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Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr befestigt als erschüttert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der Aristokratie, welche die Domanialteilung offen begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl wieder und wieder auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschäft in Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der tätigsten Führer der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo. Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus leitete, verzeichnet auf einem öffentlichen Denkmal sich als "den ersten, der auf den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern eingewiesen habe", und auch sonst ist es überliefert, daß sich die Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward – denn nicht durch Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen der Bürgerliste. Die Schätzung, die im Jahre 623 (131) veröffentlicht ward und tatsächlich wohl Anfang 622 (132) stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs Jahre später (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt – ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt hat, läßt sich bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte, ein großes und segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und durchaus Richter in eigener Sache, ging mit seinen Arbeiten rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch vielfältig wirkliches Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht genügend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie laut und großenteils begründet auch die Klagen waren, der Senat ließ die Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies Gewährenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht lediglich in den Händen römischer Bürger; große Strecken desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch Volks- oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung zugewiesen, andere Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder unerlaubterweise okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des durch Gemeindebeschlüsse den italischen Gemeinden überwiesenen Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich mochten jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte, so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es politisch richtig sei, die militärisch so wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und faktische Zurücksetzungen Rom sehr entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen, die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu schützen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen EinflußHierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 28; oben S. 95). ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluß der Teilkommission die Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam. Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch sie notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios Zwischentreten. In anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der Mißbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß der sechsundfünfzigjährige in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für den nächsten Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur daß der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, ließ nicht ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer standen entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten gegen die Reform gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners zur Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhüllten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren des Verbrechens.
Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Fähigkeiten sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen, in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica gutheißen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder verteidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des Sempronischen Gesetzes, dem die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese Domanialteilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte. Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht gar sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld für sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort den Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern gefallen wäre.
Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die revolutionäre Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine konstituierte Vorstandschaft besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplänkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht bereits früher geschehen war, und sogar den bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war, gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln, wieder ein- und durchgebrachtDie Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren Ordnungen anzugehören (Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.. Die hauptsächliche Absicht der Partei ging indes auf Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten Teilungsamts: unter den Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an dieselben zu beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und der durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen Gärung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit dem Antrag, den Bürgern der Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen Bürgerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die römischen Komitien einzuräumen; allein er stand fast allein – Carbo hatte inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus abwesend als Quästor in Sardinien – und scheiterte an dem Widerstand nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war. Flaccus verließ Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den großen Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit aus der üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der Grenze von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche Wortführer für die sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der Zurückweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom – seit hundertfünfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, nicht durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhebung Italiens gegen die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den Brand, ehe er andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu ersticken; nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der Prätor Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefürchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die übliche Ablösung unterließ und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 (123) ernannt. Der Krieg war also erklärt. Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Kapazitäten, hatte neun Jahre hindurch notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft berufen war.
Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia unter seinem Schwager und später in Sardinien mit Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klarheit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in dem Drang der verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte man die echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen, die Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurückgedrängte Erbitterung gegen die Partei, die das Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der erste Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. Noch unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschütternder MächtigkeitSo die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen Worte: "Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu lassen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein Sprößling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden.", und wohl begreift man, daß, wer sie hörte oder auch nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn selber der Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder stockend floß. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In Gaius' Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. "Auch mir", schrieb ihm seine Mutter, "scheint nichts schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als daß das Vaterland verderbe." Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darüber zugrunde gehen – die Ahnung, daß das Verhängnis ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem tödlich Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat recht daran getan.
Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung, als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung erscheint, daß es dem Volkstribun freistehen solle, sich für das folgende Jahr wiederwählen zulassen. Wenn hiermit für das Volkshaupt die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu sichern, das heißt die hauptstädtische Menge – denn daß auf das nur von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte sich sattsam gezeigt – mit ihren Interessen fest an den Führer zu knüpfen. Hierzu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen Getreideverteilung. Schon früher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu Schleuderpreisen an die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte, daß fortan jedem persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich eine bestimmte Quantität – es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2½ Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch Anlage der neuen Sempronischen Speicher die öffentlichen Kornmagazine erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die außerhalb der Hauptstadt lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze Masse des Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen hatte, in die Klientel der Führer der Bewegungspartei bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und eine feste Majorität in den Komitien gewähren. Zu mehrerer Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien durcheinander in einer jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstädtische Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine der Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die Zurückgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch nur in sehr beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste, die für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von römischen Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen der von den Latinern benutzten Domänen nur in Verbindung mit der sehr schwierigen über die Ausdehnung des Bürgerrechts wiederaufgenommen werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus über das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gründung von Kolonien in Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, das italische Proletariat in den überseeischen Gebieten des Staats zu versorgen, indem er an die Stätte, wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht bloß aus den römischen Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen erwählte Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit für das italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das ausschließlich regierende, das Provinzialgebiet als das ausschließlich regierte Land zu betrachten.
Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur Geltung zu bringen. Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen. Hinsichtlich der Länge der Dienstzeit bestand nach altem Recht keine andere Grenze, als daß kein Bürger vor vollendetem siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt zu sein, daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger Dienst zu Fuß oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreieSo möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst berechtige, den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios' Zeit bestand. Daß Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker.. Gracchus erneuerte die vermutlich öfter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Bürger vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und beschränkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der Militärpflicht erforderliche Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert.
Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch mehr, als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil selbst in der Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit Einführung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, über den Bürger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhängen außer nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Bürgers bald nach der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn, Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der Bürgerschaft entzog und an ständige Kommissionsgerichte überwies, welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß keine Appellation an die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie die der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der Angeklagte auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch Aufgebung seines Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; denn die Vermögensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den Exilierten noch treffen. Allein vorgängige Verhaftung und vollständige Exekution blieben hier wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines schweren Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozeß hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und höchstens auf Verbannung erkennen – diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur förmlichen Strafe. Auch dieses unfreiwillige Exil ließ gleich dem freiwilligen dem Verbannten das Vermögen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen daraufging.
Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlaß der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal populären Maßregeln beizuzählen ist.
Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloß auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich ungleichen Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern der zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte im ganzen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des sechsten Jahrhunderts allmählich der senatorischen Aristokratie an die Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschließung der Senatoren von dem kaufmännischen Betrieb durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß, eine äußere Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In der gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter dem Namen der "Ritterschaft" einen entscheidenden Einfluß auch in politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die ursprünglich nur der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich allmählich, wenigstens im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle diejenigen, die als Besitzer eines Vermögens von mindestens 400000 Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme römische Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfähigen ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen Familien nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja die eigentliche Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen.
Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden Kaufleute, berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat. Es war eine natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und den Männern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen, standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und Koteriefehden den Männern der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die römischen Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmänner auf Kosten der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie ein tief gehender Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von Ritterzensus von der übrigen Menge sich unterschieden – der goldene Fingerreif statt des gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den Bürgerfesten –, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden sind, ist nicht gewiß, aber nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus' Art ist, so war es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie viele Ritterfähige auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr gefördert als manche an sich weit wichtigere Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie dergleichen Ehren auch keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts wegen zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte.
Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben, gewährte an sich schon dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in den meisten Ämtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, was die Dazwischenkunft römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede einzelne Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor die Provinz Asia an die Römer gefallen war, hatte der Senat sie im wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius GracchusDaß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep. 3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. stieß diese Verfügung durch einen Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten – eine Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich ausschloß und die in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und Zölle der Provinz Asia eine Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief. Charakteristisch für Gracchus' Bestreben, den Kapitalistenstand vom Senat unabhängig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, daß der völlige oder teilweise Erlaß der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein "Senat der Kaufmannschaft" konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den Geschworenengerichten eine bestimmte öffentliche Tätigkeit zugewiesen. Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr eng und ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen, wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese ausschließlich aus dem Senat genommen worden; Gracchus überwies sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den ständigen und nichtständigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der Ritterzenturien aus den sämtlichen ritterfähigen Individuen jährlich neu formieren ließ und die Senatoren geradezu, die jungen Männer der senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze von den Gerichten ausschloßDie zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte neue Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer gelenkt ward, die in den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der asiatischen und sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen; und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, daß, während bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, jetzt die Geldaristokratie nicht bloß auf der soliden Basis der materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Großhändlern und Bankiers die Entscheidung zu erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen den römischen Kapitalisten und den römischen Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt, daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.
Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Maßregeln mehr persönlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich zugestanden; Gracchus nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch tribunizische Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise die Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon erwähnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu fragen, über die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den öffentlichen Finanzen eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und Volks-, sondern allein nach Volksschluß aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und eine durchaus andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der bisher dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch beschränkt, daß der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit beispielloser Tätigkeit endlich konzentrierte Gaius die verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in seiner Person: Er selbst überwachte die Getreideverteilung, erlas die Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloß die Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die Konsulwahlen – kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes persönliches Regiment.
Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten ProvokationsgesetzDies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch sein., die Niedersetzung außerordentlicher Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß, wie diejenige gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen Anhänger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der Senat die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven Maßregeln genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es, daß dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen erfolgtem Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf, Publius Popillius, genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung durch – ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch der Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe, auf immer unfähig sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurück auf Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu verhöhnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, gemäß gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer Wichtigkeit als diese Maßregeln war Gaius' freilich wohl schwerlich zur Ausführung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt ungefähr ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen – eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben würde.
Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und während der beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren wesentlichsten Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne auf irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stoßen und ohne zur Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu müssen. Die Reihenfolge, in der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der zerrütteten Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, daß uns mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da über die Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedrängt ward, sondern offenbar einen wohl überlegten, umfassenden Plan in einer Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollständig realisierte.
Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter und neuer Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue demokratische Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form eines durch stehende Wiederwahl lebenslänglich und durch unbedingte Beherrschung der formell souveränen Komitien absolut gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb in einem Gemeinwesen, das über die Urversammlungen hinaus und für das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des aristokratischen Regiments für eine andere politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer, wie sein Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für sein großes Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und in sehr verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen läßt, so wenig wird, wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den persönlichen Zwecken, ja der persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht, für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu finden und dem einreißenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich groß. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den skandalösen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge aufAuf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, daß von den Senatoren keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere, und fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die stillschwiegen – die ersten seien bestochen von König Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige bezahlen und jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen werde.. Aber es war desselben Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ. Gracchus mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der Provinzen und veranlaßte nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch überlieferte er zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und damit einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind und menschlich heißen konnte – beides, weil er teils der Partei der Geldmänner, teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den Finanzen neu aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete Staat, soweit irgend möglich, zwar nicht über die politischen Parteien, aber doch außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird, absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld dieser Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus' Tendenzen zu einem sehr großen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische Dilemma, daß derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als Räuberhauptmann sich behaupten und als der erste Bürger den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich Gaius Gracchus' Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es wirkt daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die, den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine Geschworenenordnung und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie abzweckende Maßregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den Markt geworfen, damit die Bürger – die vornehmen, versteht sich – mit ihnen sich untereinander zerfleischen möchten. Er war ein politischer Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution, die von ihm datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten hauptstädtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollständig demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward und mit seinen bald pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze von Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und doch – dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus. Von ihm rührt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten Kriegsrechts begründete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht fremde Satz her, daß aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als Privateigentum des Staats anzusehen sei – ein Satz, der zunächst benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich stützend die regierende Aristokratie zu sprengen, überhaupt aber durch eine strenge und zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen Mißregiments die Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn gehen vor allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich bringen mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte Karthago wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren politischen Konstellation Recht und Schuld, Glück und Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier sich wohl ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen.
Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Führer der demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich sattsam gezeigt; sie wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des römischen Bürgerrechts, nicht bloß, um die von den Latinern okkupierten Domänen zur Verteilung bringen zu können, sondern vor allem, um mit der ungeheuren Masse der Neubürger ihre Klientel zu verstärken, um die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen, überhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. Allein hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was sie verstand und nicht verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem einfachen Grunde, daß diesen Leuten das römische Bürgerrecht sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden Fraktion der Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte Gracchus, wahrscheinlich durch übernommene Verpflichtungen gegen die Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das früher von ihm ohne Erfolg beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der Latiner zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte Opposition des Senats und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Bürgerschaft gegen den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück. "So meint ihr also", sprach der Optimat, "wenn ihr den Latinern das Bürgerrecht erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch künftig in der Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck besetzen werden?" Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher Redner wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine Gründe ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis der Assignation der latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß der Senat es durchsetzte, die sämtlichen Nichtbürger vor dem entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu dürfen, zeigte das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des Marcus Octavius zu bereiten.
Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus' Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunächst auf dem letzteren, das in diesem Kampf, in welchem militärischer Rückhalt beiderseits nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es war einleuchtend, daß der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, daß Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl die Männer der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Pöbel sein Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von Gaius Gracchus. Gracchus' Institutionen standen, für den Augenblick wenigstens, unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner eigenen Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in Gracchus' Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein Treuverhältnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle anderen Elemente der Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das jeder Staat auf tönernen Füßen steht. In der Verwerfung des Antrags, die Latiner in den Bürgerverband aufzunehmen, war es mit schneidender Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die Menge in der Tat niemals für Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die Aristokratie entwarf den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre Landlose für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu erklären; ferner, statt in den überseeischen, das Proletariat zu versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur Drusus selbst verzichtete – im Gegensatz gegen das Gracchische Familienkollegium – auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, daß dem latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere Verluste zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das Bestreben, das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die italischen Domänen in der Hauptsache schon weggegeben waren – auch wenn man die gesamten, den Latinern überwiesenen konfiszierte –, das für zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Bürgerschaften erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein möge, endlich Drusus' Erklärung, daß er mit der Ausführung seines Gesetzes nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte, war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht entscheidend, daß Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Hände arbeitete. Das "Volk" ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen mäßigen Tritt versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloß im allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die unpopulärste Maßregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago. Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur mittelbar durch die lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt afrikanische Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der gottverfluchten Stätte. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten auslas, erschien an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Bürgerschaft berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes hatte er nicht wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden. In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in der Hand, die "schlechten Bürger" an, die Halle zu räumen, und schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen und die Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund mehr, indem er, ohne dessen in dem Getümmel gewahr zu werden, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die schwerste Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln, um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen Bogenschützen, Rathaus und Markt mit den Männern der Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhängigen Fraktion der Ritterschaft, welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter Offizier, Decimus Brutus, übernahm das Kommando der bewaffneten Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam überrascht, erschien in Masse an der Tür, um die Leiche in Augenschein zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das weitere zu beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit dem Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um womöglich einen Vergleich zu vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der beiden vorgeladenen Führer bloß der junge Quintus Flaccus abermals sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; er ließ den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den Aventin, indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe buchstäblich mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit gewährleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstürmte den fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem ältesten Sohn in ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden. Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, womöglich sich für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu entkommen; allein den Berg hinabeilend stürzte er und verstauchte sich den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin, Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius Cocles allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen; es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber den Tod gegeben. Die Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der Regierung, wie befohlen, eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene Preis und darüber ausgezahlt, dagegen die Mörder des Flaccus, geringe Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die Körper der Getöteten wurden in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur Plünderung der Menge preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der Prozeßkrieg im großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker aufgeknüpft worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete Heiligtümer der Eintracht sich befanden, wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermögen der getöteten oder verurteilten Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius ein neuer glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet – allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der jüngste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben für die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten, zeigte sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast religiösen Verehrung, die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten, wo sie gefallen waren, allen polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen.