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Seltsam wehmütig liest sich das kurze Vorwort, das Julius Mosen der Novellensammlung vorausschickte, der die nachfolgende Erzählung entnommen ist. » Bilder im Moose« ist ihr Gesamttitel, und der Verfasser gibt ihnen den Wunsch mit auf den Weg, daß sie nicht nur zu seiner Zeit Leser, sondern auch später einmal, wenn sie längst unter dem literarischen Gerölle lägen, einen erzsuchenden Bergmann finden möchten, der sie aufschlage und die Abdrücke der seltenen »Moose der Zeit« entdecke, der sie angehörten.
Allzufrüh, dünkt mich, habe unsere ruhelos vorwärts drängende Zeit jenes köstliche Buch in das literarische »Gerölle« versinken lassen. Aber ein Trost ist es immerhin, daß sich in dem verdienstvollen Unternehmen der »Wiesbadener Volksbücher« so bald der erzsuchende Bergmann gefunden hat, der einige Goldkörner desselben auszuheben bereit ist.
Wer sich in die Lektüre der Novellen vertieft, die unter dem Titel »Bilder im Moose«, ein wenig nach Art der Erzählungen des Dekameron, aneinander gereiht sind, dem wird bald der hohe Genuß beschieden, überall durch den Schleier der Dichtung die vaterländischen, menschheitlichen und künstlerischen Ideale des Dichters selber zu erkennen. Und für den Deutschen des zwanzigsten Jahrhunderts ist es von nicht geringem psychologischen und geschichtlichem Interesse zu sehen, daß bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinein auch ein so kühner und starker Geist wie Julius Mosen nur zaghaft in seiner Seele politische Ideale zu bewegen wagte, die nun seit fast einem Menschenalter Wirklichkeit geworden sind.
Er, der in seinem » Andreas Hofer«, in seinem » Trompeter an der Katzbach«, ja selbst in seinem Polenlied » Die letzten Zehn vom vierten Regiment« seiner Vaterlands- und Freiheitsliebe so kräftigen, volkstümlichen Ausdruck zu geben wußte, verwebt in die novellistischen Gemälde seiner Zeit, in das »Rokokomoos ihrer gesellschaftlichen Zustände« diese selbe Vaterlandsliebe gleich schimmernden Tränen, die uns ihr Feuer und ihre verhaltene Glut nur scheu entgegenzufunkeln wagen.
Unaussprechliche Heimatsliebe, die auch am Engen und Engsten haftet, nimmer wankende kindliche Liebe und Treue, die auch die Gattenliebe als trennende Gewalt nicht aufkommen läßt, sind im besonderen die Charaktereigenschaften, die der Heldin der ergreifenden Novelle » Heimweh« ihr Gepräge verleihen.
Mit welcher Zartheit und welcher Kraft zugleich, mit welcher Tiefe und Innigkeit der Dichter sie gezeichnet, mit welcher Fülle köstlicher Edelsteine er ihr sprachliches Gewand geschmückt, das möge der Leser Schritt für Schritt selber empfinden und unter wachsender Ergriffenheit an sich selber erfahren. Nicht um das Gebotene in das rechte Licht zu setzen, haben wir zur Feder gegriffen, es leuchtet klar und hell genug aus eigener Kraft; sondern einmal, um aus des Dichters hoffnungs- und schmerzensreichem Leben einige Mitteilungen vorauszuschicken, die ihn auch als Menschen unserm Herzen näher bringen, sodann aber auch, um seine Hauptwerke wenigstens zu nennen, nach denen der eine und der andere der Leser nach der Lektüre des »Heimweh« vielleicht gerne greifen möchte.
Julius Mosen ist geboren am 8. Juli 1803 zu Marieney im sächsischen Vogtland. Sein Vater, ein Lehrer von ungewöhnlich umfassender Bildung und reichem Wissen, erzog ihn mit aller Sorgfalt und bestimmte ihn, sobald er seine hervorragende Begabung erkannt, für einen gelehrten Beruf. Das Gymnasium zu Plauen, die Universität Jena (1822), eine Reise nach Italien, abschließendes Universitätsstudium zu Leipzig sind die einzelnen Stationen auf dem Wege seiner Ausbildung zum Juristen und – Dichter.
Praktische Jurisprudenz in verschiedenen Stellungen und mit verschiedenem Erfolg und daneben ausgedehnte ernste literarische Betätigung füllen die Jahre 1823 bis 1844 aus. In diese Jahre fällt das Erscheinen des epischen Gedichtes »Das Lied vom Ritter Wahn« (1831), des »Ahasver« (1838) und das Erscheinen der ersten Sammlung seiner »Gedichte« (1836). Einige derselben, so insbesondere die bereits oben genannten »Die letzten Zehn vom vierten Regiment« – als Flugblatt erschienen – »Andreas Hofer« und »Der Trompeter an der Katzbach« hatten einen ungeheuren Erfolg und wurden – vielfach in Musik gesetzt – rasch in ganz Deutschland populär. Außerdem erschienen noch Novellen (»Georg Venlot«, »Bilder im Moose«) und Romane (»Der Kongreß von Verona«), besonders aber Dramen, in denen er immer mehr seinen eigentlichen dichterischen Beruf zu erkennen glaubte. Es sind: »Heinrich der Finkler«, »Lola Rienzi«, »Die Bräute von Florenz« und »Kaiser Otto III.«
Es konnte nicht ausbleiben, daß er bei so ausgedehnter und ernster literarischer Betätigung seinem juristischen Beruf innerlich immer mehr entfremdet wurde. Mit Freuden nahm er deshalb 1844 einen Ruf als Dramaturg an das Hoftheater zu Oldenburg an und hoffte, seine dichterischen Gaben nun ungehindert entfalten zu können. Aber schon nach wenigen Jahren (1848) erfaßte ihn eine unheilbare Krankheit, die ihn allmählich an allen Gliedern lähmte. Wohl suchte ihm eine treue, in aufopfernder Pflege nie ermattende Gattin seine Leiden so leicht als möglich zu machen, aber seine Kraft und sein Mut waren gebrochen. Nicht vernichtet. Die auf dem Krankenlager entstandenen Dramen »Don Johann von Österreich«, »Herzog Bernhard von Weimar« und »Der Sohn des Fürsten« zeigen, wie viel ihm davon noch geblieben. Sogar ein erhebender Triumph als Liederdichter war ihm noch einmal beschieden mit seinem »Festgruß« zu Schillers hundertjähriger Geburtstagfeier (1859). Aber immer mehr wurde sein Leben zu einem langsamen Sterben unter Tränen und endlosem Jammer, den zuletzt nur noch einzelne helle Tage und Stunden durchleuchteten.
Ein solches Freudenfeuer von himmlischem Glanze war es, das in ihm aufloderte, als sein ältester Sohn, Erich, 1866 nach beendigtem Kriege als Fähnrich siegreich mit seinem Regimente in Oldenburg wieder einzog, unter einer Ehrenpforte hindurch, der er von seinem Schmerzenslager aus die Inschrift gedichtet hatte: »Ihr bringt den Frieden, bringt den Ruhm, Willkommen das deutsche Heldentum!«
Voll unendlicher Freude und doch auch trüber Ahnungen voll begrüßte er den Heimkehrenden mit dem »Segensspruch«:
»Du viel kecker Herzensknabe,
Du viel wackrer junger Held!
Du warst mir ein starker Stab
In den schwachen, alten Tagen.
Gott geb' Dir sein größtes Heil –
Auf dem Blachfeld – jungen Tod!«
»Auf dem Blachfeld – jungen Tod« fand der also Begrüßte vier Jahre später in einem ungleich größeren und ruhmreicheren Krieg. Aber Jubel und Jammer dieses Jahres trafen des Dichters, des Vaters Herz nicht mehr.
Am 10. Oktober 1867 ward er durch einen sanften Tod von einem fast zwanzigjährigen qualvollen Leiden erlöst. Zwei Fichten aus dem Vogtland, der nimmer vergessenen Heimat, rauschen über seinem Grabe, in das ihm seine treue Gattin 1880 folgte. Seine »sämtlichen Werke« erschienen 1863 in acht Bänden in Oldenburg.
Aber während er auf seinem Krankenlager die letzten Kräfte an ihre Vollendung setzte, waltete draußen das eherne Schicksal, das höhere Werk zu vollenden, dem doch im Grunde seine Werke und sein Leben geweiht waren: Die Einigung, die Wiederaufrichtung Deutschlands. – Von ihm besungen und hoffend und träumend geschaut, eh' sie erschienen; mit dem Blut seines Sohnes geweiht, als er die Augen geschlossen.
Trotz Jammer und Not und tausend gebrochenen Hoffnungen ein beneidenswertes Dichter- und Menschenlos. Näheres über das Leben des Dichters enthalten: Dr. Max Zschommler, Erinnerungen an Julius Mosen. Plauen i. B 1893, F. E. Neupert. – Julius Mosen. Eine biographische Skizze. Oldenburg, Schulze'sche Hofbuchhandlung.
Frankfurt a. M., im November 1902.
E. Ries.