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Der König hatte nicht allein mit dem aus Berlin im Lager bei Sohr anlangenden Kurier Briefe erhalten; auch jeder Regimentskommandeur hatte seine wohlverschlossene Mappe empfangen, worin sich die Briefe für die Offiziere und Soldaten seines Regiments befanden, welche er an dieselben zu verteilen hatte. Aber um dabei jeden Irrtum und jeden Unterschleif zu vermeiden, war von dem Kriegsdepartement in Berlin jeder solchen Sendung eine Liste beigefügt, auf welcher die Adressaten der Briefe eigenhändig den Empfang derselben quittieren mußten.
Oberst von Jaschinsky war also genötigt dem Leutnant Friedrich von Trenck die beiden Briefe zu geben, welche er für ihn in der Briefmappe gefunden hatte. Den einen dieser Briefe betrachtete der Oberst mit einem wilden, schadenfrohen Lachen; er war gar nicht neugierig auf den Inhalt desselben, denn er kannte denselben sehr gut und wußte, daß, sobald Trenck ihn empfangen hätte, dieser Brief sich in einen blinkenden Dolch verwandeln werde, dessen tödliche Spitze sich gegen des jungen Mannes eigene Brust richten müsse. Er kannte den Brief, wie gesagt, sehr gut, denn er hatte ihn schon einmal gesehen, und ihn damals auf eine listige Weise zu unterschlagen gewußt, um ihn zuerst nach Berlin zu seinem Freunde Pöllnitz zu schicken und ihn zu fragen, ob dieser Brief nicht sehr dazu geeignet sei, sie beide zum Ziel zu führen, und den Leutnant von Trenck unschädlich zu machen, indem man ihm damit den Hals bräche? Pöllnitz hatte bis jetzt nicht darauf geantwortet, aber heute hatte der Oberst von Jaschinsky von ihm einen Brief erhalten, und Pöllnitz hatte darin gesagt: »Jetzt ist's an der Zeit, den Brief des Panduren wirken zu lassen. Ich habe daher denselben auf die Post getragen, und ich denke, ich bin ein Hiobsbote für diesen jungen übermütigen Offizier gewesen, der sich einbildet, daß ihm sein Oberst zweihundert Dukaten schuldig ist. Wenn Sie wirklich einmal sein Schuldner waren, so wird er von heute an der Ihrige sein, denn er wird Ihnen, denke ich, freies Quartier auf irgendeiner preußischen Festung, und das hoffentlich auf lange Zeit, verdanken. Wenn Sie dem König von diesem Briefe des Panduren die Anzeige machen, können Sie ihm immer melden, daß der Leutnant von Trenck heute aus Berlin noch einen zweiten Brief, wie Sie glauben von einer Dame, erhalten habe, vielleicht läßt der König dann bei ihm nachsuchen, und daß er einen Brief von einer Dame heute erhält, weiß ich gewiß, denn ich selber habe ihn zur Besorgung übernommen, und daß er ihn nicht zerrissen hat, versteht sich, denn Verliebte zerreißen niemals die Briefe ihrer Geliebten.«
Nein, Verliebte zerreißen niemals die Briefe ihrer Geliebten! Wie hätte Friedrich von Trenck es über sich gewinnen können, dieses Papier zu vernichten, auf welchem ihre Hand geruht, das ihr Auge angeschaut, das ihr Atem berührt, auf dem sie ihre Liebesgrüße, ihre Schwüre, ihre Sehnsucht und ihre Treue aufgezeichnet hatte! Nein, nicht für alle Schätze der Welt würde er es fortgegeben haben, dieses heilige, dieses kostbare Papier, welches ihm sagte, daß Prinzessin Amalie ihn noch nicht vergessen habe, daß sie entschlossen sei, auszuharren in Geduld und Liebe und Treue, bis er zu ihr zurückkehren werde, ein Held, berühmt und groß durch seine Taten, mit einer Lorbeerkrone im Haar, welche leuchtender und schöner sein werde als irgendeine Fürstenkrone.
Als Trenck das las, weinte er vor Demütigung und Scham. Zwei Schlachten waren schon gewonnen, und sein Name war dunkel und unbekannt geblieben, zwei Schlachten, und keine dieser Heldentaten, welche seine Geliebte mit solcher Zuversicht von ihm erwartete, hatte auf seinem Wege gelegen. Wohl hatte er seine Pflicht getan als tapferer Soldat, aber nicht hatte er, wie Krauel im verflossenen Jahr, eine Heldentat ausgeübt, welche den gemeinen Soldaten zu dem Freiherrn Krauel von Ziskaberg erhob, und dem unbekannten Bauer einen Namen gab, dessen Ruhm Jahrhunderte überdauern sollte Der Grenadier David Krauel war der erste, welcher bei der Erstürmung von Prag (1741) die Bastion erstieg, dort, nachdem er alle seine Patronen verschossen, sich mit dem Degen so lange verteidigte, bis seine Kameraden ihm folgten, und so das Werk eroberten. Der König ließ ihn, nach der Einnahme von Prag, in seiner gemeinen Montur an der Marschalltafel speisen, schenkte ihm eine bedeutende Summe Geldes und erhob ihn zum Leutnant und zum Baron Krauel von Ziskaberg. Siehe Rödenbeck, Tagebuch S. 107. – Preuß, Lebensgeschichte. I, 208., nicht hatte er durch irgendeine große Waffentat, ein unerhörtes, tollkühnes Unternehmen, wie etwa Ziethen, der mit seinen neugekleideten Husaren unerkannt mitten durch das österreichische Lager gegangen war Der König hatte Ziethen bei Frankenstein eine wichtige Botschaft gegeben, die er an den Markgraf Karl nach Jägerndorf bringen sollte. Ziethen zog mit seinen Husaren, unkenntlich in den neuen Wintermontierungen, durch die Österreicher hin. Preuß, Lebensgeschichte. S. 211., die ganze Welt mit Staunen erfüllt. Er war eben nichts gewesen, als ein tapferer Soldat, nichts weiter als viele Tausende anderer Soldaten. Oh, er fühlte die Kraft und den Mut in sich, die Sterne vom Himmel zu reißen, um sie seiner Geliebten als Diadem um die Stirne zu legen, mit Titanen zu kämpfen und sie in den Abgrund zu schleudern, die ganze Welt, gleich dem Atlas, auf seine Schultern zu nehmen, er fühlte die Kraft, den Mut, den Willen, die Befähigung in sich, ein ruhmgekrönter Held zu werden! Aber es fehlte ihm dazu die Gelegenheit. Die Heldentaten, die er zu vollführen brannte, hatten nicht auf seinem Wege gelegen, sie waren mit geflügelten Sohlen vor ihm her geflattert, er hatte sie aber nicht einzuholen vermocht. Und so war er, trotz zweier siegreicher Schlachten, in denen er mitgekämpft, trotz des sichtbaren Wohlwollens des Königs, geblieben, was er gewesen, der unbekannte, unberühmte Leutnant von Trenck!
Und mit zitterndem Herzen fragte er sich selber, ob Prinzessin Amalie ihn noch lieben werde, wenn er so zu ihr zurückkehre, wie er gegangen, ob ihr stolzes, reines und großes Herz die schlimmste aller Prüfungen, einen gewöhnlichen und durch nichts ausgezeichneten Menschen geliebt zu haben, überdauern, ob sie ihn nicht verachten und sich stolz von ihm wenden werde?
Nein, nein, rief er ganz laut, ich werde nicht den frechen Mut haben, so zu ihr zurückzukehren. Wenn es mir nicht gelingen will, mich auszuzeichnen, so wird es mir doch gelingen können zu sterben. Bei der nächsten Schlacht werde ich mir also den Ruhm oder den Tod erobern. Und wenn ich unberühmt falle, wird sie mir verzeihen und um mich weinen! Das ist immer noch schöner und begehrenswerter, als lebend von ihr vergessen oder verachtet zu werden.
Er drückte Amaliens Brief an seine Lippen, dann schob er ihn in seinen Busen und öffnete den zweiten Brief. Während er jetzt las, malte sich Staunen und Verwunderung in seinen Zügen, und ein halb spöttisches, halb lustiges Lachen umspielte seine frischen vollen Lippen. Bald aber wurden seine Züge ernst, und eine finstere Wolke beschattete seine jugendliche Stirn.
Wenn ich Feinde hätte, würden sie mit diesem Briefe mich vernichten können, sagte er leise. Er könnte, so närrisch und toll er immer ist, doch hinreichen, mich als einen Verräter darzustellen. Sollte das vielleicht nicht eine Falle sein, welche man mir gestellt, oder wie? Sollte man wirklich diesen Brief, welcher, wie man aus den Poststempeln sieht, aus dem feindlichen Österreich nach Berlin gewandert und dann hierher gekommen ist, so unbeachtet an mich gelangen lassen, ohne ihn einmal gelesen zu haben? – Ich werde mit diesem Brief zu meinem Obristen gehen und ihm denselben mitteilen, sagte Friedrich von Trenck mit einem kräftigen Entschluß. Mag er darüber, wenn er will, an den König berichten. Das Geheimhalten möchte für mich gefährlicher sein, als das offene Bekenntnis.
Und diesen zweiten Brief gleichfalls in seinen Busen steckend, begab sich Friedrich von Trenck in das Zelt des Obersten von Jaschinsky, der ihn mit außergewöhnlicher Freundlichkeit willkommen hieß.
Herr Obrist, sagte Trenck nach der ersten Begrüßung, entsinnen Sie sich noch des seltsamen Briefes, den ich vor sechs Monaten von meinem Vetter, dem Pandurenobristen von Trenck erhielt?
Ah, Sie meinen jenen tollen Brief, in welchem er Ihnen anbot, zu ihm nach Österreich zu kommen, und Ihnen versprach, Sie alsdann zu seinem Universalerben einzusetzen? Friedrich von Trencks Memoiren. I, 44.
Ja, jenen Brief meine ich. Ich teilte Ihnen damals denselben mit und befragte Sie um Ihren Rat.
Und worin bestand mein Rat?
Daß ich dem Obristen von Trenck freundlich und dankbar antworten, und bei einem so wichtigen Vorschlag, der mich zu einem Millionär machen könne, weder gleichgültig noch undankbar sein solle. Sie rieten mir, zwar diese Zumutung, zu ihm nach Österreich zu kommen, abzulehnen, aber nur abzulehnen, solange Preußen und Österreich noch im Krieg miteinander, und den Pandurenobersten also auf die Zeiten des Friedens zu vertrösten.
Nun, ich denke, der Rat war gut, und Sie konnten ihn immerhin befolgen.
Sie rieten mir ferner, meinem Vetter zu schreiben, er möge mir schöne ungarische Pferde zu meiner Equipage schicken, und versprachen mir, meinen so abgefaßten Brief durch den sächsischen Gesandten Herrn von Bossart zu befördern, aber unter der Bedingung, daß ich, wenn ich die ungarischen Pferde von dem Pandurenoberst bekäme, Ihnen eins davon abgeben wolle.
Das war ein Scherz, wie man ihn wohl im Übermut des Augenblicks machen kann. Ein Scherz, der Sie indessen zu nichts verpflichten soll, und für den Sie auch keine weiteren Beweise haben.
Ich? fragte Trenck verwundert. Und wozu bedürfte ich denn Beweise dafür, daß ich Ihnen ein ungarisches Pferd versprochen hätte? Was sollten mir diese Beweise nützen?
Der Graf Jaschinsky schlug vor dem so offenen und vertrauensvollen Blicke des jungen Offiziers das Auge nieder. Einem argwöhnischeren, welterfahreneren Manne gegenüber würde seine unvorsichtige Frage ihn verraten haben, denn jener würde in derselben die Möglichkeit einer drohenden Gefahr, der Jaschinsky sich zu entziehen suchte, erkannt haben.
Ich meinte nicht, sagte der Graf lachend, daß Ihnen der Beweis nützen solle, sondern ich wollte nur sagen, daß ich keinen Beweis dafür hätte, daß Sie mir ein ungarisches Pferd schuldig sind, und daß Sie deshalb durchaus nicht nötig haben, mir ein solches zu geben.
Doch geschah Ihre Bitte und mein Versprechen vor Zeugen, Herr Obrist, der Leutnant von Studnitz und der Kornett von Wagnitz waren zugegen, und wäre das auch nicht gewesen, so würde mein gegebenes Wort allein schon bindend für mich sein. Aber vorläufig habe ich noch gar keine ungarischen Pferde, sondern nur ein Antwortschreiben meines drolligen Herrn Vetters, das ich Ihnen mitteilen möchte.
Ah, der Pandurenoberst hat Ihnen geantwortet? fragte Jaschinsky mit gut gespielter Verwunderung.
Er hat mir geantwortet, und zwar den seltsamsten und pandurenhaftesten Brief, den man sich nur ersinnen kann. Hören Sie nur!
Und Friedrich von Trenck zog hastig den Brief hervor, den er vorher in seinen Busen gesteckt hatte. Ganz erfüllt von dieser Angelegenheit, gar nichts weiter beachtend, ganz harmlos und unbefangen, wie es die Jugend zu sein pflegt, schlug er den Brief auseinander und las:
»Aus Dero Schreiben, de Dato Berlin den 12. Februar, ersehe ich, daß Sie gerne ungarische Pferde von mir haben möchten, um sich gegen meine Husaren und Panduren herumzutummeln. Ich habe bereits in voriger Kampagne mit Vergnügen erfahren, daß der preußische Trenck auch ein guter Soldat ist. Zur Bezeugung, daß ich Sie schätze, habe ich Ihnen damals die von meinen Leuten gefangenen Pferde zurückgeschickt. Wollen Sie aber ungarische Pferde reiten, so nehmen Sie mir die meinigen im offenen Felde ab, oder kommen Sie zu Ihrem Vetter, der Sie mit offenen Armen empfangen und als seinen Sohn und Freund Ihnen alle Zufriedenheit verursachen wird.« Trencks Memoiren. I, 58.
Hätte Trenck weniger aufmerksam auf seinen Brief gesehen, während er ihn las, so würde er bemerkt haben, daß Jaschinsky, wenig auf seine Vorlesung achtend, den Blick starr auf den Boden gerichtet, sich ihm näherte und jetzt vorsichtig und leise seinen Fuß ausstreckend, etwas unter demselben zu verbergen schien. Dann blieb er mit lächelndem Gesicht neben Trenck stehen, und als dieser seinen Brief zu Ende gelesen, brach er in ein lautes Lachen aus, in welches der junge Offizier fröhlich mit einstimmte.
Ihr Vetter ist in der Tat ein drolliger Narr, sagte der Graf, und unter den Bedingungen, die er Ihnen da stellt, nehme ich immer noch das ungarische Pferd von Ihnen an. Vielleicht finden Sie bald Gelegenheit, mir dasselbe zu geben, denn wie man sagt, werden wir jetzt mit einem Corps in Ungarn einbrechen, und so könnten Sie sich dann die ungarischen Pferde selber holen. Aber jetzt, mein junger Freund, entschuldigen Sie mich wohl. Ich muß zum König, ihm Rapport abzustatten, und Sie wissen wohl, der König duldet keine Vernachlässigung im Dienst. Nach dem Kriegsrat sehen wir uns wieder und sprechen mehr davon.
Friedrich von Trenck verabschiedete sich, ein wenig erstaunt über die so schnelle und plötzliche Entlassung. Sein Rittmeister und Obrist begleitete ihn nicht, wie er das sonst zu tun pflegte. Er blieb mitten im Zelt stehen, bis er wieder allein war in demselben. Dann aber beugte er sich mit einer hastigen Bewegung nieder und zog unter seinem Fuß dieses zierlich zusammengefaltete Briefchen hervor, das er bis jetzt unter demselben verborgen hatte.
Der Graf Jaschinsky hatte gesehen, was Trenck unbeachtet gelassen. Er hatte gesehen, daß, als Trenck den Brief des Pandurenobristen hervorzog, mit demselben noch ein anderes Papier hervorkam, das Trenck nicht beachtete, und das sich an den ersten großen Brief des Panduren wie zufällig angeheftet hatte. Als Trenck den Brief seines Vetters entfaltete, war das andere Briefchen zur Erde gefallen, und während Trenck las, hatte Jaschinsky so geschickt manövriert, daß er glücklich dasselbe unter seinem Fuß verborgen hatte.
Jetzt, wie gesagt, zog er dieses Papier unter seinem Fuß hervor und entfaltete es hastig. Ein Ausdruck boshafter Freude überstrahlte sein Gesicht, während er las, und indem er dann das Papier hoch in seiner Hand schwang, sagte er triumphierend: Jetzt ist er verloren. Ich habe nicht nötig, dem König zu sagen, daß Trenck einen Brief von Damenhand erhalten hat, ich werde ihm diesen selber bringen, und das wird ihn besser verurteilen, als alle Konspirationen mit seinem Vetter! Fort also zum König!
Aber indem er schon den Vorhang seines Zeltes zurückgeschlagen hatte, blieb er stehen und schien zu überlegen. Dann ließ er langsam den Vorhang wieder herunterfallen und trat sinnend in sein Zelt zurück.
Ich glaube, ich war da im Begriff, einen dummen Streich zu begehen, sagte er leise. Dieser Brief würde allerdings meinem verhaßten Gläubiger ganz sicher den Garaus machen, aber ich zweifle sehr, daß ich selber ganz glücklich davonkäme, wenn ich dem König dies ominöse Schreiben selbst übergäbe. Er würde es mir niemals verzeihen, daß ich dadurch von einem Verhältnis erfahren, das er natürlich vor der ganzen Welt verborgen halten will. Die Mitwissenschaft eines solchen Geheimnisses kann nur gefahrbringend sein, und ich ziehe es vor, nichts damit zu tun zu haben. Wie fange ich es also an, dem König dieses Briefchen zukommen zu lassen, ohne daß er glaubt, daß ich seinen Inhalt kenne?
Ah, ich hab's! rief er dann nach einer langen Pause. Das Mittel ist sicher und durchaus gefahrlos für mich selber.
Mit hastigen Schritten verließ er das Zelt und begab sich in das Zelt des Königs, den er in dringenden Dienstsachen um eine Audienz bitten ließ.
Ah, ich wette, daß Er kommt, irgend jemand anzuklagen, sagte der König, als Jaschinsky zu ihm eintrat. Es ist ein so boshaftes Leuchten in Seinen Augen. Nicht wahr, ich hab's getroffen, einer Seiner Offiziere hat wieder einen dummen Streich gemacht?
Ich überlasse die Entscheidung darüber ganz Euerer Majestät, sagte Jaschinsky demütig. Euere Majestät haben mir befohlen, meine Offiziere, besonders den Leutnant von Trenck, genau zu überwachen und von jeder auffälligen Sache genau Rapport abzustatten.
Es betrifft also wohl wieder den Trenck? sagte der König, dessen Stirn sich verfinsterte. Doch will ich Ihm vorher sagen, wenn's nicht wirklich etwas Ernsthaftes und Notwendiges ist, was Er vorzubringen hat, so laß Er's lieber, denn das bloße Anschwärzen ist mir zuwider. Ich bin mit dem Trenck zufrieden, er ist ein braver und eifriger Offizier, außerdem ein gebildeter Mensch, und wie mir scheint, läßt er sich jetzt niemals eine Vernachlässigung im Dienst zuschulden kommen. Besinne Er sich also, ist es etwas Ernsthaftes, was er vorzubringen hat, oder will Er lieber schweigen?
Ich bitte Eure Majestät um die Erlaubnis, sprechen zu dürfen.
So spreche Er, sagte der König, indem er dem Obristen den Rücken zuwandte und sich mit den Büchern auf seinem Tische zu beschäftigten schien.
Der Leutnant von Trenck hat mit der heutigen Post ein Schreiben erhalten, das, wie ich glaube, auf ein durchaus unerlaubtes gesetzwidriges Verhältnis hindeutet.
Der König wandte sich hastig um, und ein so zorniger Blitz seines Auges traf den Rittmeister, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
Wahrhaftig, ich glaube, es ist ein Glück für mich, daß ich den Brief nicht abgegeben, dachte Jaschinsky. Der König würde mich in seinem Zorn zerschmettern.
Von wem ist das Schreiben? fragte der König.
Sire, es ist von dem Panduren-Obrist von Trenck.
Der König atmete erleichtert auf und ein glückliches Lächeln erhellte seine Züge. Der Pandur ist ein Vetter unsers Leutnants, sagte er.
Aber er steht im feindlichen Lager, und es will mit daher nicht passend erscheinen, wenn der preußische Offizier den feindlichen österreichischen Offizier um ungarische Pferde zu seiner Equipierung gebeten hat, und wenn der Österreicher ihn einladet, zu ihm zu kommen.
Steht das in dem Brief? fragte der König mit drohendem Ton, und als Jaschinsky bejahte, fuhr er fort: gebe Er her den Brief, ich muß mich mit meinen eigenen Augen überzeugen, daß das wahr ist.
Ich habe den Brief nicht, aber wenn Euere Majestät befehlen, werde ich hingehen und ihn von dem Leutnant von Trenck fordern.
Und wenn er den Brief verbrannt hat?
Bin ich bereit einen Eid abzulegen, daß das, was ich sagte, in dem Briefe geschrieben stand. Ich selbst habe es gelesen, denn der Herr Leutnant selbst teilte mir das Schreiben mit.
Hole Er den Brief!
Jaschinsky ging und der König blieb gedankenvoll in seinem Zelt zurück. Wenn er wirklich ein Verräter wäre, würde er den Brief nicht selbst an Jaschinsky gegeben haben, sagte der König leise. Nein, seine Stirn ist noch so rein, sein Blick so offen wie sonst. Der Trenck ist kein Verräter, kein Verräter an seinem Vaterland, nur fürchte ich, an seinem eigenen Glück. Nun, vielleicht ist er zur Vernunft gekommen. Ich habe ihn oft und viel gewarnt, und er mag mich, hoffe ich, doch endlich wohl verstanden haben. – Nun, hat Er den Brief? fragte er den eben wieder eintretenden Grafen Jaschinsky.
Sire, hier ist er. Wenigstens glaube ich, daß er es ist. Ich habe mir noch nicht einmal die Zeit genommen, das Papier anzublicken, so sehr eilte ich, zu Eurer Majestät zurückzukehren.
Gab er den Brief gutwillig?
Er sagte kein Wort, sondern zog ihn sogleich aus seinem Busen hervor und gab ihn mir, und so bringe ich ihn unangesehen zu Euerer Majestät.
Der König ließ seine Blicke, welche es so gut verstanden, in den Herzen der Menschen zu lesen, einen Moment mit forschendem Ausdruck auf dem Antlitz des Grafen ruhen. Diese wiederholte Versicherung, daß Jaschinsky den Brief gar nicht angesehen, machte den König stutzig und ließ ihn eine verborgene Absicht vermuten.
Er nahm den dargereichten Brief und entfaltete ihn langsam und vorsichtig, Wieder ließ er dann seine durchbohrende Blicke auf dem Antlitz Jaschinskys ruhen. – Er hatte das zarte rosige Briefchen bemerkt, welches da in diesen Brief des Panduren-Obersten hineingeschoben war, und jetzt begriff der König die Worte des Grafen. Dieser kleine Brief, das war der eigentliche Kern des Ganzen und Jaschinsky wollte ihn nicht kennen.
Warte Er draußen vor dem Zelt, bis ich ihn rufe. Ich will den Brief mit Besonnenheit lesen, sagte der König vollkommen gelassen, aber als Jaschinsky sich entfernt hatte, entfaltete er hastig das Papier, und ohne auf das Schreiben Trencks zu achten, das er auf den Tisch warf, nahm er das kleine Briefchen, welches darin gelegen, zur Hand.
Als er seine Augen darauf richtete, schrak er zusammen und preßte die Lippen fest aufeinander, als wolle er einen Ausruf des Zorns zurückhalten.
Es ist ihre Handschrift, murmelte er leise, indem er sich auf den Feldstuhl niedergleiten ließ. Ja, es ist ihre Handschrift und all mein Bemühen ist umsonst gewesen. Sie haben mich nicht verstehen wollen. Sie sind also verloren!
Und tief aufseufzend heftete der König wieder das Auge auf den Brief. Mit traurigem, wehmutsvollem Herzen, mit vor Rührung oder vor Zorn zuckendem Angesicht las der König diese unschuldsvollen und keuschen Bekenntnisse eines träumerischen, phantastischen jungen Mädchenherzens, diese schwärmerischen und heroischen Gelöbnisse eines Kindes, welches meint, die Welt überwinden zu können mit ihren Gebeten, ihrer Liebe und Energie.
Armes Kind, murmelte der König einmal, du willst deine jungfräuliche Seele in das Weltrad werfen und es zum Stillstand zwingen, aber du wirst dir doch nur dein eigenes Dasein daran zerschellen und dich selbst zerschmettern. Dich selbst und ihn, den du liebst! Arme, beklagenswerte Kinder, warum ist es mir nicht beschieden, euch glücklich zu machen, warum muß ich wie das Unheil auf euch hereinbrechen und euch beide verderben! Wär's denn nicht möglich, das zu ändern, nicht möglich, einmal aller Vorurteile zu vergessen, und zweien Menschen das Glück zu schenken, ganz unbekümmert um die Welt? Wär's nicht möglich Gnade zu üben, und einmal die segnende Gottheit auf Erden, statt der strafenden Majestät zu spielen?
Und ganz ergriffen von diesen mächtigen und stürmenden Gefühlen ging der König hastig auf und ab. Und warum sollte es nicht sein können? fuhr er dann fort. Hat man mir nicht erzählt, daß die Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel, welche in Petersburg als Zarewna in der Kaisergruft begraben worden, jetzt in Paris als Frau von d'Aubigny lebt, und aus ihrem glänzenden Unglück geflüchtet ist, um ein bescheidenes stilles Glück zu erlangen? Die Frauenherzen sind ja so wunderlich, daß ihnen ein Myrthenkranz begehrenswerter ist als eine Krone. Warum soll ich denn ein Mädchen durchaus zwingen, eine Fürstin zu sein, wenn sie nur ein Weib sein will? Warum soll ich hart sein, ich, welcher selbst so viel gelitten hat durch anderer Härte? Und wollte ich nicht auch entfliehen, nicht auch der Krone entsagen, um des Rechtes willen, ein freier und ein glücklicher Mensch zu sein? Soll ich sie nun strafen für das; was ich selbst gewollt? Soll ich nun den Tyrannen spielen, nachdem mein eigenes Herz zerdrückt ist von fremder Tyrannei? Oh, es muß göttlich sein, einmal das Menschenglück über die Staatsklugheit siegen zu lassen! Soll ich sie entfliehen lassen, entfliehen in eine Wüste, um da ihrer Liebe ein Paradies zu schaffen? Ach, aber wie bald würde die Schlange sich einfinden in diesem Paradiese, wie bald würde die Übersättigung, der Überdruß, die Langeweile und endlich die Reue kommen, um sie für ewig aus ihrem Paradiese zu verjagen. Man trinkt sich kein reines Glück aus einem Becher, auf dessen Grunde man die Reue finden kann. Nein, die Tochter der Hohenzollern kann nicht dem stolzen Namen ihrer Väter entsagen, um schamvoll einem demütigenden Glücke nachzulaufen. Die Prinzessin von Preußen kann nicht den Töchtern meines Landes das Beispiel einer törichten und gesetzwidrigen Liebe geben, die Schwester der Kronprinzessin von Schweden, die Tochter meiner Mutter darf nicht wie eine Landstreicherin mit ihrem Liebsten heimatlos umherirren, und zu einer Abenteuerin werden. Möge sie sich bei ihrem Schicksal beklagen, daß sie keine Zigeunerin ist, sondern eine Fürstentochter! Ich kann es nicht ändern. Das Schicksal verurteilt sie, nicht ich! Verurteilt sind sie, aber das Schwert, welches über ihnen hängt, darf nur herabfallen auf sein Haupt! Er ist der Schuldige, denn er ist der Mann. Er hat gewürfelt um ein hohes Glück oder ein schmachvolles Unglück, und er hat verloren!
Jetzt nahm der König den Brief des Panduren-Obersten von Trenck zur Hand und las ihn mit aufmerksamen, gespannten Mienen. Er hat verloren, und er ist verloren, sagte er dann. Dieser Brief gibt einen vollgültigen Beweis gegen ihn, dieser Brief ist die eiserne Maske, welche ich seinem Verbrechen vor das Antlitz hefte, damit es nicht sprechen und sich verraten kann an die Welt. Ich würde über diesen Brief lachen, wenn nicht der andere Brief wäre, welcher ihn verurteilt. So aber muß er mir als Vorwand dienen, und dazu ist er gut genug.
Lange noch ging der König in tiefernsten Gedanken auf und ab. Sein Antlitz war trübe aber entschlossen, und ein unerschütterlicher Wille flammte aus seinen großen Augen.
Nach einiger Zeit trat er zum Tisch und nahm die beiden Briefe. Den Brief der Prinzessin steckte er in seinen Busen, den andern faltete er zusammen und durchschritt dann hastig das Zelt, um den Grafen Jaschinsky zu rufen.
Herr Rittmeister, sagte er, diesmal hat Er recht gehabt. Der Leutnant von Trenck ist ein schlimmer Verbrecher, denn aus dem Briefe geht ganz unleugbar ein hochverräterischer Verkehr mit unserm Feinde hervor. Wenn ich ihn vor ein Kriegsgericht stellte, würde dies ihn zum Tode verurteilen. Weil er aber vielleicht nur aus Leichtsinn und Unbedacht so gehandelt hat, will ich Gnade an ihm üben und sehen, ob einige Jahre Festungsstrafe ihn kurieren können. Er kann ihm das von mir sagen, indem Er ihm diesen Brief seines Herrn Vetters zurückgibt. Er hat diesen Brief nicht geöffnet, als Er ihn mir brachte?
Das Auge des Königs ruhte mit einem drohenden Ausdruck auf dem Antlitz des Grafen, indem er so fragte.
Nein, Majestät, ich habe den Brief nicht geöffnet, erwiderte dieser mit vollkommener Ruhe.
Daran hat Er sehr wohl getan, sagte der König, denn es hatte sich darin eine Wespe verkrochen, welche ihn leicht hätte tödlich stechen können. Geh Er jetzt und bringe Er dem Leutnant von Trenck seinen Brief und nehme Er ihm seinen Degen ab. Er ist von dieser Stunde an Arrestant und soll sogleich nach der Festung Glatz abgeführt werden.
Soll es in der Stille geschehen, Sire? fragte Jaschinsky, kaum imstande, seine Freude zu verbergen.
Nein, im Gegenteil! Ich will, daß die ganze Armee, die ganze Welt es erfahre, weshalb der Leutnant von Trenck bestraft wird. Er kann es jedermann sagen, daß der Trenck ein Verräter ist, welcher mit seinem Vetter in Österreich unerlaubte Korrespondenz geführt und mit dem Feinde konspiriert hat. Seine Verhaftung soll also durchaus öffentlich geschehen, und unter Bedeckung von fünfzig Husaren soll er nach Glatz abgeführt werden. Geh Er jetzt und besorge Er das!
Die Würfel sind gefallen, er ist verloren, sagte der König feierlich, als er wieder allein war. Trenck ist verurteilt, und Amalie wird ihren ersten Schmerz zu bekämpfen haben. Arme Amalie!
Draußen standen die Generale und unter ihnen der Liebling des Königs, der General Rothenburg. Der König hatte sie zu einer Beratung zusammenrufen lassen, und sie harrten seines Rufes, um in sein Zelt eintreten zu dürfen.
Aber der König rief sie nicht, er hatte vielleicht ganz vergessen, daß sie da waren. (Er ging immerfort, die Arme ineinandergeschlagen, langsam auf und ab, ganz verloren in Gedanken, ganz achtlos auf das, was um ihn her geschah. Aber jetzt plötzlich blieb er stehen und horchte. (Er hatte das Traben vieler Pferde gehört, und er wußte, was das zu bedeuten hatte. Er näherte sich dem Ausgang des Zeltes und schlug vorsichtig den Vorhang so viel zurück, um unbemerkt sehen zu können, was da draußen geschah.
Das Geräusch der Pferdehufe kam näher und näher. Da ziehen die ersten Husaren an dem Zelte des Königs vorüber, da wieder zwei und noch wieder, und wieder und immer wieder, und da in ihrer Mitte dieser bleiche Jüngling mit dem verstörten Antlitz, den starren, weit in die Ferne schauenden Augen, den farblosen Lippen, welche niemals das Lachen gekannt zu haben scheinen, dieser Offizier ohne Degen und ohne Epaulettes, der wie ein Trunkener auf seinem Pferde schwankt. Ist das Trenck, der schöne, der junge, der lebensmutige Trenck, der Geliebte einer Prinzessin, der Liebling aller Damen, der gefeierte Held der Gesellschaft und des Tanzsaals, der beneidete Günstling des Königs?
Er ist vor dem Zelt des Königs vorüber, hinter ihm her kommen seine Diener mit seinen Pferden und seinem Gepäck, dann kommen wieder die Husaren, welche den Zug beschließen, den Leichenzug von Trencks Glück und Freiheit!
Der König trat von dem Vorhang zurück, und eine tiefe Bewegung sprach aus seinen Zügen.
Jetzt, sagte er feierlich, jetzt habe ich meine erste Ungerechtigkeit begangen, denn ich habe diesen Mann gestraft ohne Urteilsspruch und Recht, ich habe ihn nicht vor ein Kriegsgericht gestellt, sondern nur vor das Gericht meines eigenen Gewissens, und das hat ihn verurteilt! Möge die Welt mich verdammen, und wenn die Geschichte einst sagen wird, daß ich an Trenck eine Ungerechtigkeit begangen habe, so möge sie wenigstens hinzufügen können, daß es meine einzige gewesen!