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6

Wohl niemals hatte der Leitenmüller seinen Sohn so auf Schritt und Tritt im Auge behalten und bei seiner Arbeit so verstohlen und scharf beobachtet, wie an diesem Morgen. Sein Blick haftete mit väterlichem Wohlgefallen an dem hoch und kräftig gewachsenen Burschen, den er die Axt so leicht und sicher schwingen sah – doch gar bald verdrängte eine Wolke des Unmuths den Ausdruck der Zufriedenheit. Der Leitenmüller durchschaute nur zu bald, daß Martl heute nicht ganz bei der Sache war und mit seinen Gedanken weit abschweifte. Bald tändelte er, vor sich hinbrütend, mit der Axt an einem Holzstamme, bald stand er an die Schnittbäume gelehnt und starrte unverwandt in die Richtung des Mitterbergs hinauf, bis ein Geräusch in seiner Nähe ihn wie aus einem Traume aufschreckte. Fast laut brummend schlenderte der alte Mann endlich dem Hause zu, und der ungewohnte Ernst in dem sonst lustigen rothen Gesichte zeigte klar, daß das Vaterauge dem Sohne bis auf den Grund in's Herz geschaut hatte.

Selten ging auch auf der Leitenmühle ein Mittagessen so einsilbig vorüber wie heute. Die zornigen Blicke der Müllerin nach ihrem Sohne verriethen, daß auch sie schon um das Geheimniß wisse; und trotz der dampfenden Nudelschüssel und seines kerngesunden Appetits entging selbst dem jungen Donysl die ernste Stimmung der Hauptpersonen nicht. Der glückliche Martl allein schien von all den drohenden Anzeichen des über seinem Haupte schwebenden Sturmes keine Spur wahrzunehmen, und sein eigenes in sich gekehrtes Wesen war freundlichster Natur. Er hatte wohl der Rosel melden lassen, daß er sie erst morgen besuchen würde, nun aber sann er schon wieder nach, ob er sie nicht doch noch heute überraschen könnte, wenn er auch nicht entfernt vermuthete, was sich inzwischen auf der Flintsbacher Alm zugetragen.

Nach einem langen, von dem Jüngsten gesprochenen Gebete verließen die Söhne sammt den Dienstboten die Stube. Der Müller suchte aber heute nicht den großen ledergepolsterten Lehnstuhl auf, wo er regelmäßig sein Mittagsschläfchen hielt, sondern blieb gegen seine Gewohnheit nachdenklich auf der hölzernen Bank am Eßtisch sitzen.

Seine Ehefrau, deren wohlgenährtes Antlitz stets mit einer überklugen, wichtigen Miene auf ihre Umgebung schaute, hatte ungeduldig die Entfernung des letzten Tischgenossen erwartet. Kaum sah sie sich mit ihrem Alten allein, als sie, die linke Hand auf die Hüfte gestemmt und die Rechte wie befehlend ausgestreckt, an ihn herantrat.

»Müller, daß du mir die Sach' nicht wieder hinschiebst und gleich jetzt mit dem Martl redest. Ich will's gewiß wissen, was an der Geschicht' ist; hätt' sonst keine ruhige Nacht mehr. Ich kann mir's ja gar nicht denken, daß unser Bub sich so weit vergessen hat. Und wenn ich ihn wieder anschau', wie verstockt als er dasitzt, möcht' ich's doch wieder glauben.«

»Ja, es ist schon so, Müllerin. Das Madel ist bildsauber, weißt es ja selber, und hat dir ein paar Augen im Kopf, daß ein Bub sich leicht darein verlieben kann; kein Wunder wär's wenigstens nicht.«

»Mir scheint, du hast auch schon bald zu tief hineingeschaut in die Augen von dem bildsaubern Diendl,« entgegnete die Frau in gereiztem Tone; und als sie mit entschiedener Bewegung nun auch den andern Arm in die Seite stemmte, wußte der dicke Brenzlmayr genau, daß seine etwas hitzige Hälfte jetzt zum Angriff übergehe. Sie rückte ihm auch schon einen Schritt näher, und nur das Erscheinen einer alten Dirne, die den Tisch abräumte, verhinderte eine häusliche Scene. Mit einem dankbaren Blick nach dem bejahrten Schutzgeist, machte sich der Leitenmüller aus dem Staube und verschwand bald hinter einer Thüre, die er vorsichtig zuriegelte.

Die Hände auf dem Rücken gekreuzt, ging er nun gedankenvoll auf und ab. Es war das Prunkgemach des Hauses, in dem er sich befand, die sogenannte gute Stube der Leitenmühle, bis zum äußersten Winkel spiegelblank und sauber gehalten, ein wahres Schatzkästlein einer wirthlichen Hausfrau. Die buntbemalten riesigen Truhen und Schränke, auf deren Füllungen große brennende Herzen prangten, bargen einen ganzen Reichthum der trefflichsten blendendweißen Hausleinwand und hohe Stöße des feinen Gespinnstes der langen Winterabende. In Glasschränken und Schüsselrahmen waren die Prunkgeschirre der Voreltern aufbewahrt, und silberhell glänzten die stattlichen zinnernen Kannen und Teller zwischen geweihten Wachsstöcken. Auch ein paar hoch aufgethürmte Betten in großen Himmelbettladen, für künftige Bräute des Hauses bestimmt, hatte die vorsorgliche Mutterhand hier zusammengetragen. Ueber all' diesen, durch den rastlos schaffenden Fleiß geheiligten Schätzen thronte, gleichsam als Wächter, auf einer mit unzähligen Schnörkeln verzierten Commode zwischen Kaffeetassen und Weingläsern ein lebensgroßes wächsernes Christkind auf seidenem Kissen. Nur äußerst selten bei feierlichen Gelegenheiten oder besonders wichtigen Familienereignissen öffnete sich hier die Thüre für die Kinder des Hauses, und nur mit einer gewissen Ehrfurcht betraten sie die gute Stube.

Als die Müllerin jetzt den Martl dorthin beschied, erschrak er auch sichtlich, und eine unheimliche Ahnung beschlich ihn, da er auf die Thürklinke drückte. Dies Vorgefühl steigerte sich noch, als er den Vater, der ihm schweigend geöffnet, mit finstern Stirnfalten sinnend das Gemach durchmessen sah. Die peinliche Stille unterbrach er nun selbst mit den Worten: »Vater, Ihr habt mich herbestellt – da bin ich.«

»Martl,« sagte Brenzlmayr, plötzlich stehen bleibend, mit feierlichem Nachdruck, und freundlich legte er dem Sohne die Hand auf die Schulter, »Martl, du bist der älteste Bub auf der Leitenmühl'. Deine Eltern haben allzeit auf dich geschaut, haben dich rechtschaffen erzogen; bist auch sauber daher gewachsen und hast was gelernt. Aber jetzt kommst in die Jahr', wo man weiter denken muß. Der Vater und die Mutter werden alle Tag älter; man weiß nicht, wann's unserm Herrgott gefallt, daß er eins zu sich nimmt« – da stockte er, und erst nach einigem Räuspern fuhr er fort – »was zwar unser lieber Herr noch lang verhüten möcht! Nachher hast du die Mühl' zu übernehmen, und ich sag' dir, Martl, es ist nicht so leicht. Du hast noch zwei Brüder, aber ein Bub wie du kann überall anklopfen. Der größte Bauer gibt gern seine Tochter her, wenn sie in so eine Sach' hineinheirathen kann. Du hast vielleicht selber noch nicht dran denkt; aber ich und die Mutter haben dir eine sakrisch schwere Wirthstochter herausgesucht.« Der vorsorgliche Vater blinzelte schlau lächelnd den Sohn an, der, von der unvermutheten Eröffnung betroffen, einen Augenblick verwirrt vor ihm stand.

»Vater, ich heirath' nicht!« rief er dann mit einer Bestimmtheit, als wollte er eine solche Zumuthung für alle Zeiten von sich weisen.

»Ha, ha,« lachte der Alte halb ergötzt, halb ergrimmt, »jetzt hab' ich dich gefang'n! Weiß schon, Bürschl, wenn ich gesagt hätt': heirath die Achmüller-Rosel – da wärst gleich dabei gewesen. Kurz und gut, ich bin dir endlich einmal hinter deine Schlich' 'kommen und weiß jetzt, was für wichtige Geschäfte du so oft am Mitterberg hast. Glaubst vielleicht, wir haben deswegen gehaust und uns geplagt, daß sich die nächste Beste schön warm da hereinsetzt? Ich hab' zwar nichts aus gegen die Rosel, allen Respect für das Madel; aber für dich ist sie kein Weib. Oder meinst vielleicht, du kannst mit der Lieb' Bäum' kaufen draußen im Holz und mit einem feinen Gesichtl die Eh'halten Dienstboten. auszahlen? … Ja, schmunzl nur in dich hinein,« brauste er zornig gegen den Sohn auf, der mit trotzigem Lächeln vor sich hinstarrte, »es gibt schon was, um deinen Trotzkopf zu brechen! Sagst ihr nicht heut noch die Lieb' auf, kannst die nächste Woch' in die Kasern' marschiren, und der Baptist kommt statt deiner heraus. Da darf ich nur ein Paar Enten dem Feldwebel schicken mit einem Zettel, so kannst in der Stadt drinn' den Kuhfuß herumtragen, bis dir die verliebte Hitz' vergangen ist.«

»Vater, die Enten könnt Ihr Euch sparen, helfen thät's doch nichts!« rief der Sohn ungestüm auffahrend, und aus den dunkeln Augen blitzte solch ein leidenschaftliches Feuer, und eine so schmerzliche Bewegung sprach aus seinem Ton, daß der Vater, wenn er noch hätte zweifeln können, die volle Ueberzeugung gewann, wie tief diese Liebe Wurzel geschlagen hatte.

»Hab' lange Angst gehabt,« fuhr Martl fort, und die kräftige Brust wogte auf und nieder, »daß die heimliche Lieb' einmal aufkommt. Jetzt, weil's so ist, fürcht' ich mich auch nimmer und sag's rundweg, Vater: wir zwei haben's uns gelobt, wir lassen niemals von einander. Ich will sonst nichts, ich bin nicht stolz auf einen Reichthum: mein einziger Stolz ist die Rosel. Es kann ihr auch niemand was nachsagen, als daß sie arm ist. Und muß's denn grad allzeit das Geld sein, was das Glück ausmacht? Seht, Vater, gern arbeit' ich als Holzknecht; und müßt' ich mich als Pechler noch so plagen zu tiefst im Wald, um die Rosel thu' ich's gern. Legt mir nichts in den Weg, vergönnt mir das brave Diendl, und Ihr habt dann alleweil einen frischen Buben, der seinen Vater auf den Händen tragt. Wollt' ich aber Euch folgen, müßt' ich wie ein Kümmerer Verwundeter Hirsch. draußen im Holz herumschleichen, thät auch bald umstehn, wie eine junge Eich', die man am Kern anbohrt. Ja, Vater, es geht mir an's Leben, wenn ich nur denk', daß ich die Rosel verlieren soll.«

Immer weicher war die Stimme des großen, stark gebauten Burschen geworden, und mit heißer Bitte hing sein Auge an dem Alten. »Die Rosel muß's sein oder gar keine!« flüsterte er halblaut, und in dem offenen, gebräunten Gesichte stand ängstliche Erwartung geschrieben.

»Ja, ja, so sagen die Verliebten alle,« antwortete der Leitenmüller, »und rennen blind in's Elend. Wenn ihnen der Nebel einmal vergangen ist, da sehen sie's erst ein, wie gut es die alten Eltern mit ihnen im Sinn gehabt haben.« Auch seine Stimme klang frei von allem Groll, und aus seinen Zügen lächelte wieder die alte warme Gutmüthigkeit, sein ganzes biederes und grundfreundliches Herz. In all' das aber mischte sich offenbar ein Zug der Verlegenheit. Der alte Mann fühlte mit Schrecken, daß es um seinen Widerstand geschehen sei; und damit der Sohn von dieser Umwandlung nichts gewahre, hielt er sein Gesicht beharrlich abgewandt. Dem scharfen Auge des Liebenden entging die Veränderung in Ton und Miene dennoch nicht. Stürmisch ergriff er die Hand des Vaters und drückte sie mit überwallender Herzlichkeit.

»Gebt's das Anwesen und alles dem Baptist,« sagte er rasch; »macht's mit der Mutter aus, mit der kann ich über so was nicht reden. Sie hat das Herz nicht wie Ihr. Und wenn die Rosel auch reich wär', sie wär' ihr doch feind, weil der Achmüller ihr Vater ist. Ihr könnt so ungut nicht sein, – Ihr helft mir, ich kenn's Euch an; und ich bitt' ja um gar nichts mehr von der Mühl', als nur um ein paar Bretter zu einer Enzianhütten droben und um Euern Segen, Vater. So viel wird der Martl doch noch werth sein.«

Der Alte konnte lange nicht antworten, die innere Rührung bewegte ihn zu Thränen, was sein Bub um alles in der Welt nicht sehen durfte. Er nahm seine Zuflucht zu einem plötzlichen Husten und fuhr sich dabei, wie von ungefähr, über die Augen.

»Bist halt ein verliebter Narr,« polterte er endlich, »geh jetzt an dein' Arbeit und nimm dich ein wenig zusammen. Das Weitere wird sich nachher schon finden.«

Der dicke Brenzlmayr hatte das Möglichste gethan, die letzten Worte rauh herauszustoßen; aber Martl, der mit dem Herzen horchte, erkannte wohl, wie es in dem Alten kämpfte zwischen der natürlichen Gutmüthigkeit seines Wesens, die ihn zur Nachgiebigkeit drängte, und der Furcht vor dem lebhaften Widerspruch der Müllerin.

Diese Antwort des Vaters that ihm wohl wie eine selige Verheißung, und er warf beim Weggehen einen unbeschreiblich dankbaren Blick auf ihn. Kaum hatte er jedoch die Thüre geöffnet, als seine Mutter, die ihrer vor Unwillen gerötheten Miene nach gehorcht haben mußte, von der Schwelle zurückprallte. Um ihren zornigen Vorwürfen wenigstens für den Augenblick zu entgehen, schoß er rasch an ihr vorüber zum Hause hinaus.

Die Hausgenossen wollten genau um diese Zeit einen längern heftigen Wortwechsel, in dem die scharfe, trompetenartige Stimme der Leitenmüllerin die Oberhand behielt, aus der guten Stube vernommen haben. Das Ehepaar ging den Rest des Tages einander grollend aus dem Weg. Ein friedliches Uebereinkommen über den streitigen Punkt schien angesichts der herausfordernd um sich blickenden Frau Brenzlmayr noch in nebelgrauer Ferne zu stehen. Martl aber förderte in den nächsten Stunden mit leichtem Herzen und rührigen Händen seine Arbeit. Er hatte den Vater umgestimmt, und wenn er auch noch manchen häuslichen Kampf voraussah, schließlich setzte dieser doch seinen Willen durch, und die Mutter mußte sich fügen. Wie ein heller, glückverkündender Hoffnungsschimmer zog es in die frohbewegte Brust des jungen Burschen ein, und er war nun fest entschlossen, heute noch auf die Flintsbacher Alm zu steigen.


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