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Am zweiten Tage darauf fiel der Sonntag, und es war ein schöner, junger Frühlingstag, an welchem die Sonne über einen lichtblauen Himmel aufzog und wie ein großer Demant daran hing. Meer und Strand lagen frei von Nebel und Wogenschlag, und so weit das Auge reichen konnte, war das Wasser so sanft, wie selten. Ganz ruhig ist es an diesen Küsten freilich niemals, denn Ebbe und Fluth sind immer geschäftig, aber es war doch nirgend ein Toben und eine hohe Brandung, und die Luft so klar, daß alle Inseln, bis weit hinaus, und auch die kleineren, schutzlosen Landflecke im Meere, die man Halligen nennt, gut gesehen wurden. –
Die Außeninseln haben den Vortheil, daß das Meer um sie, wenn es ruhig ist, nicht so schmutzig erscheint, wie näher an der Küste. Bei gutem Wetter nimmt es wohl eine grünliche oder bläuliche Farbe an, während weiter landwärts immerdar die Wogen den Schlamm aufwühlen und niemals die Leute dort andere zu sehen bekommen, als schwarze, wildrollende Wasser.
Auf der Hallig Fallö, die nicht weit von Amrom abliegt, sah es nicht viel anders aus, wie auf den Halligen zumal. Das flache Eiland hob sich nur wenige Fuß aus der Meeresfluth, mit vielen ausgezackten Kanten und kleinen Buchten. Nirgend war ein Deich, der das Land schützte, nirgend eine Schutzwehr, eine Düne, oder eine Bettung, nur an einigen Stellen hatte der Sand sich ein wenig aufgelagert, um beim nächsten Sturme wieder zu verschwinden. Nirgend war auch ein Feld oder ein Gehege, nirgend ein Baum oder ein Strauch, denn wie sollte in dem mit Salz geschwängerten Boden eine Frucht gedeihen, oder vor der Wuth der Winde sich eine Pflanze aufrecht halten?
Die ganze Hallig, welche in einer halben Stunde gut zu umgehen, bildete eine mit hartem, schilfigem Gras bedeckte Ebene, das Einzige, was diese hervorbringen konnte. In dem Grase sprangen da und dort eine Anzahl hochbeiniger Schafe umher, deren grobes, zottiges Vließ ganz dazu gemacht schien, rauhe Tage und wilde Nächte zu ertragen. Ihre schwarzen und gefleckten Köpfe ragten aus dem Grase hervor, und an einer Stelle auf einer Sandscholle lag ein weißer, spitzartiger Hund langausgestreckt auf seinen Vorderfüßen, der zu schlafen schien, dabei aber doch unverwandt nach den Schafen blinzelte.
Der Hund so wenig wie seine zottigen, schmutzigen Kameraden kehrten sich an die übrigen lebendigen Bewohner der Hallig, deren es gar manche gab, welche aber alle zwei Flügel und zwei Beine hatten und mit verschiedenartigem Geschrei und Geschnatter um sie her hüpften und schwärmten. Da waren Möven mancherlei, die großen grauen und gelben besonders, welche in den Buchten und Ritzen der Hallig viele hundert Nester bauten, um ihre Eier hineinzulegen. Da waren auch Enten mancherlei, mit schönen grünen und blauen Köpfen, die in Zügen und Paaren sich zusammengethan, ab und zu sich lange Geschichten erzählten, dicht über das Wasser fortflatterten, oder auf den Rand der Hallig heraufkletterten, um im Sonnenschein zusammenzuhocken.
Hier saß auch mancherlei ander Gethier. Ein paar dicke Kubben standen ehrbar zu beiden Seiten des Hundes, plusterten ihre Federn auf und starrten ihn nachdenkend an; lustige Backern spazierten um die Gesellschaft, pfiffen hell auf und nickten mit ihren gekrönten Köpfen, während Liapen und Tüten über Hund und Schafen kreisten und zuweilen sogar auf ihren Rücken sich niederließen.
So war denn Luft, Wasser und Land mannigfach belebt, doch von Menschen nichts zu entdecken. Man hätte glauben können, die Hallig sei nicht bewohnt, allein an verschiedenen Stellen stiegen abgeböschte Lehmhügel auf, wohl zwanzig bis dreißig Fuß hoch, die man Warften nennt und auf welchen in allen diesen Marschen und Inseln die Friesen ihre Wohnungen erbauen.
In der Nähe stand gleich eine solche, die nicht übel aussah, denn sie war größer und von besserer Art, als viele sonst namentlich auf den kleinen Halligen sind. Sie hatte oben nicht allein Platz für ein ziemlich langes, wenn auch niedriges Gebäude, sondern auch noch für ein paar mächtige Heudiemen oder Heuschober, und dann blieb immer noch Raum genug für ein Gehege, in dessen Schutz ein Gärtchen angelegt war für einige Gemüsekräuter und einige Blumen, welche den friesischen Warften, wenn es irgend sein kann, nicht fehlen dürfen.
Das Haus, wie alle aus Backsteinen erbaut, blickte wohlerhalten auf die Hallig nieder, und seine Fugen schienen fest gedichtet, seine Fenster so groß, hell und blank, das Strohdach so dick und gut verwahrt, Alles daran in solcher Ordnung, daß wer die Sache verstand, mit einem Blicke sehen konnte, es wirthschafte ein Mann darin, der seine Arme zu rühren verstehe.
In diesem Hause aber wohnte seit länger als einem Jahre Lorenz Karstens bei seiner Muhme, der hübschen Anna Moor, und stand an der Spitze ihres Hauswesens. Annas Vater, der Capitain Moor, hatte sich hierher zurückgezogen, als er alt wurde, denn er war hier geboren, und die Friesen machen es so wie die Zugvögel, die, wohin sie auch fliegen mögen durch die weite, große Welt, doch immer wieder zu ihrem Neste auf der einsamen Klippe zurückkehren.
Daher findet man auch jetzt noch auf diesen Inseln und Halligen manche alte Familien von nicht unbedeutendem Wohlstand, deren Söhne und Enkel von alten Zeiten her in den Schiffen der Holländer und der Hanseatenstädte über alle Meere schwärmen, bis sie, älter werdend, in das Haus ihrer Väter heimziehen. Dort ruhen sie auch aus von Zeit zu Zeit, wenn eine lange Fahrt durch den Ocean ihr Ende erreicht, und es ist mit diesem Seevolk fast wie mit dem Adel in großen Reichen, der seine Jugend in Kriegsdiensten zubringt, bis er auf seiner Väter Erbe sich niederläßt.
Diese hier dienen dem Handel und der Civilisation der Menschen wohl mit noch größeren Gefahren, und alljährlich zieht der rüstigste Theil der Friesen hinaus zum Kampfe mit Wogen und Winden. Daher kommt es denn auch, daß hier die kühnsten und besten Seeleute in der ganzen Welt zu finden sind, daher kommt es aber auch, daß es so viele Wittwen und Waisen giebt und die Bevölkerung nicht zunimmt, denn von denen, die jährlich ausziehen, um das goldene Vließ zu holen, kehrt Mancher nicht wieder.
Ave Moor aber kam mit einem tüchtigen Sack voll Geld endlich nach Fallö heim, baute sich ein neues Haus, heirathete und lebte dort, bis er starb. Als er todt war, starb bald darauf auch sein Weib, und nichts blieb von ihnen zurück als ihre Tochter Anna, die eben zwanzig Jahre alt geworden. Das war eine Erbin, um welche sich bald Viele bewarben. Sie hätte nach Amrom und Sylt sich verheirathen können, Freier aus den besten Familien bewarben sich um sie, allein so freundlich sie jedem war, so konnte doch keiner sich eines Vorzugs rühmen. Alle Vermittelung von Freunden und Verwandten, alle verlockenden Vorstellungen halfen nichts, sie schlug alle Anträge, die ihr gemacht wurden, standhaft aus.
Die Sehnsucht nach ihrem Besitz wurde jedoch dadurch nicht verringert, denn Anna Moor besaß nicht allein das Haus auf der Warft und ein beträchtlich Stück der Hallig, sammt großen und kleinen Boten, Schafen und einer Wirthschaft, die sich mit vielen messen konnte: ihr Vater hatte ihr auch Geld hinterlassen, Capitale auf verschiedenen Grundstücken und selbst auf ein paar Häusern in Tondern; dabei war sie auch das hübscheste Mädchen weit umher, froh und stolz, spröde und neckisch zu gleicher Zeit.
Kräftig und fest gebaut, so recht nach friesischer Art, drall und wohl gemacht, stand ihr Alles gut, was sie trug und that; auch sagte man ihr nicht umsonst nach, daß sie gern sich putze und immer etwas Besonderes haben wolle; allein das hinderte nicht ihr nachzuloben: wie sie im Hause schalte und walte, sei eine Luft zu sehen, und mit Knecht und Magd halte sie Alles wohl noch in größerer Ordnung, als Vater und Mutter ihrer Zeit schaffen konnten.
Dabei jedoch pflegten die Leute, wenn sie von ihr sprachen, hinzuzusetzen: Nimmer könnte es so sein und Annas Haus und Wirthschaft so gedeihen, wenn Lorenz Karstens nicht da wäre, obwohl sie es nicht leiden wollte, wenn sie es vernahm, und in ihrem Uebermuth zuweilen antwortete: mag er bei mir sein oder nicht, auch ohne ihn kann ich fertig werden.
Lorenz selbst hörte das wohl auch und sein Gesicht schien dann noch ernster zu werden, wenn er gleich nichts darauf erwiderte. Solche Worte vergalt er mit vermehrtem Eifer und vermehrter Sorge für Annas Wohl, als wollte er ihr zeigen, daß er ein Mann sei, der sich nicht verachten lasse. Bald nach ihrer Eltern Tod war er zurückgekommen, hatte alle Last, die auf Anna fiel, auf seine Schultern genommen, und nie war der kleine Besitz besser bestellt.
Was er anfaßte, gedieh unter seiner Hand, er besserte und baute, er fischte und jagte die Strandvögel, schaffte seine Waaren auf die Märkte an der Küste, brachte Vorräthe und Geld ins Haus, denn er führte nicht selten große, doppelt bekorbte Schiffe durch die Lystertiefe und den Heverstrom bis an die Eider und bis über die jütischen Bänke.
Da gab es blanke Thaler und manche Flasche guten Rak und Wein, Südfrüchte oder leckere Speisen von den dankbaren Capitainen, und kein größeres Glück für Lorenz Karstens, als wenn er auf die Warft trat, sie ihm entgegensprang und er alles, was er im harten Wetter und schwerer Arbeit gewonnen, in ihre Schürze schütten konnte. Wenn sie fröhlich lachte und ihn mit Scherz und Lob empfing, konnte er auch lustig einstimmen, und wie er Sommer und Winter vergehen ließ, auf der Hallig bei ihr blieb und in seinen Mühen und Sorgen nimmer müde wurde, wunderten sich die Leute nur darüber, daß es noch immer nicht zur Hochzeit kam.
Aber Anna Moor ging so leichtfertig mit dem getreuen Freund um, wie mit allen ihren Freiern. In ihrem Stolz sah sie gar nicht, wie Lorenz nach und nach immer einsilbiger und stiller wurde, oder sie wollte es nicht sehen. Sie hätte nicht Nein gesagt, wenn er ihr geschmeidig geschmeichelt und mit Bitten endlich ihr Ja herausgebracht, Lorenz dagegen wartete vergebens auf Liebeszeichen, vergebens darauf, daß sie ihm einmal um den Hals fallen, oder doch ihn so ansehen möchte, daß er es thun konnte. Es war von Beiden die rechte Stunde dazu versäumt und heimlich machte jeder dem anderen Vorwürfe, war unzufrieden mit seinem Benehmen und verbarg sein wahres Sinnen.
Bei Beiden war der äußere Schein jedoch verschieden. Lorenz Karstens sah vor sich hin, verschränkte seine Arme und sprach zuweilen ein auffahrend Wort, halb vor sich bin, wenn er hörte, wie Anna lachte und lustig leichtfertiger that, als es je der Fall gewesen. Denn je mehr er ernsthaft darein sah, um so fröhlicher schien es bei ihr herzugehen, und seit er jenes Tags mit ihr in Tondern gewesen, um Geld zu holen, das ihr fällig, und bei Ole Erichson den Auftritt gehabt, war es noch übler geworden.
In seinem Aerger und wie sie lachend sich noch nach den beiden jungen Herren umgeschaut, hatte er ihr rauh hingesagt, daß sie es bleiben lassen möge, weil es sich nicht schicke; sie dagegen hatte ihm geantwortet, was sich für sie schicke, wisse sie am besten, auch sei weder Vormund noch Herr vorhanden, der's ihr vorschreiben dürfte. Darauf gingen sie ohne weiter zu rechten bis an den Hof, wo Lorenz sein Boot geborgen, kamen auf die Warft ohne mehr zu sprechen, als nöthig, und saßen auch heut noch so, ohne in ein besseres Vernehmen gelangt zu sein.
Wie nun die Sonntagssonne durch die hohen Fenster in die Stube schien, machte sie Alles freundlicher, nur nicht Lorenz Karstens Gesicht. Es sah überall in dem Raume so blank und zierlich aus, daß er sich hätte freuen müssen, wenn er es mit dem richtigen Blick angeschaut. Die Stube war hellgelb gefärbt, so rein, daß kein Stäubchen daran haftete, die Balkendecke mit weißgrauer Oelfarbe sauber gestrichen, die Dielen so blank gescheuert, daß sie glänzten.
Unten waren die Wände drei Fuß hoch mit einem Paneelwerk von kleinen achteckigen weißglasirten Kacheln eingefaßt, auf denen segelnde Schiffe, Häuser und Landschaften eingebrannt, wie dies holländische Sitte ist, die durch ganz Friesland sich verbreitet findet. Die zierliche Einfassung paßte gut zu den Fenstervorhängen von blumigem Kattun aus England und zu den buntbedruckten englischen Fayence-Tellern und Schüsseln, die in langen Reiben mit allerlei anderem schönen Geräth hinter den Scheiben eines großen Schrankes standen. Ein Koffer mit Messing beschlagen, geschnörkelt und gebohnt, stand an der langen Wandseite, dazu der mächtige Tisch von Nußbaum und Stühle mit Polsterkissen belegt.
Alles, was es auch sein mochte, stand blank und sauber an seiner Stelle; doch nebenan in der Kammer, deren Thür geöffnet, befand sich das Beste. Dort glänzten die Schränke mit dem Kleider-, Betten- und Leinenschatz des Hauses; in die Wand eingelassen nach friesischer Sitte war Annas Schlafstätte, roth verhangen und mit einem Schieber geschlossen, dem Fenster gegenüber aber befand sich ein Tisch, auf dem Tische stand ein Spiegel und vor dem Spiegel drehte sich Anna Moor, kämmte ihre langen braunen Haare, flocht sie in schöne Zöpfe, die mit rothen Bändern durchzogen noch viel herrlicher aussahen, und trällerte sich dabei ein Lied.
In der Stube dagegen saß Lorenz Karstens wie gewöhnlich seine Arme gekreuzt und still vor sich hin blickend. Er konnte Alles sehen, was in der Kammer geschah, und obwohl er that als sähe er nichts, sah er es dennoch. Er sah, wie sie in ihren weiten Röcken an einen der Schränke ging und ihr feines rothes Kleid, den Kohrl, herausnahm, das ihr so herrlich stand und in dem sie so recht wie ein echt friesisches Mädchen umherschaute. Dann nahm sie den breiten Gürtel mit der blitzenden Schnalle, den Bealt, und wand ihn um ihre Hüften; hierauf wurde das faltig weiße Mieder um ihre Brust gespannt und darüber kam das nette, halb offene Jäckchen mit Schnüren und blanken Knöpfen. Als sie damit fertig war, legte sie die große Silberkette um ihren Hals und auf den Kopf nestelte sie ein dreieckig fein gesticktes Tüchelchen, daß mit einer langen Goldnadel am Haar befestigt wurde.
Und nun beschaute sie sich rechts und links in dem kleinen Spiegel und mußte sich wohl selbst gut gefallen, denn sie lachte und nickte hinein und trillerte hellauf dazu. Lorenz Karstens aber stand von seinem Stuhle auf, als wäre der Sitz ihm zu heiß geworden, und begann mit großen Schritten auf und ab zu gehen. Seine hohen Seemannsstiefeln zog er noch höher und knöpfte die Hornknöpfe seiner neuen blauen Jacke bis an den Hals zu, daß von dem indischen Seidentuche wenig zu sehen blieb. Es war, als wollte er sich vor etwas bewahren, das auf ihn los kam, und doch war es ja seine schöne Muhme, die mit Siegesgewißheit zu ihm hereintrat.
Er sollte ohne Zweifel sie bewundern und ihrer Herrlichkeit huldigen, allein der unfügsame Mann that, als hätte er keine Augen. Sie warf den Kopf auf, trat ans Fenster und sah hinaus. Auch das half nichts. Er ging hinter ihr auf und ab, ohne still zu stehen oder heranzutreten, bis sie mit einem Male sich umwandte, ihm trotzig nachschaute und spöttisch sagte:
Läufst ja wie ein Sturm über die Diele und ist doch feines Wetter heut und obenein Sonntag.
Bei mir nicht, antwortete er.
Nicht? versetzte sie. O, hast recht, bist immer wie ein Novembertag.
Er blieb stehen.
Bist sauber ausgeputzt, sagte er. Für wen?
Für solche, die mich gern anschauen und die ich leiden mag.
Wartest auf Gäste etwa?
Ei wohl, habe sie mir bestellt.
Wer soll es sein?
Magst es rathen, wenn es Dir gefällt.
Ist meine Sache nicht, versetze er grollend, aber habe ein Wort mit Dir zu reden.
So? fragte sie. Was soll's?
Er stand einen Augenblick schweigend, zog dann seine Jacke straff, als fasse er seinen Entschluß, und sagte mit langsam festem Tone:
Ist nun länger als Jahr und Tag, Anna, daß ich hier auf der Warft bin, muß wissen, wie wir zusammen stehen. Mancherlei Gerede ist unter den Leuten, denn Beide sind wir jung, leben Beide allein. Sprich also gerade heraus, was Du denkst. Nimmst diese Hand an oder nicht?
Er streckte seine Hand aus, sie blickte darauf hin und faßte nicht zu.
Es ist eine harte, rauhe Hand, sagte sie, muß mich bedenken.
Das Blut stieg ihm in den Kopf. Er hätte nur bitten sollen, so wäre es gut gewesen, aber seine Augen sahen nicht nach Liebe und Lust aus; sie wurden düster, wie das Meer vor dem Sturm.
Meine Hände sind voll Schwielen von Arbeit und Mühen um Dich, sagte er. Bin kein Junker, kein Nichtsthuer.
Brauchst es mir nicht zuzuschreien, versetzte sie.
Nimmst diese Hand also nicht an? fragte er noch einmal stolz aufblickend.
Bist mir viel zu rauh und scharf.
So will ich fort, sagte er.
Mach's, wie Du willst.
Er ballte die Fäuste zusammen, steckte sie in die Tasche und suchte sich zu sammeln.
Will nach Schleswig hinüber, fuhr er fort. Es geht wieder mit den Dänen los, da brauchen sie Männer.
Ist recht, lachte sie hellauf. Lauf hin, bist ein rascher Mann! Lauf zu den Deutschen, ich halt's mit den Dänen.
Das war ihm zu viel. Sein Arm zuckte auf, und den Hut in seine Stirn drückend, sagte er schwer gereizt:
Leichtsinnige Dirne, bist aus der Art geschlagen. Mag jeder denn seinen Weg geben.
Wie er nach der Thür ging, that sie einen Schritt ihm nach, und es war als wollte sie ihn zurückrufen und festhalten, doch gleich darauf sank ihre ausgestreckte Hand nieder und er hörte sie lachen, was bis an sein Herz drang. Er ging die Treppe hinauf nach seiner Kammer und sie horchte auf seine schweren Schritte über ihrem Kopfe. Eine Angst kam über sie, sie blickte hinauf und lauschte weiter. Er schritt auf und ab, polterte und öffnete seinen Schrank. Die Decke von Holz ließ jeden Ton deutlich vernehmen; einige Male sprach er laut mit sich selbst. Sie ballte ihre Hand zusammen, drohte hinauf und sagte heimlich dabei:
Du sollst es mir noch büßen, und sollst bitten lernen.
Damit wandte sie den Kopf und schaute über die Hallig fort auf das Meer, wo eben ein kleines Boot von Amrom herüberkam, und da es schon nahe heran war, erkannte sie den Krämer Hans Becker aus Tondern darin, und voran saß Ole Erichson, welcher die beiden Schalten regierte.
Es währte auch nur wenige Minuten, so standen sie auf der Warft. Der Krämer in seinem Sonntagsrock steckte den Kopf durch die Thür und schmunzelte, wie er Anna Moor so stattlich vor sich sah.
Ei, grüß Gott und bring Frieden in's Haus! rief er, ist ein gesegnet Bild, solch schmuck, frisches Kind. Da bin ich, Jungfer Anna, Ihr mögt mich gern sehen oder nicht.
Seid immer gern gesehen, Meister, sagte Anna, wenn Ihr Gutes bringt.
Gutes! Oh! ist schlimme Zeit jetzt, aber es wird schon besser werden, versetzte der Krämer. Schlick und Schlack, Jungfer Anna, Ihr seht ja aus wie eine Braut, und das Kopftüchel ist ein prächtig Stück, haben aber doch noch schönere Spitzen in Tondern, wenn Ihr welche braucht. Wollt Ihr auf Besuch aus in dem schmucken Staat?
Wollte Nachmittag eine Kirchfahrt nach Amrom machen, sagte sie.
Nach Amrom! sagte er und es schien ihm etwas einzufallen. Geht heut nicht nach Amrom. Wo ist der Lorenz?
Meint, es gäbe bös Wetter, lachte sie, indem sie über das Wasser blickte, das eben von einem leichten Nebel überschattet wurde, der die Sonne bleicher machte. Das böse Wetter ist schon da, fuhr sie fort, indem sie die Augen gegen die Decke aufhob.
Ich will's Euch sagen, warum ich komme, versetzte der dicke Krämer, der ihren Wink nicht verstand. Ihr wißt doch, wie wir vorgestern beisammen saßen, bei der Creatur da, die durchaus ein Deutscher sein will. Ein jütländischer Racker ist er, um einen Silberling thät er die ganze Welt verrathen. Jetzt hört zu. In Tondern ging es scharf her. Ein ganzer Schwarm dänischer Raben saß da beisammen, die beiden Grünschnäbel mit darunter. Also was wollen sie? Futter für ihren verdammten Krieg. Erobern, abschlachten, morden und hängen. Uebermüthiger sind sie, wie sie jemals waren, also nehmen sie, was zu finden, und Jeder ist aufgeschrieben, das ist gewiß. Wie nun Ole Erichson mit dem Torf kam, sagte ich, siehst Du, Du tüdsker Schlingel, was Du angerichtet hast. Denn wie ich an meiner Thür stand, kam der größte der Grünschnäbel just vorbei, grinste mich an und spuckte beinahe auf meine Beine. Wart, sagt er, es ist Schade, daß Ihr nicht ein zwanzig Jahre jünger seid, ich wollte einen guten Bootskerl aus Euch machen, aber dafür haben wir Euren guten Freund, der soll dänisch singen lernen. Das sagte ich dem Ole, und es ist doch eine gutmüthige Creatur, war gleich dabei, wollte hinaus und den Lorenz warnen. Sein Boot fährt er wie ein Küstenmann und schön Wetter war auch, also ging ich mit und da sind wir nun Beide, Jungfer Anna.
Es ist mir lieb, versetzte sie, doch verstanden habe ich nichts. Warum soll ich nicht nach Amrom?
Warum? fragte der Krämer verwundert. Merkt Ihr denn noch nichts? Warum? Schlick und Schlack, darum! setzte er hinzu, indem er aufstand und zum Fenster hinausdeutete.
Ein langes Boot fuhr so eben um die Halligspitze und darin saßen wohl ein halbes Dutzend Männer, theils an den Rudern, theils auf den Bänken; das Steuer aber hielt ganz gewiß eben derselbe große, junge Herr, von welchem der Krämer so eben gesprochen, und neben ihm saß sein kleinerer Kamerad. Noch mehr aber. In den leichten Nebeln zeigte sich zwischen Amrom und der Hallig ein großes Schiff mit zwei Masten, das viele Segel führte, jedoch nur langsam sich forthob, da es allein in den hohen Topps ein wenig Wind fing. Wie noch der Krämer erschrocken darauf hinsah, zog es die Segel ein und ließ einen Anker fallen, zu gleicher Zeit aber war auch das große Boot schon am Lande, und Ole Erichson, der noch auf der Warft stand, sprang herein ins Haus, sah wild umher und schrie:
Da sind sie, Herre Bager. Fort mit dem Lorenz, versteckt ihn. Sagt, er sei fort, Jungfer Anna, wo zum Donner sollen wir jetzt hin? Sie werden uns eine blaue Suppe zu essen geben, wenn sie uns finden.
Hans Becker wurde ebenfalls ängstlich, allein da blieb kein langes Ueberlegen.
Was wollen sie uns denn thun? sagte er so trotzig als möglich. Können wir nicht besuchen, wen wir wollen? Wo ist Lorenz? Ist er fort?
Hier ist er, sagte Lorenz, indem er hereintrat. Er hatte den Hut auf dem Kopfe und ein Bündel an der Hand, das in einem Umschlag von Wachsleinen lag und zusammengeschnürt war.
Fort Lorenz, fort! rief ihm der Krämer entgegen. Die Dänen sind dicht an Dir. Mach hinaus, such einen Schlupf, wo Du sicher bist.
Lorenz wandte kaltblütig den Kopf um; die Bootsmannschaft kam schon die Warft herauf.
Dazu ist keine Zeit, antwortete er, wenigstens jetzt nicht. Habt Dank und laßt mich für mich sorgen.
Die Dänen waren schon an der Thür. Die beiden jungen Herren hatten heute keine Noth erkannt zu werden, die goldene Schnur auf ihren Röcken und die Degen, welche sie trugen, zeigten, daß sie Seeoffiziere waren. Hinter ihnen folgten vier handfeste Gesellen in braunen Jacken und blanken Hüten. Im Gurte trug jeder eine Pistole und einen kurzen Säbel; der eine hatte an einer Schnur eine Signalpfeife um den Hals hängen, die ihn als Bootsmann kenntlich machte.
Der große junge Herr trat zuerst herein und war voll Freundlichkeit.
Auf mein Wort, Heiström! rief er, da finden wir die ganze Gesellschaft beisammen. Heda! guten Tag, ihr alle, besonders aber Du, mein schmuckes Mädchen. Wie allerliebst sie aussieht. Du hast Dich ja herrlich geputzt. Hast wohl gar gewußt, daß wir kommen würden und uns erwartet?
Ja, Herr, ja! versetzte Anna Moor, indem sie ihm die Hand ließ, welche er genommen, ich hab's gewußt. Der Krämer ist aus Tondern gekommen, um die Gäste zu kündigen.
Ich? O! sieh mal da, Lorenz, ich sagte es so nebenbei, fiel Hans Becker erschrocken ein.
Er hat's auch dem Lorenz angemeldet, fuhr Anna fort, weil's sein guter Freund ist.
Rede nicht so, rief der Krämer noch verwirrter. Was geht es mich an. Ich bin herüber gekommen, weil's eben Sonntag ist.
Und dafür müssen wir dem alten Herrn dankbar sein, spottete der Offizier, denn Lorenz hat sein Bündel schon geschnürt, wie ich sehe, und kann gleich fort mit uns. Nicht wahr, mein Sohn?
Wohin? fragte Lorenz.
Verstehst Du dänisch? fragte der Offizier zurück.
Nein, Herr.
So sollst Du es lernen. Sieh dort, da liegt eine Zehn-Kanonenbrigg, die ich commandire. Der König braucht Dich für seinen Dienst, Du bist ein verständiger Bursche und wirst einsehen, daß Du gehorchen mußt.
Lorenz begriff auf der Stelle, daß er gepreßt werden sollte und jede Weigerung sein Loos nur verschlimmern würde. Er warf einen jähen Blick auf das Meer hinaus, wo die leichten Nebel sich dichter an die Hallig schmiegten und in der Rinne seine kleine Jolle umdunkelten, welche dort mit ihren Schlagrudern lag, dann sah er bedächtig auf die beiden Matrosen, welche sich an die Thür postirt hatten und in ihren Händen einige dünne getheerte Stricke hielten. Er zweifelte nicht an deren Bestimmung und sagte gelassen:
Wenn es so sein muß, kann ich es nicht ändern, Herr. Gebt mir nur noch ein halb Stündchen Zeit, daß ich meine Geschäfte hier im Hause in Ordnung bringe, so will ich folgen.
Der Lieutnant war im Begriffe Ja zu sagen und Lorenz hatte sich schon nach der Thür gewandt, als Anna Moor auf ihn zulief und ihn am Arm festhielt.
Laßt ihn nicht hinaus! schrie sie, er will euch entspringen. Will nach Schleswig hinüber zu den Deutschen. Kamt ihr eine Weile später, so war er fort!
Was, Du schlechter Kerl, das hast Du gewollt? fragte der Offizier.
Ja, Herr, sagte Lorenz unerschrocken, ich hatte es vor.
Dank dem guten Mädchen hier, die Dich daran hinderte, fuhr Lieutnant Lund fort. Weit wärest Du nicht gekommen, und wie eine Ratte hätten wir Dich aufgehängt. Es ist also ein Deutschgesinnter? fragte er.
Das ist er, sagte sie. Es giebt hier manche von seinem Schlag.
O, Du abscheuliche Wetterdirne, murmelte Hans Becker, sie ist noch viel schlechter wie Ole. Die Creatur würde ihm gern helfen und beistehen; ich auch, ich auch, aber es geht nicht. Ach, Du armer Lorenz.
Diese letzten Worte stieß er laut hervor und schlug dabei jammernd in seine Hände, denn eben geschah seinem guten Freund da noch mehr Leid.
Da es so mit Dir beschaffen ist, mein Junge, sagte der Lieutnant, so wollen wir Dir Zaum und Zügel anlegen. Schnürt ihn zusammen! rief er den Matrosen zu, und wie ein Blitz warfen sie sich über ihn her. Es gab ein kurzes Ringen, Lorenz Karstens theilte ein paar tüchtige Stöße aus und schüttelte sich, wie ein Bär unter Hunden. Als je doch der Bootsmann ihn hinterrücks um den Leib faßte und niederwarf, war es aus mit ihm. Nach wenigen Minuten lagen seine Arme festzusammengeschnürt auf seinem Rücken.
Nun, Du Ausreißer, wie gefällt Dir das? fragte der Lieutnant. Am Bord will ich Dir eine andere Lection geben, um Deinem Könige treu anzuhängen.
Lorenz blieb stumm, doch Anna Moor schrie auf:
Gebt es ihm ordentlich, schrie sie, er verdient es schon um meinetwegen. Aber die Herren müssen durstig sein und hungrig, dagegen laßt mich sorgen.
Ein Kuß von Deinen frischen Lippen vertreibt Hunger und Durst, rief Lund. Du hast ein echt dänisches Herz, Anna Moor, Heiström sagt es auch, Du mußt uns patriotisch umarmen und küssen.
Und Anna Moor lachte allerliebst und zeigte ihre weißen Zähne, that auch keinen Widerstand, als der Offizier sie in seine Arme zog und sein junger Kamerad unter Scherz und Schmeichelrede das Gleiche versuchte.
Es ist eine böse Zeit, Ole, eine grausame Zeit, stöhnte Hans Becker, aber es wird schon besser werden, man muß Geduld haben, nur Geduld!