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11.

Am nächsten Morgen war das Haus schon früh in Bewegung, des Festes wegen, das heute gefeiert werden sollte. Mehrere angenommene Leute kamen den Dienern zur Hülfe, um die Wohnung säubern und schmücken zu helfen; ein Gärtner brachte Blumen und Früchte zur Verzierung der Tafel, für manche andere Zierden und Leckerbissen des Nachtisches hatte Hartfeld nach seiner Gewohnheit persönlich gesorgt, und nun ging er vergnügt und hülfreich umher, indem er anordnete, was geschehen und wie sich Alles folgen solle. Um die verschiedenartigen Weine auszuwählen, stieg er selbst in seinen Keller hinab, doch damit noch nicht genug, hatte er mehrere sehr theure Arten besonders bestellt, welche jetzt von einem berühmten Weinhändler geschickt wurden. Dann nahm er mit der Köchin eine lange Rücksprache über den Küchenzettel, indem er ihr einige Gerichte vorzüglich empfahl und ihren Eifer anspornte, heute ihre ganze Kunst glänzend zu entfalten.

Er war dabei ungemein froh und zum Scherz gestimmt, seit langer Zeit hatten ihn seine Diener nicht so gesehen. Der große, schöne Mann trug den mächtigen Kopf heute so stolz auf seinen Schultern, er blickte so glücklich und so würdig umher, daß die Köchin meinte, einem Könige könnte nicht so ums Herze sein, aber an einer königlichen Tafel sollte es auch nicht so hergehen, wie bei dem Herrn Kriegsrath.

Ich danke Dir, meine gute Freundin, antwortete Hartfeld, aber Du hast Recht, ich fühle mich auch froher, als mancher Fürst es sein kann, den Sorgen drücken.

Der liebe Gott giebt seinen Segen! sagte die Köchin. Er weiß wohl, wer es verdient, wer den Armen Gutes thut und jedes geringen Menschen sich erbarmt. Darum werden Sie auch noch viele Jahre glücklich und gesegnet leben, allerbester Herr Kriegsrath, und dafür lassen Sie mich nur sorgen, daß es Ihnen immer schmecken und gut bekommen soll.

Nur nicht allzu gut, lachte Hartfeld. Wir müssen mäßig und genügsam sein, müssen uns einschränken.

O! Sie allerbester Herr Kriegsrath, Sie schränken sich ja ein, daß ich im Stillen schon darüber geweint habe, sagte die Köchin. Seit langer Zeit haben wir ja gelebt wie in einem Kloster. Ach! wenn ich denke, wie es sonst war, wenn der selige Herr Geheimrath kam, und jetzt – jetzt. Sie schüttelte schwermüthig den Kopf.

Die alten Zeiten werden wiederkommen, versetzte Hartfeld, ihr das Kinn streichelnd. Wir werden noch manchen frohen Tag zusammen verleben. Aber jetzt muß ich fort und verlasse mich ganz auf Dich.

Seien Sie ganz ruhig, allerbester Herr Kriegsrath, sagte die Köchin stolz. Lassen Sie das Fräulein nur nicht in die Küche kommen; es hat doch nicht Ihren Geist für das Feine und ist mit Allem zufrieden. Ich werde schon dafür sorgen, daß Ihre Gäste sagen sollen: Das ist ein Diner, wie es sein muß!

Der Kriegsrath wiederholte seinen Dank. Ein eben anlangender prächtiger Lachs gab ihm Gelegenheit, die Champignonsaucen eindringlich zu empfehlen, dann zog er sich zurück, kleidete sich an und kam nach einiger Zeit wieder in das Wohnzimmer, wo er seine Tochter fand, die das Silberzeug aus dem Schranke nahm und auf einen großen Tisch legte, der mit Linnen und Porzellan fast bedeckt war.

Der Kriegsrath hatte einen neuen schwarzen Anzug angelegt, auf der Brust trug er seine Orden, den Hut hielt er in der Hand. Alles war sauber und stattlich an ihm; seine Wäsche war fein und blendend, wie immer, die große Brillantnadel steckte in dem Jabot.

Nun, mein Herzenskind, Du bist schon thätig, sagte er mit väterlicher Begrüßung. An Deinem Freudentage mit hausfräulicher Geschäftigkeit erfüllt, das ist von guter Vorbedeutung.

Du willst schon fort, lieber Vater? antwortete sie.

Ich muß, mein Kind. Der Präsident wird um zehn Uhr an Ort und Stelle sein, und er ist pedantisch pünktlich, ich darf ihn nicht warten lassen. Um so früher aber kehre ich zurück, und dann wollen wir uns nicht wieder trennen.

Daß wir uns trennen müssen! antwortete Julie, trübsinnig lächelnd.

Ich behalte Dich ja, Gott sei Dank! in meiner Nähe. Wenn ich Dich verlassen müßte, daß Du weit von mir gingst, das würde ich nicht ertragen können. Da habe ich neulich von einem reichen Bankier gehört, der seine einzige Tochter nach Petersburg verheirathet hat. Ich begreife nicht, wie ein Vater das zugeben kann.

Julie antwortete nicht, er streichelte ihre Wangen. Wir werden uns nicht trennen, fuhr er fort, ich sehe eine friedliche, schöne Zukunft kommen. Leisegang hat mir gestern sehr gefallen. Was er sagte, kam aus seinem Herzen; er wird Dich immer mehr kennen lernen, Julie, und Dich so lieben lernen, wie Dein Vater Dich liebt.

O, Vater!

Still, mein Kind, still! rühren wir nicht an, was wehe thun könnte. Du hast verständig gut nach Deinem Willen gewählt und mir Freude gemacht. Daß die Frohliebs vorschnell eingeladen wurden, ist mir nicht lieb, aber man muß sich darein schicken. Wir wollen uns in unserer Herzensfreudigkeit davon nicht stören lassen. Also auf Wiedersehen! und schmücke Dich heute, mein Mädchen, damit Dein alter Vater Dich im Brautputz so recht stattlich sieht. Du hast es freilich nicht nöthig, aber zeige ihnen, daß Du auch in Flitter und Seide gehen kannst. So, und nun küsse mich noch einmal. Du hältst mich ja so fest wie einen Geliebten.

Ich möchte Dich gar nicht loslassen, sagte sie, Thränen in den Augen.

Das laß Leisegang ja nicht hören, lachte er. Er scheint mir überhaupt Anlage zur Eifersucht zu haben. Nun, wir wollen ihn tüchtig necken und so recht aus Herzensgrund froh sein, damit Dein ganzes Leben froh ist, mein geliebtes Kind.

Mit Innigkeit sah er sie noch einmal an, nickte ihr zu und von der Thür aus überblickte er das ganze Zimmer, kehrte zurück und schob eines der Gemälde, welche an der Wand hingen, gerade. Nur nichts Schiefes, das kann ich nicht leiden, sagte er dabei. Immer gerade, mein liebes Kind, und mit dem richtigen Blick begabt, so schafft man Ordnung und kommt zum Ziele.

Das waren seine letzten Worte. Er ging rasch fort, denn es war spät geworden, und als er in seine Amtsstube trat, fand er dort schon den Präsidenten, einen der Oberräthe und den Finanzrath.

Ich bitte unterthänigst um Entschuldigung, daß ich zu spät komme, sagte Hartfeld, indem er sich tief verbeugte. Ich bin darüber sehr bestürzt.

Der Präsident gab ihm lächelnd die Hand. Sie sind ein solches Muster von Pünktlichkeit und Sorgfalt, erwiderte er, daß ich mit Vergnügen gewartet, und inzwischen die Einrichtungen Ihrer Bücher angeschaut habe.

Man muß jedoch keinen Augenblick von der Pünktlichkeit abweichen, sagte Leisegang, indem er ebenfalls Hartfelds Hand schüttelte.

Bedenken Sie doch, Herr Finanzrath, an solchem Tage, wie dieser, hat unser guter Kriegsrath Vieles in seinem Kopfe, fiel der Präsident ein.

Der Herr Finanzrath hat ganz Recht, erwiderte Hartfeld würdevoll. Ich bitte meine hohen Herren Vorgesetzten nochmals um Vergebung.

Kommen Sie, meine Herren, kommen Sie, lachte der Präsident, wir wollen unsere Geschäfte rasch abmachen und Hartfeld von allen Sünden freisprechen. Im Uebrigen muß ich Ihnen sagen, daß der Minister mir noch gestern mit großer Genugthuung von Ihnen sprach und Ihres Lobes voll war.

Der Herr Minister ist sehr gnädig, sagte Hartfeld. Ich wüßte nicht –

Es ist in höchsten Kreisen von Ihnen und Ihren Verdiensten die Rede gewesen, unterbrach ihn der Präsident. Von Ihrem Wohltätigkeitssinne, den vielen Mühen und Geschäften, die Sie aus Mildherzigkeit übernehmen, den Opfern, welche Sie bringen, und von Ihrer freudigen Menschenliebe.

Ich thue in der That nur sehr Geringes und Unbedeutendes, versetzte Hartfeld mit einer demüthigen Verbeugung.

Sie sind zu bescheiden, aber – der Präsident drückte ihm lächelnd den Arm – es wird dennoch gute Früchte tragen, verlassen Sie sich darauf. Im Vertrauen: Sie werden nächstens überrascht werden, – Herr Geheimer Kriegsrath!

O, mein gnädigster Herr Präsident! sagte Hartfeld, würdevoll aufblickend, nicht um irdischen Lohn übe ich nach meinen Kräften, was Gott allen Menschen befiehlt.

Das wissen wir, erwiderte der Präsident im herzlichen Tone. Sie sind einer von den wenigen, wahrhaft frommen, uneigennützigen Männern, die ihre Verdienste verbergen, wo es angeht, und darum freue ich mich um so mehr, wenn der Würdige belohnt wird, ohne daß er es sucht. – Nun lassen Sie uns unsere Arbeiten beginnen.

Hartfeld legte seine Hauptbücher, Rechnungen und Belege vor, die ganze Reihe der Kassenabschlüsse, und endlich schloß er die Kasse selbst auf, um die Baarbestände mit den Zahlen der auf der Stelle gemachten Bilanz zu vergleichen. Alles war in größter Ordnung; bis auf den letzten Pfennig stimmte der Vergleich, und es blieb nur übrig, die vorhandenen Werthpapiere durchzusehen. Es war ein bedeutendes Vermögen vorhanden, das aus Stiftungen und Vermächtnissen für wissenschaftliche Zwecke sich angesammelt hatte und in der Kasse verwaltet wurde.

Mit Zustimmung des Herrn Ministers, sagte Hartfeld, ist der Gesammtbestand stets in zinstragenden Staatspapieren angelegt worden. Hier ist das Verzeichniß derselben mit allen Specialitäten und dort in dem Schranke befindet sich der eiserne Kasten unter doppeltem Verschluß, welcher die Papiere selbst enthält. Er ist ein wenig schwierig herauszuheben, wenn Sie jedoch befehlen, soll es sogleich geschehen.

Der Präsident trat an den Schrank und sah den eisernen Kasten an, der, aus festen Eisenplatten bestehend und mit Patentschlössern versehen, ein nicht unbeträchtliches Viereck bildete.

Er ist allerdings schwer, sagte er. Haben Sie die Papiere kürzlich erst durchgezählt, lieber Kriegsrath?

Erst gestern, mein gnädigster Herr Präsident, erwiderte Hartfeld.

Nun, so wollen wir nur einen Blick hineinwerfen. Schließen Sie den Kasten auf.

Ich bitte, sich überzeugen zu wollen, sagte Hartfeld. Mein edler, verewigter Geheimrath hat kurz vor seinem Tode – aber ich vermisse den Schlüssel – ich bin nicht im Stande, zu sagen – weiß doch aber gewiß, daß er in meiner Tasche, oder in meiner Hand war.

Er eilte an sein Pult, zog mehrere Kasten auf, sah an verschiedene Orte, konnte jedoch den Schlüssel nicht finden.

Vielleicht haben Sie ihn vergessen, sagte der den Präsidenten begleitende Rath.

Möglich wäre es wohl, antwortete der Kriegsrath nachsinnend. Der Kasten ist selten bei den Revisionen geöffnet worden, allein ich dachte nicht, daß ich den Schlüssel vergessen könnte.

Er fing von Neuem an zu suchen, der Erfolg war jedoch nicht besser, als vorher.

Nun, meine Herren, sagte der Präsident, ich dächte, wir ließen den armen Kriegsrath nicht länger in dieser Verlegenheit. Er hat die Documente gestern erst durchgesehen. Der Schlüssel wird sich wiederfinden, und dann kann der Herr Finanzrath Leisegang nächstens einmal hineinschauen. Lassen Sie es gut sein, liebster Kriegsrath, suchen Sie nicht länger. Schlüssel sind oft Kobolde, je mehr man sie sucht, je weniger lassen sie sich finden. Ich denke, wir sind Alle befriedigt und überzeugt, und werden das Protokoll gern unterzeichnen.

Der anwesende Rath stimmte gern bei. Hartfeld selbst aber machte eine Einwendung, indem er versicherte, der Schlüssel werde sich gewiß sogleich finden müssen, und Leisegang stimmte ihm bei.

Er muß sich auf jeden Fall herbeischaffen lassen, sagte der Finanzrath, spurlos verschwunden kann er nicht sein. Haben Sie ihn vielleicht zu Hause gelassen, so können wir hinschicken.

Ich habe ihn nicht zu Hause gelassen, das weiß ich gewiß, erwiderte Hartfeld.

Dann muß er sich hier auch finden. Wir wollen Alles genau durchsuchen.

Aber lieber Finanzrath, sagte der Präsident, die Sache hat ja nicht solche dringende Eile, sie kann gelegentlich von Ihnen erledigt werden.

Ich muß doch bitten, daß wir uns streng an die Vorschrift halten, erwiderte Leisegang, wie es diese befiehlt.

Wie Sie wollen. Sie haben vollkommen Recht, entgegnete der Präsident empfindlich.

Ich glaube, der Kriegsrath Hartfeld muß es selbst wünschen und den Gründen beipflichten, welche ich dazu habe, daß diese Revision vollkommen ordnungsmäßig ausgeführt wird, fuhr Leisegang fort. Sie sind mir gewiß nicht böse, daß ich darauf bestehe.

Hartfeld richtete sich lächelnd auf, nahm die Hand, welche ihm der Mann reichte, der ihm so nahe stehen sollte, und nickte ihm beistimmend zu.

Ganz gewiß, ich gebe Ihnen vollkommen Recht, sagte er. Ich würde selbst dringend darum gebeten haben.

Seine Augen leuchteten freundlich; die Ruhe und Würde in seinem Gesichte schien sich zu verdoppeln. Es ist in der That durchaus nöthig, Herr Präsident, sagte er, daß Sie sich von den Inhalte dieser Cassette überzeugen, was, wie ich überzeugt bin, nicht verschoben werden kann.

Aber, lieber Kriegsrath, wenn nun der Schlüssel sich durchaus nicht findet?

So werden wir uns Hülfe, einen Schlosser herbeirufen, fiel Leisegang ein. Einer der geschicktesten wohnt ja hier dicht in der Nähe.

Ganz recht, den müssen wir rufen, sagte Hartfeld, doch ehe es geschieht, will ich doch noch einmal – O, verzeihen Sie einen Augenblick. Ich habe ganz vergessen, in meinem Ueberzieher nachzusehen. Nur einen Augenblick.

Mit diesen Worten ging er lächelnd in ein kleines Cabinet, das an das große Zimmer stieß, und zog die Thür hinter sich zu.

Warum bestehen Sie denn so eigensinnig auf Ihrer Meinung? sagte der Präsident. Der wackere Mann muß sich gekränkt fühlen.

Nichts ist ferner von mir, erwiderte Leisegang. Niemand kann ihn mehr achten und ehren, allein eben deswegen finde ich es durchaus nöthig, und damit ich richtig verstanden werde, muß ich Ihnen bekennen, daß ich heute –

In diesem Augenblick drang ein tiefer, gurgelnder und stöhnender Ton aus dem Cabinet.

Was ist das? rief der Präsident.

Der Finanzrath lief nach der Thüre, die Andern folgten ihm.

Da sitzt er! schrie er auf.

Der Kriegsrath saß starr, die Augen weit offen, auf einem Stuhle.

Schafft Hülfe herbei! schrie der Präsident. Ein Arzt!

Leisegang hielt ihn fest und sagte eindringlich:

Menschliche Hülfe ist hier vergebens. Lassen Sie uns zunächst überlegen, was wir thun müssen.



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