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Ich weiß gar nicht, warum gerade ich heirathen soll! sagte Herr Karl von Budmar ärgerlich und ging dabei heftig im Zimmer auf und ab. Friedrich, sein jüngerer Bruder, saß im Sofa und trommelte mit den Fingern auf die Lehne. Warum gerade ich, – fuhr der ältere wieder fort: das Leben ist schon voller Mühe und Sorge, und nun dazu diese Unannehmlichkeit.
Er blieb jetzt fragend vor dem Bruder stehen. Die Sache ist ganz einfach, entgegnete dieser lächelnd, Du sollst heirathen, weil Du Dich verlobt hast.
Ja, das war der Fehler! sagte Karl lebhaft, es ist unbegreiflich, wie ich dazu gekommen bin. – Lieber Fritz, ich bin sehr unglücklich! setzte er mit einem tiefen Seufzer hinzu.
Was ist denn wieder vorgefallen? fragte der Bruder jetzt theilnehmend. Vorgefallen ist gar nichts, fuhr der Bräutigam auf, es ist nur ein Factum da, eine Thatsache mit ihren unvermeidlichen Folgen. Heute komme ich hin, – ich versäume keinen Morgen, mich nach dem Befinden meiner Braut und dem Befinden meiner Schwiegermutter zu erkundigen, – heute nimmt mich die Schwiegermutter schon auf dem Flur in Empfang und flüstert: Morgen ist Charlottchens Geburtstag, es ist Ihnen wohl lieb, das zu wissen. – Ich frage Dich nun, Fritz, warum mir das lieb sein soll?
Du wirst Dich doch freuen, daß Deine Braut geboren ist, entgegnete dieser lachend.
Ja, freuen, – das ist ganz gut, seufzte Karl, seit heute Morgen aber zerbreche ich mir den Kopf, was ich morgen anfangen soll.
Du sollst ihr etwas schenken, das ist wieder ganz einfach, war des Bruders Antwort.
Das weiß ich auch, nahm Karl eifrig das Wort, nun aber stürmen Fragen und Bedenken auf mich ein, die Frage ist: soll ich etwas Nützliches oder etwas Ueberflüssiges schenken. Das letzte ist gegen meine Grundsätze, und wenn ich mich auch darüber hinwegsetze, was die Kaffee-Gesellschaft den Nachmittag zu meiner Bräutigams-Gabe sagt, ob sie mich poetisch, oder prosaisch, oder splendide, oder geizig nennt, was mich doch wieder im Grunde in eine unangenehme Aufregung versetzt, – kurz und gut, wenn ich mich auch über alles hinwegsetzen wollte, so bin ich heute Abend eben so weit als heute Morgen, ich habe kein Geschenk, ja es ist mir nicht einmal eine annähernde Idee von etwas Passendem gekommen; ich bin überzeugt, der morgende Tag kommt heran und ich weiß noch nichts. Ich sage Dir, seitdem ich verlobt bin, stürzen mich so ähnliche Vorfälle von einer fieberhaften Aufregung in die andere, ich kann gar keinen klaren Gedanken mehr fassen, außer dem einen: wenn ich nur nicht verlobt wäre!
Das wird alles aufhören, wenn Du verheirathet bist, tröstete Fritz.
Nein, Fritz, das wird nicht aufhören, versicherte Karl, man wird immer größere Ansprüche an mich machen. Wenn meine Schwiegermama erzählt von ihrem Mann selig, von seinen liebenswürdigen Eigenschaften, von der glücklichen Ehe, die sie geführt, dann wird mir angst und bange, denn alle diese liebenswürdigen rücksichtvollen Eigenschaften gehen mir ab, und ich sehe meine Zukunft deutlich vor Augen, ich werde mich fortwährend in einer entsetzlichen Spannung befinden, um nur herauszustudieren, wie ein glücklicher Ehemann sich betragen muß, und das halten meine Nerven nicht aus.
Du willst aber Charlottchen und nicht ihre Mutter heirathen, nahm der Bruder wieder das Wort, und Charlottchen ist das anspruchsloseste, einfachste Mädchen, was ich kenne.
Ja, ja, unterbrach ihn Karl, das weiß ich, aber ich verstehe nicht mit Frauenzimmern umzugehen, und – Fritz, setzte er kopfschüttelnd hinzu, Du mußt zugeben, es ist doch ein wunderliches Volk.
Fritz sah sehr spaßhaft aus, aber er nahm sich zusammen und fragte ernsthaft: Wie meinst Du das?
Zum Beispiel, begann der Gefragte eifrig, gestern war ich den ganzen Nachmittag drüben, wir haben uns wohl zwei Stunden schön unterhalten, ich habe erzählt, sie haben zugehört, wie es sich gehört. Die Frauenzimmer begriffen vollständig, daß ich mein Gut in kurzer Zeit auf doppelten Werth bringen muß, erstens wenn wir die Brache ganz und gar abschaffen und durch Anbau von Futterkräutern dem Futtermangel abhelfen, und zweitens, was die natürliche Folge davon ist, die Stallfütterung einführen. Fritz, Du lächelst, unterbrach sich der Redende ärgerlich, Du glaubst das nicht.
Die Verdoppelung des Werthes habe ich noch nicht vollständig begriffen, entgegnete der Bruder, und Du siehst, daß Charlottchen und die Schwiegermama vortreffliche Damen sind und weit mehr praktischen Verstand haben als ich. Aber Du wolltest noch etwas anderes erzählen.
Ja, nahm Karl wieder seufzend das Wort, nun denke Dir, nach dieser vernünftigen Unterhaltung, wobei Charlottchen Filet machte und ich ihr immer den Zwirn auf die Nadeln wickelte, denn wie gesagt, wenn mir irgend wie eine bestimmte Pflicht obliegt, die versäume ich nie, nach dieser Unterhaltung trat die Dämmerung ein, die Mama ging in die Küche, Charlottchen legte die Arbeit fort, wir traten unwillkürlich an das Fenster, weil der Mond schien. Da legt Charlottchen ihren Kopf an meine Schulter und flüstert: O, Karl, sieh, wie golden der Mond über den grünen Baumgipfeln aufsteigt! – Jetzt, Fritz, denke Dir meine Lage. – Mir fiel nicht ein sterbendes Wörtchen ein, was auf den goldnen Mond paßte, ich sah schweigend den unglücklichen goldnen Mond an und überlegte mir, wann dieser penible Zustand ein Ende nehmen würde, und tröstete mich damit: daß er jedenfalls ein Ende nehmen müsse. Da stand plötzlich die Mama an meiner andern Seite, beide Damen mißverstanden mein Schweigen und meine Stimmung völlig, sie stimmten an: »Guter Mond, du gehst so stille in den Abendwolken hin.« Ich habe das ganze Lied anhören müssen, dann schwiegen wir alle, und dann sprach die Mama von ihrem lieben Mann selig, wie er auch so gern singen hörte, und wie sie ein Herz und eine Seele waren, und wie er überhaupt eine zarte, seine Seele war. Ich war sehr froh, als ich wieder zu Hause war. – Lieber Bruder Fritz, setzte er nach einer Pause hinzu, liebst Du Mondenscheinlieder?
Warum nicht? entgegnete Fritz lächelnd; wenn Du sie aber nicht liebst, so sage das Charlottchen, und ich bin überzeugt, sie wird aus Güte und Gefälligkeit zu Dir in Deiner Gegenwart nie singen.
Ja, sie ist sehr gütig und sehr freundlich, sagte der Bräutigam nachdenklich.
Du hättest kein passenderes Mädchen auf der ganzen Welt wählen können, versicherte der Bruder.
Sie ist auch sehr verständig, fuhr der Bräutigam fort.
Und sehr hübsch, fügte der Bruder wieder hinzu.
Ich bin überzeugt, sie muß einen jeden andern Mann glücklich machen, nahm Karl jetzt feierlich das Wort. Lieber Fritz, die Menschen sind sehr verschieden in der Welt, – Du liebst die Mondenscheinlieder –
Du darfst mich nicht mißverstehen, unterbrach Fritz ihn schnell, ich habe Charlottchen lieb, ich wünsche, daß sie Deine Frau wird, aber weiter reicht meine Liebe nicht.
Also weiter nicht! seufzte der Bruder, – dann weiß ich nicht, was aus dem armen Mädchen werden soll, es fällt schwer, so jemandes Hoffnungen zu täuschen, und doch kann ich nicht anders, ich bin keine feine, zarte Seele und kann kein Charlottchen glücklich machen, mit dem besten Willen nicht, und das ist ärgerlich. Wenn ich heirathe, will ich auch ein glücklicher und liebenswürdiger Ehemann sein.
Du mußt Dir das nicht zu schwer denken, unterbrach ihn der Bruder.
Und Du mußt erst Deine Erfahrungen machen, fuhr der Bräutigam eifrig fort, meine Schwiegermutter z. B. sagt: »Wir Frauenzimmer sind zartbesaitete Seelen, nichts thut uns wohler, als wenn der Freund unserer Seele aufmerksam, rücksichtsvoll, zartfühlend gegen uns ist; ist er das nicht, so verkümmert unsere Liebe, und mit der Liebe unser Leben.« Nun aber, lieber Fritz, denke Dir lebhaft solch ein Feld von zarten Rücksichten, die meistens so zart sind, daß man gar nichts davon ahndet, ja deren Verstoß wir nur merken an den verkümmerten Blicken der zartbesaiteten Seele, die neben Dir wandelt, – ich begreife nicht, daß die Menschen einen glücklichen, liebenswürdigen Ehemann nicht als das größte Wunder anstaunen.
Du betrachtest die Sache von einem rein egoistischen Standpunkt, nahm Fritz das Wort. Die Lebensaufgabe von uns Männern ist, die zartbesaiteten Seelen, wie Du sie nennst, – oder wie wir Herren der Schöpfung sagen, das schwache Geschlecht, – glücklich zu machen; wenn das auch nicht immer leicht ist, so ist und bleibt es unser Beruf, unsere Lebensaufgabe, die Ehe soll eben eine Prüfungsschule des Lebens für uns werden.
Karl hatte dem Bruder verwundert zugehört. Richtig! – nahm er jetzt schnell das Wort: Du nennst die Ehe eine Prüfungs- oder Leidensschule, damit bin ich einverstanden; ich sehe aber nicht ein, warum ich mich ohne Noth hinein begeben soll.
Du siehst das nicht ein, weil Du eben ein Egoist bist, entgegnete Fritz, obgleich Du mit dem guten Charlottchen gar keine Prüfungen zu fürchten hättest. Ich muß Dir gestehen, Charlottchen wäre mir zu gütig, zu nachgebend, sie macht zu wenig Ansprüche; wenn ich mir eine zartbesaitete Seele erwähle, muß sie etwas lebhafter und selbständiger sein und mir die Prüfungsschule nicht gar zu leicht machen. – Karl sah den Bruder wieder verwundert an, dies war ihm völlig unverständlich, er verlangte aber auch kein Verständniß, er verlangte jetzt etwas anderes. Beide Brüder saßen zusammen im Sofa, überlegten reiflich, und Fritz überzeugte sich, daß Charlottchen von der Stimmung ihres unglücklichen Bräutigams wenigstens hören müsse; er zweifelte aber auch nicht, daß sie ihn in ihrer großen Herzensgüte gleich freilassen würde. Freilich wurde das arme Mädchen in den Erwartungen ihrer Zukunft sehr getäuscht. Sie lebte mit ihrer Mutter, einer armen Offizierswittwe, in ziemlich dürftigen Umständen, und die Aussicht, Frau von Budmar zu werden, war zwar eine sehr bescheidene, aber war doch immer eine Aussicht. Dagegen konnte Fritz den Bruder bei der Verlobung auch nicht des Leichtsinns beschuldigen, ja es war diesem selbst die größte Ueberraschung, den Bräutigamsstand von einer so sonderbaren Seite kennen zu lernen.
Der alte Herr von Budmar war vor einem Jahre gestorben, der älteste Sohn, Karl, erbte das Gut, welches an der Stadtmauer von Woltheim, einer kleinen Provinzialstadt gelegen, schon seit Jahrhunderten der Patrizier-Familie von Budmar zu eigen war. Das Gut war sehr unbedeutend, und obgleich in der Familie Budmar adelige Sitte und Bildung herrschte, so durfte sie doch äußeren Aufwand kaum mehr machen als die reichen Ackerbürger des Städtchens. Seit den letzten zehn Jahren war das Budmarsche Haus ganz und gar vereinsamt, die Mutter, eine vortreffliche, liebenswürdige Frau, war gestorben, der Vater lag fortwährend krank, Karl, der als ältester Sohn die Leitung des Gutes übernommen, vertiefte sich in landwirtschaftliche Studien und überließ sich dabei ungestört seinen Eigentümlichkeiten, die ihn mehr zur Arbeit und Abgeschlossenheit als zum Vergnügen und zum Verkehr mit Menschen zogen. Der jüngere Sohn Fritz war Kürassier-Offizier in Braunhausen, der benachbarten Garnison, und eine weit jüngere Schwester wurde von einer Tante in Schlesien erzogen. Daß man nach dem Tode des alten Herrn dem jungen Herrn Karl eine Frau wünschte, war ganz natürlich, er selbst fand das. Der Verkehr mit der alten Wirthschafterin und die Aufsicht über Bettkisten und Wäscheschränke war ihm ärgerlich, eine Frau sollte ihn von diesen Unbequemlichkeiten befreien. Ebenso leicht als ihm der Entschluß zum Heirathen wurde, wurde ihm auch die Wahl. Ganz nahe dem Gute, ebenfalls vor dem Thore, wohnte Frau von Lindeman mit ihrer Tochter Charlottchen. Charlottchen war ein verständiges und anspruchsloses Mädchen und ihre Mutter eine sehr gescheite Frau. Wenn Herr Karl von Budmar aus dem Felde kam und an der Gartenlaube vorbei passirte, knüpfte er nicht selten eine Unterhaltung mit der zuvorkommenden Frau an, sie nahm ja so lebhaften Theil an seinen ökonomischen Interessen, hatte selbst die Werke des Edlen von Kleefeld gelesen, und sprach über Bodenverbesserungen und Klee- und Esparsettenbau wie ein Buch. So war der Umgang angeknüpft, und die Verlobung mit Charlottchen war eine einfache Sache, bei der die Schwiegermama die Hauptrolle spielte. – Gleich nach der Verlobung war der Bräutigam sehr glücklich und zufrieden, er sprach mit der Schwiegermama gründlich über Ausstattung und Einrichtung, und über Charlottchens Pflichten als fleißige und umsichtige Hausfrau. Daß sie außer der umsichtigen Hausfrau auch eine zartbesaitete Seele war und er sich als glücklicher Bräutigam in einem Felde von unendlichen Rücksichten bewegen müsse, das ahnete er nicht. Je mehr ihm das klar ward, und je mehr seine Schwiegermama ihn zur zarten feinen Seele heranbilden wollte, je größer ward die fieberhafte Aufregung seiner Nerven. Er sah seinen Beruf deutlich vor Augen, nämlich nicht zu heirathen und ein guter alter Onkel zu werden, der an den Familienfreuden der Geschwister so viel Theil nimmt als er gerade Lust hat, und außerdem den Werth des Familiengutes durch sein ausgezeichnetes Wirtschaften auf den doppelten Werth bringt.
Als er heute dem Bruder seine Kämpfe und seine Pläne mittheilte, wurde er besonders lebhaft als er auf den letzten Punkt kam, er vergaß sein Unglück, schwelgte in grünen Klee- und rothen Esparsettenbreiten, und zauberte mit seiner Fantasie veredelte Viehherden in neugebaute Ställe. Er bat den Bruder dringend, zu heirathen, und versprach ihm beträchtliche Geldsummen und Fuhren von Lebensmitteln in die Lieutenantswirthschaft zu liefern. Fritz lächelte bei diesen Versprechungen und er war nicht mit Unrecht mißtrauisch; es war bei dem langjährigen Wirthschaften des guten Bruders noch wenig herausgekommen, was er ihm übrigens nicht zum Vorwurf machen konnte, da er selbst wenig von solchen Dingen verstand und wenig darauf gab. Daß, wenn der Bruder solchen Entschluß faßte, seine eigene äußere Lage sicherer wurde und er eher an Heirathen denken konnte, war ausgemacht, besonders da er entschlossen war, bei seiner Wahl nicht auf Geld zu sehen. Er verschwieg jetzt dem Bruder nicht, daß er allerdings die Absicht habe, sich in die Prüfungs- und Leidensschule der Ehe zu begeben, und daß sein Herz schon längst die Wahl getroffen.