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1.

Wie das Haus eines Mannes aussieht, bei dessen Erscheinen an der Börse sich alle Augen ehrfurchtsvoll und forschend auf ihn richten und vor welchem die ganze Armee der Agenten, Makler, Speculanten und Agiotagemänner Agiotage: Börsenspekulation durch Ausnutzung von Kursschwankungen. – Anm.d.Hrsg. sich beugt, bedarf keiner weiteren Ausmalung. Die Zeiten sind vorüber, wo die reichen Geldmänner in abgelegenen Straßen hinter düsteren vergitterten Fenstern saßen, wo sie über ihre Schätze den Schein äußerer Dürftigkeit breiten mußten, um die Gewaltthätigkeiten der Gewaltigen von sich abzuwenden. Heut zu Tage feiern die Geldmänner glänzende Feste in Palästen, an denen die stolzesten Grafen und Prinzen Theil nehmen, und etwa ein solches Fest war es, das in den glänzenden Sälen des Hofbankiers von Eyben vorbereitet wurde.

Herr von Eyben ging in der Dämmerung noch einmal mit streng prüfenden Blicken durch die lange Reihe seiner Salons, um Gericht zu halten über alle Arbeiten der Tapezierer, der Vergolder, der Gärtner und des jungen Architekten, dem er sämmtliche Einrichtungen übertragen hatte. Er hatte ihm befohlen nichts zu sparen, denn er feierte heut den Geburtstag seiner einzigen Tochter mit einem Balle, zu dem die Edelsten und Ersten geladen waren, und er fand nun, daß wirklich viel Ueberraschendes und Schönes geleistet sei. Allein es konnten dennoch leicht einige Abänderungen nöthig werden; Fräulein Selma war schwer zu befriedigen.

Der zärtliche Vater betrachtete die kunstvollen Gewinde von Goldblumen und die Fauteuils von Silberzindel mit größerer Aengstlichkeit und Theilnahme, wie er sie an der Börse einem gewagten Actienkauf zugewandt haben würde. Mit Wohlgefallen hörte er die Erklärungen des jungen Künstlers über die harmonische Wechselwirkung der farbigen Mousseline, der Blumengruppen und Grotten, der Vertheilung des Lichts vom sonnenhellen Ballsaal bis zu dem Halbdunkel in den duftigen kleinen Ecksalons und Kabinetten. Die Hand in der Brusttasche seines Rockes schritt er aus einem Zimmer in das andere, immer freundlicher um sich schauend, und dann und wann wiederholte er die eindringliche Frage:

Haben Sie auch nichts gespart, Herr Gerstenberg? – Haben Sie Alles angewandt, um Neues und Reizendes in diese Anordnungen zu bringen?

Ich habe Ihre Befehle auf's Strengste vollzogen, Herr von Eyben, erwiederte der junge Mann lächelnd, und bin überzeugt, daß der Ruf dieses Festes auf lange hinaus gesichert ist.

Man muß vorsichtig sein, sagte der alte Herr ihn anblinzelnd. Die Zeitungen bemächtigen sich gern solcher Gelegenheiten, um boshafte Bemerkungen zu machen. Darin ist die Preßfreiheit ohne Gränzen und gleichsam eine Schadloshaltung, wo es ihr sonst an Freiheit fehlt.

Ich hoffe, daß die schärfste Kritik nicht zu fürchten sein wird, meinte der Architekt vertrauensvoll.

Hoffen Sie nicht zu viel, rief der alte Herr. Neid und Mißgunst wissen immer eine wunde Stelle aufzufinden; wo keine ist, machen sie eine, und so ein Zeitungsschreiber stößt entweder in die bezahlte Lobposaune oder er sucht irgend einen Witz zu machen, der dem nichtsnutzigen Haufen gefällt. Aber warten Sie, Herr Gerstenberg, ich werde meine Tochter rufen, die absichtlich bis jetzt keinen Blick auf Ihre Arbeiten geworfen hat, um den Totaleindruck nicht zu verlieren.

In dem Augenblick, wo Herr von Eyben sich umwendete, erfüllte sein Vorhaben sich von selbst, denn eine Seitenthür öffnete sich und eine einfach in Weiß gekleidete Dame trat herein, die einen raschen und freudigen Blick über den Saal werfend sich lebhaft an den Künstler wandte und ihre Anerkennung ihm zu Theil werden ließ.

Das ist schön! Das ist geschmackvoll! rief sie. In der That, Herr Gerstenberg, Sie haben sich übertroffen. Nirgend eine Ueberladung, nirgend zu viel und doch die reichste Mannigfaltigkeit. Was ich neulich von Ihnen bei dem Feste des Grafen Fermont sah, wird dadurch in den Schatten gestellt. Ich denke, man wird zufrieden sein. Nicht wahr, Papa, man wird sehr zufrieden mit uns sein?

Der gute Papa verzog die tiefen Falten seines Gesichts zu einem Lächeln, das noch lange fortdauerte, als er seinem schönen Kinde nachblickte, die mit dem Architekten durch die Säle eilte und sich alle Einzelnheiten der Einrichtungen von ihm zeigen ließ. Der Schall ihrer frisch klingenden Stimme hallte durch die glänzenden Räume und ihre leichte, von Erwartung und Freude beflügelte Gestalt schwebte durch die Dämmerung wie ein Engel, der mit seinem leuchtenden Gewande die Nacht verscheucht.

So wenigstens kam es dem alten Herrn vor, der sich auf einen der großen Lehnstühle niederließ und während er im Gedanken die Kosten des Festes überschlug, und einige Male den Kopf schüttelte, immer wieder vergnüglichen Sinnes ward, wenn er Selma in der Ferne lachen hörte.

Theuer ist es freilich, murmelte er, aber das Theuerste, was ich besitze, ist sie, und wenn es ihr Vergnügen macht, was schadet es dann! Man muß den Menschen auch zeigen, daß man weiß, wohin man gehört, daß man machen kann, was Wenige machen, und daß es eine Auszeichnung ist, bei Jakob von Eyben gewesen zu sein.

 

Sie sind ein seltsamer Baumeister, Herr Gerstenberg, sagte inzwischen die junge Dame zu dem Architekten. Sie zaubern Welten für einen Abend, bauen Feenpaläste auf, die vor hundert Jahren als Ammenmärchen gegolten hätten, und am nächsten Morgen wird die ganze Schöpfung eingerissen, um als Plunder in der Rumpelkammer zu verschwinden.

Es ist mit den Werken des großen Baumeisters, der die Welt erdacht und ausgeführt hat, eigentlich ja auch nicht viel besser, erwiederte der junge Mann lächelnd. Was er schafft, verschwindet im Verhältniß zur Ewigkeit noch schneller als mein Aufbau, und dabei habe ich den Vortheil, immer für Glückliche zu arbeiten und meine Wohnungen nur für den Theil der Menschheit einzurichten, der der Freude und dem Genusse lebt.

Das verstehen Sie, erwiederte Selma ihn schalkhaft anblickend, und wenn Sie bei dem großen Weltbau mit geholfen hätten, würde er wohl etwas anders ausgefallen sein, nicht wahr?

Wer weiß, erwiederte er. Ich habe nicht mit geholfen; vielleicht aber lag es im Plane des Weltenmeisters, eine so unvollkommene Schöpfung herzustellen, um es dann den vernünftigen Wesen darin zu überlassen sich weiter zu helfen, um vollkommen zu werden.

Das wird lange dauern, Herr Gerstenberg.

Ja, gewiß sehr lange. Aber man muß den Muth nicht verlieren.

O! Sie sind ein Philosoph, rief Selma lachend, das heißt einer von den neuesten Philosophen, die für Gleichheit schwärmen. Nicht wahr?

Wenigstens Einer, der daran glaubt, daß die großen Klüfte, welche die Menschen trennen, wohl einmal ausgefüllt werden können.

Das glauben Sie wirklich?

Ich glaube es, weil ich so manche große Kluft, die in alter Zeit für unausfüllbar galt, jetzt geebnet sehe.

Die schöne Dame sah ihn groß und stolz an und über ihre Stirn lief eine feine Röthe.

Sie müssen mir einmal mehr von Ihren Gedanken und Meinungen mittheilen, sagte sie spöttelnd, aber jetzt lassen Sie uns zurückkehren. Ich finde Alles, was Sie angeordnet haben, vortrefflich, doch Klüfte werden damit nicht ausgefüllt.

Ich schlage die Brücken, welche die Gebieter der alten Zeit mit denen der Gegenwart verbinden, erwiederte er lächelnd, indem er von einem Arbeiter abgerufen wurde.

Selma kam zu ihrem Vater zurück, erfreut über die Einrichtungen des Festes.

Ich bin entzückt, sagte sie, was Gerstenberg diesmal geschaffen hat; erstaunt, Papa, was man überhaupt mit Flor, Schmelz, Flittern und allerlei Farben und Blendwerk hervorbringen kann.

Es ist Alles Blendwerk in dieser Welt, mein Kind, versetzte der alte Herr. Das einzige Reelle ist das Gold!

Meinst Du? fragte die junge Dame, ihre Hand auf seine Schulter legend. Nein, Papa, es giebt doch Besseres auf Erden, als das rothe Metall.

Der Bankier beschrieb mit dem Zeigefinger einen Halbkreis und indem er auf die großen Spiegel, die Broncen, Kronen und den theuern Schmuck der Wände deutete, fuhr er mit ironischem Ausdruck seiner scharfen Stimme fort:

Alles das schafft das Gold; wer es nicht hat, ist verachtet. – Warum leben die Menschen in dumpfigen Höhlen? Warum sind sie elend, roh und schlecht? Warum drücken Fürsten und Minister dem Jakob von Eyben die dürren Hände? Warum bücken sich so Viele vor dem alten Mann?

Es giebt aber doch welche, die sich nicht bücken, sagte Selma, und unwillkürlich suchten ihre Augen ihren Gedanken folgend in der Tiefe des Saales die Gestalt des jungen Architekten.

O! die Narren, rief der alte Herr wegwerfend, ich weiß, ich weiß! – Aber mögen sie auch heimlich hochmüthig spotten, fuhr er fort, denn was er bei seiner Tochter Bemerkung dachte, zog einer ganz anderen Richtung nach – was wollen die alten verrosteten Harnische und Wappenschilde gegen die Panzer von Gold, welche die Ritter der neueren Zeit tragen?!

Ich sage Dir, Selma, sprach er, indem er die Hand der jungen Dame faßte und mit ihr langsam nach der vorderen Zimmerreihe schritt, weil Diener kamen, die Stühle und Tische ordneten und Lärm machten – ich sage Dir, mein Kind, nichts ist lächerlicher, als die Thorheit der Menschen, die nicht sehen wollen, wie der Kampf der alten Welt gegen die neue ausfallen wird. Er wird so ausfallen, daß das Gold siegt. Alle die hohlen Titel und leeren Namen werden davor in Stücke zerfallen, denn es ist Plunder, über den jetzt schon Viele spotten. Bald aber werden Wenige mehr sein, die nicht wissen, daß sie mit abgestorbenen Schatten zu thun haben, die keine Ehrfurcht verdienen. Eben so gut werden jedoch die Phantasten und Tugendritter untergehen, die da meinen, die Erde solle sich mit Wesen bevölkern, welche sich lieben wie Brüder und theilen wie Brüder, und eine Art Paradies wiederherstellen möchten wie das verloren gegangene. – O, die zehnfachen Narren und Taugenichtse! – Die Menschen sind klug und sie werden immer klüger. Sie wissen, daß das Gold Alles kann, alles vermag; darum streben sie danach. Gold giebt Achtung und Ehre, Reichthum giebt Macht und Bedeutung, Besitz macht frei. Der reiche Mann ist der König und Fürst der Zukunft; wer kein Geld hat, und wenn er seine Ahnen nicht zählen könnte, wird ein Bettler sein und ein Lump bleiben sein Leben lang.

Ein Seufzer antwortete plötzlich diesen Worten, der aus der dämmernden Ecke des Zimmers herzukommen schien. Vater und Tochter blickten erschrocken darnach hin, und Herr von Eyben stand einige Augenblicke wie regungslos vor Schreck oder Staunen, bis seine Stirn sich mit tiefen Falten bedeckte, als er einen ältlichen, ärmlich gekleideten Mann dort in der Nähe der Thür erkannte. Ein langer gelbbrauner Rock hüllte seinen starken Körper ein, ungekämmtes, wirres Haar sträubte sich an den Seiten des Kopfes auf, und dieser Kopf selbst, mit seinem kahlen Vorderhaupt und dem rothen Gesicht, das ein grauschwarzer Backenbart noch breiter und häßlicher machte, schaute wüst und frech mit funkelnden kleinen Augen auf den reichen Herrn und seine schöne Tochter.

Was willst Du hier? fragte Eyben, indem er auf ihn los ging. Wo kommst Du her? setzte er im strengen Tone hinzu.

Was ich will? erwiederte der Andere mit einem Gemisch von Demuth und Unverschämtheit. Gott meiner Väter! alles Gute will ich. Ist doch heut Selma's Geburtstag, die ich vor zwanzig Jahren in meinen Armen gehalten habe, als sie kaum geboren war und ich den ersten Glückwunsch über sie aussprach, der in diesem Leben ihr zu Theil wurde. Damals freilich, fuhr er mit einem Seufzer fort, damals stand es anders mit mir. Ich war im Glück und hatte Freunde.

Und jetzt, sagte der Bankier mit unterdrückter Heftigkeit, hast Du nichts, weil Deine Unklugheit Dich um Alles gebracht hat.

Bruder Jakob, erwiederte der Mann achselzuckend, das Rad des Glückes steigt auf und nieder, wo ist die Hand, die es halten kann?

Schweig! rief der alte Herr, ich habe keine Zeit, abgedroschene Redensarten anzuhören. – Ich unterstütze Dich hinlänglich und sichere Dich vor Noth. Dafür thust Du mir den Gefallen, still in Deinem Häuschen in Feldberg zu leben und mich in keiner Weise zu belästigen. So lautet unser Vertrag. Warum hast Du Dein Wort nicht gehalten? Warum suchst Du mich auf? Und wie bist Du in diesen Saal gedrungen? – Ich will nichts von Dir wissen. Ich habe in meinem Leben zu viel von Dir gehört; zu viel Schlechtes, Schändliches, Gemeines, um nicht Deinen Anblick zu fliehen.

Alle diese heftig ausgestoßenen Säße hörte der Andere mit unerschütterlicher Ruhe und heuchlerischer Demuth an.

Bruder Jakob, sagte er dann im leisen vorwurfsvollen Tone, ist es recht, so zu sprechen, da ich als ein Bittender an Deiner Thür stehe?

Eyben erhob mit noch größerer Heftigkeit die Hand, als Selma schnell ihre Finger darauflegte und leise ihm zuflüsterte:

Still Papa: Deine Ehre erfordert es, ruhig zu sein. Niemand darf wissen, wer dieser Mann ist und was er will. Du theilst das Schicksal mancher Familien und immer noch ist es ein Glück, daß Du unsere Schande abkaufen kannst. Gieb ihm Geld und er wird gehen. Sage, was Du haben willst, rief sie dem Verwandten zu, aber schnell und dann fort; fort für immer!

Du willst also Geld haben? fragte der Bankier.

Ich habe Schulden, erwiederte sein Bruder.

Wie kannst Du Schulden machen, Elender! rief der alte Herr. Ich gebe Dir so viel Du nöthig hast.

Halte Dich nicht auf, Papa, fiel Selma ein. Wie hoch belaufen sich die Schulden?

Nach und nach, sagte der Onkel, indem er seine schöne Nichte forschend anblickte, in deren Gesicht die Angst deutlich genug zu lesen war – sind es achthundert Thaler geworden.

Achthundert Thaler? schrie Eyben. Du bist toll! Ich werde mich hüten, Dir achthundert Thaler zu geben!

Es mögen wohl neunhundert sein, fuhr der Bittende fort, der seinen Vortheil sehr gut verstand, und, wenn mir geholfen werden soll, wenn ich wirklich aus meiner Noth herauskommen will, müßte ich tausend Thaler haben.

Tausend Stockprügel! tausend Stricke! rief der Bankier empört. Fort mit Dir, auf der Stelle!

Hier legte abermals Selma leise zitternd die Hand auf den Arm ihres Vaters und führte ihn einige Schritte zurück. –

Höre mich an, Papa, sagte sie. – Du hast mir einen Schmuck nach meiner Wahl als Geburtstagsgeschenk versprochen. Ich entsage ihm, ich will ihn nicht, aber ich bitte Dich, gieb Deinem Bruder die Tausend Thaler unter der Bedingung, daß er augenblicklich geht, die Stadt verläßt und nicht wieder kommt, wenn er nicht will, daß wir ihm jede Unterstützung entziehen.

Willst Du das versprechen und halten? fragte der alte Herr, nachdem er einige Augenblicke geschwankt hatte.

Ich will es versprechen und halten, erwiederte der Mann mit großer Lebhaftigkeit seine Hand erhebend. So war mir Gott helfe!

Herr von Eyben nahm aus seinem Taschenbuche zwei Scheine, die er ihm reichte, und sagte drohend:

Hier ist das Geld. – Ich setze in Deinen Schwur gar keinen Werth, um so mehr in den meinen. Höre ich das Geringste, was mir nicht gefällt, so bekommst Du das nächste Jahr keinen Groschen; betrittst Du noch einmal meine Schwelle, ohne daß ich Dich rufen lasse, so ziehe ich meine Hand ganz von Dir ab. – Jetzt geh, ich schenke Dir allen Dank. – Geh, so schnell Du kannst, das ist das Einzige, was ich von Dir verlange.

Es war unmöglich, größere Verachtung auszudrücken, wie in den Worten und Blicken des alten Herrn lag. Er kehrte dem reich Beschenkten den Rücken und trat mit seiner Tochter an das Fenster, wo beide früher gestanden hatten, während jener ohne eine sichtbare Empfindlichkeit einige Worte murmelte, das Geld einsteckte und hinausging.

Als die Thür ins Schloß fiel, wandte sich Selma um. – Dem Himmel sei Dank! rief sie, er ist fort; aber sie ließ die aufgehobenen Arme sogleich wieder sinken und schwieg erschreckt, denn in dem Saale, der an das Zimmer stieß, glaubte sie den Schatten eines Menschen zu bemerken, der über das blankpolirte Getäfel sich bewegte.

Mit einigen schnellen Schritten eilte sie an die halboffene Flügelthür, doch kehrte sie sogleich zurück, denn Niemand war zu finden.

Ach! lieber Papa, sagte sie tiefathmend und dem alten Herrn die Hände küssend, wie sehr danke ich Dir, daß Du meine Bitte erfülltest. Die Nähe dieses Mannes, verzeihe, daß ich ihm keinen anderen Namen gebe, ist mir entsetzlich. Mit wahrer Herzensangst glaubte ich, daß Jemand uns belauscht habe, doch zum guten Glück blieben wir allein. Er ist fort, um uns hoffentlich nie wieder zu belästigen.

Da bist Du sehr im Irrthum, erwiederte Eyben mit finsterer Stirn. Er hat zu schnell und zu leicht bekommen, was er forderte, hat Dein dringendes Verlangen, ihn los zu werden, zu gut bemerkt, um nicht nächstens einen neuen Versuch zu machen. Aber er wird sich täuschen. Was heut geschehen ist, geschieht nie wieder. Du hast mich zu einer großen Thorheit verleitet.

Die ich büße, rief Selma zärtlich, denn mein Schmuck geht dabei verloren und bei einem Mädchen von zwanzig Jahren heißt das etwas, einen Schmuck zum Opfer bringen.

Der alte Herr lächelte. Sonderbar! sagte er dann. Ich hatte die beiden Kassenbillets zu mir gesteckt, um sie Dir zu schenken, damit Du wählen möchtest, was Dir behagt, nun hast Du eine absonderliche Wahl getroffen. Wird die nächste mir auch so wenig behagen, wie diese?

Vater und Tochter standen sich gegenüber. In dem großen Saale wurden die Kronleuchter soeben zur Probe angezündet; der Ferne Lichtschein fiel in das einsame Gemach und überzitterte verschwindend und wiederkehrend die beiden Gestalten.

Es war nicht möglich, einen größeren Contrast zu finden. – Das eckige, ausgetrocknete Gesicht des alten Bankiers, mit seinen scharfen Zügen und der weit hervortretenden Nase, das ergraute spärliche Haar, das glattgekämmt vom Hinterkopf auf den Scheitel lag, und die kleine breite Gestalt unförmig in einen weiten Rock gehüllt, paßte in nichts zu den schlanken und reizenden Formen Selma's, zu diesem glänzenden, üppigen Haar, zu den feinen, stolzen Zügen, die in Anmuth und geistiger Belebung strahlten.

Nun! rief Eyben nach einigen Augenblicken, antworte doch, liebe Selma. Du bist heute zwanzig Jahre. Das ist ein wichtiger Lebensabschnitt für jedes Mädchen, und meinen innigsten Wunsch kennst Du. – Ich bin ein alter Mann, Selma. Sechzig Jahre sind schon etwas, wer weiß denn, ob ich Deinen nächsten Geburtstag noch mit Dir begehen darf!

Viele, viele! theurer Papa, sagte sie gerührt.

Wenn es aber nicht so wäre, fuhr er fort, dann lasse ich Dich allein zurück, wahrscheinlich ehe ich mein Vermögen geordnet habe, das in weitläuftigen Geschäften durch viele Länder zerstreut ist.

Sage es nur gerade heraus, Papa, fiel sie lächelnd ein. Es wird mich nicht überraschen, wenn Du mir Dein Geheimniß mittheilst.

Sieh, mein Kind, sprach erweiter, ein so großes Haus, wie das, was ich gegründet habe, ist wie ein Königreich, das ein kriegerischer Fürst zusammenerobert hat. Seine mächtige Hand und sein Geist gehören dazu, es aufrecht zu erhalten und zu mehren, wenn er aber alt wird und fühlt, daß sein Ende kommen kann, wird er ängstlich besorgt feine Blicke aussenden, wo er einen rechten Erben finden möge.

Und das hast Du auch gethan und hast ihn gefunden.

Ja, Selma, wenigstens glaube ich daran.

Und ich soll Dir nun den Gefallen thun, fragte sie lachend, in aller Eile den jungen Thronerben zu heirathen?

Scherze nicht, antwortete er unmuthig, ich will das Glück Deiner Zukunft sichern.

Ach, das Glück! rief sie kläglich, auf wie vielen Wegen suchen es die Menschen? Lieber Papa, Du meinst auf jeden Fall den jungen Isidor Berton, der seit einem Jahre in Deinem Comptoir arbeitet und Deine Zufriedenheit in hohem Grade erwirbt; leider ist dies bei mir nicht der Fall.

Höre mich an, Selma, unterbrach er sie. Ich gebe nichts darauf, daß Isidor der Sohn meines alten Freundes ist, er hat mehr Söhne und ich habe mehr Freunde. Ich gebe auch nichts darauf, daß er Vermögen besitzt; Vermögen haben viele und mehr als er; Jakob von Eyben kann seinen Schwiegersohn unter den Reichsten suchen. Endlich aber gebe ich auch nichts darauf, daß er mir gefällt, weil er einer der tüchtigsten, gewandtesten und unterrichtetsten jungen Männer ist, die ich kenne; denn was ich besonders an ihm schätze, hat keinen Werth für Dich, wie Du die Welt betrachtest. Aber Isidor ist nicht allein ein ausgezeichneter Geschäftsmann, er ist auch ein Mann, wie ihn ein Mädchenauge gern sieht. Jung, lebhaft, gesprächig, ein guter Jäger, ein Musiker, ein Mann der Gesellschaft, ein Mann, der zu gefallen weiß; ein Mann, der die Dichter kennt und die Kunst liebt, bei alledem aber ein Mann von scharfem Blick und mächtigem Verstand, der immer weiß, was er thun und lassen muß.

Du hast ihn vortrefflich beschrieben, sagte Selma belustigt; ich sehe ihn leibhaftig vor mir stehen.

Hast Du niemals an ihn gedacht, Selma? fragte der alte Herr.

Sehr viel, lieber Papa.

Sei ernsthaft, Selma. Hast Du überhaupt denn nie bemerkt, daß Isidor sich Mühe giebt Dir zu gefallen?

Lieber Papa, es geben sich so viele Mühe mir zu gefallen, daß ich wirklich dafür abstumpfe. Es ist ein Unglück!

Was ist ein Unglück? fragte er erschrocken, als sie die Hand an die Stirn legte. Was nennst Du ein Unglück?

Daß ich reich bin, sagte sie mit einem bitteren Lächeln; daß ich niemals weiß, wem die Verehrung gilt: meinem Gelde oder mir.

Das ist eine Klage, die alle Erbinnen erheben können, wenn sie wollen, erwiederte der alte Herr trocken.

Vielleicht fühlen sie diesen Schmerz nicht, rief die junge Dame lebhaft, vielleicht kommen den Meisten diese Zweifel nicht einmal. Aber ich – ich fühle Alles. Ich denke oft darüber nach und mit jedem Male beängstigt und erschöpft es mich mehr.

Närrisches Kind! sagte Eyben, was sind das für romanhafte Träume? Möchtest Du arm in eine Hütte ziehen, um zu sehen, ob nicht irgend ein verzauberter Prinz Dich abholen will? – Nimm die Welt, wie sie ist, und verlange nicht zu viel von ihr. Du bist Selma von Eyben, meine Tochter. Deine Liebe wie Deine Ehe und ihr Glück regeln sich danach, das bedenke.

Nun, Papa, erwiederte sie, glaubst Du denn, daß Isidor mich noch begehren würde, wenn heut Dein Thron umstürzte, Dein Reich in Trümmern ginge?

Der Bankier schüttelte den Kopf. Das würde er bleiben lassen, sagte er, dazu ist er zu klug. Ich selbst würde es ihm widerrathen.

Vortrefflich! rief Selma, also ich und Dein Geld wir gehören zusammen, um den guten Isidor zu beglücken und mit ihm glücklich zu werden. Nein, Papa, so lasse ich mich nicht verhandeln. Ich halte mich höher im Preise. Wer meine Hand begehrt, muß sie nehmen arm und leer; niemals will ich die Zugabe zu dem Gelde sein, das ich mit mir schleppe.

Beide schwiegen. Der Vater schien zu überlegen, ob er weiter gehen oder vor der Hand abbrechen sollte, endlich aber wandte er sich nochmals an die unmuthige Tochter. Nur um Eines wollte ich Dich fragen, begann er. Hast Du etwa nach den Grundsätzen, die Du so eben aussprachst, schon irgend einen edelmüthigen Freund gefunden, dem Gold und Reichthum werthlose Dinge sind?

Darf ich wissen, erwiederte sie, aus welchem Grunde diese Frage an mich gestellt wird?

Weil, sagte Eyben, es leicht dahin kommen kann, daß der erste beste Abentheurer oder unbedeutende Mensch Dein und mein Lebensglück vernichten könnte.

Mein Vater! rief sie zürnend und laut, diese Kränkung hätte ich nicht erwartet. – Glaubst Du so wenig, daß ich weiß, wer ich bin, daß es möglich wäre, ich könnte mich erniedrigen, bis zur Unbedeutenheit? – Sorge nicht, ich kenne meine Stellung und was ich fordern darf. Mein Herz und meine Hand sollen sich niemals trennen, aber meine Hand wird keinem Manne gereicht werden, den mein Herz nicht wählt, und dies Herz ist kein schwaches, leicht irre geleitetes, sondern von meinem Kopfe beherrschtes, dem Du ja auch einige Einsicht zutraust.

Du hast also bis jetzt kein Herzweh, liebe Selma? fragte Eyben erfreut, indem er schmeichelnd sie ans Kinn faßte.

Wenn Dich das beruhigt, sprach sie lachend: nicht das geringste, Papa!

Hier wurde das Gespräch von dem eintretenden Architekten unterbrochen, der ihnen mittheilte, daß die Beleuchtung vollständig ausgeführt sei, und sie bat, jetzt noch einen Blick auf alle seine Anordnungen zu werfen.

Herr von Eyben nahm den Arm seiner Tochter und führte sie vergnügt durch die feenhaft strahlenden Säle.


2.

Wenige Stunden später füllten sich diese mit einigen hundert Herren und Damen aus den noblen Kreisen der Residenz. Der geräuschvolle Gang des glänzenden Festes nahm seine ununterbrochene Folge. Junge Offiziere flogen durch die Reihen der Damen; Andere standen in Gruppen oder lehnten an den Stühlen der Schönen, welchen sie ihre besonderen Huldigungen widmeten. Ein größerer Kreis aber hatte sich um Selma gesammelt, die mit lächelnden Blicken und Grüßen von dem Einen zum Anderen sich wandte und für jeden irgend ein freundliches oder anregendes Wort hatte. Der Diamantenzweig in ihrem glänzenden Haar, die geschmackvolle Toilette, und die Reize, welche die Natur ihr verliehen, Alles fand seine Bewunderer. Flüsternde Bemerkungen und halblaute entzückte Worte machten das blasse Gesicht nicht röther, sie hatte sie zu oft gehört; aber dennoch vermehrten sie das Gefühl der Sicherheit und das stolze Bewußtsein, welches Schönheit und Reichthum einer Gesellschaftsdame geben, die geistreich genannt wird, weil sie mit Leichtigkeit über ein Nichts anziehend zu sprechen und überall sich ohne Zwang zu bewegen weiß.

Während Herr von Eyben mit Generalen und Kammerherren, einem Minister und einem Dutzend Staats- und Geheimräthen auf und ab ging, lachte, flüsterte und seine kostbare Dose umherbot, dann Einem und dem Anderen seiner reichen Collegen von der Börse die Hand schüttelte und nach Neuigkeiten fragte, auch zuweilen einem ehrfurchtsvoll grüßenden Gelehrten, Künstler, oder sonstigen Begünstigten, dem die Ehre angethan war, hier zu erscheinen, zunickte, bewegte sich Selma unter den Auserwählten der Gesellschaft, in einer flüchtigen, lebhaften Conversation, die Alles anregt und nichts erschöpft, niemals nach dem Inhalt und Gedanken fragt, sondern nur nach Form und Reiz.

Plötzlich aber wurde die Aufmerksamkeit auf zwei neue Erscheinungen gerichtet. Man sah zwei junge Herren in den Salon treten, die einige Minuten bei Eyben verweilten, der sie mit ausgezeichneter Höflichkeit empfing, dem Einen die Hand reichte, vor dem Anderen sich nochmals verneigte und durch alle diese Zeichen kund gab, daß er besondere Achtung für sie hege.

Da kommt Graf Lanzfeld, sagte eine der jungen Damen zu Selma, aber wer ist sein Begleiter?

Ich kenne ihn nicht, erwiederte diese.

Es entstand ein Lächeln, Fragen und Berathen, allein Niemand wußte, wer der Fremde sei.

Es ist jedenfalls wieder einer von den genialen Streichen des Grafen Heinrich, meinte ein Nahestehender. Als Gesellschafter und Begleiter des Prinzen hat er eine Anzahl Freunde überall in der Welt, die ihn aufsuchen, wenn sie in seine Nähe gerathen. Ich will wetten, er hat einen Baron mitgebracht, der in Neapel oder Petersburg mit ihm zusammentraf, um ihn hier als besondere Rarität, als Russen oder Calabresen, zu präsentiren.

Die munteren Genossen lachten. Russisch sieht er eben nicht aus, warf der Eine hin. Ich vermisse die Nationalnase und das blonde Haar.

Aber auch nicht calabresisch, antwortete ein Anderer. Er ist hellbraun und hat Farbe.

Ich wette auf einen Engländer, fiel ein Dritter ein. Lang, schmal und etwas steif, das ist englisch.

Es ist die neuste Mode in Paris, versicherte ein Vierter. Der Frack ist französisch, das Haar trägt er auch so, ich halte auf einen Franzosen.

Die beiden Herren verließen soeben den Bankier. Der kleinere, ein schöner junger Mann, dunkle leicht geringelte Locken auf der hohen, freien Stirn und die schmale Lippe mit einem Bärtchen besetzt, die großen, feurigen Augen kühn umherwerfend, hatte nicht so bald Selma erblickt, als er seinem Begleiter vorauseilte und mit der ungezwungensten Begrüßung nahte.

Nach einigen Eingangsworten sagte er:

Wenn ich es wage, nicht allein zu kommen, so muß ich dies als Beweis meiner tugendhaften Selbstverläugnung betrachten, zugleich aber bitte ich um Gnade für mich und um Huld für meinen Vetter, den Fürsten Karlsberg, den ich die Ehre habe Ihnen vorzustellen, mein gnädiges Fräulein. Mein Vetter war seit fünf Jahren überall, nur nicht hier; er erinnert sich aber sehr wohl, Sie früher bei seiner Tante gesehen zu haben, deren Sommersitz an die Villa Ihres Herrn Vaters stieß. Da ich nun gern ihm alle Erneuerung seines Glücks verschaffen wollte, bat ich ihn, mich zu begleiten. Alle Schuld fällt daher auf mich; bestimmen Sie die Strafe.

Ihre Strafe soll sein, erwiderte Selma mit dem leichten Tone einer näheren Befreundung, daß ich dem Herrn Fürsten tausend Dank sage für die Ehre seiner Anwesenheit, aber kein Wort davon glaube, daß Erinnerungen, von denen ich wenig weiß, ihn dazu bewogen haben.

Der junge Fürst hatte inzwischen ruhig hörend neben seinem Beschützer gestanden und wohl bemerkt, wie bei Nennung seines Namens eine lustige Bewegung unter denen entstanden war, die ihn eher für einen Chinesen, als für einen Landsmann gehalten hätten; aber er achtete nicht viel darauf, denn seine Augen blieben auf Selma geheftet. – Es war ein großer, schlanker junger Mann, keinesweges von so einnehmenden und anziehenden Gesichtsformen wie sein gewandter Vetter, eher alltäglich, als auffallend, nichts an ihm besonders begünstigt, aber seine Züge bestimmt und fest ausgeprägt und in seinen Blicken etwas, das gebieterisch genannt werden konnte.

Sollten Sie in der That sich meiner gar nicht mehr erinnern? fragte er mit einem leisen Lächeln, als Selma geendet hatte und ihn freundlich anblickte, dann ist mein Gedächtniß mir treuer geblieben. Ich weiß, wie ich einmal, es mögen gut zehn Jahre vergangen sein, mit meinem Pony durch die Hecke brach, Sie trotz alles Sträubens auf den Sattel hob und zum Entsetzen der Zuschauer durch Wiesen und Wald entführte.

Selma erröthete, aber in ihren Augen glänzte die Erinnerungslust.

Der ganze Kreis lachte über das naive Bekenntniß und Jeder machte im Stillen seine Glossen. Graf Heinrich jedoch sagte sich einmischend:

Da sehen Sie, mein gnädigstes Fräulein, welche heiligen Rechte Jugendbekanntschaften geben, die gleichsam mit uns geboren werden und unveränderlich forterben. Mein Vetter Victor hat den Orient bereist, und wenn er die Palmen und Kiosk's irgend eines syrischen, ägyptischen oder nubischen Pascha's erblickte, hat er sicherlich von dem Tage geträumt, wo er sein Roß mit der schönen Beute durch Feld und Wald spornte und mit der ganzen Welt darum gekämpft hätte.

Es endete friedlicher mit uns, wie ich weiß, erwiderte Selma, denn wir kehrten ganz gelassen um. Verwunderung und Bestürzung waren vorüber, wir wurden mit einigen Ermahnungen und guten Lehren empfangen, und wenn ich mich recht entsinne, lebten wir bis zum Schluß der Saison ohne alle Störungen in freundlicher Nachbarschaft.

Da kommen ja die Erinnerungen mit einem Male, rief der Graf, und bestätigen, was ich das göttliche Recht der Jugendfreundschaft nannte.

In diesem Augenblick ertönte die Musik im Ballsaale, und ohne eine weitere Antwort bot Fürst Victor dem Fräulein seinen Arm und führte sie der rauschenden Lust des Tanzes zu.

Graf Heinrich blieb stehen, ein wenig verwundert, wie es schien.

Dann beantwortete er die Fragen einiger Bekannten, die sich neugierig zu ihm drängten. Auch Eyben trat zu ihm heran.

Ich bitte um Entschuldigung, sagte er, daß ich meinen Vetter Ihnen nicht früher vorstellte. Er ist jedoch erst heut morgen hier eingetroffen und suchte mich Nachmittag auf. – Sie kennen ihn aus früherer Zeit, und wohl noch besser seine Tante, die Frau Fürstin Wartenstein.

Der Bankier drückte seine große Freude und seinen Dank aus, den erlauchten Gast in seinem Hause zu sehen. –

Der Fürst hat sich sehr verändert, meinte er dann, ich hätte ihn nicht wieder erkannt.

Die Sonne des Orients hat ihn gebräunt, erwiderte Graf Heinrich, und die Schweigsamkeit der Türken, Perser und Araber ein wenig angesteckt. Aber er wird aufthauen, wenn er wieder unter uns lebt.

Er wird also den Wanderstab ablegen? fragte Eyben.

Er wird seine Güter übernehmen, fuhr der Graf fort. Er ist fünf und zwanzig Jahre alt, Se. Majestät wünschte seine Rückkehr, und befahl, als die Bitten der Fürstin nichts fruchteten. –

Mit diesen Worten wendete sich der Graf einer Dame zu, welche schüchtern und vereinsamt im Hintergrunde an einem der großen Candelaber stand. Er forderte sie zum Tanz auf, bot ihr den Arm und war in der nächsten Minute in den Reihen.

Wer ist sie? fragten einige leise Stimmen mit geheimem Neid den Bankier.

Es war dem alten Herrn unangenehm zu antworten, aber er mußte es thun.

Es ist die Braut unseres Architekten Gerstenberg, sagte er. Ein äußerst geschickter junger Mann, ein hervorragendes Talent, fügte er eifrig hinzu. Ich versichere Sie, er wird Hofbaumeister werden und der Nachwelt berühmte Werke und einen berühmten Namen hinterlassen.

Ach, erwiderte eines der Fräulein spöttisch, ich habe von ihr gehört. Sie ist eine Pflegetochter des alten Musikdirectors Gerstenberg und hat neulich in einem Concert gespielt und gesungen.

Herr von Eyben hielt es für das Beste, seine Füße weiter zu setzen und das Gespräch abzubrechen.

Nach einer Stunde trat eine Pause ein, in welcher Selma mit dem jungen Fürsten von Neuem zusammentraf.

Sie hatte gesehen, daß er bisher, außer mit ihr, fast gar nicht getanzt hatte; er war von mehreren Herren in Beschlag genommen und fast unausgesetzt in Gespräche verflochten worden. – Die Arme verschränkt stand er lange an einer der Säulen, und während er Antworten gab, schweiften seine Blicke über die bunten glänzenden Reihen der Tänzer. Es kam ihr vor, als hefteten sich seine Augen an sie; wenn sie hinüber sah, glaubte sie sich beobachtet, und diese Bemerkung machte ihr Vergnügen.

Sie schwebte mit einem geheimen Triumph leicht und schön an ihm vorüber.

Jetzt trat Victor ihr näher, um ein paar verbindliche Worte zu sagen, aber er blieb in einiger Entfernung stehen, weil Andere vor ihm sich um dieselbe Ehre drängten. Der geduldige Stolz, mit dem er zu erwarten schien, daß Selma sich ihm nähere, drückte sich in seiner fragenden Unbeweglichkeit aus; erst als er fand, daß die junge Dame ihn nicht beachten wollte oder konnte, wandte er sich ab und ging nach einer anderen Seite.

Ein Gefühl des Unmuths stieg in der schönen Erbin auf. Sie war daran gewöhnt, Huldigungen zu empfangen und jeden eifrig danach trachten zu sehen, ihr zu nahen. Dieser kalte schweigsame Mann aber schien weit eher geneigt, Auszeichnungen zu fordern, als sie darzubringen. Ihr Stolz war gekränkt und nicht ohne Genugthuung hörte sie die Bemerkungen an, welche der Liebling ihres Vaters, Herr Isidor Berton, zum Besten gab, mit welchem sie endlich eine Promenade durch den Saal machte.

Herr Isidor war ein kräftiger junger Mann, mit blitzenden schlauen Augen, und einem Gesichte, das Scharfsinn und kluge Ueberlegungsgaben ausdrückte. Er besaß die vollendeten Manieren eines Mannes der Welt, und eben so viel gewinnende Freundlichkeit, wenn er wollte, wie er rasch und anmaßend sein konnte.

Neben Selma war er immer der höfliche und geschmeidige Verehrer, der Launen zu ertragen wußte und Spöttereien als Scherze behandelte. Was er dachte, verschloß er sorgfältig in sich. Er wußte genau, was er dem alten Herrn galt und wie viel davon abhing, wenn er treu um diese Rahel diente, ohne sich irre machen zu lassen.

Haben Sie den jungen Fürsten genau angesehen? fragte Selma, als er mit seinen Lobpreisungen des Festes fertig war.

Ich habe mit ihm gesprochen, erwiderte Isidor.

Von den neuesten Coursen? fragte sie spottend.

Wenigstens von der Art, wie man am besten in Cours kommen kann.

Wie das? rief Selma zu ihm aufblickend.

Wir sprachen über die einflußreichsten Personen am Hofe, und wer zunächst im Stande sei, Gunst und Gnaden zu bewirken.

Was hat denn dieser junge Herr mit Gunst und Gnaden zu thun?

Mancherlei, versetzte Isidor.

Er sieht nicht aus wie Einer, der schmeicheln oder bitten kann.

O! das können sie zuletzt Alle, wie hochmüthig sie auch sein mögen, und dieser wird keine Ausnahme machen. Er ist reich und wird obenein die großen Güter seiner Tante erben, dazu aber gehört die Einwilligung des Monarchen, und weil ich zufällig etwas davon erfahren habe, machte ich mir den Spaß, ihm ein paar Andeutungen zu geben, die er nicht vermuthete.

Nun, fragte Selma, was wissen Sie denn?

Ach, was geht es mich an, rief Isidor. Was kümmern mich überhaupt diese noblen Cavaliere, deren Beruf auf Erden von dem meinigen sehr verschieden ist.

Gewiß, Herr Berton, erwiderte Selma, und eben dieser ist ohne Zweifel einer der Verwöhntesten.

Finden Sie das auch? sagte er erfreut. Ich glaube, das Urtheil ist so ziemlich einstimmig selbst bei denen, die ihm durch Geburt und Stand nahe stehen. – Er wandelt unter ihnen umher so kalt und steif, wie ein Wesen besonderer Art.

Selma war begierig zu erfahren, was Isidor wußte, und nach einigen scharfen Bemerkungen über den Fürsten wurde er mittheilend.

Er ist zurückgerufen worden, sagte er, weil er seine Güter übernehmen und die Erbschaftsangelegenheit regeln soll. Zugleich will man ihn vermählen.

Mit wem? fragte sie.

Der Secretair der Fürstin, fuhr er fort, der mit uns in Geldverbindungen steht, hat vor einiger Zeit mir davon erzählt. Man hat schon vor einem Jahre beinahe ihm den Vorschlag gemacht, aber er gab eine so abweisende Antwort, daß die Angelegenheit nicht weiter kam.

Wer aber ist denn die Erwählte? fragte Selma ungeduldig.

Eine Enkelin des alten Grafen Reizenstein, des früheren Staatsministers, der noch in hohen Gnaden steht, und ohne dessen Rath nichts geschieht.

Ist sie schön?

Ich weiß nichts von ihr. Sie ist in irgend einem alten Schlosse erzogen worden; aber die Intrigue ist so angelegt, daß Prinzessinnen, Hofdamen und Gott weiß wer dahinter steckt. Wenn er zugreift, wird er die Bestätigung der Erbschaft erhalten, wo nicht, wird sie ihm versagt bleiben. Er wird daher wohl andere Saiten aufziehen und nicht wieder antworten, er lasse sich nicht verhandeln, sondern werde eine Wahl treffen nach seinem Herzen und seinen Neigungen.

Hat er das geantwortet?

Sonderbar genug, erwiderte Isidor, aber der Secretair erzählte es mir; das gehört auch zu den Capricen dieses jungen Herrn, obwohl es weder standesgemäß noch vernünftig ist.

Diese Mittheilungen machten den lebhaftesten Eindruck auf Selma. Ja, das ist seltsam! sagte sie zerstreut, denn sie dachte daran, wie ähnlich das Alles mit dem war, was sie ihrem Vater heut erst geantwortet hatte.

Isidor lachte boshaft und blickte nach der Seite hin, wo er den Fürsten stehen sah. Ich weiß nicht, warum mir dies Gesicht so widerwärtig ist, fuhr er fort. Es muß sehr erbaulich sein, an der Seite eines so stolzen, finsteren Gemahls die Wonne des Lebens zu genießen.

In dem Augenblicke löste sich Victor langsam von der Säule ab, wo er stand, und ging auf Selma zu. Sein Gesicht wurde freundlicher, als er ihr nahe war, und seine tiefe und weiche Stimme hatte einen wohlthuenden Klang.

Sie lieben den Tanz nicht, fragte Selma, denn Sie nehmen wenig Theil daran, wie ich merke.

Ich liebe den Tanz mehr, wenn ich ihn so schön ausführen sehe, als wenn ich selbst Theil daran nehme, war seine Antwort.

Der Herr Fürst hat die orientalischen Sitten cultivirt, fiel Isidor ein. Türken und Araber lassen sich auch lieber etwas vortanzen.

Die erste und höchste orientalische Tugend ist das Schweigen, erwiderte er und davon können Viele lernen. Im Tanz aber wirkt der Zauber der Musik, der frohe Schmuck des Festes, die wiegenden und wogenden Gestalten, die Blumen, die glänzenden Gewänder und die freudige Verklärung der Jugend und Schönheit weit mehr auf mich, als wenn ich mich selbst schwindelnd drehe und mir immer wieder sagen muß, wie wenig ich dazu tauge.

Wenn wir so strenge Richter gegen uns selbst sind, sagte Selma, was haben dann Andere von uns zu erwarten?

Wenn Sie nachsichtig mit mir sein wollen, erwiderte er, so bitte ich um einen ferneren Beweis.

Der nächste Tanz, sagte sie lächelnd.

Die strengsten Richter, rief Isidor, sind oft die nachsichtigsten.

Auch das ist eine orientalische Weisheit, antwortete Victor, indem er einen Blick auf den unberufenen Sprecher warf, daß man nachsichtig sein soll mit dem Unerfahrenen und mitleidig mit Kindern und geistesschwachen Menschen. Möge Jeder seine Freunde finden, wie er sie sucht, allein Sie haben Recht, wir sind gewöhnlich strenge Richter gegen Freuden, die uns nicht gefallen, und ich gestehe Ihnen gern, daß ich von Jugend auf nie an geräuschvollen Festen großes Behagen finden konnte.

Ich erinnere mich, sagte sie, oder vielmehr mein Vater hat mich daran erinnert, daß Sie früh schon die Einsamkeit liebten.

O! nein, versetzte er, aber ich schweifte gern umher. Wo ich im fernen Walde einen Berggipfel erblickte, mußte ich ihn aufsuchen, und wenn ich endlich dort stand, sah ich andere noch lockendere, und ich ruhte nicht, bis ich sie erreicht hatte.

Das deutet auf gewaltigen Ehrgeiz, fiel sie lächelnd ein.

Wenigstens ist mein Ehrgeiz von besonderer Art, denn obwohl mannigfach von Glück begünstigt und berechtigt, habe ich es bis jetzt doch nur zu einem Wanderleben gebracht, um zu finden, daß die Berge, wie die Menschen, überall dieselben sind.

Ich sollte denken, sagte sie, ihr Auge auf ihn heftend, einige gingen wenigstens über das Alltägliche hinaus.

Aber auf dem höchsten und kühnsten läßt sich am schlechtesten wohnen. Es sind schneeige, eisige Gipfel. Die grünen Thäler liegen tief unter ihnen, und so bin ich denn in meine Heimath zurückgekehrt, um die Wahrheit des alten prophetischen Satzes zu erproben, nach welchem das Glück uns dort am wenigsten blüht, wo wir geboren sind.

Isidor hatte sich fortbegeben voll innerem Grimm über die unverschämten Antworten, welche er erhalten hatte. –

Sie werden also bei uns bleiben, sagte Selma, aber ich fürchte fast, Sie werden mit solcher Lebensphilosophie vom Glück viel fordern.

O! erwiderte er, Sie wissen nicht, wie sehr es für mich sorgt und wie wenig ich von ihm verlange.

In diesem Augenblick streifte ein Herr an ihm vorüber, der sich entschuldigend umwandte und einen langen, fragenden Blick auf ihn heftete. –

Halt! um des Himmels Willen, rief Fürst Victor freudig. Gerstenberg! ja, Du bist es. Wie sehr, wie wahrhaft freue ich mich.

Ich habe Dich gleich erkannt, als Du eintratst, erwiderte der Baumeister, aber ich mochte Dich nicht stören.

Die beiden jungen Männer standen Hand in Hand.

Selma schien von ihnen fast vergessen zu sein. Eine schöne Freude belebte ihre Gesichter, und Selma erstaunte über die Umwandlung, welche mit dem Fürsten vorgegangen war.

Er war gesprächig geworden, der finstere Zug um seinen Mund war verschwunden, seine Augen strahlten hell und jede Spur stolzer Zurückhaltung war von ihm gewichen. Seine brüderliche Vertraulichkeit zu Gerstenberg war so herzlich, daß dieser sie in gleicher Weise nicht erwidern konnte. Es war kein Hinabsteigen, sondern ein edles Hingeben an Gefühle, die Alles überwältigten. Viele hastige Fragen, welche das Leben und Wohl der ganzen Familie des Baumeisters betrafen, folgten sich rasch, von Gegenfragen spärlich unterbrochen, bis Victor endlich sagte:

Was mich betrifft, so will ich Dir morgen Alles erzählen, lieber Georg. Ich suche Dich in der Frühe auf; ich muß den alten Papa sehen und umarmen.

Meine Schwester und Braut, Antonie, findest Du hier, fiel Gerstenberg ein.

Wo ist sie denn? Ich muß sie gleich haben! rief er lebhaft.

Dort steht sie, bei den beiden Damen an dem kleinen Tisch.

Victor eilte hinüber und ließ Gerstenberg bei Selma zurück, die über diesen neuen Beweis seiner warmen Empfänglichkeit überrascht ihm nachblickte.

Er ist immer noch, wie er ehemals war, sagte der Baumeister. Ergriffen von jedem neuen Gegenstande, der auf sein Gefühl einwirkt, und unfähig, was er denkt, zu verbergen.

Ich hätte den Fürsten weit eher für einen guten Diplomaten gehalten, erwiderte Selma.

Man hat ihn dazu machen wollen, versetzte Gerstenberg, aber nach einem halben Jahre, wo er Gesandtschaftssecretair in Paris und London war, ist er aus der Lehre gelaufen. Nein, er kann nicht diplomatisiren, er hat es Ihnen in diesem Augenblick bewiesen.

Sie kennen ihn, wie ich annehmen muß, sehr lange? fragte sie.

Von Jugend auf. Mein Vater war sein Lehrer, ich sein Spielgenosse. Dann hat das Leben uns getrennt und seit einigen Jahren habe ich gar nichts von ihm erfahren.

Er ist zurückgekommen, wie ich höre, sich dem Staatsdienst zu widmen.

Das glaube ich kaum, erwiderte Gerstenberg. Er ist sehr reich, der Erbe ungeheuerer Güter. Man wird ihn freilich an den Hof ziehen, ihm irgend eine Hofcharge anhängen, betiteln und bebändern; aber er ist, wie ich denken muß, zu stolz, um ein Hofmann zu sein, und zu unabhängig, um in den jetzigen Staatsdienst zu passen.

Was will er denn aber hier, wenn Hof und Staat ihm nicht zusagen? fragte Selma spottend.

Ei mein Himmel! sagte der Architekt, muß man denn von Beidem etwas wollen, um zu leben? Aber Sie urtheilen dennoch vollkommen richtig. Die hohe Aristokratie, zu der er gehört, kann mit allen ihren Reichthümern und Namen bei uns nur etwas gelten, wenn sie, wie Planeten und Trabanten, sich um die Sonne dreht, deren Licht sie mit erleuchtet. – Nun, auch er wird bald genug in den Kreis gezogen und die Fessel für ihn gefunden werden, die diesen Prometheus an den Felsen schmiedet.

In dem Augenblick begann die Musik von Neuem. Die Tänzer eilten herbei, die Paare ordneten sich; aber zu ihrem Erstaunen sah Selma den Fürsten noch immer bei der Braut des Architekten sitzen, im lebhaften Gespräch und ganz vergessend, welchen Vorzug sie ihm ertheilt hatte. –

O! der Undankbare, sagte sie leise und stolz sich abwendend, indem sie Isidors Arm nahm, der herbeigeeilt war war und mit einem bedeutungsvollen Lächeln nach dem Verbrecher hinüberblickte.

Er wagte keine Aeußerung, aber er feierte einen großen Triumph. Selma tanzte den Contretanz entzückend leicht und voller Grazie. Alle Lorgnons richteten sich auf sie, alle Bewunderung der Zuschauer wurde ihr zu Theil. Man beneidete den glücklichen Isidor, man flüsterte über seine Erwählung. Der alte Herr von Eyben machte ein sehr vergnügtes Gesicht und nickte ihm leise zu, indem er seine Tochter zärtlich anblickte; dabei war der Kreis, welcher die Tanzenden umgab, so dicht, daß Selma nicht durchblicken konnte. Einige Male suchten ihre Augen den Fürsten, aber er ließ sich nicht sehen, und als endlich das Ende gekommen war, wo sie erwarten durfte seine Entschuldigungen zu hören und zu strafen, war er verschwunden.

Er hatte den Saal verlassen, auch Graf Heinrich suchte ihn vergebens; aber alle seine Bemühungen, seine Scherze, seine Einfälle und Plaudereien konnten in Selma die Mißstimmung nicht überwinden, welche sie über die Rücksichtslosigkeit des vornehmen Herrn empfand. – Sie wußte nicht, warum sie über das Benehmen eines Mannes gekränkt war, der diese Theilnahme nicht verdiente, sie spottete darüber, doch die verletzte Stimmung wollte nicht weichen. Nur mit der äußersten Anstrengung konnte sie den Schein der Freudigkeit behaupten.

Endlich tief in der Nacht war das Fest beendet, und durch den öden Glanz der Säle, in denen das Schweigen zurückgekehrt war, begleitete Herr von Eyben seine Tochter.

Alles war prächtig, sagte er, es war nur eine Stimme darüber. Nun, diese Bewunderung der Leute kostet auch eine schöne Summe, aber ich gebe es gern, da es Dir Freude macht. Du sahst zum Entzücken aus, liebe Selma. Ich versichere Dich, Du darfst nicht wissen, welche Complimente ich bekommen habe. – Da war Keiner, der nicht den Kopf verloren hatte; ich selbst habe ihn nur halb behalten, denn ich habe Dich nie so reizend und so liebenswürdig gesehen.

Mich friert, Papa, fiel Selma ein. Gute Nacht!

Gute Nacht! erwiderte der alte Herr zärtlich ihre Stirn küssend. Dein Glück ist mein Glück; Du hast mir heut viele Freude gemacht.


3.

Erst nach einigen Tagen besuchte Victor den Musikdirector Gerstenberg.

Da bin ich, sagte er, eintretend und die Hände ausstreckend. Grüß. Sie Gott, mein alter, werther Freund. Später, als ich wollte, komme ich, aber es ist die erste freie Stunde, wo ich aufathmen kann.

Der dicke alte Mann mit rothem, vollem Gesicht und schneeweißem Haar, zu welchem ein paar jugendlich, schelmisch und trotzig blickende blaue Augen sonderbare Gegensätze bildeten, stand mit Mühe von dem Lehnstuhl auf und betrachtete seinen heimgekehrten Schüler eine Minute lang stumm und kopfnickend. –

Es ist wahrhaftig noch das alte gute Gesicht, sagte er, ihn bei der Hand festhaltend, indem er die andere auf Victors Schulter legte. Die alten Freunde werden auf Wartegeld gesetzt; aber was thut's? Sie bleiben eben die Alten. – Grüß Sie Gott, Herr Victor, oder wollen Sie, daß ich noch ein paar Titel zusetzen soll?

Wenn es mir zur Strafe dienen soll für mein langes Ausbleiben, erwiderte der Fürst, so muß ich es geschehen lassen. Aber, mein würdiger Freund, wenn Sie wüßten, wie ich in den paar Tagen abgehetzt worden bin, Sie würden eher Mitleid mit mir haben.

Ich kann es mir denken, sagte der Greis. Wenn so ein Vogel aus der Fremde wieder in sein Nest fliegt, kommen alle Nachbarn und zwitschern ihm ihre Grüße und Neuigkeiten vor. Die Störche und die Fledermäuse, die Gänse und die Truthühner, alt und jung läuft herbei; jeder will seinen Kratzfuß machen. – Nun, setzen Sie sich, Herr Victor. Es geht mir ja auch so, mir altem Haushahn. Habe die ganzen Tage gegluckst und habe hinausgeschaut, mich ans Fenster geschleppt, denn die alten Beine wollen nicht fort; aber ich sagte ihnen: ihr müßt! denn ich muß sehen, ob mein junger Hahn nicht kommen möchte, daß ich erfahre, wie ihm Federn und Kamm gewachsen sind, und ob er gut krähen gelernt hat in der Fremde.

Es soll am Krähen nicht fehlen, erwiderte Victor lachend. Ich habe heut schon ein paar Proben abgelegt, wobei man sich die Ohren zuhielt und zu glauben schien, daß mir der Kamm zu hoch gewachsen sei. – Aber wo ist Georg? fragte er, und wo steckt Fräulein Antonie?

Der Baumeister, sagte der alte Herr, ist auf den Bau aus, und die zukünftige Frau Baumeisterin befindet sich beim Bau eines höchst kunstvollen Eierkuchens in der Küche.

Ich habe sie beide gesehen und mit Lust gehört, was sich hier gefügt hat, fiel der Fürst ein.

Es lag nahe, sprach der Musikdirector. Sie wuchsen zusammen auf, und wenn man so ein Stück Leben mit einander durchmacht, was da kommt, mit einander trägt, zusammen weint und zusammen lacht, wächst die Liebe im Herzen mit, wenn sie überhaupt drinnen Raum hat.

Andere meinen, erwiderte der junge Mann, die Liebe komme wie ein Blitz und lasse sich nie durch langes Prüfen und Wählen erwerben.

Und noch Andere glauben, daß Liebe überhaupt nichts sei als ein Nervenkitzel, rief der Musikdirector; aber, Herr Victor, es ist damit wie mit der Musik. Wer ein Ohr für Harmonien hat, Feinheit des Gefühls für den Takt und ein Verständniß für Ton und Melodie, dem wird der ganze Himmel sich aufthun, wenn er die edlen, seelenvollen Werte großer Meister hört, während der rohe Sinn nicht mehr dabei empfindet, wie bei dem ersten besten Leierkasten.

Und so ist es mit der Liebe? fragte Victor belustigt.

Meiner Treu! so ist es mit dem, was sie Liebe nennen. Dem Einen ist sie der Leierkasten des Lebens; dem Anderen sind alle Disharmonien gleichgültig, er fragt den Henker nach Schlüssel und Auflösung; dem Dritten spielt sie nur zum Tanz auf, und dann wieder wird sie dem zur himmlischen Göttin und jenem zur Kuh, die ihn mit Milch und Butter versorgt.

Ihr vornehmen Herren, fuhr er fort, als er sah, daß sein Gast schwieg, Ihr wißt aber am wenigsten, was es mit der Liebe und deren Leben auf sich hat; ich meine, wie diese uns Proletariern erscheint. Was habt Ihr auch die Liebe nöthig, die neben uns sitzt und den Kopf hält, wenn wir ihn hängen lassen, uns Muth ins Herz lächelt und froh macht, und aller Opfer der Treue fähig ist! So ein treues Weib, das alle unsere Noth theilt, der nichts entgeht, die sich in jeden Kummer drängt, wäre Euch eine Plage. Ihr seid darüber hinaus, mit der Erde bitterstem Weh, mit der Sorge ums liebe Brod Euch abzuplagen, und da Ihr in Euerem Hause gewöhnlich auf der einen Seite wohnt, und die Frau auf der anderen Seite, ist es auch richtig, was Graf Heinrich, Ihr Vetter – auch ein Schüler von mir, der nichts gelernt hat – mir neulich sagte: Das sind die besten Frauen für uns, die wir vor dem Hochzeitstage nicht kannten, und welche uns nachher nicht kennen lernen. –

Statt der Antwort griff Victor nach Noten und musikalischen Blättern, mit denen der Tisch bedeckt war, und bald war er mit einigen raschen Fragen mitten in das Gebiet der Kunst, wo die heftigen und sarkastischen Aeußerungen des alten Mannes den reichsten Boden fanden. – Er ließ sich erzählen, was Victor in Italien und Paris, woher er soeben kam, Neues gesehen hatte, und klagte in bitterster Weise über den Verfall der wahren, künstlerischen Bildung, die in zunehmender, unkünstlerischer Verbildung untergehe.

Ja, rief er endlich, nachdem er lange mit Victor herumgezankt hatte, der nicht alle seine Beschuldigungen gut heißen wollte, so sind auch die Besseren unter Euch. Ihr wollt Alles, Ihr umfaßt Alles, Ihr lobt Alles, was irgend glänzt und so recht unnatürlich kunststückartig ist. Das Einfach-Edle und Erhabene lobt Ihr freilich auch, weil es eben zum Ton gehört, aber im Geheimen lauft Ihr doch lieber zu Seiltänzern.

Die Kunst, sagte Victor, ist eine Himmelstochter, die immer neue Wanderungen über die Erde antritt. Niemand kann sagen, das ist das höchste, das einzige, das wahre Reich der Kunst. Was der Geschmack heut dafür anerkennt und in den Himmel erhebt, wird von der nächsten Generation schon von dem Thron gestoßen, um vielleicht von der folgenden wieder zur Anbetung berufen zu werden. Was die Zeit preist und erhebt, ist keine bloße Modethorheit, es ist ein Urtheil des menschlichen Geistes in den Phasen seiner Entwickelung, und wer ist denn der kritische Papst, der in der Kunst bestimmen will: das allein ist Kunst, alles Andere ist Abgötterei!

Aha! rief der Musikdirector, ich merke wohl, worauf das hinausgeht. Sie gehören auch zu denen, die da meinen, jeder Genre sei gut nur nicht der langweilige. – Geistreich soll Alles sein, unterhaltend, flitterblitzend, so verlangen sie Musik, Kunst, Leben, Glück und vor allen die Weiber.

Selbst die wollen Sie nicht einmal geistreich, alter Maestro? erwiderte Victor lachend. Ach, seien Sie sicher, man muß eine geistreiche Frau mit der Diogeneslaterne suchen.

Sie sind ja auf dem Ball bei dem reichen Hofbankier gewesen, sagte der Musikdirector, und haben mit seiner Tochter getanzt. Sehen Sie, das ist so Eine, wie ich meine, die einen Mann zur Verzweiflung bringen und selig machen kann.

Ich habe nichts davon gemerkt, sagte Victor.

Ich bin ihr Lehrer gewesen und endlich davon gelaufen. Heut schwärmte sie für Beethoven, morgen für Bellini, oder gar für einen der lumpigen Nachahmer Rossinis. Sie spielt vortrefflich und hat eine klangvolle Stimme, aber sie ruinirte sie durch die nichtswürdigen verrenkenden Läufer, Triller, Passagen Hier im Sinne einer Abfolge schneller Noten, also Läufe oder Koloraturen. – Anm.d.Hrsg. und gebrochenen Kopftöne, die in Zittern und Glucksen untergehen. Es war nicht mehr auszuhalten. Heut entzückt, morgen kalt wie Eis, heut ein Engel voll Schönheit und Seele, morgen ein kleiner Teufel voller Eitelkeit, Eigensinn und Egoismus. Ich nahm meinen Hut, warf ihr die Thüre vor der Nase zu und damit Basta!

Basta cosi! rief der Baumeister, der die Thür aufmachte und mit seiner Braut aus dem Nebenzimmer hereintrat. – Das junge Mädchen mit dem freundlichen, nachsinnenden Gesicht schmiegte sich an den Arm des stattlichen Mannes. Zur Ehre des Besuchs hatte sie ein keckes Häubchen auf die dunkelblonden reichen Flechten gedrückt, und während die beiden Freunde sich herzlich begrüßten, flüsterte sie mit dem Vater, der ihr zunickte und dann laut sagte:

Herr Victor, Sie haben so oft unser bescheidenes Mahl getheilt, es steht fertig, wir sind alle hungrig; es kommt daher auf Sie an, ob Sie mit uns speisen wollen.

Herrlich, erwiderte der Fürst, es soll an mir nicht fehlen. Er bot Antonie die Hand und ließ sich von ihr in das kleine Zimmer führen, wo auf dem gedeckten Tisch schon ein Couvert für ihn bereit stand.

Wie heimisch ist es hier, rief er erfreut, wie oft habe ich an diesem Ort freudig mein Brod gebrochen. Fast kommt es mir vor, als seien die Geranien da am Spalier, der Kanarienvogel am Sonnenfenster, der Bücherschrank in der Ecke und das kleine Instrument an der Wand alte gute Bekannte von gestern, die mich heut kopfnickend wieder empfangen.

Die vier Personen setzten sich und hielten ein bescheidenes Mahl, bei dem es nicht an Unterhaltung fehlte.

Der Fürst erzählte von seinen Reisen und hörte dagegen die Schicksale, welche die kleine Familie erlebt hatte. – Es waren keine großen Dinge, und doch war Manches darunter von ernster Bedeutung, auch nicht Alles so, wie es gewünscht werden konnte. Der Musikdirector hatte von früherem, reichlicherem Einkommen wenig übrig behalten; jüngere Kräfte hatten ihn verdrängt, und jetzt war er fast gelähmt und konnte das Haus selten verlassen.

Dafür war freilich sein Sohn herangewachsen, war Baumeister geworden und hatte Beweise seines Talents gegeben; doch er wartete noch immer auf eine Anstellung. Wenn er die Feste großer Herren ordnete, so geschah es mit geheimem Widerwillen, obwohl mit der Fügsamkeit der Armuth, die durch willige Dienste sich Gönner zu schaffen sucht. Diese Gönner versprachen auch Wunder, allein die gewöhnlichsten Wunder bleiben oft aus und so war es mit dem jungen Gerstenberg. –

Er hatte sich mächtige Feinde gemacht durch ein paar kleine Schriften über Reformen im Bauwesen und dessen Verwaltung. Das verzieh man ihm nicht. Man wußte auch, daß er Grundsätzen anhing, die als Sünden gegen den heiligen Geist betrachtet wurden, der den Staat regiert, verwogene Grundsätze, die durchaus feindlich gegen Absolutismus und Bureaukratengewalt anliefen. Das war genügend, ihn warten zu lassen, bis er zahm geworden sei.

Gerstenberg erzählte das Alles mit munterer Laune. –

Wir tragen unser Schicksal jeder nach seiner eigenen Philosophie, sagte er. Antonie trägt es mit demokratischer Lustigkeit, mein Vater mit einigem Gebäum und Gepolter, aber voller Würde und Muth. – Noth leiden wir nicht; meine Hände und mein Kopf genügen für unsere bescheidenen Bedürfnisse, und so geht es denn meist gar froh und traulich bei uns her.

Aber die Beste von uns Allen bist Du, rief der Greis mit Zärtlichkeit, indem er die Hand des jungen Mädchens ergriff. Sehen Sie, Herr Victor, das ist der Gegensatz zu der Geistreichen, vor der ich Sie warnte. Immer froh, immer sich gleich, immer hülfreich und anstellig, und immer in Harmonie mit sich selbst und der ganzen Welt.

Glauben sie es nicht, erwiderte Antonie lachend, ich schelte von früh bis spät und bin immer unzufrieden, daß ich nichts thun kann, als höchstens in diesen engen Räumen die Ordnung aufrecht zu halten.

Wenn es nach Verdienst ginge, sagte der alte Herr mit dem Feuer eines Anbeters, Du müßtest eine Fürstin sein, aber wenigstens bist Du unsere Beherrscherin und wir verehren Dich mehr, wie manche verehrt werden, welche Kronen tragen. Schauen Sie umher, Herr Victor, wie es aussieht in ihrem Reich. Da ist Alles an seinem Platz, kein Stäubchen und kein Fleckchen, die beste Verwaltung, kein überflüssiger Beamter, fein unnöthiger Luxus, kein verschwenderischer Hofhalt, aber wie vortrefflich sie ihre geliebten Unterthanen zu ernähren weiß, empfinden Sie mit uns.

Folglich wird dies glückliche Reich auch von keiner Revolution heimgesucht werden, sagte Victor.

Ich bin nicht ganz sicher, fiel das junge Mädchen mit einem herausfordernden Blick auf Georg ein. Heut zu Tage empören sich ja die glücklichsten Völker am leichtesten, wenn man den Klagen der Fürsten glauben will.

In dieser Weise währte das Gespräch fort und belebte die kleine Gesellschaft. Eine Flasche Rheinwein mußte aus dem Keller herbeigeholt werden, die den Rest eines Geschenkes bildete, das Victor vor seiner Reise dem alten Lehrer einst gemacht hatte; beim Klange der Gläser wurden dann die Mittheilungen immer offener und zutraulicher. –

Als das bescheidene Mahl beendet war, schlug Antonie vor, den Kaffee in dem kleinen Gärtchen am Hause zu nehmen.

Es ist warm und schön heut, sagte sie, der erste Tag, der den nahenden Frühling ankündigt. – Mein Väterchen hält seinen gewohnten Schlaf im Sorgenstuhl, die beiden jungen Herren rauchen in frischer Luft und Sonnenschein ihre Cigarren, und während dessen bereite ich das neu belebende, duftige Getränk.

Der Vorschlag wurde angenommen, und bald gingen die vertrauten Freunde in dem einzigen Gange des Gartens zwischen den Taxuseinfassungen lebhaft sprechend einher.

Victor war voller Lob auf das Schicksal Gerstenbergs.

Du weißt nicht, wie glücklich Du bist, sagte er. – Du bist frei, Du hast ein Herz gefunden, das Dich liebt, Du lebst in der Liebe, die Dich am Morgen auferweckt und Dir die letzte gute Nacht von den Lippen küßt. Niemand hindert Dich, Niemand stört Dein Glück. Es giebt keine Macht, welche sich zwischen euch drängen kann, keinen fremden Willen, der euch befehlen könnte, nicht zu wollen, was ihr wollt.

Und dennoch, erwiderte der Freund lächelnd, trennt uns das blasse Gespenst, das die meisten Sterblichen schon in der Wiege kennen lernen und welches, als ihr unzertrennlicher Begleiter durchs Leben, treu an ihrem Bett sitzt, wenn sie sterben.

Was meinst Du? fragte Victor.

Die Armuth, sagte Georg. Längst wäre Antonie meine Frau, wäre meine Zukunft nicht so ungewiß.

Wie? rief der Fürst erstaunt, das trennt euch? Du liebst, Du bist jung, geschickt, tüchtig und fürchtest Dich vor der Armuth?

Weil Du sie nicht kennst, verlachst Du sie, erwiderte Gerstenberg. Du weißt nicht, was es heißt, die Gewißheit mit sich umherzutragen, daß man nichts besitzt, als sich selbst. – Es ist schon ein qualvolles Empfinden, wenn man allein steht, aber ich würde in die peinlichste Gewissensmarter gerathen, wenn ich Antonie heirathete, und ihr kein Loos bieten könnte, das ihre Zukunft sichert.

Sonderbar, sagte Victor nachdenkend, Du magst nicht Unrecht haben, dennoch aber würde ich, um ganz zu besitzen, was mein ist, mich in alle Lebenswellen stürzen und sie überwinden.

Sie würden Dich verschlingen. – Es ist ein gefährliches Meer, dies Meer des Lebens, man muß ein gewaltiger Schwimmer sein, um es mit ihm aufzunehmen. Wo bleibt die Liebe, wo bleibt der Muth in solchen Strömen?

Was aber sagt Antonie dazu? fragte Victor.

Sie ist viel zu verständig, um nicht meinen Bedenken Recht zu geben. Es würde ihr leicht sein, durch Musik und Gesangunterricht etwas zu erwerben, und oft habe ich sie kaum davon zurückhalten können. So lange ich im Stande bin, es zu hindern, soll es nicht geschehen.

Du willst aus Stolz oder aus Liebe nicht, daß sie arbeitet?

Nenne es, wie Du willst, sagte Georg, aber ich fühle mich gedemüthigt bei dem Gedanken, daß ich – ich, wie ich da bin, nicht im Stande sein sollte, dies einzige Wesen, das mein ist, und meinen alten Vater zu erhalten, auf daß es ihnen wohl gehe auf Erden.

Ich begreife Deinen Stolz, erwiderte Victor mit Wärme. Es muß belohnend sein, für einen Vater zu arbeiten, und für ein geliebtes Weib mit dem harten Leben zu kämpfen.

Mache Dir keine zu hohen Vorstellungen davon, versetzte Georg lächelnd. – Du würdest das Leben anders kennen lernen, wenn Du als Arbeiter geboren wärst.

Wenn ich es wäre, erwiderte der Fürst finster die Augen niederschlagend, ich würde meinem Schicksal nicht zürnen.

Du bist nicht glücklich? fragte Georg theilnehmend.–

Man befahl mir, von meiner Reise zurückzukehren, fuhr Victor fort, und was will man von mir? Man will mich zum Kammerherrn machen, mir Titel und Orden verschaffen, die Güter und Namen meines verstorbenen Oheims auf mich übertragen, kurz mich mit Ehren und Reichthum überhäufen.

Ich sollte denken, sagte Gerstenberg, daß dies Alles kein sehr großes Unglück genannt werden kann.

Und was fordert man dafür? rief der junge Mann die Lippen zuckend. Nichts als eine Kleinigkeit. Man hat mir eine Braut ausgesucht, und ohne mich zu fragen, ohne im Geringsten an meinem Willen zu zweifeln, erklärt man, daß ich aus höchster Huld mit einer Lebensgefährtin beglückt werde solle.

Und Du?

Der Fürst preßte die Hand an die Stirn.

Was soll ich thun? – Die großen reichen Güter meines Onkels gehen verloren, wenn ich mich weigere. Ich breche mit den erhabenen Personen, die sich um meine Zukunft leider zu sehr bemühen, aber auch mit meiner eigenen Familie, mit meiner Tante, die mich liebt, mit der ganzen Gesellschaft, deren Fäden mich umspinnen, und dennoch kann ich mich nicht unterwerfen.

Du kannst nicht? – Heißt das, Du willst nicht, oder Du darfst nicht?

Es giebt nichts, was ich nicht dürfte, erwiderte der Fürst stolz.

Seine Stirn hatte sich geröthet, und mit schnellen Schritten ging er neben Georg her. Ich verachte die engherzigen Vorurtheile, sagte er, und will mich nicht von ihnen unterjochen lassen. – Ich habe niemals ein leichtsinniges Verhältniß geknüpft, habe mir keine Vorwürfe zu machen. Keine der vielen Frauen, die ich kennen lernte, hat mich so gefesselt, daß ich je ihren dauernden Besitz wünschte; aber ich gehöre nicht zu denen, die mit ihrer Heirath standesmäßig speculiren, oder gar Andere damit speculiren lassen. –

Aber man muß sich vor Märtyrerkronen hüten, fiel Georg ein, und in der Liebe wie im Kriege die Schlachten nicht verlieren, sondern Sieger bleiben.

Diese letzten Worte blieben nicht ohne Eindruck auf Victor, der eine Zeit lang schwieg und dann lächelnd sagte:

Du hast Recht; man muß strategisch verfahren – aber, fuhr er unwillig fort, indem er nach dem Hause blickte, wir werden gestört und zwar, wenn ich nicht irre, von einem sehr lästigen Menschen.

Gerstenberg sah ebenfalls hinüber und erblickte Antonien mit dem Kaffeebrett, vor welchem ein junger eleganter Herr sich höflich grüßend und sprechend herumdrehte.

Ach, erwiderte er, das ist Herr Isidor Berton, mein theurer Freund und Gönner im Comptoir des Herrn von Eyben und sehr wahrscheinlich sein Schwiegersohn.

Der? fragte Victor mit einem Blick der Geringschätzung.

Ja der, sagte Georg lachend. Es ist ein vortrefflicher junger Mann, im Geschäft der Geldmacherei wirklich ausgezeichnet. Er riecht förmlich, ob die Course steigen oder fallen. Gott in seiner Weisheit begabt seine Geschöpfe wunderbar.

Aber was will er hier, wo es nichts in Actien zu machen giebt? fragte der Fürst.

Irgend ein Geschäftchen wird es dennoch wohl sein müssen, erwiderte Georg.

Herr Isidor hatte sich inzwischen genähert und begrüßte die Herren mit einer vertraulichen Handbewegung, indem er die andere Hand in seiner Rocktasche festhielt.

Nach den ersten einleitenden Worten wandte er sich an Victor, der mit vornehmer Höflichkeit seinen Gruß erwiderte und dann Antonien geholfen hatte, das Geschirr auf dem Tische zu ordnen.

Wie ist Ihnen der Ball bekommen, gnädiger Herr? fragte er. – Sie waren zu unserem innigsten Bedauern plötzlich verschwunden.

Es war spät geworden, erwiderte Victor einsilbig.

Also ahnen Sie nicht einmal, daß Sie ein schweres Verbrechen begangen haben? fuhr Isidor fort.

Welches Verbrechen, mein Herr?

Das ist zum Todtlachen! Aber, Fräulein Antonie, ist es nicht ein Verbrechen, wenn man eine Dame zum Tanz auffordert und es dann vergißt?

Es ist ein unverzeihliches Verbrechen, sagte das junge Mädchen. Ich hoffe nicht, Herr Victor, daß Sie es begehen konnten.

Glücklicher Weise war ich in der Nähe, fuhr Isidor fort, sonst –

Wartete sie wahrscheinlich noch, rief der Fürst, indem er sich umkehrte und weiterging.

Ah, gehorsamer Diener, erwiderte Isidor, ich sollte meinen, daß es wirklich das beste Mittel sei, den Damen das Warten überhaupt zu verleiden.

Er strich sich den Backenbart und warf einen herausfordernden Blick auf seinen Gegner, der ihn durchaus unbeachtet ließ.

Lieber Gerstenberg, sagte er dann, ich habe mit Ihnen ein paar Worte zu reden. – Er führte ihn einige Schritte bei Seite und fuhr ziemlich laut fort: Ich glaubte nicht, daß Sie Besuch hätten, sonst würde ich es vorgezogen haben, ein andermal zu kommen. Der Zweck meines Erscheinens ist, Ihnen die Schuld des Herrn von Eyben hiermit abzutragen. Er zog ein Röllchen aus der Tasche, legte es in Georgs Hand und fügte hinzu: Ich hoffe, Sie werden zufrieden sein; ich habe dafür gesorgt.

Vielen Dank, Herr Berton, erwiderte der Baumeister.

Sie wissen, wie reiche Leute sind, sagte Isidor. Ich hatte jedoch Selma versprochen, für Sie zu wirken, so sind aus zehn Füchsen im Kampfe mit den Philistern deren zwanzig geworden.

Gerstenberg erröthete, als Victor aus seiner Unterhaltung mit Antonien zu ihm aufsah und ihm einen langen mitleidigen Blick zuwarf.

Nun, die Sache ist abgemacht, schloß der Buchhalter; gelegentlich bitte ich mir die Quittung aus. Herr von Eyben ist heut in wichtigen Geschäften, Fräulein Selma aber auf ihre Villa gefahren, das schöne Wetter ladet dazu ein. – Selma will das erste Frühlingsgrün sehen. Das ist poetisch. Wer schwelgte nicht gern, wie Schiller sagt, am Busen der Natur. Wenn das Wetter gut bleibt, will Selma einige Tage draußen bleiben, und dann wird es mir gewiß gelingen, trotz aller Arbeit ihr wenigstens auf Stunden Gesellschaft zu leisten.

Ich kann den glatten Burschen nicht länger ertragen, sagte Victor leise, und da er keine Anstalt macht das Feld zu räumen, so thue ich es. Er stand auf, sprach mit Georg über ihr nächstes Zusammenfinden, reichte Antonien die Hand, und nachdem er Isidor kurz und kalt gegrüßt hatte, ging er von dem Baumeister begleitet ins Haus.

Es ist das ein seltsamer Herr, sagte Isidor nach einer Pause, während der er mit seinem Aerger gekämpft hatte.

Ein wenig seltsam ist er allerdings, versetzte das junge Mädchen.

Fräulein Antonie, fuhr er fort, Sie wissen, wie sehr ich Sie achte.

Ich bin davon gerührt, Herr Isidor.

Trauen Sie mir ein Urtheil zu?

Sehr viel Urtheil, Herr Isidor.

Nun, so sage ich Ihnen, rief Isidor mit Nachdruck, daß dieser junge Herr einen Charakter besitzt, der überall nur Mißfallen und Unheil bewirken kann. Er ist hochmüthig und eingebildet; eine Art Philosoph, aber keiner von der liebenswürdigen Sorte, sondern ein Egoist, der an seine Unfehlbarkeit glaubt.

Ei, sagte Antonie lächelnd, wo haben Sie dies wohlerwogene Urtheil gesammelt?

Er hat auf dem Balle durchaus mißfallen, fuhr Isidor fort. Schroff und abstoßend kalt gegen Alle, ließ er endlich Selma sitzen, um mit Ihnen zu plaudern. Wie er sich entschuldigt, haben Sie soeben gehört.

Gerstenberg war inzwischen zurückgekehrt und hatte vernommen, was Isidor erzählte; da er nichts darauf erwiderte, nahm Antonie das Wort. –

Wenn sich Niemand unseres Freundes annimmt, sagte sie, so will ich es thun. Wir kennen ihn seit vielen Jahren und immer haben wir ihn wahr und gut, großmüthig und gedankenkräftig gefunden.

Potz Tausend! rief Isidor spottend, das ist viel. – Ob es gut ist, daß ein vornehmer Herr überhaupt denkt, das heißt sich mit allerlei Gedanken abgiebt, lasse ich dahin gestellt sein; was aber sein großmüthiges Herz betrifft, so sagen Sie mir doch, was hat er denn bisher für Sie gethan? – Hat er sich seit Jahren um Ihr Schicksal gekümmert? Hat er irgend wie seinen Einfluß für Gerstenberg geltend gemacht?

Ich habe diesen Einfluß niemals begehrt, Herr Berton, fiel Georg ein.

Darauf wartet ein Freund nicht, erwiderte Isidor. Er bietet seine Hülfe an.

Ich glaube kaum, daß man in solchen Fällen Hülfe von seinen Freunden beanspruchen darf, sagte Antonie.

Von wem denn sonst? rief Isidor. Sollen uns etwa unsere Feinde helfen? – Man spricht so viel vom Egoismus der Menschen, die nichts thun ohne Absicht und Vortheil, aber mir ist die Freundschaft durch gemeinsamen Vortheil immer lieber, als ein großmüthiges Herz, das gar nichts thut.

Hier wurde das Gespräch durch den Eintritt eines reich gekleideten Dieners gestört, der nach dem Baumeister fragte und ihm einen Brief übergab.

Gerstenberg las ihn und sagte sichtlich erfreut:

Melden Sie Sr. Excellenz, daß ich sogleich erscheinen werde.

Dann, als der Diener gegangen war, rief er froh gelaunt:

Unverhofft kommt oft! Da haben Sie die Widerlegung Ihrer Anschuldigung, Herr Berton. Ich werde soeben gebeten, den Grafen Reizenstein zu besuchen, der mich zu sprechen wünscht.

Reizenstein? sagte Isidor. O! ich weiß, was er will. Sie sollen das Verlobungsfest arrangiren.

Welches Verlobungsfest? fragte Georg.

Hat denn der hochherzige Jugendfreund Ihnen nicht einmal mitgetheilt, daß er die Enkelin des Grafen heirathen soll?

Ein mißmuthiges Erstaunen war in Gerstenbergs Gesicht zu lesen.

Er theilte mir allerdings mit, daß er sich verheirathen würde, sagte er, aber ich fragte nicht weiter.

Gehen Sie, lieber Freund, fuhr Isidor fort, überzeugen Sie sich; ich wette, daß der Fürst ganz unschuldig an dem Briefe ist, den Sie erhalten haben.

Wenn ich Alles zusammenfasse, erwiderte Georg, glaube ich es auch.

So eilen Sie, um klar zu sehen. Sie finden mich vielleicht noch hier, ich will inzwischen Fräulein Antonien eine Vorlesung über wahre Freundschaft halten.

Kehre bald zurück, sagte Antonie ihm die Hand reichend, damit Du Theil nehmen kannst.

Als Dritter im Bunde, sprach Gerstenberg, indem er hinausging. Herr Berton wird uns praktisch belehren.


4.

Isidor lehnte sich in den Stuhl zurück, zog ein Etui mit Cigarren hervor, zündete eine an, und pries ihre Güte und vorzüglichen Eigenschaften, während das junge Mädchen ein Nähearbeit ergriff.

Ich darf doch rauchen, Fräulein Antonie? fragte er, als er ein gutes Stück geraucht hatte.

Ich bin daran gewöhnt, sagte sie. Georg raucht viel.

Ich sehr wenig jetzt, erwiderte er. Sehen Sie, dies Etui, es ist ein Geschenk von Selma. Dennoch aber verabscheut sie den Tabacksdampf.

Sie ist also sehr nachsichtig mit Ihnen, Herr Isidor.

Isidor lächelte. –

Sie wissen wohl, sagte er, daß ich mir schmeicheln darf, mit Selma näher befreundet zu sein.

Ich sollte denken, Sie wählten einen zu bescheidenen Namen.

Nun ja, aber was hilft das Alles, fuhr er fort. – Sie wissen wohl, man kann das Vertrauen einer Dame besitzen, und dennoch erfüllen sich nicht alle Wünsche.

Man muß Geduld haben und ergeben sein, sagte Antonie.

Isidor schwieg eine Weile, indem er die fleißige Nachbarin betrachtete. – Endlich zog er sein Taschenbuch hervor, nahm ein Briefchen heraus und hielt es zwischen seinen Fingern. –

Hier habe ich etwas für Sie, Fräulein Antonie, begann er, doch ehe ich es Ihnen gebe, will ich Ihnen die Vorlesung vor der praktischen Freundschaft halten, wie Gerstenberg sagte.

Beantworten Sie mir eine Frage, fuhr er fort. Sie sind, wie ich weiß, seit langer Zeit Braut. Warum heirathen Sie nicht?

Weil ich noch warten will, Herr Isidor, erwiderte Antonie erstaunt.

O! so sagen sie Alle, rief er lachend; aber lassen Sie uns aufrichtig sein. Sie heirathen nicht, weil dem Bräutigam noch immer die Anstellung fehlt.

Herr Berton, ich begreife nicht, was Sie zu diesem seltsamen Gespräch bewegt.

Sie werden es gleich erfahren, erwiderte er kaltblütig. – Es fehlt also die Anstellung oder ein hinreichendes Capital, um Ihr zukünftiges häusliches Glück zu sichern. Das ist ehrenwerth von Gerstenberg; er hat es mir selbst gesagt, und ist dadurch in meiner Achtung gestiegen. Nichts ist verderblicher als leichtsinnige Heirathen; aber es ist doch auch äußerst betrübend, wenn zwei liebende Herzen getrennt bleiben, weil sie mehr Verstand haben, als Geld.

Während bei vielen Anderen gerade das Entgegengesetzte sich begiebt, sagte das junge Mädchen, zwischen Lachen und Aerger schwankend.

Wenn nun aber, fuhr Isidor fort, ein Freund sich fände, der alle Hindernisse fortschaffte und Ihren ehelichen Rosenpfad mit Gold bestreute, – was würden Sie zu solcher Freundschaft meinen?

Ich verstehe Sie nicht, Herr Berton, sagte sie belustigt, aber – ich hätte nichts dagegen.

Ich bin kein Mann, der lange dunkle Vorreden liebt, auch gehöre ich nicht zu denen, die ihr Geld fortwerfen, versetzte er, doch bin ich vollkommen bei Verstande, Sie dürfen nicht daran zweifeln. – Was ich Ihnen sage, ist wahr und der Beweis meiner praktischen Freundschaft. – Sie bedürfen Geld, ich bedarf Ihres Beistandes. Wollen wir einen Bund schließen?

Einen Bund? Einen Pact? Sie kommen mir entsetzlich vor, rief sie fröhlich lachend. Sie werden unheimlich, gnädiger Herr.

Isidor streckte seine Füße aus und sagte ebenfalls lachend:

Sie sehen: ich bin ein wichtiger Mensch. Aber ganz ohne Scherz, Fräulein Antonie, hören Sie mich ruhig an.

Sie wissen, daß ich seit zwei Jahren beinahe im Hause des Herrn von Eyben lebe, und wenn es auf ihn ankäme, würde ich längst sein Schwiegersohn sein. – Ich liebe Selma und hoffe, daß ich ihr nicht gleichgültig bin; allein sie hat die Launen einer reichen Erbin. Sie kann sich nicht entschließen, und muß zu einem Entschlusse vermocht werden. Eine Freundin kann dabei viel thun, die meine Sache führt, mich vertritt und mögliche Einwände widerlegt.

Und diese Freundin soll ich sein? rief Antonie. Armer Herr Isidor! Lebt wohl, ihr goldbestreuten Rosenpfade. – Ich kenne Fräulein von Eyben sehr wenig. Nur dann und wann schenkt sie mir die Ehre, mich bitten zu lassen, ihr Gesellschaft zu leisten und mit ihr zu singen. Von ihren Herzensangelegenheiten hat sie nie ein Wort mit mir gesprochen.

Ich kann Ihnen andere Mittheilungen machen, erwiderte er sehr ruhig. Ich habe Selma mit der größten Theilnahme Sie rühmen und sagen hören, welchen hohen Werth sie auf Ihre Freundschaft lege. Sie lobte Ihre Talente und Ihren Charakter, und dies Briefchen hier zwischen meinen Fingern ist, wenn ich nicht irre, eine Einladung für Sie, heut noch ihr einen Besuch zu machen.

Er übergab ihr das Billet und während Antonie es las, sah er ohne Umstände mit hinein.

In einer halben Stunde also wird der Wagen hier sein, fuhr er fort. Sie werden Selma allein finden, sie wird Ihnen Manches erzählen, Manches vertrauen. Seit einigen Tagen ist sie in elegischen Launen, wenn ich es so nennen soll. Sie ist erregt, sentimental; sie sucht ein vertrautes Herz; es wird also von Ihnen abhängen, dies zu besitzen.

Und ich soll darauf eingehen, sie täuschen, mich verstellen? erwiderte sie ihre hellen muthwilligen Augen auf ihn richtend.

Bah! sagte Isidor, Sie sollen nur meine Freundin und Selma's Freundin zugleich sein. Ihr Vater wünscht unser beiderseitiges Glück, Sie würden ihm den größten Dienst erweisen, und was mich betrifft sehen Sie her, was meine Freundschaft Ihnen dafür bietet.

Er zog aus dem Taschenbuche ein Blatt hervor und reichte es ihr hin.

»Hierdurch,« las er, »sichere ich dem Fräulein Antonie Gerstenberg zehn Tausend Thaler zu, welche ich am Tage nach meiner Hochzeit mit Fräulein Selma von Eyben ihr zu zahlen mich verpflichte.« – Nun? rief er, was sagen Sie dazu, schlagen Sie ein? Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich diesen Schuldschein pünktlich einlöse und Alles, was zwischen uns geschah, das tiefste Geheimniß bleibt.

Das Gesicht des jungen Mädchens hatte sich dunkel geröthet. Es konnte Freude, Ueberraschung oder Zorn sein. Sie saß einige Minuten lang ohne ein Wort zu erwidern, bis Isidor ihre Hand ergriff und mit vollkommener Gewißheit seiner Sache lachend sagte:

Sie scheinen dem guten Geschäft noch immer kein Vertrauen zu schenken. Ich kenne das. Es geht Ihnen so, wie den Anfängern an der Börse, wenn diese die erste gute Speculation machen. – Man erschrickt vor dem Glück, wie vor dem Unglück.

Ich bin in der That weniger erschrocken, wie nachsinnend über das, was ich thun soll.

Fräulein Antonie, sagte Isidor, glauben Sie mir, man muß nie zweifelhaft sein, wo es darauf ankommt, den Vortheil zu benutzen.

Wahrhaftig, rief sie, die blitzenden Augen zu ihm aufhebend, da geben Sie mir die richtige Lehre.

Was ich Ihnen als Freund anbiete, setzt Sie in den Stand, zu heirathen, sich behaglich einzurichten und, gut angelegt, reich zu werden. Denken Sie, was sich Alles daran knüpft.

Ohne Zweifel sehr viel, aber nehmen Sie Ihren Schuldschein zurück ich will Ihnen einen anderen dictiren.

Gut, sagte Isidor lachend, dictiren Sie. Er nahm ein reines Blatt aus seiner Brieftasche und Antonie sagte ihm vor.

»Hierdurch sichere ich dem Fräulein Antonie Gerstenberg, meiner geehrten Freundin, für die Dienste, welche sie mir leisten wird, um Fräulein von Eyben zu überzeugen, wie würdig ich bin sie zu besitzen, die Summe von ›zwanzig tausend Thalern‹ zu.«

Oho! rief Isidor erstaunt innehaltend. Ist das Ernst?

Vollkommener Ernst. Ich glaube, Sie werden begreifen, daß ich meinen Vortheil wahrnehmen muß, weil ich es kann.

Sie haben Recht, erwiderte er. Sie begreifen schnell. Es ist Anlage in Ihnen, die mir ungemein gefällt. Schade, daß Sie nicht Gelegenheit haben werden, sich weiter auszubilden.

Gehen Sie darauf ein? fragte Antonie, indem sie ruhig fort arbeitete.

Ich feilsche nie, wo ich geben will oder geben muß, sprach Isidor. Hier trifft Beides zusammen, also erfülle ich Ihr Verlangen. – Hier ist der Schein, er soll prompt eingelöst werden, und jetzt haben Sie noch eine Viertelstunde, um Toilette zu machen, meine kleine, kluge Freundin, dann wird Selma's Wagen kommen; das Uebrige liegt in Ihrer Hand.

Sorgen Sie nicht, erwiderte das junge Mädchen eben so freundlich lächelnd, ich werde alle Umstände benutzen.

Und darin, rief Isidor, seinen Hut ergreifend, liegt alle Klugheit dieser Welt. Die Umstände benutzen! damit wird man zum Millionair und erobert, was man will. – Noch Eines! sagte er an der Gartenthür umkehrend. Wollen Sie Gerstenberg unser freundschaftliches Uebereinkommen mittheilen?

Vor der Hand glaube ich, daß es besser sein wird, ihn ganz aus dem Spiel zu lassen, versetzte sie. – Männer wie er haben oft sonderbare Ansichten von Ehre und Gewissen. Auch darin werde ich nach Umständen handeln.

Sehr wahr, sehr gut und sehr klug! sagte der erste Buchhalter des Herrn von Eyben, indem er die Thür zumachte und mit einem hochachtungsvollen Gruß verschwand.

 

Während sich dies Alles zutrug, war Gerstenberg zu dem ziemlich entfernten Hause des Ministers gelangt, das groß, aber düster und alt an einem schönen Platze des vornehmsten Theiles der Stadt lag. – Er ging die Auffahrt hinauf, in den weiten Vorsaal, der durch Säulen von Stein getragen wurde, zwischen denen ein paar Statuen aus der Rokokozeit der Kunst prangten.

Ein Diener mit gepudertem Haar, ein echter Thürsteher großer Herren, steif, alt, und wichtig prüfend, wen er vor sich habe, um nach Umständen grob oder geschmeidig zu sein, trat aus seiner Loge.

Als er Gerstenbergs Namen hörte, wurde er freundlicher, zog eine Klingel und übergab einem anderen Diener, der auf diesen Ruf erschien, den Architekten, der die breiten Steintreppen hinauf und durch eine Reihe ziemlich alterthümlich und einfach geschmückter Zimmer geführt wurde, deren Deckenmalerei und Stuccaturarbeiten einst allerdings prächtig genug gewesen waren.

Hier mußte Gerstenberg warten, aber schon nach einigen Minuten erschien der Graf, ein alter vornehm aussehender Herr, klein von Gestalt und ein wenig nach vorn gebeugt, aber noch beweglich und mit freundlichem Gesicht, das er prüfend und grüßend auf den Baumeister richtete. In seinem kurzen, grauen Hausrock konnte man schwerlich einen Mann vermuthen, der viele Jahre lang an der Spitze des Staates stand und noch jetzt hinter den Coulissen mitregierte.

Sie sind Herr Gerstenberg? fragte er. Ich freue mich Ihre Bekanntschaft zu machen. – Setzen Sie sich, Herr Gerstenberg; ich habe Sie bitten lassen, mich zu besuchen, um Ihren Rath und Ihre Hilfe zu benutzen, wenn Sie mir beide zukommen lassen wollen.

Ich habe vor, fuhr er auf die höfliche Antwort des Baumeisters fort, mein Haus einem Umbau zu unterwerfen, um es modischer, und damit, wie man es nennt, bequemer und wohnlicher einzurichten. – In älterer Zeit dehnte man sich aus, heut zu Tage wird Alles beengt und begrenzt. Sie beschäftigen sich, wie man mir sagt, ganz besonders mit bürgerlicher Baukunst und haben darin Ruf erlangt. Glauben Sie nun, daß es angeht, aus dem alten Gebäude ein neues nach jetzigem Geschmack zu machen?

Gerstenberg gab eine erläuternde, vorweg aber bejahende Antwort, da, wie er meinte, aus den Schöpfungen der alten Zeit sich wohl neue, aber aus diesen sich nie die alten zurechtbauen ließen. – Der Minister warf einen scharfen Blick auf ihn und fuhr dann lächelnd fort: Nun, Sie gehören, wie ich denke, zu den neuen Baumeistern und unter Ihren Händen wird wenig von dem Alten übrig bleiben; indeß fällt es mir schwer, der Zeit und den Verhältnissen dies Opfer zu bringen. Denn ein Haus, Herr Gerstenberg, in dem wir geboren wurden, an dessen Mauern unsere Jugendträume kleben, in dessen Räumen wir ein ganzes Leben über lebten und Glück und Leid darin bestanden, ist für einen Greis ein Tempel seiner Erinnerungen und ein Schatz, den er nicht gern eher losläßt, als mit der letzten Stunde.

Gerstenberg antwortete mit einem Blicke, den der Minister sehr gut verstand. – Sie wundern sich, daß ich trotz dessen in meinen alten Tagen mich davon trennen will? fragte er. Nun, es giebt immer Umstände, die uns zu Entschlüssen treiben, denen wir innerlich entgegen sind. – Wenn es also geht, so soll es geschehen.

Nach einigen fortgesetzten Bemerkungen führte der Graf den Architekten durch die Reihe der Gemächer. Er hörte sein Lob über die Stärke der Mauern, die schönen Verhältnisse der hohen, edlen Räume, und die rühmenden Anerkennungen der Tüchtigkeit des ganzen Baues wohlgefällig an und sagte dann, mit dem Kopfe nickend: Es ist also doch wahr, daß die alten Zeiten fest und gut, schön und edel bauten, und ihre Steine so zusammenkitteten, daß sie nach Jahrhunderten kaum mit der größten Gewalt zerbrochen werden können. Was thut man dagegen jetzt, Herr Gerstenberg? Man leimt und pappt Häuser zusammen, bemalt sie bunt, schmückt sie aus mit allerlei modischem Flitter, aber im Innern sind es doch elende wohlfeile Machwerke, die oft über Nacht zusammenstürzen und die bethörten Bewohner begraben.

Excellenz, erwiderte Gerstenberg, auch die alten Häuser waren oft schlecht und stürzten bald zusammen; was übrig geblieben ist, paßt nicht mehr für Zeit und Sitte. – In den hohen, kalten Räumen frieren jetzt die Menschen; die finsteren Treppen will Niemand mehr hinaufsteigen, die geheimnißvollen Gänge, versteckten Thüren und Wandschränke mag man nicht mehr. Alles soll jetzt hell sein, warm und behaglich, dafür schränkt man sich lieber ein; was aber das Baumaterial selbst betrifft, so kommt es nur darauf an, woher man es nimmt. Wir können so fest und gut bauen, wie jemals gebaut wurde, wenn man die Kosten nicht scheut und die richtigen Werkstücke und Arbeiter findet.

Sie sind noch nicht im Staatsdienst fest angestellt? fragte der Graf.

Ich stehe auf der Liste der Beförderungen, erwiderte der Baumeister.

Aber ich dächte, Sie müßten darauf weit vorgerückt sein?

Es hat immer Würdigere gegeben wie ich, bemerkte Gerstenberg lächelnd, denn wie oft ich mich auch bei Vacanzen gemeldet habe, kam ich doch stets zu spät.

Nun, sagte der Minister mit einem gnädigen Blick, lassen Sie sich darum nicht abschrecken. Ich habe es oft erlebt, daß die höchsten und besten Staatsdiener Anfangs gewöhnlich wenig berücksichtigt wurden, dann aber um so schnellere Schritte vorwärts machten. Wann wollen Sie mir den Plan des Anbaues vorlegen?

Gerstenberg versprach es in wenigen Tagen, sobald er die nöthigen Vermessungen gemacht und seine Zeichnungen vollendet haben würde.

Es wird mir lieb sein, wenn Sie eilen, erwiderte der Minister, damit wir noch ans Werk gehen können. – Entwerfen Sie Alles so geschmackvoll, wie es sein muß und merken Sie sich, daß ich nichts zu schonen denke; denn im Vertrauen gesagt, Herr Gerstenberg, dies neue Haus, das Sie bereiten sollen, werde nicht ich mit meinen alterthümlichen Empfindungen, sondern ein junges, prachtliebendes Paar aus der neusten Zeit wird es bewohnen.

Ich werde meine Enkelin verheirathen, fuhr er fort. Ihr zukünftiger Gemahl, der Fürst Karlsberg, besitzt, so lange seine Tante lebt, kein Haus; so soll Josephine ihm dies zubringen. – Kennen Sie den jungen Fürsten?

Als Gerstenberg die Frage bejahte, sagte der Minister: Sind Sie der Sohn des Musikdirectors? Ei, da müssen Sie ein Jugendgespiele des Fürsten sein. Hat er Sie noch nicht besucht?

Ich habe ihn heut gesehen, erwiderte Georg.

Wie fanden Sie ihn? Wie gefiel er Ihnen? fragte der Graf lebhaft.

Ich fand ihn durchaus unverändert, nur männlicher gereift.

Er ist ein wenig excentrisch, ein wenig zu männlich, wenn ich so sagen darf, rief der Minister lachend, aber ein vortreffliches Herz, ein ganz vortreffliches Herz!

Das ist von jeher sein unbestrittenes Eigenthum gewesen, fiel Gerstenberg ein.

Ja wohl, sagte der Graf, es ist ein Eigenthum dieser ganzen erlauchten Familie. – Aber, lieber Gerstenberg, in unserer Zeit ist das Herz ein Ding, das den größten Verkennungen unterworfen sein kann, und Fürst Victor mit aller seiner Trefflichkeit wird davon nicht verschont bleiben, wenn Männer, die er liebt und achtet, Männer, die seine wahren Freunde sind, ihn nicht davor schützen.

Ein bedeutungsvoller Blick des Ministers heftete sich auf den Baumeister, der darauf eingehend erwiderte:

Was Ew. Excellenz bemerken, ist nur zu wahr. Fürst Victor hatte von früh an einen ziemlich unbeugsamen Charakter, der in den Augen derer, die ihn nicht kannten, zu irrigen Beurtheilungen führen konnte.

Sehen Sie wohl, das ist es, was ich meine. Er ist ein Vulkan, über welchem Lava liegt.

Welche die Liebe brechen wird, flüsterte Gerstenberg lächelnd.

Ei ja, sie ist das schmelzende Feuer, sagte der alte Herr freundlich, doch Sie können denken, lieber Gerstenberg, wie dankbar wir Alle sein würden, wenn unser theurer Verwandter, sanft und verständig, wie die Freundeshand dies allein kann, aufmerksam gemacht würde, wo sein edles Herz den rechten Weg findet. – Das ist eine Aufgabe vom höchsten Werth für uns, und ich wiederhole Ihnen, ich selbst sowohl, wie die Fürstin Wartenstein, wir würden diesem Freunde nie aufhören, dankbar zu sein.

Der Minister brach hier das Gespräch ab, denn oben öffnete sich die Thür des Vorsaales, in welchen sie zurückgekehrt waren, und zwei Damen traten herein, denen er sogleich entgegen ging.

Gerstenberg erkannte die Tante seines Freundes, die Fürstin Wartenstein, von ihrer Begleiterin aber ahnte er sogleich, wer sie sein müsse. Es war ein junges, feingebautes Mädchen, fast noch auf der Grenze der ersten Jungfräulichkeit, schlank und schmal, aber mit dem lieblichsten Gesichtchen in die Welt schauend. Ihr Haar war ganz zurückgekämmt von der schön geformten Stirn, und unter ihr glänzten zwei sanft blickende, geheimnißvolle Augen, die fragend nach Gerstenberg hinübersahen und sich wieder abwandten.

Nachdem der Fürst die ersten Begrüßungen abgethan hatte, drehte er sich gegen den Architekten um. –

Erlauben Sie, gnädigste Frau, sagte er, daß ich Ihnen den Herrn Baumeister Gerstenberg vorstelle, einen der talentvollsten Kunstverständigen unserer Hauptstadt, und wie ich so eben erfahren habe, vertrauter Jugendfreund Ihres Herrn Neffen, des Fürsten Victor.

Die Fürstin wendete sich zu Gerstenberg und nickte ihm huldvoll zu.

Ich habe den Fürsten von Ihnen sprechen hören, sagte sie, und erinnere mich aus früherer Zeit, Sie gesehen zu haben.

Sie that einige Fragen an ihn, die zurückgingen in alte Tage, und war so gnädig, wie sie es zu sein vermochte. – Abgemessen in ihren Bewegungen, lag die ganze Würde und gemessene Freundlichkeit der hohen Aristokratie in Allem, was sie sagte und that. Die lange, beleibte Gestalt überragte den gebeugten Minister und ihre Gesichtsröthe, welche die einst gewiß schönen Züge bedeckte, nahm sich seltsam zwischen den ledergelben Falten des alten Herrn und den zarten, leicht angehauchten Wangen der jungen Dame aus.

So bauen Sie denn einen rechten Zauberpalast für meine liebe Josephine, sagte die Fürstin. – Ich denke, Se. Excellenz wird Ihnen gesagt haben, Herr Gerstenberg, weshalb gebaut werden soll? –

Gewiß habe ich es gesagt, fiel der Minister ein, aber hier steht die zukünftige Eigenthümerin selbst, Herr Gerstenberg, meine Nichte, Josephine Pronary. – Ich weiß nicht, fuhr er fort, ob Sie sich des Generals Baron Pronary erinnern? Er ist uns leider durch den Tod entrissen worden in Folge der Wunden, die er ehrenvoll empfangen hatte. Mein armes Kind, seine Gattin, ist ihm bald nachgefolgt; so ist mir denn Josephine allein geblieben, und Sie können wohl glauben, lieber Gerstenberg, wie innig mein Wunsch ist, ihr Alles so zu bauen, daß es sie glücklich macht.

Der Minister sprach die letzten Worte mit besonderer Betonung, und Gerstenberg neigte sich tief vor dem erröthenden Fräulein und versicherte in einigen Sätzen, daß er gern Alles beitragen werde, was er vermöge, um ihren Beifall zu erwerben.

Wir nehmen Sie beim Wort, Herr Baumeister, rief der Graf, indem er die Hand aus seinem grauen Rock zog und sie Gerstenberg, reichte. Vielen und großen Dank im Voraus, und arbeiten Sie fleißig an dem Bauplan.

Somit wurde der Architekt entlassen, der einen letzten Blick auf Josephinen warf, die sich leise vor ihm neigte, und als er draußen auf der Straße war, sagte er mit mehr Feuer als gewöhnlich:

Was ich thun kann, will ich thun von Herzen gern. Nicht des Vortheils wegen, aus eitler Selbstsucht etwa und um lockenden Gewinn; aber beim Himmel! sie ist schön und hinter dieser gewölbten Stirn, im Dunkel dieser tiefen Augen muß mehr verborgen sein, als man gewöhnlich bei den schweigsamen spröden Aristokratinnen findet. –

Er ging gedankenvoll weiter und überlegte die ganze Scene, welche er so eben erlebt hatte. –

Ich glaube wahrhaftig, rief er endlich sich selbst zu, die Sache ist nicht ganz so unschuldig, wie sie aussieht. – »Man merkt die Absicht, und man wird verstimmt!« Doch auch das kann ich nicht von mir sagen. – Will das Glück mir endlich wohl, warum soll ich es nicht halten? – Es wäre so übel nicht, an dem Minister einen Gönner zu finden; so übel nicht, wenn die Fürstin mir dankbar würde, und alles dies kann ich haben, wenn ich Victor dahin bringe, diese süße Rose zu pflücken, und Oberkammerherr, Obermundschenk oder Oberjägermeister zu werden.

Er lachte laut auf, plötzlich aber prallte er erstaunt zurück. Eine glänzende Equipage rollte an ihm vorüber. Antonie saß darin und winkte ihm Grüße zu. – Der Wagen verschwand wie ein Blitz; Gerstenberg wußte kaum, ob er wirklich seine Braut gesehen hatte.


5.

Das Landhaus des Herrn von Eyben befand sich in dem entferntesten Theile des Parks, mitten in schönen Gärten, die jetzt freilich beim ersten Hauche des Frühlings noch nichts von ihrer Pracht zeigten. –

Der Wagen fuhr durch den sauber mit farbigem Kies bestreuten Weg und vor Antonien lag das schöne neue Haus. Von schlanken Eisensäulen wurden seine Balkone getragen, die Vortreppe war mit zwei ruhenden Löwen besetzt, die hohen, spiegelhellen Fenster durch graue Jalousien halb geschlossen, und die bunt bemalten Wände bis zu den zackigen Mauerkronen so zierlich ausgeschmückt, wie ein Putzkästchen im Zimmer einer Dame. – Ein paar kleine chinesische Tempel zu beiden Seiten der Hauptfront verstärkten diesen Eindruck. Hell von der Nachmittagssonne beleuchtet, sah es wie ein kleines Zauberschloß aus, das in strahlender Herrlichkeit so eben fertig aus dem Boden gestiegen war.

In einiger Entfernung blickte zwischen alten fahlen Bäumen das hohe Dach eines anderen Gebäudes hervor, das auf einer Erhöhung des Bodens lag, und einen Wiesengrund ohne alle Gartenanlagen vor sich hatte. – Schwer und grau sah es auf seinen unteren Nachbar herunter; der thurmartige Aufbau an der Seite, welcher über die Bäume fortragte, schien den Kopf zu schütteln über die bunte Geckenhaftigkeit des luftigen Gesellen.

Antonie malte sich diese Eitelkeit und weltverachtende Würde der beiden Nachbarn in einer Minute aus, als plötzlich Selma auf der Vortreppe erschien und ihren Betrachtungen ein Ende machte.

Herzlichen Dank, liebe Antonie, sagte sie, ihr die Hände drückend, daß Sie meinen Bitten gefolgt sind. Ich habe Sehnsucht nach Ihnen empfunden und möchte Sie bewegen können, daß es Ihnen eben so mit mir geht.

Sie führte den Gast in die offene große Halle und durch diese in den breiten Anbau eines Gewächshauses, das, mit Blumen und blühenden Sträuchern und Bäumen der heißen Zone gefüllt, einen duftigen, farbenvollen Tempel bildete. – Die symmetrischen Reihen der lieblichen Gewächse, die kunstvollen Zusammenstellungen verschiedener Blüthen und Geblätter, die indischen Matten, welche den Boden bedeckten, der köstliche Hauch des Wohlgeruchs und die Sonne, welche goldig durch geöffnete Fenster die Ströme frischer Frühlingsluft hineinführte, erfüllte Antonien mit Bewunderung und Freude. –

Selma führte sie zu einer Grotte von Myrthen und Granaten, auf einen Wink brachte ein Diener den Kaffee, und nun waren die Freundinnen allein und bald in vertrauten Mittheilungen begriffen.

Nach einiger Zeit, als das Gespräch über verschiedene Gegenstände hingegangen war, sagte Antonie:

Wie schön ist es hier, und wie glücklich sind Sie doch, mit so vielen anmuthigen und reizenden Gebilden der Kunst und der Natur sich umringen zu können.

Das ist ein Vorzug, liebe Antonie, erwiderte Selma, den Jeder mit mir theilt, wenn er das nöthige Geld besitzt.

Ja freilich, rief das junge Mädchen lachend, aber da sitzt der Knoten. Der Reichthum kann Alles, ihm gehört die Welt. Viele Tausende arbeiten allein für ihn, und doch ist, was ich sage, nur halb wahr, denn wie viele reiche Leute giebt es, die nicht einmal verstehen, Ihren Reichthum gut und nützlich anzuwenden.

Sie würden ihn also gewiß gut anwenden, wenn Sie reich wären? fragte Selma.

Ach! wer weiß, was ich thun würde, aber ich meine, Georg hat Recht, wenn er behauptet, daß Reichthum das Mittel sein müsse, Segen zu verbreiten, wenn er versöhnen könne, und nichts unmenschlicher sei, als nur Geld zu erwerben und aufzuhäufen, ohne es wieder zurückfließen zu lassen in die große Unterhaltungskasse der Menschheit durch Arbeit.

Herr Gerstenberg ist ein Anhänger der neuen Ideen, sagte Selma, die überhaupt nichts vom Reichthum wissen wollen.

So ist es nicht, erwiderte Antonie, er weiß den belebenden Reichthum zu schätzen und hat mir neulich erst eine lange Vorlesung gehalten über die edle Verwendung bedeutender Summen für Kunstwerke und theure Gegenstände des Gewerbfleißes in Ihrem Hause.

Mein Vater kauft gern, sagte Selma erheitert, er liebt das Prächtige und Theure.

Und Sie, fiel Antonie ein, leiten seinen Geschmack, damit das wahrhaft Schöne und Geschmackvolle gekauft wird.

Hat das Herr Gerstenberg auch gesagt? fragte die Tochter des Bankiers.

Ich habe es heut erst von ihm gehört, und er sagte es zu einem Freunde, der Ihre reiche und schöne Wohnung beim Glanze des letzten Festes gesehen hat.

Selma's blasses Gesicht färbte sich ein wenig. Ohne Zweifel also Fürst Karlsberg? fragte sie. – Er hat uns nicht wieder besucht und ich bin darüber nicht betrübt. Er ist sehr stolz, sehr kalt und unerquicklich.

Und dennoch wüßte ich kaum einen einfacheren und edleren Geist, der freier von Vorurtheilen wäre, erwiderte Antonie.

Mit einigen Widersprüchen war sie leicht dahin gebracht, ihre Vertheidigung fortzusetzen und alles zu erzählen, was sie von Victor wußte. Manche kleine Geschichten waren ihr aus früherer Zeit erinnerlich und Selma besaß eine unermüdliche Hartnäckigkeit in neuen Fragen und Beschuldigungen.

Wer aber hat Ihnen denn so viel Gehässiges von Victor erzählt, rief das junge Mädchen endlich. Es müssen Menschen gewesen sein, die mit bösester Absicht ihn verläumden wollten.

Er findet dafür einen um so wärmeren Advocaten, sagte Selma, ihre Hand drückend.

Sie zürnen und verkennen ihn, weil er, wie ich weiß, einen Fehler verschuldet bat, fuhr Antonie fort, allein verdammen müssen Sie ihn nicht. Ich bin überzeugt, Sie werden sich für ihn interessiren, wenn Sie erfahren, wie einfach, bescheiden und anspruchlos sein Charakter ist, wie er trotz seines Standes und Reichthums frei von allen Vorurtheilen erscheint, frei von Hochmuth und innerer Verkehrtheit, die so oft von einer heuchlerischen Hülle bedeckt werden.

Liebes Kind, sagte Selma lächelnd, über diesen Hochmuth sind wir hinaus; wenigstens darf er sich da nicht geltend machen, wo man ihn nicht dulden würde.

Ich verstehe, erwiderte Antonie, indem sie ihre klaren Augen auf Selma richtete, dennoch aber täuschen Sie sich bei Fürst Victor. Er hat weder Hochachtung vor Namen und Titel, noch vor Gold und Schätzen, sondern vor den Menschen allein, die ihm Achtung abnöthigen.

Das hört sich allerdings schön an, aber man kann es darin übertreiben, und das ist, wie ich denke, bei Ihrem Fürsten der Fall. Er ist ein Sonderling, ein Egoist, ein Mensch, der überall anstößt und Blößen giebt, die ihn lächerlich machen.

Er gefällt Ihnen also durchaus nicht, sagte Antonie, so lassen Sie uns von ihm abbrechen; aber gefällt Ihnen Herr Isidor Berton besser?

Bei diesen Worten bedeckte eine plötzliche Röthe Selma's Gesicht, und mit einer gewissen Gereiztheit rief sie aus:

Wie kommen Sie zu dieser Frage? O! ich merke, Sie haben von den albernen Gerüchten gehört, die seine Anwesenheit in unserem Hause hervorruft. Herr Berton ist der Sohn eines Freundes meines Vaters, der ihm sehr wohl will, das aber ist die Grenze, und Sie werden mir zugestehen, daß darum, weil er meinem Vater gefällt, kein weiterer Schluß gezogen werden darf.

Und warum denn nicht? erwiderte Antonie neckend. Es ist tausendmal im Leben vorgekommen, daß der Günstling des Herrn Vaters oder der Frau Mutter bald auch die Gunst der Tochter erworben und wohl oder übel sie heimgeführt hat.

Könnten Sie das im Ernst von mir glauben, Antonie? fragte Selma stolz.

Ich weiß nicht, was ich antworten soll, sagte diese. Herr Isidor ist ein lebhafter, höflicher junger Herr, der gewiß keinen Tanz vergißt und ein vortreffliches Gedächtniß, einen ausgezeichneten Verstand besitzt.

Halten Sie ein, rief Selma lachend, ich glaube sonst meinen Vater reden zu hören. – Nein, liebe Antonie, ich kann es Ihnen vertrauen, und es thut mir wohl es zu können, denn Sie sind gut, gefühlvoll, theilnehmend, und lieben selbst einen edlen, klugen Mann. – O! Sie sind sehr glücklich, Antonie. Sie haben ein Herz, das Ihnen ganz gehört; Sie wissen, daß Sie geliebt sind, und keine Furcht kann Sie beschleichen, daß Sie betrogen wurden, daß alle die Schmeicheleien, die Aufmerksamkeiten, die Ehrerbietung und Bewunderung, mit denen man Sie umringt, erlogen und erheuchelt sind, daß Sie nicht Ihnen gelten, sondern Ihrem Gelde, dem elenden jämmerlichen Metall, das, wie Sie sagen, Alles vermag auf Erden.

Ihre Augen waren mit großen Thränen gefüllt und plötzlich schlang sie beide Arme um Antonien und legte den Kopf an ihre Brust.

Wer so wie Sie mit allen Gaben der Schönheit und des Geistes ausgerüstet ist, erwiderte diese leise tröstend, der darf nicht glauben, daß nur das Gold Huldigungen hervorruft.

O! rief Selma, wie schlecht kennen Sie die Männer, welche sich um uns bewegen. Gold ist ihr Wahlspruch, danach ringen sie, danach wählen sie allein. – Ich habe die Liebenswürdigsten und Begabtesten den Häßlichsten und Dümmsten weichen sehen; ich habe kennen gelernt, was es heißt, gekauft und verkauft zu werden, und ich weiß, was alle jene Heucheleien gelten, mit denen man mich umkriecht, weil mein Vater eine Tochter hat. Ich sehe die Speculation auf ihren Gesichtern und ich verachte sie dafür. In dieser Reihe steht Berton oben an.

O weh! sagte Antonie an ihr Herz fassend.

Was ist Ihnen geschehen? fragte Selma.

Es ist nichts, erwiderte sie; nur eine zerstörte Hoffnung, die nicht geduldig in ihr Grab gelegt sein will. –

Sie zog Isidors Verschreibung hervor, las sie durch und rief lachend:

Es ist wahrhaftig grausam, wie Sie den vielgetreuten Verehrer verkennen. Lesen Sie das und sehen Sie selbst, welcher Opfer er fähig ist, um ein Herz zu erweichen, das ihn unbarmherzig von sich stößt. –

Selma nahm das Papier, sie las es und ihre Augen flammten vor Zorn.

Da sehen Sie, liebe Antonie, rief sie, wie recht ich habe. So weit geht die Speculation dieser Heuchler, daß sie sogar Beistand brauchen, um mich um so sicherer zu verderben. Wie danke ich Ihnen, liebe Freundin, o! wie gut, wie edel sind Sie, mir einen solchen Beweis der Gemeinheit dieses Menschen zu verschaffen.

Ich glaubte nichts Besseres thun zu können, erwiderte das junge Mädchen lachend, als sofort meinen Auftrag auszurichten, und zu beweisen, wie ernstlich es der junge Herr meint. Hat er die Dreistigkeit gehabt, mich für solches Geschäft gewinnen zu wollen, so muß er auch zufrieden sein, wie ich es verstehe. Leider ist, wie ich finde, für Herrn Isidor nichts zu hoffen, und somit endet meine Commission, noch ehe sie angefangen hat.

Ein Mann, sagte Selma, der, wie dieser, alle Launen erträgt, um Lea dient bei Laban mit der Unterthänigkeit des Knechts Siehe Bibel, Genesis 29: Jakob, ein Neffe Labans, liebt Rachel, er ist bereit, sieben Jahre um sie bei Laban zu dienen. Am Ende dieser Zeit führt Laban ihm in der Hochzeitsnacht jedoch die ältere Schwester Lea zu, sodass die Ehe mit ihr vollzogen wird. Laban begründet dies mit dem Brauch, zuerst die ältere Schwester zu verheiraten. – Anm.d.Hrsg., ist mir noch widerwärtiger wie Andere, die wenigstens mit größerer Kunst und Feinheit ihre Pläne bedecken.

Und hat denn bis jetzt nicht Einer dies stolze Herz rühren können? fiel Antonie ein.

Ich habe es zuweilen geglaubt, sagte Selma, aber ich sah mich immer getäuscht. Ich fand mich bald in Zweifeln befangen, merkte bald, was ihre Absicht war, und je mehr sie mir zu gefallen strebten, um so lustiger wurde mir dies Spiel mit Puppen.

Nur Einer, fuhr sie zögernd fort, als Antonie schwieg, nur ein Einziger hat seltsamer Weise mich beunruhigen können.

Da ist er! rief Antonie, durch die Fenster schauend.

Wer? fragte Selma, ihrem Finger folgend, und plötzlich zog sie krampfhaft Antoniens Hand zurück und schwieg.

Jenseit der Grenze des Gartens, in dem anstoßenden Park des nahen Landhauses, ging Victor langsam an der niedern Hecke hin, welche die beiden Besitzungen trennte. – Er sah vor sich nieder, ohne den Blick auf das Glashaus an der andern Seite zu richten, dann blieb er stehen, und schien eine Stelle in dem Gehege zu betrachten.

Dort war es, flüsterte Selma, und ihre Augen leuchteten, das ist die Stelle, wo er einst mich auf seinen Pony nahm und mit mir fort in den Wald sprengte. – Er kennt diese Stelle noch, er hat sie nicht vergessen!

In diesem Augenblick ging Antonien das ganze Verständniß auf.

Sie lieben ihn, theuerste Selma! sagte sie von einer freudigen Bewegung übermeistert.

Selma antwortete nicht, sie sah starr nach Victor hinüber, aber sie hielt beide Hände der Freundin fest und preßte sie an sich.

O! er verdient es, von Ihnen geliebt zu sein, rief das junge Mädchen, und er muß Sie lieben, er liebt Sie schon jetzt. Bei uns hat er davon gehört, daß Sie hier sind, und da ist er nun und steht noch immer dort, wohin seine Erinnerungen ihn führen.

Nur er, sagte Selma lebhaft, der das Geld nicht achtet, der auf Namen und Rang nichts giebt, der frei von Vorurtheilen ist, der die Menschen nach ihrem Werth schätzt, er flößt mir kein Mißtrauen ein, daß mein Geld ihn locken könnte. – Ja, liebe Antonie, er ist der einzige Mann, der mit sonderbarer, unerklärlicher Kraft, im ersten Augenblick, wo ich ihn sah, mich mit mir selbst veruneinigt hat.

Sie waren Hand in Hand in dem Glashause bis in die Nähe der halbgeöffneten Thür gegangen, als Victor sie erblickte, und sich grüßend verneigte. – Sein Gesicht drückte Erstaunen aus, als er Antonien erkannte; er legte die Hand auf die Hecke und schien im Begriff, darüber fortzuspringen, als er sich plötzlich besann und nochmals tief und höflich grüßend langsam umkehrte und dem Landhause zuging.

Er geht! rief Selma schmerzlich. Ist es möglich, er geht?! –

Sie zuckte zusammen und sah ihm nach, als müsse er der magischen Gewalt dieser Blicke folgen und umwenden.

Aber er kehrte nicht zurück, und im gebrochenen Stolz ihrer Gefühle sagte sie mit Heftigkeit:

Was habe ich ihm gethan? Wer hat Recht? – Was sagen Sie, Antonie? Warum kommt er, um die Hecke zu sehen und flieht, als er mich erblickt?

Ich glaube, erwiderte Antonie lächelnd, er wäre nicht geflohen, hätte er Sie allein gefunden.

Ach! sagte sie, Ihre Freundschaft erfindet eine neue Möglichkeit, doch ich glaube nicht daran.

Aber hören Sie nicht im Saale sprechen? – Er ist durch den Garten gegangen, er kommt, wir haben ihm beide Unrecht gethan.

Es war jedoch nicht der Erwartete, der die Thür öffnete und den Kopf hereinsteckte, sondern Graf Heinrich, welcher nach dem ersten Blick, der ihn die Damen entdecken ließ, eintrat und seinen Ueberfall entschuldigte.

Ich habe in Ihrem Hause erfahren, sagte er, daß Sie Frühling zu machen versuchen, und da ich einen Ritt durch den Park vorhatte, wollte ich mich erkundigen, wie weit Sie damit gelangt sind. Nun, fuhr er fort, es kommt mir vor, als sei das Thermometer plötzlich gefallen. Wenn Sie mich fortschicken wollen, als Strafe für meinen Einbruch, so protestire ich, denn ich suchte vergebens nach einer der Hesperiden, die diese junonischen Ungewöhnliche Übertragung der typischen Attribute der antiken Gottesmutter: üppig-herrschaftliche Pracht, auf einen nicht-persönlichen Bereich. – Anm.d.Hrsg. Gärten bewachen; wenn Sie mir aber erlauben auszuruhen und Sie zu unterhalten, wie ich es vermag, so setze ich mich auf diesen Stuhl und beginne damit, Sie zu fragen, ob Ihnen mein lieber Vetter und Freund, Fürst Victor, nicht zu Gesicht gekommen ist, der den ganzen Tag über schon von mir gesucht wird.

Es lag viel Drolliges in der Art dieser Einführung, deren Worte durch die That begleitet wurden, denn der Graf legte den Hut ab und setzte sich behaglich zu den Damen, indem er sogleich fortfuhr:

Sie haben ihn nicht bemerkt, ich kann es mir denken. Was sollte er auch hier, auf dem Tummelplatz seiner genialen Jugendträume? Es wäre aber doch möglich gewesen und ich habe daher vor einigen Minuten in das Landhaus der Frau Fürstin hinein gesehen, aber verschlossene Thüren gefunden.

Darf ich fragen, warum Sie so eifrig Jagd auf den Fürsten machen? sagte Selma.

Das dürfen Sie um so eher fragen, mein gnädiges Fräulein, erwiderte der Graf, weil das, was ich darauf antworten kann, gewiß ist, das allgemeine Interesse aller Damen, also auch das Ihrige, zu beanspruchen. Ich suche diesen heillosen Flüchtling, um ihm die beglückende Nachricht zu bringen, daß er von den schönsten Augen, die es geben kann, sehnlich erwartet wird.

So ist es wahr, daß der Fürst sich vermählen will? fragte Selma lächelnd.

Es ist vollkommen wahr, wie ich glaube. Aber sind Sie nicht neugierig, zu wissen, wer die Erwählte ist?

Die Enkelin des Grafen Reizenstein, Josephine Pronary, die Tochter des Generals.

Sie wissen Alles, lachte Graf Heinrich. Es giebt kein Geheimniß mehr in der Welt.

Aber ich weiß nicht, ob sie schön ist, fiel Selma ein. –

Wie könnte ich es wagen, hier von andrer Schönheit zu sprechen, sagte der Graf; doch in Wahrheit, mein beglückter Freund ist zu beneiden. Es ist eine Partie, wie sie selten vorkommen kann. Eine illustre Familie, ein mächtiger Einfluß, Verwandte, die an verschiedenen Höfen bevorzugte Stellungen einnehmen, nahe Beziehungen sogar zu einem regierenden Hause, und dabei eine Braut von achtzehn Jahren.

Und großem Vermögen.

Das nun eben nicht. Ein großes Vermögen dürfte nicht zu erwarten sein, aber darauf kommt es nicht an. Mein Vetter ist einer der reichsten Standesherren im Lande; er hat nur nöthig solchen Rücksichten Rechnung zu tragen, die ihm sein Rang oder die Geschichte seiner Familie auferlegen.

Diese Antwort erwiderte Selma mit einem Blick, dessen spöttischen Ausdruck Graf Heinrich wohl verstand.

Sie wissen, sagte er, daß die Verhältnisse den Menschen machen, und daß wir mit Vorurtheilen geboren werden. Es ist einmal so, wer kann sich damit abgeben, die Welt zu verbessern! Glücklich die, welche, wie mein glücklicher Vetter, stoische Philosophen sind, und damit alle Herzensfragen überwinden.

Er brach das Gespräch ab und unterhielt die Damen eine Zeit lang mit den neuesten Neuigkeiten der gewöhnlichen Art und jener pikanten Mischung von Laune, beißenden Scherzen und raschen Wendungen, die aus dem Nichts der gleichgültigsten Dinge immer ein anregendes Etwas zu machen verstehen. –

Endlich sah er nach der Uhr und rief im Erschrecken des guten Tons:

Die Stunde schlägt keinem Glücklichen; aber es ist nicht wahr, was die Dichter sagen: Wäre es uns vergönnt, Herr über die Zeit zu werden, was würde aus mir und was überhaupt aus der Welt hervorgehen!

Ist die Welt ohne Zeit nicht das Nichts? sagte Antonie. –

Oder die Ewigkeit! rief der Graf, und wo könnte man Ewigkeiten besser verleben wie im Paradiese?

Er stand auf, küßte Selma die Hand und fuhr lachend fort:

Ich habe immer sonst über den Adam gespottet, der in seiner Garteneinsamkeit zuweilen doch recht langweilige Tage gehabt haben muß, und es für das Beste gehalten, was uns geschehen konnte, als unser Stammvater endlich hinausgeworfen ward; allein ich habe mich bekehrt, seit ich ahne, wie reizend seine Einsamkeit gewesen ist.

Und doch fliehen Sie in die laute Welt zurück? fragte Selma.

Ich gehe, einen neuen Adam zu schaffen, fiel Graf Heinrich ein, denn ich zweifle nicht, daß Fürst Victor seine liebenswürdige Eva, sobald er sie erblickt hat, in irgend ein verborgenes Paradies führt, um dort die sechstausend Jahre zu vergessen.

Er hat sie noch nicht gesehen? rief Selma überrascht.

Nein. – Heut Abend erwartet sie ihn bei der Fürstin, seiner Tante. Nur die nächsten Verwandten werden dort sein, und die Verlobung eingeleitet, oder auch ausgesprochen werden.

So schnell, so bestimmt! fiel Antonie ein.

Das will nicht in Ihr Köpfchen, sagte der Graf belustigt. Sie wünschen eine Verständigung der Herzen in hergebrachter Weise, das ist jedoch alles vorausgegangen. – Victor hat Josephinens Bild schon in Paris gesehen.

Ist das Bild genug?

Mein Himmel! seien Sie doch ein klein wenig romantisch. Wie oft ist schon ein Bild mehr als genug gewesen, und in fürstlichen Kreisen genügt es vollkommen.

Aber Maler schmeicheln, rief das junge Mädchen.

Heut früh hat mein glücklicher Vetter eine Audienz gehabt und die Wünsche seines Monarchen vernommen; heut Mittag ist die schöne Braut angelangt, heut Abend wird die Verlobung sein und in zwei oder drei Wochen die Fürstin Karlsberg ihre Empfangzimmer öffnen. Ich komme morgen und erzähle Ihnen, wie die ersten Scenen zärtlicher Verständigung ausgefallen sind.

Selma nickte ihm lächelnd Gewährung zu, als aber die Thür hinter ihm schloß, sank sie in ihrem Stuhl zurück und aus den feinen Zügen ihres Gesichts schien alles Leben zu entweichen. Antonie beugte sich über sie hin und küßte leise ihre kalte Stirn, dann immer heftiger, bis ihre Thränen heiß auf Selma's Gesicht tropften.

Die Dämmerung des Abends war hereingebrochen; mitten unter den Blumen war es lautlos still, und in dem Halbdunkel der Myrthenlaube fielen Blätter und Blüthen vergebens auf Selma nieder.

O! flüsterte sie endlich, sagten Sie nicht, Reichthum könne Alles? Sehen Sie nun, was er vermag. – Er kann kein Herz erwecken, er kann kein Vorurtheil zerstören, er kann nichts – nichts, als das Elend der Menschen größer machen!

Ich möchte Sie beruhigen, erwiderte Antonie zagend, und weiß nicht, wo ich beginnen soll.

Wie könnten Sie es auch, rief Selma. Ich leide Schmerzen, die kein Arzt heilt. – Verlobung! Sagte er nicht Verlobung? Und heut, jetzt – oh! Antonie, in dieser Minute wohl, ergreift er ihre Hand, blickt er sie an mit befriedigter Erwartung, und ich – ich sitze hier und vergehe.

Wenn er das thut, wenn er das kann, sprach Antonie ernst, verdient er dann noch Ihre Liebe?

Kann er denn anders? fragte sie zurück. – Hörten Sie nicht, was dieser hochmüthige Graf sagte? – Seine Familie, die Verhältnisse, sein Rang, Alles treibt ihn zu dieser Verbindung.

Ist er dadurch entsündigt, sagte das junge Mädchen, was hält Sie dann ab, ihn immer zu lieben?

Und Sie, rief Selma, Sie könnten den lieben, der Sie vergißt, um einer anderen anzugehören?

Ich könnte ihn lieben, wie man einen Todten liebt, dessen edles, theures Bild uns umschwebt, so oft wir ihn in uns erscheinen lassen. – Wäre er jedoch meiner unwürdig, und stände er zuhöchst in der ganzen Welt, ich würde ihn vergessen!

Vergessen! flüsterte Selma, indem sie ihre kleinen Hände vor ihre Stirn preßte, welch fürchterliches Wort! – Aber er kennt mich ja kaum; er weiß nicht, was ich für ihn empfinde; weiß nicht, welch schrecklicher Traum mich ergriffen hat. – Wüßte er es, ja dann – dann könnte ich ihn hassen. – Was sind denn diese hohlen Anmaßungen der Menschen, die sich besser dünken? Ihre Familien, ihre stolzen Ahnen, ihr Dünkel, ihre Macht und Herrlichkeit, alle die Götzen, zu denen sie beten? – Staub! Staub und Verwesung! – Wenn sie sterben, wer fragt danach? O! wenn ein Mann nicht dem Uebermuth die Stirn bieten kann, wenn er nicht mehr ist wie gewöhnliche Menschen, wenn er Vorurtheilen nicht zu tragen vermag, wenn er liebt, so ist er nicht besser wie die Anderen!

Das ist der Stab, an welchem Sie sich aufrichten müssen, sagte Antonie, die sie zärtlich umarmte.

Ich werde nicht daran sterben, erwiderte Selma traurig. Ich werde nicht einmal klagen über eine Fata Morgana, die sich mir zeigte, und welche, als ich danach greifen wollte, verschwand. – Seien Sie sicher, Antonie, daß ich weiß, wer ich bin. Das Niedre hat mich niemals gereizt, es mochte kommen und an mich treten, wie es wollte. Sie haben Recht, wir müssen vergessen lernen, und vor allen Dingen fest in uns verschließen, was Gelegenheit gäbe, über uns zu spotten, weil wir es nicht erreichten.

Antonie schwieg, sie konnte dem Gedankengange Selma's nicht folgen, ohne in Mißdeutung zu gerathen. Fräulein von Eyben führte sie aus dem dunklen Gewächshause in ihr Zimmer, und kaum waren sie dort, als der Wagen ihres Vaters diesen selbst herbeiführte.

Der alte Herr kam, um, wie er sagte, zu hören, ob Selma wirklich hier draußen übernachten wolle, und schien nicht gern zu vernehmen, daß dies ihre Absicht sei.

Nun, sagte er gesprächig, als er sich darein gefunden hatte, Du hast heute etwas versäumt, mein Kind. Wir haben einen vornehmen Besuch gehabt.

Die Fürstin Wartenstein, fuhr er fort, als Selma ihn fragend anblickte. Sie hat mir einen Kauf angeboten, der mir ganz genehm ist. Sie will die Herrschaft Schellenberg veräußern. Es ist seit längerer Zeit schon ihre Absicht, aber sie wollte zu hoch hinaus. Jetzt bedarf sie Geld und kommt mir entgegen.

Wozu bedarf die reiche Fürstin Geld? fragte das Fräulein.

Es ist ein Glück für die Welt, sagte der alte Herr lachend, daß auch die reichsten Leute Geld bedürfen. Frage Kaiser und Könige, Fürsten und Bettler, Alle haben Geld nöthig und kommen zu uns, um es sich zu holen. – Ich werde die Herrschaft für Dich kaufen, Selma, für den alten Jakob von Eyben hat sie keinen Werth, aber Du wirst das Geld hergeben, Selma, damit der Herr Fürst Victor Hochzeit machen, sein Haus einrichten und große Feste geben kann, um seine junge Gemahlin glänzend einzuführen bei Hof und Adel. – Siehst Du, mein Kind, so wunderbar laufen die Fäden des Menschenlebens, daß Du dafür sorgen mußt, wie ein Fürst heirathen kann. –

Das ist in Wahrheit ungemein belustigend! rief Selma heftig und gewaltsam lachend.

Morgen, fuhr der Bankier fort, werde ich die Ehre haben, die Fürstin nochmals zu sehen, und denke den Kauf abzuschließen. Sie hat mir die Heirath ihres Neffen mitgetheilt und von ihrer Nichte eine entzückte Schilderung gemacht. Ich glaube beinahe, diese wird sie morgen begleiten und eben darum wünsche ich, daß Du in die Stadt kömmst. Es wird Dir Vergnügen machen, die schöne Braut zu sehen.

Ist es denn so etwas Besonderes oder Anstaunenswürdiges, ein achtzehnjähriges Mädchen zu sehen, die einen Fürsten heirathet? sagte Selma, indem sie eine abweisende Bewegung machte.

Wenn Du nicht willst, so bleib, erwiderte Herr von Eyben, Du wirst sie freilich auch später oft genug sehen. Zu der Hochzeit, die im großartigsten Stile gefeiert wird, werden wir jedenfalls auch eingeladen.

Mein Himmel! rief das Fräulein aufstehend, und eine dunkle Röthe lief über ihr ganzes Gesicht, höre auf, Papa. Ich habe so viel von diesem Fürsten gehört, daß ich mich danach sehne, ihn ganz zu vergessen.

Der alte Herr war über diese Heftigkeit erstaunt, aber er legte sich in dem Stuhl zurück und begann herzlich zu lachen. –

Wer wird denn so zornig sein und so unversöhnlich, ließ er sich hören. Sehen Sie, Fräulein Antonie, der arme Fürst hat auf dem Ball eine Unschicklichkeit begangen, die ihm Selma nicht vergeben kann. Schon aber hatte er den Kopf ganz voll Liebesgedanken, und das muß man doch verzeihen können?

Um den Gegenstand zu verlassen, setzte sich Selma an den Flügel, der im Zimmer stand, und sie war eine Meisterin dieses klangvollen Instruments. Regellos überließ sie sich ihren Empfindungen und beseelte die tönenden Saiten. Bald waren es wilde stürmische Accorde, bald tiefer Schmerz neben der höchsten Lust. Sehnsucht und Liebe, Klagen und Vorwürfe bis neu erwachender Zorn sich in bang verhallendes Seufzen verlor.

Antonie war so ergriffen von dieser Phantasie, daß sie aufstand und heftig bewegt mit Thränen in den Augen Selma umarmte; der alte Herr aber klatschte in die Hände und rief in seiner väterlichen Seligkeit: das war prächtig, zum Entzücken prächtig! Ich möchte sagen, Selma, daß ich noch nie Dich so gehört habe. Das nennt man Talent, Fräulein Antonie. Ich sehe, es geht Ihnen wie mir, Sie sind ganz begeistert; aber Sie können es auch sein, denn der alte Papa Gerstenberg hat viel dazu beigetragen.

Das hat er nicht lehren können! sagte das junge Mädchen, das kann Niemand lehren.

Nein, Sie haben Recht, fuhr Eyben entzückt fort, so etwas heißt Ursprünglichkeit, Genie oder dergleichen. Und was ist dagegen das Angelernte, was sind die ausposaunten Concertspieler dagegen! Das sage ich Dir, Selma, sobald wir wieder einmal nächstens musikalische Kenner bei uns sehen, einen feinen Kreis von Talenten, mußt Du diese Phantasie vortragen. Ich werde nicht aufhören, bis Du es thust.

Der Tisch ist bereit, erwiderte Selma, durch die Thür des Nebenzimmers blickend, wir haben jetzt wohl an andere Genüsse zu denken. – Daß Sie von mir gehen, Antonie, macht mich traurig; aber Sie kommen morgen wieder, versprechen Sie es mir. – Wir phantasiren dann gemeinsam weiter.

Antonie versprach es, sie verstand den innigfordernden Blick ihrer Freundin. Nach einer halben Stunde stand Herr von Eyben vom Tische auf und mahnte zur Heimfahrt.

Ich will noch ein halbes Stündchen auf's Casino, sagte er, man hört dort alle Neuigkeiten und heut erzählt man sich so viel von der Heirath des Fürsten und den Einrichtungen des alten Grafen Reizenstein, daß ich nicht fehlen will. – Der Graf läßt seinen ganzen Palast umbauen. Das wissen Sie vielleicht noch gar nicht, Fräulein Antonie. Er hat Herrn Gerstenberg heut zu sich rufen. lassen. – Sehen Sie, was Empfehlungen thun! – Der Graf giebt das Haus für das junge Paar, die Fürstin das Geld zum Ausbau. Dein Geld also wiederum, Selma, haha, wiederum Dein Geld!

Er führte Antonien zu dem wartenden Wagen, und Selma war allein.

Sie fühlte sich wohl in der Einsamkeit, die sie jetzt umgab, sie konnte sich niedersetzen und still nachdenken. Langsam ging sie in den Gartensalon, wo ein paar Ampeln brannten, die, von Schlinggewächsen umgeben, von der Decke niederhingen. Das matte Licht der kleinen Flämmchen stahl sich durch die grünen Gewinde und zog leise magische Kreise an den grünen Ranken hin, bis diese im Dunkel darin verschwanden.

So leuchtet uns die Hoffnung, flüsterte Selma, die sich in eine tiefe Ecke der Myrthenlaube verbarg und ihre schwermüthigen Augen das Licht verfolgen ließ; ja so leuchtet den Menschen die Hoffnung, bis sie erlischt in dem schwarzen Gewirr der Lebensranken. –

Da trat der Mond hinter fernen hohen Bäumen hervor und zerriß den Kreis von Frühlingswolken, die ihn schwer bedeckt hatten. Plötzlich that sich die Nähe auf. Das sanfte Licht rieselte durch die hohen Fenster über Matten und Blumen, und schien die Schlafenden alle aufzuwecken.

Der bittre Groll in dem einsamen Herzen, das im Schoße des Reichthums nicht fassen konnte, wie die Welt noch zu anderen Götzen betet, verschwand vor einem weicheren Gefühl. – Sie blickte hinaus und vor ihr lagen die glänzenden Kieswege, die in Schlangenwindungen zu der Hecke führten, wo Victor gestanden hatte. Dort war die Stelle dicht an der mächtigen Ulme, die wie ein Patriarch, der Vieles blühen, wachsen und sterben sah, ihre ungeheuren moosbedeckten Zweige weit nach ihr ausstreckte.

Es kam ihr vor, als winkte sie mit zahllosen nackten Fingern, und der Mond, der über ihrem Gipfel stand, streckte seine leuchtenden Arme aus und wand ihr weiche kühlende Bänder um die heiße Stirn.

Sie wußte selbst nicht, was sie wollte, als sie die Thür des Salons öffnete und die Stufen hinabschritt, aber die feuchte Frische des Abends that ihr unendlich wohl. – Es war so thauig und so rein am Himmel und auf Erden, alle Formen verschmolzen in die Unbestimmtheit der Unendlichkeit. Die Augen der Ewigkeit waren geöffnet, die Argusaugen der Sterne, welche immer wachen, und ein leises Schwanken in den Wipfeln schien ein erstes Händedrücken und Küssen des Frühlings, der heimlich, sacht zu seinen Kindern kam, ihnen zuzuflüstern, daß er wieder da sei.

Ein sehnsüchtiges Verlangen trieb Selma zu der Stelle hin, die sie suchte, und doch war es, als wollten die Glieder dem Gedanken ungehorsam sein. Zögernd ging sie durch die gewundenen Wege und kehrte um, wenn sie sich der Hecke näherte. Dann stand sie still und betrachtete den düsteren nachbarlichen Park, zwischen dessen Bäumen der Mond lange weiße Streifen zog, die unheimlich von schwarzen Schatten durchbrochen wurden. –

Auf dem hohen Dache des fürstlichen Landhauses drehte sich der vergoldete Wetterhahn bald dem Lichte zu und die Krone an seiner Spitze blickte ihr dann entgegen; bald wieder sah sie nichts von ihm als den dunklen Streif, der sich von ihr abwandte. Ihre Blicke hingen unverwandt an dem fremden Besitz, an dem Wappenschild, das oben über dem Balkon prangte, der jetzt vom Lichte getroffen wurde und durch einen der hellen Gänge genau erkannt werden konnte.

Warum kann ich nicht dort sein? sagte sie und durch ihren Kopf zuckte ein träumerisches Meer von Bildern, die der nächste Augenblick vernichtete. – Ich habe nichts als den kleinen stillen Platz dort, fuhr sie flüsternd fort; nichts ist mein, als eine arme Erinnerung, und wenn ich wieder hier stehe und hinüber schaue, dann vielleicht sehe ich ihn dort oben und an seiner Seite – o! ich kann es nicht denken!

Sie war vorgeschritten bis an den Heckenrand und legte die Hand auf die dürren Reiser. Ihre Augen senkten sich darauf nieder, ihre Finger faßten in das Gezweig; leise knisternd drückte sich dies zusammen, bis ein Seufzer aus tiefster Brust ihr stummes Erstarren unterbrach. –

In diesem Augenblick rief eine sanfte Stimme ihren Namen und in dem schweren Schatten der Ulme, hinter dem mächtigen Stamme, begann es sich zu regen.

Selma stieß einen schwachen Schrei aus und machte eine Bewegung, um zu fliehen; aber ihre Füße wurzelten schnell wieder an dem Boden fest, denn der Mann, welcher ihr entgegentrat und die Hand nach ihr ausstreckte, war Victor.

Warum sind Sie hier, Selma? Wen rief Ihr Seufzer? fragte er. – Um Ihrer und meiner Seligkeit willen, sagen Sie mir, ob ich es bin, den Sie suchen!

Er hatte die weiche zuckende Hand ergriffen und hielt sie fest. Sein Auge hing an ihrem blassen, vom Mondlicht überstrahlten Gesicht. Er konnte erkennen, wie der Strom von Scham und überwältigende Gewißheit sich über sie ergoß.

Und Sie, Victor, sagte sie mit gewaltsamer Ruhe, Sie haben mich erwartet? Sie wußten, daß ich kommen würde?

Ich stand vor einer Stunde unter dem Fenster dort und hörte Ihrem Spiel zu. Was Sie in Tönen sagten, waren Fragen, die ich zu verstehen glaubte. – Sind sie an mich gerichtet? rief ich mir zu, so wird sie kommen hier zu dieser Stelle.

Da bin ich! flüsterte Selma.

Er stand, als wolle er sich halten oder werde gehalten, plötzlich aber war er mit einem leichten Sprunge über der Hecke und Selma lag in seinen Armen, bedeckt von seinen Küssen. – Der kalte stolze Mann war umgewandelt in den leidenschaftlichen Geliebten. Er rief Selma's Namen mit immer neuer Zärtlichkeit und den Arm um ihren Leib geschlungen, von ihren Liebkosungen unterbrochen, flüsterte er ihr zu, daß seine Liebe und Treue ewig sei, wie die ewigen Sterne.

Ich glaube an Dich, erwiderte Selma, als sie endlich ruhiger denken konnte; ich habe den Glauben meiner Liebe nie ganz verlieren können. Ich dachte mir, er muß es wissen, und wenn er es weiß, kann er mich nicht vergessen und einer Anderen angehören, die er nicht kennt und die er nicht liebt.

Die Liebe erräth immer die Wahrheit, sprach Victor; sie giebt den Gedanken Augen. – Als ich Dich zuerst auf dem Balle wiedersah, las ich in Deinen Zügen etwas, was mich wunderbar ergriff. Ich wandte mich ab, ich schalt mich einen Thoren und verließ das Haus, denn man hatte mir gesagt, der alberne Mensch, welcher in Deiner Nähe war, sei Dein erklärter Bewerber.

Du konntest glauben, rief Selma, daß ein so gewöhnliches, im Staube geborenes und im Staube lebendes Geschöpf von mir gewählt werden könnte?

Nein, sagte er lächelnd, heut wuß ich, daß es unmöglich sei. Dein hoher Sinn weiß nichts von ihm. Zu mir gehörst Du, und laß sie Alle, wie sie heißen mögen, laß sie gegen uns heranziehen, wir wollen ihre Anmaßungen zu Schanden machen.

Was kann denn auch geschehen? fragte Selma stolz. Was könnten sie gegen unsere Liebe einwenden?

O! versetzte Victor, sorge nicht, sie werden es an Bosheit nicht fehlen lassen. Du weißt nicht, wie der menschliche Hochmuth wächst, je höher man steigt.

Ich hoffe, flüsterte sie zärtlich, daß ich Alles vergüten kann, was Du aufgiebst.

Das kannst Du! rief Victor, und gewiß, Du wirst es auch. Laß sie zürnen, laß sie nehmen, was sie nehmen können, Du bleibst mir meine süße Selma; Alles will ich vergessen in Deinen Armen.

Erst als der Mond weit gen Westen seinen Kreis beschrieben hatte, trennten sich die Beglückten. –

Lebe wohl, rief er an den Stufen des Gartensalons, morgen will ich, wie Alexander, den gordischen Knoten zerhauen!

Und dafür will ich einen andern knüpfen, der Dich ewig festhält.

Ewig bei Dir! O! daß so großes Glück die Minute nicht halten kann; daß Alles vergehen muß, Alles endet!

Sie machte sanft sich los. Noch ein Kuß, der heiß auf seinen Lippen brannte, und von der Thür flüsterte sie zurück: Morgen, geliebter Victor, komm und laß den Tag bald aufgehen, der mich immer mit Dir vereint. –

Sie sah ihn langsam durch den Garten schreiten, oftmals stillstehen und zurückblicken. Er hob die Hand auf und legte sie auf seine Brust: der schöne, stolze Mann stand wie ein Ritter aus alter Zeit, der das rothe Kreuz auf sein Herz geheftet hat, um zu Gottes Ehre in den Kampf gegen die Feinde seines Namens zu ziehen. Endlich verschwand er in dem Dunkel des Parks und Selma's Augen leuchteten ihm suchend nach. –

Er ist mein! rief sie aus, mein! und ich – hindert es, wenn ihr könnt – ich – die Fürstin Karlsberg!


6.

Am nächsten Morgen wurde Herr von Eyben durch die Rückkehr seiner Tochter überrascht, worauf er gar nicht gerechnet hatte, denn der herrlichste Frühlingstag war angebrochen.

Ich komme, lieber Papa, sagte Selma mit einer zärtlichen Liebkosung, weil ich weiß, daß es dir doch Freude machen wird, wenn ich die Fürstin empfange.

O, Du Schelm! erwiderte der alte Herr, sage doch lieber, weil Du neugierig bist, die fürstliche Braut kennen zu lernen.

Es ist möglich, theurer Papa, daß Du Recht hast, rief sie lächelnd.

Du möchtest den Geschmack des steifbeinigen jungen Herrn kennen, der nicht mit Dir tanzen wollte, fuhr der Bankier scherzend fort. Ach! Selma, der arme Schelm darf ja keinen Geschmack haben.

Glaubst Du, daß er so ganz geschmacklos ist? fragte sie dagegen. Ich wette, er hat den besten Geschmack, den man haben kann.

In der Wahl seiner Braut? Das möchte ich bezweifeln. Es ist ein junges, mageres, schüchternes Kind, die der alte Graf immer aufs Land geschickt hat, die zarte Gesundheit zu schonen, weil die Aerzte ihr prophezeiht haben, sie werde sonst, wie ihre Mutter, an der Schwindsucht sterben.

Die Braut wird nicht sterben, rief Selma den alten Herrn fröhlich umarmend, sie wird leben, lieben und glücklich sein.

Du bist ja ganz ausgelassen, sagte Eyben. So sind die Mädchen. Gestern blaß, sentimental, voll Seufzer und Schwermuth; heute übermüthig, Rosen auf den Wangen und Sonnenstrahlen in Brust und Augen. Ich will Deinen Humor nicht verderben, sonst könnte ich Dir erzählen, was Isidor mir von dem Fürsten gesagt bat.

Nein, erzähle Papa, sagte Selma, ich vergebe dem Fürsten im Voraus Alles.

Isidor hielt ihm seine Grobheit auf dem Balle vor, und weißt Du, was er erwiderte? Seinetwegen könntest Du noch auf ihn warten.

Selma lachte laut auf. –

Wahrhaftig Papa! sagte sie, dafür soll er mir Rede stehen und Buße thun.

Bah! rief der alte Herr, die beste Buße soll seine Tante für ihn thun, wenn ich Schellenberg kaufe. Ich habe gestern noch mit Leuten gesprochen, die genau wissen, was die Güter werth sind, und ich sage Dir, Selma, ich werde sie so kaufen, daß Dein Warten bezahlt wird.

Bei dem Rasseln eines Wagens eilte Eyben an ein Fenster und rief hastig:

Da ist sie schon, die Frau Fürstin, und das junge Kind bringt sie mit. – Geh ihr entgegen Selma und unterhalte Dich mit dem Fräulein, wenn ich mit der Fürstin das Geschäft übernehme.

Selma sah einen Augenblick die Equipage an, die großen Pferde, den Kutscher und die Bedienten in der reichen Livree, welche an der Wagenthür standen, und die Neugierigen, welche stehen geblieben waren. – Dann ging sie lächelnd in den Saal den eintretenden Damen entgegen.

Sie fand ihren Vater schon mit dem Empfang beschäftigt und, was sie unmuthig machte, in überschwenglichen Ehrfurchtsbezeugungen, zahllosen Verbeugungen und Betheuerungen begriffen. Selma war noch nie von den geschmeidigen Formen des alten Herrn so unangenehm berührt worden und unwillkürlich suchte sie das richtige Maß dadurch wiederherzustellen, daß sie selbst um so gemessener die vornehmen Damen begrüßte.

Die Fürstin betrachtete mit beifälliger Bewunderung das schöne Mädchen, das in einfacher Häuslichkeit, wie es heut erschien, noch schöner war, als unter den Zeichen des Reichthumes.

Ei, wie groß, wie schön Sie geworden sind, Fräulein von Eyben, rief sie aus. Es ist lange her, daß wir uns nicht gesehen haben. Eine Wittwe, wie ich, die den Weltfreuden keinen Reiz mehr abgewinnen kann, hat natürlich wenig Aussicht, Ihnen zu begegnen.

Von jener Zeit an, gnädigste Frau, erwiderte die junge Dame, wo Sie allsommerlich auf Ihrem Landhause wohnten, habe ich freilich nur dann und wann die Ehre gehabt, Sie in der Oper zu erblicken.

Ja, das waren schöne Zeiten, fuhr die Fürstin lächelnd fort. Fürst Victor war damals Ihr wilder Spielgenosse. Wissen Sie wohl, daß einmal ein Ball in Ihrem Hause gegeben wurde, wozu Victor eingeladen war?

Allerdings, Durchlaucht! allerdings! fiel der alte Herr die Hände reibend ein. Der Herr Fürst hatte die hohe Gnade, mit Selma zu tanzen fast den ganzen Abend über, und er vergaß keinen Tanz – keinen Tanz, wo er sie engagirt hatte!

Ich glaube es gern, sagte die Fürstin, obwohl Fürst Victor zerstreut genug ist; so zerstreut noch immer, Herr von Eyben, daß ich ihn seit gestern nicht gesehen habe und in einiger Unruhe über ihn bin.

Junge Herren machen es nicht anders, erwiderte Eyben.

Nun, der Schaden fällt auf ihn, fuhr die Fürstin mit einem Seitenblick auf ihre Begleiterin fort. Der Fürst hat es dadurch versäumt, schon gestern Fräulein Josephine Pronary kennen zu lernen.

Sie deutete auf die schüchtern erröthende Braut und warf dann ein paar deutungsvolle Blicke dem Bankier und seiner Tochter zu.

Das gnädige Fräulein, sagte der alte Herr, wird hoffentlich so bald nicht wieder die Hauptstadt verlassen.

Ich denke, Sie wird sich erbitten lassen, ganz bei uns zu bleiben, erwiderte die Fürstin, und dann, Fräulein von Eyben, wird das Landhaus im Park sich auch wieder beleben und an Bällen und Festen kein Mangel sein. – Haben Sie Fürst Victor noch nicht nach seiner Rückkehr gesehen?

Bei dieser Frage färbte sich Selma's Gesicht ein wenig.

Ich glaube wohl, daß ich ihn gesehen habe, versetzte sie.

O! freilich, rief die alte Dame, ich erinnere mich. Er hat mir erzählt, daß er mit dem Grafen Lanzfeld ein Stündchen bei Ihnen eingetreten sei, bei Gelegenheit eines Festes, und einen Jugendbekannten, den Baumeister Gerstenberg, angetroffen. Nun, Josephine, da kannst Du von Fräulein von Eyben etwas über Fürst Victor hören. Wir wollen den jungen Damen ein paar Minuten Zeit dazu lassen, während wir über eine andere Angelegenheit sprechen.

Die Fürstin stand auf, Herr von Eyben öffnete dienstfertig voraneilend die Nebenthür, die beiden jungen Mädchen blieben allein.

Selma saß der verlegen blickenden Josephine gegenüber, die vor den großen, dunklen Augen, die sie betrachteten, die ihren niederschlug.

Die Frau Fürstin, sagte Selma, hat mir eine eigenthümliche Aufgabe gestellt. Ich soll Ihnen den Fürsten schildern, den Sie besser kennen müssen, wie ich.

Ich kenne ihn noch gar nicht, erwiderte sie, aber –

Was wollten Sie hinzufügen? fragte Selma, als sie schwieg.

Ich denke, ich werde Zeit haben ihn kennen zu lernen, fuhr sie ermuthigter fort.

Sie haben selten die Hauptstadt besucht? fragte Fräulein von Eyben abbrechend.

Wenige Male und immer nur auf kurze Zeit bin ich hier gewesen, um meinen Großvater zu sehen, war die Antwort. Ich lebte mit meiner Erzieherin und Pflegerin größtentheils auf Schloß Pronary, dem Erbgute meines Vaters, weil meine Gesundheit so wankend gewesen sein soll, daß die Aerzte es so für gut fanden.

Und nun fühlen Sie sich ganz wohl?

Ich wüßte nicht, daß mir etwas fehlte. Eben weil jede Gefahr verschwunden, hat mein geliebter Großvater mich zu sich gerufen.

So werden Sie in der großen Welt nach holen können, was Sie bisher versäumen mußten, sagte Selma.

Darüber werde ich nicht zu bestimmen haben, erwiderte sie leise und von Neuem erröthend. – Ich glaube jedoch, daß ich sie nicht vermissen würde, wenn es mein Schicksal wollte, immer in dem schönen alten Schloß zu wohnen.

Aber mit solchen Gesinnungen werden Sie mit dem aufreibenden Leben der Residenz sich schwer befreunden können, gab Selma lächelnd zurück.

Ich werde Alles können, was ich muß, sagte Josephine, und die klaren Augen zuerst mit dem Ausdruck der Ueberlegung erhebend, fügte sie hinzu: Ich bin immer froh und gern da, wo ich mit denen bin, die mich lieben.

Diese reine Herzensgüte in dem lieblichen Gesicht hatte so viel Rührendes auch für Selma, daß ihr Herz heftig zu schlagen begann, bei dem Gedanken, sie könnte diesem zarten, schönen Kinde ein Leid zufügen. – Es war ihr in diesem Augenblick ein Trost, zu glauben, daß Josephine unmöglich den bestimmten Gatten lieben könne und daß die Passivität dieses Charakters nicht im Stande sei, sich bis zur Leidenschaft zu erheben.

Mit der Lebendigkeit ihres Wesens streckte sie die Hand aus und legte sie in Josephinens Hände.

Wie gut Sie sind, sagte sie. Haben Sie nie daran gedacht, daß Ihr Wille auch sein Recht besitzt, und schweiften Ihre Wünsche und Erwartungen niemals unmuthig über die enge Welt hinaus, die man Ihnen gezogen hatte?

Josephine schüttelte lächelnd den Kopf.

Ich bin von früh auf an die Geduld gewöhnt worden, wozu mein Körperzustand beitrug, aber auch die Lehren, welche ich empfing: daß Alles, was uns geschieht, von Gott so bestimmt sei, und was er uns schickt, getragen werden müsse. – Als ich kräftiger und größer wurde, sah ich, wie lieb mich Alle hatten, die mich umgaben, und ich sehnte mich zu ihnen zurück, wenn ich fern war. Endlich aber hat man auch nicht versäumt, mich zu belehren, daß es meine Pflicht einst sein würde, dem Willen des Mannes mich freudig zu unterwerfen, der – einst mein Gatte werden sollte.

Und dieser Gatte hat einen starken, heftigen, keinen anderen duldenden Willen.

Sie kennen ihn? fragte sie leise, und Sie wissen, was noch ein Geheimniß sein soll. – Aber Fürst Victor ist edel, großmüthig, menschlich gut und wahr.

Dies Alles und noch mehr, sagte Selma. Er ist ein stolzer Mann, auf der geistigen Höhe des Lebens, voll selbstbewußter Kraft seines Werthes und darum mehr fordernd von denen, die er achten und ehren soll, als gewöhnliche Menschen, die mit Geringem sich abfinden lassen.

Josephinens Wangen wurden blässer, ihre Augen hingen ängstlich an Selma's Lippen, allein die Freundlichkeit kehrte bald wieder darin zurück, und mit größerer Sicherheit, als Selma erwarten mochte, sagte sie:

So habe ich ihn beinahe gedacht, denn man hat ihn mir geschildert, das heißt man hat mir gesagt, daß er eigenwillig, voll starrer und seltsamer Launen sei, aber ich fand in diesen Launen Vieles, was mir in anderem Lichte erschien.

Sie fühlen die eigene geistige Kraft in der verwandten wieder, sagte Selma mit geheimem Spott.

O nein! aber ich fühle, daß ich solche Kraft, oder solche Seltsamkeiten bewundern und hochschätzen kann.

So wünsche ich, daß Sie nie sich getäuscht sehen mögen. – Hochgeartete Männer verlangen gewöhnlich mehr als Bewunderung; sie verlangen Frauen, die ihnen ebenbürtig sind.

Das stolze Selbstgefühl, mit welchem Selma sprach, wurde vermehrt durch das geringschätzende Lächeln, das ihre Worte begleitete. Aber auch die unschuldigsten Mädchen fühlen fein und scharf, wenn ihr Herz berührt wird. Josephine sah mit Befremdung zu dem schönen Fräulein empor und ein Verdacht schien durch ihren Kopf zu fliegen, der ihren Blick schärfte, und sie fähig machte Beleidigungen zu vergelten.

Es liegt, sagte sie, nur allzuoft mehr Eitelkeit und Anmaßung in Frauen, die sich geistig erhaben dünken, als Wahrheit und Würde. – Ich bin zu einfach erzogen worden, um mich darauf zu verstehen; allein ich sollte meinen, daß geistreiche Männer am leichtesten im Stande sind, sich durch bunten Schein nicht täuschen zu lassen.

Bei den letzten Worten trat die Fürstin wieder ein und Herr von Eyben folgte ihr.

So wollen wir heut Nachmittag den Contract aufsetzen lassen und unterschreiben, sagte sie. Um welche Zeit wollen Sie bei mir sein?

Wenn Ew. Durchlaucht es gnädigst bewilligen, um vier Uhr, erwiderte der höfliche alte Herr.

Gut, war die Antwort der Dame; und ich kann sofort das Geld erheben?

Auf der Stelle. Ich zahle mit der Unterschrift.

Die Fürstin nickte ihm zu und trat dann zu den beiden jungen Damen.

Nun, sprach sie gütig, die Unterhaltung muß lebhaft gewesen sein. Du siehst ja ganz erhitzt aus, liebe Josephine.

Wir haben von Gegenständen gesprochen, die unser Interesse erregten, sagte das Fräulein.

Ich hoffe, erwiderte die Fürstin, wir sehen uns öfter. – Die Baronesse Pronary wird Sie gewiß so gern empfangen, wie ich selbst, und wie ich Ihnen schon sagte, liebes Fräulein Eyben: die Tage werden wiederkommen, wo es Feste, Bälle und unermüdliche Tänzer giebt. – Ich denke recht bald Gelegenheit zu haben, Ihnen das deutlich zu beweisen.

Mit wohlwollender Gnädigkeit küßte die Fürstin Selma's Stirn, aber kein so freundlicher Abschied trennte Josephinen von ihr. Der Widerwille war in beiden aufgeweckt worden, der so geheimnisvoll Seele von Seele scheidet, und Blicke, welche sich trafen, drückten in Kälte und feindlichem Stolze es deutlich aus, daß dies erste Begegnen ein Absagebrief für alle Zeit geworden sei!

Als der Bankier zurückkehrte, denn er hatte die Damen bis an den Wagen begleitet, war er in vorzüglichster Stimmung. Die Sache ist abgemacht; Selma, rief er, und noch besser, als ich erwartete, denn ich habe 40 000 Thaler weniger gegeben, als ich gegeben hätte, wenn es nöthig gewesen wäre. – Aber solche Herrschaften wissen nichts vom Laufe der Welt. Sie werfen den Kopf in die Höhe, sie ärgern sich über ein schlechtes Gebot, schimpfen wohl im Stillen über die geizige Pfiffigkeit, die sie drückt, allein sie brauchen Geld und sagen zuletzt doch ja, weil sie wissen, es wird ihnen aufgezählt, so wie der Handel geschlossen ist.

Ich würde mit solcher Macht in meiner Hand mich aber nicht vor ihnen beugen bis auf die Schuhspitzen, erwiderte Selma. Ich würde nicht an unterthänigen Redensarten fast ersticken und ihrem Hochmuth damit fröhnen.

Warum denn nicht, Du Närrchen? sagte der alte Herr lachend. Laß sie doch laufen, laß sie stolz auf mich herunterblicken; ich sage Dir, es kommt die richtige Stunde immer wieder, wo wir die Rollen wechseln. Ich sage Dir, es sind die Stolzesten schon oft so demüthig gewesen vor dem alten Jakob von Eyben, und der alte Jakob war so stolz und stand so sicher auf seinen Füßen vor den gebückten, schmeichelnden Herren, wie ein Fürst kaum steht, wenn er seine Krone aufhat.

Er legte den Arm um seine Tochter, strich ihr das glänzende Haar von der zürnenden Stirn und sprach dann lachend:

Sieh nicht so düster aus, mein Kind, freue Dich und sei froh. Hast Du doch Alles, was Dein Herz wünschen kann.

Von meinem Herzen weißt Du nichts, Papa, erwiderte Selma leise.

So laß es sprechen zu Deinem Vater, fuhr Eyben fort. – Es wird eine Hochzeit geben, die großes Aufsehen machen wird, aber alle Pracht sollte verdunkelt werden von der Pracht, mit welcher ich Deine Hochzeit feiern wollte.

Wer weiß, wie nahe sie ist, fiel Selma lächelnd ein.

Wollte Gott, daß Du wahr sprächest! sagte der alte Herr. – Du hast noch nicht die reizenden Blumen angeschaut, die heut Dein Zimmer geschmückt haben.

Wer hat sie geschickt? fragte sie froh erröthend.

Ja, wer hat sie geschickt? wiederholte Eyben schlau. Wer anders als ein Mann, der jeden Wunsch Dir erfüllen möchte, und dessen Rath mir heut wieder geholfen hat, um 10 000 Thaler für Dich zu sparen.

Isidor, rief Selma – o! ich bitte Dich, lieber Papa, Du kannst doch endlich wissen, wie gleichgültig mir seine Blumen und er selbst sind. Sieh hierher, Papa, fuhr sie fort, indem sie die Anweisung Isidors hervorzog. Lies das und sage mir dann, ob dieser Mensch erwarten darf, die geringste Neigung bei mir zu erwecken.

Während Eyben las, gab Selma Erläuterungen, aber der alte Herr war durchaus nicht geneigt, ihren Zorn zu theilen.

Es ist ein Pfiffikus, rief er lachend; er weiß sich in allen Lagen zu helfen. Was ist es denn mehr, Selma? Es ist ein Beweis, was er daran wagt und opfert, um zum Ziele zu kommen. Er hat sich nur in den Menschen verrechnet, die keine Idee von Speculation haben: Dummköpfe, die nicht begreifen, daß sie in einer Welt leben, die Klugheit verlangt.

Papa, sagte Selma, Du magst es vielleicht vertheidigen und sogar billigen können, mit mir aber ist es anders. Ich sehe in Isidors Speculation eine Nichtswürdigkeit, und schwöre Dir, daß dieser kluge Herr mit aller seiner Rechenkunst nie mich bewegen könnte, ihm einen Finger zu reichen, auch wenn mein Herz frei wäre.

Wenn er es nicht ist, der Dein Herz bewegt, erwiderte der Bankier aufmerksam, wer ist es denn? Du bist roth geworden über die Blumen, weil Du glaubtest, es habe sie Jemand geschickt, der nicht Isidor heißt. Was ist das, Selma? Ich habe Dich vor wenigen Tagen gefragt, ob Dein Herz frei sei, und Du hast mir eine stolze Antwort gegeben. –

Damals war es frei, sagte sie, jetzt ist es gefangen.

Von wem? fragte der alte Herr. Wer hat es gefangen.

Die Thür öffnete sich und Selma deutete auf den eintretenden Fürsten. Von ihm! rief sie, frage ihn, Papa, er wird es Dir sagen. –

Und ohne dem erstaunten Bankier Zeit zum Nachdenken zu lassen, eilte sie auf Victor zu, ergriff seine Hand und führte ihn ihrem Vater entgegen.

Ich habe Dir erklärt, sagte sie, daß ich nie einen Gatten wählen würde, der nicht meiner ganz würdig wäre. – Ich habe gewählt, Papa. Ich habe den edelsten Mann gefunden, und hier stehen wir nun und bitten um Deinen Segen.

Herr Fürst Karlsberg, erwiderte der Bankier bis zur Erstarrung erschrocken, ich weiß nicht, ob das ein verabredeter Scherz ist.

Herr von Eyben, antwortete Victor ernsthaft, können Sie glauben, daß es möglich wäre, in solcher Weise zu scherzen? Alles, was Selma sagt, ist wahr. – Von meinen Jugendtagen ab war mir eine freundliche Erinnerung geblieben, beim ersten Wiedersehen wurde diese zur hellen Flamme und was soll ich Ihnen weiter bekennen – gestern haben wir uns ganz gefunden. Hier stehe ich nun und sage wie Selma: segnen Sie den Bund, der uns vereint!

Aber mein Gott! schrie der alte Herr mit beiden Händen in sein graues Haar fahrend, es ist ja unmöglich! Vor zehn Minuten erst haben Ihre Tante, die Fürstin, und Ihre durchlauchtige Braut dies Zimmer verlassen. Es ist ja unmöglich, mein Herr Fürst! Ich weiß, daß Ihre ganze Familie, der Hof, Graf Reizenstein, und Se. Majestät selbst diese Vermählung wollen.

Aber ich will nicht, sagte Victor kalt.

Sie wollen nicht? Bedenken Sie die Folgen.

Ich habe Alles bedacht.

Es ist eine Uebereilung Ihrer Jugend, rief der Bankier, eine Täuschung Ihrer Gefühle, die ich nicht befördern kann. –

Es fiel ihm ein, in welche fatale Lage er, als Hofbankier, zu der ganzen hohen Gesellschaft, zum Hof und Staat gerathen, in wie viele Feindschaft er sich verwickeln würde, und er sagte mit größerem Nachdruck:

Ich muß die Ehre ablehnen zu Ihrem eigenen Heile, Herr Fürst, denn was sollte man von Jakob von Eyben sagen, wenn er es duldete, aus Schwachheit oder Eitelkeit, daß der einzige Sprößling einer erlauchten Familie, die alle ihre Hoffnungen auf ihn gesetzt hat, alle Stufen überspränge, alle Schranken mißachtete; wenn er Alles beleidigte, was als heilig geschätzt wird in der menschlichen Gesellschaft?

Bis jetzt hatte Selma geschwiegen, als sie jedoch ihren Vater diese Gründe vortragen hörte, rief sie lachend und ihre Hände um ihn schlingend:

Höre auf, lieber Papa, denn Niemand weiß besser als ich, wie wenig Du selbst an jene verrotteten Vorurtheile glaubst. Weil Victor den Muth hat, sie zu durchbrechen, darum liebe ich ihn. Weil er dem hochmüthigen Dünkel trotzt, muß er Gegenstand auch Deiner Achtung sein. – Wir leben in einer Zeit, wo endlich der Mensch gelten muß, was er werth ist, und ich will es nicht gelten lassen, Papa, was Du von Herabsteigen und Durchbrechen der Schranken sagtest, denn es beleidigt mich und Dich; es beleidigt die Würde der ganzen Menschheit.

Victor küßte ihre Hände dafür und indem er sie an seine Brust zog, sagte er leidenschaftlich:

Stellen Sie sich meinen Entschlüssen nicht entgegen, Herr von Eyben, ich habe sie überlegt und werde nicht davon weichen. Ich liebe Selma, diese diese Liebe heiligt uns. Wehe dem, der es wagen wollte, zwischen uns zu treten! – Was die Gesellschaft sagt und thut, wird mir gleichgültig sein. Will sie mit uns brechen, so spart sie mir den Bruch. – Ich bin ein freier Mann. Man kann höchstens mein Vermögen zu schmälern suchen, darauf bin ich gefaßt. – Die Braut, welche man mir bestimmt hat, habe ich noch nicht gesehen und will sie nicht sehen. Ich habe keine Verpflichtungen gegen sie und werde mit einem Schnitt alle Fäden durchschneiden. – Meine Tante wird zürnen, aber sie wird zuletzt vergeben und sich freuen; meine übrigen Verwandten werden sich besänftigen oder nicht besänftigen, wie es ihnen beliebt; meine wenigen aufrichtigen Freunde werden mir Glück wünschen, und Liebe und Treue mir reichlich ersetzen, was ich einbüßen könnte. So wiederhole ich denn nochmals meine Bitte. Nehmen Sie mich auf und an als Ihren Sohn, und glauben Sie, daß ich Alles thun werde, um Selma glücklich zu machen.

Der alte Herr hatte sich zum Oefteren lebhaft verbeugt, aber trotz aller Höflichkeit und feinen, preisenden Worten, die von Ehre, Vertrauen und Glück überströmten, hatte er immer wieder Gründe geltend zu machen, die Selma's Ungeduld reizten.

Die stolze Heftigkeit ihres Charakters, der zu befehlen gewohnt war und stets Gehorsam fand, brach endlich mit voller Gewalt hervor.

Papa, sagte sie, Du hast darüber geklagt, daß Dein Alter einsam sei, und Deine einzige Tochter verlassen in der Welt zurückbleiben werde, wenn der Tod Dich von mir trennt. Jetzt, wo ich Deine Wünsche erfüllen will, wo ein edler Mann mich begehrt, den ich liebe, und von dem ich sicher weiß, daß es Liebe ist, die ihn zu mir führt, jetzt sehe ich Dich zögern, mein Glück zu bestätigen.

Die Verhältnisse, erwiderte der alte Herr, ja die Verhältnisse sind es allein, mein Kind, die mich dazu des stimmen können.

Sind es denn Deine Verhältnisse? fragte sie erregt. – Wenn Victor sie zu bewältigen glaubt, wenn sein Muth nicht davor zurück bebt, was kann Dich dann so sehr erschrecken?

Weil ich das Leben kenne, weil ich die Menschen kenne, rief der Bankier. Weil ich weiter sehe, als ein heißes Auge sieht; weil ich Dein Glück bewahren will vor den Folgen einer Uebereilung.

Nennen Sie es nicht mit diesem Namen, fiel Victor ein. Mein ganzes Leben kann Ihnen bürgen, daß ich keine Uebereilung so leicht begehe.

Höre mich an, Papa, sprach Selma zitternd vor Bewegung. – Sprich es aus mit einem Worte; sage nein! und ich werde gehorchen. Aber wisse, daß damit mein Leben abgeschlossen ist, daß ich nie mehr – niemals! einem anderen Mann gehören will, und dann laß uns scheiden; dann wollen wir scheiden.

So laß uns doch bedenken, Selma, rief Eyben erschrocken vor ihrer Glut und Heftigkeit. – Laß uns überlegen, wie wir die schwierigen Umstände ordnen.

O! lieber theurer Vater, sagte sie in ihren Thränen lächelnd und sein graues Haar küssend, es ist hier ein großes Geschäft zu machen, bei dem zwei Herzen auf dem Spiel stehen. Sage ja, Papa. Nur das eine kleine Ja und alles Uebrige wird sich finden.

Da konnte der alte Herr nicht länger widerstehen.

In Gottes Namen denn: Ja! sprach er. Aller Segen über Dich, mein geliebtes Kind! –

In der nächsten Minute war er von Küssen und Liebkosungen bedeckt, und aller Widerstand aufgegeben. –


7.

Schöne Stunden hatte Victor verlebt, als er Eybens Haus verließ und in der trunkenen Seligkeit seiner Liebe durch die Straßen irrte, wo Frühlingsluft und goldener Sonnenschein seine Stimmung erhöhten. Alle die Mißklänge, welche in ihm erwacht waren, während der alte Bankier zögerte, seine Bitten zu erhören, waren verschwunden vor der endlichen Erfüllung. – Das schöne, stolze, geistighohe Mädchen hing liebeglühend an seinen Lippen.

Der alte Herr hatte alle Verhältnisse vergessen, er sah nur den jungen, vornehmen Freier, den Fürstensohn aus dem höchsten Adel des Landes, der sein Sohn werden sollte, und ein geheimes, prickelndes Gefühl des Wohlgefallens lief durch seine Adern, wenn er daran dachte, daß Selma eine Fürstenkrone tragen würde. Sie die Tochter des alten Jakob, der in seiner Jugend einst verachtet und gestoßen von Thür zu Thür wanderte, werde unter Fürsten sitzen, und mit den stolzesten Frauen in den höchsten Kreisen Eingang haben, das drang mit Wonne in sein Herz.

Vor diesem Gefühl schwanden zuletzt alle Bedenken und der Gegensatz stellte sich ein. Jakob von Eyben empfand eine höhnische Freude, wenn er dachte, daß das Gold seiner Selma in die Wagschale geworfen würde gegen Wappen und Ahnen, Kronen und Herzogsschilde, und seine gelben Lippen zuckten lebendig, wenn er sich vorstellte, wie die ganze Reihe hochmüthiger Sünder verzweifeln müßte, und sich beugen müßte vor den strahlenden Augen seines schönen Kindes. – Er umarmte den Fürsten und sprach mit dem Stolz des Millionairs über die Pläne, ihm die Lehnsgüter seines verstorbenen Onkels zu entziehen. Er billigte auch Alles, was Victor rasch, offen und entscheidend zu thun beabsichtigte, aber er vergaß nicht, daß er Schellenberg kaufen und billig kaufen wollte, und bat Victor, nicht eher als am nächsten Tage seine Erklärung zu machen.

Darauf war Victor eingegangen und hatte, neben Selma sitzend, in ihren Armen ein Billet an seine Tante geschrieben, worin er sie bat, ihn für heut zu entschuldigen, wenn er ausbleibe, ihm aber am nächsten Morgen eine Unterredung zu gewähren. – Dies Billet war seiner Tante zugesandt worden, dann war er Eybens Gast gewesen und nur mit größter Mühe hatte er ernsthaft die Tischscenen bestehen können, welche Herrn Isidors Anwesenheit und Theilnahme herbeiführte, der mit unsäglicher Verwunderung die Gegenwart des Fürsten betrachtete und beobachtete.

Die übermüthigen Neckereien Selma's, ihre Bemerkungen auf Kosten des Fürsten, ihr Schmollen und ihre Witzeleien reizten Isidor zu allerlei Thorheiten und galanten Huldigungen, die unbarmherzig verspottet wurden; und als er endlich mit den freudigsten Erwartungen von dannen ging, brach hinter ihm ein schallendes Gelächter los, worüber er draußen vergebens nachsann, was es zu bedeuten habe.

Victor war endlich mit dem Versprechen entlassen, in zwei Stunden Selma in der Villa wiederzufinden, und diese Zeit benutzte er, um Gerstenberg aufzusuchen.

Er fand den Baumeister in seinem Zimmer mitten zwischen Bauplänen, Rissen und Zeichnungen in voller Arbeit.

Grüß Dich Gott, Georg, rief er ihm fröhlich zu. Ist es recht, gebückt und krumm in den jungen Frühling hinein zu schauen?

Ich arbeite für Dich, erwiderte Gerstenberg ihm die Hand reichend.

Für mich? lachte Victor: nun so laß die Arbeit liegen und hilf mir dafür mein Glück tragen.

Glück, Freund, sagte Gerstenberg die Feder fortlegend, trägt sich wohl allein, aber Unglück ist eine Last, die besser auf viele Schultern vertheilt wird.

Was Du sagst, ist falsch, Georg! rief der Fürst. Unglück muß allein getragen sein; je wilder und größer es uns anfällt, um so weniger kann es von Andern getheilt werden. Es gehört uns allein, es beißt sich fest in einer wunden Brust, und wer daneben steht, fühlt die Zähne nicht. Aber Glück, Georg, Glück gehört der ganzen Welt. Vom Glück bleiben jedem Menschen Erinnerungen, jedes Herz hat Sehnsucht danach, Hoffnung und Verlangen nach der schönen Himmelstochter.

Und Du lebst in den vollen Zügen Deines Glücks, sagte Gerstenberg ihn froh betrachtend.

Ich athme seit einigen Stunden darin wie ein Gott, der, aus seiner irdischen Pilgerschaft zurückgekehrt, die schweren Hüllen abgeworfen hat. Du mußt es kennen, Georg. Du verstehst es, denn Du liebest.

Ich sagte es wohl, rief der Architekt, daß die Liebe Eis und Lava schmelzen würde.

Ich liebe, ja! erwiderte Victor, und dies neue selige Gefühl macht mich frei. Ich habe mich verlobt.

Nun, so ist Alles gut, sprach Gerstenberg bewegt. Ich habe Dein Herz nicht für so entzündlich gehalten, Victor, daß sehen, lieben und verloben ein Funke und ein Schlag sein würden. Aber Du hast recht gethan, theurer Victor, und Antonie hat Unrecht mit ihren Zweifeln und delphischen Orakeln. Sei so glücklich immerdar, wie Du es jetzt bist. Welch schönes großes Leben öffnet sich vor Dir! Ein weiter Kreis ruhmvoller Thätigkeit, auf der Höhe der Gesellschaft. Du wirst einst Vieles fördern und für Dein Volk zum Segen werden können, denn ein mächtiger Einfluß wird Dich heben, und tragen und Deine großen Geistesgaben, Deine Kenntnisse, Dein Charakter, Deine sittliche Durchbildung müssen Dich an die Spitze der Ereignisse bringen. – O! dafür, für die großen Ideen der Menschheit kann ein Mann selbst die Liebe opfern; aber schöner noch ist es, wenn sie ihm als Ersatz für ein ernstes, kampferfülltes Leben winkt; wenn er in seinem Hause, in seiner Familie den Frieden findet, sobald er heimkehrt aus dem Kriegslager des Staats. Ich habe Deine holde Braut einmal gesehen; sie ist ein Bild der Unschuld und großer Herzensgüte. Du mußt glücklich sein, theurer Victor, glücklich sein und glücklich wohnen, und was ist schöner, als dies göttliche Gefühl: lieben und geliebt zu werden!

Je länger er sprach, je unbeweglicher war Victor geworden. Die Freude zog sich aus seinen Augen zurück, deren Feuer erlosch, und nur in seinen Mundwinkeln blieb ein Lächeln hängen, das er gewaltsam fest zu halten suchte.

Du irrst, sagte er endlich, aber es kann nicht anders sein. Du hast meine Braut öfter gesehen, sie kennt Dich und schätzt Dich.

Möglich, daß es vor Jahren der Fall war, erwiderte Gerstenberg, allein ich müßte mich ihrer gewiß erinnern. Josephinens Gesicht wird so leicht nicht vergessen.

Sie heißt nicht Josephine, rief Victor.

Nicht? fragte Gerstenberg und eine Ahnung blitzte durch ihn hin. Wie dann?

Selma! sagte der Fürst.

Die beiden Freunde blieben stumm sich anblickend stehen, bis Gerstenberg mit der Hand über seine Stirn fuhr und mit eintönig kalter Stimme fragte:

Mit ihr hast Du Dich verlobt?

Ja, erwiderte Victor, doch laß es ein Geheimniß sein bis morgen, und tadle mich nicht, wenn Du mich nicht loben kannst! Ich liebe Selma, ich bete sie an. Seit ich sie sah, hat ihr Bild mir vorgeschwebt. Martervolle Tage sind über mich gekommen, die an mir genagt haben. – Ich will mich nicht verkaufen lassen, ich will kein Spielball des Hochmuths und der Sünde geheiligter Unnatur sein. Mein Herz zieht mich zu Selma, ich folge meinem Herzen und frage nicht nach den Schranken, die verfaulte Jahrhunderte dagegen aufstellen. – Ist sie nicht schön? Ist sie nicht mit allen Reizen des Körpers und des Geistes geziert? – Denen, welche daran nicht genug haben, werfe ich die Goldfäden ihres Vaters entgegen. Da ist ja des Mammons genug, nach welchem sie Alle seufzen und trachten; genug, um den Gierigsten zufrieden zu stellen: was wollen sie also mehr?!

Auch das rothe Metall hat Grenzen für seinen Werth an dem Maßstabe, womit die Welt mißt, erwiderte Gerstenberg.

Wenn mich sinnlich roh eine Bäuerin mit ihren rothen Backen bestäche, rief Victor unmuthig, wenn ich eine Dirne aus dem Volk heirathen wollte, mich eine hirnlose Verwirrung der Gefühle in die Arme einer Schneiderin oder Putzmacherin schleuderte, dann möchten sie Recht haben, mir Unheil zu prophezeihen, sich abwenden von mir und Himmel und Erde in Bewegung setzen, um mich zu hindern. Selma aber ist über diese Vorwürfe erhaben. Ich bin kein Narr, der sich von einem hübschen Gesicht bestechen läßt. Ich weiß, was ich mir und meinen Ansprüchen schuldig bin; ich verlange mehr als Gewöhnliches, wenn ich lieben soll. Aber keine Macht der Erde wird im Stande sein, mich meiner Liebe zu entreißen; weil ich will, und weil dieser Wille mein höchstes Gesetz ist. –

Er ging mit Heftigkeit auf und nieder, zürnend über den Widerstand, den er fand.

Besinne Dich wohl, Victor, erwiderte Gerstenberg, ob Du die Kraft besitzest, die dazu gehört, Deinen Willen nie wanken zu lassen oder zu bereuen.

Zweifle nicht daran, sprach der junge Mann stolz.

Hast Du Josephinen gesehen?

Nein, und ich will sie nicht sehen.

Aber warum dies hastige und schonungslose Durchschneiden von Verhältnissen, die Deinen nächsten Verwandten so theuer sind, und welche vielleicht sanft und langsam gelöst werden könnten?

Du vergißt, daß ich mich verlobt habe, Georg, und daß ich handeln muß, um nicht ein Mitschuldiger zu werden.

Ja wahrlich, das habe ich vergessen, erwiderte Gerstenberg erschüttert. – Ich sehe ein, daß nichts zu ändern ist. So folge denn Deinem Schicksal und sei ein ganzer Mann. Das ist der Wunsch, den ich für Dich habe.

Er schüttelte ihm die Hand, warf dann seine Zeichnungen lachend zusammen und sagte:

So soll der Mensch nie den Tag vor dem Abend loben. Ich stand hier, seit die Sonne am Himmel ist, und wie ich in die blaue Luft schaute, rief ich: das ist ein gutes Zeichen; da wird, was du baust, gedeihen und in Zimmern und Kammern die Freude wohnen. Kaum ein paar Stunden älter stürzen alle meine Säulen und Portale zusammen, aber ich will die Trümmer aufheben und verwahren. Der alte Graf in seinem alten Hause könnte doch noch Lust bekommen, eine Hochzeit darin zu halten, und für die schöne Braut will ich immer bereit sein, zu helfen und zu fördern.

Der Fürst nahm den Hut und sagte lächelnd:

Ich sehe wohl, daß ich Dir Zeit lassen muß, Dich mit meinen Entschlüssen zu versöhnen. Bei alle dem aber rechne ich auf Deinen Beistand. Willst du?

Ich habe noch nie einem Freunde meinen Beistand versagt, erwiderte Georg; das heißt zu allen guten Dingen.

Du wirst Gelegenheit haben, den Grafen und meine Verwandten zu sehen. Vertritt als Freund meine Sache.

Ich kann sie entschuldigen, erklären, aber nicht vertreten.

Nicht? rief Victor gereizt. Du, ein Mann, der so kühne Gedanken hegt über Recht und Unrecht, der so eifrig spotten kann über die hochmüthigen Unterschiede der Gesellschaft, Du giebst mir Unrecht?

Sorge dafür, daß ich Unrecht behalte, erwiderte Gerstenberg. Ich fürchte für Dich, mein armer Freund. Ich fürchte, daß Dein Herz nicht ausreichen wird, und was Du suchst, wozu Du Kraft und Muth hättest, das wirst Du nicht finden.

Du gefällst Dir in Räthseln, erwiderte Victor.

Du giebst sie mir auf, sagte Gerstenberg warm. Menschen schafft die Natur, aber was sie werden, bilden Stellungen und Verhältnisse. Götter können Alles, was sie wollen, Helden kämpfen und siegen, aber es müssen wahre Helden sein, keine Schwächlinge, die Achills Panzer borgen. – Vergiß nicht, daß Simson starb, weil Delila ihm seine fürstlichen Locken abschnitt, und Herkules, in Liebeswahnsinn verloren, durch das goldne Hemd sein Leben einbüßte, womit Deianira ihn auf immer zu fesseln dachte.

Willst Du mir deutlich sagen, was Du für mich fürchtest? fragte Victor düster.

Gerstenberg trat dicht an ihn hin und, indem er seine beiden Hände ergriff und liebevoll besorgt ihm in die Augen sah, sprach er mit tiefer Stimme: Die Täuschung, Victor, und – die Reue!

Nie, niemals! rief der junge Mann, indem er mit Heftigkeit die Hand wie zum Schwure aufhob. Nie werde ich bereuen, nie wirst Du eine Klage hören! – Ich kann in Täuschungen verfallen, Binden mögen von meinen Augen sinken, es mag alles geschehen, aber Reue wird mich nie ergreifen. Denn ich weiß, was ich thue, ich habe das volle Bewußtsein dafür.

So werde glücklich, sagte Georg; glücklich, trotz der dunklen Wand, die dort am Himmel aufzieht, wie die Zukunft einer kummervollen Seele.

Einen Augenblick stand Victor nachdenkend, dann ging er nach der Thür. –

Du willst also nicht in den Gang meines Schicksals mit eingreifen? fragte er.

Ich bin Dein Freund, aber frei wie Du, war die Antwort.

So thu', was Du willst, sagte der Fürst. – Selma erwartet mich.

Als er hinaus war, packte Gerstenberg schweigend alle seine Geräthe fort und ging dann in das Gärtchen hinab, wo er zu seinem Erstaunen abermals Herrn Isidor Berton fand, der ein elegantes Reitpeitschchen in der Hand und blanke Sporen an den Füßen trug.

Haben Sie die Börse heut zu Pferde abgehalten? fragte der Baumeister, als er ihn begrüßte.

Theurer Freund, erwiderte Herr Isidor, der in der heitersten Laune war, es ist die schwerste Kunst, die es giebt, die goldenen Pfade der Börse zu reiten und nicht aus dem Sattel geworfen zu werden. – Diesmal aber werde ich einen Besuch auf der Villa im Park machen, wo Fräulein von Eyben mich erwartet.

Sie erwartet Sie? fragte Gerstenberg erstaunt.

Mit Sehnsucht, sagte Herr Isidor.

Wir werden bald etwas Ueberraschendes erfahren, fiel Antonie lächelnd ein.

Ja, gewiß, das werden wir! rief der Baumeister.

Und wem verdanken wir unser Glück? lachte der Buchhalter. Der wahren Freundschaft, die gestern Wunderdinge gethan hat.

Ich verstehe mich schlecht auf Wunder, obwohl sie alle Tage vorkommen, erwiderte Georg, sich in einen Stuhl werfend.

Wissen Sie, sprach Herr Isidor: man malt die Eos mit Rosenfingern, aber die Göttin der Freundschaft muß man mit goldenen Händen abbilden.

Und sie auf die Börse stellen, fügte Antonie hinzu.

So ging das Gespräch eine Zeit lang fort mit witzigen Anspielungen durchwebt, welche Isidor auf die Macht der Freundschaft losließ, zum großen Mißvergnügen Gerstenberg's, der stets einsilbigere und trockenere Antworten gab. – Die Unverschämtheit und die Prahlereien des Buchhalters waren ihm lästig; zugleich aber belustigte er sich über seine Hoffnungen auf Selma's Besitz, die kühner als je waren.

Isidor ahnte nicht, was unter seinen Augen vorgegangen war, und erzählte spottend von dem Mittagsmahle, an welchem unverhofft Fürst Victor Theil genommen habe, der aber von Selma und ihm mit einem Kreuzfeuer treffender Bemerkungen tractirt worden sei, das ihm einige gute Sitte für künftige Fälle beigebracht haben werde.

Er war zuletzt auch ganz mürbe gemacht, der übermüthige junge Herr, sagte er lachend, denn die Lection war stark, die er heut erhalten hat.

Ich glaube es wohl, erwiderte Gerstenberg, er wird sie sobald nicht vergessen.

Verlassen Sie sich darauf, sagte Isidor, daß ich eine andere Ordnung der Dinge einführen werde, sobald ich Herr im Hause bin. Es ist eine Schwachheit reicher Leute, die sogenannten vornehmen Leute bei sich zu sehen. Man kann es sich gefallen lassen, Künstler, Gelehrte, Dichter oder dergleichen, dann und wann zu sättigen, auch muß man Tänzer zu seinen Bällen haben, also sind Offiziere und ähnliche Wesen mit flinken Beinen nöthig; endlich hohe Beamte und Menschen, die Nutzen bringen; aber solche, die sich gnädig herablassen, ein Haus zu beehren, und hinterher hochmüthig die Achseln zucken, sollen mir nicht hinein. – Der ganzen sauberen Compagnie, den Herrn Fürsten an der Spitze, werde ich meine Thür zuschließen, bis sie eine Ehre darin erkennen, bei mir eingeführt zu werden, und Bescheidenheit gelernt haben.

Bescheidenheit ist eine schöne Tugend, Herr Isidor, sagte Antonie.

Nun, rief der Buchhalter, es kommt darauf an, wie man es versteht. Nur die Lumpe sind bescheiden! sagt Goethe. Gestern haben Sie der Bescheidenheit alle Ehre gemacht, und wenn ich gewußt hätte, was ich jetzt weiß – Aber seien Sie ruhig, ich halte Wort. Weiß Gerstenberg schon etwas?

Gar nichts weiß er, sagte das junge Mädchen.

Herr Isidor lachte dem Baumeister ins Gesicht. –

Sagen Sie ihm nichts, fuhr er dann fort, er muß überrascht werden. – Aber ich muß nun gehen. Gerstenberg, es geht nichts über eine Frau, die Geld hat, wenn man selbst nichts besitzt. Was hilft alle Weisheit, alle Gelehrsamkeit, aller Ruhm und alle Ehre! – Was frage ich danach, ob in hundert oder tausend Jahren die Welt noch von mir spricht! – Geld macht weise, wer kein Geld hat, bleibt auf der Straße. – Sie werden sehen, Freundchen, was es heißt, Geld haben, und werden die Stunde segnen, wo es heißt, Jakob von Eyben und Berton. Oder auch Eyben und Sohn, oder auch Eyben und Compagnie, oder Jakob von Eyben selige Erben. – Verstehen Sie das? – Nicht ein Wort. Haha! nicht ein Wort versteht er.

Ich glaube, Herr Berton, sagte Gerstenberg ärgerlich, Sie versäumen den besten Theil der Seligkeit und machen sehr irdische Erfahrungen, wenn Sie nicht eilen, in den Park zu kommen.

Sie haben Recht, lachte Isidor, haha! auf Ehre, Sie haben Recht. Aber sagen Sie ihm nichts, theuerste Freundin. Wahrhaftig, Sie sind meine theuerste Freundin, aber ich hasse die wohlfeile Freundschaft. Man muß Alles kaufen in der Welt, weil Alles feil ist.

Damit empfahl sich Herr Isidor und Gerstenberg rief ihm hörbar genug nach:

Was will der Narr mit seinem Geschwätz? Was plagt er uns mit seinem unangenehmen Besuch?

Wart, sagte Isidor für sich, Du Grobian, ich werde Dich curiren! – Aber eben diese Menschen sind grob, so lange sie arm sind, und haben die ganze Anmaßung des Bettlers, weil sie nichts besitzen, als sich selbst. Wie wird er sich winden, wenn ich ihm Geld aufzähle, und die Hand küssen, um mehr zu verdienen. – Ich war viel zu hitzig mit meinem Anerbieten, und glaube beinahe, daß ich die Hülfe gar nicht nöthig gehabt hätte. – Nun, ich kann noch überlegen, was ich thue, ob sie weiter zu brauchen sind, und zahle dann ein Viertel oder die Hälfte, wenn ich in Richtigkeit bin.

Auf dem Wege, den Herr Isidor zu Pferde machte, bildete er seine Plane weiter aus, und vor seinen seligen Blicken tanzten alle Haupt- und Cassenbücher des alten Herrn von Eyben einen entzückenden Hochzeitstanz. Er kannte die Zahlen genau darin, und rechnete immer gefühlvoller sie zusammen, bis er ganz gerührt endlich seines Pferdes Hals streichelte und mit schwärmerischer Innigkeit sagte:

O! Selma, wie liebe ich Dich! Deines Gleichen giebt es wenige auf Erden. In Deinem einzigen kleinen Namen spricht sich aus, was der große Dichter sagt: Seid umschlungen Millionen! Hättest Du damals schon gelebt, ich wäre überzeugt, er hätte Dich damit gemeint.

So kam er an die Thür des Gartens und ritt den Weg hinein bis an das Haus. Da Niemand ihn aufhielt, denn es war für jetzt nur die Gärtnerfamilie hier wohnhaft, trat er ungehindert hinein, nachdem er seinen Gaul vorläufig an ein Gitter gebunden hatte. – Leise schlich er an die Thür des Salons und horchte. Er hörte Selma's Stimme und endlich glaubte er seinen Namen zu vernehmen.

Sie seufzt nach mir! flüsterte er, hier bin ich; Niemand soll mich abhalten, ihre Sehnsucht zu stillen. Er öffnete die Thür und trat mit den kühnsten Entschlüssen, Freude strahlend und mit geöffneten Armen hinein, aber er stand wie festgewurzelt.

Selma saß in der Myrthenlaube, aus deren Zweigen Victor einen Kranz um ihre Stirn wand. Ihre Arme hielten ihn umschlungen, und plötzlich wandte sie sich um, erblickte den unglücklichen Buchhalter und nickte ihm lachend zu, ohne im Geringsten zu erschrecken.

Kommen Sie näher, Herr Berton, sagte sie, geben Sie meinem Bräutigam, dem Fürsten Karlsberg, den kleinen Zweig dort, er wird Ihnen dankbar sein. Sie waren immer mein Freund, so sollen Sie denn der Erste sein, der meine Verlobung erfährt. Die Freude macht Sie stumm, lieber Isidor, Sie freuen sich doch?

Sehr – aufrichtig! aus tiefstem Herzen! rief Isidor, indem er dem Fürsten den Zweig reichte.


8.

Am nächsten Vormittag wartete Gerstenberg in dem Vorzimmer des Ministers. Dieser hatte ihn rufen lassen; es war eine eilige Botschaft gewesen. Der Baumeister zweifelte daher nicht, daß Eröffnungen stattgefunden hatten, nach welchen der ganze Plan des alten Herrn zusammenstürzte. Er war voll Unmuth und nebenher auch voll Sorge, noch weiter in einer Sache betheiligt zu werden, die einen Antheil in ihm hervorrief, den er gewaltsam unterdrückte.

Nach einigen Minuten wurde er in das Cabinet des Grafen gerufen, der ihn mit zuvorkommender Güte empfing. –

Nun, mein lieber Gerstenberg, sagte er, ich habe Sie zu mir bitten lassen, weil ich die Zeit nicht erwarten kann, bis Sie die Baurisse bringen. Sie haben sie doch bei sich?

In der That, nein, Excellenz, erwiderte der Architekt erstaunt. Ich habe zwar gestern daran gearbeitet, wußte jedoch nicht, daß die Vollendung so sehr drängte.

Gewiß drängt sie! rief der Graf. Sie kennen ja Zweck und Ziel, lieber Gerstenberg, und da Fürst Victor obenein Ihr Freund ist, sollte ich meinen, Sie schmückten sein Haus mit wahrhaftem Liebeseifer.

Das habe ich wirklich bis jetzt gethan, versetzte Georg, indem er einen fragenden Blick auf den alten Herrn warf.

Ich glaube beinahe, fiel dieser ein, der Fürst selbst hat Sie an der Fortsetzung Ihrer Arbeit gehindert. Ist er gestern bei Ihnen gewesen?

Ja, Excellenz, und ich gestehe, daß ich aufgehört habe.

Arbeiten Sie fort, lieber Freund, rief der Minister, arbeiten Sie mit dem größten Fleiß, und lassen Sie sich durch nichts stören. Wie lange kann es dauern mit dem Bau, wenn wir alle Kräfte anstrengen und kein Geld schonen?

In diesem Falle könnte in drei Monaten Alles vollendet sein.

Ich gebe Ihnen den ganzen Sommer, sagte der Graf, denn vor Eintritt der Herbstsaison werden die jungen Vermählten doch nicht sich hier einrichten. Ihre Verbindung soll ganz als Familienfeier begangen werden, was in sehr kurzer Zeit der Fall sein kann. Während dieser Zeit ist es Frühling geworden, und dann giebt es keinen reizenderen Aufenthalt als Schloß Pronary. In seine großartige Einsamkeit wollen wir das junge Paar schicken. Später mag es reisen, ein Bad besuchen, ein Stück Welt sehen und dann die Herbstfreuden und die geöffneten Salons auf einem der herrlichen Schlösser erwarten, die dem Fürsten jetzt aus der Erbschaft seines Onkels zufallen. Meinen Sie nicht, Herr Gerstenberg, daß dies eine passende Sommerordnung ist, welche nach Fürst Victors Geschmack sein wird?

Gerstenberg stimmte kaltblütig bei; der Graf fuhr lächelnd fort:

Er liebt ja die Einsamkeit, und einsam zu sein mit einer schönen jungen Frau, ein romantisches Liebesleben unter den Kronen und Schatten hundertjähriger Buchen und Eichen zu führen, wird ihn von allen Grillen und kleinen Betisen Dummheiten. – Anm.d.Hrsg. heilen, die der nobelste Cavalier zuweilen haben kann.

Der Baumeister verbeugte sich wieder mit einer allgemeinen Phrase und der Minister nahm zum andern Male das Wort.

Ich habe es in meinem Leben öfter beobachtet, sagte er, daß die Energie treuer Freunde dazu gehört, um die edelsten Menschen von sogenannten Herzensverirrungen zurückzubringen, und daß nichts besser dagegen hilft, als ihnen rasch eine Frau zu geben, worüber sie denn gewöhnlich vernünftig werden und jedenfalls ihren Familien Leid und Aergerniß ersparen.

Wann, fragte Georg, befehlen Sie, Excellenz, Ihnen die Zeichnungen fertig vorzulegen?

Der Minister betrachtete ihn einen Augenblick, dann sagte er scherzhaft mit dem Finger drohend:

Sie sind ja ein wahrhafter Diplomat, man muß sich vor Ihnen hüten; aber da Sie mich nicht verstehen wollen, so muß ich klares Deutsch mit Ihnen sprechen. – Was wissen Sie von der Thorheit des Fürsten in Betreff der Tochter des Hofbankiers und was sagen Sie dazu?

Ich weiß wenig, Excellenz, und sage gar nichts dazu, erwiderte der Baumeister.

Ich kenne Sie besser, rief der alte Herr, und lese deutlich in Ihrem Gesicht, daß Sie Alles wissen und Manches gesagt haben.

Eine Saat, die der Wind verweht, ist schlimmer als nichts, Excellenz, und so geschah es mir. Ich muß leider zugeben, daß ich Victors unbegreiflich rasche Handlung kenne und nicht anders vermag, als sie gänzlich zu mißbilligen.

Sie nehmen das viel zu ernsthaft, viel zu schwer! fiel der Minister ein. Fürst Victor hat heut früh seiner Tante geschrieben, er könne ihre Wünsche nicht erfüllen, denn sein Herz gehöre der schönen Selma – Selma heißt sie ja wohl? Ein allerliebster schwärmerischer Name. – Die Fürstin hat mir das Billet geschickt und wir werden nun gemeinsam dem jungen Herrn den Kopf zurecht setzen. – Ich bin keinen Augenblick zweifelhaft, daß er noch so viel Nachdenken und Geistesfreiheit besitzt, um aus dem Nebelkreise herauszukommen, und dann wird sich die Sache von selbst ordnen.

Ich glaube es nicht, sagte Georg. Ich kenne seinen stolzen Willen, aber auch wenn er wollte, er würde es nicht mehr dürfen, ohne einen tiefen Bruch seiner Ehre.

Wie, Ehre! – Was meinen Sie mit dem Bruch seiner Ehre? fragte der Minister lächelnd.

Er hat dem Fräulein von Eyben seine Liebe und Treue zugeschworen mit den heiligsten Schwüren.

Oeffentlich? rief der alte Herr mit erhöhter Stimme. Ist davon irgend etwas bekannt geworden?

So viel ich weiß, nein. Nur Herr von Eyben war zugegen.

Sehen Sie wohl, lachte der Minister, so bleibt das ganze Geheimniß auf ewig verborgen. Bei dem Hofbankier werde ich mir eine Audienz erbitten, und wenn es nöthig werden sollte, das hübsche Fräulein zu trösten, so übernehmen Sie es vielleicht, Herr Gerstenberg. – Nun, Scherz bei Seite, aber ich sehe in dem Ganzen nicht viel Ernsthaftes oder Erschreckendes. – Eine Bitte habe ich an Sie, lieber junger Freund. Begleiten Sie mich zur Fürstin, und wenn es nöthig sein sollte, dem im Irrgarten der Liebe umhertaumelnden Cavalier noch eine Vorlesung von Ihrem Standpunkte aus zu halten, so thun Sie es um alter Freundschaft willen. Meine und der Fürstin innigste Dankbarkeit darf ich wohl nicht zum anderen Male betheuern.

Mit der Gewißheit, daß seine Bitte ein Befehl sei, zog der Graf die Glocke, rief dem eintretenden Diener zu, den Wagen vorfahren zu lassen, und befand sich in wenigen Minuten auf dem Wege zu dem Hotel der Fürstin. Er vermied es jetzt, das Gespräch über Victor fortzusetzen, aber er war unermüdlich im Lobe seiner Enkelin, deren Liebenswürdigkeit und Güte er in allerlei kleinen Zügen erzählte.

Es wird kein glücklicheres Paar geben, rief er zuletzt, und in gar kurzer Zeit wird Fürst Victor es Jedem zärtlich danken, der ihn von einem höchst unheilvollen und leichtsinnigen Schritte abgehalten hat. – Glauben Sie nicht, daß es so ist?

Gerstenberg gab seine Zustimmung. Der Graf küßte sich auf seinen Arm, als sie die Treppe im Hause der Fürstin hinaufgingen, und flüsterte ihm zu:

Dahin führen die modernen laxen Grundsätze. Ein Judenmädchen und der Erbe einer der ersten Landesfamilien! Jedes christliche Gewissen muß sich dagegen empören. Pfui Teufel! wenn wir in anderer Zeit lebten, würde man an Hexereien glauben und einen Scheiterhaufen bauen.

Wir sind glücklicher Weise weiter gekommen, erwiderte Georg lächelnd, und begnügen uns mit aufgeklärter Verachtung und Ausstoßung der Aussätzigen aus der Gesellschaft.

Bewahren Sie sich und Jeden, den sie lieb haben, vor dieser geistigen Kreuzigung, erwiderte der Graf, und mit plötzlich verfinsterter Stirn, die schnell wieder glatt wurde, fügte er hinzu: Wenn der Fürst wirklich einer solchen Aechtung verfiele, so wäre er verloren! Aber es kann nicht sein, er ist zu klug, um so viel aufs Spiel zu setzen.

Ein alter Diener der Fürstin meldete dem Grafen, daß Victor so eben in das Cabinet seiner Tante getreten sei, welche befohlen habe, Se. Excellenz sogleich hinein zu führen.

Gut, sagte der Minister, es ist mir lieb, daß ich mitten in die Verhandlung komme. Warten Sie hier, lieber Gerstenberg. Sie werden vielleicht die immer etwas undankbare Rolle der vermittelnden Macht zu übernehmen haben; aber mein Ehrenwort darauf, beim Friedensschluß sollen Sie nicht zu kurz kommen.

Gerstenberg sah ihm mit einem Gesicht voll unerschütterlicher Ruhe nach und stand dann stolz aufgerichtet vor der Thür still, hinter welcher er Victors sonore Stimme hörte. Mit langsamen Schritten ging er zum Fenster und wieder zurück, und lebhafter theilnehmend horchte er schärfer hin, wenn es unruhiger zu werden schien. –

Das Seltsamste von Allem ist es mir, mich hier zu sehen! rief er endlich spöttisch um sich blickend. Ich, der Proletarier, ich, das Wesen ohne Zukunft, ich stehe hier, um zu entscheiden, ob der vornehmste Baron des Landes das reichste Mädchen heirathen soll, oder ob er die verstößt und verschmäht, welche ihm Könige ausgesucht haben. – Welche Ironie plagt das Schicksal, mich zu solchem Parisamte auszusuchen, und o! wie albern werde ich mich dabei anstellen!

Ich sehe es kommen, fuhr er die Stirn reibend fort, es werden die finsteren Mächte, die mich plötzlich aus meinem Nichts hervorhoben, mich schnell wieder fallen lassen, und dies jammervolle Schauspiel wird mit einem Schiffbruch enden, aus welchem nichts gerettet wird.

Lieber Gerstenberg, sagte der Minister, die Thür öffnend und ihm winkend, treten Sie näher. Da Sie zufällig sich hier befinden, geben Sie Ihrem Freunde vielleicht einen guten Rath.

Mit diesen Worten führte er ihn in das kleine mit dicken Teppichen belegte Zimmer der Fürstin. – Die Hand des alten Herrn zitterte, seine Mienen drückten eine Aufregung aus, die er vergebens zu verbergen strebte.

Die Fürstin saß in einem der großen Plüschstühle, auf dessen Lehne sie den Arm stützte; ihr Gesicht war von ihrem Taschentuche bedeckt, sie schien die Thränenspuren damit abzutrocknen.

Victor saß ihr gegenüber, die Arme gekreuzt und sein entschlossenes, ernstes Gesicht mißtrauisch gegen den Eintretenden gewendet.

Ich glaube, sagte er aufstehend, daß in dieser Angelegenheit keinerlei Intervention von mir angenommen werden kann, selbst die eines Freundes nicht. Ich habe keine weitere Erklärung zu geben, auch ist keine Aenderung möglich, die ein vermittelndes Uebereinkommen zuließe. Du, Georg, hast mir gestern gesagt, was Du zu sagen für nöthig hieltest; ich habe Dir geantwortet, erwarte daher heut keine Wiederholung.

Aber wir können an das, was Herr Gerstenberg Ihnen einwandte, unsere gemeinsamen Bemühungen knüpfen, fiel der Graf ein, und ein Unheil, das gleichsam aus der Luft gefallen ist, von Ihnen wie von uns Allen abwenden.

Es ist mir peinlich, rief Victor, überaus peinlich, eine so zarte Angelegenheit, bei der Sie, Excellenz, einen so nahen Antheil nehmen müssen, weiter zu berühren, da ich fürchten muß, Sie zu kränken oder zu beleidigen.

O! keinesweges, sagte der Minister lächelnd, ich betrachte diese Angelegenheit durchaus objectiv, wie sie betrachtet werden muß. Ich war Ihres Vaters Freund und bin mit Ihrer Familie mehrfach verbunden. Seit Jahren war Ihre Partie mit meiner Enkelin eine Verabredung, die als durchaus standesgemäß, schicklich und vernünftig von allen Seiten angenommen wurde. Die höchsten Personen interessirten sich dafür, es knüpften sich endlich besondere Verhältnisse daran, die Ihr zukünftiges Wohl betrafen, wir stehen somit auf dem Standpunkt unterhandelnder Familien, wie dies unseren Lebensregeln angemessen ist. – Sie irren darin, lieber Fürst. Victor, fuhr er fort, daß Sie sich in die Lage eines gewöhnlichen Mannes versetzen und Ihre Sphäre verkennen. Wären Sie nicht der, der Sie sind, so möchten Sie mit Ihrer Herzensneigung frei schalten, da aber das Schicksal Ihnen durch Ihre Geburt den Weg gehen heißt, den Männer aus erlauchtem Stamme gehen müssen, den Fürsten gehen, wenn sie aus Ebenbürtigen sich eine Lebensgefährtin wählen, so haben Sie Unrecht, allen Vernunftgründen Ihre Neigungen entgegenzusetzen. –

Seltsames Schicksal, erwiderte Victor düster, daß der Klasse der Ersten und Höchsten befiehlt, kein Herz und keine Neigungen zu haben.

Ueber Ihr Herz hat Niemand ein Recht, als Sie selbst, erwiderte der Minister, allein über Ihre Hand sind Sie Ihrer Familie und den Verhältnissen Rechenschaft schuldig.

Genug! rief der junge Mann empört. Ich gehöre nicht zu denen, die einen unsittlichen Unterschied zwischen beiden machen.

Ich hoffe nicht, versetzte der Minister, daß Sie mir diesen zumuthen, wenn ich im Einverständnisse mit Ihrer erlauchten Tante den Wunsch meines Souverains erfülle und Ihnen nochmals die Hand meiner Enkelin anbiete. – Hören Sie die Stimme väterlicher Freundschaft und Liebe, theurer Fürst Victor. Fassen Sie nicht mit jugendlichem Unbedacht in die festen Fugen heiliger Gesellschaftsordnung; unterwerfen Sie die ungestümen Träume Ihres Herzens den Forderungen, welche Ihr Hang von Ihnen begehrt, aber glauben Sie auch, daß diese freiwillige Unterwerfung ihren Lohn tragen wird. – Josephine wird Ihnen ersetzen, was Sie zu verlieren glauben. Sie bringt Ihnen Liebe und Vertrauen mit und wird Sie versöhnen mit den Verhältnissen, die Ihnen jetzt düster und unheimlich erscheinen. Jung, schön, ergeben und liebenswerth, ist es unmöglich, daß Sie das Glück bei ihr nicht finden sollten; was aber die Irrthümer betrifft, in welche Sie gerathen sind, so glauben Sie mir, nichts ist leichter zu lösen, als diese. – Ich kann es bewirken, daß morgen ein Dispens von allen Förmlichkeiten, welche Staat und Kirche verlangen, in unseren Händen ist, und an demselben Tage noch können Sie mit Ihrer jungen Gattin reisen und allem Geschrei ausweichen. Den Herrn Hofbankier werde ich beruhigen, und was die junge Dame betrifft, so kann ihr Wunsch, Fürstin Karlsberg zu heißen, wohl noch nicht so tief gewurzelt sein, um nicht bald anderen Tröstungen zu weichen.

Victor machte eine heftige Bewegung, aber der Minister hielt seine Hand fest und sagte rasch: Verzeihen Sie mir, wenn ich die Menschen und ihre Bewegungsgründe von einem anderen Standpunkte betrachte, als Sie. Ich sehe es Ihren weichen, unruhigen Mienen an, daß meine Gründe nicht verloren gegangen sind. Folgen Sie dieser Erkenntniß der Wahrheit, beruhigen Sie Ihre Freunde, vor Allem aber beruhigen Sie Ihre würdige, mütterlich besorgte Tante, deren Herz voll tiefsten Summers ist.

Victor! rief die Fürstin weinend und die Arme nach ihm ausstreckend, mein Kind! meine einzige Freude! Kannst Du mich in solche Verzweiflung stürzen; kannst Du mein Herz brechen?!

Eine entsetzliche Angst leuchtete aus den Augen des jungen Mannes und eine Minute lang stand er, wie im Kampfe mit allen den furchtbaren Mächten, die in eines Menschen Seele um Himmel und Hölle ringen. Dann kehrte in sein blasses Gesicht der Ausdruck einer finsteren Entschlossenheit zurück und plötzlich wendete er sich zu Gerstenberg und sprach mit tonloser Härte:

Sage Du es ihnen, Georg, sie verstehen es nicht. Sage ihnen, ob ich mein Wort brechen kann; sage ihnen, ob Ehre und Leben auf dem Spiel stehen. Du bist ein Mann von reiner Ehre, entscheide über mich.

Wenn Du mich gestern gefragt hättest, erwiderte Gerstenberg, so würde ich Dir ziemlich dasselbe gesagt haben, was Du so eben hörtest. – Als Du mir Dein Vertrauen schenktest, war es zu spät, dennoch warnte ich und diese Warnung muß ich heut wiederholen.

Du wiederholst sie? rief der junge Mann schmerzlich; trotz meiner Betheurungen, trotz aller meiner Eide!

Ich wiederhole sie, weil ich glaube, daß Deine innerste Natur ihnen widerspricht, und all' Dein Wille nicht ausdauern wird vor dem schrecklichen Gespenst, das kommen wird, um Dich zu zermalmen.

Was hat man Dir versprochen, rief Victor mit Bitterkeit, um mir dies noch einmal zu sagen? – Welche Künste hat man angewendet, um Dich dazu zu vermögen?

Victor! sagte Gerstenberg sich stolz aufrichtend, hier findet die Freundschaft ihre ernste Grenze.

O! vergieb, vergieb! rief der Fürst, seine Hände ergreifend und leidenschaftlich sich an seine Brust werfend, alle Schlangen des Lebens winden sich um mich. Zweifle nicht länger, Georg, miß mich mit Deinem Maßstabe. Ich will ein Mensch sein, leiden und lieben, wie Menschen. Es ist nicht wahr, daß ein Gott es gewollt hat, ich solle seine edelsten Segnungen entbehren. Es ist gegen Recht, Vernunft und Sittlichkeit. Niemand soll mir rauben, was der Schöpfer den ärmsten seiner Kinder als Trost auf ihren düsteren Weg gegeben hat.

Wenn Du mit diesem Glauben fest stehen willst, ohne Wanken und Erschrecken, erwiderte Georg, dann folge Deinem Herzen und der Ehre.

Fürst Victor! sagte der Minister, dem Baumeister einen Blick der Verachtung zuwerfend, ermannen Sie sich. Fort mit allen Fantastereien! Ich fordere von Ihnen eine reife Ueberlegung.

Lassen Sie uns daran denken, erwiderte Victor sanft, wie wir freundlich und ohne Leid aus dieser Verwirrung gelangen.

Sie brechen die Verbindung mit meiner Enkelin ab? fragte der Minister.

Ich breche sie ab, ja, weil ich ein edles Wesen unglücklich machen würde. –

Ein schwacher Schrei hinter dem Vorhang und ein Fall begleitete diese Worte.

O! mein armes Kind, rief der Graf und eilig hob er den Teppich auf. Josephine lag auf der Schwelle, blaß wie der Tod. Die Augen von den langen Wimpern bedeckt, in dem seelenvollen Gesicht ein unendlicher Schmerz.

Der Graf bemühte sich, sie aufzurichten; Victor eilte bestürzt zu seiner Hülfe, aber die Fürstin trat gebietend vor ihn hin. –

Rühre sie nicht an, rief sie ihm zu, Du bist nicht würdig, sie zu berühren. Dein Platz ist bei der Gemeinheit. Verlaß uns, verlaß mein Haus, ich habe nichts mehr zu sagen!


9.

Der alte Musikdirector hatte heut einen bösen Tag. Mit seinen schmerzenden, geschwollenen Füßen saß er in Kissen gepackt und vor ihm Antonie, beschäftigt, ihm Kritiken aus den Zeitungen über eine neue Oper vorzulesen, was seinen Aerger wesentlich erhöhte. – Bald lachte er höhnisch zu dem Lobe, bald schnitt er Gesichter zu einigen leise tadelnden Bemerkungen; dann warf er seine Dose auf den Tisch und ballte sein Taschentuch zusammen, um es in die Sophaecke zu schleudern und wieder hervorzuholen.

Man möchte vergehen, schrie er endlich im vollsten Zorne, wenn man sieht und hört, wie die sogenannten Kunstkenner mit der Kunst umgehen. Da ist kein Verständniß, kein Geschmack und kein Gefühl, aber auch nicht einmal Ehrlichkeit und ein gutes Gewissen. Alles ist Spitzbüberei, alles Parteisache um gemeine Nebenzwecke. In den Theatern treibt eine Claqueurbande ihr Unwesen und in den Organen, wo man ein wahres, verständiges und ernstes Wort hören sollte, liefert die Claqueurbande der Schreiber und Recensionenschmierer die Fortsetzung. Da ist keine Achtung vor dem schaffenden Talent zu spüren, keine Belehrung, kein Rath, kein besonnener Tadel, kein Lob, das erhöbe und erfreute; sondern nur ein Beulenschlagen und Toben mit rohen Fäusten oder ein ekelhaftes Ueberschütten mit faulen Lorbeern, an denen kein wahrer Künstler Freude haben kann.

Alle Künstler sind eitel, warf Antonie lächelnd ein.

Gott sei es geklagt! rief der alte Mann, darum ist auch die Kunst in solchen Verfall gerathen. – Der ächte Künstler ist stolz gegen alle Narren und Lumpe, aber demüthig gegen sich selbst, denn er weiß wohl, daß er das Ideal nie erreichen wird, das seinen Blicken vorschwebt. Alle die großen Meister, die mit der Sehnsucht nach Gottes höchster Weihe geboren wurden, blieben unbefriedigt in dem Drange, der tief in ihrer unruhvollen Brust lag; aber sie rangen nach der Palme der Schönheit und fanden Frieden und Belohnung in dem Strom der Töne und Gedanken, den sie ausströmen ließen. Das Lob der Besten, das war ihr Ziel! Jetzt aber buhlen sie um den Beifall der Menge, und lassen sich diesen Beifall machen, so tief ist die Welt gesunken. Alles lebt dem Augenblick, Alles will gekauft und bezahlt sein, Alles ist Speculation und Berechnung, und für Geld ist Alles zu haben. Liebe, Freundschaft, Ehre, Ruhm wird verschachert, und der ist ein Narr, der mehr will als Täuschung, der nach Wahrheit strebt, wo alles aufgeputzte Lüge ist. –

Mitten in diesem Erguß des Unmuths klopfte es leise und Herr Isidor trat herein. Er blieb an der Thür stehen, und hörte die letzten Sätze mit an. Sein finsteres Gesicht hellte sich auf und ein spöttisches Grinsen bewegte seine Lippen, dann nickte er dem Musikdirector zu und sagte laut:

Echte Wahrheit, was Sie da sagen, durchaus echte Wahrheit.

Ah! Herr Berton, rief Antonie sich umwendend; wie kommt Saul unter die Propheten?!

Es giebt keine Treue mehr, keine Wahrheit, es ist Alles aufgeputzte Lüge, erwiderte Herr Isidor. Das ist ein Wort, das mit Goldschrift an alle Ecken angeschlagen werden sollte.

Hans Hasenfuß! murmelte der Director, indem er eine große Prise nahm.

Wie! sagte das junge Mädchen schalkhaft, Sie sagen das, der Sie die Welt doch eben jetzt als ganz vollkommen betrachten müßten.

Hören Sie, Herr Director, fiel Isidor ein, ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die einen hübschen Beitrag zu Ihren Klagen bildet. Ich kenne eine arme Familie, und eine junge Dame darin, die ich gern nach ihrer Herzenswahl verheirathen möchte, aber es fehlen alle Mittel dazu. Zu ihr kommt ein Freund und bittet sie um einen Dienst, aber er will ihn nicht umsonst, er bietet ihr eine bedeutende Summe dafür an.

Wenn es ein ehrenhafter Freundschaftsdienst war, wird sie kein Geld genommen haben, brummte der alte Musikdirector.

Im Gegentheil, rief Herr Isidor. Der Dienst war ein einfacher Freundschaftsdienst, sie forderte aber das Doppelte dafür, wenn sie ihn leisten sollte.

Das muß eine abgefeimte Person sein, sagte der alte Mann.

Auch die doppelte Summe wurde ihr bewilligt, fuhr Isidor fort, was aber geschah nun? Sie verrieth den Freund, lieferte den Schein, mit welchem dieser sich verbürgte, denn er hatte einen solchen nach ihrer Vorschrift ausstellen müssen, dem Feinde ihres Wohlthäters aus und verkaufte ihn für eine noch höhere Summe.

Das ist abscheulich! fiel Antonie ein, aber wollen! Sie uns nicht mittheilen, Herr Isidor, worin der Freundschaftsdienst bestand, den man forderte?

Ihr Plan ist gelungen, gab Isidor erbittert zurück. Ich weiß Alles, habe Alles erfahren. Selma selbst hat mir gesagt, wie Sie mich verrathen haben. Doch triumphiren Sie nicht zu früh, und sehen Sie wohl zu, was die fürstliche Dankbarkeit Ihnen zuwirft.

Armer Herr Isidor, sagte das junge Mädchen, es wird also nichts mit aller Ihrer Herrlichkeit und der neuen Ordnung der Dinge!

Spotten Sie immerhin, spotten Sie nur weiter, erwiderte Isidor wüthend, Sie werden den richtigen Lohn dafür ernten. Das fürstliche Brautpaar wird sich Ihrer gnädigst erinnern, wenn es eine Clavierspielerin bei einer Matinée braucht.

Also verlobt! rief das junge Mädchen fröhlich in die Hände klatschend. Ich danke Ihnen, Herr Berton, für diese beglückende Nachricht, und verzeihe Ihnen dafür die ganze Reihe von Unverschämtheiten, welche Sie gegen mich begingen.

Was bedeutet das Alles? fragte der Musikdirector erstaunt. Bist Du es, die Herr Berton meint?

Gewiß, ich bin es, lieber Vater, erklärte Antonie. Herr Isidor versprach mir Geld, viel Geld, wenn ich Selma überreden wollte, ihn zu wählen. Ich wollte ihn abfertigen, wie er es verdiente, aber ich besann mich anders, ging auf sein Anerbieten ein und forderte das Doppelte. Er verschrieb es mir, wie ich es ihm dictirte, und was konnte ich Besseres zu seiner Empfehlung thun, als diesen Beweis seiner uneigennützigen Liebe dem Fräulein von Eyben vorlegen?

Und das haben Sie gewagt?! rief der Greis, seine Schmerzen vergessend, indem er seine Füße aus den Kissen zog und aufstand, sich aber sogleich wieder niedersetzte. Das haben Sie gewagt ohne Scham und Schande vor der Tugend einer ehrenhaften Armuth!

Ich bitte um Verzeihung, sagte Berton lachend, es soll nie wieder geschehen. Man klagt über das Elend der Menschen, aber sie verdienen es nicht besser.

Sie würden wohlthun, uns zu verlassen, erwiderte Antonie, denn bessern werden Sie uns nicht, Herr Berton; wir sind zu unpraktisch, zu fantastisch und ungelehrig, und wenn ich nicht irre, höre ich Georgs Schritt auf der Treppe. Wahrscheinlich wollen Sie ihm nicht wiederholen, was Sie uns eröffneten.

Ich fürchte mich weder vor dem Herrn Baumeister und seiner Grobheit noch vor Ihren Intriguen und Verläumdungen, sprach Isidor stolz. – Vernünftige Leute werden mich nicht tadeln, Ihr Benehmen jedoch ist – höchst tugendhaft, höchst ergötzlich tugendhaft! – Und so bleiben Sie denn bei Tugend und ehrenhafter Armuth, die nichts einbringt; wir werden ja sehen, was diese Ihnen verschafft. Wir werden sehen, wie die fürstliche Freundschaft sie belohnt!

Mit diesen höhnenden Worten öffnete der Buchhalter die Thür, aber er trat erschrocken zur Seite, als er den Fürsten erblickte, der eben hereintreten wollte, und den Georg begleitete.

Victor schien ihn nicht zu beachten; er reichte dem alten Lehrer die Hand und setzte sich stumm nieder, während Isidor es fürs Gerathenste hielt, sich rasch zu entfernen, um jeder unangenehmen Erörterung auszuweichen.

Der Fürst sah bleich und angegriffen aus, aber er war ruhig und freundlich.

Ich weiß, liebe Freundin, sagte er zu Antonien, welchen Antheil Ihr edles Herz an mir nimmt; so komme ich denn zu Ihnen, um Rath und Hülfe zu fordern.

Es wird eine schwache, kleine Hülfe sein, erwiderte sie, aber was ich geben kann, gebe ich gern.

So geben Sie mir zunächst ein Plätzchen, wohin ich mein Haupt legen kann, fuhr er fort, denn ich bin ein Ausgestoßener und Verbannter. Mit meiner Familie ist es vorbei; meine Tante will nichts von mir wissen, und alle die Leute der guten Gesellschaft werden mich fliehen, weil ich es wagte, ohne ihre Erlaubniß zu lieben, Selma zu lieben! – Großer Gott! als ob ich es gewagt hätte, in die untersten Hefen des Lebens zu fassen und aus dem Schmutz der giftigsten Lache mir ein Gewürm zum Schmuck für mein Haupt zu suchen.

Er hatte ruhig begonnen, aber die Bitterkeit seines Herzens drängte sich auf seine Lippen. Heftig zuckend, stieß er seine Worte hervor und eine dunkle Röthe färbte sein Gesicht.

Des Menschen Sohn, sprach Antonie, ihn mit den klaren Augen freundlich anschauend, hatte auch kein Pfühl für sein Haupt. Er litt um die Liebe, er litt standhaft, und starb am Kreuz darum.

Das Kreuz wird auch mir nicht fehlen, rief Victor. Sie werden nichts sparen, was Hohn und Schmach auf mich werfen kann.

Aber darin wird die Glorie Ihrer Liebe bestehen, erwiderte sie, daß Sie diesen Hohn und Spott von Menschen, die nicht wissen, was sie thun, geduldig tragen, um der Liebe willen!

Geduldig? nein! sagte er. – Tragen und ertragen will ich Alles, aber nicht geduldig. Zur Geduld bin ich nicht geschaffen. Es mag die erhabenste aller Tugenden sein, die herrlich einschließt, was wir als Großmuth, Mitleid und Demuth verehren, allein ich verachte, ich hasse die Heuchler und Tyrannen und will nicht etwa um Vergebung betteln. – Selma's Liebe macht mich stolz, sie soll mich auch frei machen. Frei von allen Götzen, vor denen ich mich nicht beugen, sondern die ich kühn ins Gesicht schlagen will, wo sie mir zu nahe kommen.

Er ging heftig auf und nieder und warf sich dann in einen Stuhl, indem er Antoniens Hände faßte und sie dankbar anblickte.

Selma hat mir erzählt, sprach er, welchen hochherzigen Trost Sie ihr gegeben haben. Wenn ich ihn liebte und er meiner Liebe nicht würdig wäre, sagten Sie, und wäre er der Höchste und Erste in der Welt, ich würde ihn vergessen! Diese Worte haben sich mir eingeprägt. Ich liebe Selma und will ihrer würdig sein in allen Dingen. Ihr hoher, stolzer Geist verachtet die Gemeinheit, wie ich diese verachte. Ich will sie hinstellen vor den Menschen, bis sie sich vor ihr beugen, bis sie ihr eigenes Nichts erkennen und vor sich selbst erschrecken.

O! theurer Freund, sagte sie lächelnd, mischen Sie Ihre Liebe nicht mit solchen Belehrungsversuchen. Leben Sie dem Glück und halten Sie entfernt, was dies stören kann. Fordern Sie alle Opfer, die ein Herz zu geben vermag, aber keines, das der Ehrgeiz vorschreibt.

Und doch, erwiderte er die Hand auf seine Stirn legend, ist es schwer, Alles zu opfern, was Ehrgeiz genannt wird.

Weiß denn die Liebe etwas davon? flüsterte sie ihm zu. Wenn ich recht froh und glücklich sein will, so bilde ich mir ein, ich allein auf der ganzen Welt vermöge Georg glücklich zu machen, und mit diesem Gedanken füllt sich mein Herz, bis ich etwas gefunden habe, das ihn so aussöhnt mit unserem kleinen, armen Erdenloose, daß er rufen könnte: Allen Sündern soll vergeben und die Hölle nicht mehr sein!

Komm her zu mir! rief der Greis zärtlich seine Arme nach ihr ausstreckend, komm, daß ich Dich küsse. Du bist unser aller Trost und Glück, und verdienst dafür das schönste Erdenloos.

Und nun, fuhr Antonie fort, da Sie meinen Rath haben, Fürst Victor, der einfach darin besteht, treu und wahr zu lieben und den Menschen, die Ihnen Schmerzen bereiten, Ihrer Liebe wegen zu vergeben, sagen Sie mir, wo und wie ich helfen kann?

Nehmen Sie mich einige Tage in Ihre Wohnung auf, bat er. Ich mag nicht sofort mich einrichten. Das Haus meiner Tante habe ich verlassen, ohne eigentlich recht zu wissen wohin, und in meiner Lage bedarf ich der Vorbereitungen, ehe ich weiter gehe.

Wir haben nichts übrig als das große Zimmer, sagte sie, wo der Vater früher Unterricht ertheilte. Sind Sie damit zufrieden, so wird es gewiß Ihnen freudig abgetreten. Von Herzen sollen Sie uns willkommen sein.

Sie sind viel besser, als Georg, rief Victor, der meiner Absicht entgegen war.

Aber wahrlich nur aus triftigen Gründen, fiel der Baumeister ein, die ich jedoch gern ruhen lasse.

Nach einigen weiteren Erörterungen kam man überein, dem Freunde sogleich Raum zu schaffen, und geschäftig machte sich Antonie an die nöthigen Arbeiten. Victor und Georg halfen die vorräthigen Mobilien herbeitragen und zurechtstellen. Es gab zu scherzen genug über die Art, wie der Fürst selbst Hand anlegte, um sein bescheidenes Zimmer einzurichten, bis endlich das Meiste gethan war und Victor ging, um Selma mit Allem, was geschehen, bekannt zu machen.

Es sieht so schön und friedlich hier aus, sagte er an der Thür in dem reinlichen Gemach umherschauend, daß ich mich ganz heimisch fühle. Ich könnte immer hier leben, mit Büchern, mit Blumen, mit wenigen treuen Freunden und dem Herzen, das mich liebt.

Als er gegangen war, blieb Georg bei dem Vater sitzen und theilte ihm die Vorgänge mit, welche er im Hause des Fürsten erlebt hatte. Antonie kam dann und wann herein und half die Besorgnisse zerstreuen, welche auf des geliebten Mannes Stirn lagen, ohne daß er sie aussprach.

Was peinigt Dich? sagte sie. Laß ihn seinen Weg gehen; wie ich Dich kenne, muß es Dich freuen.

Kann es mich freuen, erwiderte er, wenn ich sehe, wie ein Mensch der Höhle des Löwen entkommt um anderen Raubthieren anheim zu fallen?

Er wird auch daraus hervorgehen, tröstete Antonie.

Georg schüttelte den Kopf.

So hilf ihm! erwiderte sie muthig. Spring' ihm bei, aber klage nicht. Schwach sind wir Alle und Alle arme Sünder.

Als sie hinaus war, ergriff der Greis die Hand seines Sohnes.

Weißt Du, Georg, begann er, was ich Dir beim Unterricht sonst immer wegen des vierten Fingers sagte?

Kein tüchtiger Klavierspieler ist möglich, der diesen Finger nicht gehörig zu bewegen weiß, erwiderte der Sohn lächelnd.

Gut, versetzte der alte Mann, wer ein tüchtiger Spieler sein will, muß auf Unabhängigkeit der Finger los arbeiten, und wer ein tüchtiger Mensch sein will, muß geistige Unabhängigkeit besitzen. – Wer die bat, erwirbt auch den rechten Lebensmuth und bangt nicht vor den Gefahren der wilden See, in der wir umherschwimmen. – Du kannst jeden Finger unabhängig bewegen, Du hast auch geistige Unabhängigkeit bewiesen. Sie nennen Dich einen Mann von Talent und Charakter, und doch wagst Du weniger, als Victor, Du wagst nicht einmal dem Mädchen, dem Dein ganzes Herz gehört, Deine Hand zu reichen und Dein Lebensschiff ohne Furcht vor Schiffbruch zu steuern.

Lieber Vater, erwiderte der Sohn, indem er ihn zärtlich anblickte, der Schiffbruch in einer Ehe führt gewöhnlich zum Ende alles Glücks.

Bei denen, die nicht schwimmen können, sagte der Greis, bei denen, die kein Vertrauen zu sich selbst haben und nicht glauben, daß ein treues Weib alle Lebensnoth leicht erträgt. Jakob hat um Rahel gedient lange Jahre, hier dient Rahel um Jakob, der sich immer noch nicht entschließen kann, sie heim zu führen, weil noch dies und das an seinem Herde fehlt. – Du tadelst Victor, aber Du bist nicht stärker als er. Du würdest an seiner Stelle lachen über alle Vorurtheile der Geburt, allein was er nicht achtet, ist für Dich ein Unwetter, vor dem Du zitterst. – Victor würde seine Geliebte heirathen mit dem Muthe der Armuth, die auf ihre gesunden Arme vertraut; Du kannst Dich nicht entschließen ein Weib zu nehmen, die freudig Alles mit Dir theilen, mit Dir arbeiten und darben würde, wenn das Schicksal Eure Anstrengungen zu Schanden machte.

Darben, erwiderte Georg, das ist das fürchterlichste Wort. Ich bin jung, ich kann es, aber Du, und sie – ich würde alle Kraft zum Handeln verlieren, wenn ich Euch darben sähe. Ich bin zu verständig, um leichtsinnig zu sein.

Und mit dieser Verständigkeit, versetzte der Greis, glaubst Du zum guten Ziele zu kommen? Ich hasse den Leichtsinn auch, aber noch mehr die Berechnung, welche so vielen Täuschungen unterworfen ist. – Du hast Dich der gewöhnlichen Lebensklugheit nicht gefügt, hast Dich stolz auf Deine eigenen Füße gestellt, hast um ein armes Mädchen geworben von früh auf, und während Du mit der einen Hand Alles von Dir stießest, was zum sicheren Besitz führen kann, verlangst Du mit der anderen Hand danach und machst Dich abhängig und unfrei.

Es ist mein Schicksal, sagte Georg unmuthig. Vor wenigen Tagen schien mir die Glückssonne endlich aufzugehen. Graf Reizenstein eröffnete mir glänzende Aussichten, plötzlich sah ich mein wankendes Leben auf einen festen Grund gestellt und freudig sagte ich mir: Jetzt ist Antonie mein! Endlich der theuerste Wunsch meines Herzens erfüllt, endlich Sicherheit und Frieden.

Georg! Georg, rief der alte Vater warnend, findest Du darum an Victor so viel, zu viel zu tadeln, weil es nun anders kommen kann?

Nein, erwiderte er erröthend, ich habe ihm ja selbst den Rath ertheilt, wie ein Mann seine Ehre zu wahren; aber ich weiß, was es mich kostet.

Das Gespräch wurde unterbrochen, denn Victors alter Diener brachte in Körben und Koffern Sachen, die seinem Herrn gehörten; zugleich händigte er Gerstenberg einen Brief ein, den der Graf im Hause der Fürstin geschrieben und ihm mitgegeben hatte.

Da haben wir die Bestätigung meiner Befürchtungen, sagte der Baumeister, als er das Schreiben gelesen hatte. Se. Excellenz schreibt mir:

Nach dem, was geschehen ist, werden Sie einsehen, daß ich für Ihren ferneren Beistand danken muß. Sie haben mein Vertrauen auf eine Weise gemißbraucht, für welche der Name schwer zu finden ist. Es war in Ihre Hände gelegt, dem fürstlichen Hause, wie auch mir, einen großen Dienst zu leisten, einen irre geleiteten Freund auf den Weg der Ehre und Pflicht zurückzuführen, den Wünschen und Befehlen Ihres Monarchen selbst eine Unterstützung zu geben, die Ihre Eigenschaft, als Beamter, Ihnen eigentlich schon gebieten mußte. Statt dessen unterstützten Sie nicht allein den Ungehorsam, Sie beförderten ihn ausdrücklich. Sie haben übel gethan, junger Mann; noch aber können Sie gut machen, was Sie böse gemacht haben. Erwecken Sie Erkenntniß und Reue in dem Fürsten; halten Sie ihn ab, sich unglücklich zu machen, führen Sie ihn der trauernden Fürstin zu und bedenken Sie, wohlüberlegt, alle Folgen, welche auch für Sie daraus entspringen können, wenn das Eine oder das Andere geschieht.

Georg ließ den Brief sinken, es entstand eine lange Pause.

Was denkst Du zu thun? fragte der Greis endlich mit banger Stimme.

Zu arbeiten, wo es etwas zu arbeiten für mich giebt, und den lieben Gott walten zu lassen, erwiderte der Sohn, denn mit meiner Anstellung ist es ein für alle mal vorbei.

Gieb die Hand her, Georg, rief der alte Mann. Siehst Du, das ist der richtige Ton, darin ist Harmonie und Kraft, die aus dem Baß kommt. Wärst Du nicht schon mein Sohn, so könnte ich wünschen, Du möchtest es sein; aber wenn ich den Grafen hier hätte: o! alle Wetter, ich wollte ihm – Er schlug mit der Hand auf den Tisch und sagte dann mit Heftigkeit: Nun, thu mir den einzigen Gefallen und heirathe Antonie auf der Stelle, das ist es, noch was allein zu meinem Glücke fehlt.

Gerstenberg antwortete nicht gleich, er las den Brief des Grafen noch einmal und sprach dann vor sich hin:

Es ist nichts mehr zu hoffen. Ich sehe es deutlich genug, ihr ganzer Haß wird auf mich fallen. Wie viel gemeine Schlechtigkeit ist doch oft in denen, von welchen man zunächst die Besserung der Welt erwarten sollte. Ich komme mir vor, wie der Sündenbock des spanischen Infanten, der die Schläge bekommt, wenn sein erlauchter Freund unbesonnen gewesen ist. Meinetwegen denn; aber heirathen, jetzt, wo meine Hoffnungen so gründlich zu Grabe getragen worden, hieße das Schicksal herausfordern. – Nun haben wir sogar den Mann des Jammers bei uns aufgenommen, und denkst Du, man wird es uns danken? – Ich sehe es kommen, daß uns diese Gastfreundschaft übel ausgelegt wird. Der Henker hole alle vornehmen Häuser! so kann ich mit Mercutio Anspielung auf die Äußerung dieser Figur in Shakespeares »Romeo und Julia« (III, 1). – Anm.d.Hrsg. sagen. Wäre er ein Arbeiter, er würde dankbar sein; da er aber ein Fürst ist, wird er als vornehmer Herr denken und empfinden und danach handeln.

 

Während dies in der kleinen Wohnung verhandelt wurde, befand sich Victor in dem glänzenden Hause des reichen Bankiers. – Er saß bei Selma auf den Sammetpolstern und küßte ihre weißen Hände, zu derselben Seit, wo Antoniens Finger roth und blutig wurden bei den Arbeiten, die sie freudig that, um dem werthen Gast bei seiner Wiederkehr ein Lächeln des Beifalls abzunöthigen.

Selma hatte sich heut geschmückt, wie eine junge Fürstin, große Diamantentropfen hingen in ihren Ohren, funkelnde Steine saßen auf Brust- und Armband. Der köstliche Stoff ihres Kleides war so theuer, daß ihn Wenige bezahlen konnten; der persische Shawl von noch größerer Kostbarkeit.

In einem langen innigen Gespräch hatte Victor ihr mitgetheilt, was ihm widerfahren, nur das Letzte, das Erscheinen Josephinens, verschwieg er. Er erwähnte zum Schluß, daß er das Haus seiner Tante verlassen habe.

Selma hatte aufmerksam und lächelnd ihn angehört, nur zuweilen verfinsterte sich ihr Auge und der Spott trat auf ihre Lippen.

Ich hätte es freilich anders gewünscht, sagte sie, und habe mit leisen Hoffnungen geglaubt, daß Deine Beredtsamkeit einen besseren Erfolg haben könnte. Wir müssen uns jedoch fügen und Ersatz suchen für die Grausamkeit der Menschen, wie wir es vermögen.

Der Ersatz liegt in uns selbst, erwiderte er. Er liegt in der Reinheit unserer Neigung, in dem Beispiel, das wir den Mißgünstigen geben wollen. – In den nächsten Tagen werde ich meine Vermögensverhältnisse ordnen; meine Güter, die bisher von den Geschäftsleuten meiner Tante verwaltet wurden, übernehmen und treuen Händen anvertrauen. Dann bin ich Dein, theure Freundin. Ein neues Leben soll uns aufgehen. Ich führe Dich dazu in die reizenden Thäler und Berge, wo das Haus meiner Väter steht; dort wollen wir die Welt und alle ihre Hochmuthsträume vergessen.

Ich hätte nicht geglaubt, sagte Selma in seinen Armen, daß Du so idyllisch schwärmen könntest. Wir werden Zeit dazu haben, wenn der Sommer uns forttreibt, für jetzt aber wird es unsere Pflicht sein, dem Hochmuthe die Stirn zu bieten. – Und gestern hat mein Vater mir eröffnet, fuhr sie dann fort, daß es ihm unmöglich sein werde, sich von uns zu trennen; er will durchaus, daß wir bei ihm bleiben sollen. Diese ganze prächtige Wohnung übergiebt er uns; er selbst wird sich in dem unteren Stockwerk einrichten. Dazu hat er mir heut ein Document übergeben, das mich zur selbstständigen Besitzerin der Herrschaft Schellenberg macht. In dem herrlichen, reichen Schlosse können wir unseren Sommersitz nehmen und doch immer mit der Hauptstadt in Verbindung bleiben.

Ein unheimliches Gefühl lief durch Victors Brust. Er hatte noch nie daran gedacht, daß er mit Selma's Vater gemeinschaftlich leben und von ihm in Wohnung und Pflege genommen werden könnte.

Ich würde es vorziehen, sagte er, wenn wir dem Vater ließen, was des Vaters ist, und uns selbst einrichteten.

Wir würden ihn kränken, erwiderte Selma, denn er würde schmerzlich seine liebste Gewohnheit vermissen, in arbeitsfreien Minuten zu mir zu eilen um mich zu sehen und mit mir zu plaudern. – Du willst, daß wir uns selbst einrichten? fuhr sie fort, einen Blick über die Reihe der prachtvollen Zimmer werfend; was sollte dann aber der alte Mann allein in diesem weiten Hause und mit seinen Einrichtungen beginnen? Das hat viel Geld gekostet, warum sollen wir es fortwerfen? Und obenein, da Du kein eigenes Haus besitzest, müßte eines gekauft werden, verändert werden, und gebaut werden nach unserem Geschmack. Du hast Deine Tante verlassen, wie hast Du so schnell eine passende Wohnung gefunden? Ich möchte wetten, Dein vortrefflicher Vetter, Graf Heinrich, hat aus der Noth geholfen.

Nein, erwiderte Victor, für den Augenblick hat mich Gerstenberg aufgenommen.

Selma schlug ein lautes Gelächter auf. –

Dahin bist Du gerathen! rief sie. In die abgelegene Straße, um Bescheidenheit zu lernen. Aber das geht nicht an, Du kannst nicht dort bleiben.

Auf kurze Zeit, fiel er ein, wird die Unbequemlichkeit nicht zu groß werden.

Die Tochter des Bankiers dachte einen Augenblick nach und betrachtete ihren Verlobten mit lächelnder Ueberlegenheit. Es ist wirklich wahr, lieber Victor, sagte sie, was die Spötter von Dir behaupten. Du fragst nicht nach den Weltverhältnissen und stehst ihnen fremd gegenüber. Diese Erhebung macht Dich sehr liebenswürdig, allein sie kann nicht immer durchgeführt werden. Ich achte Deinen Freund Gerstenberg und liebe die verständige, freundliche Antonie, doch vergessen läßt sich nicht, was die verschiedenen gesellschaftlichen Standpunkte bedingen.

Ich weiß wirklich nicht, sagte Victor, was sie bedingen könnten?

Aber, mein Gott! rief das Fräulein noch herzlicher lachend, siehst Du denn nicht, daß es das sonderbarste Aufsehen erregen muß, wenn der Fürst Karlsberg in einer Winkelgasse sich niederläßt, in dem Augenblick, wo er vor der Gesellschaft mit seiner Braut erscheint? – Wir müssen unsere Visiten machen. – Wo wohnt der Fürst? In der Färberstraße hat ihm der Baumeister Gerstenberg ein Zimmerchen eingeräumt. Nach der Färberstraße also geht der Zug der Gesellschaft, und sie staunt und klatscht Beifall über die wunderbare Metamorphose.

Sie klatschte unendlich belustigt dabei selbst in die Hände. Victor erröthete, aber er sagte gelassen:

Morgen oder übermorgen werde ich mir eine Wohnung nehmen, die den Ansprüchen der vornehmen Leute genügt, für heut aber bleibe ich bei Freunden, deren Theilnahme und Güte mir ein Trost ist und mich innig rührt.

Herr von Eyben kam, und Selma erzählte ihm die Zerwürfnisse, welche der kluge, alte Herr mit Aufmerksamkeit anhörte. –

Es wäre besser gewesen, sagte er dann, wenn man mit größerer Geschicklichkeit operirt hätte, ganz besonders aber gefällt mir die Art, wie der Herr Baumeister Gerstenberg sich eingemischt hat, durchaus nicht. – Dieser Mann hat eine sonderbare Rolle bei Ihnen übernommen, gewissermaßen die Rolle eines hofmeisternden Vormundes. Ich muß Sie bitten, sich vor ihm zu hüten.

Er ist der beste, treueste Freund, dem ich ganz vertraue, erwiderte Victor. Es ist kein geringes Opfer, das er mir gebracht hat, wenn er alle die Vortheile, welche ihm der Minister verschaffen konnte, ausschlug um der Wahrheit willen.

Was hat er damit genützt? rief der Bankier. Was hat er geholfen? Er hat Oel ins Feuer gegossen, den Minister gegen sich aufgebracht und bewirkt, daß eine harte Trennung eintrat. Hätte er weise geredet, vermittelt und überzeugt, so würde es besser für alle Theile gewesen sein.

Er ließ sich auf Erklärungen über das Vermögen des Fürsten ein, über Verwaltung und Verbrauch, und forderte ihn dann auf, eine genaue Rechnungslegung zu verlangen, indem er bemerkte, daß er glaube, es müsse ihm eine bedeutende Summe herausgezahlt werden.

Das wird nicht der Fall sein, erwiderte Victor, da ich seit Jahren Alles, was ich nicht bedurfte, zu milden Stiftungen und wohlthätigen Zwecken habe verwenden lassen.

Herr von Eyben zog eine Falte zusammen und schüttelte verstimmt den Kopf. Sie haben freilich nicht gewußt, daß das große Vermögen Ihres Onkels Ihnen einmal nicht zufallen könnte, und zweifelhaft bleibt es, ob es Ihnen genommen werden kann. – Wenn es geschieht, muß es wenigstens zum Proceß gebracht werden, im Fall es nicht glückt, anderen Einfluß geltend zu machen.

Ich werde weder mit meiner Familie einen Rechtsstreit beginnen, noch überhaupt mich um Protectionen bewerben, sagte Victor mit Nachdruck.

Der Ton war so bestimmt, daß Herr von Eyben schwieg, aber er ärgerte sich darüber und in seinem Innern stieg der geheimste Wunsch seines Herzens grollend auf, während er lächelnd meinte, es sei jetzt freilich keine Zeit, von Angelegenheiten zu reden, die schon von selbst sich ihr Recht verschaffen würden.

Selma, die sich entfernt hatte, kam zurück und beendete die Unterredung durch den Vorschlag, eine Spazierfahrt nach der Promenade im Park zu machen. –

Es wird dort heut alles versammelt sein, was sich zur guten Gesellschaft rechnet, sagte sie. Die Prinzessinnen fuhren hinaus, der Hof versammelt sich. Unser Erscheinen wird Aufsehen erregen, aber wir müssen uns darein finden, und eigentlich freue ich mich auf die erstaunten Gesichter. Je schneller wir darüber fortkommen, fuhr sie muthwillig fort, um so besser. Wir werfen die Bomben mitten in das feindliche Pulvermagazin und sprengen es in die Luft, ehe die Neuigkeitshelden ihre Waaren langsam an den Mann bringen können.

Das Geräusch eines anfahrenden Wagens unterbrach sie.

Es ist die Fürstin! rief Herr von Eyben ein wenig erschrocken.

Die glänzende Equipage von vier Pferden gezogen hielt vor dem Hause. Die Bedienten hoben ihre Gebieterin heraus. Sie warf einen Blick nach den Fenstern empor, erkannte Selma und nickte ihr freundlich zu.

Sollte es möglich sein! rief diese freudig überrascht. Ist sie versöhnt und kommt, um Glück zu verbreiten?

Ich weiß es nicht, erwiderte Victor bewegt, doch sie besaß immer ein mildes Herz. Sie thut den Armen wohl, sie beschützt die Leidenden. Geh ihr entgegen, theuerste Selma, ich werde hier erwarten, was sie uns bringt.

Herr von Eyben hatte die Fürstin auf der Treppe empfangen und führte sie Selma entgegen, vor deren glänzender Gestalt sie einen Augenblick betrachtend stehen blieb.

Sie sehen mich schon wieder, sagte sie, ihr die Hand reichend, und wahrscheinlich ehe Sie es dachten. – Herr von Eyben, gestatten Sie mir mit Ihrer Fräulein Tochter ein Gespräch ohne Zeugen.

Mit Vergnügen, durchlauchtigste Frau, erwiderte der Bankier, aber lassen Sie mich hinzufügen, daß ich im Voraus einverstanden bin mit Allem, was Selma über sich beschließt. – Ich habe die Verhältnisse nicht herbeigeführt und bin ihnen nicht entgegen; übrigens ist meine Tochter mein einziges Kind, und darin liegt Alles, was ich sagen kann.

Ich verstehe, erwiderte die Fürstin. Sie wendete sich zu Selma und sagte lächelnd: Sie sind reich, jung und schön; Sie haben so viele Vorzüge für sich. Ihr Vater ist hochgeachtet vor der Welt, er besitzt das Vertrauen der höchsten Personen. Es ist schmeichelhaft und ehrenvoll, von Ihnen bevorzugt zu werden, und wer das Glück hat, Ihre Liebe zu erringen, muß zu den Beglücktesten gezählt werden.

Gnädigste Frau versetzte Selma ihre Hand küssend, Sie sind sehr gütig.

O! ich verzeihe es Victor, wenn er dies Glück gesucht und dafür Alles eingesetzt hat, fuhr die Fürstin fort. Lassen Sie uns aufrichtig und vertrauensvoll sprechen. Sie haben keine Mutter; denken Sie, ich sei es, und glauben Sie mir, daß Niemand innigeren Antheil für Ihr wahres Wohl nehmen kann.

Alles, Alles glaube ich, erwiderte Selma bewegt. Es giebt nichts, was mich inniger rühren könnte, als diese liebevolle, mütterliche Theilnahme.

Die Fürstin nahm die beiden Hände des Fräuleins und blickte sie mit Innigkeit an. –

Sie lieben den Fürsten, meinen Neffen, sagte sie. Ich glaube, daß es so ist, und will nicht fragen, wie diese Neigung sich in wenigen Tagen, bei wenigen Zusammenkünften, entwickeln konnte. Die Liebe, welche im Anschauen entsteht, ist eine geheimnißvolle Macht, von der Niemand sich Rechenschaft zu geben weiß; aber eine andere Frage ist es, ob ein solches plötzliches Aufflammen der Gefühle auch Dauer haben kann.

Ich hoffe, sagte Selma erröthend, daß unsere Liebe unwandelbar sein wird.

So meinen Sie, theueres Kind, rief die Fürstin, aber Victor ist ein ernster, verschlossener, launenhafter Mann von sonderbaren Grillen und heftiger Gemüthsart. Er ist zugleich in einer Sphäre geboren, die ihn von früh auf in ganz andere Kreise versetzte, wie die, in welchen Sie gelebt haben.

Gnädigste Frau, erwiderte das Fräulein in stolzerem Tone, ich wüßte nicht, daß meine Geburt mich in Kreise gebannt hätte, welche irgend einen Mann zurückscheuchen könnten.

Ich will Sie nicht kränken, liebes Kind, sprach die Fürstin, aber ist es Ihnen nie eingefallen, daß bei aller Bildung und allen Ansprüchen an gesellschaftliche Gleichheit, es doch Unterschiede giebt, die nicht aufzuheben sind?

Selma schlug die Augen groß zu der stolzen Dame auf.

Sie, gnädigste Frau, versetzte sie, die Sie so eben mir Ihre mütterliche Theilnahme versicherten, stehen zu hoch, um solche Unterschiede anzuerkennen.

Sie haben vielleicht Recht, antwortete die Fürstin mit einiger Verwirrung, ich gestehe zu, daß es Umstände geben kann, wo Bildung, Schönheit und Reichthum zur Zierde eines Thrones gereichen können, und aus der Tagesgeschichte giebt es ja Beispiele genug, daß die Töchter reicher Handelsleute sich mit den Söhnen achtbarer Landesfamilien verheiratheten; ja, ich will Ihnen zugeben, daß, wenn Victor vor längerer Zeit mich mit seinen Neigungen bekannt gemacht hätte, ich weiß nicht was geschehen sein würde; allein jetzt jetzt ist es uns möglich!

O, mein Gott! sagte Selma erblassend, und die Hände an ihre Brust pressend, fügte sie hinzu: Ist es so gemeint mit ihrer Theilnahme, Frau Fürstin?!

Hören Sie mich an, mein liebes Kind, fuhr die Dame fort, und prüfen Sie, was ich sage. – Ich will Ihnen nicht das wiederholen, was Sie längst wissen werden. Victors Vermögen, seines Hauses Ehre und Zukunft, seines Lebens Berechtigungen, Alles, was seine Väter auf ihn vererbten, hängt von der Verbindung ab, die wir Alle von ihm erwarten. Wollen Sie sich gewaltsam in sein Leben, gewaltsam in unsere Mitte drängen? Wollen Sie zerstörend eingreifen in das Glück und den Frieden eines Hauses, das Sie unmöglich mit Freuden aufnehmen kann?! Bedenken Sie, was damit nothwendig zusammenhängt. Ich wage es nicht weiter zu berühren, ich wage nicht, Ihnen zu zeigen, wie einsam und fremd, ohne Liebe, ohne Berührung Sie immer unter Fremden bleiben, die Sie als einen Eindringling betrachten, heimlich verspotten und vielleicht übermüthig kränken.

O nein! O gewiß nicht! rief das Fräulein, indem sie die Hände fallen ließ und ihr schönes, zürnendes Gesicht erhob. Ich werde keine Kränkungen erfahren; ich werde mich davor zu behüten wissen. Sie haben für Victor gewählt; es ist nicht meine Schuld, daß er diese Wahl verwirft. Er hat sein Herz mir zugewandt, ich habe nicht gefragt, ob es der Fürst Karlsberg war.

Ich glaube doch kaum, fiel die Fürstin lächelnd ein, daß ein Herr Karlsberg schlechtweg dies Herz so leicht gerührt hätte.

Diese Bemerkung, von einem jener Blicke begleitet, die triumphirend bis in die tiefsten Falten der Seele dringen, färbte Selma's Wangen mit dem dunkelsten Roth.

Lassen wir das, sagte die Fürstin, aber Sie werden daran erkennen, wie wenig Sie selbst von der Macht der Lebensverhältnisse ausgeschlossen sind. Victor liebt Sie, sagen Sie, und ich bin hartherzig genug, ihm eine Ungeliebte aufzudrängen. – Er kennt nicht die, welche ich für ihn bestimmt habe. Ein unglückliches Geschick hat es so gewollt, daß er sie nicht eher sah, bis es zu spät war. Hätte er dies edle, unschuldige Gemüth erkannt, o! gewiß, es wäre anders mit ihm geworden.

Gnädigste Frau, erwiderte Selma tief athmend und ihre Bewegung kaum mehr beherrschend, ich bin in der That in einer unheimlichen Lage. –

Zorn und Stolz glänzten in ihren Augen; sie fühlte sich aufs Tiefste beleidigt, herabgewürdigt von einer alten Frau, die im Gefühle ihrer angeborenen Hoheit ihr das Härteste zu sagen wagte, als sei alle Rücksicht überflüssig, und in deren Gesicht sich ein feindlicher und höhnender Zug immer deutlicher zeigte.

Es mag sein, sagte Selma abgebrochen, daß Victor alle Ihre Wünsche durchkreuzt hat, daß meine Wahl, trotz meines Vaters Achtbarkeit, wie Sie es nennen, Ihnen auch dauernd nicht zusagt. Mögen Sie Alles antasten, Ihnen Alles nicht genügen, allein meine Liebe darf ich keiner Kritik überlassen, ich bestreite jedes Recht darauf. Ich liebe Victor, die aber, welche Sie ihm bestimmten, liebt ihn nicht. Sie kennt ihn nicht; darf sie erwarten, daß er sie lieben werde? Kann Victor hoffen, jetzt noch ihre Liebe zu erwerben, wenn er gezwungen ihr seine Hand wirklich reichen wollte?

Darüber beruhigen Sie sich, liebes Kind, erwiderte die Dame. Unsere Töchter machen ihre Partien mit dem Bewußtsein der Pflicht und des Gehorsams. Wir alle haben das gethan und sind glücklich geworden. Auch ich habe meinen Gemahl nicht eher gesehen, wie am Tage vor der Hochzeit. – Was aber Josephinen betrifft, so hat sie von Victor seit Jahren erzählen gehört; sie hat ihn aus Briefen kennen gelernt. Sie sind im Irrthum, wenn Sie glauben, Josephine wäre kalt geblieben. – O armes Kind, rief sie wehmüthig, es wäre ein harter Schlag für Dein zärtliches Herz, wenn Du wirklich den Raub ertragen müßtest!

Das ist zuviel, gnädigste Frau, allzuviel! rief Selma aufstehend. Ich halte Victor nicht ab, das zärtliche Herz, das ihn erwartet, neu zu beleben; ich hindere ihn nicht, sein kaum gegebenes Wort zu brechen. Er ist frei, gänzlich frei! – Mit raschen Schritten war sie bis in die Mitte des Zimmers gelangt, um die Thür des Kabinets zu öffnen, als diese sich aufthat und Victor ihr entgegentrat.

Ohne ein Wort zu sagen, ergriff er ihre Hand und führte sie zu der Fürstin zurück. – In seinen Blicken lag für Selma eine belebende Energie, sie strahlten eine Entschlossenheit aus, die mit bezaubernder Süße durch ihre Brust drang. – Ihr Zorn, ihre Zweifel, ihre quälenden Schmerzen waren plötzlich verschwunden; sie sah in der Fürstin die Verwandte ihres Geliebten, und sie demüthigte ihren Stolz noch einmal, als sie die sanften Worte Victors hörte.

Ich habe alles gehört, was Du sagtest, sprach der junge Mann, und wenn ich niemals erwogen hätte, was ich gethan, so würde dies der Augenblick gewesen sein. Du kennst mich jedoch zu gut, theuerste Tante, um von mir zu glauben, daß der Augenblick, oder ein plötzlicher Sinnenrausch eine große Gewalt auf mich üben könnten.

O Victor! erwiderte die Fürstin seufzend, daß Du so vor mir stehen mußt! Was kann es sein, wenn es nicht der Augenblick war, oder Dein starrer, ungläubiger Sinn, der sich immer dem Schicklichen und Geordneten widersetzt hat?

Ist denn Selma nicht mein bester Fürsprecher bei Dir, erwiderte Victor. Unter allen Menschen auf Erden möchte ich nur Dich versöhnt wissen; nur jetzt reiche mir Deine Hand und gieb uns Frieden. Du wirst sie kennen lernen; ihr Geist, ihre Liebenswürdigkeit werden Dich nicht ungerührt lassen. O! wende Dich nicht ab! Du bist zu gut, zu lange meine einzige mütterliche Freundin gewesen, um Dich jetzt von mir zu wenden.

Der sanfte traurige Ton, in welchem Victor sprach, blieb nicht ohne Eindruck. Die Fürstin weinte, und ließ ihm ihre Hand, die er zärtlich küßte.

Selma aber, plötzlich ergriffen von der Gewalt des Augenblicks, streckte bittend die Arme aus und zu den Füßen der strengen Frau niedersinkend, rief sie leise:

Haben Sie Mitleid mit uns; o sagen Sie, daß Sie mir verzeihen.

Die Fürstin trat zurück; ihre Rührung war vorüber, die Wirkung dieses letzten Mittels völlig verfehlt. – Mit einem Blick des Hohnes betrachtete sie das knieende Mädchen und den Arm ihres Neffen festhaltend, rief sie ihm zu:

Komödie spiele ich nicht, dazu ist keine Zeit! Bei Deiner Ehre, bei Deinem Namen und Allem, was Dir heilig sein muß, entscheide zwischen uns!

Ohne ein Wort zu erwidern, machte Victor sich frei und hob Selma auf, die ihren Kopf an seiner Brust verbergend einer Ohnmacht nahe war.

Es ist nicht möglich! rief die Fürstin, die Hände krampfhaft faltend, daß Du ihretwegen mit Deinem ganzen Leben brechen willst.

Tante! sagte Victor, was auch geschehen mag, ich fordere Achtung vor meiner Braut!

Vor ihr! erwiderte die Fürstin, Alles aufgebend. Führe sie auf die Straße, laß Herolde ausrufen, daß der Fürst Karlsberg seiner unbefleckten Familie entsagt. Handle und schachere dann mit Deinen neuen Verwandten, sie werden Dir Mittel an die Hand geben, wie man billig zu Gütern und Herrschaften kommt, und lege Deinen Namen ab, nenne Dich Eyben, das ist die letzte Bitte, die ich an Dich habe.

Gnädigste Frau, rief Selma mit glühendem Gesicht sich aufrichtend, mein Vater hat nicht auf der Landstraße als Stegreifritter seinen Namen und sein Vermögen erworben. Hier sind Sie in seinem Hause.

Nicht auf der Landstraße, sagte die Fürstin sich abwendend und nach der Thür gehend, nein, aber mit dem Pack auf dem Rücken! –

So entfernte sie sich und ließ einen Fieberschauer von Scham und glühendem Haß in Selma zurück. –

O, Gott! rief sie, die Hände vor ihre Augen drückend, das darf sie mir sagen! Victor, das Alles um Dich!

Laß es meine Sorge sein, Dir Genugthuung zu verschaffen, erwiderte er. Verachte diese Kränkungen, sie können Dich nicht treffen. Beruhige Dich, geliebte Selma. – Laß den Wagen vorfahren, wir wollen auf die Promenade. Laß uns nicht länger zögern, daß ich öffentlich bekenne, mitten unter dem Schwarm, wie wenig sein Beifall oder sein Tadel mir gilt.

Unter seinen zärtlichen Liebkosungen beruhigte sich ihr tief gekränktes Gemüth. – Er saß ja an ihrer Seite; um ihretwegen hatte er Allem entsagt. Die ganze Größe seiner Liebe stand in diesem Augenblick vor ihr und machte sie demüthig. Dann mischte sich eine rachsüchtige, stolze Freude hinein, und das Bewußtsein des Gewichtes, das dem Golde ihres Vaters gebührte.


10.

Nach einer halben Stunde fuhr die glänzende Equipage des Herrn von Eyben auf die Promenade. – Es war ein offener Halbwagen, Victor und Selma befanden sich allein darin. – Die Promenade war gefüllt mit der vornehmen, feinen Welt; erstaunte Mienen, überraschte Blicke begleiteten das schöne Paar, und einige verworrene Gerüchte, die sich verbreitet hatten, unerklärlich, wie Gerüchte meist sind, fanden plötzlich Ueberzeugung.

An Victors Arm ging Selma lächelnd und grüßend durch die Menge der Freunde und Bekannten; jeder Augenblick verschaffte ihr einen neuen Triumph. Jedes Geflüster, jeder halblaute Ausruf ließ ihr Herz stolzer schlagen; endlich um eine Ecke biegend stand Graf Heinrich vor ihr, und trotz seiner vollendeten Gesellschaftsformen und seines Rufes, nichts zu bewundern und über nichts zu erschrecken, schien er zu erstarren, denn seine Hand blieb unbeweglich am Hut, als er seinen ernsthaften Vetter betrachtete.

Ich freue mich, Sie im Lichte wandeln zu sehen, und dennoch glaubte ich mich getäuscht zu haben, rief er aus. –

Das heißt, sagte Selma lächelnd, Sie wissen noch immer nicht recht, was Licht, was Schatten ist.

Der Schatten meines theuren Vetters, erwiderte der Graf lachend, bringt allerdings fast eine Sonnenfinsterniß in mir hervor.

Es soll Dir sogleich hell werden, erwiderte Victor. Ich stelle Dir meine Braut vor und lasse die neue Sonne vor Dir aufgehen.

Ich schirme mich vor ihren verzehrenden Strahlen, rief der Graf, aber ich wünsche dem neuen Phöbus Apollo das beste Glück.

Ueberrascht es Sie nicht? fragte Selma, als er schwieg.

Keinesweges, erwiderte er. Ich konnte es ahnen, es mußte so sein. Mein Vetter hat immer nach dem Außerordentlichen gerungen, immer das Höchste begehrt. Wie Faust, unbefriedigt mit dem Loose gewöhnlicher Sterblicher, hat seine dürftige Seele sich Flügel gewünscht, um mit Geistern im Dämmerschein zu schweben und, von allen irdischen Banden befreit, mit Göttern durch ihre Himmel zu stürmen. – Glücklicher Victor, wie bist Du zu beneiden! Meine Glückwünsche, meine innigsten Glückwünsche! – Faust und Gretchen! – Welche liebliche, pikante Zukunft! – Mir schwebt eine Fülle von Gedanken vor, die ich ordnen muß. Ich komme sogleich, vielleicht gelingt es mir, Dichter und Prophet zu sein. Mit diesen Worten hing er sich grüßend an den Arm eines Herrn, der mit Anderen ihm entgegen kam, und kehrte um.

Er ist immer spaßhaft oder boshaft, sagte Selma verletzt.

Er macht nur den Anfang, fügte Victor lächelnd hinzu, Andere werden nachfolgen. Warum sollten sie auch nicht?

Victor hatte vollkommen Recht. – Nach einiger Zeit gingen sie den Weg zurück; wenige Minuten hatten hingereicht, das merkwürdige Ereigniß allgemein bekannt zu machen und eine Verschwörung zu Stande zu bringen. – Der auserwählte Kreis, welcher sich die Creme der Gesellschaft nennt, hatte sich zusammen gethan, um einen stillschweigenden Contract zu schließen, der ihre Mißbilligung und Verachtung sogleich fühlbar machen sollte. – Man wendete sich ab, wenn die beiden Verfehmten vorübergingen, man bemerkte sie nicht, man sprach und lachte laut, man lorgnettirte sie von Weitem und kehrte um, wenn sie näher kamen.

Victor schien kaum darauf zu achten. Er unterhielt sich mit seiner schönen Begleiterin über den nahenden Sommer und ihre Sommerreisen; als er einige Male versucht hatte, bekannte Personen zu grüßen, fand er es nicht mehr der Mühe werth, sich weiter damit abzugeben. Selma's Gesicht aber brannte vor Unmuth. Sie sah, wie Viele sich abwandten und spöttisch auflachten, die noch vor wenigen Tagen einen Blick von ihr eifrig gesucht hatten, und sie zitterte vor Zorn über die absichtliche Kränkung.

Plötzlich aber zitterte auch Victor. Dicht vor ihm auf dem schmalen Wege erblickte er den alten Grafen, der Josephinen am Arm führte, und neben ihm ging die Fürstin im eifrigen Gespräch mit seinem Vetter, dem Grafen Heinrich.

Zu stolz, am an irgend einen Rückzug zu denken, fühlte er doch seine Kraft schwinden. Das lähmende Gefühl einer ungeheuren Last drückte auf seinen Kopf und eine falte Hand drückte sein Herz zusammen. – Fremd, ausgestoßen, unbeachtet stand er da; er bedurfte einer großen Anstrengung, um vorwärts zu schreiten, und wie er hinüberblickte, sah er in die grauen, weitgeöffneten Augen des Ministers, der seinen Gruß mechanisch erwiderte und die schwankende Gestalt an seiner Seite weiter führte. – Die Fürstin lehnte sich auf Graf Heinrichs Arm, als wollte sie sich im äußersten Erschrecken festhalten; dieser zuckte unmerklich die Schultern und warf seinem Vetter einen Blick zu, der ihm sagte: So mach doch, daß Du hier fortkommst!

Eine wilde Entschlossenheit war Alles, was Victor empfand. – Man merkte nichts von dem Sturm in seiner Brust, er sprach ruhig und freundlich weiter, ohne mit einem Worte des Geschehenen zu gedenken.

Wir wollen noch einmal umkehren, sagte er. –

Selma lehnte es ab.

Ich bin sehr ermüdet, erwiderte sie. Die Frühlingsluft macht matt, und die neugierigen Gesichter sind langweilig.

Wir werden der Neugier Genugthuung geben müssen, bis sie gesättigt ist und uns vergißt, antwortete er dagegen.

Ich denke, wir finden immer wieder Gelegenheit, uns in Erinnerung zu bringen, sagte das Fräulein; passende Gelegenheit, um diese Neugier bezahlt zu machen.

Beide verbargen ihren Unmuth; aber als Victor neben Selma im Wagen saß, drückte er ihre kleine Hand und flüsterte ihr zu:

Heinrich hat uns den Faust citirt, so wollen wir denn nach ihm uns richten. – Man ist gewöhnt, daß die Menschen verhöhnen, was sie nicht verstehen; daß sie zu dem Guten und Schönen, was ihnen nicht genehm ist, murren. – So laß sie denn murren. Ich bin bei Dir, geliebte Selma. In der Mitte seiner Feinde und Neider fühlt man erst recht den wahren Muth erwachen, um sein Glück zu behüten und zu bewahren. –

Ein langer Blick der Liebe belohnte ihn.

 

Spät am Abend erst verließ Victor das Haus des Bankiers und verfolgte im tiefen Nachsinnen den Weg zu der einsamen Straße, wo Gerstenberg wohnte. Die Unruhe, welche tief im Grunde seines Herzens lag, brach gewaltsam jetzt hervor, da er allein war mit allen seinen Gedanken. – So lange er Selma nur sah, konnte er vergessen, aber eine schwarze Kluft trennte sie von ihren Umgebungen, von ihrem Vater, der am Abend den übeln Eindruck noch verstärkt hatte, den seine Vorschläge und Anmuthungen schon am Morgen in Victor hervorgerufen.

Mitten in die Liebesgespräche, Pläne und Entwürfe des jungen Paares war Herr von Eyben ziemlich verstimmt aus dem Casino zurückgekommen. Er hatte dort ein ganz ähnliches Schicksal gehabt, wie Selma auf der Promenade. – Die Neuigkeit der Verlobung seiner Tochter mit dem jungen Fürsten war in Aller Munde und die vornehmen Herren, welche das Casino besuchten, machten ihren Aerger in empfindlicher Weise Luft. Spöttische Glückwünsche mit allerlei Anspielungen auf den fürstlichen Schwiegersohn wurden ihm gemacht; Andeutungen über die Meinung der höheren Kreise, über die Aechtung des pflichtvergessenen Fürsten und über die feindlichen Zerwürfnisse mit seiner ganzen Familie fehlten nicht. Dazu kamen Winke, wie man in den höchsten Regionen die Sache aufnehme und wie der junge Fürst niemals hoffen dürfe, eine Annäherung und Vergebung zu gewärtigen; endlich aber nahm ein Freund des Bankiers diesen allein, um ihm zu erzählen, daß man am Hofe empört sei über das Beispiel des Leichtsinns und der Eitelkeit seiner Tochter, wie über seine eigene Schwäche, welche die übelsten Folgen zu erwarten habe.

Der alte Herr lächelte dazu, er wußte besser, was er werth war. Er schlug leise auf seine Tasche und sagte, fein mit dem Kopfe nickend:

Wir wollen's abwarten, ob der Jakob von Eyben ihre Gunst braucht, oder ob sie ihn nöthig haben.

Aber, erwiderte der Freund, wenn es einmal ein Graf, Fürst oder Herzog für Selma sein sollte, warum denn gerade dieser, der doch wahrhaftig nicht allzu liebenswürdig ist, und dessen ganzes Vermögen gerade davon abhängt, daß er die Enkelin des alten Reizenstein heirathet?

Aus dem folgenden Gespräch erfuhr Herr von Eyben mit aller Bestimmtheit, daß das Vermögen des Fürsten ein mäßiges sei, wenn die Erbschaft seines Oheims nicht auf ihn übergehe, und daß nichts weiter als ein betitelter Landedelmann in diesem Falle übrig bleibe.

Herr von Eyben kehrte mißgelaunt nach Haus zurück und wurde durch den Verkehr mit dem schweigsamen, kalten jungen Herrn nicht froher. – Wenn er noch dankbar gewesen wäre; wenn er sein Glück erkannt hätte; wenn er es verstanden hätte, die Eitelkeit des alten Herrn durch ein anschmiegendes Wesen, oder durch scharfsinnige Bemerkungen und Lobeserhebungen zu reizen! Aber nichts, was gefällig an ihm gewesen wäre.

In seinen Blicken und Mienen lag etwas Düsteres und nach den ersten erneuten Versuchen, die Vermögensverhältnisse nochmals zur Sprache zu bringen, stand der Bankier davon ab. Er fand nicht die geringste Spur von Wahlverwandtschaft zwischen sich und diesem jungen Mann und begriff nicht, wie Selma an ihm Geschmack finden konnte. Er war schlank, männlich schön und von stolzer Haltung, aber so unbiegsam wie ein Eichbaum, und nur mit sichtbarem Widerstreben hatte er es angenommen, die Wohnung zu beziehen, welche Eyben sofort auf Selma's Betrieb in der Nähe hatte miethen lassen.

Jetzt ging Victor durch die stillen Straßen und in ihm kämpften feindliche Gewalten. Bald glaubte er in eine unergründliche düstre Ferne zu blicken, vor der ihm schwindelte, bald wieder hellte es sich auf in ihm und ein Strom von Energie, oder Trotz, füllte sein Herz. – Er wußte nicht, wie es kam, aber er hatte den Weg nicht richtig verfolgt und stand nun plötzlich still vor dem Hause seiner Tante, als hätte eine geheime Gewalt oder die Macht der Gewohnheit ihn dorthin gezogen.

In dem Augenblick wurde die Thür geöffnet und Graf Heinrich sprang die Stufen der breiten Vortreppe herunter. Er erkannte Victor, ehe dieser sich abwenden konnte, und in der nächsten Minute ging er Arm in Arm mit ihm weiter.

Ich habe diesen Abend bei Deiner Tante verlebt, begann er, da ihr Summer so heftig ist, daß es Noth thut, ihr ein wenig mittragen zu helfen. Zwar wohnt Josephine Pronary bei ihr, der Graf hat es so gestatten müssen, weil die Fürstin sich nicht von dem liebenswürdigen Mädchen trennen wollte; aber es ist eine üble Aufgabe, vergessen zu machen, was nicht vergessen sein will. Zuletzt helfen immer noch am besten die Karten. Die Fürstin, der Graf, und die Gesellschafterin spielten ihre Partie; ich aber spielte mit der armen Kleinen am Instrument und führte sie auf Flügeln des Gesanges fort in die Welt der Träume und der Töne.

Sie hat sich von ihrem Unfalle erholt? fragte Victor.

Welcher Unfall? sagte der Graf. Ah, Du meinst heut früh. Ich habe von der Fürstin gehört, was sich zugetragen hat. Sie hatten das arme Kind dorthin aufgestellt, um in Deine Arme zu sinken, sobald die Angelegenheit sich geordnet hatte. Statt dessen sank sie vor Schrecken um, als Du Deinen souverainen Willen kund gabst.

Ich wollte, daß es nie dahin gekommen wäre, erwiderte Victor.

Was thut Dir denn leid? fragte Graf Heinrich. – Ist die Stunde der Reue schon jetzt gekommen?

Mit welchem Rechte glaubst Du mich darnach fragen zu dürfen? erwiderte Victor gereizt.

Ich finde Dich an ihrer Thür stehen, sagte sein Vetter, in Betrachtungen versunken, ernste Blicke auf die Stätte gerichtet, wo, wie Du weißt, die Freude jetzt nicht wohnen kann.

Lebe wohl! sprach Victor, seinen Arm freimachend und sich entfernend.

Nein, rief der Graf, so sollst Du nicht von mir scheiden. Laß uns ohne alle Gereiztheit über eine Sache sprechen, die zu ernst ist, um mit einem raschen Wort abgeschnitten zu werden, und mich zu nahe angeht, um nicht meinen ganzen Antheil zu erregen. Du hast Dich mit Selma von Eyben verlobt und ich muß Deinen Geschmack anerkennen. Ich habe ihr selbst meine Huldigungen eine Zeit lang gewidmet; sie ist allerliebst, voller Capricen, geistvoll, über die Alltäglichkeit hinaus und dabei eine schöne aristokratische Natur, die mit feinen Lippen den Schaum vom Leben zu schlürfen versteht.

Ich danke Dir, sagte Victor.

Ich weiß nicht, warum, fiel Graf Heinrich lachend ein, denn verstehe mich wohl, Victor, was ich sage, darf Dich nicht beleidigen, aber diese stolze, herrschsüchtige, lebens- und genußwarme Natur, dies verzogene Schoßkind eines goldbeladenen Vaters, das von jung auf seine Launen als Gebote und Gesetze behandelt sah, paßt nicht für Dich. Ihr seid zwei harte Steine, die zu hart sind, um gut zusammen mahlen zu können.

Es mögen die zumeist sich hüten, welche diese harten Steine trennen wollen, erwiderte Victor.

Sei ohne Sorge, sprach der Graf. Wer will Euch trennen und kann Euch trennen, wenn Ihr es nicht selbst thut?! Du bist der souveraine Herr Deines Willens und hast das gezeigt. Du hast heut mit der Energie eines modernen Freiheitshelden alle Bande zerrissen, welche sich dagegen anstemmten, und ich tadle Dich durchaus nicht. Jeder Mann muß nach den Gesetzen seiner wahrhaften Natur handeln. Die Deine ist eine durchaus rebellische; sie stemmt sich gegen Alles an, was alte Satzung und abgeschlossenes Herkommen heißt. – Es wird Leute genug geben, die Dich nicht tadeln, viele sogar, die Dich loben und preisen werden. Ein paar Millionen wiegen in unserer Zeit eine Fürstenkrone auf, und eine reiche Erbin ist mehr werth als fünfzig Ahnen in Bleisärgen.

Ich habe daran nicht gedacht, sagte Victor stolz.

Ich bezweifle es auch nicht, rief der Vetter, Du bist eine zu noble Natur, um zu speculiren, und bist selbst zu reich, um auf Reichthum viel zu geben. Aber eben darin liegt der Unterschied zwischen Euch. – Du giebt nichts auf das Geld, jene da, Deine neuen Verwandten, Alles. Aus ihnen hat das Metall gemacht, was sie sind, sie haben daher auch keine Achtung vor irgend Etwas auf Erden, als vor dem rothen Panzer, in dem ihre Herzen schlagen und durch dessen Schienen sie empfinden. Du verlierst Dein Vermögen größtentheils, Du wirfst es hin, um Selma's vergoldete Finger zu küssen. Nimm Dich in Acht bei dem Tausch, theurer Freund! – Du kommst zu ihnen, ohne ihnen viel mehr mitzubringen wie Deine Titel und Wappen. Ihre Eitelkeit übersieht alles Weitere vor der Hand, aber wenn diese Eitelkeit befriedigt ist, was dann? – Jakob von Eyben wird seine Kasse aufthun und Selma, mit ihrem Raffinement für das Theuerste, Erste und Prächtigste, wird Deine Salons mit Glanz und Herrlichkeit füllen, Dein Schwiegervater wird bezahlen, ungeheuer bezahlen und im Stillen sich hinter den Ohren kratzen über den theueren Schwiegersohn. Du wirst Dich in diesen Festen und Modetollheiten der Salonwelt aber eben auch nicht ganz behaglich finden. Du bist an Einfachheit gewöhnt, Du liebst das Stille, das gediegene Beisammensein in kleinen Kreisen, und obenein wirst Du Dir sagen, daß die Salondame, die Deine Frau ist und deren Ehrgeiz alle diese rauschende Lust und so vielen Tand fordert, nicht allein ganz andere Geschmacksnerven besitzt, sondern daß sie es auch ist, deren Geld das Alles möglich macht.

Du verstehst mich, was sich weiter daran knüpft, fuhr er fort, als Victor schwieg. – Es ist lächerlich, darüber etwas sagen zu wollen, daß ein Mann das Geld seiner reichen Frau vertilgen hilft, das ist an sich ganz in der Ordnung. Man heirathet ein reiches Mädchen, wenn man nichts oder wenig besitzt, um ihren Reichthum dafür einzutauschen. Ich meinerseits würde auch wenig danach fragen, ob meine Frau von Zigeunern, Mohren oder Juden abstammt. Ich würde es für gleichgültig halten, ob ihr Vater in der Synagoge betet, oder in der Moschee, aber Alles zusammengenommen bist Du am wenigsten dafür geeignet, des Geldes und Besitzes wegen das zu ertragen.

Dennoch muß es ertragen werden, erwiderte Victor. Gieb Dir keine Mühe, guter Heinrich. So wenig sich ein Stern da oben vom Platze rückt, wenn es unter ihm gewittert, so wenig wird mein fest bestimmtes Schicksal noch geändert werden können.

Das ist es, was ich beklage, fiel der Vetter ein. Und nicht allein wegen Deiner, ich beklage es auch Josephinens wegen. – Sie liebt Dich!

Wer sagt das? Warum glaubst Du es? fragte Victor überrascht.

Ich denke, Du traust mir einige Kenntniß der Weiber zu, war die Antwort. – In der ersten Hitze heut hatte der Großpapa Minister alle diplomatische Kunst vergessen, und ein paar Stunden, nachdem das arme Kind aus ihrer Ohnmacht erwacht war, eröffnete er ihm nicht allein den vollständigen Bruch mit Dir, sondern auch den süßen Trost, daß er ihr Ersatz und Genugthuung schaffen und sie rasch standesmäßig vermählen werde.

Mit wem? rief Victor ihn anblickend.

Mit mir, antwortete der Graf mit vollkommener Ruhe. – Da Du die Familiengüter nicht erhalten wirst, gehen sie auf mich über. – Der Minister in seiner zornigen Eile hat heut Nachmittag noch eine Audienz gehabt und kam am Abend, um mir ins Ohr zu sagen, daß Alles bewilligt sei.

Ich gratulire! sagte Victor.

Thue es nicht, sprach der Graf seine Hand drückend, denn auf meine Ehre! ich möchte Dir am liebsten Beides gönnen, die Braut, wie den reichen Familienbesitz, und ich verwünsche die Thorheit der Menschen, die mir Beides aufzwingen.

Halte mich nicht für allzugroßmüthig, fuhr er fort, als Victor schwieg, wäre Beides, wie ich es wünschte, so bin ich Egoist genug, um es für mich zu behalten: allein das sanfte, schüchterne, alle laute Freuden fliehende, in Einsamkeit zum Nachdenken erzogene Mädchen wird im ganzen Leben keine Frau werden, die elegant, leicht und geschmackvoll sich zu bewegen weiß, und was die Güter anbelangt, so muß ich Dir gestehen, daß mir der Umstand, sie mittelst dieser Frau zu erhalten, und sie Dir zu entziehen, höchst unbehaglich ist.

Du fühlst demnach keine Neigung für Josephine Pronary?

Gewiß nicht. –

Und fühlst dagegen das Unrecht, das man mir anthun will?

Sehr lebhaft.

So heirathe sie nicht und sprich für mein Recht.

Der Graf schwieg einen Augenblick, dann sagte er: Ich werde sie heirathen und werde nicht für Dein Recht sprechen, sondern die Güter dankbarlichst sammt der jungen Frau einstreichen.

Heinrich! erwiderte der junge Mann im verächtlichen Tone. Ich habe Dich stets für sehr leichtsinnig, aber immer für ehrenhaft gehalten.

Wenn ich sie beide nicht nehme, antwortete der Graf lachend, so würde irgend ein anderer Vetter aufgetrieben, der ein etwas weiteres Gewissen hätte. – Das gebe ich nicht zu; aber verlaß Dich darauf, wir werden Beide nicht sehr glücklich sein, obgleich ich es läugne, daß eine Frau mich unglücklich machen kann. –

Aber Du wirst sie unglücklich machen, rief Victor.

Offen gestanden, fiel der Graf ein, ich fürchte es selbst.

Die beiden Verwandten gingen schweigend neben einander her; endlich sagte der Graf: Ich weiß nur ein Mittel, um allseitiges Mißbehagen zu verhüten.

Welches Mittel?

Gieb Selma auf! Ich sage es Dir vorher, Du hältst es nicht mit ihr aus. – Tauschen wir die Rollen, rief er Victor festhaltend, und jeder von uns wird an dem rechten Platze sein. Ich habe ihr den Hof gemacht im vollen Ernst und hatte meine guten Gründe zu glauben, daß ich Erhörung fände. Da bist Du mir in den Weg gelaufen, und hast das Goldschiff gekapert, ohne den Schatz gebrauchen zu können. Laß ab, theurer Victor! laß ab von dem, was böse Geister Dir verlockend zeigten, und nimm dagegen, was Dein ist. – Ich bitte Dich, höre die Stimme Deines Freundes, der Dich liebt. Laß uns Alle glücklich sein, Du hast es in Deiner Macht.

Wie, rief der Fürst zurücktretend, es ist Tollheit! baare Tollheit! Wie könnte ich thun, was Du forderst!

Ein einziger Schritt, und Alles ist gethan. – Geh in das Haus dort, deine Tante ist noch mit dem Minister beisammen und neben ihnen sitzt die liebeskranke Josephine. – Schließe sie in Deine Arme, rufe aus: Es war ein Traum, eine Täuschung, der Henker hole den verwünschten Baumeister, der mich in meinen Irrthümern bestärkte! und in der nächsten Minute wird eine der glücklichsten Familienscenen stattfinden. Für alles andere laß mich sorgen.

Ich will nicht hören, was Du gesagt hast, sprach Victor heftig, denn es ist tief beleidigend für mich. – Denke wie Du willst von Dir selbst und handle danach. Meine Ehre aber und Selma's Ehre wage nie wieder anzutasten. Ich würde Dir scharf entgegen treten müssen, sei es wo und wie es sei.

Armer Victor, sagte der Graf, als er schwieg, sie haben Dich so fest gekettet, und Deine stolze Seele so verzaubert, daß Du nicht bemerkst, wie traurig das Gefängniß ist, das Dich erwartet. – Dein Freund, der hochherzige Baumeister, sieht eine Verwirklichung seiner Weltverbesserungs-Ideen in Deiner Heirath; Du selbst willst damit denen trotzen, die es gewagt, über Dich verfügen zu wollen; aber noch einmal rufe ich Dir zu: Fordere den Zorn der Götter nicht auf Dein schuldiges Haupt! Kehre um, und glaube mir, Du bist nicht dazu geschaffen, der Mann dieser Frau zu werden.

In vier Wochen wird meine Hochzeit sein, erwiderte Victor ruhig.

Und wo wohnst Du jetzt?

Bei meinem Freunde Gerstenberg.

Bravo! Du machst Fortschritte in der socialen Verbrüderung der Menschheit. – So geh denn hin, und träume von Liebe und Freiheit, so lange Du kannst. Lüge Dir Glück vor, bis alle Masken fallen. Dünn genug sind sie. Ein einziger derber Schlag und der Held wird zum Narren, der verzweifelt. – Gute Nacht!

Lachend ging er fort, und Victor wandte sich auf die entgegengesetzte Seite. Er fühlte einen Schauder durch sein Blut rinnen, das doch so heiß und heftig durch alle Adern eilte; eine Decke war in seinem Herzen, eine schwarze unermeßliche Kluft, in die seine Gedanken stürzten und starben, ehe sie ausgedacht waren. Es war etwas hinter ihm, das ihn fort trieb; ein Gespenst, blaß, still, mit schönen, sanften Augen, die mit magischer Gewalt ihm nachschauten, und deren Blick er fühlte. Einen Augenblick blieb er vor dem Hause seiner Tante im Vorübereilen nochmals stehen und sah hinauf nach dem Lichtschimmer hinter den Gardinen des letzten Fensters. Dann eilte er weiter und immer schneller, bis er Gerstenbergs friedliche Wohnung erreicht hatte.

Die Familie war noch beisammen und empfing den Freund mit wohlthuender Herzlichkeit. – Sie saßen um den runden Tisch, auf welchem die Lampe brannte. Der alte Vater lag auf dem Sopha, sorgsam behütet, und zu beiden Seiten seine Kinder, vertraulich plaudernd voller Lebensfreudigkeit.

Als Victor hereintrat, hatten sich ihre Hände vereinigt. Der Greis in der Mitte in seinen weißen Locken, unter denen muthige Augen hervorschauten, sah aus wie ein Patriarch, der segnend in die Zukunft blickt.

Bei diesem Anblick fühlte Victor Teine Unruhe verschwinden, und ein neues Vertrauen erwachen. – Das waren Freunde, die ihm ganz ergeben waren, das waren Herzen, deren Treue er kannte. Er setzte sich zu ihnen, legte seine Hand zu ihren Händen und sagte lächelnd:

Soll hier ein Rütlibund In der Legende war das Rütli, eine Wiese oberhalb des Vierwaldstättersees, der geheime Treffpunkt der Verschwörer aus den Ländern Uri, Schwyz und Unterwalden, die schließlich, nach der Ermordung des Vogtes Gessler durch Tell, einen bewaffneten Aufstand gegen die tyrannischen Vögte der Habsburger ausführten. Der Rütli-Schwur zu gegenseitigem Beistand gilt als Begründung der Alten Eidgenossenschaft. (Siehe auch Schillers »Wilhelm Tell«.) – Anm.d.Hrsg. geschlossen werden, so laßt mich dabei sein. Wir wollen fest zusammenhalten in Freud' und Leid, und jeder des Anderen Schirm und Stab sein.

Ich sagte es ja, rief der Greis, Herr Victor wird sich herausarbeiten. Er hat noch immer sein warmes Herz und den offenen Kopf an der rechten Stelle. Er wird sich nicht irre machen lassen.

Wer hat daran gezweifelt? fragte der junge Mann. Es war also von mir hier die Rede?

Wie könnte es anders sein, erwiderte Antonie, besonders da wir nicht wußten, ob wir Sie wieder sehen würden.

Ich weiß nicht, was das heißen soll? sagte Victor.

Einfach heißt es, fiel Georg ein, daß heut Nachmittag Herr von Eyben bei uns erschien, um Dich abzumelden. – Er erklärte, daß er eine Wohnung für Dich gemiethet habe, und befahl Deinem alten Konrad, die Sachen sofort zusammenzupacken und fortzubringen.

Ah so, sagte Victor erröthend. Eine Wohnung ist gemiethet, aber es hat damit keine Eile.

Das sagte Konrad auch, fuhr Gerstenberg fort. Er wollte keiner anderen Autorität gehorchen als Deiner eigenen.

Daran hat er sehr wohl gethan, rief der Fürst. Morgen will ich die Wohnung besehen, und dann freilich werde ich Euch verlassen müssen, weil ich hindern und stören würde.

Und weil es recht und schicklich ist, sagte Antonie. Eines paßt sich nicht für Alle. Der Herr Fürst Karlsberg muß wie ein Fürst wohnen und leben, doch wenn er zuweilen zu seinen Freunden in das entfernte Gäßchen kommen will, soll er sich ihrer niemals zu schämen haben.

Auch das verstehe ich nicht, sprach Victor erstaunt.

Die Erklärung dazu ist wiederum ganz einfach, lachte Georg. Herr von Eyben war sehr gütig und freundlich zu uns. Er versprach uns allen seine Protection, und bot mir sogar eine Unterstützung höchst großmüthig an, wenn ich etwa eine Luftveränderung wünsche. Ich hätte, wie er meinte, durch meine Einmischung in Deine Angelegenheit diese sehr schlimm gemacht und nicht allein mir den Haß mächtiger Personen zugezogen, sondern es sei auch vorauszusetzen, daß eine fortgesetzte Annäherung nur üble Folgen für Dich haben könnte.

Victors Gesicht flammte. Ich habe, wie es scheint, sagte er so ruhig wie möglich, schon wieder einen Vormund gewonnen.

O nein! sagte Gerstenberg. Ihm ist es nur darum zu thun, das böse Gerücht abzuwenden, als gingst Du mit Menschen um, die Dich gegen Staat und Gesellschaftsordnung aufhetzen, und welche nicht einmal den Makel ihrer Geburt durch Geld versöhnen können. Vor diesen Parias der Gesellschaft will er Dich bewahren und damit beweisen, daß Du keinesweges unwürdig seist, der Erbe Deines Oheims und Deiner Familiengüter zu bleiben. Er hat uns das Alles huldvoll und freimüthig erklärt, und wollte seine unveränderte Achtung für mich sogar durch eine Goldrolle bekräftigen.

Er wollte Deine Freundschaft für mich Dir abkaufen, mein armer, lieber Georg! rief der junge Fürst, Gerstenbergs Hände drückend. O! ihnen ist alles käuflich, fügte er mit einem tiefen Seufzer hinzu. Das ist das Traurigste!

Lieber Victor, sagte Gerstenberg, die drei Menschen, welche hier bei Dir sind, haben auf der Welt nichts für Dich, was sich erkaufen ließe. Wo Du auch sein magst und was Du thun magst, sie werden immer in Liebe Dein gedenken. – Was aber der alte Herr von Eyben sagte, war lebensklug und wahr. – Du mußt Dich von uns trennen, denn Du gehörst nicht zu uns. Die alten Herren der Welt haben Dich ausgestoßen, die jungen Herren haben Dich aufgenommen. Sie brauchen einen Sündenbock, den sie verdammen können, um Dich zu reinigen, das soll ich sein. – Mag es immerhin geschehen, ich bin bereit dazu, und lache zu dem niederträchtigen Eifer, der mich zu Deinem Verführer und bösen Geiste stempelt.

Wer sagt das! rief Victor heftig. Wer wagt diese Lüge?

Gerstenberg reichte ihm lächelnd die Abendnummer einer bekannten Zeitung und deutete auf eine Notiz in den Tagesnachrichten.

»Das größte Aufsehen,« las er, »erregt die heut bekannt gewordene Verlobung des Erben einer der ältesten Landesfamilien mit der einzigen Tochter eines der reichsten Bankiers. Sind die Umstände, welche diese unerwartete Verbindung begleiteten, schon an und für sich merkwürdig, so kommt dazu, daß der Fürst von dem verderblichen Einflusse eines Mannes geleitet wird, der es dahin gebracht hat, ihn von seiner Familie gänzlich zu trennen. – Wir kennen die Partei, der alle gesellschaftliche Ordnung ein Gräuel ist, hoffen aber, daß dem verführten jungen Mann zeitig die Augen aufgehen und er einsehen werde, wohin sein Umgang mit Leuten führt, die sein Vertrauen zu ihren nichtswürdigen Zwecken benutzen.«

Victor warf das Papier auf den Tisch und sagte ruhig:

Ich kann mir denken, daß man dies benutzt, um Dich zu verfolgen, so viel man vermag. Um so mehr ist es an mir, zu vergüten, was in meinen Kräften ist, und Niemand soll mir darin im Wege sein. – Ich brauche einen treuen Freund, der mir bei der Auseinandersetzung meiner Vermögensverhältnisse zur Seite steht und sie ordnen hilft, der sich der Verwaltung und obersten Leitung meiner Güter unterzieht und mir Rath und Hülfe zuwendet. – Der größte Theil dessen, was ich besitzen sollte, wird verloren gehen, aber es bleibt mir noch immer genug, um mit dem Freunde theilen zu können. Weigere Dich nicht, Georg, schüttle nicht den Kopf. Du mußt mir beistehen, Du darfst Dich nicht weigern!

Ich will Dir beistehen, sagte Gerstenberg, aber – der Hahn wird krähen und mein Beistand wird überflüssig sein.

Du sollst diese Elenden verachten können, fuhr Victor fort, ohne auf den Einwand zu hören, und Eins verlange ich heut schon von Dir. Versprich mir, daß unsere Hochzeiten an einem Tage gefeiert werden sollen.

Ja, ja! rief der alte Musikdirector an Stelle seines Sohnes, das soll er versprechen. Ich will die Hochzeitsmusik machen, das soll die beste Arbeit meines Lebens sein. Gieb die Hand her, Georg, Deine Hand her, mein Töchterchen, Antonie. Herr Victor hat den rechten Ton getroffen, o! wie glücklich werden wir Alle sein.

Du wohnst auf meinem Schlosse, sagte der Fürst. Du lebst und arbeitest dort, wie es Dir gefällt, und wenn wir zu Euch kommen, ich und Selma, bilden wir eine Familie, der die Harmonie nicht fehlen soll.

Gerstenberg nahm Antonien in seine Arme und schaute lange in ihre seelenvollen Augen. –

Was solch ein Traum wonnig ist und süß, sagte er, man kann darüber alle Wirklichkeit vergessen. – Ich schlage ein, Victor, aber mit dem Vorbehalt, daß ich an Deinem Hochzeitstage Dich noch einmal fragen werde, ob unsere Freundschaft fest steht. Dann will ich hingehen und mein Aufgebot bestellen.

 

Bis tief in der Nacht saßen die Freunde beisammen. Sie machten Pläne für die Zukunft, die mit jeder Stunde sich mehr vor ihren Blicken aufhellte und von der doch kein Sterblicher weiß, was sie erfüllt. –


11.

Am nächsten Tage bezog Victor die neue glänzende Wohnung, und sein Verhältniß zu dem Fräulein von Eyben war Niemand ein Geheimniß mehr. – Die Anzeigen wurden öffentlich gemacht, die Besuche begonnen. Die ganze Angelegenheit wurde Gegenstand eines heftigen Parteistreites, an welchem alle Welt für und gegen Theil nahm, und eben so viel Beifall wie Spott darüber ausschüttete.

Auch die Presse blieb nicht zurück. Gedichte und Aufsätze, beißende Epigramme und Tröstungen folgten sich und endlich kamen Karikaturen zum Vorschein, die unbekannte Freunde nicht ermangelten anonym den Verhöhnten zuzusenden. – Victor setzte sich über diese Angriffe in seiner kalten Weise fort. Er hatte nur ein verächtliches Lächeln und ein paar wegwerfende Worte dafür; Selma dagegen war empört über die Gemeinheit, die sie in den heftigsten Zorn setzen konnte, aber sie tröstete sich mit den Vertheidigungen und mit der glänzenden Rache, die sie an allen Neidern nahm.

An der Seite des schönen, edlen Bräutigams erschien sie im Theater und auf der Promenade. Stolzen Blicken gab sie stolzere Blicke zurück; sie zeigte ihr Glück und ihre Ueberlegenheit dicht unter den Augen derer, die ihr zumeist wehe zu thun suchten, und entschädigte sich für das Nasenrümpfen an den Huldigungen mancher treu gesinnten Freunde, die ihr geblieben waren.

Der reiche Bankier hatte deren genug, selbst unter den Höchsten und Ersten. Seine Verbindungen und sein Einfluß waren an goldene Fäden geknüpft, seine Diners berühmt, seine Feste die glänzendsten und gerade jetzt öffnete er seine Salons mit auserlesener Pracht, und zeigte der immer bereiten Menge alle Herrlichkeiten des Goldes sammt seiner schönen Tochter, deren Besitz mit allem anderen Besitz dem glücklichen Fürsten zufallen sollte. –

Auf Selma's Betrieb wurden große Summen zu neuen Einrichtungen verwendet, Künstler, Dichter, Gelehrte, Männer von Ruf und Namen in die glänzenden Räume gezogen und Alle priesen die liebenswürdige, geistreiche Herrin, deren Haus der Mittelpunkt des Geschmacks, der feinen Sitte und der Musen und Grazien sei; Alle beneideten das Glück des Fürsten, der sich losgesagt habe von verrotteten Geburtsvorurtheilen und der steifen Abgeschlossenheit seiner Kaste, die sich langweile, um unter sich zu bleiben, wie olympische Götter, welche zu den Sterblichen nur hinabstiegen, um schöne Weiber zu verführen.

Bei solchen Gelegenheiten wurde auch Herr von Eyben glücklich, und sein fürstlicher Schwiegersohn gewann in seinen Augen, obwohl er im Stillen gar nicht mit ihm zufrieden war. – Er hatte ihn nicht bewegen können, den Baumeister von sich abzuthun, der wirklich die Vermögensverhältnisse des Fürsten ordnete und in einer Vertraulichkeit zu ihm stand, die dem Bankier durchaus nicht gefiel. Er mußte es geschehen lassen, daß Gerstenberg und Antonie in seinem Hause erschienen, weil Selma es so wollte, obwohl sie ihre Stellung besser zu bewahren wußte, und je mehr er überzeugt war, daß Victor ein enormes Glück mache, um so ärgerlicher war er über den geringen Grad von Geschmeidigkeit und Anerkennung, und um so mehr erbitterten ihn die Spöttereien, welche auch auf ihn fielen.

An der Börse fand er Schmähgedichte angeschlagen und eine boshafte Karikatur, auf welcher ein alter Esel, mit Geldfäden beladen, und eine Dame zwischen denselben sich vor einem stolzblickenden, besternten, aber dürr und hungrig aussehenden Herrn demüthig niederbeugten. – Die Aehnlichkeiten waren unverkennbar und nichts glich der Wuth des alten Herrn, als er das Hohngelächter der Agiotagemänner und Actienspeculanten ertragen, ihre groben Bemerkungen und brutalen Witzeleien hören mußte, mit denen sie sich an dem mächtigen König ihrer Welt eben so gut rächten, wie Völker an ihren bepurpurten Fürsten, die, selbst die größten nicht ausgenommen, Aehnliches zu erfahren haben. Es war eine Art Revolution in diesem das Gold sonst so demüthig anbetenden Volke ausgebrochen, und Herr von Eyben kam wie ein abgesetzter Monarch nach Haus, der das Schrecklichste erlebt hat. – Er überhäufte Selma mit den bittersten Vorwürfen.

Was habe ich gesagt? rief er, ich sagte: Du würdest mich in Schande bringen durch diese Heirath, und so erfüllt es sich auch. –

Er erzählte, was ihm geschehen; was er für unmöglich gehalten, wenn es ihm nicht selbst passirt wäre, und knüpfte einen Schwur daran, es allen denen zu gedenken, die es gewagt hätten, ihm diesen Schimpf zu bereiten.

Selma fiel ihm lachend um den Hals und rief, ihn küssend und schmeichelnd:

Um Gottes Willen, Papa, sei ruhig und laß kein Wort über Deine Lippen gehen. – Laß der Gemeinheit doch die Freude, sich zu rächen, wie sie es versteht. Uns wird kein Haar davon gekrümmt, kein Blatt fällt vom Baum, keine Minute geht darum rückwärts, und Deine Geschäfte gerathen ebenfalls nicht dadurch ins Stocken.

Allerdings, erwiderte Herr von Eyben, finster die Stirn zusammenziehend. Ich habe auch darüber zu klagen. Berton war meine rechte Hand, sein Eifer war groß und unermüdlich, er war auf dem Platz zu jeder Minute. Es gab nichts, was er nicht wahrgenommen hätte. Jetzt sehe ich ihn verdrossen und habe nichts mehr zu loben an ihm, oder mich zu freuen.

Da siehst Du, sagte Selma, daß er nur so lange zu seines Herrn Freude einher ging, wie seine eigennützigen Absichten ihn antrieben.

Kann ich es ihm verdenken? sprach der Bankier heftig. Isidor ist ein ausgezeichneter Mensch, soll er jetzt etwa noch für Dich und für ihn arbeiten? – Mir ist er treu, mich würde er mit Freuden ehren und lieben, und wenn ich zu wählen hätte – er fuhr sich mit der Hand durch das aufstrebende dünne Haar – ich würde gescheuter sein, wie Du bist.

Papa, sagte Selma, es könnte Einiges anders sein an Victor, wie es ist, ich gebe es gern zu, aber Gott macht die Menschen nicht nach unserem Willen. Er liebt mich, er hat die größten Opfer für mich gebracht.

O schweig! fiel der alte Herr ein. Opfer! was sind es denn für Opfer, und bringe ich etwa keine Opfer? – Was giebt er denn auf, was er nicht im reichsten Maße wieder erhielte? – Er bekommt die schönste, die geistreichste und – die reichste Frau. Er wird ein Haus machen, wie es kaum noch in der Welt zum zweiten Male da ist; er wird Alles haben, was sein Herz begehrt, und Alles ohne Arbeit, ohne Mühe. – Was sind die Diners, die von großen Herren gegeben werden? Nichts sind sie. – Was sind selbst die Hofgesellschaften gegen unsere Gesellschaften? –

Du vergißt, Papa, erwiderte das Fräulein, daß Victor nicht allein den Zorn seiner Verwandten und der ganzen Sippschaft trägt, sondern daß er auch, was Dich zumeist von seiner Liebe überzeugen muß, seine Güter einbüßen wird.

Die wird er nicht einbüßen, sagte der alte Herr; das fehlte uns noch, daß er ein Bettler würde! Ich habe im Stillen gewirkt, habe Alles in Bewegung gesetzt und habe Versprechungen erhalten, daß Graf Reizenstein seine Absichten nicht durchsetzen wird. Der Minister steht nicht mehr so wie früher, fuhr er spöttisch mit den Augen blinzelnd fort; er soll erfahren, daß der Jakob von Eyben mehr gilt, wie er. –

Er schlug sich lachend auf die Tasche und fuhr dann fort:

Wenn ich einen Minister machen wollte, sollte es mir nicht schwer werden, und wenn Victor vernünftig ist, wird die Zeit kommen, wo er obenan im Ministerrathe sitzt. – Wenn das Gold nicht wäre, mein Kind, läge die Welt noch in der tiefsten Barbarei; so aber ist, Gott sei Dank! die Aufklärung weit fortgeschritten. Alle Aufklärung in der Welt, aller Fortschritt auf Erden, alle Kunst und alle Wissenschaft kommt her vom Golde; die Anleihen, die Staatsschulden, die Bedürfnisse der großen Herren und der Völker, das sind die Mittel, die Menschheit vorwärts zu bringen. Sie müssen arbeiten und erfinden und denken, dichten und trachten, um sich weiter zu bringen und die Abgaben zu bezahlen. Jetzt soll eine neue Anleihe gemacht werden, und der alte Jakob von Eyben ist der Mann, der sie allein machen kann. Wenn aber der Jakob sie macht, kann man seinem Schwiegersohn nicht nehmen, was er hat. – Verstehst Du jetzt, Selma, wie die Sache steht?

Ich verstehe vollkommen, Du guter, lieber Papa! rief die Tochter, und es freut mich, denn ich weiß, daß das Unrecht, das ihm geschehen soll, an Victors Herzen nagt.

So höre noch ein Wort, sprach der alte Herr. Er wird die Bestätigung erhalten, und noch mehr: er wird eine Audienz erhalten und Glückwünsche zu seiner Vermählung mit Dir. Die völlige Aussöhnung knüpft sich daran. Die Hoffeste wird man nicht ohne meine Selma feiern und eine Hofcharge wird dem Fürsten angeboten werden. Sorge dafür, daß er nicht etwa neue Streiche macht, sondern seinen Stolz demüthigt, wie es schicklich ist in der Welt.

Selma's Gesicht verklärte sich zu einem großen Triumph. –

Lieber, theurer Papa, rief sie, ich hatte immer die größte Meinung von Dir und Deiner gebietenden Herrlichkeit, doch eine solche Macht habe ich nicht bei Dir geahnt. – Was werden Mißmuth und Hochmuth nun beginnen? fuhr sie frohlockend fort. Sie werden schweigen und sich krümmen. Ich habe sie kennen gelernt und verachten gelernt. Diese Verachtung soll sie belohnen.

Die Menschen, sagte der alte Herr, sind sich überall gleich. Verachte sie, so viel Du willst, aber vergiß nicht, daß Du mit ihnen leben mußt, und daß der Kluge sie zu benutzen versteht. – Ich wußte vorher, daß die Abrechnung mit uns nicht so groß sein würde, wie es aussah, rief er lachend, wirke jetzt nur dahin, daß der Fürst sich von Gerstenberg trennt. Der Mann ist Allen verhaßt. Er hat Schriften geschrieben, die seine Vorgesetzten beleidigten; er hat die Staatsverwaltung angegriffen, hat Fehler und grobe Sünden aufgedeckt und gehört zu den unruhigen Köpfen, die Talent haben, aber es schlecht anwenden, die Narren genug sind, immer gegen den Stachel lecken zu wollen.

Aber Gerstenberg ist ein edler Mann, erwiderte Selma, und was er gesagt hat, war geistvoll, warm und wahr. –

Ein edler Mann, Wahrheit und Geist! rief der Bankier spottend, was will das sagen? Wenn er Macht besäße, von hoher Geburt wäre oder Geld hätte, könnte er eine Rolle spielen. So ist er nichts wie ein gefährlicher Mensch, ein Aufreger, ein Futter für die Polizei. Sein Umgang mit dem Fürsten ist verdächtig. Man macht es diesem zum besonderen Vorwurf, daß er sich eingelassen hat mit ihm, dem man nichts Gutes zutraut, und stellt es als Bedingung, daß er dergleichen Leute von sich thut, die im üblen Ruf stehen.

Das thut mir leid, sagte das Fräulein, ich bin der Familie Verbindlichkeiten schuldig.

Sie haben alle keine Ehrfurcht, keine Scheu, keine Achtung vor den Besseren, sprach der Bankier. Das nennen sie Selbstgefühl, Gleichheit und Gleichberechtigung, in Wahrheit aber ist es Selbstsucht und Neid, weiter nichts. Der Gerstenberg ganz besonders ist solch Patron, der nichts achtet, der über alles spottet und neulich erst die Frechheit hatte, in meiner Gegenwart eine anzügliche Rede über die ungerechte Vertheilung des Besitzes zu halten, und von der Nothwendigkeit zu sprechen, die Grundlagen der Gesellschaft zu ändern.

Ich werde Victor bitten, wenigstens für jetzt sich von ihm entfernt zu halten, sagte Selma.

Thue das, mein Kind, erwiderte der alte Herr. Nur erst fort mit ihm, das Weitere wird sich finden. Spare nichts, ihm zu beweisen, daß er vernünftig sein muß.

 

Nach einiger Zeit erschien Victor. Er hatte soeben ein prächtiges Geschenk empfangen; Herr von Eyben hatte ihm ein paar herrliche Pferde geschickt, die Victor besehen, aber zu theuer gefunden hatte.

Dein Vater überhäuft mich mit Güte, sagte er. Ich wage nicht, sein Geschenk zurückzuweisen und doch beschwert mich diese Freigebigkeit.

Mein Vater, versetzte Selma in seinen Armen, hat Dir so viel gegeben, daß ihm wenig mehr übrig bleibt.

O! rief der junge Mann zärtlich, ich wollte, er ließe es dabei. Ich wollte allein Dich, Dich ganz allein, alles Andere hat für mich keinen Werth.

So sollst Du nicht sprechen, theuerster Freund, entgegnete die Braut. Du bist verstimmt über die Welt und Menschen, Du möchtest Dich in Einsamkeit zurückziehen, um nichts mehr von ihnen zu hören.

Du hast Recht, gab Victor trüb lächelnd zurück. Ist es werth, sich abmühen und abhetzen zu lassen in diesem großen Narrenhause? Wenigstens ist ein Naturleben dankbarer und in seiner Abgeschiedenheit erträglicher.

Bist Du dafür bestimmt? fiel sie ein. – Nein, gewiß nicht. Von Dir erwartet die Welt. ein muthiges Eingreifen; Du, vor Tausenden, bist berufen, ihr ein leuchtendes Beispiel zu sein.

Ich! rief er mit einem bitteren Zucken der Lippen.

Ja Du, geliebter Mann, fuhr sie freudig fort, Deine Feinde werden nicht triumphiren. Alles ist bereit, sie zu demüthigen, und abermals zeigt mein Vater Dir mit dieser neuen Zukunft, wie er für Dich besorgt ist.

Sie erzählte ihm, was vorbereitet war und wie er kaum mehr zu thun hätte, als ein Schreiben an das Cabinet zu richten, seine Ansprüche nochmals klar darzulegen und die Bestätigung zu fordern.

Man ist bereit, Dich in Gnaden zu erhören, sagte sie dann, Dir Alles zu verleihen, was Du begehren kannst, und weder Orden noch Aemter, noch große Ehren werden ausbleiben. – Welche Zukunft für Dich, mein Victor! – Dein Geist und Deine Kenntnisse, Dein Charakter und Dein edler Sinn werden dann mächtig in die Geschicke der Zeit und Deines Vaterlandes eingreifen. Ich sehe Dich auf den höchsten Stufen stehen, ein Genius zum Segen Deines Volks, und kannst Du es mir verargen, wenn ich auch mein Glück preise, Deinem Herzen die Nächste, die Gefährtin Deines Ruhms, die stolze Vertraute Deiner Sorgen und Mühen zu sein?

Victor hörte schweigend zu. Dieselben Worte hatte er schon einmal vernommen, von anderer Seite waren sie ihm zugeflüstert worden. Jetzt hallten sie in seinem Innern wider, wie ein Sturmläuten, das Grauen erregt, und doch die Seele mit Ahnungen und Lust zum Schauen und Helfen erfüllt.

So schnell und ganz sollte mir die Vergebung kommen, sagte er, und keine Demüthigung mir vorbehalten sein? –

Was sie fordern, versetzte das Fräulein, ist im Grunde eine Lächerlichkeit, die Beschönigung sucht. – Sie fordern, daß Du Dich von dem Einfluß eines Mannes emancipirst, der Dich verlockt haben soll zu allen Freveln gegen die Gesellschaft, und weiter Dich verlocken wird zu Freveln gegen Kaiser und Gott.

Gerstenberg! rief Victor mit finsterer Stirn. Will man mich denn immer bevormunden?!

Thue ihnen doch den Gefallen, sagte Selma. Zieh Dich zurück, weil es die Klugheit gebietet. Gerstenberg wird darum Dir nicht weniger sein. Ja, er wird es selbst billigen, wenn Du ihm mittheilst, wie die Verhältnisse sind. –

Ich möchte Alles hinwerfen, um endlich frei zu werden, fiel Victor ein.

Du bist ein Großer des Reichs, erwiderte sie, und kannst nicht wie gewöhnliche Menschen handeln. – Ueberdies aber fordert es beinahe Deine Ehre, der Welt zu zeigen, daß die Verläumdung nicht Recht hat, daß Du nicht unter Gerstenbergs Leitung stehst, nichts von seinen Plänen weißt, nicht zu den unzufriedenen Aufregern der Masse gehörst.

O welche Thorheit! sagte Victor. – Wie oft soll ich es sagen: Gerstenberg ist der edelste, beste Mensch und der wärmste Freund seines Vaterlandes.

Aber er hat sich verhaßt und gefährlich gemacht, gab Selma zurück. Man kann auch nicht läugnen, daß er böse spricht und schreibt, daß es wenigstens unvorsichtig ist, in seiner Lage so zu handeln, und daß sein Auftreten in Deinen Angelegenheiten ihm das Ansehen gegeben hat, als seist Du abhängig von ihm und er die leitende Macht, die Dich bestimmt.

Wäre er das, rief Victor lebhaft, und in seinen Augen lag ein Bekenntniß, bestimmte er über mein Thun und Lassen, so würde ich nicht an dieser Stelle sitzen.

Selma verstand, was er sagte. Sie blickte ihn fragend an, ein Groll überlief sie. –

Ich kann es denen nicht verargen, sprach sie weiter, die in dem Benehmen dieser Familie viel Zweideutiges finden. Hüte Dich, Victor, als schwach und abhängig von Menschen betrachtet zu werden, die obenein durch nichts berechtigt sind, sich Dir gleich zu stellen. Deine Zukunft ist so groß und schön; hindre nichts daran, um nichts zu bereuen.

Ein Besuch störte das Gespräch; bald kamen andere Freunde und Verwandte Selma's und endlich verging der Tag, wie manche schon vergangen waren. –

Beim Abschied sagte Selma leise:

Schreib morgen früh an das Cabinet und mache Dich frei!


12.

Am nächsten Morgen kam Gerstenberg zu dem Fürsten. Er hatte den größten Theil der Nacht gearbeitet, um über Victors Vermögensverhältnisse eine genaue Darlegung auszuarbeiten, und mit bewundrungswürdiger Mühe alle die Rechnungen und Nachweise geordnet, welche ihm überliefert worden waren.

Er fand seinen Freund ebenfalls arbeitend, aber mit überwachtem und abgespanntem Gesicht. Es war etwas so Hinbrütendes in seinem Anhören des Vortrages, den Gerstenberg begann, als verstehe er nicht, was gesagt werde. Er nickte zu den Fragen, die jener that und schlug die Augen nieder, wenn Georg ihn anblickte.

Dein Vermögen, sagte dieser endlich, hat in der letzten Zeit besonders durch den plötzlichen Verkauf der Herrschaft Schellenberg gelitten. Es ist nicht zu begreifen, warum die Fürstin gerade dies schöne Eigenthum veräußerte, das nicht allein zu den werthvollsten gehört, sondern unter den jetzigen Umständen Dir geradezu entzogen wird.

Er setzte auseinander, daß die Herrschaft zu den freien Gütern der Familie gehörte, keinesweges aber zu dem Gütercomplex, welcher der landesherrlichen Bestätigung bedurfte, um auf Victor überzugehen. Schon der Verkauf beweise dies, und als rechtmäßiger Erbe seines Oheims sei das strengste Recht auf seiner Seite, entweder den Kauf rückgängig zu machen, oder, wenn er das nicht wolle, das Kaufgeld von der Fürstin zu fordern.

Da Du, fuhr er dann fort, vielleicht das Erste nicht willst, da Herr von Eyben der Käufer und Deine Braut die jetzige Besitzerin ist, so habe ich hier einen Brief aufgesetzt, um Deine Tante in diesem Fall zu bestimmen, das Geld an Dich zu zahlen. Die Summe ist groß, aber Dein Anspruch darauf ist so klar erwiesen, daß sie unmöglich sich weigern kann.

Er reichte Victor das Papier, der hineinblickte und es dann auf den Tisch legte. –

Da ich Aussicht auf eine allgemeine Versöhnung habe, sagte er, so wollen wir damit warten.

Gerstenberg blickte ihn fragend an. –

Ich glaube überhaupt, fuhr der Fürst fort, daß ich nöthig habe, einzulenken, wo ich es vermag, und keine neuen Beleidigungen zu den alten fügen darf.

Ich sehe darin keine Beleidigung, erwiderte Georg, wenn man seine Rechtsansprüche bestimmt und einfach geltend macht.

Schon dieser Brief von Deiner Hand würde Oel ins Feuer gießen, bemerkte der junge Mann, und indem er das Schreiben wieder aufnahm, fügte er hinzu: Das ist eine Art Geschäftston, ein Kanzleistyl, kurz und bündig ohne irgend eine versöhnende Wendung. Wenn es nöthig ist, will ich selbst schreiben.

Gerstenberg nahm schweigend die Papiere zusammen. –

Die Rechnungen, sagte er, stimmen vollkommen, indeß kannst Du Ansprüche auf die Wiedererstattung verschiedener ziemlich großer Summen erheben, die aus Deinen Einkünften für Ausgaben verwandt worden sind, welche Dich gar nichts angehen, sobald die Güter Dir nicht zufallen. Ich habe hier einen Auszug darüber gemacht, alle Nachweise beigefügt und mit dieser Ausarbeitung eigentlich meinen Auftrag so weit erfüllt, daß er jedem Rechtsgelehrten nöthigenfalls zum Leitfaden dienen kann.

Ich werde das Alles hoffentlich nicht nöthig haben, erwiderte Victor, aber ich danke Dir, lieber Georg. Dein Rath und Dein Beistand in dieser Zeit wird mich immer zur wärmsten Dankbarkeit bereit finden.

Dankbarkeit? sagte Gerstenberg lächelnd. Du betonst dies Wort mit besonderem Nachdruck.

Weil ich weiß, was ich Dir schulde, rief der Fürst ihm die Hand reichend, und weil ich wünsche, daß Du mich nicht mißverstehen sollst. – Ich bin im Begriff, fuhr er dann fort, zu einer kaum gehofften Aussöhnung zu gelangen. Die näheren Umstände werden Dir später klar werden, dort aber liegt mein Schreiben an das Cabinet, zu dem ich aufgefordert bin, und für gewiß annehmen darf, daß alles erfolgt, was ich wünsche. – Auch meine Tante wird dann nicht unversöhnlich sein, und dieser gehässige Streit sich in einen allgemeinen Frieden auflösen.

So meinst Du also Deinen Frieden zu finden? sagte Gerstenberg, und seine Blicke liefen über den Freund hin, der ihm diese Mittheilungen machte, an welche er selbst nicht zu glauben schien. – Seine Worte klangen eintönig. Er sprach den Namen Selma aus, als könne er schwer über seine Lippen; es war überhaupt etwas Widerwilliges, Widerstrebendes in dem, was er sagte, als stachle er sich auf, um es heraus zu bringen.

Gewiß! rief Victor, ich werde ihn finden, und aus dieser Versöhnung wird unser allseitiges Glück entsprießen. – Es ist wahr, lieber Georg, ich habe immer eine große Neigung zur Zurückgezogenheit und Beschaulichkeit gehabt, und wenn ich eine Lebensgefährtin gefunden hätte, die still und sanft in Herz und Gemüth zur abgeschlossenen Häuslichkeit sich hingezogen fände, so würde ein Krautjunker aus mir werden. Selma reißt mich in die Welt – vielleicht hat sie Recht – zu einer großen Bestimmung, und Du selbst hast mir einst einen solchen Spiegel vorgehalten, um meinen Ehrgeiz zu wecken. Ja, Georg, das will ich. – Ich will mich in den Strom werfen, ich will schwimmen und kämpfen, steigen und gewinnen und die Kraft befriedigen, die mich unruhig hin und her reißt.

Es kommt darauf an, erwiderte Gerstenberg, von wannen sie stammt und wohin sie führt.

Keinen schwärmerischen, keinen träumerischen Ausgang wird sie haben, sprach Victor. Du freilich verlangst zu viel, und blickst zuweilen nach einem Utopien, das jenseits aller Grenzen der Möglichkeit liegt.

Und Du, entgegnete der Freund, ziehst, wie ich merke, die Grenzen Deiner Möglichkeit zusammen, nachdem Du Unmögliches möglich gemacht hast.

Es ist schade, sagte Victor, daß man Dich nicht besser kennt, daß ein Mann wie Du nicht auf der Höhe des Lebens steht.

Meine Lebenshöhe, fiel Georg mit einem ernsten Blick ein, hängt von dem Maßstabe ab, mit dem sie gemessen wird.

Du mißverstehst mich, gab Victor zur Antwort, und eine Röthe trat auf seine blasse Stirn. Ich meine damit, es ist Schade, daß Du nicht hoch im Staate stehst, und vorzeitig angefangen hast, Dir so viele Gegner zu machen.

Gerstenberg stand auf. Das stolze Feuer seines Auges war so durchdringend, daß Victor sich davor beugte. Er blickte bis in seine Seele und las die Schrift, die dort geschrieben stand.

Ich gehe, sagte er, und wünsche Dir Glück zu Deiner Bekehrung. Aber ach! mein armer Freund, ich fürchte jetzt mehr als je, was ich immer gefürchtet habe. Es wird kein Frieden werden in Dir.

Du bist freigebig in Deinen Befürchtungen, erwiderte Victor rasch. Du giebst in Wahrheit den Leuten einigen Grund, zu glauben, daß ich abhängig sei von Deinem Einflusse auf mich.

Ist es das! rief Gerstenberg. Haben sie das für Dich erfunden? Ich verstehe die Deutung. Lebe wohl, Victor, ich habe Dich nicht gesucht, und mein Rath, Du weißt es am besten, hat wenig Gewicht für Dich gehabt. –

Ich habe meinem Willen nie Zwang anthun lassen, war die Antwort.

Dein Wille! versetzte Gerstenberg, vor ihn stehen bleibend, ja, wenn es Dein wahrer moralischer Wille wäre, kein Spiel der Laune und des Trotzes, sondern die freie, männliche Kraft der Selbstbestimmung, welche den Willen zum Herrn unseres Schicksals macht, es wäre was Großes darum. – Ein solcher Wille steht fest in allen Stürmen und bändigt sie; ein solcher Wille läßt den Mann nicht untergehen; er schickt ihm Frieden und Zuversicht und hält ihn fest, wenn Alles wankt.

So sollst Du nicht gehen, rief Victor erregt, als er ihn zur Thür schreiten sah, so sollst Du mich nicht verlassen. – Ich werde Dein Freund bleiben, stolz sein, mich Deinen Freund zu nennen, und wenn die ganze Welt uns trennen wollte. Wenn ich für einige Zeit mich von Dir zurückziehe, so wirst Du es gerechtfertigt finden, denn Du bist zu klug, um die Verhältnisse nicht richtig zu beurtheilen. Sei unbesorgt um mich, Georg, ich halte Alles, was ich Dir versprochen habe. – Nur erst diese Conflicte überwunden, nur Befriedigung in diesem Kampfe, nur erst einige Ruhe in dieser Unruhe, und Alles wird gut werden.

Während er sprach, überzog sich sein Gesicht mit fieberhaft dunkler Röthe; seine Lippen zuckten, der tiefe Zwiespalt in seiner Seele trat hervor und füllte seine Augen mit jenem Ausdruck halb versteckter Angst und Scham, der gewaltsam und schnell der Furcht weicht, überwiesen und verurtheilt zu werden.

Glaube nicht, sprach er, daß ich das Geringste bereue; zweifle auch nicht daran, daß ich meinen Willen aufrecht erhalten und männlich durchführen werde. Ich denke durchaus wie Du selbst. Der moralische Wille erhebt und stärkt; und wäre er selbst böse und vernichtend, er ist das höchste Gesetz des Lebens. – Hier aber ist er gut. Selma liebt mich; man überhäuft mich mit Güte, und ich – ich liebe sie von ganzer Seele! Ich weiß es bestimmt, mit ihr allein kann ich glücklich werden.

So werde glücklich! sagte Gerstenberg. Wenn Dein Glück es zuläßt, denke auch an den Freund, der Dir bleibt.

O! Du, rief Victor, und Ihr Alle, Ihr werdet mir immer theuer sein. Vergiß nicht, was Du mir versprochen hast. Am Tage meiner Hochzeit muß Dein Aufgebot erfolgen, und wie es auch kommen mag, Georg, Deine Zukunft zu sichern soll meine Aufgabe sein. Nichts soll sich ändern an unseren Plänen, nur besser, nur vollkommener sollen sie werden.

Als Gerstenberg gegangen war, warf Victor sich in den Stuhl zurück. Ganz abgespannt und bewegungslos saß er, bis er endlich mit einem Seufzer sagte:

Gott sei Dank! auch das wäre vollbracht.

Er nahm die Feder, schrieb von Neuem, aber mehr als einmal warf er sie fort, um sie doch immer wieder aufzuheben. –

Wie ich das hasse, murmelte er vor sich hin, dies Kriechen um mein Recht, diese Unterthänigkeit, dies elende Betteln und was werde ich dadurch gewinnen? Ein gnädiges Lächeln, neue Fesseln, ein beängstigtes, enggebundenes Leben.

Er war so eben fertig, als Herr von Eyben zu ihm hereintrat, bei dessen Erscheinen ein innerer Frost über Victor kam, während er den Erfordernissen der Höflichkeit Genüge leistete.

Nun, sprach der Bankier in seiner bestimmten Weise, ich komme zu Ihnen, um zu fragen, ob Ihr Brief an das Cabinet fertig ist?

Victor bejahte es, und Herr von Eyben folgte seinem Blick auf das Papier mit der Hand. Er ergriff ohne Umstände das Schreiben, las es durch, und sagte dann:

Es hätte wohl noch etwas mehr unterthänig bittend sein können. Noch einige Male mehr höchste Gnade, tiefste Ehrfurcht, allerunterthänigste Demuth und so weiter. Sie verstehen sich nicht darauf, wie man pater peccavi sagen muß.

Es ist gut so wie es ist, erwiderte der junge Mann.

Freilich ein Fürst braucht schon etwas weniger Wortmacherei, rief der alte Herr lachend, aber ich sage Ihnen, immer lieber zu viel davon, wie zu wenig. – Viel hilft viel! das ist ein altes Sprüchwort. Setzen Sie Ihren Namen darunter, und geben Sie mir den Brief, ich will ihn selbst abgeben. Ich fahre so eben zu dem Minister-Präsidenten, um das Geschäft ins Reine zu bringen. Wissen Sie, was es mich kostet? Wenigstens hunderttausend Thaler. Ich hätte die Anleihe ein halbes Procent niedriger bekommen, hätte keinen Pfennig mehr gegeben, aber die Rücksichten lassen es nicht zu, eine Hand wäscht die andere.

Ich sage Ihnen meinen besten, wärmsten Dank, gab Victor mit einer krampfhaften Anstrengung zur Antwort.

Sie erkennen es an, das ist mir lieb, sprach der alte Herr. – Wir werden uns verstehen lernen, lieber Sohn. – Lebensklugheit und Einsicht wird Ihnen nicht ausbleiben, und je höher Sie steigen, um so weiter wird Ihr Blick reichen. – Bis eine Stellung da ist, wie Sie sie wünschen können, werden Sie zum Kammerherrn ernannt werden.

Es ist eine glänzende Uniform, erwiderte Victor, ich liebe sie sehr.

Die Uniform ist ein Rock mit Litzen, lachte der Bankier, aber der Schlüssel, das ist die Hauptsache. Sie gehören zum Hofe, Sie dringen durch alle Thüren, Sie kommen in die nächste Nähe des Lichts, das die Welt erleuchtet, und wer klug ist, wird die Lichtputze, von der allein es abhängt, ob die Sonne finster oder hell brennt.

Vortrefflich, überaus vortrefflich! rief Victor mit vergnügtem Gesicht. – Ich die Lichtputze und mein geliebter Schwiegerpapa die Hand, welche sie in Bewegung setzt. – Ist es nicht so? Haha! so muß es sein.

Dafür, fiel Eyben nicht weniger vergnügt ein, bekommen Sie eine Frau, die ihre weißen Finger dazu hergeben wird. Ich sage Ihnen, Selma ist ehrgeizig; sie besitzt einen feinen Verstand und wird ihn und ihren Willen geltend machen, wie sie ihn jetzt geltend macht bei mir.

Allerliebst! – o! wunderbar, lachte der junge Mann. Welch' schönes Bild und welche freudenvolle Zukunft!

Es soll nichts daran fehlen, sagte der alte Herr. Ihr Vermögen ist groß, aber den wahren Nerv bekommen Sie erst durch Selma. Ihre Güter sind Stücken Erde, die festliegen; meine Güter gelten auf der ganzen Welt, machen überall unabhängig, geben überall Ansehen.

Er blickte mit Ueberlegenheit auf seinen Schwiegersohn und legte seinen mageren Finger auf dessen Brust. Ein Stern dort, sprach er weiter, ist nichts heut zu Tage, gegen einen Wechsel von mir in der Westentasche. Ich denke, Sie werden die Wahrheit davon erkennen, und die Zukunft wird beweisen, wer gewonnen hat, das Haus Karlsberg oder das Haus Eyben.

Gewiß, gewiß! stammelte Victor.

Auf Wiedersehen, sagte Eyben, und kommen Sie heut Mittag nicht zu spät, wie gestern. Selma wird verdrießlich, und ein Bräutigam muß pünktlich sein. Apropos, fragte er umkehrend, was haben Sie mit dem Gerstenberg gemacht? Sie haben ihn doch fortgeschickt?

Ich habe mich von ihm emancipirt, versetzte Victor lächelnd.

Gut, Sie mußten den Menschen in seine Schranken weisen. Er ist anmaßend und wurde zudringlich, aber in Etwas habe ich ihm doch Unrecht gethan.

Worin Unrecht?

Denken Sie sich, fuhr der alte Herr fort, ich hatte mir eingebildet, ich weiß selbst nicht warum, daß er Theil habe an den albernen Zerrbildern und Gedichten, die seit einiger Zeit mir die Ehre anthun, mich zu verfolgen.

Dazu wird Gerstenberg sich niemals hergeben.

Ein Mensch, der schreibt und zeichnet, witzig sein will, sich in Alles mischt und ein unruhiger Kopf ist, rief Eyben, giebt sich zu Allem her; aber diesmal ist er unschuldig. Ich habe den Urheber entdeckt und auf der Stelle zum Hause hinausgejagt.

Wer ist es? fragte Victor.

Nun kein Anderer, als Berton, rief Eyben. Er hat es aus Wuth gethan über verfehlte Hoffnungen und verdiente darum einige Entschuldigung; denn ich – ich ja, zum Henker! Sie wissen ja, ich hatte die besten Absichten mit ihm. – Sie sehen, lieber Victor, was mich das Alles kostet. Meinen besten Arbeiter! allerlei schöne Hoffnungen, und hunderttausend Thaler! Es ist ein Verlust, ein großer Verlust für mich, er ist fast nicht zu ersetzen. Nun, ändern läßt sich nichts, und was geschehen ist, ist geschehen. – Also es bleibt dabei, mein theurer Sohn; und nicht zu spät zu Mittag. Ich werde mit dem Minister-Präsidenten abmachen, wenn Sie erscheinen sollen. – Geben Sie zu Selma inzwischen, sie wollte in ein Atelier fahren, eine Statue sehen oder so etwas. Sie könnten sie begleiten. –

So weit also wäre ich gekommen! rief Victor nach einem langen Schweigen, als er allein war. –

Und plötzlich fing er heftig an zu lachen, aus tiefer Brust hervor, unheimlich und gewaltsam, und während seine Finger sein Haar zerwühlten, leuchteten seine Augen von einem wilden Feuer. –

Ich will! rief er endlich, ich muß, ich kann nicht anders! – Alle Brücken hinter mir sind abgebrochen. – Ich will glücklich sein! Was habe ich noch zu verlieren?!


13.

Einige Tage später war die Vermögens-Angelegenheit des Fürsten ganz so im Gange, wie Herr von Eyben es gewünscht hatte. – Victor trug seinen Namen mit Recht, er war Sieger in dem Streit. Nach einer Unterredung mit dem Minister-Präsidenten blieb kein Zweifel mehr, daß er Alles erlangen würde; es kam nur noch auf eine Vorstellung an, die bei Hofe erfolgen sollte. Die Verhandlungen blieben geheim, der Minister wünschte es, um Gegenwirkungen auszuweichen; er überhäufte jedoch den Fürsten mit schmeichelhaften Höflichkeitsbeweisen und mit Glückwünschen zu seiner bevorstehenden Vermählung, indem er mit einigen sarkastischen Seitenblicken die Zerwürfnisse in seiner Familie berührte.

Es giebt Krankheiten und Menschen, sagte er lächelnd, die nicht geändert werden können und welche man daher ruhig sich überlassen muß, bis sie nach und nach absterben. Was uns gleichsam mit der Ammenmilch anerzogen wurde, nehmen wir gewöhnlich auch mit ins Grab, und nur der freiere Blick des Staatsmannes, oder die größere Energie bevorzugter Naturen mögen die veränderten Strömungen des Lebens begreifen und sich damit zeitig versöhnen. – Sie haben eine vortreffliche Wahl getroffen, Durchlaucht, deren Würdigkeit durch einige vorübergehende Störungen nur um so edler sich bewähren wird. Bleiben Sie ganz ruhig, Se. Majestät wird Sie empfangen, und ich darf Ihnen im Voraus sagen, daß die Beweise der Huld von höchster Hand Ihnen alle Genugthuung verschaffen werden, welche sie wünschen können. – Man muß die Menschen nehmen, wie sie einmal sind, und mit Vorurtheilen Nachsicht haben, zumal wenn man hoffen darf, bessere Ueberzeugungen hervorrufen zu können.

Als Victor sich entfernt hatte und einsam durch die dunkle Straße ging, denn diese Unterredung hatte am Abend stattgefunden, überlegte er Alles, was er gehört, und nie war sein Herz mit größerer Verachtung gefüllt gewesen.

Wie würde mich dieser staatsweise Minister empfangen haben, sagte er, wenn ich ohne den goldenen Arm, der unsichtbar sein Gesicht glättete und seinen Rücken krümmte, vor ihn getreten wäre und mein gutes Recht gefordert hätte?!

Er lachte bitter vor sich hin und rief dann lauter:

O des jammervollen Puppenspiels, das überall dasselbe ist! – Sie werden kommen, sie werden heucheln und betrügen, wie sie immer betrogen haben. Ein gnädiger Blick wird sie belehren, was sie thun müssen, aber von dem Augenblick an, wo diese Gnadensonne für mich untergeht, werden sie boshaft, wie Affen, mir die Zähne zeigen und darauf sinnen, sich für den Zwang zu entschädigen.

Er wurde hier durch die Stimme zweier Herren unterbrochen, welche, schneller gehend als er, an ihm vorüberstreiften. – Victor erkannte sie sogleich. Es war sein Vetter, Graf Heinrich, der vertraulich seinen Arm unter den Arm des Herrn Isidor Berton geschoben hatte.

Ich mache mir gar nichts daraus, sprach dieser lachend. Ich mache meine Geschäfte selbstständig und werde heraufkommen; er aber wird es erfahren, was es heißt, mich an die Luft gesetzt zu haben. –

Es wird ein köstlicher Tag werden, sagte der Graf.

Oho, rief Isidor, es wird zum Todtlachen sein, ich muß es mit ansehen. Die Adresse kann ich Ihnen genau geben und gebrauchen läßt sich der Mensch zu Allem, was Sie wollen.

Victor hörte nichts weiter, als noch den einen lauten Ausruf: »Mit Geld ist Alles zu machen, das trifft ins Leben!« Dann verschallten die Stimmen, und verwundert sah er den beiden vertrauten Freunden nach.

Seltsam! murmelte er vor sich hin, was haben sie vor? – Gutes ist es gewiß nicht, und fast sollte ich meinen, dies Bündniß sei gegen mich gerichtet. –

Als er in das Eyben'sche Haus trat, fand er jedoch keine Zeit, um solchen Gedanken nachzuhängen. – Es war eine kleine auserwählte Gesellschaft beisammen, einige fremde Künstler und Reisende, einige Freundinnen Selma's, ein paar Familien, die zu den reichsten des Handelsstandes gehörten, und dazu eine Anzahl der gewöhnlichen Zuthaten, die in allen Gesellschaften die Staffage bilden, plaudern und tanzen, wie es beliebt wird, zur Unterhaltung beitragen, über Alles zu sprechen wissen und ein Lexicon von Redensarten auswendig gelernt haben.

Selma flog ihrem Bräutigam entgegen, zog ihn, sobald es anging, in eine Ecke und fragte hastig nach dem Erfolg seiner Unterredung mit dem Minister.

In den nächsten Tagen werde ich eine Audienz erhalten, antwortete er, um mich für die Bestätigung, welche mein Erbe sichert, persönlich zu bedanken.

O so ist Alles gut! rief das schöne Mädchen freudig. Alle unsere Feinde werden zu Neidern werden und ganz besonders wirst auch Du in der Achtung dieser großen Börsenmänner und ihrer Töchter, meiner liebenswürdigen Freundinnen, wachsen.

Es steht also mit meinem Credit schlecht, sagte er lächelnd.

Herzlich schlecht, versetzte sie spaßhaft. Es geht ein souveraines Achselzucken durch diesen hochachtbaren Kreis über meine Verblendung, einem Fürsten ohne Fürstenthum meine Hand zu reichen. Es macht mir Vergnügen, alle die kleinen Malicen in Empfang zu nehmen und darüber zu quittiren, aber noch mehr Vergnügen wird es mir machen, wenn Du ganz makellos, auch für diese engherzigen Seelen, sein wirst.

Man wird mich sogar mit einem Stern und einem Bande bedenken, sagte Victor; auch zweifle ich nicht daran, alsbald zu einem der hohen Hofämter ausersehen zu werden, wie alle meine Vorfahren dergleichen besaßen, bis sie Staatskanzler, Minister oder wirkliche Geheimräthe wurden.

Lieber, theurer Victor, sagte Selma, es mag Unrecht von mir sein, aber ich liebe Dich um so inniger, wenn ich sehe, wie Deine Gedanken seit einiger Zeit immer mehr sich einem glänzenden Ziele zuwenden. – Mögen andere Frauen Männer lieben, die im bescheidenen Kreise sie beglücken, mir ist es nicht gegeben, in der Dunkelheit des Lebens Befriedigung zu finden. Ich liebe den Mann, der nach dem Höchsten strebt, den Hochgeborenen und Hochgestellten, weil ich denke, dem Manne gebührt es, selbst nach Kronen zu greifen. Seinem Geiste ist keine Schranke gesetzt, seinem Genius müssen die Menschen gehorchen, und wer dies Streben in sich trägt, dem beugen sich auch die niedrigen Naturen.

Du stellst mir eine Stufenleiter Deiner Liebe auf, sagte Victor. Wäre ich ein Künstler, vielleicht ein großer Maler oder Dichter, würdest Du nicht dem Genius in mir eben so Deine verehrende Liebe weihen, wie Du sie dem Fürsten giebst, der dermaleinst Minister werden. soll?

Denke nicht, was unmöglich ist zu denken, antwortete Selma ihn umfassend. Ich liebe Dich, wie Du bist und dazu gehört Dein fürstlicher Name und Deine Zukunft, wie Dein Gesicht, Dein Geist und Dein ganzes Ich. Frage mich nicht, was ich liebe, aber läugnen will ich Dir nichts, denn ich habe es ja längst bekannt, daß ich ein stolzes Herz besitze. – Wärest Du ein großer Künstler, ich würde Dich bewundern, vielleicht Dich lieben, aber mein Ehrgeiz würde nicht befriedigt sein. Hätte man Dir Deine Güter genommen, Dich geächtet, von den Rechten und Stellen ausgeschlossen, welche Geburt und Rang Dir zuweisen, ich hätte Dich mit meiner Liebe angetrieben, Rache zu nehmen. Jetzt, wo sie Dir geben, was Dein ist, wächst diese Liebe um so feuriger, weil ich weiß, Du wirst der Erste unter ihnen sein; der Ritter Georg, der den Drachen tödtet.

Sie führte ihn zur Gesellschaft zurück und kein Abend verging so freudig wie dieser. Selma war so schön wie glücklich; so geistig angeregt wie anregend. Die Heiterkeit ihrer Laune wirkte überall belebend ein und selbst Victor wurde davon ergriffen. Man hatte ihn nie so gesprächig, so witzig im Wortstreite, so offen sich hingebend gesehen. Seine Kunsturtheile waren einsichtig und belehrend; er hatte so viel gesehen und mit gebildetem Auge betrachtet, daß er als Kenner gelten konnte, und jetzt öffnete er den reichen Kreis seines Wissens und entzückte sowohl die Künstler und Gelehrten damit, wie er mit seinen Urtheilen über Staats- und Handelsverhältnisse den reichen Bankiers beifällige Blicke abnöthigte. – Vielleicht noch mehr aber gefiel er den Damen durch seine feinen gefälligen Formen, und jene ritterlichen und höflichen Huldigungen, welche überall die Herzen der Frauen gewinnen. – Selma hörte seine Bewunderung und ihr Glück von Lippen, die bisher sich nicht dafür geöffnet hatten, und nie war sie stolzer und reicher an Liebe gewesen als jetzt, wo sich Alles glättete, Alles zu ebnen begann.

In den nächsten Tagen wurden mehrere große Gesellschaftskreise von den Verlobten besucht, und überall fand sich Selma im Vollgenuß einer schönen Gegenwart und großen Zukunft. – Der Ernst, welcher zuweilen seine Schatten auf Victors Züge warf, und die ärgerliche gereizte Stimmung des Fräuleins über das hochmüthige Gebahren eines Theiles der Aristokratie waren verschwunden. Selma harrte mit Lust auf den Augenblick, wo alle diese schiefen Gesichter plötzlich glatt und gerade werden würden; und Victor war seit der Unterredung mit dem Minister so heiter gestimmt, daß man ihm ansah, es sei eine Umwandlung in ihm erfolgt. Er bewegte sich so frei wie niemals, sah nicht mehr gelangweilt aus in dem Treiben eines Festsaales, und langweilte auch nicht mehr durch sein stummes Beschauen. Er war gesprächig geworden und mischte sich oft so lebhaft in die Unterhaltung, mit so vieler Laune und gesteigerter Lebendigkeit, daß es denen auffallen mußte, die ihn früher gekannt hatten.

Wie liebenswürdig er ist! sagten die Damen. Höchst drollig, geistreich und überaus muthwillig. – Wie hat man ihn nur steif und kalt finden können? riefen Andere. – Es ist fast zu viel Feuer und Lebendigkeit in ihm, und seine Augen funkeln und glühen zuweilen, daß man davor erschrecken könnte.

Die Liebe hat ein Wunder gethan, sprach Herr von Eyben lachend dazu. Selma ist eine Zauberin, aber auch ich habe meinen Zauberstab gerührt und neues Leben in ihm geweckt. Geben Sie Acht, was geschieht. Das Wunder wird noch größer werden.

Wann ist denn die Hochzeit? fragten ein paar Neugierige. Der alte Herr sah höchst geheimnißvoll und pfiffig aus. Aller Wahrscheinlichkeit nach recht bald, sagte er. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Ich habe die ganze Wohnung neu einrichten lassen; denn auf so lange, bis der Fürst sein eigenes Haus beziehen wird, wohnt das junge Paar bei mir. Die Frau Fürstin Karlsberg muß vor der Hand damit zufrieden sein. Es ist zwar nur einfach bürgerlich, aber ich habe wenigstens gethan, was ich thun konnte.

Man belachte diese Bescheidenheit, die den Schalk in sich trug, allein man erfuhr nichts über die Vermählung. Sie sollte nicht eher geschehen, bis Victor bei Hofe empfangen und im Besitz seiner Güter war, dann sollte sie mit aller Pracht vollzogen werden.

 

An einem der folgenden Morgen hatte Selma eine Partie in den Park verabredet, wo sie gewöhnlich mit Victor in der Mittagsstunde erschien. Der Tag war schön, die Promenade ungemein gefüllt. Fast die ganze Aristokratie war versammelt, welche nach ihrer Weise in Gruppen und Gesellschaften auf und ab spazierte.

Nach den ersten Schritten schon trat Graf Heinrich den Kommenden entgegen. Er hatte sich nicht wieder blicken lassen, jetzt jedoch war er zuvorkommend höflich, und mit den leichten Phrasen der hohen Gesellschaft schlüpfte er über Alles hin, was vorgegangen war und vergessen werden sollte. –

Er schloß sich Victor an, sprach über die verschiedensten Dinge, grüßte nach allen Seiten die Vorübergehenden, beantwortete lächelnde Blicke und mit einiger Genugthuung sah Selma, wie durch seine Begleitung Verwunderung und Befremdung in manches stolze Gesicht gerufen wurden.

Endlid sagte der Graf:

Wir waren gestern auf dem Landhause der Fürstin, dicht bei Ihrer allerliebsten Villa, die sich in junges Grün kleidet und ihre schöne Gebieterin zu erwarten scheint.

Sie soll nicht allzulange warten, erwiderte Selma; wir werden wenigstens einen Theil des Frühjahres sie bewohnen.

Nach Ihrer Vermählung? fiel der Graf ein.

Erröthend nickte das Fräulein ihm zu.

Herrlich! rief der Graf, so werden wir getreue Nachbarschaft halten können. Ich denke ebenfalls im Frühjahr dort zu wohnen.

Als Einsiedler? fragte sie scherzend.

Gewiß nicht, erwiderte er. – Wir waren gestern dort im Familienkreise und feierten – meine Verlobung! – Ja, wahrhaftig, es ist so, rief er Victor zu. Du siehst, daß Du nicht allein überraschen kannst.

Und Deine Verlobte? fragte Victor.

Du ahnest durchaus richtig, fuhr Graf Heinrich fort, sie heißt Josephine Pronary. Ich denke sie hier zu finden, und wenn ich nicht irre, erblicke ich sie dort in der Ferne mit der Tante und ihrem Großvater. Entschuldige mich, wenn ich ihnen entgegen gehe. Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Ich hoffe überhaupt, daß wir uns öfter begegnen und daß dieser schöne Tag des Begegnens geliebter Freunde und naher Verwandten wohlthätige und versöhnende Erinnerungen hinterläßt.

Victor war von dieser raschen und unerwarteten Mittheilung sichtlich betroffen. Die Verwirrung seiner Gedanken machte ihn stumm. Er blickte seinem Vetter nach, als wolle er ihn zurückrufen, aber er sah, daß dicht hinter ihm in gedrängten Reihen die ganze Schaar der vornehmen Welt wanderte, als folge sie ihm nach und erwarte irgend ein belustigendes Schauspiel. –

Sein finsteres Auge traf auf lachende, fragende und spottsüchtige Mienen; es kam ihm vor, als drohe ihm irgend ein Unglück, und er nahm Selma's Arm und sagte mit Anstrengung:

Es ist schwül hier, laß uns aus diesem Gedränge fort. Auch Du bist, wie ich sehe, verwundert über die sonderbare Neuigkeit. – Ein unpassenderes Bündniß wurde nie geschlossen; aber die Selbstsucht der Menschen kann Alles. Sie fragen wenig danach, ob sie vergiften oder tödten, wenn sie ihren Haß oder ihre Leidenschaften befriedigen können.

In demselben Augenblick trat hinter der Statue eines Apollo's, der auf dem kleinen Platze stand, auf welchem sie sich befanden, die schäbige und wüste Gestalt eines alten Mannes hervor, bei dessen Anblick Selma von tödtlichem Entsetzen ergriffen wurde. – Ein struppiger, grauer Bart flog um sein Kinn, der Wind spielte mit seinem langen verwirrten Haar, sein rothes Gesicht, mit den ausgeprägten Zügen moralischer Entartung, verzog sich zu einer grinsenden Freundlichkeit.

Ei, Selma! schrie er kreischend laut, es widerfährt mir ein Heil auf meinem Wege, daß ich Dich hier finde, um meine Glückwünsche Dir sagen zu können, Wünsche ohne Zahl und ohne Ende, daß Dich Segen und Wohlergehen begleiten mögen, Deinen Stamm und Dein Geschlecht zu allen Zeiten, bis in den Schoß der Erzväter. –

Er wollte ihre Hand ergreifen, sie riß diese zurück und mit erlöschender Stimme flüsterte sie Victor zu:

Befreie mich! Um Gottes willen! fort von hier, ich vergehe!

Was will der wahnsinnige Trunkenbold! rief Victor heftig.

Gott meiner Väter! schrie der Alte, daß ich das hören muß von meinem eigenen Blut. – Es ist meines Bruders Kind Selma. Ich habe ihr den Namen gegeben, Sie getragen in meinen Armen, und gut gebettet an meinem Herzen.

Jetzt verstand Victor Alles. – Er blickte umher und sah den ganzen Platz mit Damen und Herren bedeckt, die sich an dem Schauspiel weideten. Ihre Gläser waren auf ihn und auf die krampfhaft zuckende Selma gerichtet; sie bildeten einen Halbkreis um die belustigende Scene, stellten sich amphitheatralisch auf die Bänke, um besser genießen zu können, und mehr noch wie bei einem Stiergefecht zeigte sich hier die kalte, höhnende Grausamkeit der Frauen, von denen man das höchste, menschlich und göttlich schöne Mitleid erwarten sollte.

Hebe Deinen Kopf auf, Selma, sagte Victor, es ist nichts geschehen, was Dich beschämen oder beleidigen könnte. Fort! rief er dann mit Donnerstimme, und der alte Mann taumelte zur Seite. Geh' zu denen, die Deines Gleichen sind, und fordere die Bezahlung für ihr Bubenstück.

Mit stolzen Schritten ging er durch die Reihen, welche sich vor ihm öffneten und verstummten. Sein Gesicht voll Verachtung, sein kaltes, ruhiges Auge hatte hingereicht, um diese feige Menge einzuschüchtern. Selma schwankte an seinem Arm; er hob sie in den Wagen, todtenbleich und vernichtet sank sie in die Kissen.

Ich bitte Dich, sagte er flehend, richte Dich auf, zeige diesen jämmerlichen Menschen die Ueberlegenheit Deines Geistes.

Ich kann nicht, flüsterte Selma. Das ist, zu viel; o! das ist zu viel. – Dieser Spott, diese Schande! und öffentlich angefallen, öffentlich umarmt von dem Elenden, dem Bösewicht, den wir mit Wohlthaten überhäuften.

Erhebe Dich darüber, sprach Victor tröstend; Du siehst, wie es mit den Geburts- und Lebensverhältnissen der Menschen beschaffen ist, und was man ersinnt, um uns Wunden zu schlagen.

Entsetzlich! rief Selma, ich kann es nicht ertragen.

Sie deckte die Hände vor ihre Augen, ein Weinkrampf ergriff sie. Victor erschöpfte vergebens alle Tröstungen und Beruhigungen; man hatte das Aergste ersonnen, was möglich war, um sie zu demüthigen.

Endlich war das Haus erreicht, mit Mühe das Fräulein auf ihr Zimmer gebracht. Herr von Eyben kam ihnen entgegen, ein Papier in der Hand, das er mit schlauem, freudigem Lachen in die Luft hielt.

Als er das verstörte Gesicht und die kranke Gestalt seiner Tochter erblickte, warf er es auf den Tisch und eilte bestürzt auf sie zu. –

Was ist geschehen? rief er erschrocken; mein Kind, meine Selma, was ist vorgegangen?

Es ist Alles aus, Papa, sagte sie mit tonloser Stimme. Ich sterbe, ich kann es nicht überleben.

Sie wurde auf das Sopha geführt und der alte Herr ließ sich den Vorfall erzählen.

Nun, wenn es weiter nichts ist, rief er kaltblütig, darum verzweifle nicht. Es ist eine Büberei, zu welcher sich der Schuft gebrauchen ließ. Lache dazu, Selma, sie wird auf die zurückfallen, von denen sie ausging. – Bist Du nicht meine Tochter? Wird darum etwa meine Kasse leer, mein Einfluß geringer, mein Name schlechter? – Ich sage Dir, Selma, der schlechte Streich wird sich an seinen Verübern rächen. Alle rechtlichen Leute werden sich davon lossagen, und die gelacht haben, werden kommen und Buße thun. Sieh her, ich habe ein Pflaster für Deine Wunde. Hier ist das Document aus dem Cabinet. Fürst Karlsberg hat seine Güter bestätigt erhalten. Ich gratulire, Frau Fürstin, ich gratulire, mein liebes Kind. In acht Tagen soll die Hochzeit sein und ich will wetten, sie kommen Alle, die heut gelacht haben, und umarmen Dich und küssen Dich und wissen ihrer Bewunderung kein Ziel zu setzen.

Selma hörte Anfangs wenig auf diese und alle folgenden Trostgründe, aber nach und nach wurde sie ruhiger. Das Cabinetschreiben wurde gelesen, es enthielt die Bestätigung. In einem zweiten Schreiben wurde Victor unter schmeichelhaften Aeußerungen zum Kammerherrn ernannt. Das Gesicht des Fräuleins belebte sich, sie konnte gelassen über den schamlosen Auftritt sprechen, aber heftige Kopfschmerzen stellten sich ein, und endlich schien es das Gerathenste, den Arzt rufen zu lassen, der ein Fieber vorfand, Ruhe empfahl und Medicin verschrieb.


14.

Mehre Tage hütete Selma das Bett, und während dieser Zeit verbreitete sich eben sowohl das was ihr geschehen, wie die Nachricht von dem Ausgange der Privatangelegenheit des Fürsten durch die Hauptstadt. – Seine Ernennung zum Kammerherrn wurde bekannt gemacht, und plötzlich war die öffentliche Meinung fast ganz ungetheilt zu seiner Vertheidigung bereit. Die Zeitungen brachten Artikel über die nichtswürdigen Intriguen, welche man noch immer gegen den jungen Fürsten versuche, und endlich gab ein Journal eine pikante Erzählung über den inneren Zusammenhang des Vorfalls. Es wurde mitgetheilt, daß ein naher Verwandter des Fürsten einst unentdeckt Zeuge von einer sehr großmüthigen Handlung des Bankiers gegen seinen lasterhaften Bruder gewesen sei. Hierdurch habe er die Existenz desselben erfahren, und als nun der Fürst zum Aergerniß seiner Familie die schöne Erbin sich erkohren, sei der Plan geschmiedet worden, mit Hülfe eines weggejagten Buchhalters jenen schrecklichen Oheim zu bestechen und kommen zu lassen, um eine Handlung auszuführen, die einem Bubenstück so ähnlich sehe, wie ein Ei dem anderen.

Dies Alles, wie vielleicht noch mehr die verbreiteten Gerüchte über die gefährliche Krankheit, in welche das Fräulein von Eyben gefallen sei, zumeist aber wohl Nachrichten über Aeußerungen hoher Personen, welche aufs Strengste sich ausgesprochen hatten, machten schnell wahr, was der alte Herr prophezeihte. – Der Antheil an dem Opfer der Intrigue wurde allgemein. Jeder wollte jetzt zu den Redlichen gehören, die sich lossagten von den Urhebern – des Frevels, und nicht allein viele der noblen Familien, welche sich früher zurückgezogen, sondern auch andere den höchsten Kreisen angehörende sandten ihre Diener und Karten in das Eybensche Haus und fuhren selbst vor, um sich dort zu zeigen.

Unter den vielen Besuchen, welche Victor empfing, erschien endlich auch Graf Heinrich. – Niemals verlegen und niemals unvorbereitet, erwiderte er den finsteren Blick seines Vetters mit dem graziösen Lächeln, das ihn so gut kleidete; nur als Victor seine Hand nicht annahm, sondern eine leichte Verbeugung machte, schien er einen Augenblick gereizt und erröthete.

Ich weiß, sagte er, Du wirst nicht allzufreundlich von mir denken, und ich habe nichts dagegen; aber Du sollst wenigstens nicht von mir sagen, daß Eigennutz meine Absichten leitete.

Eigennutz ist noch nicht das Schlechteste, was man von einem Menschen sagen kann, erwiderte Victor.

Nun, wie dem auch sein mag, rief der Graf, Du hast Deine Güter und bist der Bräutigam der schönen Selma. Du bist Kammerherr und wirst mehr noch werden. – Ich habe heut meine Stellung bei dem Prinzen verloren. Alle die vortrefflichen, tugendhaften Leute kehren mir den Rüden, weil der Tag sich gewendet hat. –Ich will nicht abläugnen, was mir zur Last fällt. –

Ich bin kein Geistlicher, der Bekenntnisse zu hören hat, fiel Victor ein, und dürfte Dir wahrscheinlich auch keine Absolution ertheilen.

Gut, sagte sein Vetter, thu was Du willst, allein laß uns formell wenigstens abschließen. – Ich werde Josephinen heirathen und mich zurückziehen. Mein Vermögen ist gering, wie Du weißt, auch das ihrige wird nicht groß sein. Wir rechnen auf das Privatvermögen Deiner Tante, die ja auch meine nahe Verwandte ist, wenn auch um einen Grad entfernter. – Sie wünscht sich mit Dir zu versöhnen, denn wer wünschte dies jetzt nicht! Ich will Dir den Weg dazu erleichtern, aber ich erwarte von Dir das Versprechen, daß Du in Zukunft keine Ansprüche auf jenes Erbe macht. Die Fürstin hat mich zu der Verbindung bewogen, ich habe natürlich auf Manches gerechnet. Zurück kann ich nicht, Du aber bist reich genug und glücklich genug, um feurige Kohlen auf mein Haupt sammeln zu können.

Wenn Du Josephine Pronary heirathest, erwiderte Victor, so sei überzeugt, daß ich meine Tante darin bestärken werde, ihr zu hinterlassen, was sie besitzt.

Also ihr, rief der Graf lächelnd; gut, so geschehe es. – Lebe wohl! Die Fürstin ist mit Josephinen heut auf ihrem Landsitze. Ich kann nicht hinaus, wenigstens nicht vor Abend.

 

Am Nachmittage fuhr Victor nach dem Landhause. Er war entschlossen, mit der Fürstin zu sprechen. – In der Nähe ließ er den Wagen halten und ging durch einen Seitenweg an dem Gartenrand hin, bis er eine Stelle fand, die sich leicht übersteigen ließ. – Vor ihm lag die Villa, welche ihm gehören und die er bald bewohnen sollte, und dort hinter den hoffnungsgrünen Büschen und Bäumen schimmerten die ergrauten Mauern des alten Gebäudes, dem er sich mit bangem Gefühl näherte.

Im tiefen Nachdenken blieb er an der Hecke stehen, wo er Selma jüngst die Hand gereicht hatte. Neues Grün sproßte jetzt an ihren dürren Zweigen auf. Er lehnte sich an den mächtigen Stamm des alten Baumes, der ihn damals gedeckt hatte, und vor sich hin starrend flüsterte er endlich mit gepreßter Stimme: Wenn ich nicht hervorgetreten wäre, o! was dann? – was dann?!

In dem Augenblick hörte er hinter sich ein Geräusch und umblickend sah er Josephine Pronary wenige Schritte entfernt auf einer Bank sitzen, wo sie, dicht an den Baumstamm geschmiegt, ihr Gesicht zu ihm hin wandte.

Ihr dunkles Kleid und ein weißes feines Tuch, das sie über die hintere Hälfte ihres Kopfes geworfen hatte, gaben ihr das Ansehen einer Nonne. Neben ihr lag ein Buch und ihre Handschuh. Sie stützte die Hand darauf, und schien mit Aufmerksamkeit Victor zu betrachten. Als er sie grüßte, neigte sie leise den Kopf. Ein gewaltsames Lächeln flog durch ihr blasses Gesicht. Mit einer Entschuldigung über sein störendes Eingreifen in ihre Ruhe trat er näher, und ohne Befangenheit empfing sie ihn.

Dies Eingreifen in meine Ruhe hat nichts zu sagen, erwiderte sie. Ich bin Ihnen dankbar dafür, denn es erinnert mich, daß ich in diesem feuchten Park nicht verweilen soll.

Sie sind leidend? fragte Victor.

O nein! gab Josephine zur Antwort, ich fühle mich wohl, obwohl die Aerzte mir allerlei Warnungen und Rathschläge geben. Diese Luft bekommt mir nicht, sagen sie.

Er betrachtete sie. Es lag etwas durchsichtig Zartes in dem bläulich feinen Schimmer ihrer Haut. Ein Glanz schien von ihren lichten Locken auszugehen, oder es war der feuchte Glanz ihrer großen, milden Augen, die eine wunderbare Tiefe und Stille besaßen, wie ein Meer in Abendruhe, auf welches die Sonne ihre letzten Strahlen wirft.

Dann, sagte Victor, seine Bewegung verbergend, müssen Sie diese Rathschläge nicht versäumen. Sie haben, wie ich weiß, in einem herrlichen gesunden Thale gelebt, um diese zarte Gesundheit zu befestigen. Kehren Sie dahin zurück und vergessen Sie die böse Luft dieser Stadt.

Ich möchte es gern, erwiderte sie, aber – ich habe keinen Willen.

Der Ton ihrer letzten Worte drang schneidend in Victors Brust. Es lag ein Weh darin, das er zu gut verstand. –

Sie werden also hier bleiben? fragte er leise.

Man sagt es so, ich werde hier wohnen. – Die Fürstin ist sehr gütig, sie will uns diesen Besitz überlassen, bis wir vielleicht eine Reise machen.

Sie erröthete bei dem kleinen Worte wir, und ihre Stimme verlor sich zuletzt in ein Hervorhauchen der Sylben, als versage sie ihr den Dienst.

Victor antwortete nicht. Er ließ seinen Blick auf ihrem Gesicht ruhen, trostlos und kalt, dann nahm er ihre Hand, die leise zuckte, und führte sie an seine Lippen. –

Haben Sie eine Anklage gegen mich, Josephine? sagte er.

O nein! erwiderte sie zusammen schauernd, gewiß nicht. Wie könnte ich Sie anklagen? Sie haben mir wissentlich ja nie ein Leid gethan.

Kein Leid gethan, sprach er tief athmend. Sie haben Recht. Wie hätte ich gekonnt! Aber die Menschen, die uns in ihre Sünden drängen, und eine Macht, die wir nicht kennen, eine dunkle Macht, die man Schicksal nennt, Gott weiß es, was es ist! – Ist dort nicht meine Tante? fragte er sich unterbrechend und hastig aufstehend. – Wie dunkel es plötzlich wird!

Der Himmel ist so klar, wie er war, sagte Josephine erschrocken über seinen starren Blick.

Ist er? Nun so war es ein Irrthum. Leben Sie wohl, Josephine. Möge Ihr Lebenshimmel heiter sein; möge Alles, was dunkel ist, klar werden.

Mit raschen Schritten ging er fort und trat bald in die Säulenhalle, wo die Fürstin sich so eben gezeigt, und in der bequemen Bergere, die im Hintergrunde stand, niedergelassen hatte.

Sie konnte ihren Neffen kaum eher bemerken, bis dieser die kleine Anhöhe hinaufstieg, aber sichtlich kämpfte in ihrem Gesicht ein lebhafter Unwille und ein Erschrecken mit anderen Gefühlen, die sein Anblick hervorrief.

Victor blieb einen Augenblick stehen, dann eilte er, ehe die Fürstin sich erheben konnte, an ihre Seite, und ihre Hände ergreifend und küssend, sagte er, überwältigt von seinen Gefühlen:

Du hast mich verstoßen, aber ich komme dennoch wieder. Niemand steht jetzt zwischen uns. Meine Mutter habe ich nicht gekannt, Du bist es gewesen, so lange ich denken kann, und einer Mutter muß man sich beugen, Vergebung bitten. Vergebung, o, Vergebung! ich weiß nichts mehr!

Diesen Worten in immer größerer Bewegung gesprochen, war nicht zu widerstehen. –

O! Victor, rief die Fürstin beide Hände auf sein tiefgebeugtes Haupt legend, wie viel Gram hast Du mir gemacht! Er blickte zu ihr auf, in die tiefen Falten des Alters, die ihn anklagten. Und Du, sagte die stolze Frau, indem sie ihn betrachtete und schmerzlich seufzte, bist Du denn glücklicher geworden? – Du bist so blaß, Deine Stirn ist fieberheiß. Du bist krank, Victor.

Ich bin glücklich! sprach er – glücklich, fügte er hinzu, wenn ich meine geliebte Mutter versöhnt habe.

Du hast gesiegt, sagte die Fürstin. Mit Hülfe derer, die jetzt mit Dir sind, hast Du mir bewiesen, daß ich Unrecht hatte, wenn ich glaubte, die alten Gesetze der Ehre und die alten Ansprüche eines makellos reinen Namens lebten noch.

Theuerste Tante! erwiderte Victor im bittenden Tone, der zugleich warnend klang, rüttle nicht an den alten Wunden.

Sei ruhig, war die Antwort der Fürstin. Nachdem ich mich überzeugt habe, daß diejenigen, welche die ersten Hüter unserer Ansprüche sein sollten, die Ersten sind, die sie den Götzen einer neuen Zeit zum Opfer bringen, glaube und hoffe ich nichts mehr. – Leben mit Dir in dem alten innigen Verständniß, wie damals, wo Du mein Stolz und meine einzige Lebensfreude warst, das fordere nicht von mir; aber ich will thun, was ich zu thun vermag. – Ich werde bei Deiner Hochzeit nicht fehlen, ich werde mich bestreben, Deiner jungen Gemahlin alle die Ehre und Achtung zu erzeigen, welche sie zu fordern berechtigt ist. Ich glaube mich nicht länger widersetzen zu dürfen, und weder will ich der Welt ein Aergerniß geben, noch billige ich, was man gegen Dich versucht hat.

Und Josephine? sagte Victor.

Sie wird Deinen Vetter heirathen, und wie ich hoffe, wirst Du einwilligen, daß ich, was mein ist, dem jungen Paare hinterlasse.

Liebe Tante, begann Victor, so ruhig er es vermochte, ich würde selbst Dich bitten, Dein Vermögen auf Josephinen zu vererben, wenn diese Bitte nöthig wäre; aber diese Heirath – mein Gott! muß sie denn heirathen?!

Die Fürstin sah ihren Neffen erstaunt an. –

Da eine Verbindung unserer Familie so lange schon zwischen dem Grafen und mir verabredet war, und Du Dich so entschieden davon abwandtest, erwiderte sie, so ist Dein nächster Verwandter an Deine Stelle getreten. Gestern ist in Beisein einiger Zeugen der Verlobungsact vollzogen worden.

Ich weiß es, erwiderte Victor, aber es giebt keine unpassendere Verbindung. Die Charaktere so entgegengesetzt, die Neigungen so verschieden, nirgend eine Verständigung zu erwarten, und mehr, als Worte sagen können, sagt der Anblick Josephinens mit welchen Empfindungen sie dieser Ehe entgegengeht. – Muß denn durchaus ein Opfer fallen!! rief er bewegt, als er die Fürstin verstimmt sich abwenden sah. O! laßt es genug sein, ich glaube, es ist ohne dies der Altar schon bekränzt.

Am besten ist es, erwiderte die Fürstin, wir brechen dies Gespräch ab. Du hast über Dich bestimmt; in Josephinens Zukunft Dich einmischen, würde für Dich am wenigsten passen. – Du mußt das fühlen, fuhr sie fort, überdies aber kann sie so wenig jetzt mehr zurück, wie Dir es möglich sein würde. Die Verlobung ist heut veröffentlicht. Josephine weiß, was ihre kindliche Pflicht ist, Graf Heinrich aber wird wenigstens weder ein Tyrann noch ein Gemahl sein, der nicht Nachsicht zu üben weiß, und alle Formen beobachtet.

Aber er liebt sie nicht und wird sie nie lieben! rief Victor. Er ist leichtsinnig, verschwenderisch: ein Mensch, der an mir selbst bewiesen hat, wessen er fähig ist, wenn er Pläne und Absichten verfolgt.

Er wird Gesandter werden, sagte die Fürstin ruhig. Allen seinen Anlagen nach wird er ein ausgezeichneter Diplomat sein, was er bei verschiedenen Aufträgen hinlänglich bewiesen hat. Vor einer Stunde war Graf Reizenstein bei mir, dem man diese Zusicherung ertheilte – als Entschädigung für andere fehlgeschlagene Erwartungen, fügte sie mit schärferer Betonung hinzu. – Nimmst Du so lebhaftes Interesse an Josephinen, so kann der Einfluß Deines Schwiegervaters, verbunden mit Deiner neuen Stellung zum Hofe, vielleicht sich bethätigen, um rascher zur Gesandtschaft zu gelangen. Josephine wird dann in der großen Welt leben und mit deren Freuden sich trösten, wenn etwa die Liebe nicht ausreicht. Sie wird nicht mehr fordern, als viele tausend Andere begehren dürfen. – Brechen wir also ab davon. Wann wird Deine Vermählung stattfinden?

In nächster Woche, erwiderte Victor. – Ja, brechen wir ab davon; es ist nur zu wahr, man muß nicht mehr fordern, als so viele Andere bedürfen, um durch die Welt zu kommen!

Er stand auf und nach einigen allgemeinen Phrasen nahm er Abschied von der Fürstin. – Sie hielt ihn nicht auf und lud ihn nicht zur Wiederkehr ein. Das Band der Liebe, das sie einst mit diesem Neffen verknüpfte, war zerbrochen, und wenn auch in einzelnen Augenblicken sich die alte Stimme hören ließ, bald war sie wieder verklungen. Es war zu viel geschehen, um eine rasche Versöhnung möglich zu machen.

Ich werde an Deinem Hochzeitstage der Trauung beiwohnen, sagte die Fürstin; später auch gern Dich bei mir empfangen. Ueberhaupt dürfen wir die Zeit nicht vergessen. Nichts heilt so gründlich alle Wunden, wie diese, und was etwa nicht heilen will, nun das heilt endlich der große Arzt jedes Erdenwehs, der Tod!

Er ist der Friedenbringer, wo eine müde Seele nichts sieht, als Schrecken, erwiderte Victor lächelnd und leise seufzend. So schlichtet sich freilich jeder Streit; aber wer möchte nicht leben, wenn es möglich ist?!

Er küßte der Fürstin die Hand und ging. In der Ferne an dem sonnigen Abhang sah er Josephinens weißen Schleier durch die Gebüsche wehen. Er stand still und bedachte sich. Plötzlich erblickte er die Gestalt, wie sie langsam aus dem Grün hervortrat, und neben ihr einen Mann, der ihren Arm in dem seinen hielt und sie umfaßte. Es war Graf Heinrich. Seine lachende, laute Stimme drang herüber; jetzt wurde er gesehen, der Graf rief seinen Namen und winkte ihm zu.

Victor zog grüßend den Hut. Dann eilte er rasch hinaus; bleich und athemlos erreichte er den wartenden Wagen. –


15.

Der Hochzeitstag war gekommen und nichts glich der Pracht, mit welcher Herr von Eyben seine Festsäle ausgestattet hatte. Sie waren in Blumenhallen verwandelt, mitten darin stand der Altar, an welchem die Trauung stattfinden sollte. Dem feierlichen Acte schloß sich ein Diner an, zu welchem alle Köstlichkeiten ausgesucht wurden, welche die feinste Kunst erwählter Meister zu schaffen vermochte. Der alte Herr wollte zeigen, wie ein Geldfürst Tafel halten könne, und selbst der Minister-Präsident, der die Einladung angenommen hatte, sollte davon überrascht werden. –

Ueberhaupt war ein Theil der hohen Aristokratie geladen, und zwar mit Auswahl, ganz nach Selma's berechnender Kritik, um die Nichtgeladenen zunächst empfinden zu lassen, was dieser Vorzug bedeute. Der Kreis war nicht groß, aber es war der gewählteste, den die Hauptstadt bot; er vereinte ebenso wohl die Ersten und Reichsten, wie die Hervorragendsten und durch Geist und Talent Begabtesten.

Herr von Eyben hatte Alles gebilligt, was seine Tochter anordnete. Er hatte überdies eine große Summe für Brillanten zu einem kostbaren Schmuck angewendet; er hatte an verschiedene wohlthätige Vereine und Stiftungen reiche Geschenke gesandt; eine Anzahl Armer sollten auf seine Kosten gespeist werden; nur einem widersetzte er sich entschieden, der Einladung Gerstenbergs.

Wir wollen uns anderweitig mit ihm abfinden, sagte er, aber ich will nichts mehr mit diesem Baumeister zu schaffen haben. Es ist das Einzige, was ich auch von Dir verlange, Selma: halte die ganze Familie von Dir entfernt.

Ich bin dem jungen Mädchen einigen Dank schuldig, sagte das Fräulein.

Gut, so danke ihr, wie Du danken mußt. Schicke ihr ein anständiges Hochzeitspräsent, aber laß sie Dir nicht nahe kommen. Erstens ist es nicht sehr ehrenvoll, mit Leuten dieser Art umzugehen, die nichts sind und nichts haben, zweitens würde es Mißfallen erregen, drittens aber würden sie bald wieder einen Einfluß auf den Fürsten ausüben, der Dir unangenehm werden könnte.

Du hast Recht, Papa, erwiderte die Braut, und seit ich erfahren habe, daß Gerstenberg sich herausgenommen hat, Victor abzurathen von der Verbindung mit mir, ist er mir fatal.

O! rief der alte Herr, wenn er das durchgesetzt hätte – er fuhr mit der Hand durchs Haar und drehte sich auf den Hacken um. – Er hat es nicht durchgesetzt, fuhr er gelassen fort, und eben darum habe ich den Isidor verloren, was mir den größten Verdruß bereitet. Der Mensch mit seiner glücklichen Hand macht Geschäfte, die ihn schnell heraufbringen. Man bewundert ihn an der Börse, er wird einen Namen haben in Jahr und Tag, vor dem Jeder den Hut zieht, und wie das Gerücht sagt, wirbt er um Deine Freundin Cornelia, die Tochter des Geheimen Commerzienraths.

Viel Glück, erwiderte Selma.

Er ist freilich kein Fürst, sagte Eyben, doch ein ferner Schwiegersohn. Nun, es ist gemacht und abgeschlossen, aber wir müssen uns sicher stellen. Der Heirathscontract erhält Dir Dein ganzes Vermögen, worüber Dein erlauchter Gemahl gar nichts zu sagen haben wird.

Victor hatte nichts dagegen, Papa, sprach die Tochter.

Er ist die Sanftmuth, die Güte selbst, gab der alte Herr zur Antwort. Daran zeigt er, daß er nicht denkt und kein Mann ist, der rechnen kann. Er ist mit Allem zufrieden, das mißfällt mir zumeist.

 

Victor war in der That während der ganzen Woche, deren größten Theil er in Eybens Hause verlebte, immer lächelnd, immer nachgiebig gewesen. Er hatte zu Allem sich bereit erklärt, Alles gut geheißen, und alle Quälereien des bedächtigen Herrn von Eyben vergnügt aufgenommen. Seine heitere Laune war außerordentlich liebenswürdig. Sie war ganz ohne Widerspruch, immer zum Scherz und zur Zuvorkommenheit bereit, und wer ihn sah und hörte, war von seinem Glück überzeugt.

Am Morgen seiner Hochzeit fuhr er zu der Fürstin, nachdem er Selma mitgetheilt, welche Verabredung er mit ihr getroffen habe. – Sie hatten gemeinsam über den strengen Stolz gespöttelt, bis die Braut endlich sagte:

Sie hat Recht. Ein innigeres Verständniß kann vor der Hand nicht kommen. Mag sie sich hinter allen Reifröcken der noblen Förmlichkeit verschanzen, wir wollen später uns zu nähern suchen.

Die Fürstin empfing ihren Neffen schon im vollen Schmuck. Im Hofe stand ihr Wagen bereit; als er eintrat, kam sie ihm mit freundlicherer Mine entgegen, als er erwartet hatte.

Ich erkenne Deine Liebe und danke Dir, Victor, sagte sie, daß Du noch einmal zu mir kommst, kurz vor der feierlichen Stunde, die Dich – mir entreißt.

Ihre Stimme zitterte, sie suchte ihre Bewegung zu beherrschen. – Victor küßte ihre Hände.

Sprich nicht so, theure Tante, sagte er, ich komme, um Dir zu betheuern, daß ich bis zum letzten Augenblicke meines Lebens nicht aufhören werde, Dich zu ehren und zu lieben. Ich komme, um Deinen Segen zu bitten.

Ein heftiger Kampf schien die stolze Frau zu ergreifen, sie rang sichtlich um einen Entschluß, der ihr schwer wurde. – Ich kann Deine Ehe nicht segnen, sprach sie endlich, ich vermag es nicht, denn ich erkenne nur Unglück darin. Aber ich segne Dich aus vollem Herzen, und dieser Segen soll Dir bleiben; Du sollst ihn mitnehmen, wohin Du gehen magst.

Victor neigte sich stumm. Einen Augenblick schien es, als wollte er seine Knie beugen, aber er wandte sich ab, um sein feuchtes Auge zu verbergen, und plötzlich erstarrte sein Blut, denn am Fenster stand Josephine.

Du hast sie nicht bemerkt, sagte die Fürstin, das ist immer Dein Fehler gewesen, heut nun könnt Ihr Euch gegenseitig beglückwünschen. – Graf Heinrich hat seine Stellung schnell erhalten, er geht nach Paris. Nur acht Tage bleiben ihm für die Flitterwoche seiner Ehe. – Die Hochzeit wird daher schnell der Deinigen folgen, sie wird heut Abend eingesegnet werden, im Beisein weniger Zeugen. Ich glaube nicht, daß wir nöthig haben, auf äußeren Prunk zu halten und ein Fest daraus zu machen. – Se. Majestät hat die Einwilligung durch Specialbefehl ertheilt und uns von allen Formalitäten entbunden.

Heut Abend! murmelte Victor, indem er sein Auge fragend zu Josephinen aufhob.

Sie nickte ihm leise zu, Ihr Mund lächelte, aber es war ein nervöses, krampfhaftes Zucken. Die durchsichtige Weiße ihres Gesichts, wurde von einem Strom rothen Blutes belebt, der plötzlich die liebliche Farbe des Lebens ihr auf Stirn und Wangen führte. Ihre großen schönen Augen blickten ihn zum Abschiede mit einem unnachahmlichen Ausdruck des Schmerzes und der Liebe an, zu einem ewigen Lebewohl, das in ihm wie mit Donnerstimme widerhallte.

Was er erwiderte und was seine Blicke aussprachen, ging für die Fürstin verloren. Sie sah nichts, als daß Josephine erbleichend schwankte, daß ihr Neffe einen Augenblick sie in seinen Armen hielt, sie auf einen Stuhl führte, einen Kuß auf ihre Lippen drückte und ein paar Worte flüsterte, welche sie nicht verstand.

Du gehst voran, sprach die Fürstin lächelnd; wundre Dich nicht, wenn Josephine Dir bald nachfolgt.

Victor wandte sich zu ihr um, sein Gesicht war freundlich, nur seine Lippen bebten.

Theuerste Tante, sagte er. Du siehst Deinen Wunsch erfüllt. O! trage Sorge für Josephinen. Das ist meine letzte Bitte.

Ich habe gesorgt, flüsterte die Fürstin ihn geleitend, mein Vermögen gehört ihr. – In einer halben Stunde werde ich im Hause des Herrn von Eyben sein.

Noch einen langen Blick warf Victor zurück. Josephine hatte den Kopf an den Arm gestützt, sie sah nicht auf. – Der Fürst stieg rasch in den Wagen, aber statt nach dem festlichen Hause, ließ er sich zu Gerstenberg's fahren.

Als er in das kleine stille Zimmer trat, wo der Geist der Ordnung und Sauberkeit waltete, ergriff ihn ein überwältigendes Gefühl. – Der warme Sonnenschein drang durch die hohen Geranien, die am Spalier das Fenster überzogen, und warf sein Schattenspiel über die blanken Dielen. Der alte Vater in seinem wallenden weißen Haar sprang von seinem Sitze auf, Antonie warf die Näherei fort, mit der sie beschäftigt war und beide riefen nach Georg, der aus dem Nebengemach herbeieilte, wo er am Reißbret gearbeitet hatte.

Nun, Gott sei Dank! Herr Victor, rief der Greis, Sie lassen mein Wort nicht zu Schanden werden. Habe ich es nicht immer gesagt: zweifelt nicht, Herr Victor wird seine alten Freunde nicht vergessen. Er muß nur erst in die rechte Harmonie gesetzt sein, oder den Schlüssel für seine Dissonancen gefunden haben. Und das wäre ein schlechter Musikant, der den nicht endlich zu finden wüßte.

Darum fort mit allen schlechten Musikanten! erwiderte Victor lachend, indem er dem Musikdirector die Hände reichte, dann Antonien und dann Georg, die ihre Freude ausdrückten ihn zu sehen.

Ich komme nur einen Augenblick heran, sagte er, um im alten Leben Euch noch zu sehen. In einer halben Stunde werde ich erwartet. Vor dem wichtigen Abschluß aber wollte ich Euch nochmals meinen Dank für alle die Liebe und Treue aussprechen, die ich hier gefunden habe, und um Verzeihung bitten für so viele Mühen und Sorgen, die ich meinen Freunden machte.

Wenn's auf Dank ankommt, Herr Victor, rief der Greis, so sind wir Ihnen den schuldig. Georg hat einsehen gelernt, daß man nur auf sich selbst fest bauen soll. Mit dem Staat und den großen Herren ist es nichts. Er hat die Hoffnung aufgegeben, angestellt zu werden und arbeitet jetzt als Privatbaumeister; zeichnet Hefte, macht Rechnungen, die diesmal nicht ohne den Wirth sind, und befindet sich wohl dabei.

Aber, lieber Vater, fiel Antonie ein.

Lassen Sie ihn schelten, sprach Victor lächelnd, ich habe es verdient. Georg hat sich über mich zu beklagen, ich weiß jedoch, er wird auch Entschuldigungsgründe beachten. –

Schweigen wir davon, sagte Gerstenberg. Ueber Vergangenes soll der Mensch nicht nutzlos grübeln, nur weiser werden, um für die Zukunft zu lernen.

Ja, lieber Freund, sprach Victor mit Innigkeit, Deine Zukunft wird eine freudige und sichere sein. Du wirst mit Antonien nun bald Dich vermählen, und wirst es mir nochmals versprechen, nicht länger damit zu zögern.

Sobald ich in meinem neuen Wirkungskreise den ersten festen Grund gelegt habe, soll mein lang genährter theuerster Wunsch sich erfüllen, erwiderte Georg.

O! Herr Victor, rief der Greis, Sie müssen wissen, Georg kommt noch immer nicht so ganz über seine Bedenken fort, und doch muß ich ihn und mein Herzenstöchterchen dafür loben und tadeln zu gleicher Zeit. Heut noch wäre es ihnen leicht gewesen, alle Berge bei Seite zu schieben, und doch haben sie es vorgezogen, lieber noch daran aufzuklimmen.

Aber, lieber Vater, sagte Antonie zum zweiten Male.

Warum soll ich es denn nicht erzählen? fuhr der alte Mann eifrig fort. Antonie hatte gestern dem Fräulein Selma eine kleine Arbeit zum Andenken und Hochzeitsangebinde geschickt. Eine allerliebste Stickerei; das Landhaus des Herrn Bankiers mit der berühmten Hecke und dem alten Baum, hinter dem ein gewisser verliebter junger Herr sich versteckt hatte. Heut Morgen kam nun ein verbindliches, obwohl etwas höflich kaltes Dankschreiben voll allerlei Redensarten, nie zu vergessen und so weiter, darin aber lag ohne irgend eine weitere Bemerkung eine Anweisung auf die Casse des Herrn Vaters, die Antonien nicht weniger als fünftausend Thaler zahlen sollte. –

Und Sie, fragte Victor, ein brennendes Roth auf der Stirn, indem er sich zu Antonien umwandte, Sie haben es zurückgeschickt?

Sie werden mir Recht geben, daß ich es that, erwiderte das junge Mädchen.

Ja, ohne Zweifel! rief Victor in großer Unruhe, aber wenn der Freund dem Freunde zur größeren Schonung seines Lebens und zur Verschönerung und Veredlung desselben die Hand bietet, wenn er bittet, ihm die Freude und die Beruhigung zu gewähren, welche sich für mich daran knüpft: Ein solches Vermächtniß des Freundes wirst Du nicht zurückweisen, Georg, Du wirst mich nicht in solchen Schmerz bringen.

Er hielt die Hand in der Tasche seines Kleides, als wollte er etwas herausziehen, aber Georg hielt diese Hand fest und sagte mit größter Bestimmtheit:

Der Freund wird dem Freunde nichts aufdringen, Victor, er wird warten, bis dieser eine solche Bethätigung ihrer Freundschaft fordert. – Sei überzeugt von mir, daß, wenn ich je einer Hülfe bedürftig bin, ich zu Dir meine Zuflucht nehmen werde; jetzt aber achte mein Selbstgefühl, das mir sagt: Arbeite, Du kannst arbeiten! Arbeit macht frei!

Du bist sehr stolz sehr stolz! erwiderte Victor. Es könnte die Zeit kommen, wo Du meiner bedürftest und wo ich fern wäre, in einem anderen Lande, oder nicht in der Lage, von Dir erreicht zu werden. – Ich bitte Dich, mein Freund, mein Bruder, sage nicht nein, Du darfst nicht nein sagen!

Ich sage dennoch, nein! erwiderte Georg, und indem er seine Arme um den Freund legte und ihn liebevoll und kummervoll betrachtete, sprach er halblaut mit bedrückter Stimme: Ich hoffe zu Gott, theurer Victor, daß Deine Seele frei und männlich die Ereignisse beherrschen wird. Bedenke auch Du, was Du mir versprochen hast; bedenke, daß alles Glück und Heil unseres Lebens in dem Frieden liegt, der in unserer Brust ist. – Du hast große Hindernisse überwunden, Du hast gesiegt und stehst am Ziele. Baue nun an Deiner Zukunft; sei ein Mann, fort mit allen Schwachheiten! – Wenn das Leben Dich täuscht, wie so viele, nun so ertrage es und werde ein Philosoph, der kaltblütig untersucht, wo die Fehler sitzen, die der Schöpfer beging, als er die Welt machte und sein Ebenbild zum Herrn einsetzte.

Was? rief der Musikdirector lachend, Alles in der Welt, nur keine Philosophie am Hochzeitstage! – Da muß nichts gehört werden als Engelstimmen und Sphärenharmonien. Alle Geigen des Himmels müssen in Bewegung sein, und die große Passionsmusik Hirn und Adern durchdringen.

Das ist der beste Rath, sagte Victor, heut gilt es zu empfinden, und alles Denken zu vernichten. So lebt den wohl, meine Zeit ist um. Gott sei mit Euch, meine Freunde!

Und wenn werden wir uns wiedersehen? fragte Georg.

Besuche mich morgen und sieh', wie es mir geht, erwiderte er ihm die Hand drückend.

Nur keinen jungen Ehemann besucht in den Flitterwochen, rief der alte Herr. Ich rechne darauf, daß wir Sie sobald nicht wieder sehen, Herr Victor.

Wer weiß, erwiderte er laut lachend, aber es ist ein köstlicher Tag zum Leben und zum Lieben! Und indem er übermüthig einen Tanzpas machte und Antonien umfaßte, fuhr er voller Freudigkeit fort: Wissen Sie noch, meine kleine Freundin, wie ich zum ersten Male bei Eybens erschien und erbärmlich schlecht tanzte? Ich habe mich in der letzten Zeit sehr geübt, ich bin ein Tänzer geworden. Wenn wir wieder tanzen, sollen Sie von Wunder sagen. Lebt wohl denn, und nun vorwärts! Ich glaube wahrhaftig, ich komme zu spät und die Trauung beginnt ohne Bräutigam.

Er winkte ihnen lachend zu, sprang die Treppe hinunter und fuhr davon.

Er sieht ganz froh aus, ganz glücklich! sagte der Musikdirector.

Ich fand ihn erhitzt, erwiderte Antonie.

Nun zum Henker! rief der alte Mann, wie soll denn ein Bräutigam anders aussehen, als erhitzt? – Wenn ich heut meine Hochzeit feierte, würde ich ein wahrer Glühofen sein, und meine lahmen Beine keine Spur vom Zipperlein mehr empfinden.

Georg trat aus seinem Zimmer zum Ausgehen fertig, den Hut in der Hand. Da wir nicht zu den eingeladenen Gästen gehören, sagte er, will ich bei denen sein, die kein hochzeitlich Kleid anhaben, und wenigstens von der Straße aus den Hochzeitsduft mitgenießen.

Wir schicken den Georg als Taube aus, sagte der Greis, er wird wiederkehren und Bericht abstatten.

Hoffentlich kommt er mit einem Oelzweig, fügte Antonie hinzu.

 

Der Wagen des Fürsten hatte inzwischen das Haus erreicht, vor welchem sich lange Straßen glänzender Equipagen drängten. Er stieg aus und wandte widerwillig den Kopf, als er in das spöttische Gesicht Isidor Bertons sah, der unter den Zuschauern Platz genommen hatte. Isidor blickte ihn boshaft an, plötzlich aber trat er vor und reichte Victor ein Papier bin.

Was steht zu Diensten? fragte der Bräutigam.

Es ist eine Bittschrift, erwiderte Berton. Nicht für mich, durchlauchtigster Herr, sondern für den leiblichen Oheim Ihrer Fräulein Braut, den die Polizei auf Verlangen des Herrn von Eyben eingesperrt, weil er sich unterstand, seine Nichte im Park zu umarmen.

Victor schleuderte das Papier zurück, Isidor lachte höhnisch auf. Die Umstehenden lachten mit; es entstand ein Geheul, das absichtlich hervorgerufen war.

Oben an der Treppe kam der alte Herr Victor entgegen. Er war sehr ärgerlich und heftig.

Wo bleiben Sie nur? sagte er. Seit einer halben Stunde warten wir vergebens. Die Zeugen sind da, der Priester, die ganze Versammlung, und Selma steht allein, verlassen, Niemand weiß, was das heißen soll! Er nahm ihn bei der Hand, als Victor stehen blieb und einen Augenblick zu zögern schien. Eilen Sie rasch, eilen Sie! rief er. Selma ist höchst aufgeregt; man sollte meinen, Sie hätten vergessen, was hier geschieht.

Die Saalthür flog auf und zeigte den geschmückten Altar und den Kreis der Harrenden. Dort stand die Braut, strahlend in Zweigen von Diamanten zwischen denen Myrthenzweige sich schlangen, und dort am Fenster lehnte die Fürstin, gestützt auf den Arm Josephinens, neben welcher Graf Heinrich Platz genommen hatte.

Aller Blicke wendeten sich dem Bräutigam entgegen. Auf Selma's Stirn lag eine Wolke, ihre Augen blitzten von Erregtheit. Victor grüßte lächelnd, dann wandte er sich zu seinem Schwiegervater und sagte hastig:

Nur einen Augenblick, um auf mein Zimmer zu eilen. Ich komme sogleich zurück, sagen Sie das Selma; ich komme sogleich.

Ich sah ihn erschrecken, flüsterte Selma dem Vater zu, als er die Begleitung der Fürstin erblickte. – Ich muß auch gestehen, daß ich es unpassend finde, kränkend für mich; aber Geduld – Mein Gott! Papa, laß mich nicht in dieser Lage, rufe den Fürsten.

Sogleich, erwiderte der alte Herr, da kommt er.

In diesem Augenblick bebte der Saal von dem Donner eines Schusses. Ein erstarrendes Verstummen folgte, dann ein gellender Angstschrei von Josephinens Lippen, die leblos in die Arme des Grafen sank.

Herr von Eyben lief nach der Thür, Selma kam ihm zuvor. Von der Treppe herauf drängten Menschen ein; die Dienerschaft hatte den Kopf verloren, sie wußte nicht, was sie thun sollte.

Ein einzelner Mann bahnte sich gewaltig den Weg, es war Gerstenberg. Er sah Selma mitten in dem Pulverqualm, der aus einem der Seitenzimmer drang. Er sah sie zurücktaumeln und fing sie in seinen Armen auf, während seinem Blick sich das Entsetzliche enthüllte, was hier geschehen war. –

Victor lag vor ihm in einer Ecke des Sophas; sein Oberkörper weit zurückbogen, sein blasses Gesicht aufwärts gerichtet, das lange Haar zurück geschlagen, und neben ihm an der Erde eine kleine, noch dampfende Waffe. Von der schlaff niederhängenden Hand rieselte Blut, das in großen Tropfen auf den Teppich fiel; rothes Blut quoll über die weiße Weste.

Schließt die Thür! sagte Selma mit brechender Stimme. Ein Unglücksfall ein entsetzlicher Unglücksfall! – Ruft Aerzte herbei Hülfe! eine Unvorsichtigkeit – mein Gott! laß mich sterben!

Gerstenberg trug sie fort, Wehgeschrei und alle Schrecken der Angst und Verzweiflung füllten das Haus.


Nach mehren Stunden kehrte Gerstenberg in seine Wohnung zurück. Auf seinem ruhigen, ernsten Gesicht lag ein Zug der Wehmuth und der Stille.

Nun, rief der Greis von seinem Sorgenstuhle, ist Alles vollbracht?

Alles, sagte der Sohn.

Victoria! schrie der Musikdirector, das heißt, Du bist doch sogleich zum Pfarrer gegangen und hast Dein Aufgebot bestellt?

Ich bin dort gewesen, gab Georg zur Antwort. Demüthig in meinem Herzen habe ich gelernt, daß alles Menschenglück falscher Schimmer ist, wenn die rechte Kraft in uns fehlt. Auf nichts soll man bauen, als auf sich selbst. –

Antonie, die in der Nische des Fensters saß, sprang bei seinen letzten Worten auf und warf die Arbeit fort, die sie in der Hand hielt. – Seine Stimme zitterte, sein Auge hatte sich tief zurückgezogen, sie hatte ihn nie so kummervoll und elend gesehen.

Allmacht des Himmels! rief sie, was ist es? – Wo ist Victor?!

Frage mich nicht, erwiderte er. – Es ist ein kleines Wort, was ich antworten müßte, eine einzige Silbe, die alles Weh und alle Schrecken einschließt, und nichts übrig läßt von Allem, was besteht.

Todt! sagte sie erbleichend. – O meine Ahnung! Er war im Fieber, seine Augen glühten, seine Lippen logen.

Die Lüge! sprach Georg, ja sie ist es, die den Menschen nie zur Wahrheit kommen läßt. Sie lügen bis zum Selbstmord, weil sie die Wahrheit nicht ertragen können.

 

Kummervolle Tage vergingen. – In aller Stille wurde die Leiche des jungen Fürsten in die Gruft seiner Väter gebracht. Zeitungsartikel erschienen, welche den unglücklichen Zufall erörterten und beklagten, der plötzlich die glücklichsten Verhältnisse gestört habe. – Zugleich meldeten die Zeitungen, daß das reiche Erbe der fürstlichen Familie jetzt auf den Grafen Lanzfeld übergehe, der durch diese Familientrauer verhindert werde, mit seiner jungen Gemahlin nach Paris abzureisen. – Das tiefste Bedauern errege aber der unglückliche Zustand der verlassenen Braut, der zu den größten Besorgnissen Anlaß gebe. –

Nach einigen Monaten war der Antheil der Menge verstummt. Die Anzeige des Grafen Lanzfeld von dem frühen Tode seiner jungen Gattin, die nach kurzem, unaussprechlichem Glück ihn in innigster Betrübniß zurückgelassen hatte, wurde kaum bemerkt.

 

Gerstenberg feierte seine Hochzeit still mit wenigen Freunden.

Es war ein heiterer Sommertag, als er mit seiner jungen Frau ins Freie eilte, einem nahen Dörfchen zu.

Antonie hing an seinem Arm und betrachtete ihn mit liebevollen Blicken.

Wenn doch der Vater mit uns sein könnte, sagte sie. Du bist sein Stolz, und seit Dein Wissen und Wirken immer mehr anerkannt wird, seit Du so fest auf Deinen Füßen stehst, als ein rechter Mann, wie er es nennt, beklagt er es um so mehr, daß seine Füße nichts davon merken.

Laß uns sein Alter versüßen und ihn vergessen machen, daß die Zeit ihre Rechte fordert, erwiderte er. Aber bin ich nicht auch Dein Stolz, Antonie?

Mein Stolz und mein Glück, theurer Georg, rief sie ihm zu und ihre Blicke sprachen mehr noch als ihre Worte. Ach! warum muß der auf immer von uns gegangen sein, der so oft mir gesagt hat: Es giebt keinen edleren, stolzeren Mann, als Georg, wenigstens kenne ich keinen. –

Wecke die Todten nicht auf, sprach er leise. Sie kehren nie zurück; aber aus ihren Gräbern schicken sie Seufzer in unsere Herzen, die vergebens bangen und plagen.

In diesem Augenblick hörten sie hinter sich auf der Landstraße einen Wagen. Es war ein großes, englisches Reisecoupé mit vier Pferden bespannt, Bedienter und Jungfer saßen in dem Cabriolet. Die Fenster waren geöffnet, die Taffetvorhänge zurückgeschlagen. Antonie that einen Blick hinein und hielt sich krampfhaft an Georg fest.

Auf den Seidenpolstern, tief in die weiche Ecke gedrückt, lag Selma gespenstisch bleich. Ihr glänzend dunkles Haar fiel in langen Ringen auf die kranke Stirn; es kam Antonie vor, als starrten ihre Augen sie wild an, während ein Lächeln über die scharfen Züge lief.

Auf der anderen Seite saß der alte Herr mit ausgetrocknetem Gesicht, in tiefer Kümmerniß den Kopf in die Hand gestützt.

O, mein Gott! rief Antonie.

Herr von Eyben, sagte Georg, hat seine Geschäfte vor einigen Tagen Herrn Isidor Berton übergeben, den er, völlig versöhnt, zum Theilnehmer an seinem großen Hause ernannt hat. – Er selbst begleitet seine kranke Tochter.

Wohin?

Georg zog ein Zeitungsblatt hervor und reichte es ihr.

»Wir hören leider,« stand darin, »daß die einzige Tochter eines unserer reichsten und angesehensten Bankiers, deren tragisches Schicksal die allgemeinste Theilnahme erregte, wenig Hoffnung auf Wiederherstellung giebt. Die gestörten Geisteskräfte herzustellen, wird Herr von E. sie auf ärztlichen Rath nach Nizza begleiten, um dort vielleicht Heilung für sie zu finden.«

Antonie ließ das Blatt sinken und sah mit nassem Auge der Staubwolke nach, die den Wagen verbarg. Dann warf sie sich in ihres Mannes Arme. –

Laß uns nach Hause geben, zum Vater, sprach sie. – O! Georg, jetzt erst empfinde ich ganz mein Glück. – Geliebter meiner Seele, ich habe nichts als Dich, aber wie reich fühle ich mich!

Und diesen Reichthum wollen wir bewahren, sagte er zum Himmel aufblickend. – Armer Victor! Nicht die Verhältnisse sind es, welche das Glück bedingen, nicht die Stellungen sichern unsere Ruhe. – Unser Wille muß die Lüge überwinden, und die sittliche Kraft der Wahrheit unsere Schwächen!



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