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Von dieser Zeit an war ich öfter im Hause des Herrn von Wochardi, auch mehrere Male bei Jean Debry, der mich gern sah und dessen bedeutende Kenntnisse und philosophische Bildung mich eben so sehr interessirten, wie sein edles, ernstes und männliches Wesen. Erregbar für Alles, was ihn berührte, behielt er dennoch die unerschütterliche, äußerliche Ruhe, womit er seine heiß empfindende Seele bedeckte, und während er in kältester Weise zu urtheilen schien, öffneten sich zuweilen seine großen, dunklen Augen wie die Krater eines Vulkans, in dessen Tiefe ein glühendes Meer focht. –
Es ging mir jedoch seltsam mit diesem ungewöhnlichen Mann. So sehr ich ihn persönlich schätzte, so wenig war ich geneigt, mich ihm näher anzuschließen. Ich befand mich über ihn in einem beständigen Streit mit mir selbst, und wenn ich in seiner Nähe von sympathetischen Gefühlen gefesselt wurde, ergriff mich, wenn ich entfernt war, um so heftiger der Unmuth wider den Franzosen, der die Gewaltthaten gegen mein Vaterland leiten und vollziehen half. –
Dazu kam, daß seine beiden Genossen, Bonnier und Roberjot, widerliche, aufgeblasene Menschen waren, ganz gemacht, um den Stolz eines jungen, lebhaften Gemüths zu empören und zum Haß anzutreiben; endlich aber kamen in wenigen Wochen so viele Thatsachen vor, welche diesen Haß nähren und stärken mußten, daß ich kaum anders konnte, als den französischen Gesandten, wo ich ihn antraf, höflich und abgemessen zu behandeln, jeder näheren Berührung aber auszuweichen.
Drei Tage darauf, als der Chevalier mir lachend prophezeiht hatte, daß die Reichsdeputation das französische Ultimatum ganz gewiß annehmen würde, geschah dies zu meinem Schmerze wirklich. Aber damit noch nicht genug, setzten die Franzosen ihre Forderungen fort und verlangten nachträglich noch Manches, was sie vergessen hatten. Die Reichsdeputation bewilligte Alles, sie beugte sich demüthig vor den drei Republikanern, und jeder dieser sonst so stolzen deutschen Barone suchte nun erst recht ihre Gunst zu gewinnen.
Welch Schauspiel war das! Welche Erniedrigung, welche Schmach, dies Rennen und Laufen der großen und kleinen Gesandten zu sehen, um irgend eine Vertröstung oder Schutzzusicherung von diesen Fremdlingen zu erhaschen, diesen revolutionairen Krämern, welche mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung um sich blickten und meist gar keine Antwort auf alle demüthigen Bitten und Schmeicheleien gaben.
Bei allen diesen Gründen, mich fern zu halten, hatte ich aber noch einen besonderen geheimen Grund. Ich glaubte bemerkt zu haben, daß Jean Debry dem Fräulein von Hochhausen seine besondere Aufmerksamkeit widmete. Nach seiner Gewohnheit sprach er auch in ihrer Gesellschaft wenig, allein er konnte lange Zeit sitzen und sie anschauen, ihre klangvolle Stimme schien einen Zauber auf ihn zu üben, ihr Anblick ihm wohlzuthun, denn immer sah ich ihn davon nach und nach gleichsam wie an einer Frühlingssonne aufthauen. Wenn dann das harte, feste Gesicht sich belebte und seine Lippen lächelten, öffneten sich auch die reichen Adern seines Geistes; seine Gedanken waren so blitzend und scharf, wie seine Einfälle voller Laune und Frische. Er konnte in liebenswürdigster Weise das Gespräch und die Gesellschaft beherrschen, galant und fein den Damen huldigen, und ich glaubte deutlich genug wahrzunehmen, daß Bertha von Hochhausen davon nicht unberührt blieb. –
Dieser Mann, der Gesandter war, der im Rathe der Republik saß, dem große Fähigkeiten nicht abgesprochen werden konnten, ging augenscheinlich einer bedeutenden Zukunft entgegen. Sein Vorgänger in Rastatt war in das Directorium berufen worden, man sprach davon, daß auch ihm dies bevorstehe, daß er also in kurzer Zeit zu den Herrschern in Frankreich gehören werde.
Wenn ich dies Alles bedachte und meine Beobachtungen hinzufügte, war ich keinesweges so sicher wie der Chevalier de Bray, daß die Braut ohne alle Anfechtung ihm gehöre; es kam mir vielmehr vor, daß sie trotz ihrer schönen Unbefangenheit und ihres heiteren Sinnes sich merklich mehr zu Jean Debry neigte, wie zu dem abenteuernden Emigranten; daß sie jenem viele der kleinen kaum merklichen Aufmerksamkeiten erwies, durch welche Frauen in Blicken, Lächeln, Anschauen und Bewegungen ohne alle Worte ihre Gunst bezeugen können, während sie diesem verschiedentlich abweisende Antworten ertheilte, und ich fühlte mich dadurch, ich weiß nicht warum, mitgetroffen, verstimmt, zu einer bitteren Kritik getrieben und veranlaßt, diese auch gelegentlich geltend zu machen.
Dem entgegen kam ich häufig in das Haus des Grafen Lehrbach und fand Ersatz für mancherlei öffentliches und geheimes Aergerniß an den Auszeichnungen, welche mir eben so wohl bei dem Gesandten, wie noch mehr bei Frau von Garampi zu Theil wurden. Keine geringe Zahl junger und alter Herren bildeten ihren Hofstaat, und unter diesen waren mehrere, welche die ernsthaftesten Absichten hatten und es sich angelegen sein ließen, ihre Verehrung deutlich zu machen; ich konnte jedoch immer gewiß sein, daß ich keinen Nebenbuhler besaß, der mir ernstlich gefährlich gewesen wäre.
Zur gelegenen Stunde zeigte mir ein leiser Druck ihrer Hand oder eine mir zugeflüsterte Spötterei, daß ich der erwählte Cavalier noch immer sei; inzwischen konnte ich mich freilich eben so wenig einer Aufmunterung rühmen, die vielleicht in einer vertrauten Stunde mich jäh überwältigt und Alles vergessend mich zu ihren Füßen gebracht hätte.
Helene Garampi war kalt, trotz der Leidenschaft, deren sie fähig war, denn sie war klug und berechnend. Sie folgte ihren Neigungen nicht, wenn diese sich nicht rechtfertigen ließen. Sie erzählte mir selbst, daß sie eine Jugendliebe gehabt, einen jungen, schönen Mann, der dem Tode nahe gewesen sei, als sie ihren Gatten wählte.
Aber, fügte sie hinzu, ich besann mich nicht, ich wußte genau was ich that. Garampi war weder jung noch schön, allein er betete mich an und erfüllte alle meine Wünsche. Keinen Augenblick thut mir meine Wahl leid, nie hat er mir etwas abgeschlagen.
Und was ist aus dem Verstoßenen geworden? fragte ich.
O! er wurde hergestellt, seine Schwermuth verschwand. Dann hat er gescheidt geheirathet, ein Mädchen mit Vermögen, und jetzt ist er glücklich und zufrieden.
Sie lehnte sich in die seidenen Polster zurück und betrachtete lächelnd den Luxus, der sie umgab. Ihr üppiger, schöner Körper drückte sich in den rothen Damast, der Kopf mit der antiken, hohen Stirn und den dunklen Augen strahlte mir aus drei Spiegeln entgegen.
Ich möchte wissen, sagte sie, was aus mir geworden wäre, wenn ich meinen armen Freund erhört hätte? Viele haben damals den Stab über mich gebrochen, ich bin jedoch überzeugt, daß wir Beide ganz unglücklich geworden wären; von mir wenigstens weiß ich es gewiß.
Ich zweifle nicht daran, fiel ich ein, da ich weiß, wie Sie über die Liebe urtheilen. Doch jetzt, wo viele frühere Wünsche Ihnen erfüllt sind, wird das Herz um so mehr sein Recht fordern.
Das Herz! antwortete sie lächelnd, ja freilich, ich habe es Ihnen schon gesagt, dies wird bei jeder Frau immer seine Rolle spielen. Ich möchte keinen Mann nehmen, von dem ich nicht wüßte, daß er Wohlgefallen an mir hätte, mehr wie an jeder Anderen.
Aber das ist Eitelkeit, antwortete ich, und das nennen Sie das Herz?!
Als ob das Herz nicht der Sitz aller Eitelkeit wäre, sagte Frau von Garampi, als ob die Liebe nicht eben ein eitler Traum des Herzens ist, der, wenn er zerreißt, nichts übrig läßt, als Schaam über unsere Selbsttäuschung.
Aber was verlangen Sie von dem, der so glücklich sein soll, diesen Sitz aller Eitelkeit zu erobern?
Vor allen Dingen Gehorsam und Ergebenheit.
Und dann?
Wahrhaftig! rief sie mir zunickend, ich werde weiter darüber nachdenken, wenn ich einmal entschlossen bin, mich nochmals einem Manne zu überliefern. Wenn ich dies thue, muß ich sicher sein, daß er mich nicht in dem gewöhnlichen Elend des Lebens und der Ehe verkümmern läßt.
Gewöhnlich endeten unsere Unterhaltungen damit, daß sie sich an den Flügel setzte und in entzückender Weise spielte und sang, oder ich las ihr etwas aus den neuen Büchern und Schriften vor, welche in Rastatt zu haben waren, was sie jedoch meist nicht genug interessirte, oder sie lag in ihrem Rococo-Lehnstuhl und während das Feuer im Kamin hell loderte, versammelte sich ein ganzer Kreis befreundeter Personen um sie, der bis zur Theaterzeit beisammen blieb, und alle Tagesfragen, alle Neuigkeiten und die allerverschiedenartigsten Gegenstände aus allen Tonarten besprach.
Auch Graf Ludwig Cobenzl fand sich zuweilen dabei ein; besser jedoch lernte ich den geistreichen Epikuräer in den Abendgesellschaften bei Mademoiselle Hyacinthe kennen, zu welchen ich endlich Zutritt erhielt. Witz, Scherz, Laune und Muthwillen füllten diese Abende und diese Gesellschaften, in denen es aufs Strengste verboten war, ein ernstes Wort zu sprechen, oder von politischen Dingen zu reden. Es war ein Zauberkreis des üppigsten Lebensgenusses, dessen reife Früchte unbedenklich gepflückt werden konnten, und meine schöne Beschützerin kümmerte sich nicht im Geringsten darum, welchen anderen Göttinnen ich dort meine Dienste weihen mochte.
Ich bin nicht eifersüchtig auf diese witzigen und pikanten Damen, sagte sie; bei Allem, was sie bieten können, sind es doch nur Eintagsfliegen, die nicht werth sind, daß man sich um sie kümmert. Die Hyacinthe ist ein artiges Geschöpf, dann und wann mag man ein paar Stunden mit ihr verplaudern, und einige Andere ähneln ihr. Ich habe selbst einmal den Grafen Cobenzl begleitet, um zu sehen, wie es sich mit ihnen lebt, und ich kann mir denken, wie geistreiche junge Cavaliere solche Erheiterungen lieben, bis sie genug daran haben und andere lebende Püppchen suchen, um sich zu zerstreuen.
Aber diese Püppchen, antwortete ich, können doch selbst zuweilen schweres Unglück anrichten. Es giebt Beispiele genug, wo Schauspielerinnen zu hohem Rang erhoben wurden.
Sie blickte mich mit einem stolzen Lächeln an. Eine schöne Probe für Schwachköpfe, sagte sie. Wer dahin gerathen kann, in solchen Netzen hängen zu bleiben, ist gewiß nichts Besseres werth; eine Frau aber, die sich um dergleichen Privatvergnügungen der Männer kümmert, ist eine Närrin und ihre eifersüchtigen Krämpfe eine sehr gerechte Strafe.
Ich war ziemlich erstaunt über diese großmüthige Nachsicht.
Sie erklären also die Eifersucht überhaupt für Narrheit? fragte ich.
Zum ersten Male erhielt ich ein Zeichen ihrer Neigung, das mein Herz in Bewegung brachte. Sie legte ihre weiche, warme Hand auf meinen Arm und schlug die Augen lebhaft zu mir auf.
Nein, sagte sie, ich bin eifersüchtig, weil ich lieben kann, nicht mit dem Herzen lieben, sondern mit dem Kopf, ja, mit dem Kopf, in welchem alle Fäden des Lebens sich vereinen. Wenn dieser Kopf mir sagte, meine Liebe sei in Gefahr, ich sei verrathen; wenn eine Frau, die ich als Nebenbuhlerin fürchten muß, sich zwischen mich und den stellte, den ich mir erwählt: dann würde ich eifersüchtig sein, alle Qualen der Eifersucht würden mich umwinden!
Die funkelnden Blicke, mit denen sie mich betrachtete, und die Röthe, welche plötzlich über ihr blasses Gesicht zog, zeigten mir an, was sich plötzlich in ihr regte; doch Alles blieb die Aufregung einer Minute. Als ich ihre Hände festhalten wollte, sprang sie auf, lachte und schüttelte ihre Finger. –
Ich will nichts hören! rief sie, wir werden sehen, die Zeit wird kommen! – vor der Hand gehen Sie mit sich darüber zu Rathe, wie weit Ihre Ergebenheit reicht.
Wir wurden durch den Grafen Lehrbach unterbrochen, der ungewöhnlich lebhaft hereintrat, denn statt seiner hüpfenden Schritte machte er heut förmliche Sprünge; sein Zopf wackelte wunderbar und sein Zigeunergesicht mit den Kanonenlöckchen grinste und nickte wie eine Pagode. Graf Lehrbach war aber nicht allein, er kam in Begleitung des würzburger Domherrn Friedrich Stadion, der, was Heftigkeit der Bewegungen, hüpfenden Gang, zuckende Schwenkungen der Arme und Beine und hastig hervorgestoßene Redesätze betraf, eine wunderbare Verwandtschaft mit dem chinesischen Grafen kund that. Graf Stadion aber war viel jünger, und sein langes aristokratisches Gesicht mit den unruhig hin- und herfahrenden Augen gab ihm doch ein anderes Ansehen, als es der seltsamliche tiroler Kriegshauptmann besaß.
Frau von Garampi richtete sich nach der ersten Begrüßung auf, und sagte lächelnd:
Es muß etwas Besonderes vorgefallen sein. Was hat es gegeben, Graf Stadion?
Der Domherr in seinem malerischen Seidenmantel mit dem rothen Kreuz tänzelte der Dame näher und stieß einige heftige Worte hervor, deren Sinn ich nicht sofort faßte:
Diese Elenden! rief er, diese von Gott und den Sitten ihrer Väter Abgefallenen, sie trotzen und prahlen, weil sie wissen, daß sie es können.
Während dies geschah, hüpfte Lehrbach von der anderen Seite herbei, rieb seine unermeßlichen Finger, zuckte und ruckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf unter den abscheulichsten Grimassen. Bester Freund! fiel er dem Domherrn ins Wort, nur nicht aufgeregt, ohne allen Zorn, nur die Verhältnisse richtig gewürdigt, um zum Urtheil zu gelangen!
Wir wissen noch immer nichts, sagte Frau von Garampi, allein ich fürchte, daß wir wenig Gutes erfahren.
Warum denn nicht? erwiederte der Graf heuchlerisch demüthig. Alles ist gut, auch das Böse, wenn die Gnade Gottes es begleitet, daß es in seiner Hand sich verwandelt. Wir haben in Tirol ganz entsetzliche Dinge erlebt und dennoch waren diese nothwendig, um die herrlichsten Tugenden zu offenbaren. Die patriotische Treue und Hingebung für das kaiserliche Haus hätte sich niemals also entwickeln können.
Aber was ist es denn? fragte sie ungeduldig.
Eine neue Mittheilung des Herrn Jean Debry und seiner Collegen, fuhr er sanft lächelnd fort, auf Befehl der Herren Directoren in Paris uns heut übergeben. Diese Herren Directoren haben vernommen, daß ein russisches Heer die Donau überschritten hat und sich gegen den Lech bewegt; sie haben auch vernommen, daß das österreichische Heer am Bodensee und Oberrhein beträchtlich verstärkt sein soll; somit verlangen sie, daß zunächst die Russen vom deutschen Boden gänzlich entfernt werden mögen.
Der unverkennbarste Spott sprach aus ihm, und seine Geberden stimmten damit überein.
Und wenn dies nicht geschieht? fragte Frau von Garampi.
Dann, sagte der Gesandte auf- und abhüpfend, soll der Congreß ein Ende haben und die Friedensunterhandlung beendet sein.
Nun denn! rief die Dame, so wären wir so weit.
O nein, noch nicht! antwortete Lehrbach. Ich denke, der süße Friede soll so leicht nicht verscheucht werden.
So glauben Sie, daß die Russen den deutschen Reichsboden wieder verlassen? fragte ich ihn.
Wer kann das wissen? erwiederte er mit seinem beständigen Achselzucken, den Kopf in den Hals ziehend und ausstreckend, und in fortgesetzter unruhiger Beweglichkeit wie ein Maikäfer, der sich zum Fliegen fertig macht. Wer kann das wissen, bester Freund? Wir müssen diese drohende Eröffnung nach Wien senden; dort wird man sie prüfen, unser vortrefflicher Baron Thugut wird den Willen der kaiserlichen Majestät vernehmen; aber es kann wohl sein, daß es zum allgemeinsten Bedauern unmöglich ist, diese armen, lieben Russen mitten im Winter nach Polen zurück zu schaffen.
Es sind höchst liebenswürdige, feingebildete Menschen, diese Russen, sagte die gnädige Frau.
Ich glaube es nicht, lieber Graf Stadion, ich glaube es wirklich nicht, fuhr der Gesandte fort, daß man sich dazu entschließen kann, so grausam zu sein, diese großmüthigen Freunde mitten im Winter nach Polen zurück zu schicken. Ein fürchterlicher Gedanke, bester Baron, im Winter, im Schnee und Eis über die Karpathen zu marschiren. Und Suwarow hat 80 000 Mann, er wird so leicht nicht gehen wollen. Ich meine, lieber Graf Stadion, es kann das Frühjahr heran kommen, ehe die Russen eine Bewegung machen.
Meinen Sie mich damit zu trösten, antwortete der Domherr, wenn Sie mir die Aussicht eröffnen, daß diese moskowitischen Schaaren sich über Deutschland ergießen werden?
Tapfere Arme, bester Graf, tapfere Arme! rief Lehrbach. Suwarow wird von seinen Soldaten angebetet.
Der geistliche Herr schlug seinen schwarzen Seidenrock um seine Schultern und senkte auf der weichen Ottomane sein Haupt, wie Marius. – Knechtschaft von allen Seiten, sprach er verdüstert, hier die Franken, dort die Slaven. Was soll aus Deutschland werden?
Ein wiedergeborenes Reich, eine neue feste Burg! schrie der Graf.
Gott sei's geklagt! antwortete Stadion, indem er heftig aufstand und eben so arg zuckte und sprang wie Lehrbach, daß jede Hand geschäftig ist, die alte Burg einzureißen. Die glorreiche deutsche Verfassung helft ihr Alle vernichten, statt wie eine alte Fahne sie heilig zu achten. Sie schützte die Schwachen wie die Mächtigen, sie gab den Fürsten Raum Gutes zu thun, aber sie beschränkte deren Gewalt und war ein Hort gegen den Despotismus. Räumt den Schutt fort, so ist das alte Haus noch immer so fest, daß seine Feinde die Köpfe daran zerbrechen werden; aber wehe uns Allen! statt dessen ruft ihr die Russen herbei, und schon stehen bei Straßburg und Mannheim hunderttausend Franzosen, um Deutschland mit Schlachtfeldern zu bedecken.
Aber, mein theurer Freund! krähte Lehrbach auf ihn einhüpfend, wenn die Russen siegen, wenn wir das linke Ufer wieder erobern, wenn diese Monsieurs Jean Debry und Collegen ihren Raub aufgeben müssen, so erfüllen sich Ihre Wünsche, so kommt die gute alte Zeit wieder!
Die alte Zeit kommt niemals wieder, antwortete Friedrich Stadion, sie kann nicht kommen und soll nicht kommen; doch die neue Zeit, welche kommen wird, wird leider keine deutsche sein!
Nicht? nicht! rief Lehrbach die Hände reibend. Warum denn nicht?
Nein, sagte der Domherr, es wird eine französische, eine russische oder eine österreichische sein, deutsch nimmermehr. Deutsch könnte sie nur sein, wenn der deutsche Adel die deutsche Verfassung schützte, wenn er das auszuführen vermöchte, was Franz von Sickingen einst wollte, wenn jede Freiheit frei von Unterdrückung wäre. Aber ach! blickt hin wohin ihr mögt. Ueberall ist bei den Mächtigen der Durst nach Allgewalt, der Durst nach Unterthanen, bei den Schwachen der Schrei über Unrecht und Verrath, dabei aber die Gier es den Mächtigen gleich zu thun. Und wo ist der deutsche Adel, der einst an der Spitze der Geistlichkeit und verbunden mit den Städten die eigenen und des Volkes Rechte gegen die immer weiter greifende Fürstenmacht bewahrte?
Mein lieber Graf, sagte der Gesandte ihn zärtlich anfassend und hoch in die Höhe springend, die neue Zeit ruft den Adel um seine angestammten Fürsten, die ihn als Mauer vor ihren Thron stellen und ihn mit Gnaden und Ehren bedenken. Sie sind ja öfter schon in Wien gewesen, Ihr Bruder war im Dienste kaiserlicher Majestät. Es ist so übel nicht dort, eh?!
Mein Herr Graf von Lehrbach! rief der Domherr, indem er seinen Mantel um sich schlug und dicht an den Gesandten trat, wir waren dort, aber wir blieben nicht. Mein Bruder verließ den kaiserlichen Dienst, weil er den Despotismus eines Emporkömmlings, wie dieser Thugut, nicht ertragen konnte, und weil eine an den Blicken ihrer Herren alternde, aus den Vorzimmern stammende, in den Vorzimmern nistende Camarilla, eine Intriguantenclique, der nichts zu gut und nichts zu schlecht ist, ihm Ekel einflößte.
Die Blicke, mit denen der stolze Graf den Gesandten betrachtete, waren so brennend und einbohrend, daß Lehrbach beinahe seine unerschütterliche Fassung verlor. Seine braungelbe Haut bekam einen bläulichen Schimmer und sein grinsendes Gesicht etwas Gorgonenartiges, während seine Augen nicht recht wußten, wohin sie sich richten sollten.
Mein theuerster Stadion! sagte er schmeichelnd, ich denke, Sie werden so gerecht sein zu gestehen, daß der österreichische Adel in keiner Tugend gegen irgend einen Adel der Welt zurück steht.
Meinen Respect davor, antwortete der Domherr; Sie dagegen werden mir zugestehen, daß denn doch ein Unterschied zwischen dem Reichsadel und dem österreichischen oder preußischen ist. Die Unmittelbarkeit und Freiheit, mein Herr Graf von Lehrbach, sind Kleinode, die durch keine Fürstengunst und Gnadenketten aufgewogen werden.
Mit diesem eben nicht besonders höflichen Urtheil für uns machte er eine tiefe Verbeugung, drehte sich um und verließ das Zimmer. Der Gesandte begleitete ihn seitwärts chaussirend bis an die Thür und kehrte dann zurück, wahrend Frau von Garampi boshaft lachte.
Der gute Stadion! sagte Lehrbach kopfnickend und händereibend. Ein sehr altes Geschlecht, diese Stadion, uralt, aus Graubündten stammend, und noch immer uraltgesinnt, ohne rechte Begriffe darüber, was die neue Zeit verlangt.
So spöttelte er weiter und Frau von Garampi half ihm dabei. –
Wenn man diesen ehrwürdigen Domherrn hört, sagte sie, so sollte man meinen, die edle Reichsritterschaft und die Reichsarmee könnten wirklich das Vaterland retten. Was sind es für langweilige, fantastische und eingerostete Narren, die hier zu Dutzenden in Rastatt umherlaufen. Sie sind so heruntergekommen, so verkrüppelt, so unwissend, dünkelvoll und knabenhaft, daß sie Erbarmen erregen. In Wien bewirkt nichts mehr Mitleid und Gespött als so ein Schwabe, der aus der Wüste an den Hof kommt, und welch ein Don Quixotte muß man sein, wenn man mit diesem Reichsadel die Fürstenmacht bändigen, und die neue Zeit damit herbeiführen will.
Sie lachte laut auf und der Gesandte sprang wie ein Tanzmeister vor mir umher und demonstrirte mir, daß die beiden Stadion von je an überspannte, romantische Köpfe gewesen seien, die auch in Wien schon davon geträumt hätten, daß die kaiserliche Majestät mit der Reichsritterschaft und getreuen Städten das alte Reich der Deutschen zeitgemäß reformiren und ihm neue Kraft und Stärke geben sollten, indem sie die Fürstenmacht beschränkte.
In Wahrheit, antwortete ich, wenn Kaiser und Reich noch einmal mächtig, groß und einig werden sollen, muß diese Fürstenmacht gebrochen werden.
Er nickte mir lebhaft zu und drückte meine Hände. Sehr wahr! sehr richtig! rief er, ein ganz vortrefflicher, preiswürdiger Ausdruck hoher Wahrheit. Der Kaiser muß mächtig werden, damit sein Reich stark und einig sei. Wäre dies jetzt schon der Fall, bester Freund, diese Franzosen würden andere Saiten aufspannen und wir hätten die Russen nicht nöthig. Woher kommt die polnische Wirthschaft in Deutschland und auf diesem Unglückscongreß? Weil so viele große und kleine Herren hier zu Rathe sitzen, die da meinen, altes Recht dazu zu haben, und weil unser armes Vaterland so elendiglich zerspalten und zertheilt ist.
Das freilich ist der Knotenpunkt unseres Unglücks, antwortete ich.
Vortrefflich gesagt, ganz vortrefflich! schrie er wiederum auf mich einhüpfend und mich umarmend. Wer es redlich meint mit dem Vaterlande und seinem Kaiser, muß sich mit allen Guten verbinden, um ein einiges, starkes Deutschland endlich schaffen zu helfen. Das ist die Aufgabe der neuen Zeit, ein einiges Vaterland und kaiserliche, mächtige Hand darüber! Kommts dahin erst, so sollen die Schelme nicht ein Dorf, nicht einen Hof behalten!
Er schüttelte mich an der Schulter und aus seinen Blicken leuchtete ein ingrimmiger Haß und Hohn. –
Es ist zum Beweinen, flüsterte er dann halblaut, daß so viele Deutsche aus Eigennutz lieber mit den Feinden sind, als mit ihrem Kaiser. Ich nenne Niemand, will Ihr Herz und Ihr Ohr nicht kränken, aber denken Sie an den Frieden von Basel Der Friede von Basel (1795) setzte dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen bzw. Spanien ein vorläufiges Ende. Diese Parteien, in Koalition mit England, Österreich und den Niederlanden, bekämpften sich im Laufe des Ersten Koalitionskrieges (1792-1797). Der Friede führte dazu, dass das revolutionäre Frankreich als gleichberechtigte Großmacht anerkannt wurde. Preußen selbst führte das Abkommen schleichend in die außenpolitische Isolation., wie wir dort verrathen wurden, und jetzt – Wohin hat es diese Politik jetzt gebracht?!
Er wandte sich bei dieser Frage von mir ab an Frau von Garampi und sagte zu ihr:
Die Franzosen haben uns angezeigt, daß wir Salzburg und Oberbaiern nicht bekommen würden, da weder die Republik, noch Preußen jemals darein willigen könnten.
So haben sie ihre Versprechungen von Campo-Formio in elendester Art gebrochen? antwortete die Dame.
Der Gesandte zuckte die Schultern und ließ seinen Zopf heftig wackeln.
Freilich, freilich! seufzte er so sentimental er es konnte, kaiserliche Majestät ist in ihrer edlen Gläubigkeit und aufrichtigen Treue übel belohnt worden. Neidische Eifersucht verwehrt jetzt zum dritten Male, daß zum Heile Deutschlands Baiern und Oesterreich verschmolzen werden. Damit der Kaiser schwach und das Vaterland zerspalten bleibe, hindert Preußen wiederum eine solche heilsame Besitznahme. Möge es zusehen, daß es dafür Dank erntet; möge es aber nicht zu viel hoffen. Die bairische Dankbarkeit wird niemals groß sein.
Wir wurden unterbrochen, aber verschiedene meiner Aeußerungen hatten dem Grafen so wohl gefallen, daß er mir seine Beistimmung wiederholt ausdrückte, und Helene Garampi winkte mich an ihre Seite, ich durfte ihre weißen, schönen Hände küssen, ihr Neckereien zuflüstern und sie endlich in ihre Loge begleiten.
Die Auszeichnungen, welche mir zu Theil wurden, riefen die Neider wach, denn sie war schön, reich und in einflußreichen Verbindungen; allein eine Frau in der vollen Blüthe des Lebens, ehrgeizig und genußsüchtig, konnte nicht leicht in den Verdacht kommen, einen so jungen Anfänger wie ich ernstlich begünstigen zu wollen. Es erschien als die Caprice einer erfahrenen Weltdame, die sich an den Verehrungen des Neulings belustigte, so wenigstens faßte es ohne Zweifel Graf Ludwig Cobenzl auf, als er mir an Mademoiselle Hyacinthes Tafel ironische und witzige Glückwünsche über mein Cäsarentalent, Siege zu erringen, zuschleuderte.
Ich wurde bekränzt und mußte eine Dankrede halten, die mit allgemeinem, jubelndem Beifall aufgenommen wurde, denn ich bewies darin, daß die Sieger unter Amors Fahnen weit eher einen Platz in den Geschichtsbüchern verdienten, als die blutdürstigen Helden alter und neuer Zeit, und demzufolge der beglückende nächtliche Congreß bei Mademoiselle Hyacinthe weit eher auch seinen Geschichtsschreiber finden müsse, als die unerquickliche übrige Versammlung in Rastatt, welche nichts zu Stande brächte.
Wahrhaftig! rief Graf Cobenzl, als ich geendigt hatte, ich glaube jetzt wirklich, daß Sie vielleicht etwas zu Stande bringen, woran ich bis jetzt nicht gedacht habe.
An welches Herkuleswerk haben Sie nicht gedacht, Excellenz? fragte ich.
Mein guter Herkules, lachte er, sein kreideweißes Gesicht und seine schielenden Augen boshaft auf mich richtend, es giebt Arbeiten, die selbst einem Halbgott zu schwer werden; allein Sie haben Muth, vielleicht gelingt es Ihnen, aus Steinen Brot zu schaffen. Kalte, egoistische und stolze Frauen zur Liebe zu zwingen, ist die höchste Aufgabe eines sterblichen Mannes. Herkules selbst gerieth an den Spinnrocken der schönen Omphale, die ihm die Locken wickelte und in Unterröcken zu ihren übrigen Sklavinnen steckte, während sie seine Keule und seine Löwenhaut trug. Es lebe darum der Herkules, der Spinnrocken und Unterrock nicht fürchtet!
Als Ritter ohne Furcht entlassen, gerieth ich auf meinem Vorsaal wiederum mit Professor Samhaber zusammen, der mir diesmal jedoch nicht in Spillenmütze und Schlafrock erschien, sondern in vollständiger Tracht, lang, schwarz, wohlbezopft und dick bepudert, entgegentrat. – Der Stern der Wissenschaft kam soeben erst nach Haus und hatte sein Licht soeben an der kleinen Lampe auf der Flur angezündet, als ich ihn ereilte.
Vir doctissime! rief ich ihm zu, sehe ich Sie mit diesen meinen Augen weit nach Mitternacht erst heimgekehrt aus irgend einem verderblichen Pfuhl der Sünde! Vae tibi! wohin sind wir gerathen in diesem unseligen Rastatt, wo Niemand Rast hat, daß selbst dieser hochwürdige und tugendreiche Professor eine andere recreatio sucht, als seinen unsterblichen Labetrunk aus dem geheimnisvollen Fasse des himmlischen Elexirs, das hoffentlich noch lange nicht ausgeschlürft ist.
Samhaber wendete sich mit kläglichen Blicken zu mir. Er sah sehr erschöpft aus; sein langes Gesicht war noch länger, die rothe Nase blauröthlicher und spitzer geworden. –
O! sagte er seufzend und schwermüthig den Kopf schüttelnd, dieweil ich ein armer und geplagter Mann bin, bleibt mir wahrlich nichts weiter, als Abends in das lärmende Gewühl des Kaffeehauses zu laufen, um dort mein Elend zu vergessen.
Ein Mitleid faste mich, denn er sah wirklich leidend aus.
Wie, mein lieber Professor, fragte ich, sind Sie ernstlich unwohl?
Graviter! Graviter! murmelte er mit stieren Blicken.
Was ist es denn? Wo drückt es denn? fuhr ich fort.
Es giebt keine Abstimmungen mehr aufzusetzen, sprach Samhaber im wahren Grabestone, keine Denkschriften mehr, keine Promemoria, und in diesen beklagungswerthen, bedauerlichen, lamentablen und jammervollen Erleidenheiten erstarren meine Hände sowohl wie meine Sinne in unermeßlicher Langweiligkeit.
Unglücklicher Mann! sagte ich, ich verstehe; Sie haben nichts zu thun.
Nein, antwortete er, indem sein langer Kopf auf seine Brust niederklappte. Vehemente Desperation hat auch meinen hochwürdigsten Herrn Gesandten Stadion ergriffen. Es giebt keine Rettung mehr für die heilige Kirche, deren Feinde selbst die zerschmetternden Posaunenstöße der Wahrheit verhöhnen.
So hat Ihre letzte mühevolle Arbeit, die den Felsen Petri wieder aufrichten sollte, nichts gefruchtet?
Man hat sie abgewiesen, flüsterte Samhaber, ohne sie zu lesen. An die zweihundert Bogen voller Beweise zum Schutz und Schirm des Rechtes schnöde abgewiesen!
Aber Sie besitzen doch noch von Ihrem wundervollen Tranke des Lebens?
Mit plötzlicher Begeisterung drückte er meinen Arm und flüsterte mit einem Strahle der alten Seligkeit:
Das Faß ist noch halb voll!
Sancta clementia! welche süße Beruhigung, schrie ich, indem wir uns umarmten. Schreiben Sie, theuerster Professor, schreiben Sie dreihundert, schreiben Sie vierhundert Bogen. Ermatten Sie nicht, hören Sie nicht auf den schwarzen Lebensquell ausströmen zu lassen, so lange noch ein Tropfen da ist.
Mit diesen Worten entwich ich, denn Samhaber machte eine verdächtige Bewegung, als wollte er sich meiner bemächtigen und mich nochmals in seine Höhle schleppen.