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10.

Albergati's Kopf brannte im Fieber, als er sich entfernte. Die Sonne schien ihm wie durch Trauerflore, aber in ihm leuchtete ein schreckliches Licht. –

Ich werde nicht kommen, flüsterte er sich zu, es ist Alles aus. Sie weiß nichts von Liebe und Erbarmen. O! Cosimo hat Recht, es fehlt ihr an Einem, was keinem Weibe fehlen soll sie hat kein Herz! Rache und Haß haben ihren Wohnsitz dort aufgeschlagen, sie haßt auch mich schon, auch mich wird sie verfluchen und verachten. – Er muß fort, setzte er dann mit größerer Festigkeit hinzu, auf der Stelle muß er fliehen; morgen vielleicht möchte es zu spät sein. Ich bin verdächtig; Gott weiß es, was sie ahnen oder wissen.

Als er nach Haus zurückkehrte, ließ er einen seiner Diener kommen, in dessen Klugheit und Treue er das meiste Vertrauen setzte. Trotz aller Wachsamkeit der hohen Polizei, gab es doch immer noch Mittel, diese zu betrügen oder mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, wenn man die richtigen Wege einschlug, ihre Spione zu kaufen, da diese meist schlecht besoldet wurden. Das System der Inquisition blieb seit Jahrhunderten dasselbe. Ihre Creaturen wurden niemals fest angestellt und hoch bezahlt, sondern Alles richtete sich nach den Diensten, welche sie leisteten. Jedem Verrath aber und jeder Gesdwätzigkeit folgte so gewiß der Tod, daß kein Spion sich zu beklagen wagte; bei alledem bewirkte Geldgier dennoch nicht selten, daß sie sich zu Diensten gebrauchen ließen.

Albergati gab seinem Diener auf, ihm um jeden Preis Nachricht über das Verbleiben Lavinia's zu verschaffen, und dieser versprach zu thun, was er konnte, allein seine Nachforschungen blieben erfolglos. Es schien gewiß, daß auch die Spürhunde Barbarimio's nicht wußten, was aus ihr geworden sei. Vielleicht hatte sie in einem der vielen Klöster Zuflucht gefunden, oder die Gondoliere hatten sie fortgeschafft und verborgen; so viel war ausgemacht, daß kein Kerker sie festhielt.

Mit diesem Troste verließ Albergati Venedig endlich bei Einbruch der Nacht, so unbemerkt es geschehen konnte, und landete in der zwölften Stunde an seiner Villa. Ein düsterer Gewitterhimmel deckte alle Sterne zu, und durch die unheimliche Stille brach zuweilen ein Windstoß aus den Bergen hervor, der das schwarze Wasser aufriß und dumpfen Donner aus den Wolken schüttelte. –

Albergati war voll banger Ahnungen, denn zuweilen kam es ihm vor, als höre er Ruderschläge hinter sich, als schlüpften Schattengestalten an den Ufern hin, und Stimmen murmelten in sein Ohr, vor denen er bebte. Wenn er seine Augen schloß, sah er Lucia rachsüchtig drohend vor sich stehen, und über ihre Schulter blickte der Procurator ihn verächtlich an, und wenn er dann erschrocken um sich blickte, schwebten sie um ihn her, und Capello hob seinen Arm gegen ihn auf und schrie ihm zu: Keine Gnade, auch wenn es mein Bruder wäre!

Endlich war der Platz erreicht, und kaum sah Albergati sich allein in seinem Zimmer und die Thüre verschlossen, als er Cosimo aufsuchte. Gequält von Vorstellungen, was aus dem Freunde geworden sein könnte, kam ein Strahl jener Freudigkeit, welche edle Seelen in aller Noth empfinden, über ihn, als er in der Nähe der Villa, unter den ersten Bäumen des Parks, seinen Namen nennen hörte.

Cosimo erwartete ihn. Odoardo warf sich in seine Arme; stumm unter der Heftigkeit seiner Gefühle, preßte er ihn an sich und richtete sein Haupt dann zu dem dunklen Himmel auf. Seine brennenden Blicke suchten Gott, dessen allmächtige Hand die Wolken spaltete, und in dem feurigen Zucken des Firmaments ihn Cosimo's edles Gesicht erkennen ließ, das vertrauend und hoffend ihn anschaute. Für den Freund hatte er gelitten, für ihn wollte er leiden. Was er gethan, war gut, die Macht des Guten gab ihm neue Stärke; sie gab ihm die Kraft zu entsagen und zu handeln.

Ich komme zurück, Cosimo, sagte er, weil Dein Wohl keine weitere Zögerung gestattet.

Du bist verdächtig, fiel der Graf ein.

Albergati verschwieg ihm nicht ganz, was er vermuthete und fürchtete.

Es ist möglich, sagte er, daß auch hier eine Haussuchung stattfindet, wie dies an manchen Orten schon der Fall war.

Zunächst sprich von meiner Mutter, rief Cosimo. Du hast sie gesehen? Nein! Wo ist sie? – Wo ist sie? – Gefangen? Im Kerker? Sagte ich es nicht?

Deine Mutter ist im Gewahrsam der Ursulinerinnen.

Bis sie in den Thurm St. Marco geschleppt wird. Die Unmenschen! Sie sollen mich haben.

Dann würdest Du Deine Mutter tödten, versetzte Odoardo. Nichts könnte Dich retten, nichts könntest Du ändern. Flieh, Cosimo! Geh' nach Savoyen und vertraue Deinem Freunde. Noch ist es Zeit; ich habe einen Bauernanzug für Dich, und bist Du erst in der Bergen, so wird man Dich so leicht nicht fangen.

Cosimo schien sich zu bedenken. –

Du mußt fort, heut noch fort, sprach Albergati weiter, jeder Tag vermehrt die Gefahr. Ich will Dir nicht verbergen, daß der Herzog Ferdinand sich in Dein Schicksal mischt. Du bist ihm als ein Feind des Kaisers geschildert. Alle österreichischen Behörden sind aufgefordert worden, Dich zu fangen und auszuliefern. Noch kann sein Schreiben freilich kaum in Mailand angelangt sein, doch jede Zögerung ist Dir verderblich.

Sie hatten sich auf eine Bank gesetzt, Cosimo stützte den Kopf in seine Hände. Es ist unmöglich, sagte er dumpf vor sich hin. Coralie –

Odoardo erkannte, was er dachte, und es schien ihm nöthig, alle falschen Vorspiegelungen zu zerstören.

Eben sie, sagte er, sie hat den Herzog dazu bestimmt und wird dafür in Venedig gerühmt. Ihr Makel verschwindet vor ihrer patriotischen That.

Auch sie! auch sie! seufzte Cosimo. Nein, nein!

Weis' alle Täuschung von Dir, fuhr Albergati fort. Verachte endlich dies Weib.

Verachten, murmelte der unglückliche Mann, wie könnte ich es. Ich habe sie geliebt und – ich liebe sie noch ewig, ewig!

Unglücklicher! rief Odoardo angstvoll laut. Lavinia! –

Und als er diese Worte sprach, antwortete eine Stimme in der Nähe. Die Jasminbüsche rauschten, Gewänder flatterten, und um Cosimo's Hals schlangen sich zwei Arme.

Cosimo, mein Cosimo! rief die Stimme in Schmerzen und Entzücken, da bin ich! Mit Dir leben, mit Dir sterben, mein Geliebter! Lavinia hat Dich wieder.

Es war Lavinia, die athemlos und ohnmächtig in Cosimo's Armen lag und krampfhaft ihn an sich preßte, bis sie endlich ihm erzählen konnte, was sie gelitten und ertragen; wie sie, verlassen und verstoßen umherirrend, zu dem Entschlusse gekommen, Venedig zu verlassen und Schutz bei Albergati zu suchen.

Ich hoffte Trost und Beistand von ihm, sagte sie, der immer Dein Freund gewesen; mein Herz sagte mir, er müsse etwas über Dich und Dein Schicksal wissen, und mitleidige Gondoliere, welche sich meiner annahmen, bestärkten mich darin. Sie flüsterten mir zu, nach der Villa Borgo müsse ich gehen, wenn ich ihn, den Gott segnen und schützen möge, suchen wolle.

Cosimo hatte seine Fassung wieder gewonnen, Lavinia schmiegte sich an ihn, er küßte und beruhigte sie.

Ja, Gott wird uns schützen, sagte er, er wird uns wieder vereinigen und uns neue Freuden geben. Odoardo, mein vielgetreuer Freund, Du wirst Lavinia's Schirm und Stütze sein. In Deine Obhut gebe ich sie und meine arme Mutter, wahre sie mir, bis ich Beide wiederfordern kann.

Du willst mich verlassen! rief Lavinia angstvoll. Kaum gefunden, willst Du mich verstoßen? Ich gehe nicht von Dir, Cosimo. Alles will ich tragen, Alles dulden; wohin Du gehst, will ich Dir folgen.

Armes Kind, antwortete er mitleidig, armes theures Kind! Ich muß mich in Einöden verbergen, Ströme durchschwimmen, in Nacht und Nebel suchen, wie ich dem Tode entrinne. Wie wolltest Du mich begleiten? Bleib bei Odoardo; sobald ich in Sicherheit bin, sollst Du von mir hören.

Und wenn Du stirbst, wenn ich nichts mehr von Dir höre?! fuhr sie fort. Ich will für Dich betteln, ich will Deinen Schlaf bewachen, Dich beschützen. O! verlasse mich nicht.

Niemals! sagte er, niemals verlasse ich Dich. Meine Lavinia, höre Gottes Stimme in den Wolken, höre den Donner, der über uns hinrollt, ich schwöre Dir, daß ich halten will, was ich Dir versprach! Mein Weib sollst Du sein, der ich Liebe und Treue vergelten will, der ich anhängen will, bis zur letzten Stunde.

Mit Dir, bei Dir! rief Lavinia. Zu Deinen Füßen will ich liegen, bis Du mich erhörst.

So komm, erwiederte er verzweifelnd und entschlossen. Laß uns tragen, was Gott über uns verhängt hat. –

Ein blendender Blitz durchzuckte den Himmel und verbreitete Tageshelle über den Park. Der Feuerballen warf über der Villa Borgo blaurothe Schlangen nach allen Seiten aus und zeigte in schrecklicher Nähe und Deutlichkeit eine Anzahl bewaffneter Männer, welche vor den Bäumen standen.

Soldaten! murmelte Odoardo entsetzt.

Flieh, Cosimo, flieh! schrie Lavinia, indem sie aufsprang.

Da sind sie! antworteten damit zugleich rauhe, wilde Stimmen, und während ein neuer Blitz, glänzender noch als jener, die Wolken spaltete, rasselten die Waffen und sprangen die Slavonier heran.

Ergebt Euch! schrie ein Offizier, der an ihrer Spitze war; Ihr seid verloren!

Hier bin ich, hier! schallte Lavinia's Stimme, und Cosimo sah, wie sie den Soldaten entgegenlief, um ihm Zeit zur Flucht zu verschaffen. Gleich darauf hörte er einen Schrei, und das Feuer des Himmels mischte sich mit Fackelschein, der an allen Orten des Parks und von der Villa her leuchtete. Lavinia lag auf dem Rasen, ein Bajonettstoß hatte sie am Kopf verwundet. Blut bedeckte ihr Gesicht, und mit der Wuth eines Rasenden stürzte Cosimo sich zwischen die Söldner, schleuderte sie zurück und hob Lavinia in seine Arme.

Seine Blicke hingen an der blutigen Wunde. Er legte seine Hand darauf, als wollte er den Lebensstrom damit verstopfen, und achtete es nicht, daß er umringt und Flucht unmöglich geworden war.

Sie sind es, Graf Cosimo Vinci, sagte der Offizier.

Ich bin es, ja, erwiederte der Gefangene. Seien Sie menschlich, helfen Sie diesem unglücklichen Mädchen.

Ich habe keinen Befehl, diese Dame zu verhaften, erwiederte der Offizier, sie mag in dieser Villa bleiben; Sie aber, mein Herr, Sie sind Odoardo Albergati.

Cosimo sah seinen Freund neben sich, im Augenblick wurden seine Arme von einer Anzahl starker Fäuste gefaßt; andere bemächtigten sich Odoardo's, und da Beide geringen Widerstand leisteten, waren sie schnell gebunden in ihrer Feinde Gewalt.

Während dieser Zeit hatten auf Anordnung ihres Offiziers einige der Soldaten die ohnmächtige Lavinia fortgetragen und sie den Leuten in der Villa übergeben, welche in Angst um ihres Herrn Schicksal von ferne standen.

Das Gewitter zog von den Bergen heran, Blitz auf Blitz beleuchtete die wilden Gesichter der Soldaten, und unter den Schlägen des Donners verhallten die Verwünschungen und das Geschrei der Diener des Hauses und der Nachbarn, welche herbei liefen und doch nichts zu thun wagten, um die Gefangenen zu befreien. Wie hätten sie dies auch gegen mehr als funfzig Bewaffnete vermocht, die wohl auf ihrer Hut waren. Nach wenigen Minuten nahmen die Soldaten die Gefesselten in ihre Mitte und führten sie fort, vergebens aber versuchte Albergati Aufschub zu erlangen, um mit seinen Leuten zu sprechen.

Kein Wort, Herr, rief der Offizier. Folgen Sie ohne Widerstand. Fort zum Ufer, zu unserer Barke.

Und welchen Grund hat man, mich zu binden und aus meinem Eigenthume zu reißen? fragte Odoardo.

Das werden Sie in Venedig erfahren, erwiederte der Dalmatier, ich thue meine Pflicht. Im Uebrigen vergessen Sie nicht, daß Sie einen Verbannten verbargen, dem der Tod angedroht ist, wenn er sich ertappen läßt.

Armer Odoardo, mein armer Freund, vergieb mir, murmelte Cosimo seufzend, ich werde Dein Henker sein.

Wenn meine Hand noch frei wäre, erwiederte Odoardo, würde ich die Deine gern noch einmal drücken. Wir sind verloren, Cosimo, aber wir sind Männer. Ich habe nichts zu bereuen, der Tod hat nichts Schreckliches für mich – ich werde zu sterben wissen.

Und Lavinia, fuhr Cosimo düster fort. Muß ich denn Alle, die mir anhängen und die mich lieben, verderben?!

Der Himmel, zu dem er zürnend seine Augen aufhob, antwortete ihm mit seinem Feuer und einem schmetternden Donnerschlag, den der herabstürzende Regen begleitete. Die schwarze Gondel schwankte unter den Windstößen. Ihre Thüren thaten sich auf; Ketten, die an dem Fußboden befestigt waren, wurden um die Beine der Gefangenen gelegt, jeden Fluchtversuch zu verhindern, dann umgab sie dichte Finsterniß.



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