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VII.
Religion in unserem Tun

Die Hindernisse, denen ich bei Bau und Führung meines »eingastigen« Hotels begegne, liegen in mir – nicht außer mir. »Außer mir« bin nur ich selbst, – und so will ich versuchen, in mich zu gehen. –

Immer sollen die Dinge getan sein, – ehe ich sie tue. Immer fixiere ich die Zeit, in der Dinge zu geschehen haben, und werde sehr ungeduldig, – wenn der Herrgott auf seiner Zeit besteht, sie zu vollenden.

Warum müssen so viele Akte meines Lebens störend und unerquicklich sein? Warum muß das Anziehen am Morgen eine hastige und unerfreuliche Mühe bedeuten? – Ich weiß von einem Angelsachsen, der sich erschoß, weil er die Routine der täglichen Toilette nicht mehr ertragen konnte. – Warum muß ich freudlos in meine Kleider fahren, wie in die Grube?

Warum ist das Feuermachen im Ofen so lästig? Warum kann ich die Scheite nicht sorglich schichten – ehrfürchtig, ein bißchen Gehirn daran wenden, damit sie entzündet in bester Weise und zu meinem Besten brennen. –

Die täglichen Kleinigkeiten (sie machen neunundneunzig Prozent unseres Daseins aus) quälen uns so, weil wir sie schlecht behandeln – werden unerträglich wie verrittene Gäule oder verwahrloste Kinder. –

Gibt es nicht eine sündhafte und eine »erleuchtete« Art, Feuer zu machen? Gestattet wahre Religiosität Schlamperei? Sollte Religion – das heißt Licht, Milde und Einkehr – nicht jeden Akt des Lebens durchdringen? Warum vergeude ich unter Ärger in Ungeduld doppelt und dreifach soviel Kraft auf das Anziehen meiner Stiefel, lasse mich dadurch ermüden und aus der Stimmung bringen für Stunden; indes ein bißchen Geschick, ein bißchen Aufmerksamkeit, investiert in die Ergründung der Gesetze meiner Schnürriemen, das alles zum Spiel werden ließe. – Da werden Weltpreise ausgesetzt dafür, einen Ball durch zwei Pflöcke zu treiben, über ein Netz zu schlagen, aus einer Sandgrube zu schleudern. Und die ganze Menschheit hält den Atem an! Macht Kotau vor diesen ganz fiktiven Werten! Man soll Weltpreise für das erfreulichste Zähneputzen, das genialste Stiefelschnüren stiften, – auf daß der satanische Alltag seinen Stachel verliere und ein Sport und eine Freude werde. –

Die Leute glauben, sie können das auch so! Warum geht dann alles schief bei der geringsten Eile? Die Technik im Trivialen fehlt. – Gefährlich ist stets das Unbedeutende. Daß Napoleon unterschlafen war, kostete ihm die Entscheidungsschlacht um Thron und Welt.

Wenn nur meine Stiefel in der Früh nicht wären, – wie Gott ähnlich könnte ich sein. Die fünf Minuten, die ich tagtäglich auf das Ringen mit ihnen vergeude, geben akkumuliert am Ende manchen Tag, den ich zur Freude hätte verwenden können. Und das alles aus purer Dummheit, Faulheit und Gottlosigkeit. Faulheit ist die Quelle aller Mühe. – Sehen Sie sich, bitte, nur die Kleider in diesem Zimmer an. Bösartig herumgeschleudert – unrechtlich verteilt – zwei Orte für eine Sache oder zwei Sachen auf einem Ort (nur die Socken nicht). Warum brauche ich am Morgen manchmal so unmenschlich lang zum Fertigwerden und schäume dabei vor Hast: weil ich, an anderes denkend, meinen Kragenknopf am Abend vorher in die Rasierschale fallen ließ. – Ein Freund von mir hat darum ein Lavoir bis an den Rand voll Reserve-Kragenknöpfen in seinem Toilettezimmer. Aber das ist ein falscher Weg! – Eine Spinnerei könnte man mit den Pferdekräften betreiben, die ich schon auf der Suche nach dem Schuhlöffel vergeudet habe.

Aber ärger noch: die lässige Art ist mir in die Seele gedrungen, zweite Natur geworden. Sie sickert durch, wenn ich Kohlen in den Ofen fülle oder Wasser in den Teekessel gieße – ohne Ehrfurcht – schleuderhaft. Ein Teil der Kohle geht in den Ofen – ein Teil oben drauf – der Rest daneben. Der Rest ist größer. Und beim Teekessel – das Wasser fließt zum Teil hinein, zum Teil ringsum, weil ich mich darauf versteife, das Füllen eines Ofens oder eines Teekessels als lästige Mühe zu empfinden, deren man sich möglichst geschwind entledigen will. – So begehe ich eine Sünde. Die Sünde erzeugt schon im Entstehen die Strafe. Die Strafe ist ein Gefühl des Leidens durch Ungeduld. Aber es ist eine Strafe mit Zinseszinsen, denn ich muß »Überminuten« machen – die verstreute Kohle aufsammeln – das verspritzte Wasser abwischen – noch mehr Mühe – sinnlose Kraft- und Launevergeudung.

Wonach bin ich aus auf diesem Planeten? Nach Glück.

Gut. – Es ist uns verheißen, so wir dem Herren dienen. Liegt dieses Dienen nicht im kleinsten, auch in den sogenannten Trivialitäten des Lebens? Auf dem Tische drüben stehen ein paar ungesäuberte Teller. Soll ich ihnen gestatten, solcher Art noch länger meine Augen zu beleidigen durch ihre Unsauberkeit? Ist Reinlichkeit nicht der Gottähnlichkeit am nächsten? Aber in welcher Gemütsverfassung werde ich sie reinigen? Werde ich in Hast mich durchschubbern, – dabei den Schmutz mir ins Gemüt reibend als Ärger und Haß, – wer wäscht mir dann die Laune wieder blank? – Oder werde ich auf diese Teller den gleichen Ernst, die gleiche Sorgfalt verwenden, mit der ich ein Bild malen würde? Werde ich ein Gefühl der Befriedigung erlangen, wenn leicht, sicher und präzis aus diesem graulichen Gegenstand wieder ein lieber, reiner Teller wird? Ist das nicht Anbetung? Und ist Anbetung Leid oder Freude?

Man kann dem Teufel oder dem Heiland im Tellerwaschen dienen. Triumphiert nicht die Hölle, wenn ich Eigelb in Spritzern auf dem Rand lasse und durch zu wenig Abwaschwasser das Tuch sinnlos beschmiere – mit all dem eine endlose Saat kleiner Unglücke für den morgigen Tag säend?

Warum habe ich meinem Waschlappen keine fixe Behausung angewiesen?

Warum ist dieser trübe, einsame, obdachlose Waschlappen immer im Weg, um dann, aus dem Weg genommen, sofort in den Weg von etwas anderem zu gelangen? Warum ist er eine Augenqual geworden?

So oft ich ihn ansehe, macht er mir Kummer.

Warum liegt er wie ein feuchter Druck auf meiner Seele?

Weil ich ein Sünder bin. – – Weil ich zu träge bin, die paar Minuten auf die Seite zu legen und ihm einen festen, vernünftigen und bequemen Platz anzuweisen. Weil ich mich weigere, den Waschlappen in meine Religion einzuschließen, – die doch die ganze Welt umarmen soll. Weil ich das Niedrige und Geringste verachte. Weil ich täglich aus dem Zustand der Gnade falle und nicht »jeglichem das Seine gebe« (siehe den Fall Waschlappen). Nun wahrlich weiß ich, – warum ich der ärgste unter den Sündern bin! –


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