entzücken gerieth. Er suchte sich einen Vorrath zusammen und versprach mir, mich zu einer Trüffelpastete einzuladen, welche er selbst bereiten werde.

Als der Mittag vorüber war, lenkten wir zwischen die Berge von Kanuza und Hamrin ein und hielten uns grad auf Wadi Deradsch zu. Ich hatte unsere Ankunft mit Vorbedacht nicht melden lassen, um den guten Scheik Mohammed Emin zu überraschen; aber die Wachen der Abu Mohammed bemerkten uns und gaben das Zeichen zu einem Jubel, der das ganze Thal erfüllte. Mohammed Emin und Malek kamen uns sofort entgegen geritten und bewillkommneten uns. Meine Heerde war die erste, welche anlangte.

Es gab hinüber auf die Weideplätze der Haddedihn keinen andern Weg als durch das Wadi hindurch. Hier befanden sich noch sämmtliche Kriegsgefangene, und man kann die Blicke der Abu Hammed sich vorstellen, welche sie auf uns warfen, als sie ein ihnen bekanntes Thier nach dem andern an sich vorbeigehen lassen mußten. Endlich waren wir wieder auf der Ebene, und nun stieg ich vom Pferde.

»Wer ist in den Tachterwahns?« frug Mohammed Emin.

»Drei Männer, welche Scheik Zedar zu Tode martern wollte. Ich werde Dir noch von ihnen erzählen. Wo sind die gefangenen Scheiks?«

»Hier im Zelte. Da kommen sie.«

Sie traten soeben heraus. Die Augen des Scheik der Abu Hammed blitzten tückisch, als er seine Heerde erkannte, und er trat auf mich zu.

»Hast Du mehr gebracht, als Du sollst?«

»Du meinst Thiere?«

»Ja.«

»Ich habe die Zahl gebracht, welche mir befohlen war.«

»Ich werde zählen!«

»Thue es,« antwortete ich kalt. »Aber dennoch habe ich mehr gebracht, als ich sollte.«

»Was?«

»Willst Du es sehen?«

»Ich muß es sehen!«

»So rufe Jenen dort herbei.«

Ich zeigte dabei auf seinen älteren Sohn, der soeben am Eingange des Zeltes erschien. Er rief ihn herbei.

»Kommt Alle mit!« sagte ich.

Mohammed Emin, Malek und die drei Scheiks folgten mir nach dem Orte, wo sich die drei Kameele mit den Tachterwahns niedergelassen hatten. Halef ließ gerade die Dschesidi aussteigen.

»Kennst Du diese Männer?« frug ich Zedar Ben Huli.

Er fuhr erschrocken zurück; sein Sohn ebenfalls.

»Die Dschesidi!« rief er.

»Ja, die Dschesidi, welche Du langsam morden wolltest, wie Du schon so Viele gemordet hast, Ungeheuer!«

Da funkelte er mich mit wahren Pantheraugen an.

»Was hat er gethan?« frug Eslah el Mahem, der Obeïde.

»Laß es Dir erzählen! Du wirst erstaunen, was für ein Mensch Dein Kampfgefährte gewesen ist.«

Ich schilderte, auf welche Weise und in welchem Zustande ich die drei Männer getroffen hatte. Als ich schwieg, traten Alle von ihm zurück. Dadurch wurde der Blick auf den Eingang des Thales frei, wo sich in diesem Augenblick drei Reiter zeigten: Lindsay mit seinen beiden Dienern. Er hatte sich verspätet. Neben seinem Pferde schleppte sich der jüngere Sohn des Scheik einher.

Dieser sah den jungen Menschen und wandte sich augenblicklich wieder zu mir:

»Allah akbar! Was ist das! Mein zweiter Sohn gefangen?«

»Wie Du siehst!«

»Was hat er gethan?«

»Er war der Gehilfe Deiner Schandthaten. Deine beiden Söhne sollen den Kopf ihres in die Erde gegrabenen Vaters zwei Tage lang bewachen; dann bist Du wieder frei – eine Strafe, die viel zu gering für Dich und für Deine Söhne ist. Gehe hin und binde Deinen Jüngsten los!«

Da sprang der Verbrecher zu dem Pferde des Engländers und griff nach dem Strick. Sir David war soeben abgestiegen und wehrte die Hand des Scheik ab und rief: »Packt Euch! Dieser Bursche ist mein!«

Da riß der Scheik dem Englishman eine seiner Riesenpistolen aus dem Gürtel, schlug an und feuerte. Sir David hatte sich blitzschnell umgedreht, dennoch traf ihn die Kugel in den Arm; im nächsten Augenblick aber krachte ein zweiter Schuß. Bill, der Irländer, hatte seine Büchse erhoben, um seinen Herrn zu vertheidigen, und seine Kugel fuhr dem Scheik durch den Kopf. Dessen beide Söhne warfen sich auf den Schützen, wurden aber handfest empfangen und überwältigt.

Ich wandte mich schaudernd ab. Das war Gottes Gericht! Die Züchtigung, die ich dem Missethäter zugedacht hatte, wäre zu unbedeutend gewesen. Und nun war auch mein Wort erfüllt, das ich jener Frau gegeben hatte: der Scheik kehrte nicht in sein Lager zurück.

Es verging eine Weile, bis wir Alle unsere Ruhe wieder hatten. Da erscholl zunächst die Frage Halef's:

»Sihdi, wohin soll ich diese drei Männer bringen?«

»Das mag der Scheik bestimmen,« lautete meine Antwort.

Dieser trat zu den Dreien heran.

»Marhaba – Ihr sollt mir willkommen sein! Bleibt bei Mohammed Emin, bis Ihr Euch von Euren Leiden erholt habt!«

Da blickte Selek schnell empor.

»Mohammed Emin?« frug er.

»So heiße ich.«

»Du bist kein Schammar, sondern ein Haddedihn?«

»Die Haddedihn gehören zu den Schammar.«

»O, Herr, so habe ich eine Botschaft an Dich!«

»Sage sie!«

»Es war in Baadri, und ehe wir unsere Reise antraten, da ging ich zum Bache, um zu schöpfen. An demselben lag eine Truppe Arnauten, welche einen jungen Mann bewachten. Er bat mich, ihm zu trinken zu geben, und indem er that, als trinke er, flüsterte er mir zu: ›Gehe zu den Schammar, zu Mohammed Emin und sage ihm, daß ich nach Amadijah geschafft werde. Die Andern sind hingerichtet worden.‹ Dies ist es, was ich Dir zu sagen habe.«

Der Scheik taumelte zurück.

»Amad el Ghandur, mein Sohn!« rief er. »Er war es, er war es! Wie war er gestaltet?«

»So lang und noch breiter als Du, und sein schwarzer Bart hing ihm bis zur Brust herab.«

»Er ist es! Hamdullillah! Endlich, endlich habe ich eine Spur von ihm! Freuet Euch, Ihr Männer, freuet Euch mit mir, denn heute soll ein Festtag sein für Alle, mögen sie nun Freunde oder Feinde heißen! Wann war es, als Du mit ihm geredet hast?«

»Sechs Wochen sind seitdem vergangen, Herr!«

»Ich danke Dir! Sechs Wochen, eine lange Zeit! Aber er soll nicht länger schmachten; ich hole ihn, und wenn ich ganz Amadijah erobern und zerstören müßte! Hadschi Emir Kara Ben Nemsi, reitest Du mit, oder willst Du mich bei dieser Fahrt verlassen?«

»Ich reite mit!«

»Allah segne Dich! – Kommt, laßt uns diese Botschaft allen Männern der Haddedihn verkündigen!«

Er eilte dem Wadi zu, und Halef trat zu mir heran mit der Frage:

»Sihdi, ist es wahr, daß Du mitgehst?«

»Ich gehe mit.«

»Sihdi, darf ich Dir folgen?«

»Halef, denke an Dein Weib!«

»Hanneh ist in guter Hut, aber Du, Herr, brauchst einen treuen Diener! Darf ich Dich begleiten?«

»Gut, so nehme ich Dich mit; doch frage vorher Scheik Mohammed Emin und Scheik Malek, ob sie es erlauben.« – –


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