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Die Erben.
(Aus den Papieren eines Offiziers.)
Johann von Horn! sagte der alte Baron Withelen mit seinem feinen Lächeln, indem er sich sanft verbeugte, mein Vetter, ich freue mich, Sie bei mir zu sehen. – Wie lange ist es doch, lassen Sie uns nachdenken. Ja, beim Weltheiland! es müssen zehn, es müssen zwölf Jahre verflossen sein, daß ich nichts von Ihnen hörte. War es nicht zuletzt in Berlin, wo ich Sie fand?
In Berlin, allerdings, Baron Withelen, erwiederte ich ihm, Ihr Gedächtniß täuscht Sie weder in Zeit noch Ort. Sie befanden sich in Berlin damals mit einem großen Theil des Adels, um dem neuen Landesherrn Ihre Ergebenheit zu bezeigen.
Ganz recht, rief der Baron, es war gleich nach dem Ende des unglücklichen Krieges, der unsere Verhältnisse so merkwürdig veränderte. Lassen Sie uns sehen, lieber Cousin. Damals schrieben wir 1745, jetzt ist das Jahr 1756 gekommen, wir haben also elf Jahre hinter uns. O, wie wandelbar sind doch die Zeiten, und wie schnell verlaufen sie. Ich bin seitdem nicht wieder dort gewesen.
Ich glaube wohl, sagte ich lächelnd, daß das veränderte Regiment Ihnen nicht besonders zusagt. Der Wille des merkwürdigen Mannes, der auf dem Throne sitzt, hat Vieles umgestaltet. Es ist ein gewaltiger, kühner Geist, der nichts duldet, was ihm widerstrebt, und nichts anerkennt, was er selbst nicht klar begreift und für richtig hält.
Der Baron hielt die Augen auf den Boden geheftet, während ich sprach, und spielte mit der goldnen Dose in seinen Fingern. Als ich schwieg, blickte er langsam auf und lächelte, indem er mich betrachtete.
Das sind viele Worte und viele Irrthümer, mein Vetter, ließ er sich hören. Was kann es schaden, daß wir in Folge des Kriegsgeschickes Preußen geworden sind? Der König hat in elf Friedensjahren gebaut und die Flöte geblasen, geschrieben und Verse gemacht, Fabriken angelegt und Opern aufführen lassen; wir aber haben von ihm die feierliche Zusicherung der Beachtung unserer Rechte erhalten, und leben still auf unsern Gütern, ohne uns um ihn und seine französischen Freunde zu kümmern. Berlin ist zu weit von uns, und je weniger wir an militairisches Wesen gewöhnt sind, um so angenehmer ist uns das Zuhausbleiben. – Ich wohne hier im Schloß Withelen, nachdem ich den kaiserlichen Dienst verlassen habe, zurückgezogen mit meinen Kindern. Mein Sohn hat auf meinen Wunsch Wien verlassen und seine Husarenuniform ausgezogen. Er kränkelt, die Luft sagt ihm nicht zu, und meine Tochter Ulrike – doch die kennen Sie wohl nicht, lieber Vetter Johann?
Kaum erinnere ich mich noch des schönen blonden Kindes, erwiederte ich.
Elf Jahre! sagte der Baron, was thun elf Jahre nicht in einem Menschenleben. Sie machen aus einem Kinde eine Hausfrau.
Ist sie vermählt? fragte ich erstaunt.
Sie war es, versetzte der Baron. Sie ist Wittwe.
So jung und schon von so herbem Leid getroffen, fiel ich ein, das beklage ich aufrichtig.
Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Theilnahme, erwiederte der Baron; indeß eine Witwe von zwanzig Jahren ist in dieser an Schicksalen so reichen Welt eben keine große Seltenheit. Doch Sie, welche gute Nachrichten haben Sie uns über Ihr Leben mitzutheilen? Wo steckten Sie denn in der ganzen langen Zeit?
Er betrachtete meinen groben, grauen Tuchrock mit den großen Metallknöpfen, und mein Haar, das ohne Puder von einem Bande zusammengehalten auf meine Schultern fiel, mit einem Blicke, der verständlich genug war.
Sie erinnern sich vielleicht, sagte ich, daß ich Offizier im Heere des Königs war, und unter seinen Augen im zweiten schlesischen Kriege meine Waffenproben ablegte.
Ganz recht, unterbrach er mich. Sie waren einer der jungen Edelleute, die damals den preußischen Fahnen folgten, was einiges Aufsehen erregte.
Ich wüßte nicht, daß ich etwas Tadelnswerthes gethan hätte, versetzte ich ziemlich erregt.
O! nicht doch, sagte er lachend, die Zustände waren nur neu. Mein Sohn diente der Kaiserin, Sie dem Könige; man hat das häufig gehabt, daß Brüder sich auf Schlachtfeldern begegneten. – Fahren Sie fort, Vetter Johann, Ihre Erzählung interessirt mich.
Meine Erzählung ist kurz, Baron Withelen. Nach dem Frieden nahm ich den Abschied, mein Geschick führte mich nach Frankreich, dann nach England. Ich erhielt Dienste und wurde in die amerikanischen Kolonien geschickt, von wo ich jetzt in mein Vaterland zurückkehre, um ihm nützlich zu sein, so viel ich es vermag.
Sehr brav! rief der alte Herr. Seien Sie versichert, daß Alles, was ich oder unsere Familie und deren Einfluß thun können, Ihr schönes Vorhaben zu fördern, gern geschehen soll, sobald Sie es nöthig finden. Bekleiden Sie einen militairischen Rang?
Ich war Kapitain im Geniecorps, erwiederte ich.
Vortrefflich! erwiederte der Baron. Das Geniecorps ist sonst nicht von Freiherrn aus alten Familien viel aufgesucht worden, aber es beweist Ihre Tüchtigkeit.
Ich habe längst das Schwert abgelegt, sagte ich lächelnd, und mich mehr mit den Büchern beschäftigt.
Ein neuer prüfender und messender Blick glitt langsam an meinem abgetragenen Rock und über meinen mageren Körper hin. –
Ich denke nicht, sagte er dann, den Kopf leise schüttelnd, daß Sie das sind, was man gewöhnlich einen Gelehrten nennt. Allen Respect vor den Gelehrten, lieber Vetter Johann, allein ein Cavalier aus unserer Familie dürfte doch immer etwas Besseres anzufangen wissen und versichert sein, jede mögliche Theilnahme zu finden. Wie schwach mein Gedächtniß ist, fuhr er dann sich unterbrechend fort, verlor Ihre Familie nicht den größten Theil ihres Vermögens durch einen Prozeß?
Durch einen schmachvollen, ungerechten Prozeß verlor sie Alles, was sie besaß, gab ich zur Antwort.
Die verteufelten Prozesse! rief der Baron seufzend, es ist entsetzlich, was man leiden kann, wenn man das Unglück hat, in die Hände der Justiz zu gerathen. – Und seltsam, sehr seltsam! – ich habe noch nie Einen gesehen, der verloren hatte und nicht völlig überzeugt war, es sei ihm das größte Unrecht widerfahren.
Baron Withelen, erwiederte ich unmuthig, ich hoffe zu Gott, daß Sie ebensowohl überzeugt sind, wie ich selbst, daß ein schamloser Betrug uns entriß, was wir mit den heiligsten Rechten besaßen.
Sicherlich, ganz sicher, rief er, mir die Hand schüttelnd. Aber wo ist Ihr älterer Herr Bruder?
Er ist todt! Baron Withelen.
So sind Sie fein Erbe, sagte er.
Der Erbe seines Rechts, ja – sonst glaube ich hat er nichts hinterlassen.
Eine Pause trat ein. Der Baron saß nachdenkend und lehnte die Hand auf ein kleines Tischchen, an dessen Marmorplatte er mit den Fingern trommelte. –
Der arme Willfried! rief er endlich. – Willfried! so hieß er ja wohl? Wo ist er gestorben?
Auf fremder Erde, als ein Bettler, sagte ich mit Bitterkeit.
Und Sie kommen, um zu sehen, was sich thun läßt? fragte er im forschenden Tone.
Was läßt sich thun? fragte ich zurück. Mein Erbe ist seit vielen Jahren in den Händen des gewissenlosen Schurken, der uns betrog.
Lassen Sie die Todten ruhen, Vetter, sagte der alte Herr begütigend, Greifenstein wandelt nicht mehr unter den Lebendigen.
Ich blickte ihn überrascht an, er nickte mir zu.
Er ist todt! rief ich. Wie ist er gestorben?
Vom Schlage getroffen, schied er plötzlich aus dieser Welt.
Und hat man nichts unter seinen Papieren gefunden? fuhr ich erregt fort. Keine Schrift, keine Documente, keine Andeutung seines schändlichen Betrugs?
Mir ist nichts davon bekannt, erwiederte Withelen achselzuckend.
Aber er hatte keine Kinder; nur weitläuftige, ganz fernstehende Verwandte. Wer hat ihn beerbt?
Mein theurer Vetter, rief der alte Herr, meine Hände drückend. Beim Weltheiland! Niemand kann innigeren Antheil an Ihrem Geschicke nehmen als ich. Wo ich dienen kann mit Rath und That – wenn Sie Geld bedürfen – ich werde nichts versäumen; ich werde zeigen, daß dies nicht leere Worte sind.
Ich betrachtete den Baron mit Erstaunen. Sein Benehmen war auffallend, ein sonderbarer Verdacht ergriff mich. Sie nannten mir den Namen des Erben noch nicht, sagte ich, ihn starr ansehend.
Sie wissen also wirklich nicht, erwiederte er zögernd, daß Greifenstein sich nochmals vermählte?
Vermählte! mit wem? schrie ich auf. Ein Greis, verkrüppelt an Leib und Seele. Wer ist die Unglückliche, die diesem Menschen sich antrauen konnte?
Eine dunkle Röthe bedeckte die Stirn des Barons. – Ohne eine Antwort zu geben, stand er auf, ging durch das große Zimmer zum Fenster und sah nach dem Hof hinunter, von welchem soeben die Hufschläge mehrerer Pferde und Menschenstimmen herauftönten.
Da kommt meine Tochter von ihrer Spazierfahrt durch den Wald zurück, sagte er. Mein Sohn und Graf Alieni haben sie begleitet. Sie dürfen uns so bald nicht wieder verlassen, lieber Vetter Johann; trotz unsres einsamen Landlebens haben wir doch manche angenehme gesellige Tage. Ulrike liebt die Freude und den Scherz, mein Sohn hat zu lange in Wien gelebt, um nicht die Weltlust eingesogen zu haben. Graf Alieni aber ist ein feiner Cavalier, der in den ersten Kreisen stets willkommen war, und ich selbst, so alt ich bin, habe keine Anlagen mich zurückzuziehen.
Bei seinen letzten Worten öffnete ein Diener die Thür. Reich gallonirt, den Kopf mit Puder bestreut und den Haarbeutel mit roth und gelbem Band, den Wappenfarben des Hauses Withelen, umwunden, stellte er sich wie eine Säule am Thürpfosten auf und sagte mit ausrufender Stimme:
Die Frau Baronin Greifenstein, Herr Graf Alieni und Herr Baron Withelen lassen sich anmelden.
Wie ein Gewitterschlag kam die Wahrheit aller Verhältnisse über mich.
Ihre Tochter also führt den Namen Greifenstein? sagte ich, so ruhig ich es vermochte.
Leider nur als Witwe, mein theurer Vetter, erwiederte der Baron mit unerschütterlicher Fassung, indem er die Hände faltete. Ulrike genoß ihr Glück an der Seite ihres würdigen Gatten, meines unvergeßlichen Schwiegersohnes, kaum ein Jahr; seit zwei anderen Jahren beweint sie nun mit uns den herben Verlust, welcher sich kaum ein wenig dadurch zu mildern vermag, daß die trauernde Mutter ein Kind besitzt, auf welches wir alle unsere Liebe für den Entschlafenen, als auf sein Ebenbild und seinen Erben, werfen können.
Die tiefe Heuchelei in seinen Worten und der Ausdruck des Kummers in seinen tiefliegenden grauen Augen brachten mein Blut in den heftigsten Aufruhr. Ich empfand den Hohn, der mich traf, Verachtung und tiefe Niedergeschlagenheit bestürmten mich zu gleicher Zeit, und während ich regungslos an dem Marmorkamin lehnte, öffnete sich wiederum die Thüre, wohin der Baron mit ausgestreckten Armen eilte.
Da bist Du endlich, meine Ulrike, rief er scheltend. Du böses Kind, wie lange hast Du mich warten lassen.
Es ist Alieni's Schuld, lieber Vater, erwiederte eine hellklingende weibliche Stimme, schmälen Sie ihn aus, ich küsse Ihnen die Hand dafür. Er liebt die Schleich- und Schlupfwege dermaßen, daß wir zuletzt weder aus noch ein wußten. Aber eine Schmach bleibt es, fuhr sie lebhaft fort, daß Franz in seinen Forsten nicht besser Bescheid weiß. Er jagt nicht, Papa, er reitet so schlecht, der ehemalige Herr Rittmeister, daß es ein Jammer zu sehen ist; er stirbt uns einmal aus purer Sehnsucht nach dem Tode, weil es so schön ist, sich nie mehr zu bewegen.
Jetzt erst richtete sie ihre Augen auf mich, diese großen, strahlenden und dunklen Augen. Die Spottlust verschwand aus dem schönen Gesicht, und mit einem vorwurfsvollen Lächeln sagte sie:
Wir haben Besuch?
Einen sehr werthen, theuern Besuch, mein Kind, rief der Baron. Dein Vetter, Freiherr Johann von Horn, ist nach langer Abwesenheit in die Heimath zurückgekehrt und macht uns die Freude, ihn bei uns zu sehen.
Jetzt wurde ich vorgestellt. Der alte Herr rief seinen Sohn herbei, ein stattlicher, wohlbeleibter Mann von dreißig Jahren ungefähr, mit mattem, nichtssagendem Gesicht, reichte mir die Hand und hieß mich willkommen. Die Ausschweifungen einer wüst verbrachten Jugend hatten sich sichtlich ihm aufgeprägt, und jene unverkennbare lüsterne Schlaffheit und Uebersättigung in seinen Zügen zeugten für das Behagen am thatenlosen Müssiggang, das der Leere in ihm entsprach.
Ganz anders war es mit dem Herrn, der Graf Alieni genannt wurde. Groß und hager und in der Mitte der dreißiger Jahre, stellte er beim ersten Blick einen Mann dar, der Aufsehen erregen mußte. Sein scharfgeschnittenes Gesicht mit römischer Nase, schmalen feinen Lippen und großen schwarzen Augen deutete auf eine südliche Abkunft hin. Dazu paßte die gelbliche Färbung seiner Haut, die breite Stirn, von welcher ein Wald von Haaren aufstieg, der mühsam und unvollkommen von Puder und Band sich bewältigen ließ; dazu paßte auch die rasche Beweglichkeit seines Körpers, seiner Hände und Augen, in denen trotz dessen ein Stolz und eine Abgemessenheit lag, die zurückschrecken und Furcht erwecken konnte.
Als mein Name ihm genannt wurde, betrachtete er mich mit kalten, fragendem Ausdruck, dann aber schmolz dies erstarrende Mustern, das mich zu einer unmuthigen Erwiederung anregte. Seine Augen wurden sanft und freundlich, er sagte mir einige höfliche Worte und begleitete diese mit einem einnehmenden Lächeln, das sein ganzes Gesicht umwandelte.
Was meine schöne Cousine betrifft, so hatte diese während der Minute dieser Vorstellung neben ihrem Vater gestanden und leise Worte mit ihm gewechselt, jetzt, als ich mich zu ihr wandte, beugte sie sich nach der Sitte der Zeit tief und langsam. Die schweren Seidenstoffe ihrer Kleider rauschten über die weiten Fischbeinröcke im weiten Kreise um die schlanke Gestalt.
Gib Deinem Vetter die Hand, mein Kind, sagte der Baron, ein so lieber Verwandter muß ohne Förmlichkeit bewillkommnet werden, denn unter uns soll nichts Fremdes sein. – So, fuhr er fort, als sie lächelnd diesem Ausspruche gehorchte, und nun, Vetter Johann, thun Sie als weitgereister Cavalier das Uebrige, um Ihrer Cousine zu gefallen.
Wenn die schlichten Sitten eines Soldaten und seine einfachen Huldigungen Gnade finden vor so vieler Schönheit, sagte ich, so will ich thun was ich vermag, um mir Ihre Freundschaft zu erwerben.
Mein Vetter ist galant, erwiederte sie, im Kreise umherblickend, ich muß seine Ergebenheit befestigen. – Lassen Sie uns auf die Terrasse hinausgehen, Vetter Johann, ich sehne mich darnach, unter den Bäumen auf und ab zu gehen und etwas von Ihnen zu hören. Währt es den Herren hier zu lange, so mögen sie nachkommen und Antheil an unserer Unterhaltung nehmen.
Ist sie nicht eigennützig in allen Dingen, Graf Alieni? rief der Baron hinter uns her, als ich sie hinausführte. Kaum gesehen, entführt sie uns den werthen Gast. –
Was er weiter sagte, hörte ich nicht, die Thür schloß sich hinter uns und bald trat ich mit der jungen schönen Frau, die Alles besaß, was einst mein war, auf die Terrasse hinaus, welche an der Gartenseite das Schloß einfaßte.
Es war ein schöner Frühlingstag gewesen, und eben neigte sich die Sonne zum Untergang. Der weit ausgedehnte Park lag zu unsern Füßen und senkte sich allmälig in einen Grund nieder, in welchem ein großes Dorf lag, dessen Kirchthurm hinter den Bäumen aufstieg. Von allen Seiten stiegen Hügel auf, an deren sonnigen Abhängen kleine Meierhöfe klebten und hinter diesen lieblichen, grünenden Höhen zeigte sich ein wunderbar schönes Panorama von Wald, Bergen und blau duftigen Einschnitten, das endlich im fernen Hintergrunde mit mächtigen Gebirgsmassen endete. – Ein frischer Luftstrom floß von dieser reichen Landschaft nieder und führte den Duft zahlloser blühender Bäume mit sich, die in ihren weißen und röthlichen Mänteln, als Schildwachten des Frühlings, das ganze Land besetzt hielten.
Ich konnte mich nicht enthalten stille zu stehen und entzückte Blicke über dies Bild voll Reiz und Schönheit zu werfen.
Sie lieben die Natur, wie es scheint? sagte meine Cousine lächelnd, indem sie mein belebtes Gesicht betrachtete. Ja es ist schön bei uns, aber ich denke mir, Sie, der Sie so viel von der Welt gesehen haben, müssen eine solche Fernsicht für sehr unbedeutend halten.
Ich habe die Sonne in die Savannen Amerika's sinken sehen, in die Fluten des Meeres und in die düstern Gipfel der Felsengebirge, erwiederte ich, aber ich habe nicht das dabei empfunden, was in diesem Augenblicke mich bewegt. – Mag es sein, daß das Vaterland sein Recht fordert. Ich bin zu lange fern gewesen, um nicht alle die Sehnsucht zu empfinden, die einen müden Wanderer nach der Heimath zieht.
Diese Sehnsucht, versetzte sie, ist ein gutes Zeichen für uns, denn sie drückt aus, daß Sie so bald das Land Ihrer Väter und uns nicht verlassen werden.
Sie erinnern mich, daß ich keine eigentliche Heimath habe, sagte ich, indem wir weiter gingen, und darauf bedacht sein muß, mir eine neue zu erwerben.
Offen gestanden, rief sie, ich tappe so ziemlich im Dunkeln. Ich weiß nur das von Ihnen, was mein Vater mir vorhin ins Ohr flüsterte. Es ist Dein Vetter, Johann von Horn, sagte er. Vor vierzehn oder funfzehn Jahren hat er Dich als Kind gesehen, zehn Jahr ist er außer Landes gewesen und kommt jetzt zurück, um uns gelegentlich einen Besuch zu machen.
Der Baron hat Recht, erwiederte ich. So lange wird es her sein, als ich zum letzten Male mit meiner armen Mutter hier im Schlosse war. Damals habe ich Sie in blonden Locken gesehen und auf meinem Arm getragen. Ich war sechzehn Jahre alt und auf der Schule in Breslau. Sie luden mich damals ein bald wieder zu kommen, aber meine Mutter starb und nach mancher Noth wanderte ich nach Berlin und ward Soldat.
Im preußischen Heere?! rief sie in einem Tone, der Verwunderung und Mißfallen ausdrückte.
Im preußischen Heere, sagte ich, obwohl ich eigentlich wenig Neigung für den militairischen Beruf hatte.
So hatten Sie doppelt Unrecht, erwiederte sie. Dem Könige, der Ihr nächstes Vaterland unrechtmäßig angriff und eroberte, hätten Sie nie dabei helfen müssen.
Schlesien war erobert, sagte ich lächelnd über ihre Heftigkeit; ich half, wenn von einer Hülfe die Rede sein kann, es nur erhalten.
Sie schwieg ein Weilchen, bis sie endlich mit Lebhaftigkeit sagte:
So müssen wir uns wahrscheinlich darauf gefaßt machen, einen Preußen mit Leib und Seele unter uns zu haben? Sie sollen aber wissen, Vetter Johann, daß ich eine Oesterreicherin bin, so gut als lebte ich mitten in Wien und wäre eine Hofdame der guten Kaiserin, oder eine Nichte von Kaunitz oder Staremberg.
Das Alles jedoch wird meine schöne Cousine hoffentlich nicht hindern, mich als Freund und Verwandten zu betrachten, fiel ich lachend ein. Lassen Sie König und Kaiserin machen, was sie wollen, ich habe nichts zu thun mit dem Haß der hohen Herren.
Sie schüttelte den Kopf zu meinen Worten und erwiederte dann ernsthaft:
Sie wissen nicht, daß wir sammt und sonders ganz kaiserlich gesinnt sind. In unserer Familie sind Sie jedenfalls der Einzige, der dem preußischen König gedient hat; alle unsere Nachbarn und Freunde hegen dieselbe Abneigung, und wenn ich Ihnen rathen soll, Vetter Johann, lassen Sie nichts hier von preußischer Gesinnung verlauten. –
Die letzten Worte sprach sie drohend und lächelnd, dann aber fuhr sie fort:
Gewiß, wir werden den lieben Freund ehren und achten, allein ich sage es Ihnen vorher: wir werden ihn auch zu bekehren suchen. Sie haben zu lange im Auslande gelebt, bei Heiden und Ketzern – auch in Breslau ist ein schlechter Geist eingedrungen, der dem Preußenthum sich geneigt zeigt – aber hier bei uns hält die alte Sitte mit dem alten Recht noch treu zusammen und will nichts von den protestantischen Räubereien wissen, die der freigeistige König auf unsere Kosten sich erlaubt hat. –
Es thut mir leid, sagte ich, aber ich muß Ihnen gestehen, theure Cousine Ulrike, daß ich selbst Protestant bin.
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete mich mit Erstaunen.
Das habe ich nicht vermuthet, rief sie dann. Um Gottes und aller Heiligen willen! wie ist das zugegangen? – Sind Sie vom wahren Glauben freiwillig abgefallen, ober gibt es einen Zweig unseres Hauses, der sich zu jenen Irrlehren bekennt?
Mein Vater starb, als ich zehn Jahre alt war, sagte ich. Meine protestantische Mutter, verlassen und verrathen, wie sie war, brachte mich zu ihren Freunden. Unter Protestanten wuchs ich auf, und nach der Richtung meiner Umgebung und meiner eigenen Geistesrichtung, endlich nach den Schicksalen meines Lebens konnte ich nicht anders, als Protestant sein und bleiben.
Ihre Mienen drückten Bedauern und Theilnahme aus und sonderbar erregte brennende Blicke fielen aus ihren Augen auf mich, während ich das letzte glühende Roth der Sonne verfolgte.
Mein armer Vetter, rief sie dann plötzlich aus, welche Menge schlimmer Neuigkeiten habe ich hören müssen! Wie hätte ich geglaubt, einem preußischen und protestantischen Offizier so nahe zu stehen, ohne mein Kreuz zu schlagen und zu fliehen; aber der Himmel wird es mir verzeihen, wenn ich nach wie vor diesen Entdeckungen Sie willkommen heiße und hoffe, daß wir gute Freundschaft halten.
Und was sollte uns daran hindern, Cousine Ulrike? sagte ich, fortgerissen von ihrer Liebenswürdigkeit. – Sie haben keinen Theil an der Schuld, die zwischen uns sich legen kann; niemals werde ich Sie anklagen, nie vergessen, daß auch Ihr Leben den Ungerechtigkeiten der Menschen geopfert wurde.
Ich weiß nicht, was Sie da sagen, Vetter Johann, rief sie lachend. Mein Leben weiß nichts von besonderen Opfern; es ist leicht und ohne große Schicksale vergangen. Ich bin hier unter den Augen eines zärtlichen Vaters aufgewachsen, habe nach seinem Wunsch mich vermählt, allerdings aber das Unglück gehabt, meinen Gatten zu verlieren.
Ein schweres Verhängniß des Schicksals, fiel ich ein, wenn ein Wesen, an welchem das Herz mit seiner Liebe hängt, uns entrissen wird.
Unsere Augen begegneten sich, sie erröthete und gerieth in Verwirrung, allein gleich darauf blickte sie stolz mich an und sagte in bestimmtem Tone: Ich würde lügen, wenn ich sagen wollte, mein Herz wäre bei meiner Ehe besonders gefragt worden. Ich war zu jung und unerfahren, doch Greifenstein war stets gütig gegen mich, und in der kurzen Zeit unseres Bundes habe ich ihn nur achten gelernt. – Haben Sie ihn gekannt, Vetter Johann?
Ich war ungewiß, was ich sagen sollte. Mein Haß und meine Verachtung gegen diesen Todten waren so groß, daß ich seinen Namen nur mit unauslöschlichem Grimm hörte, den sein Lob aus ihrem Munde auf's Heftigste jetzt erweckte; dennoch war es mir unmöglich, ihr zu sagen, warum ich von ihm nur Böses dachte. –
Ich erinnere mich seiner dunkel, sagte ich. Es war, wenn ich nicht irre, ein alter Herr mit langem, narbigem Gesicht, der einen zu kurzen Fuß hatte.
Das ist wahr, sagte sie, er war nicht schön und nicht jung, aber von lebhaftem Geist, klug, ein Rathgeber in allen Nöthen, in Wien angesehen und seiner Zeit dort von Einfluß, als er Mitglied des Hofkriegsrathes war. Es ist Schade, daß Sie ihn nicht näher kannten. Aber hier, sehen Sie, Vetter Johann, hier kommt mein Leopold mit seiner Wärterin. Das Kind soll Greifenstein sehr ähnlich sehen, wenigstens sagen es Alle und ich glaube es beinahe selbst, obgleich ich hoffe, daß es mehr von der Kräftigkeit besitzt, die meiner Familie eigen ist.
Die Wärterin kam näher und trug ein leidendes, greisenhaftes Kind, das allerdings in seinem blassen Gesicht die Aehnlichkeit entdecken ließ, welche ihm nachgesagt wurde. – Der kleine welke Körper hing schlaff in den Armen der Frau, welcher seine Pflege oblag, und ohne Theilnahme nahm es die Liebkosungen seiner Mutter in Empfang, die sich längere Zeit mit ihm beschäftigte.
Nicht ohne Rührung betrachtete ich den armen Knaben; meine innere Abneigung schmolz bei seinem Anblick. Er war zwei Jahre alt, aber er konnte nicht gehen. Der Tod saß in dem ausgedörrten Gesicht und sah mich aus hohlen Augen an.
Das Kind ist sehr krank, sagte ich, als die Mutter aufhörte mit ihm zu scherzen.
Es ist krank, aber es wird gesund werden, erwiederte sie.
Vielleicht durch die sorgfältigste Pflege und richtige Behandlung eines geschickten Arztes; haben Sie einen solchen in der Nähe?
Gewiß, einen sehr guten Arzt, der im Schlosse wohnt und meinen lieben Leopold zu jeder Stunde sieht. – Da ist er, fuhr sie fort, indem sie auf einen Herrn deutete, der jetzt aus dem Park trat und einen der Wege rasch durchschritt, welcher zwischen den Blumen und Grasstücken zur Terrasse führte.
Es war ein langer dürrer Mann im schwarzen Rock, seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, offenbar ein Geistlicher. – Wie, rief ich aus, dieser da ist Arzt und Beichtvater zugleich, wenn ich nicht irre.
Es ist unser Kaplan, ein sehr wohlunterrichteter, erfahrener Herr, sagte sie, der mit den Heilkräften der Natur so vertraut ist, daß er weit und breit Armen und Reichen Hülfe bringt. Der ehrwürdige Vater hat meine Seele mit dem Glauben belebt, daß die heilige Jungfrau unsere Gebete und Bittgänge erhören und mir mein Kind erhalten wird. – Gnadenreiche Jungfrau! was helfen alle Säfte und Tränke, wenn Deine Hülfe uns mangelt! –
Sie rief diese letzten Worte mit Gebehrde und Ausdruck inniger Erhebung und ließ mich erstaunen über den Aberglauben, welcher so roh daraus hervortrat.
Inzwischen war der Geistliche uns nahe gekommen, der mich einen Augenblick verwundert zu betrachten schien, dann den Hut zog und die Stufen heraufstieg, wo er bei dem Kinde stehen blieb und mit dessen Wärterin sprach. – Sein blasses Gesicht hatte etwas Nachdenkendes und Starres; er beugte den Kopf zu dem kleinen kranken Erben nieder, legte die Hand auf dessen Stirn und schien entweder ein leises Gebet zu murmeln oder stille nachzusinnen, was er thun solle und müsse.
Wir traten dicht heran, allein er schien es nicht zu hören, und erst nach einigen Minuten sagte er mit tiefer wohlklingender Stimme:
Nimm das Kind, Martha, und trage es in sein Kämmerchen. Hörst Du, Frau?
Ja, ehrwürdiger Herr, erwiederte die Wärterin.
Lege es auf sein Lager, hülle es fest in die wollene Decke und gib ihm zwanzig von den Tropfen, die ich Dir heute brachte.
Ja, ehrwürdiger Herr, aber es wird schreien, sagte die Frau.
Bete aus der Tiefe Deiner Seele, Martha, rufe an den Beistand der lieben Heiligen, daß sie sich dieses Kindes erbarmen, und es wird ruhig werden und schlafen.
Ist eine Gefahr vorhanden, Vater Joseph? fragte die Baronin ängstlich erregt.
Der Kaplan drehte sich zu uns und sagte, mit dem Kopfe grüßend: Keine größere, als gestern war und nicht mehr, wie morgen sein wird. Dies Kind ist ein zartes Pflänzchen, das Gott mehr als andere behüten muß, wenn es wachsen und gedeihen soll; aber seine Gnade ist groß und sein Wille ohne Schranken.
Das Gesicht meiner Cousine nahm den Ausdruck der Schwärmerei an, den ich schon einigemal bemerkt hatte. – Sie faltete die Hände und rief in bewegtem Tone:
Darum wollen wir vertrauen und nichts unterlassen, was uns die Fürbitte der Heiligen sichern kann. – Sparen Sie nichts, ehrwürdiger Herr. Ich will mein Flehen verdoppeln; ich will zu St. Veit in dem heiligen Dome auf dem Hradschin zwei Lichter brennen lassen. Wer beten will, geben Sie ihm den Gotteslohn, ermuntern Sie alle Frommen und Guten im Thale, sich mit uns zu vereinigen.
Es wird uns nicht an Händen und Herzen fehlen, erwiederte der Geistliche tröstend, ich habe überall, wohin ich kam, Liebe und Mitgefühl gefunden.
Ihr Gesicht erheiterte sich, und mit einem raschen Uebergange hatte sie Gebet und Schmerz vergessen. Sie fragte den Geistlichen über seinen Weg und seine Besuche. Er erzählte ihr, daß er durch die Thäler gewandert sei, Kranke besucht, Hülfe und Ermahnungen ausgetheilt habe. Mit Theilnahme erkundigte sie sich nach einigen Personen, deren Namen sie nannte. –
Wie geht es dem alten Eberhard? fragte sie endlich, ist er heiter und hat sein Gedächtniß wieder zugenommen?
Der alte Mann ist leider fortgesetzt im Zustande des Irrsinns oder Stumpfsinns, der nur mit seinem Tode enden wird, erwiederte der Kaplan. Er sitzt Tage und Wochen und starrt auf eine Stelle, ohne den Gebrauch seiner Sinne zu haben; er würde verhungern, wenn man ihn nicht fütterte und tränkte wie ein Kind. – Zuweilen nur wird sein Auge klarer und sein Geist scheint sich aufzurichten, aber bald fällt er in den alten Zustand zurück.
Kann man irgend etwas noch für ihn thun? fragte sie theilnehmend.
Nichts, gnädigste Frau. Sie haben Alles gethan, was sich thun läßt.
Ach, armer alter Eberhard! rief sie betrübt. Sie sollen wissen, lieber Vetter, dieser Greis geht mir besonders zu Herzen. Er war lange Jahre im Dienste meines verewigten Gemahls, der ihn sehr werth hielt und dessen Vertrauter er mehr als sein Diener war. – Als Greifenstein starb, verfiel auch er sichtlich. Ein hübscher Meierhof war ihm schon bei Lebzeiten des Barons geschenkt, dort ist er nun unter Pflege einer Enkelin, die ihm allein von Kindern und Kindeskindern geblieben ist.
Der Herr, sagte der Kaplan, indem er sich verbeugte, ist, wie ich vernehme, ein Verwandter der Frau Baronin.
Ich vergaß, Sie bekannt zu machen, erwiederte sie lebhaft. Ja, ehrwürdiger Herr, es ist mein Vetter, der Freiherr von Horn, welcher seit einigen Stunden erst bei uns verweilt.
Hier wurde unser Gespräch unterbrochen, denn der alte Baron erschien mit seinem Sohne und dem Grafen auf der Terrasse. Wir gingen ihnen entgegen, die Unterhaltung wurde allgemein und lief über die verschiedensten Dinge schnell fort, wie es in größeren Kreisen üblich ist.
Nach einer halben Stunde, als die Dämmerung eintrat, meldete ein Diener, daß die Tafel servirt sei, und sie machte der Gastlichkeit des Barons alle Ehre. Damals begnügte man sich noch nicht, wie in späterer Zeit, mit Thee und leichten Speisen, es war vielmehr der Tisch mit Fisch und Braten reichlich versehen, Wein und Backwerk folgten der kalten Wildpastete, und Niemand machte herzhaftere Angriffe darauf, als mein Vetter Franz, der so viel aß und trank, wie für Drei hinreichend war.
Da ich in seiner Nähe saß, ermunterte er mich häufig zuzulangen, und dies machte den einzigen Beweis seiner Zuneigung für mich aus. Im Uebrigen war er schweigsam und überließ es dem Grafen, die Kosten der Unterhaltung zu tragen, was dieser gewohnt zu sein schien.
In Wahrheit aber paßte sich auch Keiner so gut, die Gesellschaft anzuregen, als dieser lebendige, unterrichtete Freund, welcher einen Umfang von Bildung, Kenntnissen und Erfahrungen besaß, der nur von der Gabe, solche Vorzüge geltend zu machen, übertroffen werden konnte. Bald war es der Ackerbau, bald Gartenkunst, Jagd und Baukunst, die ihn beschäftigten und zu Mittheilungen leiteten, bald stritt er mit dem Kaplan über die Einrichtungen gewisser geistlicher Orden, oder er suchte meinen eßlustigen Vetter ins Gespräch zu ziehen, indem er über die Theater in Wien und über Sängerinnen und Tänzerinnen spöttelnde Bemerkungen machte und Urtheile fällte, welche von Kunstverständigkeit zeugten.
Plötzlich wandte er sich dann zu mir mit einer Reihe von Fragen über die Verhältnisse in Berlin, über das preußische Heer, über einzelne Generale und über die neuen Einrichtungen und Schöpfungen des Königs, welche den Beweis lieferten, wie gut er unterrichtet war, bis er zuletzt zum größten Ergötzen des alten Barons Anekdoten aus dem Beisammenleben Friedrichs mit Voltaire, d'Argenson, Maupertuis, den übrigen Franzosen und sonstigen Günstlingen sammt Bonmots und besonderen Vorfällen erzählte, die gehässig entstellt und so ins Lächerliche und Abgeschmackte gezogen waren, daß der König wie ein Unsinniger oder wie ein abscheulicher Tyrann und Narr darin erschien.
Wenn ich widersprach und zu beschwichtigen suchte, nahm er dies mit Höflichkeit auf, aber die Art, wie er meine Gegenrede auffaßte und ausbeutete, hatte kein anderes Ziel, als mich selbst als Theilnehmer und Verehrer der Rohheiten und Plattheiten darzustellen, von denen Berlin und Potsdam der Schauplatz waren. –
Nachdem auf meine Kosten verschiedentlich gelacht war, erlaubte ich mir jedoch den Spieß umzukehren und den Schauplatz der Scherze nach Wien zu verlegen, allein ohne Unhöflichkeit und Verletzung stimmte der Graf lachend ein und gab ergötzliche Bilder von den alten Staatsmännern und Damen des Hofes aus den Zeiten Karls des Sechsten. Was dagegen den jungen Hof und die Kaiserin betraf, so waren seine Schilderungen eben so fein als gewandt, und seine Parallelen zwischen den beiden berühmtesten Herrschern ihrer Zeit verherrlichten den menschlich schönen Geist der Kaiserin, die alles Große ehrte, alles Talent achtete, alles Unglück beweinte und den Geringsten ihrer Unterthanen eine Mutter und treue, hülfreiche Freundin war, in einer Weise, die hinreißend genannt werden mußte.
Zwischen diesen Gesprächen, welche so mannichfaltig wechselten, gab es der lustigen Geschichten viele. Alieni war unerschöpflich darin, Anlaß zum Lachen und zur Fröhlichkeit zu suchen, und meine schöne Cousine, die an seiner Seite saß, hatte allen Harm und alle Frömmigkeit vergessen. Sie war übermüthig und gab sich der ganzen sorglosen Lebendigkeit ihres reizbaren Temperamentes hin; voll Neckerei gegen den trägen sinnlichen Bruder, voll Laune und sichtlichem Vergnügen an Alieni's ihr gewidmeten Huldigungen, der die Raketen seines Geistes oft genug steigen ließ, ihr zu gefallen.
Es war nicht schwer zu bemerken, daß der schöne und reichbegabte Mann tausend kleine Schlingen und Schleifen um meine Cousine gelegt und eine Vertraulichkeit des Umgangs erworben hatte, die aus Wohlwollen und gegenseitiger Freundschaft entsprang. Nirgend freilich übersprang diese die Sitte des feinsten Anstandes, aber ich empfand sie um so besser, jemehr unsere Verwandtschaft dagegen zurücktrat, die an diesem ersten Tage das Zwingende und Verstimmende, das uns trennte, noch weniger merken ließ, als später.
Nachdem die Stunde vorüber war, entfernte sich Ulrike mit dem Wunsche, mich morgen heiter und gestärkt von den Reiseermüdungen wieder zu sehen, bald darauf empfahl sich der Geistliche, der ein langes Tischgebet gesprochen und von Anfang bis zum Ende schweigend mit gefalteten Händen auf den Tisch geblickt hatte. Alieni zog meinen schläfrigen Vetter mit sich fort und sagte uns gute Nacht; einige Minuten lang blieb ich mit dem alten Baron allein.
Nun, lieber Vetter Johann, sagte er, kennen Sie den kleinen Kreis von Menschen, den dies Haus bietet. Ich hoffe, daß er Ihnen gefallen soll, und wenn dies der Fall ist, werden Sie es am besten dadurch beweisen, daß Sie, so lange es Ihnen behagt, bei und bleiben.
Ich nehme Ihre gastfreie Güte auf einige Tage wenigstens in Anspruch, erwiederte ich.
Lassen Sie es Wochen, lassen Sie es Monate sein, rief er aus. Aber was sprechen wir heut davon! Sie sind ermüdet jetzt und bedürfen der Ruhe. Wir werden später Zeit haben, Ihre Lage und Zukunft zu prüfen; ich zweifle nicht, daß wir auch Gelegenheit finden, diese in einer Weise zu sichern, wie sie Ihnen gefällt.
Er drückte mir die Hände und lächelte in seiner gewinnenden Art, indem er mit der Würde des Beschützers mich verabschiedete. –
Ein Diener führte mich dann in eines der hohen großen Zimmer des ersten Stockwerke dieses alten Hauses, das seit Jahrhunderten der Wohnsitz der Withelen war. Ursprünglich war es ein burgartiger Bau und ein geschlossenes Viereck gewesen. Noch zeugten die starken hohen Eckthürme dafür, deren Granitquadern eine schwärzliche Färbung angenommen hatten, allein der Vater des Barons hatte in jungen Jahren einen Umbau unternommen, als der gute alte Kaiser Leopold der Erste noch Landtage in Breslau hielt. –
Er hatte die eine Seite des Schlosses abreißen, die Flügel erweitern lassen. Die Gräben wurden zugeworfen und statt ihrer die Terrasse an der Hauptfront angelegt, vor welcher sich nun Blumen und Gartengeländer ausdehnten, von Wegen durchschnitten und von hohen Buchsbaumhecken eingefaßt, die zum Walde führten. Gärtner, aus Frankreich verschrieben, hatten diesen in einen Park umgeschaffen, der den Geschmack Ludwigs des Vierzehnten und der Gärten von Versailles trug. Damals war Schloß Withelen eine Art Zauberpalast geworden, für welchen sein Besitzer ungeheure Summen verschwendete, um Tapeten aus Flandern, Spiegel und Krystallkronen aus Paris und Schränke und kostbare Möbel von Acajouholz aus Holland kommen zu lassen. –
Kaiser Leopold und sein Sohn, der römische König Joseph, blieben zum Oefteren Wochen lang als Gäste in Schloß Withelen, und diese Zeit spielte noch immer im Gedächtniß des alten Herrn als eine der glorreichsten Erinnerungen seiner Kinderjahre. Seit diesen Tagen war nichts im Schlosse verändert worden. Der Glanz der ehemaligen Herrlichkeit war erblichen, aber die Damasttapeten bedeckten noch die Wände; die goldnen überladenen Zierrathen der Decken, Panele und Simse waren blind geworden und geschwärzt, die Kronen und Spiegel wurden staubig, denn die Gemächer standen leer; allein mit ihren schweren Armstühlen von Seide und Sammet, ihren dunklen schön ausgelegten Schränken voll Schnitzwerk der seltsamsten Blumen und Gestalten und den mächtigen Himmelbetten in den Nischen, welche von Damastvorhängen schwer umfaltet waren, blieben sie dennoch schön in ihrer alterthümlichen Pracht.
Man hatte mich in eins dieser Gemächer geführt. Ein großer silberner Armleuchter mit drei Kerzen brannte auf der Mitte des Tisches und doch erhellte er nur spärlich den hohen Raum. – Wie es damals Sitte war, hatte ich meine Reise zu Pferde gemacht, denn an Chausseen war nicht zu denken, und in den elenden Postwagen, welche sich mühsam durch tiefen Sand und Sumpf wanden, brauchte man wenigstens zwölf bis vierzehn Tage, um von Berlin hierher zu gelangen. Mein Mantelsack, mein Säbel und meine Pistolen lagen auf einem Stuhl; ich betrachtete sie in Mitten dieses reichen und großen Besitzes mit philosophischer Ruhe und dem Spott eines Diogenes, denn diese Habe im Winkel des Sessels war Alles, was ich auf Erden besaß.
Plötzlich fiel es mir ein, daß es anders sein könnte und sein müßte, wenn Recht und Gerechtigkeit wären, was sie sollten. Diese junge, übermüthige, leichtsinnige und abergläubische Frau besaß, was mein war, ihr bleiches Kind, das den Tod in allen Zügen trug, war der Sohn und Erbe des Mannes, der mich beraubt und betrogen hatte, und Alle hatten dabei geholfen, zumeist der alte Heuchler selbst, der schon so viele Güter und Schätze besaß, aber mit unersättlicher Gier sein Kind verkaufte, um seiner Habsucht Genüge zu thun.
Indem ich diese Gedanken verfolgte, strömte mein Blut fieberhaft durch alle Adern. Wüste Träume und Bilder verfolgten mich. Die Menschen hier im Schlosse wirbelten in meinem Kopfe umher, ohne meinen Betrachtungen Stich zu halten.
Endlich stand ich auf und trat an eins der hohen Schiebefenster, welche fast bis zum Boden reichten. Ich zog es auf und sah in das sanft beglänzte Thal hinaus, das in der tiefen Nachtstille dämmernd und in heiliger Ruhe vor mir lag. Der Mond schnitt scharf die Terrasse von dem leuchtenden Gartenraume ab, und jenseit lag die düstre Leiste des Parks wie ein ungeheurer dunkler Mantel, der an den fernen Höhen in faltigen, dunstigen Schleiern verschwand. Mit einem Blick sah ich, daß das Zimmer, in welchem ich mich befand, dicht an den östlichen Thurm der Fronte stieß. Hohe Epheuranken kletterten an dem schwarzen Gemäuer auf und klopften leise, vom Nachtwind getrieben, an Bogen und Gesimse; lange starrte ich in diese nebelnde Ferne, die der unruhigen Gedankenlosigkeit, die mich beherrschte, durch ihre Gegensätze so gut entsprach.
Nach einer Weile aber wurde ich aufgeschreckt durch Worte, welche von unten unverstanden zu mir drangen, und ich weiß nicht, welche Besorgniß oder Neugier dieß erweckte, aber ich eilte an den Tisch, löschte die Lichter aus und trat dann leise wieder hinter den Pfeiler, von wo ich bequem die Terrasse überblicken konnte.
Es währte nicht lange, als ich zwei Männer bemerkte, die langsam von der westlichen Seite sich näherten und dicht am Schlosse fortschritten. Nicht weit vom Thurme und fast unter meinem Fenster blieben sie stehen. Ich beugte mich nieder, um genau zu hören, und ein mißtrauisches Erschrecken ergriff mich, als ich deutlich meinen Namen verstand, den der eine dieser Männer vernehmlich aussprach.
An den Stimmen erkannte ich sie; es war Graf Alieni, der mit dem guten Vater Joseph dort stand, und alle Bedenken schwanden bei mir, ob es recht sei, ihr Gespräch zu behorchen, als ich inne ward, daß ich der Gegenstand desselben sei. Mein außerordentlich feines Gehör unterstützte mich dabei vortrefflich, überdies waren in der lautlosen Stille der Nacht ihre tief gedämpften Stimmen genau zu verstehen.
Ich kann mir denken, sagte der Kaplan, daß dieser Besuch ohne Ausnahme Jedem in seiner Weise unangenehm ist. Der Herr Rittmeister selbst scheint sein Wohlgefallen an ihm zu finden.
O! erwiederte der Graf spöttisch lachend, wenn dieser steife Preuße Aal und Wildpretpasteten mit ihm verschlingen, sie mit Ungarwein hinunterspülen und Bauerdirnen verführen wollte, würde er ihm willkommen sein. Aber er hat sogleich gemerkt, daß dieser Mensch in dem grauen Rock mit Bleiknöpfen ein spartanischer Gefährte ist, vielleicht sogar eine Art Tugendritter, der ihm Vorstellungen machen und in den Weg treten könnte, darum haßt er ihn.
Ich glaube, sagte der Kaplan leise lachend, daß Puder, gefaltete Halskrause, ein Kleid von niederländischem Tuch und Knöpfe von Perlmutter auch anderweitig von Wirkung sein dürften.
Das ist Ihre Sache, mein Freund, fiel Alieni ein. Ihnen kommt es zu, einzuschreiten, sobald Sie etwa bemerken sollten, daß dieser Thor sich irgend geltend zu machen sucht. Aber was sage ich da! fuhr er fort. Wenn je Grund vorhanden war, daß Menschen sich fliehen, hassen und zu vernichten streben müssen, so ist er hier vorhanden. –
Der Kaplan murmelte einige unverständliche Worte, die sein Begleiter mit lauterer Stimme beantwortete.
Ja, sie ist eitel, lebhaft, ohne festen Willen, rief er aus, aber sie ist von Ihnen erzogen, wird von mir beherrscht, und ist ein Weib, deren Leidenschaften nur geweckt zu werden brauchen, um diesen Mann zu verabscheuen. Glauben Sie, daß ihr religiöser Haß gegen den Ketzer und ihr politischer Zorn gegen den Diener des Königs von Preußen nicht schon Gründe genug enthalten, um ihr den tiefsten Widerwillen einzuflößen?
Ich habe heute Abend mit ihr gebetet, erwiederte der Kaplan, und dabei gesehen, daß ihr romantisches Köpfchen nicht übel willens ist, diesen Ketzer womöglich zu bekehren und nebenher den Preußen in einen gut kaiserlich Gesinnten umzuwandeln.
Ah! rief Alieni nach kurzem Schweigen, das wäre in der That zum Wohl der Kirche und der Kaiserin ein hübscher Gewinn, und ich wundere mich nicht, Vater Joseph, wenn Sie ihr nicht ganz Unrecht gegeben haben.
Die Kirche, sagte der Kaplan, verlangt von mir, daß ich nichts unterlasse, um verirrte Seelen in ihren Schooß zurück zu führen.
Ich verstehe und gebe Ihnen Recht, allein Sie werden bald finden, daß ihre Mühen vergebens sind. Dieser Mann hat ein echt protestantisches Gesicht, klug, klar, kalt und in der Schule des Lebens abgehärtet. Er hat so viel oder so wenig von einem Schwärmer an sich, wie sein König in Sanssouci. Ich müßte mich sehr irren, oder er verachtet die Priester und den Glauben, und ist zu ehrlichdumm oder tugendhaft, meinetwegen, um weltlichen Vortheilen seine Ueberzeugung zu opfern. Wenn er bekehrt werden soll, kann es nur eine langsame vernunftmäßige Bekehrung durch unabweisbare Nothwendigkeit sein; um Geld und Gut aber, oder um ein Weib, und wäre es selbst diese, wird er sein Gewissen nie zum Opfer bringen.
Sie scheinen ihn in wenigen Stunden genau kennen gelernt zu haben, mein gnädiger Herr, wandte der Geistliche ein.
Keinen Unmuth zwischen uns, Joseph, rief Alieni; glauben Sie mir, daß ich in einer Stunde genauer beobachte, als Andere in Tagen und Wochen. Wäre es ein Dummkopf, den der Teufel uns hier ins Haus geworfen hat, so möchtet Ihr Eure Versuche an ihm machen, aber er besitzt Verstand und Fähigkeiten und könnte leicht einen Blick in Dinge thun, der uns oder ihn selbst verderben müßte.
Was soll denn also geschehen? fragte der Kaplan mit leiser Stimme.
Wir müssen uns auf jeden Fall seiner entledigen, erwiederte Alieni. Nun, fuhr er lachend fort, als der Geistliche eine Bewegung machte, erschrecken Sie nicht, ich meine nicht etwa durch einen raschen Stoß oder eine halbe Unze Blei, zu solchen Mitteln greift man in der äußersten Noth, aber dieser Mann muß entfernt werden, das wünscht auch der Baron, dem Aerger und Verlegenheit heut den ganzen Abend über den Hals zuschnürten. Er muß fort, denn er wird uns sicher ein lästiger Aufpasser sein. Verdammt sei die Stunde, die ihn hierher geführt hat, er muß aber auch fort des Friedens und der Ehre dieses Hauses wegen.
Darf ich fragen, sagte Pater Joseph, was diese mit ihm zu thun haben?
Ich will Ihnen erzählen, erwiederte Alieni, was ich heut von dem Baron erfahren habe, setzen Sie sich dann selbst die Noten zum Text, wie sie Ihnen passend scheinen.
Johann von Horn, sagte der Baron, ist der zweite Sohn eines Vetters, der mit Greifenstein näher verwandt war, als mit uns. Sein Vater besaß Güter, die Familienerbe waren, an dem die Greifenstein Ansprüche hatten; allein Greifenstein selbst war kinderlos und alt, man schmeichelte sich, ihn zu beerben. Plötzlich starb Johanns Vater, und nun kam ein Vertrag zum Vorschein, den der Großvater dieses jungen Mannes abgeschlossen haben sollte, wonach gegen eine bedeutende Summe, die er von Greifenstein empfangen, sämmtlicher Familienbesitz an diesen übergeben sollte, im Fall auch sein Sohn nicht das Darlehn mit vollen Zinsen zurück gäbe. Dies ist nicht geschehen; dagegen aber hat Greifenstein ein Document beigebracht, worin der verstorbene Freiherr nicht allein jenen Vertrag anerkennt, sondern ihn nochmals bestätigt, indem er zugleich den Empfang eines zweiten Darlehns bezeugt, für welches er sich mit seinem gesammten beweglichen und unbeweglichen Vermögen verbürgt.
Ah! sagte der Kaplan lebhaft, steht es so? Fahren Sie fort, gnädiger Herr.
Die Familie Horn behauptete, daß jene vorgestreckten Summen seit vielen Jahren zurück gezahlt seien, und hatte für sich, daß der verstorbene Freiherr ein gewissenhafter, sparsamer Mann war. Es sollte nach ihrer Angabe ein Document vorhanden sein, worin Greifenstein jedem Anrecht an den Familienbesitz entsagte, allein weder dies noch irgend eine Quittung über die Rückzahlungen haben sich in dem Nachlaß gefunden. Dagegen blieben die Verschreibungen, welche Greifenstein besaß, stehen; es wurde ein verwickelter Prozeß geführt, Zeugen vernommen, Eide geleistet, bis endlich noch vor Ausbruch des ersten schlesischen Krieges von der höchsten Instanz in Wien die Sache zum Vortheil des Klägers entschieden wurde. – So kam Greifenstein in Besitz der Güter und vertrieb die Witwe und Kinder seines Vetters, denen dieser Rechtsstreit das Letzte kostete, was sie besaßen. – Der Krieg brach dann aus und verheerte das Land, aber der Friede bestätigte sämmtliche abgethane Prozesse; erneute Klagen der Witwe wurden zurückgewiesen und ihr ewiges Stillschweigen auferlegt.
Und nun kommt dieser unbequeme Vetter, rief der Geistliche, und findet sein Erbe in den Händen der jungen Witwe.
So ist es, antwortete Alieni; Sie können daher denken, wie übel gelaunt der Baron ist. Er möchte diesem Vetter mit Vergnügen den Hals umdrehen, aber er macht ihm lieber sein zärtlichstes Gesicht, und im Grunde hat er Recht, denn was kann er ihm vor der Hand schaden?
Wenn der Preuße nun aber die Documente in der Tasche hätte, auf welche so Vieles ankommt?
Sonderbar, lachte der Graf, ich habe denselben Gedanken gehabt und in meiner Weise ihn auch dem Baron nicht verhehlt; aber der alte Herr nannte es unmöglich. Er muß ganz sicher sein. Weiß die Frau Baronin etwas von dem Handel? fragte er, als der Kaplan schwieg.
Nein, sagte dieser, ich habe nie eine Sylbe darüber von ihr gehört.
Hören Sie mich an, Joseph, fuhr Alieni leiser fort, sie muß es wissen, verstehen Sie wohl, sie muß es erfahren! – Sie werden Gelegenheit finden, sie auszuforschen, ihr Winke zu geben, nach und nach ihr Eröffnungen machen. – So leichtsinnig und flatterhaft diese junge Frau ist, befürchte ich doch nicht, daß sie die Sache allzu leicht nimmt; besonders wenn Sie ihr vorstellen, daß Fälle eintreten können, wo dieser Vetter im Rock mit Bleiknöpfen, dieser ketzerische Offizier und Anhänger des Königs von Potsdam die Hand nach ihrem ganzen Erbe ausstrecken kann.
Sie glauben, daß dies geschehen könnte? fragte der Kaplan.
Wenn Ihre Kunst scheitert, das Leben des elenden Kindes zu erhalten, das Greifenstein als seinen Erben hinterlassen hat, erwiederte der Graf, so glaube ich, kann dieser arme Teufel von Kapitain allerdings Ansprüche geltend machen auf Herausgabe des ganzen Familienbesitzes. – Der Baron ließ ein Wort fallen, wonach die Horns die nächsten Verwandten der Greifenstein sind. Freilich wäre dazu ein langer Prozeß, Geld, Documente und vielerlei verwickelter Rechtskram nöthig, allein die Zeiten haben sich geändert, und wenn etwa – hier dämpfte er seine Stimme bis zum Geflüster, und trotz aller Anstrengung konnte ich nichts als die Worte: Plan, Krieg, Niederlage, Vernichtung verstehen – so könnte es leicht sein, daß dieser Mensch ein fürchterlicher Gegner würde.
Steht es also, sagte der Kaplan, der ruhig zugehört hatte, dann freilich ist es unsere Pflicht zu handeln, und ich versichere Sie, daß es an mir nicht fehlen soll, um so mehr – da ich keine Hoffnung habe, das Kind zu retten.
Es welkt und stirbt, rief der Graf; immerhin, es soll uns nicht in feine Gruft ziehen. Thun Sie Ihre Pflicht, Joseph, ich werde für den unbequemen Gast sorgen. Auf irgend eine Weise müssen wir uns seiner entledigen, und sollten sanfte Mittel nicht fruchten, so gibt es andere, um ihn zu beseitigen.
Er reichte dem Kaplan die Hand und Beide trennten sich. Alieni ging den Weg zurück, den Beide gekommen waren; der Geistliche blieb noch einen Augenblick stehen, dann öffnete er die Thür des Thurmes, und während ich still noch immer in dem Winkel des Pfeilers kauerte, hörte ich ihn die Steintreppe hinaufsteigen, bis endlich sein Schritt verhallte.
Am nächsten Morgen wurde ich spät geweckt, denn ich war spät erst eingeschlafen. Die furchtbare Unruhe meines Herzens und eine fieberhafte Aufregung hielten mich lange wach, aber ich pries es als ein glückliches Ereigniß, als ich im Familienzimmer des Barons weder den Grafen noch den Priester erblickte.
Obwohl ich mir bewußt war, daß Viel oder Alles darauf ankam, diese beiden Feinde zu täuschen und ihnen mit voller Unbefangenheit zu begegnen, so war ich doch eben so sehr überzeugt, daß es mir unmöglich gewesen wäre. Ich war mein ganzes Leben über der schlechteste Diplomat von der Welt. Meine Augen waren von jeher die schlimmsten Verräther meiner Gedanken und Empfindungen, denn wenn ich auch den Mund zwingen konnte zu lächeln, ich besaß keine Macht, meinen Augen Falschheit zu lehren, sie blieben die treusten Spiegel meiner Seelenzustände. –
Dennoch aber mußte ich eine vollkommene Herrschaft über mich selbst gewinnen, ein Heuchler sein gegen Jeden in diesem Hause, weil Alle gegen mich verschworen waren. Während der Nacht hatte ich überlegt, ob es nicht besser sei, wenn ich mit einem Schlage alle ihre Pläne vernichte, mein Pferd satteln ließe, und mich freiwillig verbannte; allein abgerechnet das Auffällige eines solchen Schrittes, trat mein Rechtsbewußtsein hinzu. –
Ich war hierher gekommen, fast absichtslos, nur getrieben von dem Heimathstrieb, der alle Wesen ergreift, wenn sie lange in der Welt umher irrten; ich war gekommen, weil ich nichts anders zu thun wußte, freilich auch mit tiefem Groll im Herzen gegen die Elenden, welche meine Mutter in ein frühes, gramvolles Grab gebracht und uns um Alles betrogen hatten, aber mit der traurigen Gewißheit, daß kein irdischer Richter mir Genugthuung geben könne.
Jetzt plötzlich begab sich Unerwartetes. Ich fand Gräber und Lebendige, die meine Hoffnungen erweckten; ich hörte, daß meine Feinde selbst meine Ansprüche fürchteten, und ich war Mann genug, mein Recht nie aufzugeben, nie aufzuhören es zu ergreifen, wenn ich seinen Schimmer vor mir erscheinen sah.
Der alte Baron kam mir mit seiner Heuchlermiene entgegen, die vor Freude strahlte.
Das heiße ich einen langen Schlaf halten, sagte er, dafür aber werden Sie einige lange Weile empfinden. Graf Alieni ist schon auf und davon, er besucht einen Nachbar, den Freiherrn Rosenberg. Mein Sohn hat einen Ritt unternommen und Ulrike hat sich nach dem Frühstück zurückgezogen zur Pflege ihres Kindes.
Das arme Kind, sagte ich, es ist sehr krank.
Wie Kinder oft sind in den ersten Jahren ihres Lebens, erwiederte er, schwächlich und angegriffen, allein daraus werden oft die stärksten und gesündesten Menschen, und das hoffe ich auch von unserm lieben Leopold.
Ich sah dem alten Herrn an, daß er es so wenig glaubte, wie ich, aber sein Blick hing lauernd an meinem Gesicht, als suche er darin meine Gedanken zu erforschen. – Sein zuckendes Lächeln war abscheulich, und als er meine Hand ergriff, vermochte ich kaum sie ihm zu lassen. –
Die halbe Nacht habe ich mich mit Ihnen beschäftigt, Vetter Johann, sagte er, und habe hin und her gesonnen, wie Ihnen am besten zu helfen sein möchte, denn ich stelle mir vor, daß Sie als ein thätiger Mann sich nach einem Wirkungskreis sehnen.
Sie haben meinen Wunsch richtig getroffen, Baron Withelen.
Leider ist hier kein Raum dafür, fuhr er fort. Die knickrige Verwaltung des neuen Regiments hat uns allen Einfluß genommen, Freunden zu dienen; zudem sind die Verhältnisse drohend und der Himmel der Politik überall voll Gewitterwolken. – Soldat wollen Sie, wie ich denke, nicht wieder werden?
Nein, sagte ich, wenn es irgend sein kann, soll mein Schwert verrosten.
Dennoch ist dies der einzige Stand, dem ein Edelmann sich widmen kann. Ich sage nichts gegen den König von Preußen, er ist unser Landesherr, allein Sie werden begreifen, daß es mir wehe thun würde, Sie wiederum dort zu wissen; weit lieber würde ich es sehen, wenn Sie reisen, nach Frankreich oder Italien gehen wollten. Sie haben sich, wie Sie sagen, mit Mechanik und Baukunst beschäftigt, Sie sind Ingenieur, in jenen Ländern gibt es viel Großes und Schönes zu sehen und zu studiren. Wir haben Freunde in Paris und Rom, es würde Ihnen an Empfehlungen nicht fehlen, und was die Kosten – beim Weltheiland! ich habe wenigstens genug, um einem lieben Verwandten diese zu ersetzen – ein Jahrgeld, ein Darlehn – so viel Sie bestimmen, mein Cousin, ich bin bereit, Ihnen durch die That zu beweisen, wie werth Sie mir sind.
Er wollte mich fort haben um jeden Preis, das war das Ergebniß seiner nächtlichen Ueberlegung. – Der Gedanke, daß Alle denselben Zweck verfolgten, belustigte mich, und mein lachendes Gesicht schien ihm meine schlecht versteckte Freude über seinen Vorschlag auszudrücken.
Ich sehe mit Vergnügen, sagte er unverkennbar erheitert, daß Ihnen die Sache gefällt, die wir ins Werk setzen können, wenn und wie Sie wollen.
Gönnen Sie mir einige Zeit, erwiederte ich ausweichend, aber nehmen Sie meinen Dank für so viel Güte. – Was Sie mir anbieten, ist mehr als ich erwarten durfte, und keine falsche Scham sollte mich abhalten, Ihr Schuldner zu werden, nur treten Ihre Absichten einigen Verhältnissen entgegen, die wenigstens für jetzt mein Verbleiben im Vaterlande nothwendig machen.
Diese zweideutigen Worte schienen Eindruck auf ihn zu machen. Er fixirte mich scharf und sagte dann lächelnd:
Ich maße mir nicht an, Vetter Johann, Ihre Verhältnisse zu beurtheilen, allein ich sollte meinen, daß ein junger Mann wie Sie, der, wenigstens anscheinend, durch nichts gefesselt ist, wenn er will, jeden Welttheil bereisen könnte.
Was mich hält, erwiederte ich lächelnd, soll Ihnen kein Geheimniß sein, Baron Withelen. Ich habe eine eigenthümliche, wie ich denke, merkwürdige und große Entdeckung gemacht, die ich vor einiger Zeit in Berlin dem Könige und mit ihr mich selbst angetragen habe. Darauf ist mir eine keineswegs ermunternde Antwort geworden, allein ein alter Gönner hat mir zugesagt, einen letzten Versuch zu machen, den ich abwarten will. Die Zeit wurde mir lang, ich reiste hierher. Von Breslau aus habe ich geschrieben, wo ich zu finden sein würde, und da ich Ihnen meinen Besuch zu machen beschloß, im Vertrauen auf Ihre Gastfreundschaft, gebeten, mir Briefe und Antwort hierher zu senden.
Eine Erfindung! rief der Baron sich verbeugend. Beim Weltheiland! ich bin erstaunt über das, was Sie mir sagen. – Man weiß also in Berlin, wo Sie sich befinden?
Ohne Zweifel, und um ganz sicher zu sein, habe ich meinen Freunden in Breslau ebenfalls Schloß Withelen als den Ort meines Aufenthalts genannt.
Ich sagte eine Unwahrheit, denn allerdings hatte ich in Berlin eine Adresse für Breslau zurück gelassen, allein von dort aus war ich gewissermaßen verschwunden. Ich hatte meinen Ausflug unternommen, ohne meinen Freunden eine Meldung zu machen. – Nach dem aber, was ich in der Nacht gehört, schien es mir räthlich, den Glauben zu verbreiten, daß es Leute in der Welt gäbe, die genau wüßten, wo ich mich befände, und fast kam es mir vor, als sei dies wohlgethan, denn des Barons Gesicht drückte Befremdung und Ueberraschung aus, die er unter seinen Scherzen nicht ganz verbergen konnte.
Sie haben wohl gethan, sagte er, man muß nie ohne Ziel in der Welt umher irren; Ihre Freunde in Breslau werden aber nicht eher ganz ruhig sein, bis sie Nachricht von Ihnen erhalten. Mancherlei Gesindel läuft umher und von Böhmen und Mähren herüber brechen Banden von verabschiedeten Soldaten, Wilddieben und Gaunern zuweilen in unser friedliches Land. – Sie müssen daher ans Briefschreiben denken, Vetter Johann.
Ich werde im Gegentheil Briefe erwarten, versetzte ich, bis dahin erlauben Sie mir, daß ich Ihr Gast bleibe.
Mit Freude, mein lieber Vetter, mit wahrer großer Freude, rief der alte Herr. Sie werden Zeit gewinnen, meinen Vorschlag zu prüfen, wir haben das Glück, Sie zu besitzen, und in dieser Betrachtung müßte ich wünschen, daß Ihre Briefe nie einträfen.
Nach einiger Zeit entließ er mich, indem er mir empfahl, einen Spaziergang durch den Park zu machen, welcher kühl und schattenvoll vor uns lag. Sein lebhaftes Bedauern, mich nicht begleiten zu können, weil seine alten Füße weite Wege nicht mehr gestatteten, schallte mir nach, aber ich war im Herzen froh, ihm zu entrinnen, und eilte rasch durch die Taxushecken den grünen Revieren zu, die sich weit über den Bergrücken ausdehnten.
Länger als eine Stunde mochte ich die verschlungenen Pfade verfolgt haben, welche mich endlich auf einen Gipfel führten, der, über dem Walde emporsteigend, eine freie Aussicht von großer Schönheit gewährte. Eine steile Schlucht fiel an der Bergwand nieder, aus der das Rauschen eines wilden Bachs dumpf hervor drang; ungeheure Bergfichten, diese edlen herrlichen Bäume, wuchsen aus mächtigen Steinlagern empor, welche der Moosteppich umhüllte. Je näher dem Gipfel, um so mehr hatte die zerstörende Kunst der Menschen die wilde Natur bezwungen. Die Bäume waren hier gefällt, das Gestein gesprengt und durch die Felsenmauer ein Weg gebahnt, der mit jedem Schritt sich mehr öffnete und eine entzückende Fernsicht gestattete. –
Schloß Withelen mit seinen schimmernden Mauern lag dieser Felsenkuppe gegenüber, ein Gewimmel von kleinen Thälern breitete sich nach allen Richtungen aus, das ganze Land lag aufgerollt hier zu meinen Füßen, und fernhin stiegen die blauen Wälder und hohen düsteren Häupter der Sudeten auf.
Als ich tiefathmend vom Steigen um ein Felsenstück bog, das den höchsten Vorsprung bildete, sah ich plötzlich auf der Bank vor mir unter dem chinesischen Sonnenschirm, den man in der Mitte des kleinen Plateaus aufgepflanzt hatte, den Kaplan sitzen. Er hatte mir den Rücken zugekehrt, neben ihm lag sein Stock quer über ein Bündelchen mit Pflanzen, die ausgebreitet und gesondert waren, in der Hand hielt er mehrere Papiere, die er nachdenkend las und welche zusammen geheftet wie ein Aktenstück aussahen, dessen gelbliche Färbung auf ein beträchtliches Alter deutete.
Einige Augenblicke stand ich überlegend, ob ich leise umkehren oder diesen unverhofften Gesellschafter anreden sollte, der mich gar nicht zu bemerken schien. Dann that ich einige Schritte, und plötzlich fiel mein Schatten auf das Papier. Er richtete sich rasch auf, sichtlich verwundert über meine Nähe, aber sogleich begrüßte er mich mit größerer Freundlichkeit, als ich erwartet hatte.
Nach einigen Minuten, als wir beisammen saßen und er erfahren hatte, wie ich hierher gekommen, sagte er:
Sie haben, mein gnädiger Herr von Horn, das schönste Plätzchen entdeckt, was weit und breit zu finden ist. Hier sitze ich oft, wenn ich von meinen Wanderungen zurückkehre, diese Porphyrklippe liegt mitten in den Besitzungen des Barons, und wohin ich auch meine Schritte richte, immer bietet sie mir den Ruhepunkt, wo ich gern verweile, um die Wunderwerke Gottes zu betrachten und zu verehren.
Es scheint, ehrwürdiger Herr, erwiederte ich lächelnd, daß dieser einsame Ort Ihnen auch zu irdischen Beschäftigungen und zum Studirzimmer dient.
Sie haben Recht, gab er zur Antwort. Ich betrachte hier oft die Pflanzen, die ich gesammelt habe, und ziehe wohl auch ein Buch hervor, das in meiner Tasche steckt.
Ist es ein Manuscript, das Sie dort liegen haben? fragte ich.
Es ist ein geschriebener Katalog der Bibliothek des Schlosses, sagte er, oder vielmehr der Anfang und Anhang eines sehr unvollständigen Katalogs. – Es ist in Schloß Withelen ein ziemlich großer Bücherhaufen vorhanden, der schon vom Großvater und Vater des Barons, besonders vom letzteren, gesammelt worden ist; die Masse dieses Vorraths ist aber vermehrt worden durch den Nachlaß des Baron Greifenstein, der eine Art Gelehrter gewesen sein muß, denn eine bedeutende Sammlung lateinischer, französischer, spanischer und italienischer Werke war in seinen Händen. Dieser ganze Schatz, sammt vielen Schreibereien, ist in Kisten und Schränken nach dem Tode des Besitzers hierher gewandert und füllt den Archivsaal an. Längst habe ich mir vorgenommen, einige Ordnung darin zu bewerkstelligen, aber meine Zeit reicht nicht aus, ich habe bisher kaum einen Blick darauf thun können.
Und dieser Katalog gehört vermuthlich zu jener Sammlung?
Ich denke ja, aber er ist kaum ein Entwurf zu nennen, denn nur die Hauptsachen sind darin angeführt. Er ist von der Hand des verewigten Barons geschrieben, der ihn wohl in früherer Zeit angefertigt hat.
Er reichte mir das Heft, das ich mit Widerwillen nahm und die steilen schweren Buchstaben betrachtete. – Ein plötzlicher Gedanke regte sich in mir, den ich jedoch kaum auszusprechen wagte.
Wenn mein Aufenthalt in dem Schloß sich verlängert, sagte ich, so hätte ich Lust, Ihr Gehülfe bei der Arbeit zu sein, Ordnung in diese Bibliothek zu bringen.
Ich nehme es mit Dank an, erwiederte er, aber ich fürchte, daß es Ihnen so gehen wird, wie es heut erst dem Grafen Alieni ging, der mich besuchte und denselben Vorsatz äußerte. Als er jedoch den mächtigen Bücherhaufen, die vielen Schränke und Papiere erblickte, gerieth er in Schrecken und kam schnell davon zurück. Es ist ein gar langweiliges und mühsames Geschäft, mein gnädiger Herr, unter Büchern umherzuwühlen, um das zu suchen, was man finden möchte.
Unser Gespräch drehte sich nun längere Zeit um diesen Gegenstand, und mein hartnäckiger Eifer nach der Bibliothek wuchs, jemehr ich mir einbildete, daß es möglich sein könnte, Nachforschungen darin anzustellen, die zu Entdeckungen führen könnten. Seit ich gehört hatte, daß Greifensteins Bücher und Papiere hierher geschafft wurden, war es mir, als müßte ich unter diesen etwas finden, was mir Aufschluß über seinen Betrug verschaffen konnte.
Wir kamen überein, daß mir Vater Joseph den Archivsaal zeigen sollte, und dies abgethan, lief unsere Unterhaltung über die verschiedensten Dinge hin. – Der Kaplan zeigte sich unterrichteter als viele seines Gleichen. Er gehörte dem gelehrten Dominikanerorden an, hatte mit Naturwissenschaften und Medizin sich eingelassen und war seit mehreren Jahren im Hause des Barons, wo er, wie ich gewiß war, einen wichtigen Einfluß gewonnen hatte.
Je länger wir sprachen, um so mehr war ich überzeugt, daß ich einen jener ehrgeizigen, schlauen Priester vor mir hatte, die ihre Anmaßungen unter der Maske äußerer Demuth verbergen. Mit dieser Demuth erzählte er mir von der Gnade, die ihm gewährt sei, unter diesen armen stillen Menschen umher zu wandeln von Hütte zu Hütte, um gute Werke zu verrichten. Täglich zog er aus, um die Kranken zu besuchen, und unter dem Schutze der heiligen Jungfrau glückte es ihm Wunder zu bewirken, weniger vielleicht durch seine einfachen Säfte und Tränke, als durch Glauben, Gebet und Segen.
Als er mich lächeln sah, sprach er freundlich drohend:
Ich weiß, mein gnädiger Herr, daß Sie diese Ueberzeugung nicht theilen, welche nur im Schooße der wahren Kirche gedeiht, allein das soll mich nicht hindern, mich so auszusprechen, wie ich es empfinde. Die stolze Vernunft des Menschen verwirft Manches, was sie nicht begreift, dennoch aber haben wir ja zahllose Beispiele, wo in den Bedrängnissen des Lebens alle Philosophie nicht ausreicht und der Glaube allein aufrichten, trösten und vor Verzweiflung bewahren kann.
Ich gehöre keineswegs zu den Spöttern, die Glauben und Religion verachten, erwiederte ich, aber ich gestehe Ihnen, daß ich als Kranker weit mehr Vertrauen zu Ihren Tränken und Latwergen, als zu Ihren Gebeten haben würde.
Und dennoch, sagte er, gibt es Krankheiten, wo keine Medizin hilft, sondern einzig und allein die Furcht Gottes und das heilende Gebet. Solche Kranke, fuhr er fort, leiden an dem Schwindel der Eitelkeit, an Hoffahrt und Uebermuth, an Leichtsinn und verderbten, verkehrten Herzen. Was würden die Mächtigen dieser Erde freveln, wenn sie nicht glaubten, daß es eine rächende Vergeltung gäbe!
Er richtete bei diesem frommen Stoßseufzer den Blick in die Ferne, und indem ich seinen Augen folgte, sah ich jenseits des Parks, der hier nicht weit sein Ende erreichte, einen großen Bauerhof, der sonnig an der Berglehne stand, von Fruchtbäumen umringt und seine zackigen Giebel darüber erhebend. – Zwischen den Bäumen aber wurde ein Reiter sichtbar, der sein Roß den Abhang hinunterlenkte, und die Entfernung war nicht so groß, daß ich nicht sofort meinen Vetter Franz erkannt hätte. Auf meine Frage bestätigte der Kaplan meine Entdeckung. –
Der Herr Baron, sagte er, hat ohne Zweifel dem alten Eberhard, der dort wohnt, einen Besuch gemacht.
Ist das der wahnsinnige Mann, von dem Sie gestern erzählten? fragte ich.
Derselbe, sagte er.
Ah, rief ich lachend, er hat eine hübsche Enkelin.
Ein langer, strafender Blick fiel auf mich, doch war es zugleich ein Blick der Verständigung.
Dies junge Mädchen, sprach er dann, ist wirklich eins der lieblichsten Geschöpfe Gottes. Nicht nur daß der Herr sie schöner in körperlicher Gestalt gebildet hat als viele ihres Gleichen, er hat ihr auch Herz und Sinn mit Verständigkeit und Demuth geschmückt, wie es selten geschieht. Sie trägt eine schwere Last, denn sie verwaltet den Hof, der Thätigkeit und Umsicht erfordert; sie hält das Haus so rein und blank, daß es mir immer Freude macht, dort einzutreten, und dabei pflegt sie den kranken Großvater mit unendlicher Liebe und Geduld.
Mein Vetter, erwiederte ich, scheint diese edlen Eigenschaften also auch zu würdigen und zu bewundern.
Sie wissen ja, wie junge Herrn sind, sagte Vater Joseph, indem er seine Pflanzen aufhob. Die Langeweile treibt sie Unterhaltung zu suchen, und die Einsamkeit in Schloß Withelen ist nicht dazu gemacht, dem Herrn Baron Wien und die Freuden der großen Welt zu ersetzen.
Wie lange wohnt er denn hier beim Vater? fragte ich.
Es wird jetzt wohl ein Jahr sein, daß der Herr Rittmeister von seinen Reisen zurückkehrte. Er mußte den österreichischen Dienst verlassen, weil man in Berlin eifersüchtig begehrte, daß kein Edelmann dieses Landes länger der Kaiserin dienen sollte. Mehrere Jahre blieb der junge Herr in Frankreich und Italien, dann lebte er als Privatmann in der Kaiserstadt, bis es der Herr Vater durchsetzte, daß er käme und die Verwaltung der Herrschaft wenigstens mit ihm theile.
Und er brachte, wenn ich nicht irre, den Grafen Alieni mit? fragte ich.
Der Graf war schon im vorigen Jahre mit ihm hier unser Gast. Beim Ende des Winters hat er uns jedoch verlassen und erst vor einem Monat ist er wieder gekommen.
Aus den Antworten und Mittheilungen des Kaplans, der sehr behutsam war, erfuhr ich so viel, daß Alieni ein neues Leben in das alte Schloß gebracht hatte. – Der Adel der Nachbarschaft, der sonst selten, oder nie sich blicken ließ, war zu Festen und Bällen geladen worden; die Schlösser der reichen Grafen und Barone hatten einen Theil ihres alten Glanzes wieder angenommen und die Seele aller dieser Gesellschaften war ohne Zweifel der geistvolle und lebendige Mann gewesen, welcher jetzt die geknüpften Fäden aufrecht hielt und, wie Vater Joseph sagte, überall ein gern gesehener Gast war.
Er erzählte mit Bewunderung von den großen Kenntnissen des gnädigen Herrn, der in alle Gebiete des Wissens eingedrungen sei, was um so größeren Ruhm verdiene, da, wie er lächelnd hinzufügte, man lange suchen könne, um in seinem hohen Stande Einen zu finden, der Zeit hätte, sich mit Lernen abzugeben. – Der Spott in seinem Gesicht war gerechtfertigt genug, wenn man bedenkt, daß in jenen Lagen die meisten Edelleute auch die mäßigste Bildung als Tintenklexerei und Schulfuchserei verachteten, und wenn in Preußen die militairische Rohheit unter der Regierung Friedrich Wilhelms des Ersten diesen Ekel des Adels vor aller Wissenschaft auf die höchste Stufe gebracht hatte, so stand es unter Friedrich dem Großen auch nicht viel besser darum, denn nur ein kleiner Kreis erhob sich über die allgemeine geistige Versumpfung, die mit unendlichen, hochmüthigen Vorurtheilen sich fest verwurzelt hatte.
Eine Stunde, die ich hier auf dem Gipfel mit dem Kaplan verplauderte, brachte uns beide näher. Meine Mittheilungen über mein Leben und meine Schicksale öffneten mir sein Ohr. Er hörte mit sichtlicher Theilnahme zu, und ich glaubte zu bemerken, daß eine günstige Meinung aus seinem Gesicht sprach. – Meine Anschauungen der Welt und Lebensverhältnisse waren mild und versöhnlich; meine Urtheile schienen nicht selten seinen Beifall zu finden, und endlich machte er mir das Geständniß, er habe nicht geglaubt, daß ein preußischer Offizier und ein durch den Glauben von ihm so weit Getrennter so vieler Unparteilichkeit fähig sei.
Ohne es zu wollen, betrog ich den guten Kaplan aber dennoch, denn je offner ich mich ihm gab, um so mehr nahm er mich für eine einfache, ehrliche Haut, die sich ohne vieles Nachdenken ihm überlieferte, und um so weniger Umstände glaubte er selbst machen zu dürfen.
Nach einiger Zeit richtete sich unser Gespräch auf das Familienleben im Schlosse, und ich bekannte meine Verwunderung, daß mein Vetter, als einziger Sohn des Hauses, noch kein Ehebündniß geschlossen habe, obwohl er drei oder vier und dreißig Jahre alt geworden sei.
Wenn Sie wüßten, sagte der Kaplan lächelnd, wie viele Mühe und Ueberredungskunst der alte Herr seit Jahren angewandt hat, um den Baron zu einer Verbindung zu bewegen, Sie würden noch mehr erstaunt sein. Die triftigsten Vorstellungen haben jedoch kein Gehör gefunden; der junge Herr behauptet, eine unüberwindliche Abneigung gegen alle Ehebande zu fühlen und am wenigsten eine Frau heimzuführen, die ihm nicht behagt. Unter den Töchtern des Adels in der Nachbarschaft gibt es mehrere, welche der alte Herr Baron seinem Sohn vorgeschlagen hat, aber Alles ist vergebens gewesen, so daß es beinahe scheint, als würde der Stamm der Withelen nur in weiblicher Linie weiter gehen.
Ich begreife, rief ich aus, daß dieser Starrsinn dem Baron großen Kummer bereiten muß, aber er hat Recht, wenn er sich mit der Zukunft tröstet, die ihm seine Tochter bereiten kann und wird. Die schöne junge Witwe, so lebendig, geistvoll und reich zugleich, wird ihm Ersatz dafür verschaffen und einen Schwiegersohn geben, der allen seinen Wünschen entspricht.
Die Frau Baronin Greifenstein, sagte der Pfarrer lächelnd, indem er mich betrachtete, ist die Sonne des Glücks für Alle, die sie kennen. Das reichste und kindlichste Gemüth ist das ihre; doch alle Vorzüge ihres Körpers und Geistes überwiegt die fromme Weihe einer schönen Seele, die eben so stark im Glauben, wie im Vertrauen ist.
Um so mehr, versetzte ich mit einem leisen Anflug von Spott, wird meine schöne Cousine im Stande sein, einen Mann zu beglücken, der ihrer ganz würdig ist.
Den zu finden, der ihrer würdig wäre, rief er aus, müßte man wahrlich eine Reise um die Welt machen.
Und fände ihn dann vielleicht doch nur in der Nähe, sagte ich lachend.
Er sah mich fragend an. –
Nicht etwa mein unwürdiges Ich, fuhr ich in derselben Weise fort. Sie werden mir zutrauen, Vater Joseph, daß ich nicht so unverschämt sein kann, der ich als Ritter ohne Habe die Welt durchirre; allein, wenn ich aufrichtig sein soll, steht denn nicht dicht neben meiner Cousine ein edler feiner Cavalier, dem Alles huldigt und dem Sie selbst die größten Lobsprüche spenden?
Graf Alieni? fragte er mit einem gewissen ablehnenden Ausdruck. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, aber er steht der Frau Baronin nicht näher, als Sie,. mein gnädiger Herr. – Es werben Viele um die edle Frau, der ganze junge Adel des Landes sucht ihr zu gefallen, bei allen Festen ist sie der Huldigungen gewiß, und wo sie sich zeigt, begrüßt man sie gleichsam als Königin der Schönheit. Es mag Ihnen wunderbar vorkommen, daß ich dies sage, aber ich darf es thun, weil ich sie genau kenne und weiß, daß alle diese Auszeichnungen und Schmeicheleien ihr gleichgültig sind. – Wer ein solches Herz gewinnen will, muß es verdienen durch Ergebenheit und Treue, die jedes Opfers fähig ist. –
Bei diesen Worten stand er auf und einen durchdringenden lächelnden Blick auf mich werfend, sagte er:
In dieser Welt muß man, um Großes zu erwerben, Vieles wagen; oft geschieht es dann, daß dem Muthigen das Glück günstiger ist, als dem, der den Sieg für gewiß hält. – Ich muß dort hinunter, nach dem Weiler hinter den Bergen; wenn ich Nachmittags ins Schloß zurückkehre, will ich Ihnen die Bibliothek zeigen, an der Sie Ihren Muth erproben können.
Mit seinen langen Beinen und mit Hülfe seines eisenbeschlagenen Stocks stieg er nach den Abschiedsgrüßen rasch an der steilsten Seite der Kuppe nieder, und nach wenigen Minuten war er unter Gebüsch und Bäumen verschwunden.
Kommt es darauf hinaus! rief ich nach langem Nachdenken. Ich müßte mich irren oder dieser Priester spielt ein doppeltes Spiel mit seinen Verbündeten. Alieni ist ihm gefährlicher, als ich es bin, und nur von mir wird es abhängen, ob er nicht all seinen Einfluß anwendet, mir zu dienen.
Nach einiger Zeit stand ich auf, und schlug, am Rande der Schlucht entlang gehend, einen Weg ein, der mich, wie ich erwartete, zu dem Meierhof jenseit des Parks bringen mußte.
Dies war wirklich der Fall. Als ich unter den Bäumen hervor trat, lag das Gehöft mir gegenüber. Der Bach lief in seinem tiefen Bett dicht bei ihm hin, und romantisch kühn war eine Mühle hoch über ihm erbaut, die gleichsam in der Luft zu schweben schien und mit dem Meierhofe durch einen langen Steg zusammen hing. Ein Weib, die ein Holzgefäß auf dem Kopf trug, kam mit leichten Schritten über diesen schmalen Gang und eilte dem Hause zu; als sie mich jedoch erblickte, blieb sie an der Thür stehen, nahm das Gefäß ab und setzte es auf die Bank nieder, an der sie mich erwartete.
Neugierig hefteten sich ihre Blicke auf den fremden Mann; meine Augen zeigten sich nicht weniger thätig, denn ohne Zweifel war dies die Enkelin des Wahnsinnigen. Es war ein starkes Mädchen mit großen, lebhaften Augen und einer Körperfülle, die vom geschnürten schwarzen Mieder sich kaum beherrschen ließ. Roth und blühend war sie im Gesicht, das mir freundlich entgegen blickte und zwei Reihen prächtiger Zähne zwischen den hübschen Lippen zeigte. In ihren kurzen schwarzen, mit Grün besetzten Röcken sah sie wie ein Bild der Gesundheit aus, und die kecke Heiterkeit in ihren Zügen zeigte an, daß sie nicht die geringste Besorgniß oder Scheu vor meiner Nähe empfand.
Grüß Gott, Euer Gnaden! sagte sie auf meinen Gruß, was kann es sein, das zu Ihren Diensten steht?
Eigentlich nichts, mein hübsches Kind, erwiederte ich. Von Schloß Withelen bin ich durch den Park hierher gewandert, und da ich Dein Haus so schön hier am Berge liegen sah, bin ich bis hierher gestiegen, um, wenn Du es mir geben kannst, ein Glas Milch von Dir zu nehmen.
Milch, so viel beliebt, auch Wecken und frische Butter soll der gnädige Herr haben, versetzte sie freundlich, ins Haus eilend. Ich setzte mich unter ein Geblätter von Nachtschatten und Immergrün nieder, das an der Wandseite des Hauses aufstieg, behaglich lächelnd über den artigen Empfang.
Nach einigen Minuten kam sie wieder und brachte weißes Brod, Butter und Milch. Auf den Tisch wurde schnell ein Linnentuch ausgebreitet, und während sie in geschäftiger Hast die Anstalten machte, beantwortete sie mir meine kleinen Fragen mit munterer Laune. Sie sagte mir, daß sie Eva heiße, daß sie zwanzig Jahre alt sei, daß sie sich allein im Hause befinde bei dem Großvater, der innen sitze auf dem Ahnenstuhl; daß Knechte und Mägde bei der Arbeit ständen, und daß sie viel zu wirthschaften habe. Dabei rollten die großen Augen über mich hin, und dann und wann sah sie mich übermüthig herausfordernd an.
Nun, sagte ich endlich, nachdem ich so viel von Dir gehört habe, möchtest Du auch wohl wissen, wer Dein Gast ist?
Als ob ich's nicht wüßte, erwiederte sie lachend. Euer Gnaden sind der fremde Herr Offizier, der seit gestern in Schlosse bei dem alten Herrn zum Besuche ist.
Richtig, und der junge Herr, der vor einer halben Stunde hier an meinem Platze gesessen, hat es Dir erzählt.
So ist es, sagte sie.
Und dieser junge Herr vom Schlosse scheint Dein guter Freund zu sein, der Dir Allerlei erzählt und gern dabei in Deine blitzenden Augen sieht.
Ach! schwatzen Sie nicht, wie die dummen Leut', Ew. Gnaden, rief sie mir zu. Ich kann's vertragen, wenn der gnädige Herr Baron hierher kommt und es anhört, was ich ihm vorspreche; ich hör's auch an, wenn er mir sagt, ich sei das hübscheste Mädel in der ganzen Welt, hübscher als alle die vornehmen Damen in den Schlössern. Ich lache dazu, wenn er flucht, und wenn er schwört, lache ich noch mehr.
Aber wenn er bittet, Eva, wirst Du doch nicht unerbittlich sein?
Der bittet nicht viel, antwortete sie; das hat er nicht gelernt, auch liegt es nicht in der Art, Ew. Gnaden. –
Es ist ein hart Geschlecht, die drüben vom Schloß Withelen, fuhr sie dann fort. Die gestrengen Junker sind zwar nicht so wie sonst, denn seit wir preußisch geworden sind, dürfen sie es nicht mehr so machen wie früher, aber sie sind noch immer hastig und gewaltig genug.
Und wie machten sie es denn früher? fragte ich, belustigt von ihrer kecken Redeweise.
O! das wissen wir noch gut genug hier zu Land, sprach sie weiter. Wenn die armen zugehörigen Leute nicht pünktlich auf den Dienst kamen, wurden sie blutig geschlagen, ins Loch geworfen und in den Bock gespannt. Sagte Einer ein Wort, so war der Vogt bei der Hand, und der alte Herr in Withelen hat's gethan, mit eigener Hand hat er's gethan, Gnaden; er ließ zwölf Bauern, die seinen Acker nicht gehörig bestellt, wie er es für gut fand, wie Ochsen in den Pflug spannen. Sie mußten die Furchen ziehen, er ging daneben, schlug sie mit der Knotenpeitsche so lange, bis sie halbtodt niederfielen, und trat sie dann mit Füßen.
Abscheulich! rief ich.
Ja abscheulich, das war's! – Aber es kam an den König nach Berlin und es wurde ein Prozeß daraus, der hat dem Herrn viel Geld gekostet. Hernach kam ein Befehl, bei schwerer Straße die Bauern nicht mehr wie Vieh zu behandeln. Wem Ueberlast geschähe, der solle klagen und Recht finden; auch sollte kein Höriger mehr verkauft werden können, oder ein Mädchen geschändet, oder ein Mensch zum Krüppel geschlagen werden. Das hat die vornehmen Herren sehr verdrossen.
Du bist doch keine Hörige, Eva? fragte ich, von ihren Worten erregt.
Ich? sagte sie beleidigt, und ein helleres Roth bedeckte ihr Gesicht, nein Herr, ich bin frei und lebe hier auf freiem Eigenthum. Der Meierhof gehört uns ganz zu eigen, kein Dienst und keine Abgabe lastet darauf. – Maria Joseph! sehe ich denn aus wie ein höriges Weib? Ich könnt's nicht ertragen.
Der Stolz in ihren Mienen machte sie schön und mit manchen guten Worten suchte ich sie zu beruhigen. –
Du bist eine wackere Dirne, die keine Tyrannei ertragen kann, sagte ich endlich, und weil es mir ebenso geht, darum habe ich Dich lieb gewonnen und wir wollen gute Freundschaft schließen.
Ja Herr, daß wollen wir, erwiederte sie freundlich meine Hand annehmend, denn Sie haben ein ehrliches Gesicht, zu dem man Vertrauen fassen muß; ich weiß nicht, wie's kommt, obwohl der Herr Rittermeister sagt: »Es ist ein Preuße und ein Ketzer, ein grämlicher Mensch uns da über den Hals gekommen,« habe ich doch keine Furcht, denn ich habe die Preußen gern und die Ketzer sind doch auch von Gott geschaffen.
Diese naiven Wahrheiten erregten mein Gelächter.
Hat mein gütiger Vetter Dir das gesagt, erklärte ich dann, so nimm Dich in Acht, ihn bös zu machen.
Ach, ich fürchte mich auch nicht vor ihm, rief sie trotzig, und sag's ihm derb, denn ich glaube beinahe, eben weil ich die Einzige bin, die ihm grade ins Gesicht sieht, verträgt er die Sache! Aber, Ew. Gnaden, es ist überhaupt jetzt nicht mehr, wie es sonst war, denn die gnädigen Herren in den Schlössern haben halt andere Saiten aufgezogen.
Das heißt, sie sind gütiger und besser geworden.
Besser! rief die Dirne lachend, o Maria Joseph! damit ist's nichts; aber sie fürchten das preußische Regiment und die Kammer in Breslau, die nicht mit sich spaßen läßt. Auch machen sie dem armen Volke jetzt Dinge vor, als wollten's vor Lieb' und Güte auffressen, und denken dabei: wart' nur, es kommt schon die Zeit, wo wir's Euch eintränken können. Glauben's, Ew. Gnaden, es steckt was dahinter.
Was steckt denn dahinter, Eva? fragte ich.
Ja, wer weiß es, sagte sie, aber überall stecken sie die Köpfe zusammen, rühmen die Kaiserin in Wien, erzählen Geschichten von dem gottlosen Könige, der mit dem bösen Feinde ein Bündniß hat, uns um Glauben und Religion bringen möchte, und wissen die schlechtesten Sachen zu berichten. – Der Bauer aber ist gescheut, Ew. Gnaden; er denkt: sprecht halt was ihr wollt, ich glaub' was ich will; allein die Herren sind doch mächtig hier im Land und haben ihren Anhang. Seit nun da drüben im Schloß Withelen der schwarze Herr Graf wieder angekommen ist, hat das Wesen immer mehr zugenommen. Es ist, als ob ein Bienenstock bald schwärmen sollte, so fahren und reiten sie aus und ein, kommen zusammen, schmeicheln dabei den armen Leuten, streuen Geld aus und nebenher laufen die Pfarrer und Kaplane durch die Gemeinden, vermahnen die Herzen für die Gottessach' und verfluchen die Ketzer und Ketzerfreunde.
Was sie erzählte, machte mich nachdenkend, und zeigte mir plötzlich einen Hintergrund für die Anwesenheit und die Bestrebungen Alieni's, an den ich nicht gedacht hatte. – Sollte er politische Zwecke hier verfolgen, die Unzufriedenheit nähren und die alte Anhänglichkeit an das Kaiserhaus befestigen wollen? – Ganz unwahrscheinlich war es nicht, aber wohin sollte es führen? Schlesien war erobert, die Herrschaft Preußens gesichert. Daß man in Wien noch immer über den Verlust grollte, war kein Geheimniß, allein dem Anschein nach war dieser Haß ohnmächtig; wer konnte denken, daß längst eine Verschwörung der Kabinette in halb Europa bestand, um dem kühnen Sieger seine Königskrone abzureißen und einen Markgrafen von Brandenburg aus ihm zu machen! –
Einige Aufmerksamkeit hatte es erregt, daß kurz, ehe ich Breslau verließ, der Befehl erlassen worden war, die Regimenter, welche in zerstreuten Garnisonen lagen, zusammen zu ziehen und zu completiren. Es hieß, der König wolle kommen und eine große Revue halten, bei der die Schlacht bei Mollwitz In der Schlacht bei Mollwitz, einem Dorf in Schlesien, 20 km südöstlich von Breslau, errang Preußen am 10. April 1741 den ersten Sieg über die österreichischen Habsburger im Ersten Schlesischen Krieg. – Anm.d.Hrsg., jener erste wunderbare, halb verlorene Sieg dargestellt werden sollte; aber man glaubte nicht recht an dies kriegerische Schauspiel, das dem sparsamen Fürsten viel Geld gekostet haben würde. Der General Winterfeld, der Liebling und Vertraute des Königs, sagte in Breslau laut, daß es Jeder hörte: es sei nichts als ein Waffenklirren, um mißgünstigen Nachbarn zu zeigen, daß das preußische Heer nicht schlafe, und dies Wort hatte sich schnell verbreitet.
Kennst Du den Grafen Alieni, fragte ich die aufgeweckte Dirne.
Ei, rief sie, es ist ein Prachtherr, den Groß und Klein kennt, aber es nicht gut bei ihm sein – Schau'ns einmal in seine Augen, Gnaden, man sieht darin in einen Abgrund ohne Boden.
Das war ein so treffliches Urtheil, daß ich überrascht schwieg und erst nach einer Weile sagte: aber dieser Graf ist ein feiner Herr, der in Schloß Withelen und, wie Du einräumst, in der ganzen Gegend die Seele aller Vereinigungen ist.
Freilich, das ist er, fiel sie ein, und Niemanden wird es Wunder nehmen, wenn er die Frau Baronin heimführt, auf die er es abgesehen hat. – Schön ist sie, jung und reich auch. Alles Geld und Gut von dem alten Manne hat sie bekommen. Es soll viel Unrecht daran kleben, aber was thut's, es klingt und gilt in der ganzen Welt.
Wahr gesprochen, liebes Mädchen, sagte ich; ob gerecht oder ungerecht erworben, die Menschen fragen nicht darnach. Aber die junge Baronin ist Deine Freundin. Ich hörte gestern, daß sie mit Theilnahme sich nach Dir und Deinem Großvater erkundigte.
Küß' die Hand, erwiederte sie. Mein Ahne war der Leibdiener des alten Herrn auf Greifenstein, der ihm den Meierhof gab; als er aber gestorben war, fehlte nicht viel und sie hätt' ihn uns streitig gemacht. Bei aller Schönheit und allem Reichthum konnte sie das kleine Stück Erde nicht missen. Glaubt den glatten Worten nicht, Gnaden. Wenn mein Ahne reden könnt und seine fünf gesunden Sinne hätt, er würd' Euch andere Dinge erzählen können.
So weit waren wir gekommen, als aus dem Innern des Hauses ein tiefes Stöhnen hörbar wurde, mit dem sich unverständliche Laute mischten, die eher einem Thier als einem Menschen anzugehören schienen.
Er ist aufgewacht, der arme alte Mann, sagte sie, die Schürze mit den Rüben hinwerfend, welche sie während unseres ganzen Gespräche geschält hatte. – Ach! es ist ein traurig Kreuz, lieber Herr, das anzusehen, aber es muß getragen werden. Gott legt's den Menschen auf und macht sie stark.
Sie eilte ins Haus und eben so mitleidig, als um ihr Beistand zu leisten, folgte ich ihr. – In dem wohnlich hellen Zimmer fand ich sie über einen Greis niedergebeugt, der in einem Lehnstuhl saß, welcher wahrscheinlich einst Eigenthum seines Herrn gewesen war. Ein verschrumpftes Gesicht, mit weißem Bart und nacktem hohen Schädel lag an die Seitenlehne des Stuhls gedrückt. Der Körper, welcher einst kräftig und stark gewesen sein mußte, hing jetzt schlaff und regungslos kaum in Haut und Knochen zusammen. Eingefallene Züge, eine lederartige entsetzliche Hautfarbe, und dabei das stumpfsinnige, verzerrte Grinsen, das von den stieren Augen nicht einmal getheilt wurde, machten den Anblick entsetzlich.
Ja sehen Sie, lieber Herr, sagte die Bäuerin, das ist mein armer Ahne und wer sieht es ihm an, daß er vor wenigen Jahren noch ein rüstiger Mann war, der rasch durch die Felder schritt?
Wie lange ist er schon in diesem Zustande? fragte ich.
Eigentlich hat sein Leid schon lange begonnen, erwiederte sie. Wie ich ein Kind noch war, hatte er dann und wann Tage, wo Niemand mit ihm reden durfte, wo er starr vor sich niederblickte und keine Speise nahm, doch wie Sie ihn da sehen, ist er erst geworden, seit der alte Herr gestorben ist.
Ich erinnere mich, sprach ich sie anblickend, daß ich als Knabe einen Diener des alten Barons gesehen habe, den er öfter auch zu meinem Vater sandte in allerlei Aufträgen, und der ihn begleitete, wenn er selbst zu uns kam. Er hat mich vielmals auf seinem Arm gehalten und war besonders freundlich zu mir. In unserem Hause war er wohlgelitten, mein Vater hielt große Stücke auf ihn.
Wie ist denn der Name Euer Gnaden? fragte die Dirne mich groß anblickend.
Johann von Horn heiße ich, wie mein Vater.
Bei diesen Worten schien der Greis im Lehnstuhl Leben und Bewußtsein zu gewinnen. Seine trüben Augen erhielten einen plötzlichen Glanz und richteten sich mit durchdringendem Feuer auf mich. Er streckte die Hände aus, als wollte er mich von sich abwehren, sein Gesicht röthete und verzerrte sich, wie vor Entsetzen, und nach einer fruchtlosen Anstrengung zum Aufstehen sank er mit einem kreischenden Schrei leblos in den Stuhl zurück.
Das Alles geschah in einer Minute und kam so unerwartet, daß ich bestürzt und erschrocken von dem Anblick noch auf der Stelle stand, als Eva sich über ihren Großvater geworfen hatte, den sie von dem Stuhle aufhob, wie man ein Kind aufhebt, und ihn auf das Bett in die Kammer trug.
Ich wollte ihr folgen und beistehen, aber mit einem Blick, der mich zurückwies, und mit Worten, die wie Befehl klangen, sagte sie:
Gott behüt'! Euer Gnaden. Mein Ahne ist krank, ich muß schaffen, daß er Hülfe bekommt.
Aber Du bist allein, Mädchen, ich will gehen und den Kaplan Joseph hersenden.
Laßt ihn fort, Herr, rief sie, ich will's schon machen ohne ihn. Gelobt sei Jesus Christ! es wird vorüber gehen, ich höre ihn wieder athmen.
Ich reichte ihr die Hand und ging. – Ich werde wieder kommen und sehen, wie es geht.
Thun Sie es, Gnaden, rief sie mir nach, und Gottes Dank für alle Güte.
Als ich zurückkehrte, war es fast Mittag geworden. Die Sonne brannte heiß, aber im Walde war es kühl und schattig. Ich ging an dem Bache hin, der aus der Schlucht hervortretend ein paar durch Kunst vervollkommnete Wasserfälle bildete; dann führte ein Weg über Höhen und durch Senkungen, bald zwischen dichthängendem Gebüsch, bald unter mächtigen Buchen mich weiter, die ihre stolzen Kronen zu einem grünen Dom verbanden, der auf tausend Säulen ruhte.
Die träumerische Stille dieser Waldeinsamkeit gab mir Raum genug, um meinen Gedanken nachzuhängen; plötzlich aber hörte ich hinter mir raschen Hufschlag und laut lachende Stimmen. So schnell ich konnte, trat ich hinter das Gebüsch, und kaum war dies geschehen, als Ulrike, begleitet von Alieni und gefolgt von einem Diener, von der Höhe herunter kam und dicht bei mir vorübersprengte.
Was besorgen Sie denn von ihm? hörte ich sie lachend französisch fragen.
Nichts für mich, aber für Sie, erwiederte er.
Dafür lassen Sie mich selbst sorgen, Graf, rief sie; ich versichere Sie, dieser Mann von Stein und Blei ist nicht sehr gefährlich, denn – die Worte verloren sich und ich sah den Reitern nach, bis sie an der Biegung des Weges verschwanden. –
Der aufgeschlagene Hut mit den weißen Federn, der Schleier, welcher ihnen nach durch die sonnige Luft schwamm, die schlanke Gestalt im grünen Reitkleide blieb vor meinen Augen stehen, als ich sie längst nicht mehr erblickte. Ein Seufzer stieg aus meiner tiefsten Brust, indem ich weiter ging; eine Unruhe ergriff mich mit steigender Heftigkeit. Haß gegen diesen Italiener, Verachtung gegen diese ganze Sippschaft, endlich Zorn gegen mich selbst peinigten mich hin und her. Ich schlug auf meine Brust und stieß ein Hohngelächter aus; Hohn gegen mein Herz, das meinen Kopf verderben wollte.
Wie ist es möglich, rief ich, daß sich da innen etwas regen kann, das wie Kummer und Eifersucht aussieht! – Auf wen kann ich eifersüchtig sein? – Auf diese Frau, die den Mann von Blei verspottet? Auf diesen Intriguanten, der mich am liebsten aus der Welt schaffen möchte?
Ich sah das Schloß vor mir liegen und eine finstere Glut goß sich durch meine Adern. Meine Muskeln und Nerven strafften sich und mit zusammengebissenen Zähnen sagte ich leise:
Ich will nicht weichen! Ich müßte fort, aber ich will nicht; sie sollen den Mann von Blei kennen lernen.
Endlich war ich auf der Terrasse und fand sie leer. Die Mittagsonne hatte die Gesellschaft in die Zimmer gescheucht, so konnte ich ohne ein Begegnen in mein Gemach gelangen und behielt Zeit, mich umzukleiden. –
Mit Behagen betrachtete ich das Staatskleid, das mein Mantelsack enthalten hatte, und welches nun stolz einladend vor mir lag. Es war nicht prächtig, aber doch sauber und neu, von braunem spanischen Tuch mit Tressen besetzt und mit goldverzierten Perlmutterknöpfen versehen. – Ein gewisser militairischer Schnitt klebte ihm an, denn es war in Berlin gemacht worden. Schuhe mit Bandrosen und seidene Strümpfe besaß ich freilich nicht; als ich aber vor dem Spiegel stand und mich musterte, fand ich, daß dieser stattliche Rock, mein rothes goldgesticktes Gilet Ärmelloses Obergewand für Männer, süddeutsch für Weste. – Anm.d.Hrsg., meine weißen Unterkleider von Kasimir und meine blanken hohen Reiterstiefeln mir eine eitle Empfindung einflößten.
Mein lichtbraunes Haar entbehrte zwar den Puder, aber sorgfältig gekämmt und in einen Haarbeutel zusammengebunden, fiel es schimmernd und voll an den Seiten des Kopfes nieder und bildete nach vorn einige kleine Löckchen, wie es damals Sitte bei den Offizieren der Armee war.
Eben hatte ich die letzte Hand an Manschetten und Brustkrause gelegt und diese mit einer Brillantnadel befestigt, das letzte Andenken und einzige Erbe meiner ewig theuren Mutter, als ein Diener erschien, der mir meldete, daß die Mittagstafel mich erwarte. Ich hatte mir vorgenommen, um keinen Preis eine Befangenheit zu zeigen, und trat daher so leicht cavaliermäßig wie möglich in den Speisesaal, wohl wissend, welche prüfende Blicke und welch musterndes Erstaunen mich empfangen würde.
So war es denn auch. Der alte Baron schien im ersten Augenblick zu glauben, daß ein Fremder plötzlich angelangt sei, er machte mir eine tiefe Verbeugung; dann aber, als er mich erkannte, starrte er mich an, als sei es unmöglich, daß ich mehr als meinen abgetragenen Rock mit den Bleiknöpfen besitzen könne; Alieni zuckte mit den Lippen im geheimen Spott, Ulrike ließ das blitzende Auge offenbar wohlgefällig über mich hinlaufen, der Kaplan lächelte und sah den Grafen an. Der Einzige, dem mein Putz und meine Person gleichgültig blieben, war mein Vetter Franz, der mit einem großen Jagdhunde spielte und diesem seine ganze Aufmerksamkeit zuwandte.
Während des Essens ging es lebhaft genug mit unserer Unterhaltung. Heut wollte ich die Rolle des Grafen übernehmen, und ein besonderer Geist war mit dem Rock über mich gekommen. Geschah es, um meiner schönen Cousine zu beweisen, daß der Mann von Stein und Blei doch Blut und Adern in sich trug, oder faßte mich plötzlich die Lust, ihr zu zeigen, daß ich auch ritterliche Höflichkeit, die Galanterie der damaligen Zeit, und Witz und Laune genug besaß, um aufmerksam und liebenswürdig zu heißen, oder endlich, wünschte ich im Geheimen den Grafen zu ärgern, genug, ich sah bald, daß mir wenigstens das Letzte nicht übel gelang. –
Während Alle zu meinen lustigen Geschichten lachten, bewegte der Italiener kaum die Lippen und nur dann und wann warf er eine spöttische Bemerkung hin, die ihren Stachel hatte, der von mir nicht unbemerkt blieb, sondern aufgenommen und zurückgegeben wurde. – Unter Scherz und Lachen ging das Mahl weiter, das selbst den jungen Baron ergötzte, der, als ich die dritte Flasche mit ihm geleert hatte, mich für seinen wackern Vetter erklärte.
Ich hätte nie geglaubt, rief endlich Withelen, daß Sie, Vetter Johann, ein so angenehmer Gesellschafter sein könnten. Beim Weltheiland! wir müssen dafür sorgen, Sie überall einzuführen. Bei Rosenberg, bei Hochfeld, beim Grafen Siebenstein. Ueberall werden Sie Damen und Herren finden, die Sie willkommen heißen, und Graf Alieni mag sich in Acht nehmen, daß er von dem unverhofften Nebenbuhler in der Gunst schöner Frauen nicht ausgestochen wird.
Ich würde stolz auf einen solchen Nebenbuhler sein, erwiederte der Graf. Der Süden und Norden treten mit uns in die Schranken, die Galanterie vom Hofe des großen Königs und ein Abfall der Blüthen aus den Salons der großen Kaiserin.
In der That, sagte Ulrike, uns Beide anblickend, das ist ein Vergleich, auf den man eingehen kann. –
Sie betrachtete das seidene reichgestickte Kleid des Grafen, sein Gilet von drap d'or, die ganze nachlässige Feinheit seines Anzugs und dann mein dagegen sehr bescheidenes Aeußere, und fuhr, in die Hände schlagend, fort:
Getroffen auf ein Haar. Man sieht sogleich, daß ein verkappter Soldat in diesem unsern theuern Vetter steckt. Den Rock muß er zuknöpfen und sollte es auch nur ein Knopf sein, das Gilet sitzt straff, von den Reiterstiefeln mag er sich nicht trennen – ich kann mir denken, wie es in den Sälen des potsdamer Schlosses von schlanken braunen Cavalieren wimmelt, die, »Brust heraus und Schultern zurück,« die liebenswürdigsten Schmetterlinge des kriegerischen Hofes sind. – Ist es nicht so, Vetter Johann?
Ich weiß nicht, wie es jetzt ist, sagte ich, denn ich bin zu lange schon aus jenen Sälen entfernt; aber versuchen Sie es selbst einmal, Cousine Ulrike, und Sie werden finden, daß Schönheit überall die Menschen zu Göttern und Helden macht.
Nein, rief sie lachend, ich habe genug an einem Repräsentanten jenes Heldenthums, aber ich fordere Sie auf, es nicht zu Schanden werden zu lassen vor dem Süden. Da sitzt der Graf. Vertheidigen Sie Ihre blauen Augen gegen seine schwarzen Augen, Ihr lichtes Haar gegen seine dunklen Locken, die dem Puder ungehorsam sind. Wenn Sie das können, will ich Sie loben und Ihnen den Preis zuerkennen, trotz meines Widerwillens gegen preußische Galanterie.
Die Neckereien zwischen uns wurden so lange fortgesetzt, bis wir endlich ihrer müde waren, als der Baron die Tafel beendete. Während er dann seinen Schlummer hielt, spielte Alieni mit mir eine Partie im Billardzimmer; Franz suchte in einer Ecke den Weindunst los zu werden, und Ulrike begleitete unser Spiel mit ihren Bemerkungen.
Ich hatte in Frankreich häufig gespielt, wo damals die ersten Modeherren ihre Ehre darin suchten, wie früher im Federball und später im Schach. Von England herüber kamen die Zierden Albions, um in hohen Wetten mit den Franzosen Stöße auf dem Billard zu wechseln, in Deutschland aber war das Spiel noch fast gänzlich unbekannt. Nur in Wien war die Lust dazu erwacht.
Alieni hatte bald nach seiner Ankunft auf dem Schlosse die Einrichtungen kommen lassen und an meiner Cousine eine gelehrige Schülerin gefunden, die ihn bewunderte und für den ersten Spieler der Welt hielt. – Heute jedoch sah sie zu ihrem Erstaunen, daß ich auch etwas davon verstand, und trotz der langen Zeit, in der ich den Billardstock nicht in die Hand genommen, doch schwierige Bälle zu machen wußte.
Alieni, der mich anfangs nicht als Gegner geachtet hatte, fand zu seinem Schaden, daß er Unrecht gethan. Er verlor die Partie, gewann eine zweite mit Mühe, konnte die dritte nicht halten und blieb durch einen Zufall Sieger bei der vierten.
Halt! rief Ulrike, als Alieni das Queue wegwarf, halt, Graf! Sie haben gerade noch Zeit, um eine fünfte, eine Meisterpartie, zu beenden, ehe der Papa aufwacht und der Kaffee kommt. Wer hätte denken können, daß mein preußischer Herr Vetter mit solchen Künsten so gut Bescheid weiß! Also auch darin ist er Ihr Widerpart, Graf, und stellt den Norden dar, während Sie den Süden vertreten. – Mit seinen einfachen graden Stößen kommt er so weit, wie Sie mit Ihren feinen Berechnungen, Ihren halben und Viertelstößen, Rückläufen und Doppelläufen. Es sieht aus, als sei es unmöglich, daß er gegen so viel Vorsicht und Kunst siegen könne, und doch habe ich mit meinen Augen mich überzeugt, daß er nicht unterliegt. – So will ich jetzt einen Kampf ansetzen, und will den Sieger mit dieser meiner Busenschleife zieren und zum Ritter annehmen für den heutigen Tag. – Vorwärts, meine Herren Cavaliere, schöne Augen sehen auf Euch! Laßt es an Muth und Kühnheit nicht fehlen und seid des Dankes der Schönheit gewiß.
Mit diesem Ruf, der sonst bei ritterlichen Spielen die edlen Herren in die Rennbahn trieb, trat sie auf das Tabouret, und schwenkte die farbige Schleife als Siegespreis.
Wir nehmen es an, schöne Dame, rief der Graf, auf ihren Scherz eingehend und sich anmuthig neigend, indem er den Billardstock als Lanze senkte. Seht mich hier zu Euren Füßen, um zu schwören, daß ich Alles wagen will für den Ruhm.
Und Sie, Vetter Johann, rief sie mir zu, als Alieni aufstand, der ihr die Hand geküßt hatte.
Ich erwarte den Angriff, und werde ihn abschlagen so gut ich kann.
Echt preußisch! rief sie, nicht ohne Hohn, als ich am Billard stehen blieb und weder niederkniete, noch ihre Hand küßte, was ich nicht mochte, denn Alieni's Lippen hatten darauf geruht.
Wohlan, mein felsenherziger Vetter, die Sonne ist getheilt, blast Trompeten! Im Namen Gottes und seiner Heiligen.
Bei diesem Signal begann der Kampf und was unsre Geschicklichkeit vermochte, wurde darin geleistet. Zum Anfang war Alieni weit voraus, und allem Anschein nach mußte er gewinnen. Ulrike klatschte in die Hände, ihr Gesicht leuchtete, sie nickte dem Grafen wohlgefällig zu, allein nach und nach kam ich herauf. Ein paar glückliche Stöße brachten mich ihm gleich, bis um den letzten Point sich ein erbitterter Kampf erhob. Mit der größten Ruhe suchte ich meinen Gegner so schlecht wie möglich zu setzen, und dies gelang mir endlich; so gut, daß er fehlstieß, sich verlief, und ich als Sieger vor meiner Cousine stand.
Ein Zufall! ein abscheulicher Zufall! rief Alieni vor Verdruß erröthend, indem er den Stock von sich warf.
Mag es sein, was es will, erwiederte Ulrike lachend, aber Sie haben Glück, Vetter Johann, so viel Glück, daß ich glaube, Sie erreichen Alles, was Sie wollen. – Nun, mein Herr, fuhr sie dann fort, knieen Sie nieder und empfangen Sie von mir den Lohn Ihrer Tapferkeit und Tugend.
Sie steckte mir mit einen bezaubernden Lächeln das Band an die Brust, und nun küßte ich ihre Hände mit so vielem Feuer, daß, als ich aufblickte und in ihr strahlendes Auge sah, es mir vorkam, als fände ich darin einen Widerschein meiner stürmischen Huldigung.
Wir gingen zu dem alten Herrn zurück, der so eben sich ermuntert hatte und mit freundlichen Blicken auf mich die Nachricht meines Sieges hörte. –
In jeglicher Geschicklichkeit also ein würdiger Gegner des Grafen, rief er dann; ich wollte, daß Franz – er sah sich nach seinem Sohne um und fuhr mit einem Seufzer fort: Franz ist ein Philosoph, Vetter Johann; er liebt die Ruhe über Alles, verachtet allen Zwang und macht mir Kummer. Nehmen Sie sich seiner an, ich glaube, Sie können auf ihn einwirken.
Ich sagte es ihm zu, doch das Gespräch, kaum begonnen, wurde abgebrochen, als Alieni mit meinem Vetter hereintrat. Der Graf lachte über seine Besiegung und bespöttelte sie, das Beste, was er thun konnte. – Aber sobald sein Gesicht ernst wurde, zeigte sich der Unmuth darin, und als nun eine Spazierfahrt vorgeschlagen und angenommen wurde, kam es zu einem kleinen Auftritt zwischen uns, der seine Gereiztheit noch deutlicher zeigte.
Der Wagen mit vier Pferden bespannt und mit Vorreitern hielt an der Schloßtreppe, als Alieni herbeieilte, um Ulriken den Arm zu bieten, allein mit Gewandtheit kam ich ihm zuvor, indem ich mein Recht geltend machte, für den heutigen Tag ausschließlich der Ritter meiner Cousine zu sein.
Diese Abweisung war zu stark für den stolzen Mann. – Die Adern auf seiner Stirn schwollen an, er hielt die Hand der jungen Frau fest und warf einen so verächtlichen und furchtbaren Blick auf mich, daß ich all mein kaltes Blut nöthig hatte, um höflich zu bleiben.
Entscheiden Sie, Frau Baronin, sagte er, ob die Ansprüche des Herrn Vetters so weit reichen, wie er glaubt.
Entscheiden Sie, schöne Cousine, fiel ich ein, ob meine Ritterschaft und diese Schleife eine Wahrheit sein sollen oder nicht?
Ist je eine tournierfähige Dame in solchen Nöthen gewesen! rief sie mit der ganzen reizenden Koketterie ihres Wesens. Vetter Johann, Sie sind in Ihrem Rechte, kein Gott und kein Graf soll Ihnen das verkümmern; doch fragt es sich, ob Sie als echter Cavalier nicht großmüthig eine Ausnahme verstatten wollen, die zu bewilligen in ihrer Macht steht.
Ehe ich antworten konnte, trat Alieni jedoch zurück, denn er hatte schnell begriffen, daß er sich lächerlich machte, und mit der Gewalt, die er über sich besaß, glätteten sich seine Mienen, wie es dem geschmeidigen Hofmanne ziemte.
Nein, sagte er, weiter wollen wir den Scherz nicht treiben. Ich wollte nur prüfen, wie weit Herr Johann von Horn sein Glück zu schätzen weiß. Jetzt erkenne ich willig in ihm den Sieger und getreuen Ritter, den ich beneide, aber mich unterwerfe.
Er öffnete die Thür, und von diesem Augenblicke an suchte er durch freundliche Aufmerksamkeit gegen mich seine Heftigkeit zu verhüten. –
Wir fuhren ohne den Baron und ohne meinen Vetter, der sich hartnäckig weigerte, uns zu begleiten, durch den Wald, dann über die Hügelkette, und nach dem Vorschlage Alieni's machten wir einen Besuch bei dem Nachbar Withelens, dem Baron Rosenberg.
Es ist nicht viel davon zu erzählen. Die Familie lebte, wie der Feudaladel der damaligen Zeit es that, auf ihrem Schlosse, umringt von demüthigen Leibeigenen und einem Schwarm buntbetreßter Diener, von denen der Eine dem Andern im Wege stand. – Die Frauen waren blöd, albern und unwissend, die Männer roh und anmaßend; die Freuden der Tafel, des Bechers, der Jagd, und das Recht, zu schlagen und zu mißhandeln, unterschieden sie zumeist von ihren Bauern. –
Während ich mit den Damen mich unterhielt, sprach Alieni mit dem Hausherrn, der einen hohen kahlen Kopf und ein brutales rothes Gesicht hatte. Er war kaiserlicher Husarenmajor gewesen und trug noch einen grauen, spitzen Schnurrbart, was damals selten war, wo man auf's Sorgfältigste jedes Härchen abschor. –
Zwei andere Herren, welche wir vorfanden, waren ebenfalls Gutsbesitzer aus der Nähe, die mit dem Major gespeist hatten und deren erhitzte Gesichter deutlich genug bewiesen, daß sie der Flasche reichlich zugesprochen haben mußten. Ohne Zweifel war zwischen ihnen von mir die Rede, denn ich bemerkte, wie sie leise sprechend ihre Blicke auf mich richteten, mich zum Oeftern mißtrauisch musterten, bis endlich der Herr von Rosenberg laut genug rief:
Laßt ihn der Teufel und seine Großmutter sein, hier bin ich Herr und die Spione hängt man auf! –
Der eine der Herren hatte ein Zeitungsblatt mitgebracht, das ihre Aufmerksamkeit lange Zeit fesselte und Gelächter erregte. Endlich brachte es Alieni dahin, daß Ulrike nach dem Inhalt fragte. Es war der Berliner Anzeiger von Staats- und Gelehrten-Sachen, in welchem eine lange schwülstige Beschreibung über ein Fest und Concert in Sanssouci enthalten war, wobei der König selbst mitgewirkt hatte. Er wurde dafür nicht nur mit Cäsar und Alexander, sondern auch mit Apollo verglichen, und ihm alle göttlichen Attribute beigelegt, alle Weisheit und alle Tugenden ihm zugesprochen, die das Gehirn eines servilen Zeitungsschreibers ersinnen kann. Zugleich war ein Bericht von andern Festen angehängt, die der König in Potsdam zu geben denke, und eine Reihe von großen Bauten und kostbaren Unternehmungen erwähnt, welche der Liebling des Mars, der Musen und des Mercur zum Wohle seines glückseligen Volkes unternehmen werde.
Spöttereien der gröbsten Art ergossen sich über die neue Gottheit, bei denen ich es am gerathensten fand, ganz zu schweigen. Endlich sagte der Baron Rosenberg lachend:
Nun, lassen wir ihn die Flöte blasen, Witze machen und von seinen französischen Komödianten sich vorspielen, so viel er mag; wer weiß, wie lange es noch dauert. Der Frosch in der Fabel, der sich aufbläht, bis er zerplatzt, ist das beste Gleichniß für ihn, und wenn der kleine Markgraf von Brandenburg einmal in Wien sitzen wird –
Alieni schlug ein lautes Gelächter auf und indem er den großen Baron beim Arme ergriff, rief er ihm zu:
Lassen Sie ihn in Berlin, Baron Rosenberg, wir können ihn in Wien nicht brauchen.
Was? erwiederte der Major, der seinem alten Ungarwein mehr, als gut war, zugesprochen hatte, nein, nach Wien soll er! Das Raubnest Berlin muß wieder ein Dorf werden, und dieser übermüthige Eroberer, der wie ein Räuber über uns hergefallen ist, und ohne das geringste Recht zu haben, uns zu seinen Unterthanen gemacht hat, wir wollen ihm die Falle über dem Kopf zusammenziehen, in der er untergehen und umkommen soll.
Der heftigste Zorn sprach aus seinem rothen Gesicht, und während Alieni ihn fortzuziehen sich bemühte, wandte er sich an mich und rief:
Ich weiß, was die Herren mir sagen wollen. Ich soll mich in Acht nehmen vor Ihnen, Herr von Horn, da Sie preußischer Kapitain gewesen sind, Protestant sind, in Berlin und Breslau Verbindungen haben; aber ich frage nichts darnach. Jedermann kann es hören, daß ich diesen König von Preußen hasse; im ganzen Lande ist Keiner, der ihn liebt, und wenn der Tag kommen wird, wo die Trompeten blasen, wird es sich zeigen –
Alieni und die übrigen Herrn führten ihn fort, dann kam der Graf lachend zurück und sagte:
Da haben Sie ein Beispiel, wie man hier von dem angebeteten Monarchen denkt. – Aber es ist Zeit, daß wir nach Haus fahren, ehe es finster wird, so sehr wir bedauern mögen, den Baron zu verlassen, der uns gewiß noch weitern Anlaß geben würde, alle Melancholie zu verscheuchen.
So empfahlen wir uns denn und wahrscheinlich hatten die Vorstellungen seiner Freunde bei dem Major gefruchtet, denn als er hörte, daß wir fort wollten, bat er uns, zu bleiben, und brachte gegen mich eine Art Entschuldigung vor, die damit schloß, daß sein Ungarwein vortrefflich sei, und unsre gute Kameradschaft besser begründen würde, als alle Redensarten.
Alles, was der Baron jedoch erlangen konnte, war das Versprechen, bald wieder zu kommen. Ulrike schlug ihn mit der Hand auf die Finger, als er sie festhielt, und sagte im neckend belehrenden Tone:
Wir hatten uns vorgenommen, ein paar Tage als Gäste in dieser Rosenburg zu wohnen, da aber der verständige liebe Baron, mein alter Freund, nicht zu Haus ist und den Major allein gelassen hat, der die Ungarn zu sehr liebt und die Preußen über alle Maßen haßt, ziehen wir es vor, ein ander Mal wieder zu kommen, wenn der Baron zu Haus und der Major verreist sein wird.
Ah! das Wetterkind! rief der Gescholtene, da hab' ich meinen Theil bekommen und muß obenein schweigen und zufrieden sein. Aber zum Henker! was habe ich denn Böses gethan, um solche Strafe zu verdienen? Der Herr von Horn da wird längst wissen, woran er ist und daß die gefährlichste, liebenswürdigste Oesterreicherin mit ihm unter einem Dache wohnt.
Fort, Vetter! fiel meine Cousine ein, ich kann nicht dulden, daß Ihr preußisches Gewissen solche Blasphemien verwinden soll. Adieu, Baron, hüten Sie den Major vor den Ungarn und deren Geschwätzigkeit, und denken Sie daran, daß die Schlacht bei Mollwitz nächstens aufgeführt werden soll.
Wir fuhren von dannen und ich hörte lustige Spöttereien genug über den aufrichtigen Baron und seine Familie, die schlecht dabei fortkam. –
Alieni schien sich vorgenommen zu haben, wo möglich allen Verdacht, der mich beschlichen haben konnte, fortzuscherzen, indem er mir ein Bild des gesammten Adels lieferte, das diesen als verdumpft in engen Vorurtheilen, ohne Geist und Energie, ohne wahre Macht und Ansehen schilderte.
So wie diesen guten Baron, sagte er, können Sie allerdings Viele finden voll Schmähungen auf den König, voll Haß gegen Berlin und die preußische Soldatenwirthschaft, und verargen kann man es ihnen nicht, wenn sie mißgestimmt sind, denn zu viele Fäden ziehen sie gen Süden und richten ihre sehnsüchtigen Blicke nach der schönen Donau. Der knappe blaue Rock und die steife Halsbinde ist ihnen unerträglich, eben so die nüchternen Befehle der neuen Regierung, und der nüchterne protestantische Ton, der durch Alles geht, was von dort kommt. Aber bei alle dem fehlt die Kraft zum Widerstande, und jeder preußische Commissair, diese Eulen, welche zu Haufen durch's Land fliegen, findet den pünktlichsten Gehorsam.
Das macht, erwiederte ich lächelnd, weil zwischen den Menschen in den Schlössern und denen, die in den Hütten wohnen, eine Kluft liegt, die nicht geschlossen werden kann. – Die preußische Herrschaft kommt den Bauern zu gut, der Volksmasse, die sich, erleichtert und besser geschätzt sieht, der Adel allein hat sich bei Oesterreich wohler befunden. Wenn er zurück will, liegen Gründe darin, die das Volk nicht theilt, darum ist hier ein Aufstand eine eben so gefährliche wie mißliche Sache. – Das Volk würde sich aus Mißtrauen gegen den Adel immer für Preußen erklären, wenigstens würde es theilnahmlos bleiben, und sollte je dergleichen hier stattfinden, so werden Sie sehen, wie unmöglich es ist, ein Unternehmen durchzuführen, das bei der Masse keine Begeisterung erregt.
Ich bemerkte den Blick, den Alieni und Ulrike wechselten, die mich dann lebhaft fragte, wo ich diese Bemerkungen gemacht habe?
Im ganzen Lande, erwiederte ich unbefangen. Ich habe es durchreist und manche Unzufriedenheit gefunden, im Ganzen aber ein noch viel größeres Gefühl der Anhänglichkeit an die neue Regierung, die Handel und Gewerbe beschützt, die Städte zu heben sucht, den Absatz erleichtert und durch Kanäle und Landstraßen die feste Verbindung des neueroberten Landes mit dem alten einleitet. Dazu kommt, daß ein bedeutender Theil der Provinz protestantisch ist, und jetzt sich gleich berechtigt und beschützt fühlt. – Dies Gefühl wird sich mit jedem Jahre stärken, auch der Adel wird davon ergriffen werden und seine alten Sympathien vergessen.
Und worauf stützen Sie diese Behauptung? fragte Alieni.
Auf die wachsenden, materiellen Vortheile, den größern Werth des Besitzes und die größere Sorgfalt, die auch ihm sich zuwenden wird, sagte ich. – Schlesien gehört zu Norddeutschland, seine Lebensader ist die Oder, nicht die Donau; naturgemäß muß es dem Zuge des Verkehrs folgen, der es nach Norden weist, wo es den Absatz für seine Producte findet, nicht nach Süden, wo es Gebirge und fremdartiges Leben antrifft. – Der regsame thätige Geist, der von Berlin ausströmt, an Alles denkt, Alles ordnet und mit wunderbarer Kraft organisirt, findet in diesem reichen Lande und bei dem verständigen, arbeitsamen und sparsamen Volke ein solches befreundetes Erkennen, daß ich sicher bin, Oesterreich hat es für immer verloren.
Dies Gespräch, das uns fortgesetzt beschäftigte und endlich, wie gewöhnlich, in ein scherzhaftes Auflösen überging, indem Ulrike alle meine Gründe bestritt und vernichtete, hatte sichtlich auf Alieni Eindruck gemacht. Er schwieg den letzten Theil des Weges über fast ganz, und erst in der Nähe des Schlosses mischte er sich wieder in unsere Unterhaltung, die er auf andre Gegenstände leichterer Art zu leiten wußte.
Auf der Terrasse erwartete uns der Baron, der mit dem Kaplan im Gespräche auf und nieder ging und eine ernsthafte Unterhaltung zu führen schien. Er hielt sein Taschentuch am Gesicht, und wie es schien, trocknete er die Augen, welche feucht gewesen waren. Auch Ulrike hatte es bemerkt, sie umfaßte ihn mit ängstlicher Zärtlichkeit und forschte nach seinem Kummer; er schüttelte leise den Kopf, indem er sie auf die Stirn küßte, und sich dann nach den Ergebnissen unseres Ausflugs erkundigte. Nach einigen Minuten ließ er sich von seiner Tochter in den Salon führen, dessen Thüren geöffnet waren. Alieni hatte sich gleich in sein Zimmer begeben, ich war daher mit dem Geistlichen allein, der mit freundlicher Höflichkeit das Gespräch eigentlich da wieder begann, wo er es am Morgen gelassen hatte, Denn er erzählte mir von seinen Wanderungen, seinen Pflanzen, seinen Besuchen bei Kranken, und endlich waren wir von Neuem bei der Bibliothek, die mich interessirte.
Wenn Sie sie noch sehen wollen, sagte er, so ist noch Zeit dazu. Ich habe daneben ein kleines Laboratorium und meine Apotheke eingerichtet, und diese so eben verlassen, um dem Baron Gesellschaft zu leisten.
Als ich zusagte, führte er mich zu derselben Thurmthür, in welcher er gestern Nacht verschwand, als er Alieni verließ; aber wir stiegen die Wendeltreppe in der dicken Mauer nicht hinauf, sondern hinunter, in die Souterrains des Schlosses.
Ist die Gelehrsamkeit so tief in den Schoß der Erde begraben? fragte ich lachend.
Alles, was die Menschen nicht zu schätzen wissen, erwiederte er, geben sie dem Moder preis. Indeß ist es hier doch so schlimm nicht, wie Sie gleich sehen werden. Die Gewölbe des alten Schlosses bilden die Unterlage zu dem neuen Bau, und hier an der Westseite dient jetzt die ehemalige Kapelle der alten Barone von Withelen dazu, die Bücher und Schriften aufzubewahren, welche ihren Nachkommen wenig nützen.
Wir waren, nachdem wir eine Anzahl Steinstufen hinunter gestiegen, in einem breiten, ziemlich düstern Gange fortgeschritten, als aber mein voranschreitender Beschützer eine Thür öffnete, befanden wir uns in einem hohen, ziemlich großen Raume, der mir ein Ach! des Erstaunens entlockte.
Es war ein viereckiger, gothisch gewölbter Saal, welcher halb im Grunde des Schlosses lag, halb darüber emporstieg. Ein ungeheurer Steinpfeiler in der Mitte fing alle die Spitzbogen auf, die von den Seiten ausliefen und vereinigte sie zu einem riesenhaften strahlenförmigen Bündel. Eine Reihe von kleinen Fenstern lief an der halben Höhe des Saales hin, und durch ihr buntes mit Bildern und Wappen von prächtiger Färbung geschmücktes Glas drang das rothe Licht der Abendsonne in diese stille, mächtige Halle. –
Der düstre Granit der Wände, die vorspringenden Bänder und Arabesken, welche ihnen zur Zierde dienten, die röthlichen Halbsäulen und Stäbe mit ihren runden Köpfen, die in symmetrischen Reihen vom Boden aufstiegen und bis an das Stirnband des Gewölbes liefen, waren farbig erhellt und zeigten ihre Pracht und Kunst, welche die alten Baumeister ihnen zugewendet hatten.
Nicht wahr? fragte Joseph lächelnd, dies alte Bauwerk macht einen wunderbaren Eindruck. Oft, wenn ich hier einsam, zuweilen in der Nacht umher wandle, kommt die graue Vorzeit über mich. Die Steine erhalten Leben, es rauscht in den düstren Ecken und klirrt an den Wänden hin, als wachten die Ahnenbilder wieder auf. Die Damen mit den schleppenden Gewändern und die kriegerischen Barone, die unter Heinrich von Liegnitz in die Mongolenschlacht Der schlesische Herzog Heinrich II. stoppte im Jahre 1241 den letzten Mongolensturm auf Mitteleuropa in einer verlustreichen Schlacht. – Anm.d.Hrsg. zogen und unter dem Rothbart in Palästina Friedrich I., genannt ›Barbarossa‹, hatte schon vor seiner Königsherrschaft von 1147 bis 1149 am Kreuzzug seines königlichen Onkels Konrad III. teilgenommen. Als König und Kaiser bereitete er seit 1187 einen weiteren Kreuzzug vor, zu dem er 1189 aufbrach; jedoch ertrank er dreizehn Monate später kurz vor seinem Ziel. – Anm.d.Hrsg. fochten, kommen und begleiten mich.
Sie werden wohl fest schlafen in ihren Steinsärgen, sagte ich lächelnd.
Ach, Ihr aufgeklärten Herren glaubt nicht an Geister und Gespenster, fuhr er fort, aber es gibt doch manche Dinge, die von der Aufklärung nicht begriffen werden.
Haben Sie denn dergleichen schon gesehen, ehrwürdiger Herr? fragte ich nicht ohne Spott.
Ich thue, was ich thue, im Namen Gottes, erwiederte er, und unsere heilige Religion gibt denen, die ihr vertrauen, den Schutz des Himmels gegen alle Anfechtungen der Hölle.
Mich verlangte nicht danach, dies Gespräch fortzusetzen, ich fragte ihn daher nach den Büchern; er deutete auf die großen Nischen an der Rückwand des Saales und sagte: Dort sind sie untergebracht und wohl verwahrt, denn wie Sie sehen, hat man sie hinter eiserne Thüren gesperrt und feste Schlösser davor gelegt.
Er führte mich durch den Raum an dem gewaltigen Pfeiler vorüber, an dem ich einen Augenblick bewundernd stehen blieb. – Dieser Pfeiler trug mit seinen mächtigen Bogen den Thurm und ein ganzes Stück des Schlosses.
Er scheint für die Ewigkeit gebaut, sagte Joseph, und ist doch nur Menschenwerk, das vergehen wird, wer weiß, wie bald. Wenn er erzählen könnte, was er gesehen hat, er würde von den Sünden und Gebrechen der Menschen mehr zu sagen wissen, als von ihrem Glauben und ihren Tugenden.
Was ist das? fragte ich, auf eine große Steinplatte im Boden deutend, die in der Mitte einen schweren rostigen Eisenring trug. Ist es eine Fallthür?
Etwas Aehnliches, versetzte er. Unter dieser Platte liegt ein tiefer Schacht, der in alter Zeit bei Belagerungen des Schlosses als Brunnen gedient haben soll. In der Meinung der Leute und ihren Sagen nach sind in jenen Tagen der Willkür und Grausamkeit die gefangenen Feinde der Schloßherren hier hinunter gestürzt worden, um nie wieder zum Vorschein zu kommen.
Die heilige Jungfrau sei gelobt, daß diese Zeiten vorüber sind! fuhr er fort, als ich mich schweigend abwendete.
O! täuschen wir uns nicht, erwiederte ich. Wenn Fanatismus des Glaubens, Ehrsucht der Großen, Habgier und gemeine Leidenschaften die Menschen anreizen, sind sie dieselben Bestien, die sie immer waren. Ich habe den Mann, den man hier so sehr haßt, den König von Preußen, einmal sagen hören: Vielleicht ist es möglich, daß die Aufklärung, das Licht der Vernunft es einmal dahin bringt, daß die Menschen sich nicht mehr wie wilde Thiere der Wüste anfallen und ermorden; stehlen, betrügen, lügen und verleumden werden sie aber bis in Ewigkeit. – Ich glaube, lieber Vater Joseph, die Menschen werden auch morden und sich zerfleischen, so lange die Welt steht.
Der Kaplan gab keine Antwort. Er stand einen Augenblick wie in Gedanken, als überlege er etwas, dann ging er langsam um den Pfeiler und ich folgte ihm. Jetzt erst sah ich, daß an der Wandseite des Saales, zwischen den drei Hauptbogen, die ganze Tiefe der Nischen von drei ungeheuren Schränken eingenommen war. –
Joseph öffnete einen derselben und ich sah den ganzen inneren Raum, der 5 bis 8 Fuß tief und doppelt so hoch war, mit einem Bücherberg angefüllt. An den Seiten und an der hintern Wand waren Fächer und Breter angebracht, die ebenfalls ganz bedeckt mit Schriften und Bücherstößen waren. Von alten Pergamenten ragten mächtige Siegel, in grünes oder rothes Wachs gedrückt, hervor; auf einander gethürmt und verworren zusammen gebunden und gepackt, lagen Urkunden und Briefschaften, Hefte und einzelne Bogen, und schienen ein unlösbares Gewirr zu bilden.
Mein Gott! rief ich, sieht es in den übrigen Schränken eben so aus, wie hier?
Vielleicht noch schlimmer, erwiederte Joseph, namentlich ist der Hauptschrank in der Mitte ein wahres Chaos, das man mit Grauen betrachtet.
Er führte mich dorthin, und als er die Eisenthür öffnete, empfand ich wirklich einen Schauder bei dem Anblick. Der ungeheure Schrank, der wie ein wohnliches Zimmer geräumig war, zeigte sich überfüllt mit einer unermeßlichen Zahl von Akten und Papieren, Büchern in jeder Form, Quartanten in Schweinsleder und dickkleibigen Folianten. Ich trat die Stufen hinauf in den Bauch dieser Höhle und warf ängstlich prüfende Blicke in den Schlund der Fächer und Breterreihen. Nirgend entdeckte ich irgend einen Buchstaben, eine Andeutung, die einen Nachweis gab, oder die Spur einer ordnenden Hand.
Hat denn niemals hier eine Sonderung stattgefunden? fragte ich.
Ich weiß es nicht, erwiederte der Kaplan. Der Anfang, den ich selbst gemacht habe, beschränkt sich bis jetzt auf einen kleinen Theil des dritten Schrankes. Möglich, daß in früherer Zeit eine bessere Ordnung hier vorhanden war, seit dem Umbau des Schlosses aber, also seit den Zeiten des Vaters des Barons, ist gewiß nichts geschehen. Die wichtigsten Documente wurden damals heraus genommen und in der Kanzlei verwahrt. Alles Uebrige aber hier untergebracht, und endlich der Nachlaß aus Greifenstein hinzugeschüttet, was die Verwirrung vollständig machte.
Jener Nachlaß ist also nicht besonders aufbewahrt worden?
Gewiß nicht, sagte er lachend. Das Bruchstück eines Katalogs, welches Sie sahen, ist das Einzige, was ich gefunden habe; wo aber die Bücher und Schriften liegen, mögen die Heiligen wissen.
Ja, beim Himmel! rief ich zornig aus, nur mit ihrem Beistand wäre es möglich, hier aufzuräumen. Ein einzelner Mensch kann Jahre lang sich damit abmühen.
Zeit und Geduld überwindet Vieles, versetzte er lächelnd. Und wer weiß denn, mein gnädiger Herr, ob nicht nach Beschlüssen, die der Mensch kaum ahnt, Sie leichter zu dem Ziel Ihrer Wünsche gelangen, als es scheint?
Meine Wünsche, mein Ziel, Vater Joseph? sagte ich erstaunt und verlegen zu gleicher Zeit.
Ihr Ziel, fuhr er fort, ist, altes Unrecht, das an Ihnen begangen sein soll, zum Recht zu bringen, und Ihre Wünsche streben nach Beweisen. – Lassen Sie ab davon, mein Kind; doch glauben Sie mir, es gibt einen andern Weg, der besser und richtiger ist.
Welchen Weg? Was sagen Sie da? rief ich bewegt.
Sie wissen, was hier geschah, flüsterte er halblaut; was geschehen kann, muß Ihnen die Stimme Ihres Herzens sagen. Baron Withelen will Ihnen wohl, es kommt auf Sie an, wie Sie dies benutzen wollen.
Seine Worte klangen von der hohen Wölbung wieder, jeder Ton prallte scharf zurück und hallte doppelt und dreifach in mein Ohr, bis er im dumpfen Gemurmel starb. –
Der Geistliche stand vor mir im röthlichen Lichte, das seinen Kopf umglänzte und ein seltsames Feuer über sein Gesicht warf. Er kam mir vor wie der Versucher, der erschienen war, um sein Opfer zu bethören. Die lange schwarze Gestalt stieg riesenhaft auf und sah mir mit listigen Augen bis ins Herz. –
Dem würdigen, treuen Sohn der Kirche, sagte er langsam, wird das Glück zu Theil werden, alles Unrecht zu versöhnen, und die schönste Frau mit allen Reichthümern dieses edlen Hauses zu gewinnen.
In diesen Augenblick unterbrach ein gellender Schrei seine Worte. Ein schmerzlicher, furchtbarer Schrei war es, welcher sich im nächsten Augenblick wiederholte. Ich wußte nicht, ob er aus dem Boden stieg oder von außen hereindrang, entsetzt starrte ich umher.
Um Gottes willen, was ist geschehen! rief ich aus. Es kam von oben aus dem Schloß.
Der Wille des Allmächtigen, rief Joseph, indem er meine Hand ergriff, hat so eben die Seele eines unschuldigen Kindes in seine Vaterhände zurück genommen. Der letzte Sprößling der Greifenstein ist todt; alle Wege ebnen sich für Sie, mein gnädiger Herr, erkennen Sie darin die waltende Vorsehung!
Ich eilte ohne Antwort aus dem Saal, hinter mir warf der Priester die schweren Eisenthüren donnernd zu.
Ich übergehe die nächsten Tage, welche größtentheils mir ziemlich einsam verliefen, denn Schloß Withelen war voll Trauer über den Tod des armen Kindes. Meine Cousine ließ sich wenig anders blicken, als auf Minuten, die mit Tröstungen und kummervollen Mittheilungen gefüllt wurden; der alte Baron saß einsilbig und verdüstert an dem Marmortisch, trommelte mit den Fingern auf seine Dose oder betete abwechselnd mit dem Kaplan, der seine geistliche und ärztliche Pflege zwischen ihm und der jungen Mutter theilte, die sich, leidenschaftlich ihrem Schmerze hingab. –
Graf Alieni war fast unsichtbar, er schwärmte in der Nachbarschaft umher, so blieb mir denn nichts als mein theurer Vetter Franz, dessen Gesellschaft mich eben so langweilte, als ungeduldig stimmte. Die Trägheit seines Geistes, die zu jeder ernsten Beschäftigung ihn unfähig machte, ließ nur der rohen Sinnlichkeit Raum, in der er sich mit Behagen umher wälzte.
Seine Unterhaltung war von der allerdürftigsten Art, sie beschränkte sich auf die gemeinen Abentheuer seines Lebens, wilde Gelage, Scenen der Völlerei und Ausschweifungen, unter denen eine Liebschaft mit einer Tänzerin in Wien, derentwegen er mit einem Kameraden ein Duell gehabt und einen Säbelhieb über den Kopf das von getragen hatte, den Glanzpunkt bildete. Wirklich schien die Gehirnerschütterung, die er damals erlitten, ihn um den Rest seiner Verstandeskräfte gebracht und den geistigen Cretinismus bei ihm zur Reife gebracht zu haben. Stunden lang konnte er sitzen und albernes Zeug schwatzen, oder die Finger um einander wickeln und gedankenlose Spiele treiben, bis seine thierischen Begierden aufwachten, denen er sich dann überließ.
Meine Versuche, auf ihn einzuwirken und ihn zu beleben, waren natürlich ganz fruchtlos. Ich werde es nicht vergessen, was er mir antwortete, als ich ihm von seiner glänzenden Zukunft, seinem Vermögen, seinen Aussichten und seiner Pflicht sprach, an eine passende Heirath zu denken.
Dummheiten! rief er, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. Ich will kein Weib, keinen Zwang, keine Fischbeinröcke. – Meine Schwester hat den alten hinkenden Narren geheirathet, und gebehrdet sich wie wahnsinnig über den Tod des Kindes, das ein Greis in Windeln war, wie Alieni sagt. Teufelskerl der Alieni! aber er hat Recht. Die Weiber sind alle falsch, eitel, anmaßend; mich versteht Keine, hol sie der Henker! Heute die Grete, morgen die Käthe, derbes Fleisch und gesunde Knochen, das ist eine andere Sache.
Aber die Gemeinheit kann Sie doch nicht Ihr Lebelang beschäftigen, sagte ich unwillig.
Was, Gemeinheit! erwiederte er, sind die Puppen in Steppröcken denn etwa besser? – Ich will Ihnen ein Mädel zeigen, Vetter, straf mich Gott! wenn Sie je so Eine zwischen Damasttapeten gesehen haben. Kommen Sie mit, ich sitze da stundenlang und unterhalte mich besser mit der Eva, als mit Gräfinnen und Prinzessinnen.
Sie können doch nimmermehr wünschen und wollen, der Adam dieser Eva zu werden, sagte ich.
Gut gesagt, Vetter, lachte er, doch wahrhaftig! es sollte mir nicht darauf ankommen, wenn sie wollte. Aber ich habe Respect vor der Dirne, sie läßt sich nicht ankommen und hat ein Wesen, wie man's nicht meinen sollte.
Es fiel mir ein, ihn auszufragen, und er erzählte mir nun, daß er fast alle Tage zum Meierhof hinaufreite und sich an den Reden und Antworten des raschen Mädchens belustige. Er ließ sich schelten, Wahrheiten sagen, bekam grobe Worte, wenn er unbescheiden wurde, aber er nahm Alles hin und fand Vergnügen an dem Trotz der jungen Bäuerin, die dafür in seiner Neigung und seinem Vertrauen stieg.
Seit einigen Tagen aber, vertraute er mir, sei es gar nicht mehr auszuhalten. Der alte wahnsinnige Mann liege besinnungslos und werde wohl nie wieder aufwachen, das Mädchen aber sei ein wahrer Drache, die es so arg mit ihm treibe, daß er nächstens sie zur Ordnung bringen werde.
Der brutale Ausdruck in seinem Gesicht und die Bewegung seiner Hand ließen mich errathen, was er meine, und allerdings hielt ich ihn fähig, jede Gewaltthat zu begeben.
Sie hat mir gesagt, daß ein Mannsbild ihr in's Herz geschlichen sei, rief er, ich möchte sie in Frieden lassen, sie wollte das Gerede der Leute nicht länger dulden. Ob's wahr ist, weiß ich nicht, aber wenn ich den Schuft finde, will ich ihm sagen, was es heißt, in meinem Gehege jagen gehen.
Ich lachte ihn aus, aber nun brach die ganze wüste Gemeinheit hervor, und ich hörte ihn Dinge äußern, die mich empörten, obwohl in damaliger Zeit, wo der Herr Alles thun konnte, was ihm beliebte, und arge Verbrechen selten oder nie Strafe fanden, wenn ein vornehmer Mann sie beging, es eben nichts Besonderes war.
Ich verließ ihn mit der Absicht, Eva zu warnen, und wo ich konnte, sie zu schützen; inzwischen war das Wetter bös geworden, finstre Wolken wälzten sich von den Gebirgen nieder, es regnete Tag und Nacht, die Bäche traten aus, dann und wann hallten mächtige Donnerschläge durch das Land, und mitten in einem dieser heftigen Gewitter wurde in Schloß Withelen unter Wehklagen und Thränen die Leiche des armen Kindes in die Gruft gesenkt.
Während dieser trüben Zeit war ich öfter in der Bibliothek, die mir leicht zugänglich wurde, da aus meinem Zimmer eine Thür in den Thurm führte, von wo ich unbemerkt in den Saal hinabsteigen konnte. Eine ängstliche Sehnsucht trieb mich an, dorthin zu schleichen, denn eine Stimme in mir rief mir unaufhörlich zu, daß ich finden werde, was ich suche; wenn ich jedoch vor dem Haufen von Büchern und Schriften stand, fiel mir der Muth, diese düstern und staubigen Massen zu durchwühlen. Ich starrte sie an mit den gierigen Blicken eines Verzweifelnden, forschte vergebens nach dem Compaß, der mich leiten könnte, und wenn ich da und dort ein Heft heraus riß, blätterte, die Stöße hastig durchwühlte und nichts fand, was irgend Aufschluß gab, faßte mich die ganze Fruchtlosigkeit meiner Mühen, bis ich mit Ekel und Aerger mich davon losriß. –
Dennoch begann ich immer wieder von Neuem, aber ohne den geringsten Erfolg. Ich wußte bald sogar nicht mehr, wo ich angefangen und was ich durchgesehen hatte. Die ungeheure Menge der Papiere, der Fächer und Abtheilungen verwirrte mich, und dabei plagte mich die Furcht, überrascht und gestört zu werden, in greller Weise. Bald glaubte ich, hinter dem Pfeiler oder in irgend einer Fensterecke einen Lauscher zu entdecken, bald war es ein Schatten, der mein Blut erhitzte, bald ein Geräusch, das mich erschreckte. Der kleinste Ton schallte in diesem weiten Gewölbe wunderbar und grauenhaft wieder, und mehr als einmal ergriff mich eine Art Geisterschauer, den mein böses Gewissen ausheckte.
Endlich aber war ich zur völligen Hoffnungslosigkeit gekommen. Ich sah ein, daß dies Suchen nichts fruchten könnte, und nur der glücklichste Zufall mich in Besitz der Papiere zu setzen vermochte, von denen nicht einmal mit einiger Gewißheit vorauszusetzen war, daß sie sich hier befanden. – War Greifenstein in ihrem Besitz gewesen, so hatte er sie wahrscheinlich vernichtet, und obwohl ich nicht daran zweifelte, daß er uns betrogen hätte, so drängten sich mir doch unwillkürliche Zweifel auf, ob es nicht möglich sei, daß er dennoch schuldlos gewesen, ob er nicht wirklich jene großen Forderungen mit Recht zu machen hatte.
Niedergeschlagen von diesem Gedanken stieg ich aus dem Gewölbe herauf und schwor es ab, mich ferner damit zu plagen. –
Die Regentage waren vorüber, die Abendsonne glänzte über die Höhen, der Wald lag duftig und grün vor mir, und einsam irrte ich durch die Laubgehege des Parks, nachsinnend über mein Geschick und entschlossen, ihm eine rasche Wendung zu geben. Ich hatte in diesen Tagen Zeit genug gehabt, mich oft der Worte des Kaplans zu erinnern, und in welchen verführerischen Bildern trat die Zukunft vor meine Seele! –
Es war mir vorgekommen, als sei der alte Baron freundlicher und zutraulicher zu mir als je vorher, und wenn ich mit Ulriken sprach, sah ich sie lange betrachtende Blicke auf mich richten, in denen zuweilen die ganze Stärke der Schwärmerei lag, die ich oft an ihr bemerkt hatte. Sie war durch den Tod ihres Kindes in eine fromme und demüthige Stimmung versetzt worden. Die Einsamkeit ihrer Trauer, ihre geistlichen Uebungen, ihre Gebete in der Hauskapelle, ihr täglich erneuter Schmerz an der Gruft, die sie mit Blumen und Thränen bedeckte, schienen mir freilich nicht geeignet zu sein, in ihren Gedanken auch Raum für mich zu haben, aber Joseph war viele Stunden mit ihr allein, und dieser schwarze, blasse Priester mit dem Gesicht von Stein war allvermögend und mein Beschützer. In seinem leisen Lächeln, in seiner Freundlichkeit und dem bedeutungsvollen Kopfnicken lagen Zeichen für mich, die ich zu deuten wußte. Dann und wann, wenn wir zusammen trafen, sagte er einige abgerissene Worte, die mich reizten und bewegten, und deren geheime Beziehungen mich wie Blitze durchzuckten. Aeußerungen des Barons, kleine Bemerkungen meiner Cousine wußte er geschickt mir mitzutheilen, daß meine Empfindungen und Träume sich wie Raubvögel daran festklammerten.
Als ich jetzt allein unter den Bäumen fortging, dachte ich an seine letzten Mittheilungen.
Die Frauen, hatte er lächelnd gesagt, sind am empfänglichsten für das Glück des Lebens, wenn sie unglücklich sind. Gefühlvolle Seelen suchen dann den Freund, der ihnen Trost und Ersatz bietet; sie retten sich aus dem Schmerze und der Leere der Verlassenheit an das Herz, das ihnen entgegenkommt, und sind dankbar für das Mitgefühl, das für sie sorgt und mit ihnen klagt. Graf Alieni hat sich wenig blicken lassen, um so mehr hat die Frau Baronin Ihre sichtliche Theilnahme bemerkt, die nicht minder den Herrn Vater eingenommen hat, und ich denke – hier drückte er leise meine Hand – Sie werden mir um meine Geschwätzigkeit nicht zürnen.
O, nein! lieber Vater Joseph, ich danke Ihnen herzlich dafür, rief ich erfreut.
Pst! sagte er, den Finger auf den Mund legend, es bleibt viel zu überwinden, aber ich bin Ihr ergebener Diener, mein gnädiger Herr. Die Arme der gnadenreichen Kirche öffnen sich dem Verirrten, wie die Arme der liebenden Braut dem edlen Bräutigam; so werden wir mit Hülfe der heiligen Jungfrau alle Widersacher und Nebenbuhler zu Schanden machen.
Im tiefen Nachsinnen schritt ich zwischen den Boskets fort und überdachte, die Arme gekreuzt, diese schmeichelnden einschneidenden Worte und Winke. Ulrike mein und mit ihr das ganze reiche Erbe mein! welche heiße Glut des Verlangens strömte in mein Herz und zuckte glühend durch alle meine Adern. Meine Fantasie zauberte mir die junge schöne Frau in allen ihren Reizen. Ich blickte in die dürstenden Augen, die eine Welt voll Seligkeit einschlossen; meine Hände zitterten, indem ich sie ausstreckte, um ein Luftbild zu umfassen. Ich sah mich zu ihren Füßen, umschlossen von ihren Armen, meine Stirn von ihren glänzenden Locken bedeckt, aber plötzlich ließ ich den Kopf tief sinken und ein Strom Eiseskälte schoß durch mein fieberisch brennendes Blut. Ein tödtender Gedankenblitz zertrümmerte alle diese entzückenden Träume, denn ich, der Protestant, der ich mit Ueberzeugung und angeborner, anerzogner Abneigung den katholischen Kirchen- und Priesterglauben als Feind aller Fortentwickelung des Menschengeschlechts betrachtete, ich sollte diese Braut verdienen durch Abfall von meinem innersten besseren Wissen und Gewissen, durch Verrath und Untreue an mir selbst, durch Unterwerfung gegen Rom und Wien. Ich sollte ein Apostat und ein Oesterreicher werden – unmöglich! Ich schauderte vor dieser Forderung zurück.
Mit erfinderischen Qualen plagte ich mich umher, und alle Einwürfe meines Herzens und meiner Ueberlegungen prallten wie an einer erzenen Mauer zurück. Vergebens stellte ich mir vor, wie viele weise, edle und ausgezeichnete Menschen jenem Glauben angehörten, wie leicht es sei, damit umzugehen, wie bequem es Jedem gemacht werde, der nur wolle, wie mit äußeren Formalitäten sich alles bedecken lasse, und wie zufrieden die Kirche sei, wenn man jenen nur genüge. Ein Schauder ergriff mich jedesmal von Neuem, wenn ich dachte, daß ich ein Heuchler sein und bleiben müsse, und um irdischen Besitz, um ein Weib Alles abschwören solle, was ich für wahr und recht hielt. –
Und dies Weib, würde sie mich darum lieben? Wäre meine Bekehrung allein der Grund, mir ihre Hand zu reichen, nicht ich selbst, nicht meine Liebe, die nur der Liebe wegen ihr Herz erfüllte: o! wie bald und wie schrecklich konnte es dann mit uns enden. –
Ich verhehlte mir nicht, daß Ulrike leichtsinnig, heftig und fanatisch sei, daß dieser mumienhafte listige Priester sie beherrsche, und wenn ich die übrigen Mitglieder der Familie betrachtete, den alten Baron, den ich für einen so gewissenlosen Schurken hielt, wie es je einen gab; den jungen Baron, der ein rohes verthiertes Wesen ohne alle Regung zum Besseren war; endlich den schlauen Alieni, der ein Netz von giftigen Fäden über dies Haus und über das ganze Land umher ausspannte: so fühlte ich den heftigsten Widerwillen und Ekel in mir erwachen.
Indem ich an der Taxushecke hinging, erblickte ich auf einer Bank ein Papier in Briefform, das meine Aufmerksamkeit erregte. Ich nahm es auf, es war ohne Adresse; als ich es aber öffnete, fand ich es beschrieben und erkannte die Handschrift des Kaplans. Schon die ersten Worte, welche ich las, erregten meine Neugier, und Niemand wird es mir verargen, wenn ich nicht aufhörte, bis ich Alles wußte.
»Sie machen mir Vorwürfe, Herr Graf,« lauteten die Zeilen, »daß ich Ihre Absichten durchkreuze, und lassen Drohungen fallen. – Abgesehen davon, daß ich diese nicht fürchte, ist es meine Pflicht, Sie aufmerksam zu machen, welche großen tiefgreifenden Veränderungen der Tod des unglücklichen Kindes hier hervorgerufen hat. – H. kann jetzt von Neuem Ansprüche auf Greifensteins Hinterlassenschaft erheben, denn jener große Prozeß wurde eben dadurch gewonnen, weil ein Erbvertrag der verwandten Familien angenommen und bewiesen wurde, ohne daß es den Verklagten möglich war, die Documente über die Aufhebung desselben herbeizuschaffen. Sie werden mir sagen, daß, so lange überhaupt jene Beweise fehlen, wenig geschehen könne, allein die Zeiten haben sich geändert, und wenn Gott und die Heiligen nicht geben, daß wir bald von einer ketzerischen Regierung befreit sind, so ist die Kaiserin doch zu gerecht, um offenbares Unrecht geschehen zu lassen.
Jedenfalls würde eine Erneuerung des Prozesses zu langem mißlichen Streit führen, ich darf Ihnen daher nicht verhehlen, daß diese Gründe auch den hochgebornen Herrn Baron geneigt machen, nichts dagegen zu haben, wenn die Liebe und eine Heirath diese trüben Aussichten vermittelte. – Ich spreche so kurz und bestimmt, Herr Graf, weil wir uns kennen, und weil ich weiß, daß Ihr energischer Geist nicht durch das Fehlschlagen einer Absicht gebeugt wird, die für Sie nur untergeordnete Bedeutung hat. Mündlich sage ich Ihnen mehr, jetzt nur so viel, daß auch die Frau Baronin, wie mir es scheint, mit Neigung sich dem vortrefflichen Vetter zuwendet, der so sichtlich ihr zu gefallen strebt.«
Unter diesen Zeilen war mit Bleistift von Alieni's Hand geschrieben:
»Ich lese in Ihren Planen, mein lieber Joseph, und wiederhole ihnen, was ich schon einmal sagte. Sie wollen zwei oder drei Fliegen auf einen Schlag schlagen; ich werde gar nichts thun, und doch sollen Sie zu Schanden werden. Dieser Vetter ist so ketzerisch, verderbt und nüchtern protestantisch, ein so ehrlicher Tropf und Narr von eiserner Zähigkeit, daß alle Schätze der Königin von Saba und diese selbst ihn nicht wankend machten. – Versucht Euer Heil, ich mische mich in nichts, und wenn es gelingt, will ich mit Freuden Euer Werk segnen und mich überwunden geben, der guten Sache wegen; wenn es aber nicht gelingt – und ich wette was Ihr wollt – so überlaßt ihn mir – ich will ihn dann auf meine Rechnung nehmen. Mit dem Prozeß ist es dummes Zeug, so lange die Beweise nicht da sind. – Hoffentlich sind wir bald so weit, wie wir sein können, und was Wien anbelangt, und die Gerechtigkeit der Kaiserin, so meine ich, soll er diese nie anzurufen nöthig haben.«
Meine rachedürstigen Blicke heftete ich auf diese letzten Worte, die ein Todesurtheil für mich zu enthalten schienen, aber bald kehrte die Besonnenheit zurück, und nach einiger Ueberlegung ließ ich das Papier genau wieder auf die Stelle fallen, wo es gelegen hatte.
O! er hat nur zu sehr recht, murmelte ich vor mir hin, indem ich durch die einsamen Wege des Parkes eilte. Die Narrheit ist bei mir so groß, daß ich um keinen Preis der Erde ein Elender sein könnte wie er. – Nein, nein! rief ich lauter, aber leichten Kaufs, verlaßt Euch darauf, leichten Kaufs sollt Ihr mich nicht verderben.
In diesem Augenblick erblickte ich Alieni, der mit dem Gewehr auf der Schulter den Hügel herunterkam, welchen ich eben emporsteigen wollte. – Auch er hatte mich gesehen, und rief mir von Weitem einen guten Tag zu. – Nach unserer Begrüßung, die von seiner Seite völlig heiter und unbefangen war, während ich unmöglich meine Empfindungen verbergen konnte, sagte er lächelnd:
Es scheint, mein theurer Freund, als ob der Jammer in diesem Schlosse Sie tiefer mit ergriffen hat, als ich denken sollte.
Während Sie, fiel ich ein, nichts davon zu tragen scheinen.
Bah! rief er, Jeder in seiner Weise. Man muß Philosoph sein, so viel man kann, und als Stoiker sich mit dem Menschenschicksal abfinden. Wangen, die heute blaß sind, werden morgen wieder roth, und um nicht Zeuge von Schmerzen zu sein, wo der Trost von selbst kommt, habe ich inzwischen meine Freunde in der Umgegend besucht und Jagd gemacht; allein ich bin ein unglücklicher Jäger, der nichts trifft.
Vielleicht weil das rechte Wild nicht da war, sagte ich.
Was zum Henker! rief er, glauben Sie, daß ich eine Art wilder Jäger bin?
Gewiß nicht, antwortete ich ihm, aber ich halte dafür, daß ein edles Wild allein Ihre Jagdlust so erregen kann, daß Sie alle Kunst darauf wenden, es zu erlegen.
Viel Dank für Ihre Meinung, erwiederte er, indem er mich mit einem forschenden Blick betrachtete, aus welchem der Spott leuchtete; aber sagen Sie mir jetzt, wie es in Withelen steht; seit zwei Tagen bin ich fort gewesen.
Sie werden es besser finden. Heut zum ersten Male sah ich meine Cousine wieder lächeln.
Und morgen wird sie lachen, übermorgen ein rothes Band aufstecken, wenn das schwarze ihr nicht besser steht, und in drei Tagen tanzen.
Denken Sie in solcher Weise von ihr? sagte ich.
Ich denke, wie man von den Weibern denken muß, rief er, und sage damit nichts, was beleidigen könnte. Was hier geschah, war seit Wochen vorauszusehen, aber unsere theure Freundin gehört nicht zu denen, die, um sich eines Volksausdrucks zu bedienen, mit einer schwarzen Milz geboren wurde. In ihren Adern läuft das Blut wie Quecksilber; ihre Gedanken fliegen diesem Blute nach, sie kommen und gehen, wie Kometenschweife. – Jung, reizbar, eine kleine Schwärmerin, flatterhaft, unbeständig, gläubig am Betpult und ungläubig an den Menschen, romantisirt sie sich das Leben und läuft den Erscheinungen nach, die sie sich jeden Augenblick schafft. So kann sie heut in Schmerzen vergeben, morgen in Freuden, heut lieben, was sie gestern verabscheute, um es nächstens wieder zärtlich zu verehren. Aber sie ist prächtig, entzückend! Ihre himmlischen Augen sind Sterne in einer Tropennacht, und ihr kleiner Kopf so voll Einfälle, Launen und Feuerfunken einer heißen Fantasie, daß sie verdiente, in Rom oder Neapel geboren zu sein.
Als ich schwieg, fuhr er fort:
Nun, Sie haben das selbst wohl beobachtet und werden es noch besser kennen lernen, als ich.
Wahrscheinlich ist es nicht, erwiederte ich, denn ich denke dies gastliche Haus bald zu verlassen.
Ist das Ihr Ernst? fragte er verwundert. – Sie sollten bleiben, fügte er dann nachdrücklich hinzu, indem er mich beobachtete.
Mein Aufenthalt ist ohne Ziel und überschreitet daher leicht das Ziel; auch rufen mich einige Geschäfte zurück.
Wohin? fragte er.
Vor der Hand nach Breslau.
So wollen Sie wieder in die Dienste des Königs treten?
Das ist meine Absicht nicht, es handelt sich um Familiensachen.
Wir gingen neben einander weiter, als Alieni plötzlich meine Hand ergriff und mit Lebendigkeit sagte:
Mögen Sie es glauben oder nicht, ich nehme den größten Antheil an Ihrem Schicksal, denn ich achte Sie als klugen und kenntnißreichen Mann. – Sie haben Welt und Menschen kennen gelernt, Schicksale erfahren, und Unglück erlebt; der übermüthige König hat Sie von sich gestoßen und von Ihrer Erfindung keinen Gebrauch gemacht. Ich weiß nicht, was Sie erfunden haben, aber jedenfalls ist es nichts Unbedeutendes oder leere Einbildung.
So mag es leicht scheinen, sagte ich. Ich habe einen Vorschlag gemacht, mit Hülfe erhitzter Dämpfe und durch die Kraft derselben die Wasserkünste in Sanssouci zu speisen, das Wasser so zu sagen den Berg hinauf zu treiben, und in einer Druckschrift bewiesen, daß durch Dampfkraft Mühlen und Schiffe in Bewegung zu setzen, und die schwersten Lasten zu heben seien. – Die Akademie in Berlin hat mich nicht verstanden, der König mich durch eine seiner kurzen Redearten abgefertigt, und kaum mag es Einen geben, der mich nicht für einen Narren erklärt, wie er das gethan hat. –
Eine bittere Empfindung preßte meine Lippen zusammen, um so mehr, da Alieni sich sichtlich kaum des Lachens erwehren konnte.
Ich verstehe nichts davon, rief er endlich, ob gekochtes Wasser solche Wunderdinge zu thun vermag, aber jedenfalls weiß ich einen Ort, wo man Sie nicht verhöhnen und beleidigen wird. Gehen Sie nach Wien, mein theurer Horn, ich stehe Ihnen dafür, man soll Ihre Anerbietungen nicht zurückweisen. Ich will Ihnen Thüren öffnen, hinter denen man weicher denkt, als der Herr Markgraf von Brandenburg, und ich verspreche Ihnen in jedem Fall die freundlichste Aufnahme und eine glänzende Anerkennung Ihrer Verdienste.
In eindringlicher und schmeichelnder Weise begann er dann mir alle Vortheile zu entwickeln, welche mir Oesterreich gewähren würde, wo man tolerant genug sei, bei dem talentvollen Manne nicht zu fragen, ob er Protestant oder Katholik heiße. –
Ich wußte freilich besser, welche Versuche man dort machte, um bei Protestanten einen Religionswechsel zu bewirken, und welche Mittel man anwendete, um die Widerstrebenden zu bekehren, aber ich schwieg und ließ ihn weiter sprechen.
Bedenken Sie das Alles, sagte er zuletzt, und glauben Sie, daß ich Ihr Freund bin, der gerne für Sie thut, was er vermag.
Und darf ich wohl diesen Antheil auf meine eigene Rechnung setzen, Herr Graf, erwiederte ich lächelnd, indem ich ihn anblickte.
Rechnen Sie das davon ab, rief er, was ich als Patriot thue, um Sie meinem Vaterlande und meiner gnädigsten Monarchin zu gewinnen. – Ich leugne es nicht, daß ich dies dringend wünsche. Trennen Sie sich von einem Räuberstaate, von einem Räuberchef, und kehren Sie zu Ihrem rechtmäßigen Landesherrn zurück. – Glauben Sie mir, fügte er langsam und mit Nachdruck hinzu, es wird jedenfalls das Beste für Sie sein; denn der Tag ist nahe, wo ein Stern auslöschen wird, den die bethörte Welt wohl für eine Sonne halten möchte, der aber nichts ist, als ein Irrlicht.
Ich bin Ihnen großen Dank schuldig, Herr Graf, sagte ich, allein ich habe Gründe, die mich veranlassen, Ihre Anerbietungen bestimmt abzulehnen.
Ach, Gründe! rief er überrascht, und Sie sagen das mit fester Ueberzeugung; wohlan denn, wie Sie wollen. – Vielleicht haben Sie Hoffnung, in anderer Weise und mehr in der Nähe Ihr Glück zu machen.
Ich bin kein Glücksritter, Herr Graf, erwiederte ich in strengem Ton und mit einem Ausdruck, der das Blut in sein Gesicht trieb.
Ohne Zweifel, nein, und ich habe kein Recht, nach Ihren Gründen zu fragen. Da fällt mir bei, daß der Tod des kleinen Greifenstein Ihnen Aussichten eröffnet, die zu Reichthümern führen können. Wenn Sie den Prozeß erneuern, Beweise beibringen, daß durch Familienvertrag die Güter auf Sie übergehen müssen, und die Mittel haben, den kostspieligen Streit durchzuführen, kann es merkwürdige Folgen haben.
Ich werde keinen Prozeß beginnen.
Also Vergleich, fuhr er fort; ich zweifle jedoch, daß Withelen sich willig findet. In Zeiten, wie diese, hält Jeder fest, was er hat, und wartet ab.
Das ist ein Wahlspruch, Herr Graf, den auch ich zu befolgen denke, fiel ich lachend ein. Wer kann wissen, was geschieht, was uns der nächste Tag schon bringen kann. Ich werde abwarten und mich meinem Genius überlassen.
Ein Blitz des Hasses brach aus seinen dunklen Augen, ein lauernder finsterer Blick, dem ein spöttisches Zucken seiner Lippen folgte.
Er sprach nicht weiter und einige Minuten lang herrschte Schweigen zwischen uns, als wir plötzlich in Walde das Schnauben eines Pferdes und Menschenstimmen hörten. Der Abend dämmerte bereits, wir blieben stehen und blickten forschend auf den Weg zurück, aber es währte einige Zeit, bis wir den Reiter entdeckten, der auf einem großen, langhalsigen Pferde um die Waldecke bog, und neben sich Niemand anders hatte, als Eva, die hochgeschürzt daherlief und mit dem Herrn lebhaft plauderte.
Als sie mich erblickte, sprang sie über den Weg, sichtlich erfreut, mich hier zu finden, und bot mir treuherzig die Hand.
Gelobt sei Jesus Christ! rief sie. Das ist der Gottesfinger, lieber Herr, daß ich gleich Euch auffinde; den ganzen Tag hab ich halt schon herunterlaufen wollen. Kommt morgen doch zu uns in den Hof, ich habe was abzuthun mit Euch; doch daß die Herrn da nichts Uebles denken, so hört, mein armer Großvater fragt ängstlich nach dem Gesicht, das ihm erschienen ist, und beschreibt es so genau, daß er Euch nur meinen kann. Er hat mehr Verstand wie seit langer Zeit, und ich meine, er hat was auf dem Herzen, denn er fragt immer wieder, und verlangt Euch zu sehen.
Sie sind ein Günstling des Glücks, mein Herr von Horn, rief Alieni lachend, die sprödeste Dirne im ganzen Lande läuft Ihnen nach und verlangt ein tête à tête. Aber wen hast Du denn da, Eva? Wer ist der Herr, dem Du so weit das Geleit gibst, Du kleine Hexe?
Ein fremder Herr, Gnaden, der vom Wege abgekommen ist. Ich hab ihm versprochen, ihn bis an die Landstraße zu begleiten.
Der Fremde war auf dem Nebenpfade langsam weiter geritten, ohne sich um uns zu kümmern, selbst ohne zu grüßen. Hinter dem Buschwerk am Wege, wo wir standen, mochte er uns für Landleute gehalten haben, als er aber Alieni sprechen und meinen Namen nennen hörte, hielt er sein Pferd an und wandte den Kopf nach uns um.
Wer ist es denn? fragte Alieni, der sich über die Unhöflichkeit des Fremden ärgerte.
Wenn Sie näher kommen wollen, will ich es Ihnen selbst sagen, rief der Fremde mit scharf klingender Stimme. –
Der Graf sprang über die Regenlöcher des Geleises, ich folgte ihm nach; aber vor Erstaunen und Bestürzung blieb ich mitten im Schmutz stehen, als ich dem Herrn ins Gesicht blickte. – Ein blauer Mantel mit kurzem Kragen hüllte seinen Körper ein, der nachlässig sich im Sattel nach uns hinwendete. Ein dreieckiger Hut mit goldener schmaler Tresse saß auf seiner hohen Stirn; sein Degen sah unter dem Mantelsaum hervor, und seine Reiterstiefeln, die mit Schlamm besprützt waren, gingen bis über's Knie herauf.
Als Alieni neben ihm stand, legte er die Hand an den Hut und beugte sich ein wenig zu ihm herunter. –
Ich denke, sagte er, Sie sehen jetzt wohl, daß ich zur Armee gehöre.
Der spöttische Ton, in welchem er sprach, empörte den stolzen Grafen.
Ihre Kleidung ist allerdings die eines Offiziers, mein Herr, erwiederte er.
Wie heißen Sie? fragte der Reiter ihn unterbrechend.
Alieni, sagte der Graf, überrascht von der befehlenden Art des Fragenden.
Alieni! rief der Reiter, und aus seinen blauen, glänzenden Augen flog ein scharfer, sonderbar höhnischer Blick über den Grafen, den er mit einem Lächeln begleitete. –
Es gab einen Grafen Alieni einmal in Mailand, der dort Gouverneur war.
Es war mein Vater, erwiederte der Graf.
Er wurde abgesetzt und ihm der Prozeß gemacht, wegen seiner vielfachen Erpressungen, fuhr der fremde Herr fort.
Wer sind Sie, Herr?! rief Alieni wüthend, indem er das Gewehr aufhob, und vor Zorn bebend eine Bewegung machte, als wollte er sich desselben bedienen.
In dem Augenblick faßte ich den Lauf mit beiden Händen und wand ihm die Waffe aus der Hand. –
Was wollen Sie thun, Graf! rief ich entsetzt, Sie wissen nicht –
Lassen Sie ihn, sagte der Reiter mit demselben kalten Lächeln. Geben Sie ihn das Gewehr zurück, ich werde ihm Façon lehren, wenn er keine hat.
Er streckte den Arm drohend unter dem Mantel hervor und richtete seine kleine Gestalt hoch in den Bügeln auf, indem er ihn starr und mit so furchtbarer Gewalt ansah, als wollte er ihn durchbohren.
Alieni konnte diesen Blick nicht ertragen, der eine Art bezaubernde Wirkung hatte: er murmelte etwas, das wie eine Entschuldigung klang, und trat einen Schritt zurück, als wollte er sich entfernen.
Es ist nicht meine Absicht gewesen, irgend jemand zu beleidigen, fuhr der Reiter fort, der sein Pferd weiter gehen ließ, ich erinnerte mich nur einer Thatsache und sprach sie aus. Sie heißen Horn? fragte er mich.
So ist mein Name.
Waren Sie nicht Offizier im Heere des Königs?
Ich habe den zweiten schlesischen Krieg mitgefochten.
Warum sind Sie ausgetreten?
Der Friede trieb mich an, mein Glück in der Welt zu versuchen.
Ach! richtig, rief der Fremde, und Sie haben sich da, wie Kolumbus, auf's Entdecken gelegt und eine Erfindung gemacht für den achten Schöpfungstag.
Mein Gesicht wurde roth, ich sah zu ihm auf, der Hohn in seinen harten Zügen empörte mich. –
Nun, fuhr er begütigend mit der Hand winkend fort, ich verstehe nichts davon. Ich bin Offizier im Stabe des Generals Winterfeld, der davon gesprochen hat. Das Corps marschirt hier in der Gegend durch, um Manöver zu machen, ich fuhr durch die Hohlwege, zerbrach meinen Wagen – es sind die nichtswürdigsten Wege, die sich denken lassen, man muß dafür sorgen, sie zu verbessern – endlich, kam ich, zu dem Meierhof, wo ich dies hübsche freundliche Mädchen fand, die sich erbot, mir ein Pferd zu leihen, und obenein durch den Wald auf den richtigen Weg zu führen, um nach Frankenberg zu gelangen. – Was ist das für ein Schloß da? fragte er, auf Schloß Withelen deutend, das an der Oeffnung des Waldes jetzt vor uns lag.
Es ist der Wohnsitz des Barons Withelen, sagte ich.
Sie sind ein Verwandter des Barons? fragte er, und ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: Sie sind alle Oesterreicher hier oben in den Bergen. Gut, ich habe nichts dagegen; aber es sollen Spione sich hier umhertreiben, Menschen von schlechter Conduite, die Intriguen anzetteln, Gesindel ins Land ziehen, Conspirationen machen, den Adel verführen und das Landvolk mit Hülfe der Pfaffen aufhetzen. Was wissen Sie davon?
Ich weiß nichts, erwiederte ich.
Am Ende weiß ich mehr davon, wie Sie! rief der Reiter mit seinem scharfen Lachen. – Nehmen Sie sich in Acht, Herr von Horn, Sie könnten hier noch andere Entdeckungen machen!
Mein Herr Offizier, sagte Alieni, der bis jetzt geschwiegen hatte, Sie sprechen Dinge über eine edle Familie aus, die Sie verantworten müssen. Ich lade Sie ein, in dies Schloß zu treten und dem Baron Withelen selbst Ihre Anschuldigungen zu wiederholen.
Wenn ich von Landstreichern und Gesindel sprach, erwiederte der Offizier im verächtlichen Tone, so habe ich den Baron nicht gemeint, sondern Andere, deren Hals längst für den Galgen reif ist. – Er mag sich hüten, ich kenne ihn! Für den Besuch in dem Schlosse danke ich, aber es kann sein, daß ich komme. Wo geht der Weg, Mädchen, den Du mich führen willst? Ist es dieser hier?
Ja, Gnaden, sagte Eva, der andere Weg geht ins Schloß.
Adieu, Herr von Horn, rief der Reiter; ich denke, wir werden uns wiedersehen; dem General Winterfeld werde ich von Ihnen erzählen.
Er legte die Hand an seinen Hut und nickte mir wohlwollend zu, indem er zugleich Alieni einen Blick zuwarf, so voll schneidender Verachtung und Strenge, daß ich davor erschrak.
Der Graf stand eine Minute lang stumm; wir sahen beide dem Offizier nach, der sein Pferd antrieb und laut mit dem Mädchen sprach, die neben ihm herlief. – Seine Stimme schallte noch lange durch den stillen Wald, als wir ihn nicht mehr sahen. Alieni blickte vor sich nieder, dann sagte er in seiner gewöhnlichen Weise:
Ich danke Ihnen, mein theurer Horn, daß Sie mich abhielten, diesen Elenden zu züchtigen. Aber wer war er? Kannten Sie ihn? Haben Sie je so etwas Brutales und Rohes gesehen? Das sind die Menschen, die in diesem Lande befehlen, und deren Wille allmächtig ist. – Hätte ich ihn dort im Schlosse gehabt, beim Himmel! er hätte es büßen sollen. Aber ich werde ihn wieder finden, dies Gesicht ist nicht leicht zu vergessen, es ist eine Aehnlichkeit darin, und wenn ich nicht wüßte –
Er sah mich mit seinen dunklen, flammenden Augen starr an und schien von einem Gedanken plötzlich wie vom Blitz berührt zu werden. Seine Blicke maßen den Weg, auf dem der Reiter verschwunden war; er hob das Gewehr auf, that einen kühnen Schritt und blieb wieder stehen.
Lassen Sie uns weiter, sagte er mit erzwungener Ruhe. Nach dem Wort eines alten Dichters bringt keine Ewigkeit die verlorenen Minuten zurück: aber neue Minuten, neue Stunden kommen, und jede will benutzt sein.
Eine unruhvolle Nacht war vergangen, als ich am nächsten Morgen vom hellen Sonnenschein geweckt wurde. Wie hätte ich schlafen können vor all' den Bildern und Gestalten, mit denen meine Einbildung sich beschäftigte! Nebelhafte Vorstellungen fieberten durch mein Gehirn, und bald waren es Alieni's forschende Augen, bald das spitzbübische Lächeln des alten Barons, bald Eva's treuherziges Gesicht, die gefährliche Nähe des Kaplans, oder die scharfe Stimme des Reiters im Walde, die ich zu sehen und zu hören glaubte. –
Die plötzliche Erscheinung des letzteren hatte einen verwirrenden Eindruck auf mich hervorgebracht. Ich konnte mich nicht getäuscht haben, ich erkannte ihn zu gut, denn ich hatte ihn zu oft gesehen. Und doch mußte ich jeden Augenblick wieder daran zweifeln; denn wie war es möglich, daß er hierher gekommen, ohne daß irgend ein Mensch etwas von seiner Anwesenheit zu wissen schien. –
Die verschiedensten Vorstellungen wurden von mir aufgenommen und verworfen, endlich hielt ich Alles für Täuschung, für Traum, bis ich Ulriken's helle Stimme zu hören glaubte, und ihr heiteres lächelndes Gesicht sah, wie es schelmisch durch die schweren Damastvorhänge meines Bettes schaute; ja ich glaubte noch immer nicht an mein Erwachen, als ich endlich in den Sonnenschein blickte und wirklich von der Terrasse herauf Worte vernahm, die Ulriken's Anwesenheit bezeugten.
Nach einer halben Stunde war ich beim Frühstück im Salon, aber ich war allein mit Withelen, der, wie gewöhnlich, in seiner lauernden Weise mit mir sprach, aufhorchend meine Antworten vernahm und unter seinem ewigen Lächeln Alles versteckte, was ihm mißfallen mochte.
Er erzählte mir, daß Ulrike heut zum ersten Male wieder ein ganz frohes Aussehen habe, daß das Recht des Lebens und der Jugend sich bei ihr geltend mache, und daß sie mit Alieni wahrscheinlich jetzt einen Spaziergang durch die Blumenpartien des Gartens nach der Höhe begonnen habe – Wahrscheinlich hatte er bemerkt, daß diese Nachricht mich nicht sonderlich erfreute, und Alieni's Name irgend eine Falte auf meine Stirn brachte; er neigte sich ein wenig zu mir hin und sagte ermunternd:
Gehen Sie ihnen nach, Vetter Johann, ich sollte meinen, auch Sie machten die Promenade gern, und beim Weltheiland! ich möchte wetten, Ulrike macht Ihnen kein böses Gesicht, wenn Sie kommen.
Sie ist zu gut, um unfreundlich gegen ihren armen Vetter zu sein, erwiederte ich, aber –
Nun, aber? fragte der Baron, als ich abbrach.
In Wahrheit, Baron Withelen, sagte ich, indem ich aufstand, ich muß fürchten, zu lange schon Ihr Gast gewesen und Ihnen beschwerlich geworden zu sein.
Mein theurer Johann, rief der alte Herr, was sind das für Worte? Sie sind ein lieber Gast in unserem Hause: ich will gewiß nicht hoffen, daß Sie die Absicht haben, uns zu verlassen.
Was könnte ich anders thun, als meinen Wanderstab wieder aufnehmen, Baron Withelen? Ich muß daran denken, mein Schicksal zu gestalten, meinem Leben irgend eine feste Form zu geben und es thätig und gedeihlich zu machen.
Und haben Sie neue Vorsätze gefaßt, neue Pläne entworfen? fragte er. Sind Umstände eingetreten, die Ihnen neue Hoffnungen geben?
Ich sah ihn fest an. –
Ich weiß nicht, mein theurer Vetter, sagte ich mit seiner eigenen Heuchelei, was mir neue Hoffnungen geben könnte; allein ich habe manche verständige Freunde, deren Rath und Hülfe mir jedenfalls bei Allem, was ich thue, gewiß ist.
Diese Worte machten mehr Eindruck, als ich dachte. Er betrachtete mich mit dem Ausdruck eines Menschen, der auf dem Punkt steht, aus seiner Rolle zu fallen und sich wieder darauf besinnt.
Glauben Sie mir, Vetter Johann, sagte er, Ihre besten Freunde wohnen in diesem Hause, und – beim Weltheiland! Sie dürfen nicht fort, ohne Sünde an sich selbst zu begehen. – Ich habe Sie liebgewonnen, Franz ebenfalls, und was Ulrike betrifft – er lächelte mich mit seinem feinsten Lächeln an – gehen Sie hin, Vetter Johann, und hören Sie selbst, was sie sagen wird, wenn Sie ihr mittheilen, daß Sie uns verlassen wollen. Ich sage nichts mehr, aber ich habe lange darüber nachgedacht, wie am besten die verwirrten Fäden zu lösen sein möchten, die ein unglückliches Verhängniß um unsere Familien geschlungen hat und – wie jetzt die Sachen stehen – ich läugne es nicht – wie Ihre Bekanntschaft auf mich gewirkt hat, und wie unser ehrwürdiger Freund, Vater Joseph, der Sie besonders achtet und schätzt, Ihr Herz erforschte, so wünschte ich, daß Sie immer bei uns und mit uns sein möchten. Reden Sie kein Wort weiter, fuhr er fort und hob abwehrend die Hand auf, keine Auseinandersetzungen, mein Vetter; gehen Sie zu Ulriken, erklären Sie sich dort, jagen Sie den Alieni fort, es wird nicht viele Mühe kosten, und dann kommen Sie zu mir, dann wollen wir uns verständigen.
So von ihm entlassen, war ich gewiß, daß er einer Heirath zwischen uns nichts entgegen setzen würde, und doch lag in seinen Augen die Falschheit, und in seinem Herzen ohne Zweifel der aufrichtige Wunsch, daß irgend ein Dämon mich unterweges vernichten möchte. –
Aus Furcht vor meinen Ansprüchen an die reiche Erbschaft Greifensteins, die er ohne Weiteres in seine Tasche gesteckt hatte und mit der er nach Belieben schaltete, – denn Ulrike überließ ihm die Sorge des Besitzes, – bequemte er sich ebensowohl zu dem fatalen Gedanken, mich als seinen Schwiegersohn zu betrachten, wie Josephs Vorstellungen und Ueberredungen ihn dazu bestimmten, und vielleicht tröstete er sich im Geheimen mit der Betrachtung, daß ich jedenfalls lenksamer und gefügiger sein würde, als der herrische, schlaue Graf, dessen Ueberlegenheit er schon jetzt oft genug empfand, und welcher in der Folge leicht noch weit weniger Umstände machen konnte.
Während ich ging, schwebte mir wiederum lebhaft das Verhältniß vor, in welches ich gerathen mochte, und vor mir öffnete sich der Abgrund einer gränzenlosen Abhängigkeit, die unmöglich zu ertragen war. – Wie ein edles Roß in die Zügel knirscht und in Wuth seinen Bändiger abschüttelt, so fühlte ich eine grimmige Gluth im tiefsten Herzen bei dem Gedanken, hier der Spielball eines Priesters, dort eines alten Geizhalses zu sein, denen ich mich für ein schönes Weib verkauft hatte, das sie gemeinsam auf mich los ließen. –
Ich trug die Ueberzeugung mit mir, daß ich glücklich sein konnte, wenn ich wollte, aber wie lange sollte dies Glück dauern?! Ich sah den flüchtigen Traum vor mir vorüberschweben in düstre sternenlose Nacht, und wenn die Liebe diese Fernsicht findet, ist sie dann wirklich noch, was sie sein soll: die sinnverwirrende Gottheit, der nicht umsonst eine Binde die Augen bedeckt?
Aber doch schlug mein Herz in stürmischen Schlägen, als ich plötzlich am Eingange eines dichten Jasmingeheges die erblickte, um welche ein furchtbarer Kampf in mir stattfand. – Sie saß auf einer Marmorbank, den Kopf in den Arm gestützt, anscheinend in tiefem Nachsinnen. – O! wie schön sie war! – Ein schwarzes faltiges Kleid umfloß sie ganz, ihr Haar ohne den unschönen Puder, ohne Zwang und Kunst, fiel in reichen Wellen auf Nacken und Stirn; das Sonnenlicht, von dem Geblätter abgehalten, bewirkte eine goldige Dämmerung, die sich reich und schimmernd an dies reizende Gesicht schmiegte.
Ich betrachtete sie einige Minuten lang, während ein Strom heißer Leidenschaft in mir aufquoll und mich betäubte. Sie bemerkte mich nicht, oder wollte mich nicht bemerken.
Ulrike! sagte ich endlich leise, und plötzlich hob sie den Kopf auf. Ein Lächeln der Freude lief durch ihre Züge, ein Strahl ihrer großen heißen Augen brach durch die edlen Schleier der langen Wimpern; es kam mir vor, als hing eine Thräne daran, und ehe ich wußte, was ich that, im Vergessen, im jähen Aufgeben aller Vorsätze, im wilden Sprung von Denken zum Empfinden, lag ich zu ihren Füßen, bedeckte ihre Hände mit meinen Küssen, schlang meinen Arm um ihren Leib, und hielt sie an meiner Brust mit jener seligen Wonne des Himmels, die kein sterbliches Wort beschreiben kann.
Noch werden meine Augen dunkel bei der Erinnerung an diese Minute des reinsten, höchsten Glückes. Wer sie nie erlebte, weiß nichts von der Göttlichkeit, die ein Menschenleben enthält; solche Augenblicke wiegen viele Leiden auf. Es ist das Glück der Erde, wie es der Sterbliche nur einmal empfindet, und ich trank diesen Becher mit einen Male aus, bis auf den letzten Tropfen.
Du tödtest mich! flüsterte sie endlich, laß mich athmen, laß mich – sie richtete sich auf und strich die Locken von ihrer Stirn, indem sie mich betrachtete und ihre Hände auf meine Brust legte. – Ach, Johann, mein ungestümer Vetter, so kalt wie Eis von der Koppe, ruhig wie ein windstilles Meer und jetzt so plötzlich Gluth und Sturm mit Blitz! rief sie mit der unwiderstehlichen Schelmerei, die sie so reizend machte; welcher Gott hat dies plötzliche Wunder bewirkt?
Der mächtige Gott, sagte ich, der Himmel und Erde schuf, der Gott, dem alles Leben gehört. Meine liebe, theure, geliebte Ulrike; ach! ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich habe keine Worte dafür, ich fühle nur ein Verlangen, Dir ewig zu sagen, daß ich Dich liebe.
Und wieder vergingen Minuten ohne Worte, endlich voll zärtlicher Namen und Geflüster, bis nach und nach das ruhigere Bedenken wiederkehrte. Ich erzählte ihr, was der Vater gesagt, wie er mich zu ihr gewiesen, mein Geschick in ihre Hände gelegt habe, und sie hörte lächelnd zu und sagte dann:
Er wußte wohl, wie ich entscheiden würde, denn Joseph hat ihm mitgetheilt, wie ich denke, und halb und halb hat er heute früh selbst es von mir gehört.
Der Name des Kaplans rief die erste widerwärtige Empfindung in mir auf; mein Gedächtniß kehrte zurück, die Verabredung war mir fatal, aber Ulrike legte in diesem Augenblick ihren Arm um meinen Hals und sah mich mit siegglänzenden Blicken an. –
O! rief sie lachend, was wird er sagen, wie wird er vernichtet sein, wenn er hört, daß alle seine Prophezeihungen eitel Schaum und Rauch gewesen sind.
Wer? fragte ich erstaunt.
Alieni, fuhr sie fort. – Wissen Sie, Vetter Johann, daß er hier auf der Stelle, wo wir sitzen, vor einer halben Stunde mir bei allen Heiligen schwor, daß Sie mich nicht liebten, nie lieben würden, nie mein Gemahl sein könnten. Er bildet sich ein, selbst einigen Gefallen an meiner kleinen Person gefunden zu haben, und rief, wie ein Schauspieler, er würde sich todtschießen, wenn er glauben könnte, mich zu verlieren; allein er wisse gewiß, daß er es nicht nöthig habe.
Er wird es nöthig haben, früher oder später, sagte ich erbittert.
Nicht doch, er wird leben bleiben und sich trösten, fiel sie ein, aber Spott und Schmach über ihn für seinen verwegenen Zweifel.
Ich deckte die Hand auf mein Gesicht, denn ich fühlte, daß ich erblaßte. – Alieni hatte ihre Eitelkeit gereizt, ihre Gefallsucht aufgeregt. Sie feierte einen Triumph über ihn. Indem sie mich zu ihren Füßen sah, dachte sie an ihn, und wenn sie den Einflüsterungen des Priesters und ihres Vaters nachgab, sah sie nichts in meiner Liebe, als die wüste Begier nach Genuß und Besitz, welche Herkules an den Spinnrocken brachte, und so manchen Mann zum unterthänigen Werkzeug der schnödesten Weiberlaunen macht.
Er hat sich getäuscht in uns, sagte ich, und ich hoffe, mein liebster Schatz hat ihm die Täuschung benommen. – Sagen Sie mir, theuerste Ulrike, was Sie ihm auf diese unverschämte Erklärung antworteten.
Aufrichtig, erwiederte sie, ich war wenig zu einer ernsthaften Antwort aufgelegt. Sie werden sehen, rief er mir zu, als er forteilte, weil wir Ihre Schritte hörten, daß Ihr kaltblütiger Vetter seine Liebe als ein Rechenexempel betrachtet, und an dem schrecklichen Facit zu Grunde geht.
Was meinte er damit? fragte ich verwirrt.
Kurz und gut, Vetter Johann, er traut Ihrer Liebe keine Leidenschaft zu, keine Opfer, wie er sagt, und glaubte in seiner Thorheit, daß Sie die Bedingungen nicht annehmen, unter denen ich Ihnen allein meine Hand reichen kann.
Welche Bedingungen werden mir denn gestellt? sagte ich mit gewaltsamem Lächeln. Es kann, wie ich denke, nur die Bedingung sein, Sie ewig zu lieben, und diese gelobe ich treu zu erfüllen.
Ich nehme es an, erwiederte sie, und mit neuem Feuer zog ich ihre Hände an meine Lippen; die übrigen Bedingungen sind ihnen bekannt, mein zärtlicher Freund: der ehrwürdige Joseph sowohl, wie eigentlich ich selbst, wir haben Sie damit schon genugsam unterhalten.
Als ich fragend zu ihr aufblickte, fuhr sie unbefangen fort:
Nun; es versteht sich von selbst, daß mein Gatte und Herr weder im falschen Glauben verbleiben, noch preußische Sympathieen im Herzen tragen darf. Diese werde ich ihm austreiben, für jenen hat unser Vater Joseph zu sorgen, und, lieber theurer Johann, dieser Gedanke entzückt mich: Eingehend durch die Thore der Seligkeit, zurückgeführt in den heiligen Schoß der Kirche durch mich, will ich mit meinem Glauben und meiner Liebe Ihr ganzes Wesen durchdringen, und alle Versuchungen des Bösen unmöglich machen.
Das schwärmerische Feuer ihrer Blicke, die plötzlich von irdischer, leichtsinniger Lust zu gläubiger Begeisterung übersprangen, zeigte deutlich, was Joseph sie gelehrt hatte.
Ich legte den Arm sanft um sie, und meine ernsten Mienen, meine traurigen Augen machten sie bestürzt.
Was ist es denn? rief sie aus; was geht in Ihnen vor, Johann? Maria Joseph! wie sehen Sie mich an!
Wie ein Sterbender, sagte ich den Kopf senkend.
Aber ich, fiel sie ein, und mit Innigkeit drückte sie mich an sich, ich wecke Sie zur Auferstehung.
Wollen Sie das? o! willst Du das? rief ich voll Schmerz, so höre auf mich zu vernichten. – Bin ich es denn nicht selbst, geliebte Ulrike, dem Sie Herz und Hand reichen wollen; ich – ich mit meinem Geist und Körper, mit Allem, was mein Wesen ausmacht; muß es der Protestant oder Katholik, der Preuße oder Oesterreicher sein? Ach! das heißt die Liebe in den Staub der Erde ziehen, das heißt, ihr den schönen Schimmer der Göttlichkeit abstreifen und ihr das Büßerkleid anlegen, das heißt sie schlachten auf den Altären der Götzenbilder der Menschen und elenden Handel mit dem todten Leibe treiben.
Je länger ich sprach, je mehr verdunkelte und entfärbte sich ihr Gesicht. Aus dem Blick der Liebe wurde ein Blick des Zorns, des Hohns und der Verachtung, und doch versuchte sie das Lächeln auf ihren Lippen festzuhalten und mit versöhnendem, verführerischem Tone mich zur Besinnung zu bringen. –
Ich verstehe Sie nicht, lieber Johann, sagte sie, den Kopf bedenklich schüttelnd, indem sie mich betrachtete, und möchte glauben, daß Sie Visionen haben. – Es ist unmöglich, daß Sie annehmen könnten, ich würde einen Protestanten heirathen, der mich vielleicht eines Tages nach Berlin führte, um in dieser Stadt voll Ketzerei und Barbarei meine Bekehrung zu vollenden. – Ich hasse die Protestanten und die Preußen mit gleicher Stärke, Beides fällt bei mir zusammen, und mein Vater, mein Bruder, meine ganze Familie können Sie denken, daß dies alte edle Haus, das ein Jahrtausend lang treu bei seinem Glauben und seinem Fürsten gestanden hat, seine letzte Tochter einem Ketzer geben werde?! – Nein, mein Vetter, Sie sind ein kluger, kaltblütiger Mann, Sie werden so thörichte Vorstellungen nicht gehabt haben, und wenn Sie wirklich solchem Wahn anhingen, so hat ja Vater Joseph Sie belehrt. Was ist es also? Was wollen Sie? – Hier stehe ich und biete Ihnen meine Hand, mein Herz, meine ganze arme kleine Person und Alles, was ich bin und habe. Wählen Sie, Johann; wenn Sie mich lieben, muß diese Wahl leicht sein.
Ich stand stumm vor ihr, und so betrachteten wir uns eine Minute lang Auge in Auge, bis sie einen raschen Schritt zur Seite that und mit stolzem Tone sagte:
Alieni hat also doch Recht! Sie haben mich nicht geliebt und können mich nicht lieben. Das, was Sie besitzen möchten, bin nicht ich, sondern – die reiche Erbin!
Ist es so weit mit uns gekommen, rief ich empört ihr nach. O, hören Sie noch einen Augenblick, Ulrike. Wenn es so wäre, wie Sie sagten, was hielte mich davon ab, Ihnen dies ganze Erbe zu entreißen? Nicht Ihnen gehört nach dem Tode Ihres Kindes das reiche Gut mehr, das der Elende, dem man Ihre Jugend geopfert, hinterlassen, sondern mir, den er um Alles betrogen hat. Ich bin der rechtmäßige Besitzer, und weil Ihr Vater dies weiß, weil Ihr schlauer Priester dies sich sagt, darum sind Beide unserer Verbindung so willfährig. Sie sehen, fügte ich dann kälter hinzu, daß ich keine Ursache habe, nach der reichen Erbin zu trachten, und wenn Bedingungen gemacht werden sollten – nun Cousine Ulrike, so glaube ich beinahe, ich würde sie machen können!
Ich ging rasch den Baumweg hinab und ließ sie bleich und erschrocken zurück. Einen Augenblick schien sie mich aufhalten zu wollen, aber sie ließ die Hand sinken, und als ich zurückblickte, sah ich sie noch immer an derselben Stelle stehen.
Die Vorwürfe, welche ich mir selbst über meine Unzartheit machte, kamen zu spät, allein ich athmete leichter, als ich in die verschlungenen Pfade des Waldes gelangte und die reine frische Bergluft in meine heiße Brust drang. Mehrere Stunden irrte ich auf und ab, um Fassung und Entschlüsse zu gewinnen. –
Dies Gewebe mußte zerrissen werden; o mein Gott, ja, ich fühlte den heißen Schmerz vernichteter Hoffnungen; ich empfand den schönen Wahnsinn der Leidenschaft noch in meinen krampfhaft zitternden Fibern, und der Gedanke an das, was ich aufgeben mußte, rollte mit Donnerschlägen durch mich hin; doch mit jeder Minute wurde die Stimme mächtiger, welche mir sagte, daß ich recht gehandelt habe. –
Jetzt mußte ich das Schloß verlassen; ich mußte fort, und wohin? – Es war gewiß, daß ich einen Prozeß mit der Familie Withelen beginnen konnte, allein Jahre mochten darüber hingehen, und wenn ich wirklich die großen Kosten, welche ein solcher Streit erforderte, durch Wucherer aufbrachte, so war der Ausgang doch immer zweifelhaft genug. Mehr aber noch drohte der Ausbruch eines neuen Krieges; denn was ich von Alieni gehört und durch einzelne Aeußerungen des Hasses erfahren hatte, berechtigte mich, an eine große Verschwörung zu glauben, die sich gegen den eroberungssüchtigen König richtete, und wenn Schlesien wieder in die Gewalt Oesterreichs fiel, so konnte ich sicher sein, mochte es kommen wie es wollte, zu den Vernichteten zu gehören. –
Darum war es besser, das Schicksal gar nicht zu versuchen. Ich wollte fort aus diesem Lande, ich wollte es vergessen mit Allem, was darin war. Ein Abscheu und Ekel gegen die Schlechtigkeit dieser Menschen, gegen die Gemeinheit ihrer Absichten, gegen die Nichtswürdigkeit ihrer Intriguen empörte mich, und ich gelobte mir, daß dieser Tag der letzte sein sollte, den ich mit ihnen verlebte.
Plötzlich hörte ich Stimmen und sah Alieni an dem Kreuzwege stehen, wo gestern der fremde Reiter von uns sich trennte. Er war nicht allein; drei Männer mit Gewehren bewaffnet und von wildem Aussehen standen vor ihm und hörten aufmerksam, was er sagte. Ich konnte nichts verstehen, er sprach sehr leise. Gern hätte ich mich entfernt, aber einer der Kerle hatte mich bemerkt, und mit verdächtiger Bewegung riß er seine Büchse vom Boden auf und fuhr mit der Hand an den Hahn.
Alieni sah sich um, und ein teuflisches Lächeln lief über sein finsteres Gesicht; dann flüsterte er seinen Gefährten einige Worte zu und erwartete mich. Eine schreckliche Ahnung zuckte in mir auf, was sollte ich jedoch thun? Es blieb nichts übrig, als alle Furcht zu verbannen und so unbefangen wie möglich zu sein.
Wir begrüßten uns höflich, Alieni scherzte über mein einsames Umherstreifen.
Sie sind in demselben Fall, Herr Graf, sagte ich.
Nicht doch, erwiederte er, ich bin weder verliebt, noch zu poetischer Träumerei geneigt. Sehen Sie hier diese wackeren Jäger des Barons hatten mit mir eine Conferenz über eine Jagd, die wir gemeinsam beabsichtigen.
Ich betrachtete diese Jäger und empfand einen tiefen Schauder. Es waren Galgengesichter der schlimmsten Art. Ihre starkknochigen Körper steckten in schmutzigen, blaugrauen Leinenkitteln; der Eine trug eine zerrissene Uniform darunter, breite Kappen von grobem Filz machten ihre braunen, trotzigen Züge noch unheimlicher, und ihre breiten Nasen und wild herabhängenden Haare deuteten die böhmische Czechenrasse an.
So wünsche ich Ihnen guten Erfolg, sagte ich, indem ich mich anschickte, weiter zu gehen.
Danke, mein theurer Horn, erwiederte Alieni, aber halt! warten Sie einen Augenblick.
Er zog einen zusammen gefalteten Papierstreif aus seinem Taschenbuch und reichte ihn mir. Da habe ich ein zärtliches Briefchen für Sie, sprach er, das Ihre getreue Freundin, die Dame von der Mühle, mir auf's Gewissen gebunden hat.
Eva? fragte ich.
Allerdings, Eva, rief er lachend. Nehmen Sie sich in Acht, mein Freund, daß man in Schloß Withelen nichts von diesen pikanten Einladungen hört; auf meine Ehre! ich beneide Sie, und bedaure zugleich den armen Baron, der in Verzweiflung sein wird, wenn er erfährt, wem das artige Schätzchen Briefchen schreibt.
Ich hatte den Inhalt des Zettele gelesen, der nicht enthielt als die Worte:
Kommen Sie, gnädiger Herr; im Namen Gottes bitte ich, kommen Sie zu meinem armen Großvater.
Die Worte waren deutlich und sogar zierlich geschrieben, was damals, wo die vornehmsten Damen häufig nicht einen Buchstaben schreiben konnten, um so wunderbarer war.
Sie werden nicht glauben, Herr Graf, sagte ich, daß ich irgend ein Verhältniß mit dem Mädchen habe.
Gewiß nicht, fiel er ein, wenigstens kein Verhältniß, das ein Cavalier mit einer Bauerdirne nicht haben dürfte. Aber bei allen Heiligen! ich glaube, Baron Franz wäre toll genug, sie zu heirathen, wenn sie ihn möchte, und stolz genug trägt sie den Kopf dazu. Nun, guten Appetit, lieber Herr; ich hoffe, Sie erfüllen alle Wünsche dieser Eva und fürchten sich nicht vor dem Sündenfall und dem Cherub mit dem Flammenschwert.
Sein Spott wurde von Gelächter begleitet, und da ich weiter nichts thun konnte, zuckte ich die Achseln und entfernte mich, aber ich that es nicht ohne Besorgniß, denn ein Gefühl begleitete mich, als werde plötzlich etwas Entsetzliches mich treffen. Bei jedem Schritt glaubte ich, eine Kugel werde mich todt niederstrecken.
An der Waldbiegung sah ich zurück, die Männer waren verschwunden. – Ich hatte von den Räuberbanden gehört, die das Land durchschwärmten, und zweifelte nicht daran, daß diese Diebesgesichter zu ihnen gehörten. – Was wollte Alieni mit den Mordgesellen? Was hatte er vor, und wem galt diese Jagd? –
Es gilt mich! murmelte ich, es gilt mein Leben! und mit wilder Hast, als wäre der Verfolger hinter mir, eilte ich vorwärts, bis ich kälteren Blutes überlegte, daß ein Mord hier im Park unmöglich in der Absicht Alieni's liegen könne.
Nach einiger Zeit sah ich die Schlucht vor mir liegen, an deren Rande die Mühle stand, und unter dem Vordache des Hauses erblickte ich Eva, die spähend auf den Weg hinabschaute, als ich näher kam, aber mit freudigem Gesicht mir entgegen lief.
Maria – Joseph! rief sie, wie hab' ich gewartet, Gnaden; aber ich wußte, daß Sie kommen würden.
Ich habe so eben von dem Grafen Alieni Deine Einladung erhalten, erwiederte ich.
Vor dem Hütet Euch, jagte Eva, der ist böse. Eine ganze Stunde war er hier und fragte mich aus über den fremden Herrn von gestern; was er gesagt, wie er sich benommen und was ich sonst wohl gehört hätt'. Dann fragte er auch nach Ihnen, Gnaden, und seinen falschen Augen merkte man's an, daß keine gute Absicht in ihm war. Er wollte wissen, ob Sie öfter uns besuchten, was der Großvater denn gesagt, und ob ich – nun ja, schaun's an, ob ich nicht noch mehr Verlangen hätt', als der verwirrte Mann.
Ich hoffe, Eva, Du hast ihm geantwortet, wie es Dir ums Herz war.
O! freilich hab' ich, rief sie. So listig der Herr ist, mich bethört er nicht; gar nichts hat er erfahren, als allerlei Bocksstreich', die ihn wurmten. Ich sah es ihm an, wie er sich ärgerte über mein Lob, und nun lobt ich und pries ich Euch, Gnaden, so viel ich konnte, und gab ihm dann den Zettel auf den Weg, den er richtig zu bestellen versprach.
Er hat es gethan, und mit Verwunderung habe ich gesehen, wie gut Du zu schreiben verstehst.
Das habe ich vom Großvater gelernt, sagte sie, der ein Meister in der Schreibkunst war und die Buchstaben zu machen verstand, wie man es haben wollte.
Das heißt, er konnte jede Handschrift nachahmen, fragte ich.
So gut, Herr, daß Niemand es unterscheiden konnt', und Jeder schwören mochte, er habe es selbst geschrieben.
Ha! rief ich, die Hand an meine Stirn pressend, so muß es sein.
Was muß so sein, lieber Herr? fragte das Mädchen erschrocken.
Führe mich zu ihm hin, fuhr ich fort; Du sagst, er habe mir etwas zu vertrauen?
Das hat er, ich denke mir's, Gnaden. Der Irrsinn scheint von ihm gewichen, aber er ist wie ein Licht, das auslöschen will, und immer wieder aufglimmt: – Er hat gesagt, es sei eine Gestalt bei ihm gewesen, die er deutlich erkannt habe, und als ich Ihren Namen nannte, krampfte er die Hände zusammen und die Augen traten ihm weit hervor; so fiel er rückwärts über. Ich meinte, es sei Alles aus mit ihm, allein er erholte sich und lag zwei Tage lang ganz still unter Seufzen; nur manchmal murmelte er etwas, und dann kam eine große Angst über ihn. Er rief um Erbarmen, und flehte um Hülfe, und ächzte und stöhnte, bis er wieder in sein Hinbrüten fiel. – Gestern wacht er auf und sagt deutlich: Hör', Eva, laß den Herrn von Horn zu mir bitten. Er ist unten im Schloß, ich weiß es, und es ist gut, wenn er bald kommt.
Da kam der fremde Herr ins Haus, der Offizier, dem der Wagen zerbrochen war, und ich konnt' nicht fort. Ich erzählte ihm die ganze Geschicht' her, die mich drückt, und er fragte über alle Ding', die sich zugetragen, und über Leut' und Land, der Kreuz und Quer. Es war ein seltsamer Herr, man konnt' sich vor ihm fürchten. Endlich gab ich ihm unser Pferd, und das wollt' er wieder schicken, aber bis zur Stund' ist es noch nicht geschehen, und nicht ein schön Dank hat er gesagt, wie wir auf der Landstraße waren, sondern bloß gefragt, wie ich heißen thät, und dann fort war er.
Hat er auch nach mir gefragt? fiel ich ein.
Freilich hat er, und ich sag ihm, was ich wußte, und daß Ihr der Beste wärt da unten im Schloß, wo sie Alle nichts taugen. Als ich aber spät Abends zurückkam, fand ich schlimme Gäste im Haus. Wüste Menschen mit Gewehren, ich weiß nicht, waren es verlaufene Soldaten oder Räuber, die Trank und Speise begehrten, und wohl mehr gefordert hätten, wenn nicht ein großer Kerl dabei gewesen wäre, der in böhmischer Sprache sie ermahnt hätte, ruhig zu sein. Ich verstand ein Bissel davon, und hört ihn sagen, sie müßten's thun, der Graf hätt' es ihnen streng befohlen. So zogen sie denn endlich ab und ich konnt' nach dem Ahnen sehen, der immer wieder aus seinem Schlaf aufwacht und wissen wollte, ob Sie noch nicht da seien?
Arme Eva, sagte ich mitleidig, Du hast viel Noth zu tragen.
Es muß so sein, erwiederte sie mit muthiger Stimme, aber ihre Augen glänzten feucht. Es ist ein hartes Leben, lieber Herr, doch ich bin's gewöhnt und weiß, es geht nicht anders.
Sie öffnete die Thür und wir traten in das Haus.
Wo ist der Großvater? fragte ich.
Auf dem Bett in der Kammer, erwiederte sie. Gehen Sie hinein, Gnaden, ich denke, es ist besser, wenn ich im Hause schaffe.
Bei dem Blick, den ich auf sie warf, sah ich ihr Gesicht mit heller Röthe bedeckt und in ihren Augen große Thränen. –
Was hast Du, liebe Eva? sagte ich bewegt, ihre Hand fassend.
Lieber Herr, stammelte sie, ach! Mutter Gottes, steh' mir bei! Was es auch sein mag, Gnaden, was er auch verschuldet hat, vergeben Sie ihm auf seinem Todbett.
Sei gewiß, sagte ich voll Rührung, daß ich vergeben will, mag er es auch sein, der meine Familie ins Verderben brachte.
Sie wandte sich ab, und leise trat ich in die Kammer, deren Fenster mit einem Tuch verhängt war. –
Auf dem Bett lag der Greis entsetzlich abgezehrt mit geschlossenen Augen. Ich setzte mich an seine Seite und betrachtete ihn voll schmerzlicher Empfindung; aber je länger sein Schlaf dauerte, je unhörbarer seine Athemzüge waren, um so mehr ergriff mich einer schreckliche Furcht, daß er nie wieder aufwachen werde, und ich im letzten Augenblick der Möglichkeit, den Betrug zu enthüllen, zu einer neuen Täuschung bestimmt sei.
Ich beugte mich über den Kranken und heftete mit solcher Seelenangst meine Blicke auf ihn, daß ich glaube, er erwachte davon. Starr sah er zu mir empor, allein es war diesmal nicht der Ausdruck furchtbarer Gewissenspein, wie sie sich bei meinem ersten Besuch kund gab, sondern ein wehmüthiges unendlich flehendes Beben, das aus seinen Augen drang, um seine Lippen zuckte und seinen ganzen Körper zu schütteln schien.
Ich legte meine Hand auf seine kalten Hände und sagte mit mildem Tone:
Das ist ein trauriges Wiedersehen, alter Eberhard. Erkennst Du mich?
Er nickte leise.
Ich bin Johann von Horn, den Du oft auf Deinen Armen getragen hast.
Er nickte abermals und versuchte ein schwaches Lächeln.
Du hast mich zu Dir rufen lassen, fuhr ich fort, was willst Du von mir? Ist es Deine Absicht, mir ein Geheimniß mitzutheilen? Willst Du Deine Bürde durch ein Bekenntniß Deiner Schuld erleichtern? – Rede Mann, rede, was Du von dem Betruge weißt, der uns geraubt hat, was wir besaßen, der meine arme Mutter, meinen Bruder in ein frühes Grab stürzte.
Der Kranke seufzte kläglich und krampfte die Finger zusammen.
Haben Sie Mitleid! sagte er mit schwacher Stimme, ach Mitleid, Herr! – ich war das Werkzeug, der Gehülfe dessen, der mich benutzte und nun vorangegangen ist, um Rechenschaft zu geben.
Seine Worte kamen abgebrochen und schwach aus der Brust, ich verstand sie kaum. –
Wie war es möglich, Eberhard, rief ich – doch keine Vorwürfe, was helfen sie? Ah! ich vergebe Dir, denn Schwäche und Sünde ist das Erbtheil der Menschen, und wenn Du Böses begingst, so hat das Böse Dich bestraft, armer, alter Mann. – Aber, wie geschah es, wie habt Ihr den Betrug verübt und den irdischen Richter täuschen können?
Ich, sagte Eberhard, ich wußte, wo Ihr Vater die Quittungen und Documente aufbewahrte, und da er mir vertraute, von mir hoffte, daß ich Greifenstein zu einem günstigen Testamente bewegen würde, war es mir leicht, diese Papiere zu entwenden. –
Hah! rief ich, und jene anderen, die von meines Vaters Handschrift sind, den Empfang des Darlehns bezeugen, Bürgschaft leisten mit Gut und Ehre; endlich jene Bestätigung des alten Erbvertrags, sie sind sämmtlich von Deiner Hand künstlich nachgeahmt und mit Gerichtssiegeln und Unterschrift des verstorbenen Justizamtmannes versehen?
Eberhard streckte flehend die Hände aus. – Gnade! stöhnte er; ach! meine Verbrechen verdienen sie nicht.
Ich suchte mich und ihn zu beruhigen, indem ich ihn sanft in die Kissen zurück legte. –
Und was kann geschehen, Eberhard, um diese Verbrechen gut zu machen? fragte ich dann. Wo sind die Quittungen und Documente meines Vaters geblieben? Ihr habt sie vernichtet!
Er schüttelte den Kopf.
Nein! rief ich aufspringend in heftiger Bewegung. Wo sind sie? Wo hast Du sie gelassen? Wer verwahrt sie?
Er versuchte zu sprechen, aber ein unverständlicher Ton war das Einzige, was ich vernahm. –
Rede, bat ich, mich über ihn hinbeugend, rede, alter Mann! Um Gottes Barmherzigkeit, er stirbt! Halt! Eberhard, halt! Wo hast Du sie?
In diesem Augenblick drang ein Schrei in mein Ohr, begleitet von Lärm und Flüchen. – Der Greis im Bett erwachte davon aus seiner Betäubung.
Eva! schrie er auf, Mord! und er versuchte sich aufzurichten.
Mit einem Sprung war ich an der Thür und riß sie auf. Eva lag auf der Diele auf ihren Knieen, ihr Gesicht blutete, und vor ihr stand mein Vetter Franz, ihr Haar um seine Hand geschlungen, die Reitpeitsche hoch in der andern Hand. –
Metze! schrie er, Canaille! Du willst Dich widersetzen, mich nicht hinein lassen? Wen verbirgst Du da drinnen?
Mit einem Griff hatte ich ihm die Peitsche entrissen und brach sie in Stücke. Sein wüthendes Gesicht nahm den Ausdruck der stupidesten Bestürzung an, als er mich sah; er konnte es nicht begreifen, wie ich hier sein konnte, aber ich ließ ihm nicht Zeit, sein Gedankenvermögen zu ordnen.
Die Hand zurück! schrie ich ihm zu, und mechanisch ließ er los.
Was, Vetter Johann, sagte er; Höllenteufel! was soll das bedeuten?
Fort, aus dem Hause eines Sterbenden! fuhr ich fort; wagen Sie es nicht mehr einen Fuß noch über diese Schwelle zu regen.
Er fand keine Worte, etwas zu erwiedern, denn ohne weitere Rücksicht faßte ich ihn beim Arm und mit der Kraft, die ich besaß, wenn ich gereizt war, und welche sich in diesem Augenblick verdoppelte, stieß ich ihn hinaus, daß er taumelte, schlug die Thüre zu und schob die Riegel vor.
Eva hatte sich aufgerichtet, sie sah mich angstvoll, aber mit Blicken voll unaussprechlicher Dankbarkeit und Verehrung an. –
O! Herr, Herr! rief sie, die Hände erhoben – aber ich hörte nicht mehr, ich eilte zurück in die Kammer und fand erstaunt den Greis aufrecht auf seinem Lager sitzen. Mit der einen Hand packte er die Kissen, die andere hielt er auf seine Brust. –
Schnell, sagte er, schnell, hören Sie.
Ich neigte mich an sein Ohr, und mit kaum vernehmbarer Stimme flüsterte er:
Die Papiere hat Greifenstein aufbewahrt; ich habe sie nach seinem Tode noch gesehen, gefunden und verborgen.
Wo sind sie, wo? rief ich zitternd vor Begier.
Sie sind mit dem Archiv und aller Schreiberei nach Schloß Withelen gekommen. In dem Büchersaal – der mittlere Schrank – der große Kasten in der Mitte – er ist doppelt – hinter ihm – das geheime Fach – dort. –
Er hob den Kopf mit Gewalt auf, um Luft zu schöpfen; sein ganzer Körper fuhr krampfhaft empor; es war der Tod, der seine kalten Finger in dies grabreife Herz schlug.
Während ich ihn hielt, sah ich ihn sterben. Ich drückte seine Hände, er preßte sie zusammen, und während ich nach Eva rief, fielen Glasstücke hinter dem verhangenen Fenster nieder; es kam mir vor, als entferne sich Jemand, der draußen gestanden und gehorcht hatte.
Das arme Mädchen war gefaßter, als ich glaubte. Sie kniete an der Leiche ihres Großvaters nieder und betete leise; dann richtete sie das Gesicht zu mir auf, das geschwollen war von dem Faustschlage ihres brutalen Verehrers, und sagte leise weinend:
Ich habe oft den Erlöser um seinen Tod angefleht, lieber Herr, ach! er hat grausam gelitten und seine Schuld abgebüßt unter Schmerzen. Der Richter im Himmel wird ihm vergeben, und Sie, Gnaden, Sie sind zu edel und gut, um strenger zu sein, als Gott, aller Menschen Vater.
Kein Haß wird seinen Frieden stören, erwiederte ich, aber die im Leben zurückbleiben, bleiben in der Unruhe, liebes Mädchen. Und nun bist Du allein, bist hier auf dem einsamen Hof, mitten in wüster Zeit, mitten unter Menschen, die Dir gewiß wenig Wohlwollen zeigen werden. Was soll daraus werden, Eva?
O! ich, sagte sie nach einer kleinen Weile, ich werde schon durchkommen; was ist denn auch an einer armen Dirne gelegen! Aber Sie, Herr. – Ach, Mutter Gottes! glauben Sie mir, sie haben unten nichts Gutes mit Ihnen vor, und nun nun Sie den jungen Baron zur Thür hinausgeworfen haben, meinetwegen, ja meinetwegen – das verzeihen sie Ihnen nimmermehr. Der Graf und der Kaplan saßen vor ein paar Tagen hier draußen unter der Laube, ich hörte wohl, wie sie von Ihnen sprachen. Der Graf machte dem Priester harte Vorwürfe, daß er treulos gehandelt und Sie nicht fortgeschickt habe, wie es Anfangs verabredet gewesen, sei's mit Gutem, sei's mit Bösem, und nun gar eine Heirath mit der jungen Baronin im Sinne hätte.
Damit ist es vorbei, fiel ich ein, der Plan ist fehlgeschlagen.
Um so mehr hüten Sie sich, Gnaden, fuhr Eva fort. Der Graf sagte auch, man würde schon kommen und ihn bitten, die Sache in seine Hand zu nehmen, und er hätte die Mittel bereit.
Ich werde ihm alle Schlechtigkeit sparen, erwiederte ich. Morgen früh verlasse ich Withelen; doch habe Geduld, Eva, ich komme wieder, und wenn Du Keinen hast in der ganzen Welt, der Dich schützt und für Dich sorgt, so werde ich Dein treuer Freund und Schützer sein, so lange ich Leben habe.
Meine Worte machten einen tiefen Eindruck auf die Verlassene. Sie sah mich mit ihren hellen, großen Augen durchdringend an; ihre Hände zitterten und brannten, während ich sie festhielt. Ihr Gesicht voll Vertrauen und einem Schimmer jener Freude, welche über allen Schmerz siegt, war zugleich der Spiegel ihrer heftigen Gemüthsbewegung. Große Thränen tropften von ihren Wimpern nieder, als sie mich lächelnd unverwandt anschaute, und bei meinen Betheuerungen, daß ich sie nie verlassen und vergessen würde, nickte sie mir zu mit der Gläubigkeit einer unwandelbar treuen Seele.
Erst nach einigen Stunden verließ ich den Hof, nachdem ich wie ein Freund und Bruder Eva bei der Leichenbergung des Großvaters und den traurigen Geschäften, die der Todesfall mit sich führte, geholfen hatte. Sie theilte mir Alles mit, was sie betraf, und mein Mitgefühl wurde in hohem Grade hingerissen, da sie wirklich ganz allein ohne alle Verwandte und Freunde war. Ihr Vater war Eberhard's einziger Sohn gewesen; dieser stammte aus fremdem Land, Greifenstein hatte ihn in jungen Jahren als Diener mitgebracht; der Sohn war in Wien angestellt worden und hatte geheirathet, doch er und Eva's Mutter starben an der Pest, welche der Erbfolgekrieg über das Land schickte. Der Großvater nahm nun das fünfjährige Kind zu sich, und einsam wuchs es auf, denn Eberhard hielt seine Freundschaft mit seines Gleichen. Er war stolz und finster, der vertraute Diener seines finstern Herrn. –
Erst als der Alte den Meierhof erhielt, kam Eva zu einem rührigen Landleben und wirthschaftete mit Eifer und Geschicklichkeit, bis Greifenstein starb und der Großvater ganz zu ihr zog; aber er erkrankte bald und nun stand sie wieder allein. Jetzt war sie unbestritten die einzige Erbin, und nicht ganz unbedeutend waren die Ersparnisse. Sie zeigte mir Alles, was sie besaß, sagte mir Alles, was sie wußte, und ihr Vertrauen erweckte das meine. Wir saßen beisammen; es war mir wohl, eine Seele zu besitzen, die mit solcher Anhänglichkeit mir zu eigen war. Ihr Schicksal war mein Schicksal. Auch ich besaß kein mir nah verwandtes Wesen, die Welt war für mich todt und liebeleer; ich fühlte das unsichtbare Band, das Menschen verbindet, die von dem Geheimniß des Lebens ergriffen werden, das man Sympathie der Herzen nennt, und ich seufzte. –
Wäre ich ein einfacher Naturmensch, ein Bauer gewesen, was hätte mich gehindert, dem Mädchen, das so gut und reinen Sinnes war, zu sagen: Ich will bei Dir bleiben und mit Dir sein! – Aber die Trennungen, welche die Menschen sich geschaffen, sind magische Ketten, die so leicht kein Sterblicher durchbricht, und damals hielten sie so fest, daß Niemand wagte, sich Schimpf und Schmach der Kasten auszusetzen, denen er durch Geburt angehörte. Die Träume, welche meinen Kopf durchflogen, wurden von den ersten Wellenschlägen meiner Gedanken im Athmen zerschmettert. Ich stand auf und nahm Abschied; ich will ihn nicht weiter beschreiben.
Ich komme wieder, sagte ich, ich weiß nicht wann, Eva, aber ich komme, wenn ich am Leben bleibe, sollte auch lange Zeit darüber hingeben. Halte Dich still; doch so allein kannst Du nicht bleiben in der wüsten Zeit. Suche Dir einen Mann, einen Beschützer, das wird Dich am besten vor allen Anfechtungen schützen, und werde glücklich; ich hoffe Dich glücklich zu sehen.
Sie reichte mir stumm die Hand, ich eilte den Hügel hinunter in den Wald, von wo ich zum letzten Male sie vor der Thür stehen sah; dann stieg ich in die Schlucht hinab, und wieder auf den Felsensitz, wo ich das Haus betrachten konnte, bis ich weiter irrend endlich meinen Plan faßte und feststellte.
Die Papiere wollte ich besitzen, und mit ihnen mein Recht geltend machen, das beschloß ich unumstößlich. Ich überlegte, daß es am besten sei, wenn ich so spät als möglich zurückkehrte, der Familie des Barons ein kurzes Lebewohl sagte, und beim frühsten Morgen das Schloß verließe. – Ich wußte, daß in den nahen Städten Soldaten eingerückt seien, und überlegte lange, ob ich nicht diesen zueilen und meinen alten Beschützer Winterfeld aufsuchen sollte, dem ich mich entdecken konnte; ich zog es jedoch vor, so schnell als möglich nach Breslau zurückzukehren und von diesem Landeshauptort mich an einen Andern zu wenden, den ich hier zu treffen dachte. –
Von meinem Zimmer konnte ich in der Nacht durch die geheime Thür der Thurmtreppe in den Büchersaal gelangen. War der Schrank etwa verschlossen, so ließ sich das Schloß wohl sprengen. Ich zweifelte nicht, daß ich das geheime Fach und die darin verborgenen Papiere finden würde, und eben so still, wie ich gekommen, konnte ich zurückkehren.
So leicht und sicher schien mir Alles ausführbar, daß ich im Gedanken mich schon im Sattel sitzend, mit der ersten Morgenröthe durch den Wald jagen sah. Ich kannte den Weg, denn ich war einmal selbst nach Frankenberg geritten, um dort Briefe abzugeben; um aber ganz sicher zu sein, ging ich durch den Park den Weg bis zum nächsten Dorfe, und ließ mir in der Schenke etwas zu essen reichen, indem ich mich dabei mit dem Wirth unterhielt. –
So erfuhr ich genau, welche Straße ich einzuschlagen hätte, hörte zugleich, daß Soldaten vor und rückwärts zögen und ein ganzes Corps bei Glogau versammelt sei, von wo alle wieder in ihre Garnisonen marschiren sollten. – Der Bauer hatte sagen hören, es sei ein Frühjahrsmanöver, aber es sei abbestellt worden, das Geld solle gespart werden.
Und das ist recht, rief der Mann. In Frankenberg lesen die Leute Zeitungen, die aus Berlin kommen, darin steht, daß kein Krieg ausbrechen wird in vielen Jahren; alle Könige und große Herren wollen Frieden und schreiben sich Briefe, worin sie gute Freundschaft schwören.
Aber man kann solchen Briefen nicht immer glauben, sagte ich.
Oho, freilich! erwiederte der pfiffige Wirth, allein gestern war ein Herr bei mir, ein Offizier, der einen Trunk begehrte, und den ich ein Stück nach Frankenberg hinauf begleitete, der sagte es auch und meint', Krieg würde nimmermehr, die Soldaten verträten sich nur ein bischen die Beine, aber – er warf einen mißtrauischen Blick auf mich. –
Nun, Freund? fragte ich lächelnd.
Nun, sagte er, seine Mütze rund um den Kopf ziehend, er meinte, wir wären hier Stänker und unehrliche Leu, aber wir sind es nit. – Was die Herrn in den Schlössern aushecken, und die Köpfe zusammenstecken, weiß ich halt nicht zu sagen, es mag wenig Gutes sein; aber, Kreuz Element! wenn sie glauben, wir sollen Haut und Haar lassen um ihre schlechte Sache, haben sie falsch gespielt. – Keine Katz steht auf, mögen sie locken wie sie wollen; mögen die Pfarrer auch rennen und die Ketzergräuel verfluchen, und die Herren so freundlich thun, wie die jungen Geißböck', wir kennen die Hörner zu gut, die uns wund gestoßen haben.
Der gesunde Sinn dieses verständigen Volkes sprach sich so entschieden überall aus, daß man deutlich sah, alle Pläne des Adels konnten kein Feuer aus diesen harten Steinen locken. Ein Volksaufstand wäre auch etwas Unerhörtes gewesen; dazu war der Knechtssinn den Völkern Europa's und namentlich dem deutschen Volke viel zu tief aufgeprägt, und sein Nacken in den Staub getreten. Wo aber etwa ein Gedanke an Rebellion geweckt sein mochte, hatte das bloße Erscheinen der Soldatenschaaren ihn sogleich erstickt. Man kannte die fürstliche Macht und Gewalt des Absolutismus in seinen getreuen Dienern zu gut, und ich glaubte jetzt den Sinn dieser militairischen Bewegungen zu erkennen. Man wollte durch ein Waffenrasseln die Mäuse in ihre Schlupfwinkel scheuchen.
Die Sonne war im Sinken, als ich mich endlich dem Schlosse nahte, und einige Minuten stand ich mit klopfenden Pulsen hinter den Hecken still, als die Terrasse vor mir lag und ich von fern dort unter den Orangenbäumen mehrere Gestalten entdeckte. Ich war den ganzen Tag über ausgeblieben und mußte diese lange Abwesenheit entschuldigen, mußte überhaupt unbefangen, höflich und formenvoll sein, um jeden Anstoß und womöglich jede Erklärung zu vermeiden. Es lag mir daran, Alles sanft und ruhig zu lösen und mein Scheiden ohne unangenehme Erörterungen zu bewerkstelligen.
Aber es war mir doch seltsam unruhig im Herzen, als ich überzeugt war, dort gehe Ulrike mit Alieni und dem Priester. Mein scharfes Auge erkannte sie deutlich, und sicher hatten sie mich ebenfalls bemerkt, denn nach wenigen Minuten sah ich, daß sie sich entfernten, als wollten sie mein Begegnen vermeiden. –
Als ich die Stufen hinauf stieg, war die Terrasse leer, und ungewiß, ob ich zunächst mein Zimmer aufsuchen oder meine Entschuldigungen dem Baron sagen solle, blieb ich mich bedenkend stehen, lehnte mich an eine der großen Porphyrvasen, mit denen die Balustrade geziert war, und ließ meine Blicke zum letzten Male über das Panorama von Wald und Berg fliegen, als ich plötzlich ein Gewand hinter mir rauschen hörte. –
Ulrike kam allein den Weg herauf, sie lächelte mir freundlich zu und schalt noch entfernt mich aus über mein Ausbleiben.
Ist das recht, Vetter Johann, rief sie mir entgegen, Ihre Freunde in solche Besorgniß zu versetzen? – Wir haben nach Ihnen ausgesandt, was wir an Leuten besitzen, denn obwohl in unseren Wäldern weder Bären noch Wölfe hausen, gibt es doch Irrwege und Gefahren darin, die einen jungen Herrn von Ihrer feurigen Gemüthsart in große Noth bringen können.
Ich erröthete vielleicht bei ihren Worten, die so spöttisch und neckisch klangen, denn sie lachte laut auf und fuhr lebhaft fort:
Bei allen Heiligen! Sie sehen aus, Vetter Johann, als wäre Ihnen ein großes Glück oder ein großes Unglück begegnet. Sind Sie dem Rübezahl in den Weg gelaufen, dem Geist des Gebirge, der zuweilen bis in unsere Thäler herabsteigt und seinen Freunden Schätze offenbart, oder ist im Gegentheil Ihnen ein Schatz verloren gegangen und kein dienstwilliger Gnom erschienen?
Wenn es mir möglich wäre, meine schöne Cousine, sagte ich, trübsinnig lächelnd, würde ich gern in Ihren Scherz eingehen, allein ich habe von der Wiege an immer zu den schwarzblütigen Narren gehört, die nicht so leicht über einen irdischen Kummer fortkommen können. – Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen Besorgniß machte, es liegt darin für mich neben dem Leid auch ein Glück, aber ich fühle mich unfähig, jenes ruhig in Ihrer Nähe zu tragen.
Sie haben es selbst gewählt, rief sie rasch; doch, fügte sie eben so schnell hinzu, lassen Sie uns nicht gefühlvoll werden, mein theurer Vetter. Am besten, man reißt Blumen aus, deren Duft uns betäubt, wenn auch ihre Farben uns entzücken.
Aber man kann von den Dornen schwer verwundet werden und lange krank bleiben.
Sie blieb stehen und sah mich an. –
Mag es Ihr Ernst sein oder nicht, sagte sie, so trage Jeder seine Schmerzen, wie er kann; dennoch aber sind wir noch nicht ganz geschieden. Ihre Abschiedsworte brennen in meinem Kopf, ich will wissen, wie es damit steht. – Sagten Sie die Wahrheit, Vetter Johann, oder vielmehr, glauben Sie wirklich daran, daß Ihnen das gehört, was ich jetzt besitze? – Ich habe wenig oder nichts von dem Allen gewußt, jetzt erst haben mein Vater und der Kaplan mich auf mein Verlangen belehrt, wenn ich aber ihnen vertrauen darf, so –
So bin ich mindestens ein Betrogener, wenn nicht ein Betrüger, fiel ich mit einem finstern Blick ein. – Lassen Sie uns davon schweigen, Cousine, und verzeihen Sie mir eine unbedachte heftige Aeußerung, die der Augenblick mir entlockte. Ich verlasse morgen früh dies Schloß, und weiß nicht, ob ich je es wiedersehe.
Nein, Vetter Johann! rief Ulrike, lebhaft meinen Arm ergreifend. Sie wollen fort und müssen fort, ich kann und darf Sie nicht halten; allein Sie sollen nicht gehen, ohne mir eine Aufklärung über jenen Punkt gegeben zu haben.
Ich bekenne Ihnen offen, fuhr sie fort, daß ich meinem Vater so wenig darin fest vertraue, wie dem Kaplan. Sie wollen Beide meinen Vortheil, allein nichts in der Welt soll mich hindern, einen andern Weg zu wählen, und wenn Sie Recht haben, wenn Sie beweisen können, daß Greifenstein's Erbe Ihnen gehört, daß er durch Betrug Ihr Familiengut an sich gerissen hat, so will ich mich eines ungerechten Erbes entledigen, mag geschehen, was da wolle.
Ich verlange von Greifenstein's Erbe nichts zurück, als was ursprünglich mir gehört, jagte ich.
Gut, rief sie mir zu, allein dazu gehören Documente, die nicht gefunden werden konnten. Morgen, heute noch sollen Sie haben, was Sie wollen, wenn Sie jene Beweise vorlegen. Sind Sie im Besitz derselben?
Nein, aber – ich schwieg, mich bedenkend.
Das heißt, Sie können sie herbeischaffen?
Ich glaube, daß ich es kann.
Wann können Sie es?
Es ist möglich, daß ich es sehr bald vermag.
Ha! sagte sie erstaunt, so sind diese Papiere hier verborgen. Sie müssen es sein, wenn sie in Greifenstein's Besitz waren. Nicht umsonst haben Sie also sich mit dem Büchersaal beschäftigt. – Gestehen Sie, Vetter, das war Ihre Absicht! dort haben Sie die Documente entdeckt?
Ich war in einer peinlichen Lage, wo Schweigen eben so gefährlich war, als Reden. – Läugnete ich, so wurde mir jedenfalls die Möglichkeit abgeschnitten, zu den Schränken gelangen zu können; gestand ich die Wahrheit – so gab ich mich ganz in meiner Feinde Hände.
Nach einem kurzen Bedenken sagte ich mit Offenheit: Was ich weiß, Cousine Ulrike, will ich Ihnen vertrauungsvoll mittheilen. Ich glaube Ihren Versicherungen, daß Sie nicht ungerechtes Gut beanspruchen, glauben Sie auch mir, daß ich nichts will, als mein Eigenthum. – Die Documente befinden sich, wie ich erfahren habe, in einem der Schränke, und jetzt meine ich allerdings den Ort zu kennen, wo sie gesucht werden müssen. – Es war meine Absicht, heute Nacht mich davon zu überzeugen, dies Schloß mit jenen für mich so wichtigen Belegen zu verlassen, und dann von Breslau aus Ihnen die billigsten Vorschläge einer gütlichen Einigung zu machen. – Sie wissen jetzt Alles, ich übergebe Ihnen mich ganz, entscheiden Sie, was ich thun soll. –
Wir gingen auf und ab während dieses Gesprächs, und ausführlich theilte ich ihr mit, was ich heut erlebt, und von dem sterbenden Eberhard erfahren hatte, ohne dessen Bekenntniß das Auffinden unmöglich gewesen sei. Nachdem sie Alles still gehört, erwiederte sie:
Was Sie beschlossen haben, ist gut und recht. Führen Sie Ihren Plan aus, ich will das Weitere erwarten; doch seien Sie gewiß, daß ich ruhig der Entwickelung entgegen sehe. – Seltsam, wie es mit uns kommen muß! Doch wozu diese Betrachtungen? Die Nacht bricht herein, wir werden uns vielleicht nicht wieder sehen, nur einen Augenblick bei Tisch; allein meinem Vater dürfen Sie sich nicht entziehen. – Er achtet Sie aufrichtig und ist betrübt über das Scheitern seiner guten Absichten, aber es hat nicht sein sollen, Vetter Johann, es kann nicht sein, und darum bleiben wir Freunde in der Entfernung.
Sie reichte mir die Hand, ich zog sie stumm an meine Lippen, dann wendete sie sich rasch ab und ging in den Salon.
Nach einer Stunde ging ich zu dem Baron und theilte ihm unumwunden mit, daß ich morgen früh Withelen verlassen werde, was er mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit bedauerte.
Wenn es denn nicht anders sein kann, sagte er, so wollen wir wenigstens uns den Abschied nicht erschweren und gar nicht daran denken, daß eine vielleicht lange Trennung uns bevorsteht. Beim Weltheiland! mein theurer Johann, ich hätte es anders gewollt, doch zu allen Zeiten und zu jeder Stunde bin ich zu Ihren Diensten bereit, und immer Ihrer gedenkend.
In dieser Weise fuhr er fort zu sprechen und meine Hände zu drücken, aber er war viel zu viel ein Hof- und Weltmann jener Zeit, um offen zu mir zu reden. Nach einiger Zeit trat Alieni herein, dem mein Vetter folgte, der so that, als sehe und beachte er mich nicht, während der Graf mich auf's Freundlichste begrüßte und in unbefangener Weise von der Hirschjagd erzählte, die er zu veranstalten dachte.
Ich denke noch immer, sagte er, Sie werden dabei sein und zum Abschiede das Fest mit Ihrer Gegenwart verherrlichen, – und als ich lächelnd mich entschuldigte, daß ein so schlechter Jäger, wie ich, keine große Ehre einlegen würde, fügte er hinzu: Was sagen Sie da, Herr Freiherr von Horn, wissen Sie nicht, daß die schlechtesten Schützen das meiste Glück haben? – Ich hatte vor einiger Zeit ein Thier von wunderbarer Schönheit auf der Spur, einen wahren Königshirsch, und ein ganz miserabler Bursche hat ihn mir fortgekapert. So geht es her in der Welt; Glück! Glück! ist der Hebel aller Kräfte, und Sie sind ein Begünstigter des Schicksale. Ich verstehe etwas von Sibyllischen und Egyptischen Künsten, und habe noch nie Lineamente gesehen, die mehr von der Zukunft zu erwarten hätten.
So ärgerlich der Spott war, der in seinen Prophezeihungen lag, so mußte ich doch gute Miene dazu machen und mich bedanken, denn der alte Baron faßte diese Orakel auf und setzte sie fort, indem er mir betheuerte, daß er gewiß sei, ich werde bald auf einem Platz stehen, der mir zukomme und den er mir aus ganzer Seele wünsche.
Nach einiger Zeit kam der Pfarrer, und wir wurden nun zu Tisch gerufen; aber alle Munterkeit und aller Witz Alieni's konnte keine rechte Stimmung hervorbringen. Das Gespräch war abgerissen und gezwungen, Ulrike erschien nicht, der Wein wollte selbst bei den verschiedenen Toasten nicht schmecken, die der Baron auf mein Wohl und Glück ausbrachte, und je mehr wir uns bemühten, unbefangen und selbst herzlich zu deinen, um so mehr sehnte sich jeder nach dem Ende der Komödie. –
Endlich kam dies zur allgemeinen Genugthuung. Der Baron umarmte mich und sagte mir mit gerührter Stimme, wie leid es ihm thue, mich scheiden zu sehen; ich glaubte in seinen grauen Augen eine Thräne zu erblicken, und dankte ihm herzlich für seine Güte. Graf Alieni reichte mir die Hand und schwor, ich werde nicht reisen, ehe er mich noch gesehen; mein Vetter Franz ließ sich schwer bewegen, meine dargebotene Rechte zu fassen, bis er auf seines Vaters Geheiß sie annahm; Vater Joseph endlich machte mir eine tiefe Verbeugung und wünschte mir Glück auf allen meinen Wegen.
So ging ich, von Alieni und dem Priester die Treppe hinauf begleitet und nochmals freundlich verabschiedet. Als ich allein in meinem einsamen Gemach war, überfiel mich eine Seelenangst, wie ein Fieber, dem ich nicht zu entrinnen vermochte. – Wohl eine Stunde lang saß ich in dem Lehnstuhl an meinem Bette und überlegte nochmals Alles, was geschah und geschehen sollte. Zweifel und Bangigkeit bemächtigten sich meiner, aber die Energie meines Charakters verscheuchte die Gespenster, und gewaltsam ruhig überlegte ich meinen Plan nochmals. – Ich löschte die Lichter aus, entledigte mich der schweren Stiefeln und legte mich auf mein Bett, geduldig wartend, bis Alles still im Schlosse geworden sei.
Ein Feuerzeug und eine mit Glas versehene Nachtlampe standen, wie es Sitte war, auf dem Tischchen hinter meinem Bett, und als ich die kleine Flamme bedeckt und verborgen hatte, war ich bereit zu meinem Vorhaben.
Ich kann nicht sagen, wie entsetzlich lang mir die Zeit wurde. Ich öffnete ein Fenster, hörte hinaus, ob irgend ein Ton sich regte, und forschte vergebens nach einem Lichtschein. –
Einige Mal kam es mir vor, als vernähme ich ein leises Klirren, aber es war der Wind, der mit den losen Glasscheiben irgend eines Zugloches spielte; endlich hörte ich es elf Uhr schlagen, und nun raffte ich mich auf, ergriff entschlossen mein Nachtlicht und öffnete leise die Thür des Wandschrankes, in welchem mein Mantelsack, mein Degen und meine Pistolen lagen.
Ich fand jedoch nichts von Allem und kein geringes Erschrecken ergriff mich. – Wo waren meine Habseligkeiten und meine Waffen geblieben? Es befanden sich mehre andere Schränke in der Täfelung, und vielleicht hatte der Diener, welcher für mich sorgte, sie dorthin übersiedelt; allein ich hatte keine Zeit, jetzt Nachforschungen zu halten. –
So trat ich denn den Weg an, schob leise die Riegel der Thür zur Thurmtreppe zurück und schlüpfte die Stufen hinab, indem ich jedes Geräusch zu vermeiden suchte.
Ich athmete leichter, als ich den Eingang zum Büchersaal erreicht hatte und ihn nicht verschlossen fand. Zwar durfte ich dies voraussetzen, denn, wie Joseph mir gesagt hatte, verschloß man nur die Thüre des Thurmes, allein ich fühlte eine brennende Angst, daß irgend ein unerwartetes Hinderniß mein Vorhaben vereiteln würde.
Wie ich in dem gewaltigen düstern Raume stand, schlug mein Herz weit mehr vor Erwartung, als vor Furcht. Der kleine Lichtstrahl meiner Lampe erhellte nur wenige Schritte rund umher dies mächtige Gewölbe. Undurchdringliche Nacht hing über Mauern und Bogen und ein unheimliches leises Klingen und Brechen kam aus den fernen Ecken, als ich still stand, die Lampe aufhob und nach allen Seiten umherblickte.
Es ist nichts! flüsterte ich, aber selbst dies tonlose Flüstern schien Antwort zu geben. Ein Schauer überrieselte meine Haut, vorsichtig Schritt vor Schritt ging ich vorwärts; aber plötzlich prallte ich zurück, denn vor mir gähnte ein furchtbarer Abgrund auf, in welchen ich unfehlbar gestürzt sein würde, wenn ich meine Augen nicht so fest auf den Boden gerichtet hätte. –
Der große Stein, welcher den alten Schloßbrunnen bedeckte, wie Joseph den Schlund genannt hatte, war aufgehoben und lag seitwärts an dem Pfeiler. – Mehrerer Männer Kraft mußte dazu gehört haben, ihn aus seinen Fugen zu nehmen, und warum hatte man dies gethan? Wann war es geschehen? Was sollte es bedeuten?
Ich fühlte ein haarsträubendes Entsetzen, als ich hinunter blickte und der Lampenschimmer in den fürchterlichen Schacht fiel, aus dem ein Moderdunst aufstieg. – Mit raschen Schritten eilte ich um den gigantischen Pfeiler und stand vor dem großen Schrank in der Mitte still. Der Schlüssel steckte, ich schob die schweren Riegel zurück, und warf einen wilden Blick umher, als die Thür in den rostigen Haspen knarrte. Meine Hand zitterte, mein Blut wallte glühend in den Adern, aber ohne weiteres Bedenken trat ich rasch die Stufen hinauf und hinein in die gewaltige Nische.
Ich stellte die Lampe auf eines der Bretter des Fachwerks und zählte im Fluge die Kasten in der Mitte, bis zur siebenten Reihe. Rasch zog ich den größten heraus, er war mit Schriften gefüllt und schwer. Ich setzte ihn nieder, nahm die Lampe, beleuchtete die Hinterwand und entdeckte einen Einschnitt. Als ich die Finger hineinsteckte, zog ich einen zweiten Kasten auf und fiel mit Gier über die Papiere her, die ich darin bemerkte. Ich lag auf meinen Knieen und durchwühlte den Inhalt. Es waren Briefe von Greifenstein, unter ihnen aber lag ein Päckchen mit einem Faden umwickelt und ein Donnerschlag der Freude fuhr durch meinen Kopf, als ich die Worte darauf las:
Documente und Quittungen von J. v. H.
Gefunden! rief ich, den kostbaren Schatz mit Entzücken hoch hebend, und eben wollte ich mich selbst aufrichten, als plötzlich eine unsichtbare Macht mir die Papiere entriß und in demselben Augenblick ein heftiger Stoß mich zu Boden warf. Ich stolperte über den Kasten und fiel, die Lampe stürzte um und erlosch, und während ich halb sinnlos vor Schrecken mich aufzurichten suchte, hörte ich die Eisenthür des Schrankes ins Schloß werfen, die Riegel vorschieben und ein Gelächter draußen, das von einem Chor Verdammter oder höllischer Dämonen herzurühren schien.
Mitten aus diesem Lärm erscholl dann eine Stimme, die mich überzeugte, daß nicht Geister und Gespenster mich in diese Lage gebracht hatten, sondern daß ich von Menschen verrathen und dem Verderben geweiht sei. Es war kein Anderer als Alieni, den ich mit teuflischem Hohn rufen hörte:
Sitzt die Maus in der Falle? Gut, so laßt die Ratten los, sie werden das rechte Wort mit ihr reden.
Nach diesem lauten Ausruf entstand ein Gemurmel, halb geflüsterte Worte mit mehr oder mit minderer Hast ausgestoßen, endlich aber kam es mir vor, als spräche eine Frau, ja, beim Himmel! es war Ulrike, die plötzlich mit Heftigkeit sich äußerte. –
Nein! rief sie, es soll nicht sein; was Sie auch sagen mögen, ich will es nicht!
Kommen Sie herauf zu dem Baron, erwiederte Alieni, er soll darüber entscheiden.
Gut, lassen Sie uns gehen, aber unterfangen Sie sich nicht – was sie weiter sagte, verstand ich nicht, doch ich begriff mit furchtbarer Gewißheit, daß es sich um mein Leben handelte, und nie kann ich die grauenvolle halbe Stunde vergessen, welche ich in meinem seltsamen Kerker zubrachte.
Ich setzte mich auf den Kasten nieder und rechnete mit meinem Schicksal ab. Als Soldat hatte ich, mehr als einmal, dem Tod in's Auge gesehen; in wilden Seestürmen war er dicht an mich herangetreten, in mancherlei Gefahren hatte ich ihn ohne Zittern erblickt, hier aber überfiel mich die ganze entsetzliche Angst der Vernichtung. Verzweiflung, Wuth, Entsetzen erfüllten mich mit jeder ablaufenden Minute im höheren Maße. Ich verfluchte meine Thorheit, verfluchte das entsetzliche Weib, der ich geglaubt hatte, und mit schrecklicher Klarheit sah ich alle die Fäden, durch welche ich überlistet worden war, und mein Ende durch einen feigen nächtlichen Mord.
Jetzt wußte ich, daß man alle Vorbereitungen dazu getroffen hatte. Man hatte meine Waffen geraubt, alle Hindernisse beseitigt, die den Weg in dies Gewölbe versperren konnten, dort aber den Abgrund aufgedeckt, damit ich wo möglich hinein stürze, und wenn dies nicht gelänge, lag er bereit, um mich dennoch auf ewig verschwinden zu lassen. – Barmherziger Gott! das war der Zweck, zu welchem man den schweren Stein aufhob. Mich hinabzustürzen, todt oder lebendig, blutend und verstümmelt, hinab in die eisige Tiefe voll Moder, um zu sterben, unter Leichen und Gewürm in ewiger Finsterniß, während oben das Felsenstück das Verbrechen auf ewig bedeckte. –
Ich stieß einen wilden Schrei des Entsetzens aus, stürzte mich gegen die Thür und rüttelte sie mit der Wuth des Wahnsinnes, aber das Eisen widerstand meinen Anstrengungen.
Bis zur Ohnmacht erschöpft taumelte ich dann zurück, und fast gefühllos setzte ich mich nieder. – Die Erschlaffung, welche den Verurtheilten überkommt, der sich zuletzt willenlos wie ein Thier zur Schlachtbank schleppen läßt, ergriff auch mich, und erst als ich draußen wiederum Stimmen und Schritte hörte und Gewißheit hatte, daß die Entscheidung nahe, erhielten meine Gedanken und Empfindungen neue Macht. Ich hörte Waffen klirren und war nun überzeugt, wie ich enden sollte. Man wird den Schrank öffnen und Dich erschießen; Du wirst schnell und wie ein Soldat sterben, sagte ich mir, und bereitete mich, indem ich aufstand und meine Hände zu einem leisen Gebet um einen sanften Tod faltete.
In diesem Augenblick wurden die Riegel fortgezogen; mehrere Lichter blendeten mich, ich sah ein halbes Dutzend Kerle, mit Gewehren bewaffnet, einen Halbkreis bilden und erwartete den Knall des tödtenden Schusses.
Treten Sie heraus, Herr von Horn, sagte Alieni, den ich jetzt erkannte, indem er ein Licht emporhielt und mich beleuchtete. – Folgen Sie uns.
Ich antwortete nicht, und mit schneidendem Spott fügte er hinzu:
Sie können doch unmöglich in dem Loche da sitzen bleiben wollen? – Fügen Sie sich in die Nothwendigkeit und erzeigen Sie dem Baron Withelen die Ehre, Rechenschaft abzulegen über Ihre seltsamen Gelüste, sein Archiv zu durchwühlen.
Sie wollen mich zu dem Baron führen? fragte ich.
Auf meine Ehre, das will ich.
So lassen Sie diese Männer sich zurückziehen.
Oh! rief er, haben Sie so große Furcht vor diesen wackern Leuten, mein tapferer Herr von Horn? Ich sage Ihnen, Sie werden sie besser kennen und achten lernen. Lassen Sie uns nicht vergebens bitten.
Ein Gefühl der Scham und des Stolzes ergriff mich:
Ich trat hinaus und sagte ruhig:
Ich bin in Ihrer Gewalt und zu Allem bereit. Vollenden Sie Ihr Verbrechen.
Alieni sah mich mit einem verächtlichen Lächeln an.
Ich habe nichts zu thun, als Sie zu dem Baron zu begleiten, sagte er, dort werden Sie erfahren, was über Sie beschlossen ist.
Er ging voran, ich folgte umringt von den Bewaffneten. Als wir dicht an dem noch immer geöffneten Brunnen hinstreiften, faßte mich ein krampfhaftes Beben. Ein Stoß hätte mich hinein gestürzt; allein man ließ mich vorüber, und als ich die Stufen hinaufstieg, hielt ich mich gerettet.
Durch einen Gang im Thurme kamen wir nach einigen Minuten in den Corridor des Erdgeschosses und unmittelbar darauf in die Zimmer des Barons, welche an die Terrasse stießen. Mehrere Lichter brannten auf dem Tische, hinter welchem Withelen, sein Sohn, Ulrike und der Pfarrer sich befanden, die mich schweigend empfingen. Die Bewaffneten blieben an der Thür stehen.
Da haben wir den nachtwandelnden Vetter! rief Alieni.
So ist es denn wahr, sagte Withelen, als ich zu ihm herantrat, ein Undankbarer, ein schändlicher Heuchler und Verräther hat sich in mein Haus geschlichen, und in derselben Stunde, wo ich darüber nachsann, wie ich ihm helfen und ihm Gutes erzeugen könnte, will er mich verderben, berauben, mein Gut an sich reißen, mich und meine Familie in Schande und Unehre bringen.
Baron Withelen, erwiederte ich, diese Anklage und diese Schimpfreden treffen mich nicht. – Sie wissen so gut, wie ich selbst, daß ich nichts that, als was die Ehre mir befahl; Sie wissen auch, daß ich nichts Ihnen nehmen wollte als einige mir gehörige Papiere, die jenen nichtswürdigen Betrug beweisen, der an meiner Familie geübt ward. Meiner leichtsinnigen Gläubigkeit habe ich es allein zu danken, wenn ich jetzt vor Ihnen stehe; nie aber ist Vertrauen mit mehr Falschheit und Verrath belohnt worden, und leider von einem Wesen, dem ich dies am allerwenigsten zugetraut habe.
Schweigen Sie! fiel Alieni befehlend ein. Daß Sie hier jetzt stehen, ja, das verdanken Sie allerdings allein den Bitten der Dame, die Sie verlästern; Ihre gemeinen Absichten aber, einen Raub im Archive der Withelen zu begehen, waren uns bekannt. Ich kann Ihnen darüber die beste Aufklärung geben, denn ich war Zeuge Ihres Gespräches mit dem alten Schurken, der auf seinem Sterbelager Ihnen Eröffnungen machte. Ich hörte Wort für Wort, nur wo die Papiere lagen, verstand ich nicht. Sie werden es begreiflich finden, sagte er mit der unverschämtesten Unbefangenheit, daß wir im Interesse dieses edlen Hauses den Raub hindern mußten, daß wir nicht zugeben konnten, wie Sie sich der Documente bemächtigten, um damit den Frieden Ihrer Verwandten zu zerstören. Die Frau Baronin von Greifenstein hat dabei nichts gethan, als uns die Gewißheit verschafft, daß Sie wirklich solche Absichten hegten, und wenn Sie ihr als Verrath auslegen sollten, was nichts als Nothwehr und Selbsterhaltung gebot, so hat sie dagegen dies sogenannte Unrecht hundertfach vergütet, denn Sie stehen jetzt hier ohne die Strafe zu leiden, welche Ihr Raub verdiente.
Ich habe in diesem Augenblick nicht die Macht, Sie für diesen Hohn und diese Beleidigungen zur Rechenschaft zu ziehen, erwiederte ich, aber die Stunde wird kommen
Reine Drohungen! unterbrach er mich, sie sind übel angewandt und ich kann sie verachten.
Was wollen Sie von mir? fragte ich, mich zu Withelen wendend. Wo sind die Papiere, die mir entrissen wurden? Was haben Sie vor, Baron Withelen? – Halt! halten Sie ein! –
Ich sprang auf den alten Heuchler los, denn zu meinem Entsetzen ergriff er die Schriften, welche vor ihm entfaltet lagen und welche ich als die aufgefundenen Belege erkannte, und riß sie langsam und bedächtig in Stücke, die er dann in das Kohlenbecken warf, auf welchem der Theekessel stand, der in der späten Nachtstunde die Gesellschaft mit wärmendem Getränk versorgt hatte. Alieni und die Wache vor der Thür hinderten mich; ich wurde zurück gestoßen und festgehalten. Withelen stand hinter dem Tisch und betrachtete mich mit boshafter Lust.
Beim Weltheiland! rief er, Sie verdienen kein Mitleid, Vetter Johann, Sie verdienten, daß ich – er schwieg und faltete die Hände, indem er nach oben blickte. Doch nein, fuhr er dann fort, ich habe Ihnen vergeben und will dies nicht bereuen.
Sie mir vergeben? rief ich wüthend. – Welche nichtswürdige Heuchelei! Mit welchem Recht bemächtigten Sie sich meiner Person? Mit welchem Recht vernichteten und verbrannten Sie diese Documente? Mit Betrug und Gewalt wollen Sie mir rauben, was mein ist, und kein Mittel dünkt Ihnen und dieser ganzen Rotte dazu zu schlecht.
Hören wir nicht auf das Geschwätz eines Wahnsinnigen, sagte Withelen mit vieler Ruhe; leider aber beweist uns dies allzu deutlich, daß wir ihn unschädlich machen müssen.
Ja, vollenden Sie Ihr schmachvolles Werk mit einem feigen Mord! rief ich aus.
Der Baron sah kaltblütig nach der Uhr und sagte dann: es ist fast Mitternacht. Wenn Sie die Nacht durch tüchtig marschiren, können Sie morgen früh in Böhmen sein. Diese Männer da werden Sie begleiten und an einen Ort bringen, wo man Ihre Tollheiten kennt und Sie darnach behandeln wird.
Wie, rief ich erbleichend, Sie wollen es wagen, mich meiner Freiheit zu berauben, mich einsperren?!
Ins Narrenhaus! schrie Alieni lachend. Ich habe seit einiger Zeit schon dies Ende voraus gesehen. Ins Narrenhaus nach Prag. Der Gouverneur, mein Freund und Vetter, wird dann weiter für Sie sorgen.
Und wenn er vernünftiger wird, sagte mein Vetter Franz, indem er sich zu dem Kaplan wandte, kann man ihn später in ein Regiment stecken und zum Corporal machen.
Die heilige Jungfrau rette die unsterbliche Seele dieses unglücklichen, sinnverwirrten, jungen Mannes, erwiederte der Geistliche.
Ihr Elenden! schrie ich auf, nicht gutwillig und lebendig sollt Ihr mich haben.
Bindet ihn! rief der Baron, bindet den Rasenden und dann fort mit ihn auf den Wagen.
So leicht war dies jedoch nicht, denn trotz der vier Wächter rang ich mich los und schlug gewaltig um mich. Es war ein Ringen auf Tod und Leben, aber nach einigen Minuten wurde ich um Leib und Füße gefaßt und war im Begriff zu erliegen, als plötzlich unter dem Getümmel und dem Ruf Alieni's und des Barons nach vermehrtem Beistand die Glasthür nach der Terrasse mit solcher Heftigkeit aufgestoßen wurde, daß die Stücken der Scheiben am Boden klirrten.
Im ersten Augenblick glaubte ich, eine neue Bande breche ein, und gab mich verloren, doch die verwegenen Gesellen, mit denen ich rang, ließen mich los, und eine Stimme, die ich nie vergessen werde, Eva's Stimme, drang in mein Ohr. Ich sah das Mädchen vor mir den Kreis durchbrechen, die Banditen zur Seite stoßen und vor Freude aufschreiend, faßte sie mich mit beiden Armen und riß mich aus dieser gefährlichen Mitte.
Alles das war das Werk eines Augenblicks, und so rasch und wunderbar geschah der Uebergang von der Vernichtung zur Freiheit, daß ich nun erst bemerkte, wie nicht weit von mir ein Mann, in den Mantel gehüllt, stand, den kleinen dreieckigen Hut tief in die Stirn gedrückt, regungslos wie eine Bildsäule. Der Baron, sein Sohn, Alieni, der Kaplan und ihre Gehülfen schienen vor Entsetzen erstarrt zu sein. –
Auf der Terrasse klirrte es, Säbel blitzten, blanke Kaskets schimmerten, mehrere preußische Offiziere in Uniform mit gezogenen Degen standen in der Thür, Husaren hinter ihnen.
Keiner rührt sich hier von der Stelle! rief jetzt der Herr, ich rath's Euch Allen, draußen werdet Ihr todtgeschossen, und indem er mit langsamen Schritten bis an den Tisch vorging, sah er dem alten Baron starr ins Gesicht und sagte mit scharfer Stimme: Kennt Er mich?
Majestät! stotterte Withelen.
Ich sehe, Er kennt mich, fuhr der König fort, obwohl ich zur ungewöhnlichen Stunde komme. Das ist aber nicht meine Schuld, das hat Er dem Mädchen da zu verdanken, die mir vorredete, es werde hier im Schlosse die Verlobung Seiner Tochter gefeiert. Nun, wie ich sehe, geht es munter zu, rief er lachend. Man spielt mit dem Bräutigam olympische Spiele, er zeigt seine Kräfte, und die schöne Braut sitzt als Kampfrichterin und vertheilt die Preise. – Was sagt er?
Majestät! erwiederte Withelen in entsetzlicher Angst, in der That, es ist ein Scherz hier aufgeführt worden. Mein theurer Vetter, der Freiherr von Horn – er wird es bezeugen – wir wollten ihn auf die Probe stellen – seinen Muth auf die Probe stellen
Der König wandte sich nach mir um, und in seinen leuchtenden Augen funkelte der Zorn und jener bittre menschenfeindliche Spott, der so oft seine Lippen zucken machte.
Er war damals dreiundvierzig Jahre alt und keinesweges der Greis mit dem historischen Gesicht, das die Welt kennt, sondern ein rascher, noch jugendlicher Mann, lebendig, schön und beweglich. Seine stolze Stirn und seine Augen, tiefblau und glänzend, konnten eben so mild, wie furchtbar erscheinen; jetzt ruhten sie auf mir mit unheimlichem Ausdruck, forschend, neugierig, zugleich theilnehmend und doch mit jenem häßlichen, übermüthigen Spott, der ihm so viele Feinde gemacht hat.
Er ist ja wohl Offizier in meiner Armee gewesen? fragte er rasch.
Ja, Majestät.
Und hat den Krieg mitgemacht?
Ja, Majestät.
Nun, Baron Withelen, da darf Er an dem Muth Seines Schwiegersohns nicht zweifeln, und rathe ich Ihm, alle weitern Versuche aufzugeben. Ich bürge dafür, daß alle meine Offiziers Muth besitzen, und daß Er's glaubt, so befehle ich Ihm, sogleich die Trauung des Horn mit Seiner Tochter vollziehen zu lassen. – Das ist der Kaplan? – Wohlan, mach' er sich bereit, das Paar hier einzusegnen. Keine Flausen weiter; ich nehme die Verantwortung auf mich, und werde Ihm für seine Conduite Pardon in Rom verschaffen, wenn es sein muß. Allons, hol' er seine Apparate! Ich werde Ihm Begleitung geben, damit Er sich nicht verirrt. Ein Piket Husaren soll kommen.
Mit bleichen, entsetzten Gesichtern standen meine theuern Verwandten hinter dem Tisch, so niedergeworfen von ihren Sünden, daß sie keinen Laut des Widerstands wagten, und ohne Zweifel hätte Ulrike sich trauen lassen mit wem der König wollte, wenn damit das Verbrechen verhüllt und ungestraft blieb, das an mir begangen werden sollte.
Da sich keiner regte, entstand eine augenblickliche Stille, die furchtbar genug war. Der König stand in der Mitte des Saales wie ein Richter und Rächer. Auf der einen Seite die harten, ernsthaften Gesichter seiner Soldaten, bereit, jeden seiner Befehle zu vollziehen, an der anderen Wand die wilden, zigeunerhaften Gestalten der Bande, die Alieni hierher gebracht hatte. Der erste von ihnen, der die Thür geöffnet hatte, um davon zu schleichen, war zurück geprallt, denn der ganze Corridor war mit Husaren besetzt; so standen sie denn bebend im Winkel und erwarteten eben so gut ihr Schicksal, wie ihr Oberanführer, der Graf, welcher vergebens seine Fassung zu behaupten strebte.
Hat Er gehört, was ich ihm befohlen habe! rief der König, mit dem Fuß aufstampfend. Scher' Er sich hinaus und mach' Er sich fertig, die Trauung zu vollziehen.
In dem Augenblick trat ich hervor und sagte mit flehender, aber fester Stimme:
Majestät! hier waltet ein schwerer Irrthum ob. Ich habe die Absicht nicht, die Frau Baronin von Greifenstein zu ehelichen, auch ist hier von keiner Verlobung oder Heirath die Rede. Wäre es aber auch so, wie Ew. Majestät voraussetzten, so sind Umstände eingetreten, die jede Verbindung zwischen uns aufheben müßten. Ohne mich auf immer zu entehren und mich zeitlebens unglücklich zu machen, könnte ich nie eine solche Heirath eingehen, und eher mag mein Herr und König mich auf der Stelle tödten lassen, ehe ich meine Hand zu einem solchen Bunde erhebe.
Die zornigen Blicke, welche der König auf mich richtete, während ich sprach, schreckten mich nicht. Ich wußte, daß man ihm kühn ins Auge sehen mußte, wenn man seinen Willen beugen wollte, und ich sah in dies strenge, funkelnde Auge mit der Ruhe des unerschütterlichen Entschlusses.
Als ich schwieg, wendete sich der König um und trat dicht an den Tisch, dem Baron gegenüber.
Was hat Er hier für Papiere verbrannt? fragte er.
Majestät, stotterte der Baron, ich weiß nicht –
Antwort! rief der König, die Hand geballt auf den Tisch legend. Ich gebe ihm eine Minute Bedenkzeit. –
Er sah sich nach mir um. Komm' Er hierher.
Will Er jetzt antworten? Noch ist es Zeit, rief er im drohenden Tone.
Es waren Papiere, sagte der Baron, die sich auf einen alten Prozeß zwischen den Häusern Greifenstein und Horn bezogen.
Ah! ich kenne diesen Prozeß. Die Horns verloren dabei Alles, was sie besaßen. Diese Papiere beweisen, daß Greifenstein ein Schurke war, daß er falsche Documente geschmiedet hatte. Sie beweisen, daß die Horns niederträchtig betrogen wurden, daß ihnen dagegen das ganze Erbe des alten Greifenstein zufallen muß. Ist es so, wie ich sage? Antwort!
Es ist so, erwiederte der Baron in höchster Angst. Gnade, Ew. Majestät – die Umstände – menschliche Schwächen und Fehler – ich will gut machen – herausgeben – theurer Vetter Johann! –
Er faltete die Hände und schien niedersinken zu wollen, aber der König wandte sich von ihm zu dem Grafen Alieni, der auf einen Wink vortrat und wieder stehen blieb, bis er durch ein gebieterisches Vorwärts! bis auf zwei Schritte von dem Monarchen heran gebracht wurde. – Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Hohn und Verachtung sah ihn der König vom Kopf bis zu den Füßen an, und mehrere Minuten lang währte diese stumme Besichtigung, die der Graf unter entsetzlichen Qualen ertrug. Seine Züge waren leichenhaft aschgrau und entstellt; seine Lippen und Hände bebten. Er konnte den Kopf, den er sonst so stolz trug, nicht aufrecht halten; seine Augen waren blutig geröthet.
Er ist also der Spion, der seit Monaten sich hier umher treibt und das Land aufwiegelt? sagte er. Spione hängt man auf, ich habe es Ihm gestern gesagt.
Der Graf machte eine Bewegung, als wollte er sprechen, aber er brachte kein Wort heraus.
Ich kenne Ihn, rief der König mit erhöhter Stimme. Man hat Ihn von Wien abgeschickt, wo Menschen von Seiner Nichtswürdigkeit gebraucht werden, und wie Sein Vater am Galgen endete, so wird Er auch enden; aber ich will der Landeskasse den Strick sparen, den ist Er nicht werth. Er hat gegen mich auf Mord gesonnen, mich hier verhöhnt, beschimpft, verlästert; ich könnte ein Exempel an Ihm statuiren, aber Er ist mir zu verächtlich dazu. Daß Er Aufruhr zu stiften gesucht hat, dafür pardonnire ich Ihn auch, denn Sein Unterfangen ist lächerlich dumm, es regt sich keine Hand darum; wollte ich aber eine Untersuchung eintreten lassen, so könnte ich eine ganze Reihe von Familien, die Er verführt hat, in sein Malheur verwickeln; endlich aber hat Er gegen den Freiherrn von Horn nichtswürdig gefrevelt, und dafür soll Er mit Seinem Kopf büßen, wenn es der Freiherr nicht vorzieht, es so zu machen wie ich, und einen so miserablen Kerl laufen läßt.
Majestät, sagte ich, da er den Blick auf mich richtete, ich habe nichts zu rächen.
Der König betrachtete die Schuldigen nach der Reihe und wandte sich dann an Withelen.
Ich will Ihm einen guten Rath geben, begann er. Mach' Er, daß Er bis morgen früh über die Grenze kommt und nehme Er das ganze Pack mit sich. Seine Tochter sperr Er in ein Kloster, dahin gehört das Weibsbild, damit sie bereuen kann; Seinen Sohn bring' Er wieder unter die kaiserlichen Husaren; mit dem Pfaffen und dem anderen Spitzbuben da – er deutete nach Alieni – mach' Er, was Er will; aber wer sich von Euch Allen morgen früh noch in meinem Lande blicken läßt, dem lass' ich den Prozeß machen und den Kopf vor die Füße legen.
Hinaus! Fort! – Die Marodeure da soll der Profoß in Verwahrsam nehmen.
Die ganze Familie schlich gebeugt, lautlos und zitternd hinaus. Es war ein jammervoller Anblick, als Ulrike am Arme ihres Vaters bleich und die Hand vor ihr Gesicht gedrückt, bei mir vorüber schwankte. Meine Augen füllten sich mit Thränen; ich zitterte, wie sie.
Der König stand in tiefen Gedanken, die Hände über die Brust gekreuzt, die Blicke an den Boden geheftet. –
Schmachvolle Nichtswürdigkeit der Menschen! rief er plötzlich laut, keine Gemeinheit, kein Verbrechen ist ihnen groß genug, um davor zurück zu schrecken, wenn es gilt, ihren Leidenschaften und ihrer Gier nach Geld und Gut zu fröhnen. – Ach, Horn, Er hat Glück! fuhr er fort, indem er sich zu mir umwendete. Ich kam zur rechten Zeit, um zu sehen, wie man mit Ihm verfahren wollte. Aber Sein Prozeß ist gewonnen, ich werde für ihn zeugen. Die Greifensteinschen Güter gehören ihm von Rechtswegen, und nun lass' Er Seine schlechten Verwandten nach Oesterreich laufen und den spitzbübischen Italiener mitnehmen. Geholfen hätte es uns Beiden nichts, wenn wir sie an den Schandpfahl gebracht hätten, und im Grunde, fügte er mit bitterem Lächeln hinzu, müßte ich das halbe Land köpfen und rädern lassen, wenn ich alle Verbrecher strafen wollte.
Ich wagte keine Antwort, auch ließ mir der König wenig Zeit dazu.
Man hat Ihm auch Anträge gemacht, mich zu verrathen, sagte er, nach Wien zu gehen, dort Sein Glück zu suchen? – Es ist brav, daß er nicht darauf gehört hat, Er kann wieder in meine Dienste treten.
Ueberall, wohin Ew. Majestät mich schicken, rief ich. Möchte ich nur Gelegenheit finden, meine ehrfurchtsvolle Dankbarkeit beweisen zu können.
Dankbarkeit! erwiederte er, mich in seiner Weise mißtrauisch anblickend, Er ist mir keine schuldig. Dem Mädchen da verdankt Er Alles. Ich kam, um ihr selbst das Pferd wieder zu bringen, das sie mir geliehen hatte, und hörte eine sonderbare Geschichte. – Der Alieni war da gewesen und hatte sie ausgefragt, erst mit List, dann mit Drohungen. Er wollte von ihr erpressen, wo die gestohlenen Documente seien, und brauchte zuletzt so harte Worte gegen ihn und was mit Ihm geschehen werde, daß sie mir zu Füßen fiel und um aller Heiligen willen bat, ich möge nicht zugeben, daß ein so wackerer Herr ermordet werde. Alieni habe eine Bande Marodeure im Schloß, die ganze Familie sei wider Ihn verschworen; so erfuhr ich Seine ganze Geschichte und die Betrügereien, die man an Ihm verübt hat.
Dir also, Dir Eva, verdanke ich Leben, Zukunft und Alles, was sie mir gewähren kann, rief ich bewegt, und ohne auf des Königs Gegenwart zu achten, eilte ich zu ihr, ergriff ihre Hände, sah in ihre glänzenden Augen, die in Entzücken strahlten, und nahm sie in meine Arme, indem ich sie küßte und fest umschlossen hielt.
Auf einen Wink des Königs waren die Thüren geschlossen worden. Er hatte sich auf des Barons großen Lehnstuhl gesetzt und hörte zu, wie Eva mir von Alieni erzählte, von ihrer Angst und wie sie selbst mit dem Tode bedroht worden sei, dennoch keine Sylbe gesagt hätte. Alieni schwor, er wolle ihr Schwefelfaden und Werg um die Finger wickeln und dieß anzünden lassen, sie streckte ihm die Hände hin und sagte: Thut's, Gott wird es rächen, ich weiß nichts.
Der Bösewicht! rief ich voll Abscheu.
Ach! ich hätt's gern ertragen, erwiederte sie, wenn ich damit Euch hätt' aus dem Haus helfen können. Aber was konnte ich thun, wo sollte ich Hülfe suchen?! Er sprach so fürchterliche Worte, Gnaden, daß all' meine Falschheit Sie nicht sollt' retten können, daß Sie sterben sollten und sterben müßten, und dann die Strafe über mich kommen werde, daß ich hätt' gleich mit mir enden mögen, um den Tag nicht zu erleben.
Du gutes Mädchen, sagte ich, wie soll ich es Dir lohnen, meine Freundin, meine Schwester, meine liebe, liebe Eva! Nie will ich aufhören Dich zu ehren und zu lieben.
Sie betrachtete mich freudig und doch mit einem unverkennbaren Schmerz. Denkt immer an die arme Eva, Gnaden, sprach sie mit mühsam verhaltenen Thränen; auch wenn Ihr weit von ihr seid, vergeßt sie nicht.
Nein, Eva, rief ich, Du sollst Dich nicht von mir trennen, Du sollst mich begleiten; nie werde ich zugeben, daß Du mich verläßt.
Und wohin will Er denn das Mädchen da bringen? fragte der König lachend. Will Er sie auf den Sattel schnallen und zum Regimente mitnehmen?
Majestät, erwiederte ich mit Ernst, noch bin ich nicht im Dienst, und meine Lebensretterin hat heilige Pflichten.
Wie will Er sie denn erfüllen? fuhr der König in demselben spöttischen Tone fort.
Ich werde Eva mit mir nach Breslau nehmen, wo ich meines Prozesses wegen nothwendig längere Zeit bleiben muß. Ich werde sie dort einer edlen und gebildeten Familie zuführen, und zweifle nicht, daß dies Mädchen, das mit so vielem Verstand und Tüchtigkeit begabt ist, in einem Jahre alle Stadtdamen beschämen wird.
Und dann? fragte der König, mit den Lippen zuckend und mich betrachtend.
Dann, Majestät, werde ich ihr meine Hand anbieten und die Genehmigung meines gnädigen Königs fordern.
Was? rief der König, rasch aufstehend, Er will sie heirathen!
Ja, Majestät, das will ich, so wahr mir Gott helfe, sagte ich mit fester Stimme, denn das ist das einzige Mittel, ihre Liebe und große Treue zu vergelten, so viel ich es vermag.
Der König ging rasch an dem Tische auf und ab, dann trat er dicht auf uns zu und sagte hart und laut: Hör' Er, als Er mir Sein Project vorlegte, mit Dampf Wasser auf den Berg zu treiben, hab' ich Ihn für einen Narren gehalten, allein einer solchen Erznarrheit, wie Er jetzt begehen will, glaubte ich ihn doch nicht fähig. Bedenk' Er wohl, was Er thut. Einen Offizier, der eine Bauerdirne heirathet, kann ich nicht brauchen; Niemand würde mit ihm dienen wollen, überhaupt aber kann er nicht erwarten, daß eine Familie von Reputation mit Ihm umgeht. Er wird also zu den Ausgestoßenen, Verachteten gehören, denen Jedermann den Rücken kehrt. Das bedenke Er. Geb' Er dem Mädchen ein Stück Geld, das verdient sie; einen Mann kann sie sich selbst suchen.
Was der Monarch sprach, war nur zu richtig. Die Standesvorurtheile schieben das Volk in Kasten, deren Dünkel keine Grenzen kannte. Der elendeste, verthierteste Junker, der roheste Lieutenant hätte keine reiche Kaufmannstochter heirathen können, ohne mit der Verachtung seiner Standesgenossen gebrandmarkt zu werden. Daß die reiche Bourgeoisie dem armen Adel mit ihren Erbtöchtern aufhelfen müsse, zu diesem klugen und leichtfertigen Grundsatze gelangte man erst später; wenn nun aber ich, der letzte Sprößling eines alten reichsfreiherrlichen Geschlechts, eine Bauerdirne zu mir erhob, wie viel größer und furchtbarer war nicht da mein Verbrechen, das unverzeihlich und unvertilgbar sich zwischen mich und die Welt legte, zu der ich gehörte.
Die Worte des Königs, so warnend sie klangen und so viel Theilnahme sie ausdrückten, erschütterten mich jedoch nicht. Ich hörte es ihnen an, daß er mir jedenfalls die Bewilligung zu dieser Heirath, welche die Tyrannei der Vorurtheile sogar zum Gesetz erhoben hatte, nicht versagen würde, und mein Entschluß stand fest. Eva war mir werther, als alle verdummten und in Beschränktheit verknöcherten Menschen, welche ich missen konnte, wie ich mußte.
Majestät, sagte ich, ich weiß, daß die Warnungen, welche Sie mir ertheilen, gerecht sind; ich weiß auch, daß die vornehme Gesellschaft mir den Rüden kehren wird; allein ich habe so eben erfahren, was diese Gesellschaft werth ist. Verrathen und an Leben und Ehre bedroht von ihr, hat ein einfaches Mädchen mir bewiesen, was wahrer Adel ist, und welche köstliche Güter treue Liebe und ein warmes edles Herz sind. Man findet sie selten, am seltensten bei denen, welche in Vorurtheilen und Anmaßungen geboren wurden. – Ich bin arm an Freuden, ich stehe allein im Leben; der Himmel hat mir in diesem Mädchen einen Schatz gesandt, den ich nicht von mir stoßen will; denn ich weiß und fühle es, sein Besitz wird mich trösten über alle Anfechtungen, welche die hochmüthigen Trennungen der Menschen mir bereiten können.
Der König hatte ohne Unterbrechung mich angehört. Er hielt die Hände auf dem Rücken und stand in Gedanken.
Er gehört zu den starken Geistern, sagte er dann, die über die Vorurtheile der Menschen spotten; aber nehm' Er sich in Acht, sie rächen sich. Seh' Er auf mein Beispiel; hör' Er, wie die ganze Meute gegen mich heult.
O! Majestät, rief ich, Sie sind der Heros Ihrer Zeit, bestimmt, die alte Dunkelheit zu durchbrechen.
Er sah mich mit einem seltsamen Blick an, in welchem sich Verachtung, Zweifel, Spott und Unglauben ausdrückten.
Wir müssen es der Geschichte überlassen, sagte er, die einmal darüber richten wird, ob wir umsonst gelebt haben; aber Du, Eva, Du, deren Namensschwester schon den Adam im Paradiese verführte, und die nichts von der Nachwelt und ihrem Ruhm zu hoffen hat, sage mir, wie hast Du es angefangen, diesen Mann da Deine Aepfel essen zu lassen und ihn ganz wahnsinnig zu machen?
Ach, Herr! sagte sie, Aepfel sind's halt nicht gewesen, und wie mir's scheint, redet er ganz verständig danach.
So! rief der König laut lachend, nennst Du es denn verständig, daß er Dich heirathen will?
Ja, Herr König, ich nenn's so, warum nicht? versetzte sie.
Warum nicht? wiederholte er, freilich darauf ist die Antwort leicht und schwer, je nachdem man die Liebe vom göttlichen oder menschlichen Standpunkt betrachtet.
O, Gnaden, sagte Eva, ich weiß nur Eins, weiß nur, daß ich mit ihm ziehen möcht' bis an's Ende der Welt, und möcht' immer thun, was er mir sagt. Ich könnte seine Magd sein und würde nicht murren; aber ich bin ein freies Mädchen, und wenn er mich zur Frau nehmen will, werd' ich meinem Herrn keine Schande machen vor Welt und Menschen. – Glaubt's Herr, glaubt's der Eva, rief sie, die Hand auf die Brust legend, er soll's nimmermehr bereuen.
Der König stand vor ihr still und blickte in ihre blitzenden, muthigen Augen; ihre Unerschrockenheit schien ihn immer mehr zu belustigen. Er faßte sie ans Kinn und rief zu mir umschauend:
Bei aller Seiner Narrheit hat er wahrhaftig Glück, denn bei der wird er besser fortkommen, wie bei Seiner Cousine. – So thue Er denn, was Er nicht lassen kann. Es soll ein Husarenpiket hier bleiben zu Seinem Schutz und um Ordnung zu halten, bis Er fort ist. Aber bring' Er seine Braut so bald wie möglich nach Breslau und lass er ihr da Manieren beibringen; inzwischen fang' Er seinen Prozeß an und dann wollen wir weiter sehen. – Jetzt seh' Er zu, wo Er bleibt. Gute Nacht!
Er ging zur Thür hinaus, und in wenigen Minuten war der größte Theil des Reiterzuges auf dem Wege nach Frankenberg, Eva lag in meinen Armen, und wenig habe ich noch hinzuzufügen.
Der Kapitain, welcher zurück geblieben war, ließ gegen Morgen den Reisewagen des Barons, der die Familie enthielt, ruhig abziehen. Sie flohen nach Prag, und kehrten nicht wieder zurück. – Der alte Baron starb bald, sein Sohn fiel in der Schlacht bei Striegau, tapfer fechtend. Alieni heirathete die Erbtochter, aber es war eine unglückliche Ehe. Er verschwendete, was sie besaß, verkaufte die Güter in Schlesien und verließ die unglückliche Frau, welche endlich, wie es der König ihr gesagt, in einem Kloster ihre Sünden bereute.
Mein Prozeß wurde gewonnen und Greifensteins Erbschaft kam in meine Hände; doch nicht so leicht, wie ich glaubte. Der siebenjährige Krieg brach aus und alle Ordnung hörte auf, aller Rechtsgang stockte, in dem furchtbar verheerten Lande hausten Feinde und Freunde um die Wette.
Es würde uns traurig gegangen sein, wenn Eva nicht ihren Hof vor Ausbruch des Krieges verkauft und alle Ersparnisse des Großvaters dazu gethan hätte. Im Winter nach jenem Frühjahr heirathete ich sie in Breslau, und großmüthig blieb der König unser Beschützer, der mich nach Berlin rief und im Kriegscollegium anstellte. Nun ist der Krieg vorüber, ich bin reich und bin beglückt, am glücklichsten durch mein geliebtes, theures Weib, meine Eva, die Mutter meiner Kinder, meines Hauses Ehre, deren Tugenden selbst Neid und Vorurtheile anerkennen müssen.
Bei der letzten Revue Damals in der Bedeutung: Heerschau, Truppenschau, Parade. – Anm.d.Hrsg. besuchte mich der König, und selten habe ich ihn so heiter, menschlich warm und froh gesehen. Er nahm meinen Sohn auf sein Knie und zeigte ihm seine Mutter. Die mußt Du immer lieben und ehren und Gutes thun, sagte er, die verdient es, gute Kinder zu haben. – Er aber, Horn, Ihm habe ich es schon damals gesagt: Er hat Glück!
Ich denke es aber auch verdient zu haben, Majestät, erwiederte ich. Ich habe mein Glück erobert im Kampfe gegen mächtige Feinde. Dafür besitze ich das Höchste, was ein Mensch erwerben kann: Ein treues Weib, geliebte Kinder! – Ja, mein hoher Herr, ich bin sehr glücklich, und daß ich es sein kann, danken wir Ihnen.
Der König hörte ernsthaft zu, und der kalte Spott, welcher sonst wohl in den erstarrten Zügen lauerte, verschwand vor einer inneren Rührung, die ihn ergriff. –
Er ist also noch immer ganz glücklich? sagte er.
Ich würde mit Keinem auf Erden tauschen!
Und noch immer dankbar?
Dankbar, bis zum letzten Athemzuge.
So bin ich zufrieden, rief er aus, dann habe ich doch einen dankbaren Menschen glücklich gemacht. – Und er will nichts von mir? – Er hat keine Bitte, kein Gesuch?
Nein, Majestät. – Ich sah ihn erstaunt an.
Will Er jetzt noch das Wasser auf den Berg treiben? rief der König lachend, oder hat Er andere Dinge zu thun?
Ach, Majestät, sagte ich, glauben Sie mir, das ist eine große Entdeckung. Es muß gehen, ich kann es nicht sagen, wie, ich habe vergebens darüber nachgesonnen; aber die Wunderkraft des Dampfes wird einst die Welt umwandeln.
Er ist ein Narr! rief der König, ich habe es Ihm damals schon gesagt, aber ein sehr glücklicher Narr ist er, denn trotz des Dampfes hält er sich an's Reelle, und das ist meine Sache auch. –
Er gab Eva den Arm und führte sie zu Tisch.
Komm' Er bald einmal nach Potsdam und besuch' Er mich, sagte er beim Abschiede, doch ohne Dampf! – Den aus den Köpfen zu bringen, das ist meine Aufgabe, dabei soll Er helfen, aber wir werden wohl alle daran zu Grunde gehen. –