Karl Philipp Moritz
Götterlehre
Karl Philipp Moritz

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Jupiter, der Vater der Götter

In der Darstellung der alten Götter spielt die Phantasie der Dichter mit lauter großen Bildern. Es sind die großen Erscheinungen der Natur: der Himmel und die Erde, das Meer, die Morgenröte, die Macht der sich empörenden Elemente unter dem Bilde der Titanen, die strahlende Sonne und der leuchtende Mond, welche alle nur mit wenigen Zügen, als persönliche Wesen dargestellt, in Reihe und Glied mit stehen und mehr Stoff für die Dichtkunst als für die bildende Kunst darbieten.

Aus dem Nebel dieser Erscheinungen treten die neuen Göttergestalten im Sonnenglanz hervor: der mächtige Donnergott mit dem Adler zu seinen Füßen; Neptun, der Erderschütterer, mit dem mächtigen Dreizack; die majestätische Juno; der ewig junge Apoll mit dem silbernen Bogen; die blauäugichte Minerva mit Helm und Spieß; die goldne Aphrodite; die jungfräuliche Diana mit Köcher und Bogen; der eherne Kriegsgott Mars; Merkur, der schnelle Götterbote.

Auf den Jupiter selber fällt der höchste Glanz zurück; denn er ist der Erzeuger der strahlenden Gestalten, die in jugendlicher Schönheit neu hervorgehen. – Neptun und Pluto, Juno, Vesta und die befruchtende Ceres sind unter den neuen Göttern mit ihm zugleich vom Saturnus erzeugt und von der Rhea geboren; vom Jupiter selber ist die größte Zahl der neuen Götter entsprossen.

Unter den alten Gottheiten erzeugte Jupiter schon:

Allein alle diese hohen Göttinnen und erhabnen Mütter himmlischer Wesen treten dennoch in Schatten zurück gegen die herrschende Juno, die vor allen das Recht behauptet, die Vermählte des Donnergottes zu sein, und deren Eifersucht dem Jupiter, nachdem er schon lange die Titanen besiegt und die Giganten überwunden hat, noch oft den Glanz seiner Göttermacht verleidet.

In die Götterehe des Jupiter und der Juno trug die Dichtung auch die menschlichen Verhältnisse hinüber, welche nach den Begriffen einer Gottheit des Verstandes freilich töricht und lächerlich waren, aber nicht nach dem Begriff einer Gottheit der Phantasie, deren nachahmende Bildungskraft sich ebensowohl ihre Götter nach dem Bilde der Menschen als ihre Menschen nach dem Bilde der Götter schuf, leise ahndend, daß die Menschheit beides in sich vereinigt.

In diesem Sinne ist Juno auch die Göttin der Ehe und gebar dem Jupiter die Lucina oder Ilithya, welche den Schwangern bei ihrer Entbindung beisteht. Mit ihr erzeugt Jupiter auch die Hebe oder die Göttin der Jugend, ein Sinnbild der Fortpflanzung, wodurch die Gattung immer neu geboren, in ewiger Jugend sich erhält. Diese Göttin ist dereinst dem Herkules, wenn er durch große und schöne Taten sich die Unsterblichkeit erworben, zum Lohn der Tugend und Tapferkeit bestimmt.

Juno gebar aber auch dem Jupiter den unversöhnlichen Mars, den schrecklichen Kriegsgott, auf welchen Jupiter oftmals zürnte und ihn vom Himmel zu schleudern drohte, aber seiner schonte, weil er sein eigner Sohn war.

Den Vulkan gebar die Juno ohne Begattung, dem Jupiter zum Trotz, weil dieser die Minerva aus seinem Haupte geboren hatte. – Es sind die beiden bildenden Gottheiten, in deren Hervorbringung Jupiter und Juno wetteifern. – Was nun aber die Entwickelung des Hohen und Göttlichen verhindert und erschwert, das ist bei den Erzeugungen des Jupiter

Die Eifersucht der Juno

Ebenso wie Jupiter, da er kaum geboren war, nur mit Mühe vor den Nachstellungen der verfolgenden zerstörenden Macht gerettet werden konnte und seine Wächter um seine Lagerstatt ein wildes Getöse erheben mußten, damit Saturnus die Stimme des weinenden Kindes nicht vernehmen möchte, so suchte auch die Tochter des Saturnus das neugebildete Hohe und Göttliche, wo möglich, in seinem Keime zu zerstören und seine Geburt mit furchtbarer Macht zu hindern, damit es nie das Licht des Tages erblicken möchte.

Als die sanfte Latona den Apollo und die Diana dem Jupiter gebären sollte, so ließ Juno sie durch einen Drachen verfolgen und beschwor die Erde, ihr keinen Platz zur Entbindung zu vergönnen. – Die Insel Delos war, als ein schwimmendes Eiland, das keine bleibende Stätte hatte, nicht mit unter dem Schwur begriffen; hier fand Latona erst, wo ihr Fuß ruhen konnte. Dieses Eiland war es, wo sie zwischen einem Ölbaum und Palmbaum zuerst die Diana und dann den Apollo gebar.

Da Semele, die Tochter des Kadmus in Theben, vom Jupiter den Bacchus gebären sollte, so wußte Juno, unter der Gestalt ihrer Amme, sie mit schwarzem Trug zu überreden, sie solle den Jupiter schwören lassen, er wolle ihr ebenso erscheinen, als wenn er der Juno Bett bestiege. Jupiter erschien ihr in der Gestalt des Donnergottes, und Semele ward ein Raub der Flammen; den jungen Bacchus rettete Jupiter und verbarg ihn in seiner Hüfte.

Und als nachher Alkmene vom Herkules, dem Sohne des Jupiter, entbunden werden sollte, so setzte sich Juno vor der Tür des Hauses auf einem Steine nieder, mit beiden Händen ihre Knie umschlungen, und machte auf die Weise der Mutter des Herkules die Entbindung schwer. Den Herkules selbst verfolgte sie von seiner Kindheit an, wodurch sein Heldenmut geprüft, seine Brust gestählt und ihm der Weg zur Unsterblichkeit und zum Sitz der Götter gebahnet wurde.

Von der Eifersucht der Juno ist, nach einer wohlerfundenen Dichtung, selbst ein Gestirn am Himmel ein unauslöschliches Zeichen. Sie verwandelte nämlich die vom Jupiter geliebte Nymphe Kallisto in eine Bärin, die nachher von ihm unter die Sterne versetzt ward. Da bat die Juno den Ocean, er möchte diese neue glänzende Gestalt am Himmel nicht in seinen Schoß aufnehmen – und dies Gestirn geht niemals unter.

Die Eifersucht der Juno haucht diesen Dichtungen Leben ein, so wie die Winde das stille Meer aufregen. Auch ist diese Eifersucht an sich selbst erhaben, weil sie nicht ohnmächtig, sondern mit Götterkraft und Hoheit verknüpft den Gott des Donners selber auf dem höchsten Gipfel seiner Macht beschränkt.

Vesta

Die den Erdkreis mit heiliger Glut belebt, ist selbst unter den neuen Göttern ein geheimnisvolles Wesen; sie blieb jungfräulich unter den Töchtern des Saturnus und der Rhea, und der keusche Schleier hüllt ihre Bildung ein.

Ceres

Mit ihr, der alles befruchtenden und alles ernährenden Göttin, die vom Saturnus erzeugt und aus dem Schoß der Rhea geboren ward, erzeugte Jupiter die jungfräuliche Proserpina, die, vom Pluto entführt, in der Unterwelt die Königin der Schatten ward.

Pluto und Proserpina sind also unter den neuen Göttern die Beherrscher des Orkus oder der Schattenwelt. – Der Tartarus ist eine der größten Erscheinungen aus dem Zeitraume der alten Götter; er ist, tief unter dem Orkus, mit eherner Mauer umgeben und dreifacher Nacht umgossen, der Aufenthalt der Titanen, die ewiges Dunkel gefangenhält.

Diese sind nun besiegt, und Jupiter, Neptun und Pluto haben sich in die Herrschaft über Erde, Meer und Luft geteilt. – Das Chaos hat sich gebildet, die Elemente haben sich gesondert, aber des Himmels Glanz umgibt den herrschenden

Jupiter

Er hat auf dem Olymp den höchsten Sitz; er winkt mit den Augenbraunen, und der Olymp erbebt; er ist das umgebende Ganze selber; vor ihm beugt sich der Erdkreis; er lächelt, und der ganze Himmel heitert auf einmal sich auf.

Mit seiner Macht und Hoheit vereint sich die ganze Fülle der Jugendkraft, welche durch nichts gehemmt ist. Der Himmel faßt die Fülle seines Wesens nicht. – Um seine Götterkraft in manchem Heldenstamme auf Erden fortzupflanzen, richtete er auf die Töchter der Sterblichen seine Blicke; und damit sie Semelens Schicksal nicht erführen, hüllte der Allesdurchwebende in täuschende Gestalten seine Gottheit ein.

Von seinem hohen Sitze senkte er sich in dem goldnen Regen in Danaens Schoß hernieder und erzeugte mit ihr den tapfern Perseus, der die Ungeheuer mit mächtigem Arm besiegte.

Mit dem majestätischen Schwanenhalse schmiegte er sich an Ledas Busen, und sie gebar den edelmütigen Pollux und die göttliche Helena, das schönste Weib auf Erden, aus Jupiters Umarmung.

In der Kraft des mutigen Stiers lud er mit sanftem Blick die jungfräuliche Europa auf seinen Rücken ein und trug sie durch die Meeresfluten an Kretas Ufer, wo er den Minos mit ihr erzeugte, der den Völkern Gesetze gab und über sie mit Macht und Weisheit herrschte.

Auch die Tiergestalten sind in diesen Dichtungen heilig, wo man unter dem Bilde der Gottheit die ganze Natur verehrte und nichts Unedles in der Vorstellung lag, den höchsten unter den Göttern in irgendeiner der Gestalten der allumfassenden Natur sich verhüllt zu denken.

Daß nun eine widerstrebende, eifersüchtige und doch auch erhabene Macht die höchste Macht zu beschränken und ihre Plane zu vereiteln sucht, daß Jupiters verstohlnen Umarmungen die tapfern Söhne entstammen, ist ganz in dem Geiste dieser Dichtungen, wo alles Schöne und Starke, was sich entwickeln und bilden soll, mit Widerstand und Schwierigkeiten kämpfen und manche Not und Gefahr bestehen muß, bis sein Wert erprobt ist.

Von nun ist die Göttergeschichte in die Geschichte der Menschen verflochten und verwebt. Die Götterkriege haben nun aufgehört, und was die seligen Götter noch beschäftigt, das sind die Schicksale der Sterblichen, mit denen ihre Macht, den einen hebend, und den andern stürzend, zum öftern gern ihr Spiel treibt, zum öftern aber auch der hohen Heldentugend und Tapferkeit sich annimmt; zuerst am Kampf des Helden sich ergötzt und dann mit Unsterblichkeit den Sieger lohnt. –

Nun ist es aber das Verhältnis des Donnergottes zu der hohen Juno, worin die Verwickelung dieser Geschichten größtenteils sich gründet. Ihre verfolgende Eifersucht ist es, die den Helden ihre schwere Laufbahn vorschreibt. – So bildet sich das Gewebe dieser Dichtungen aus einem erhabenen Punkte und knüpft sich immer wieder an die Majestät der herrschenden Gottheit an.


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