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Thomas Moore hat seine Dichtung »Die Liebe der Engel« Im Englischen: The loves of the Angels. Im Deutschen läßt sich dieser Plural nicht wiedergeben, da sich mit der möglichen Bezeichnung »Liebschaften« ein unedler Nebenbegriff verbindet. mit folgendem Vorwort in das Publikum gesandt:
»Dieses Gedicht, in der Form etwas anders, und im Umfang weit beschränkter, war ursprünglich zu einer Episode in einem Werke bestimmt, womit ich mich in den zwei letzten Jahren von Zeit zu Zeit beschäftigte. Vor einigen Monaten fand ich indessen, daß mein Freund Lord Byron, durch eilt zufälliges Zusammentreffen, sich den nämlichen Gegenstand für ein Drama gewählt hatte; und da ich nicht umhin konnte, den Nachtheil zu fühlen, wenn ich bei einem so furchtbaren Nebenbuhler hinterher käme, so hielt ich es für das Beste, meinen bescheidenen Entwurf unmittelbar herauszugeben, und mich so, bei einem frühern Erscheinen am literarischen Horizont, in das Verhältniß von Dem zu setzen, was die Astronomen Heliakal-Aufgang Im Englischen: Heliacal rising, Heliace geht ein Stern auf, wenn er eben weit genug vom Stand der Sonne am Himmel entfernt ist, um im Aufgehen gesehen zu werden; er geht hingegen heliace unter, wenn die Sonnenstralen ihn im Untergehen kaum verdunkeln; Heliacus ortus und Heliacus occasus (Heliakal-Aufgang und Heliakal-Untergang) sind hiernach zu erklären. (Lichtensterns, deutsches Sachwörterbuch.) nennen, ehe der Himmelskörper, in dessen Licht ich verschwinden sollte, aufgegangen wäre.«
»Da von Personen, deren Ansichten ich achte, Einwürfe über die Wahl eines Gegenstandes dieser Art aus der heiligen Schrift gemacht werden können, so halte ich es für Pflicht zu bemerken, daß, hinsichtlich der Thatsache, der Inhalt nicht schriftgemäß ist – da die Idee, worauf er sich gründet, (die der Liebe der Engel zu den Frauen), durch eine irrtümliche Uebersetzung des LXX. Verses im 6, Kapitel der Genesis, worauf sich die einzige Autorität für diese Fabel stützt, veranlaßt worden ist. Das, worauf meine Geschichte beruht, hat daher mit der heiligen Schrift eben so wenig zu thun, wie die Träume der Neu-Platoniker oder die Fiktionen der jüdischen Gottesgelehrten; und indem ich die Idee auf meine Weise zum Gebrauch per Poesie verwendete, that ich nichts weiter, als daß ich sie in jenen Kreis der Fiktion zog, wohin die Meinungen der vernünftigsten Kirchenväter und aller andern christlichen Theologen sie lange zuvor verwiesen hatten.«
»Abgesehen von der Brauchbarkeit des Gegenstandes für die Poesie, fiel mir noch auf, daß derselbe sich zur Darbietung eines allegorischen Mittels eigne, durch das ich, wie ich es auch in den folgenden Geschichten zu thun versucht habe, den Fall der Sünde von ihrer ursprünglichen Reinheit, den Verlust des Lichts und der Glückseligkeit, den sie erleidet im Verfolgen der vergänglichen Freuden dieser Wett, und die sowohl vom Gewissen als von der göttlichen Gerechtigkeit verhängten Strafen, womit Unreinheit, Stolz und anmaßende Forschung nach den ehrfurchtgebietenden Geheimnissen Gottes gewiß heimgesucht werden, hervorschimmern lassen könnte. Die schöne Geschichte von Kupido und Psyche verdankt ihren Hauptreiz dieser Art von »verborgenem Sinn«, und es war, wie ich in meinem Versuch auch gefehlt haben möge, mein Wunsch, das nämliche moralische Interesse den folgenden Blättern zu geben.« –
Die in dieser Vorrede erwähnte Beeilung der Herausgabe, veranlaßt durch das Zusammentreffen im Stoff mit Lord Byron, bezieht sich auf des letztem Mysterium »Himmel und Erde.« Nachdem der zu Anfang des Jahres 1821 erschienene Kain durch seinen kühnen, und ängstlichen Gemüthern gefährlich dünkenden Ton viel Aufsehen gemacht und die Zeloten zu verdammenden Urtheilen gereizt hatte, schrieb Byron im Sommer 1821 sein Drama »Himmel und Erde«, das Fragment geblieben ist. Mau findet in dem unlängst publicirten biographischen Werke Moore's über seinen zu früh geschiedenen Freund einige Briefstellen, worin von beider Dichter Behandlung eines ähnlichen Stoffes die Rede ist. So schreibt Byron am 9. Nov. 21 aus Pisa an seinen Verleger Murray zu London: »Eingeschlossen ein lyrisches Drama – ich nenne es, dem Gegenstand zu lieb, ein Mysterium ( a mystery), das vielleicht noch zeitig genug kommt, um mit Werner etc. zugleich zu erscheinen. Sie werden es, wie ich sicher glaube, fromm genug finden – wenigstens sind in den Chören Gesänge, wie sie Sternhold und Hopkins St. und H. sind wohl Liederdichter wie bei uns Paul Gerhard. nur machen könnten und denen es auch an Melodie nicht fehlt. Da mir das Stück länger, lyrischer, ja griechischer geworden ist, als ich Anfangs vorhatte, so habe ich es nicht in Akte getheilt, sondern nenne, was ich jetzt schicke, » Part the first.« (Ein zweiter Theil ist nie erschienen).
Unterm 4. März 1822 schreibt Byron an Moore: »Mein neues »Mystery« ist weniger spekulativ (philosophisch, zweiflerisch) als Kain und dabei sehr fromm ( very pious). Uebrigens bewegt es sich meist in lyrischen Chören.« – Am 2. April 1823 wußte Byron, daß Moore seine »Liebe der Engel« bald fertig habe, denn er schreibt ihm: »Man sagt mir viel Gutes von Ihren nun bald »eingesperrten Engeln«. Aber warum die Aenderung des Titels? – Daß Sie darin nachgegeben, wird Sie gewiß einst noch reuen. Die Frömmler und Bigotten können Sie doch nicht herumbringen und Ihnen geneigt machen – und könnten Sie es, lohnte es wohl der Mühe? Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie vermocht haben mag, Ihre Seraphs zu beschneiden ( to circumcise your Seraphs).« Moore scheint sich inzwischen anders besonnen zu haben, denn sein Gedicht kam bald nachher unter dem ursprünglich beabsichtigten Titel: »the loves of the Angels« wirklich im Druck heraus und fand so raschen Absatz, daß die vierte Ausgabe noch vom Jahr 1823 ist.
Auch in Deutschland zeigt sich seit einigen Jahren eine große Vorliebe für Moore'sche Dichtungen. Ihre Krone, die orientalische Romanze »Lalla Ruth«, erschien (Frankfurt a. M. 1830) in einer wahrhaft dichterischen Uebersetzung von F. D. Pechlin. Die berühmte Episode in diesem Werk »Das Paradies und die Peri« hatte schon früher eine Uebertragung in den »britischen Dichterproben« Nr. 1. von Legationsrath Breuer gefunden. Moore's wunderbar zarte und melodiöse Lieder hätten längst schon in unserer Sprache wiedergegeben werden sollen, besonders jetzt, wo unsere lyrische Nationalpoesie an eigentlichen Liedern allmählig arm wird. Sein Roman »Der Epikuräer« fand bei baldiger Aufnahme ungeteilten Beifall. Auch von der »Liebe der Engel« besitzen wir bereits zwei Uebertragungen, und zwar die eine von Paul Grafen v. Haugwitz, (Breslau 1829), die andere von Balduin (Berlin 1829.) Da beide aber mehr poetische Periphrasen als poetische und doch worttreue Uebersetzungen sind, so durfte der Versuch, den Arbeiten beider geachteten Männer eine dritte von anderer Tendenz zur Seite zu stellen, hoffentlich gewagt werden. Ich bin dem englischen Original getreulich, Schritt vor Schritt, gefolgt: die einzige Freiheit, die ich mir genommen, besteht darin, daß ich den reinen Jambus willkürlich mit Daktylen unterwebt habe. Ich mußte mit einiger Licenz den Vers zu erweitern suchen, um, von der Fessel des Reimes beengt, die konzise, bilder- und blumenreiche Sprache des Engländers in gleicher Versanzahl wiedergeben zu können. Eine treue Verdeutschung der »Liebe der Engel« ist äußerst schwierig, der vielen, theils als Anspielungen theils als Vergleichungen eingewobenen Zwischensätze wegen, die sich oft so häufen, daß das Kolorit überladen erscheint. Bei manchen Fragesätzen wäre es, um dem Verlauf des Gedankens sogleich folgen zu können, fast nothwendig, daß man, nach Art der Spanier, das Fragezeichen an den Anfang des Satzes stellte.
Die Muse Thomas Moore's ist kein wildes, von dunklen Leidenschaften bewegtes, durch überraschende Züge plötzlich ergreifendes und fesselndes Mädchen: sie gleicht vielmehr der zarten Jungfrau, an der man durch längern Umgang immer neue Reize entdeckt, die dann aber mit unwiderstehlichen Banden das Herz gefangen hält. Moore ist klarer, reiner Gemüthsdichter, das Zarte ist sein Element, und der Grundzug seiner dichterischen Stimmung ist edle Sentimentalität. Daher seine Vorliebe für Dichtungen aus der orientalischen und mythischen Welt. Für dieses reiche Gemüth sind die Kirchenväter wahre Goldquellen. Vorzugsweise gelingen ihm Schilderungen von Frauenreizen und Naturschönheiten. Auch in der »Liebe der Engel« machen diese üppigen Malereien einen wesentlichen Bestandtheil des Inhalts aus, der nur dadurch an der Klippe der Monotonie glücklich vorüber geführt ist. Anlage wie Form des Gedichtes verrathen den Meister. In dreifach wechselnder Farbe ist Liebe der Faden, der sich durch drei Gesänge spinnt; dabei ist für richtige Abstufung und künstlerische Steigerung wohlweislich gesorgt. Die Geschichte des zweiten Engels erinnert in der Katastrophe zwar an die Mythe von Jupiter und Semele. Allein die orientalische Mythe hat vor der griechischen bei weitem den Vorzug dadurch, daß in ersterer das geistige Erkenntnißprinzip, mithin der edlere Drang zum Falle bei weitem stärker hervorgehoben ist. Eine genaue Vergleichung der Ovidischen Metamorphose von der Semele mit dem Moore'schen Gesänge dürfte zur Herausstellung der wahren Begriffe von naiver und sentimentaler Poesie wesentlich beitragen. Der Unterschied zwischen dem Byron'schen »Heaven and Earth« und der Moore'schen Mythe geht zunächst von den Individualitäten beider Dichter aus. Die Dichtung Moores ist ganz fromm und kindlich gehalten, aus dem Ganzen weht ein lauterer ungetrübter Hauch, Alles athmet die Liebe einer Zeit, die zum Traum der Sehnsucht geworden. Bei Byron ist die Liebe der Engel fast nur Nebensache, da das Gemälde der einbrechenden Sündfluth an Interesse überragt. Seine Engel und Erdenfrauen hat Byron mit stärkeren Zügen hingestellt als Moore, bei dem sie, nach dem Charakter der ganzen Mythe, mehr zerfließen und in Duft verschwimmen. Heine, der auf deutscher Harfe den Byron'schen so verwandte Akkorde gegriffen, hat in seinem »Kirchhofe« auch einen Verein abgeschiedener Geister citirt, die bei nächtlicher Weite zusammenkommen und wie sie durch Liebe untergegangen erzählen: bei ihm ist jedoch die ganze Situation epigrammatisch auf die Spitze gestellt, und er malt absichtlich die Kehrseite Dessen, was wir an beiden Engländern bewundern.
Moore hat im Anhange zu seiner »Liebe der Engel« verschiedene Anmerkungen gegeben, meist Citate aus den Kirchenvätern enthaltend. Wir lassen daraus hier nur Einiges folgen, was zum Verständniß der Dichtung nothwendig erscheint.
Die Anmerkungen wurden als FUßnoten eingepflegt. Re. für Gutenberg